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Bilder voller Würde
»Cheibani«, Acryl und Öl auf Leinwand, 2019. »Cheibani, der Mann auf dem Bild, war früher ein Sklave. Viele ehemalige Sklavinnen und Sklaven in Mauretanien Situation. Cheibani beispielsweise verdient seinen Lebensunterhalt damit, Muscheln am Strand zu sammeln und anschließend zu verkaufen.« Saleh Lô.
Gesichter der Sklaverei
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In Mauretanien ist Sklaverei trotz des offiziellen Verbots immer noch gängige Praxis. Der Künstler Saleh Lô will mit seinen Porträts befreiten Sklavinnen und Sklaven ihre Würde zurückgeben. Von Siri Gögelmann
werden von der Gesellschaft diskriminiert und befinden sich in einer schwierigen ökonomischen
Sie kochen, putzen, arbeiten im Haushalt und kümmern sich um die Kinder ihrer »Herren« – von früh bis spät, ohne Lohn, Urlaub oder Zugang zu Bildung. Schätzungen zufolge leben mehrere zehntausend Menschen in Mauretanien als Sklavinnen und Sklaven. Und das, obwohl Sklaverei in dem westafrikanischen Land seit 1981 verboten ist. Der Künstler Saleh Lô hat Proteste der Antisklaverei-Bewegung begleitet und ehemalige Sklavinnen und Sklaven getroffen. Mit Pinsel und Farbe möchte der 36-Jährige ihnen ihre Würde zurückgeben und das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.
Lô, der in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott aufwuchs, kam früh mit dem Thema Sklaverei in Berührung. Noch heute erinnert er sich daran, wie er sich als Vierjähriger beim Spielen mit seinem älteren Bruder verlief. Sie irrten durch die Gegend, als eine fremde Frau sie ansprach. Anstatt ihnen zu helfen, wollte sie die Jungen mit zu sich nach Hause nehmen. Doch die beiden rannten weg. Erst Jahre später begriff Lô, dass diese Frau ihn und seinen Bruder versklaven wollte. Seitdem ist Sklaverei ein Thema für ihn, das sich auch in seiner künstlerischen Arbeit widerspiegelt. Lô, der mit 17 Jahren die Schule abschloss und sein Geld zunächst in einem Hotel verdiente, gelang der Durchbruch 2012 mit einer Ausstellung seiner Bilder in Nouakchott. Seither arbeitet er als Künstler. Für das Amnesty Journal hat er einige seiner Gemälde kommentiert.
»Khoumba«, Acryl und Öl auf Leinwand, 2016.
»Meine künstlerische Arbeit basiert auf hyperrealistisch gemalten Porträts. In der Regel sind meine Gemälde zehn bis zwanzig Mal größer als das Foto, auf das ich mich beziehe. Jede Spur und jede Schicht, die der Pinsel hinterlässt, ist deutlich sichtbar. Sie stellen für mich die Weite, Komplexität und den Reichtum der menschlichen Seele dar. Manche Gemälde erwecken einen unfertigen Eindruck. Damit möchte ich zeigen, dass die Geschichte des porträtierten Menschen noch nicht abgeschlossen ist und eine mögliche Fortsetzung oder Veränderung folgt.«
»Einige meiner Kindheitsfreunde sind bei der Anti-Sklaverei-Bewegung Initiative pour la Résurgence du Mouvement Abolitionniste (IRA). Sie kämpft für die Abschaffung der Sklaverei, für Chancengleichheit und ein gerechtes Mauretanien. 2015 wurde der Vorsitzende der Bewegung, Biram Dah Abeid, zu zwei Jahren Haft verurteilt. Er hatte Aktivistinnen und Aktivisten der IRA unterstützt, die sich trotz eines Verbots der mauretanischen Regierung im Süden des Landes gegen Sklaverei einsetzten. Damals gab es in Nouakchott mehrere Demonstrationen gegen die Inhaftierung von Dah Abeid. Das Bild zeigt einen dieser Protestmärsche. Die Demonstrierenden beeindruckten mich sehr. Sie gaben nicht auf, obwohl die Polizei versuchte, sie vom Justizministerium fernzuhalten und einige von ihnen sogar für mehrere Tage ins Gefängnis steckte. Über die IRA bekam ich auch Kontakt zu befreiten Sklavinnen und Sklaven, die ich dann porträtierte.«
»Aicha«, Acryl und Öl auf Leinwand, 2016.
