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Kommentar: Flugschämen wir uns

KOMMENTAR Peter Righi zwischen Reiselust und Flugscham Flugschämen wir uns!

Fünf Skitouren im Kaukasus, eine Woche Trekking in Nepal, Wanderungen auf den Kanaren und ein paar Tage Klettern in Oman.

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Seit Beginn der 1990er-Jahre sind auch die alpinen Vereine auf den Geschmack gekommen, dem Bergruf der Ferne zu folgen, und fliegen immer häufiger exotische Destinationen an. Auf der Strecke bleibt dabei der ökologische Fußabdruck.

„Der ökologische ... was? Fußabdruck? Hör bitte auf! Komm mir bitte jetzt auch noch mit der ‚Flugscham’, du Gretajünger du!“

Meine (selbst)kritischen Gedanken, die ich nun in dieser Kolumne kundtue, werden irritieren. Dabei ist mir auch mein inkonsequentes Handeln bewusst, denn auch ich fliege immer wieder zum Wandern und Bergsteigen in die Ferne und fahre jährlich viele Kilometer mit meinem „Euro-4-Stinker“ durch die Alpen.

Augenzeugen des Klimawandels Eigentlich sind wir Bergsteiger Augenzeugen des Klimawandels. Wer mit offenen Augen durch die Bergwelt geht oder rennt, dem fallen die klimatischen Veränderungen dieses sensiblen Ökosystems auf. Die Gletscher schmelzen dahin, die Baumgrenze steigt und die Vegetationszonen verändern sich. Immer häufiger beobachten wir Ereignisse wie Bergstürze, Muren, Steinschläge durch den schwindenden Permafrost. Aber auch im Alltag sind wir immer häufiger mit Starkregen, Dürre, Windsturm und anderen Wetterextremen konfrontiert. In letzter Zeit sind die Stimmen der Klimawandel-Zweifler leiser geworden, aber neben den vielen Warnrufen gibt es nicht viele Lösungsansätze für diese weltweite Herausforderung. Ob die Lösung des globalen Klimawandels nur im kompromisslosen Verzicht auf die intensiven Abenteuer und Fernreisen liegt, bleibt dahingestellt. Sicher ist, dass wir aber so einiges an unserem Lebensstil verändern müssen. Schnell sogar.

Wenn wir etwas gegen den Klimawandel tun möchten oder ihn zumindest einbremsen wollen, dann muss unser CO 2-Ausstoß drastisch verringert werden. Nun höre ich wieder die Gegenstimme brummen: „Das ist ja ein globales Thema, die Mächtigen dieser Welt sollen dies ändern. Ich kann das Weltklima eh nicht verändern und da sollen zuerst einmal China, Indien und viele Entwicklungsländer ihre Hausaufgaben erledigen. Außerdem hält die USA auch nicht das Pariser Klimaschutzabkommen, deshalb ist ja eh alles egal!“

Drang nach grenzenlosem Reisen Gewiss ist, dass alle Länder der Welt ihre Klimapolitik überdenken müssen und dies unsere Mobilität, unsere Landwirtschaft und unser Konsumverhalten nachhaltig verändern wird.

Allerdings hat der Mensch im Zuge seines zivilisatorischen Fortschritts die Möglichkeit kennengelernt, die Welt zu bereisen. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir, nach der Erfüllung unserer gesellschaftlichen Grundbedürfnisse, den Drang nach Freiheit durch das grenzenlose Reisen gestillt. Dieser Freiheitsdrang ist notgedrungen mit dem Fliegen verbunden. Es versteht sich von selbst, dass man Weltoffenheit hinter dem Horizont erfährt und dass uns das Reisen kulturell prägt oder sogar verändert.

Flugscham? Zu Recht!! Vorschläge wie die Kerosinsteuer, Deckelung von Flugreisen, CO 2-Steuer und Klimaprämien wurden auch in der Politik alle schon genannt. Aber kann ein kultureller Wandel, den eine Gesellschaft auch mitträgt, von oben verordnet werden? Oder reicht es, den Leuten ein schlechtes Gewissen, wie ich die „Flugscham“ nenne, einzureden? Diese kann man bekanntlich, wie dies der DAV-Summit Club vormacht, mit einigen „Kompensations-Euros“ ausgleichen und sein Gewissen beruhigen.

Da kann ich nur sagen: „Flugschämen sollt ihr euch!“

Fakten belegen, dass ein zurückgelegter Personen-Kilometer mit dem Flugzeug ein Vielfaches mehr CO 2 in die Atmosphäre pumpt, als eine Zugfahrt es tut. In Schweden macht man dagegen mit einer Kampagne mobil, und seit etwa einem Jahr wurde auch bei uns die Wortschöpfung „Flugscham“ ins Vokabular aufgenommen.

Die Kontrolle verloren In Deutschland ist der Anteil der Flugreisen von ca. 30 Prozent aller Reisen im Jahr 2000 auf mehr als 41 Prozent im Jahr 2018 gestiegen. Nur acht Prozent sind Fernreisen. Auch in Österreich verzeichnen die größeren Flughäfen seit dem Jahr 2014 zweistellige Zuwachsraten. Vorwiegend sind es die Zwei- bis Viertagestrips in die überlaufenen europäischen Hauptstädte, die von Billigfluggesellschaften angeflogen und von konsumorientierten Schnäppchenjägern abgehakt werden. Kritisch betrachtet kommt dieses Reiseverhalten einer Kaffeefahrt gleich, bei der sämtliche Fluggäste die Kontrolle über ihren eigenen ökologischen Fußabdruck verloren haben.

Luft nach oben Der DAV-Summit-Club ermutigt seine Kunden, bei der Urlaubsplanung darüber nachzudenken, ob diese – anstelle von mehreren kurzen Reisen im Jahr – sich eher für eine längere Reise entscheiden sollen. „Auf das Jahr gesehen verringert sich damit der ökologische Fußabdruck, während der Erholungswert um ein Vielfaches steigt“, so der Berg-Reiseveranstalter. Wenn ich mal meinen ökologischen Fußabdruck kritisch betrachte, dann erkenne ich, dass auf meinem Weg zur Nachhaltigkeit noch sehr viel Veränderung möglich ist und dass die „Luft da oben“ bedeutend weniger CO 2-haltig sein muss. Eigentlich brauche ich nur meine Gewohnheiten verändern und hie und da für meine Touren eine Hüttenübernachtung einplanen. Vielleicht erreiche ich die Westalpen, die unentdeckten Julischen Alpen, die Pyrenäen oder die mir noch unbekannten Gebirge ganz stolz mit der Bahn. Kann meine langersehnte Fernreise, die für mich eine Ausnahme ist, in Zukunft nicht auch länger als 20 Tage dauern?

Als Freizeitbergsteiger stelle ich mir aber die Frage, ob nicht auch die Berufsbergsteiger, die vielen wandelnden Litfaßsäulen und andere angebetete Alpin-Ikonen hier ein Zeichen setzen sollten und ihre „Projekte“ in der Antarktis durch einfach erreichbare Ziele in den Alpen ersetzen. Vielleicht können wir im Alpenverein den Anreiz schaffen, wenn der mit der Tour verbundene CO 2-Ausstoß in der Schwierigkeitsskala von Berg- und Hochtouren eine Rolle spielen würde? Peter Righi, designierter AVS-Kulturreferent

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