»Aicha traf ich 2014 kurz nach ihrer Befreiung aus der Sklaverei. Sie wuchs als Tochter einer Sklavin in einer mauretanischen Familie auf. Schon als Kind diente sie dieser Familie. Für sie war es normal, im Haus ihrer ›Herren‹ zu leben und ohne Bezahlung für sie zu arbeiten. Selbst über ihr eigenes Leben zu entscheiden, war für sie unvorstellbar. Wie Aicha wird die Mehrheit der Sklavinnen und Sklaven heute in die Sklaverei hineingeboren. Bei meinen Recherchen habe ich zudem festgestellt, dass die meisten von ihnen Frauen und Kinder sind. Über die Frauen verfügen die ›Herren‹ nach Lust und Laune. Sie werden oft vergewaltigt.«
Mit Bildung gegen Unterdrückung
Sklaverei in Mauretanien ist zwar offiziell verboten, sie wird jedoch strafrechtlich kaum verfolgt. Die SahelStiftung ermöglicht Kindern ehemaliger Sklavinnen und Sklaven den Schulbesuch, um sie vor prekärer Arbeit zu schützen. Von Jan-Christian Petersen
Mauretanien hat die Sklaverei 1981 offiziell verboten – als letztes Land weltweit. Doch erst seit 2007 steht sie auch unter Strafe. Allerdings nur auf dem Papier. Tatsächlich existiert die Sklaverei noch heute und wird strafrechtlich kaum verfolgt. Und das obwohl das AntiSklaverei-Gesetz 2015 noch einmal reformiert und neue Maßnahmen eingeführt wurden. »Die Regierung will die Fälle einfach nicht aufarbeiten«, sagt Abidine Ould-Merzough, der gegen Sklaverei in Mauretanien kämpft.
Der 51-Jährige hat 2017 die Sahel-Stiftung mitgegründet, die Kindern von ehemaligen Sklavinnen und Sklaven den Schulbesuch ermöglicht. »Bildung ist das beste Mittel gegen Sklaverei und Unterdrückung«, sagt Ould-Merzough. »Denn selbst diejenigen, die sich aus der Sklaverei befreien, haben wenig Perspektiven und verharren in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen, weil sie über keinerlei Bildung verfügen.«
Wie viele Sklavinnen und Sklaven es in Mauretanien gibt, ist unbekannt – der Global Slavery Index geht von 90.000 aus. Das sind gut zwei Prozent der Bevölkerung. Menschenrechtsorganisationen schätzen den Anteil auf zehn bis zwanzig Prozent.
Ould-Merzough gehört selbst zur Bevölkerungsgruppe der Haratin, also derjenigen, die Sklavinnen und Sklaven waren oder immer noch sind. Während seiner Kindheit, die er im Dorf Cheggar in der südmauretanischen Region Brakna verbrachte, mussten die Haratin teils mit bloßen Händen Erdwälle errichten, um Wasser für die Feldarbeit zu stauen. Ould-Merzoughs Cousin sei dabei mit einem Stock zur Arbeit getrieben worden. Als sich der Jugendliche wehrte, wurden er und einige seiner Verwandten festgenommen und in die rund 100 Kilometer entfernte Bezirkshauptstadt Djonaba gebracht.
Ould-Merzough selbst zählte zu den ersten drei Kindern der Haratin in seinem Dorf, die eine Schule besuchten. Zu verdanken hat er dies seinem Vater, der ihm in den 1970er-Jahren den Schulbesuch erkämpfte, weil er – anders als viele andere im Dorf – erkannte, wie wichtig es ist, zur Schule zu gehen. Viele Haratin kannten den Wert von Bildung nicht, sagt Ould-Merzough. Das sei auch heute noch oftmals so: »Viele Sklaven überlassen ihre Kinder der Sklaverei, weil sie selbst keine Schulbildung besitzen.« Einige wüssten nicht einmal, dass die Sklaverei inzwischen verboten sei.
Die Haratin, die »schwarzen Mauren«, umfassen etwa 40 Prozent der mauretanischen Bevölkerung. Die Bevölkerungsgruppe der »weißen Mauren«, der ehemaligen und heutigen Sklavenhalter, wird Bidhan genannt. Mit 30 Prozent Bevölkerungsanteil bilden sie zwar eine Minderheit, sie besetzen jedoch nahezu alle kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Führungspositionen des Landes. Ould-Merzough erklärt, dass Bildung sie zur Übernahme der Führungspositionen qualifiziere, da nur sie sich aufgrund ihres Wohlstandes den Besuch einer der besseren privaten Schulen leisten können. Die Haratin würden hingegen abgehängt. Auf seinem Laptop zeigt er Fotos, auf denen krumme Holzpfosten zu sehen sind, zwischen denen
Abidine Ould-Merzough
Schulbesuch. Abidine Ould-Merzough in einer Schule in einem Armenviertel Nouakchotts. Die Schüler werden teils von der Sahel-Stiftung unterstützt.
Kanthölzer und Äste gespannt wurden. »Das sind ungefähr die Umstände, unter denen ich lesen und schreiben gelernt habe«, sagt er. Die Fotografien seien aktuell. Bis heute habe sich daran wenig geändert. Das wackelige Gerüst erinnert an eine etwas größere Gartenlaube. Bis zu 50 Schülerinnen und Schüler finden auf dem steinigen Wüstenboden Platz. Während des Unterrichts wird das Gerüst zum Schutz mit Stoffbahnen abgehängt.
Ould-Merzough hält ein anderes Bild dagegen. Es zeigt einen möblierten Klassenraum in einem modernen Gebäude, in dem 18 Kinder in Schuluniformen sitzen. Sie besuchen eine teure Privatschule und werden nach internationalen Standards unterrichtet. Die Kinder sind allesamt Angehörige der Bidhan.
Ould-Merzough zeigt aktuelle, teils druckfrische Werke in arabischer Sprache, die die Sklaverei in Mauretanien als gott gewollt verteidigen. Das ausbeuterische System macht ihn wütend. Mithilfe einer autoritären Auslegung islamischer Schriften würde Sklavinnen und Sklaven beigebracht, dass sie von Gott dazu bestimmt seien, anderen zu dienen. Sollten sie sich weigern, kämen sie in die Hölle.
Der Aktivist begriff bereits als Kind, wie wichtig Bildung war. Als Zehnjähriger erledigte er den Schriftverkehr im Dorf. »Ich habe meine ganze Kindheit unter den Erwachsenen verbracht«, sagt Ould-Merzough. Er konnte schon früh Anträge und Formulare ausfüllen, Briefe an Behörden schreiben und vorlesen. Seine Alphabetisierung führte außerdem zu einer verbesserten Versorgungslage: In Jahren der Dürre, in denen die Bevölkerung auf Hilfsgüter angewiesen war, wurden diese von den herrschenden Bidhan abgeholt und verteilt. Weil die Haratin nie rechnen, schreiben und lesen gelernt hatten, war es ihnen zuvor nicht möglich gewesen, die zugeteilten Mengen zu überprüfen. Mit Ould-Merzoughs Schulbesuch änderte sich das.
Als Jugendlicher engagierte sich Ould-Merzough in der Menschenrechtsbewegung El Hor gegen die Sklaverei. Später war er an führender Stelle in den Anti-Sklaverei-Organisationen SOS Esclaves und Initiative pour la Résurgence du Mouvement Abolitionniste (IRA) aktiv. Ould-Merzough gehört außerdem zum Bundesvorstand der Gesellschaft für bedrohte Völker. Er kam nach dem Abitur nach Deutschland, um Maschinenbau zu studieren. Heute arbeitet er bei einem großen deutschen Autohersteller. Der Ingenieur spricht vier Sprachen.
Die Unterstützung aus dem Ausland ist wichtig, denn in Mauretanien ist das Engagement gegen die Sklaverei nicht ungefährlich. Immer wieder werden Aktivistinnen und Aktivisten inhaftiert und strafrechtlich verfolgt. Der IRA-Aktivist Biram Dah Abeid etwa wurde bereits dreimal inhaftiert. Während der Staat gegen Anti-Sklaverei-Aktivistinnen und Aktivisten harsch vorgeht, wird die Sklaverei selbst kaum geahndet. »Auf juristischem Weg kommen wir in vielen Fällen einfach nicht voran«, sagt Ould-Merzough. »Auch deshalb haben wir die Sahel-Stiftung gegründet«, erklärt er. »Wir sammeln Geld für die Schulgebühr, vermitteln Bildungspatenschaften und verhandeln mit den Privatschulen, damit sie die Kinder umsonst aufnehmen.« Wer rechnen, lesen und schreiben kann, könne seine Rechte besser verteidigen.