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Auch von mir wurde erwartet, ein gutes Mädchen zu sein

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Absurd hohe Preise

Absurd hohe Preise

»Auch von mir wurde erwartet, ein gutes Mädchen zu sein«

Liraz Charhi, Jahrgang 1978, ist eine israelische Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin. Sie wuchs als Kind iranisch-jüdischer Einwanderer in der israelischen Stadt Ramla auf. Nach zwei hebräischsprachigen Alben veröffentlichte sie mit »Naz« (2018) ihr erstes Album auf Farsi. 2020 erschien »Zan«, auf dem Liraz Charhi ebenfalls auf Farsi singt. Als Schauspielerin wurde sie bekannt u.a. durch die Spielfilme »Turn Left at the End of the World« (2004), »Fair Game« (2010) und »Saiten des Lebens« (2012). Zuletzt war sie als Mossad-Agentin Yael Kadosh in dem mehrteiligen Spionage-Thriller »Teheran« zu sehen (Apple TV+).

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Die Sängerin Liraz Charhi richtet sich mit ihrem die Freiheit feiernden Album »Zan« an iranische Frauen. Ein Gespräch über die Identitätsfindung als persischstämmige Israelin und heimlich aufgenommene Musik.

Interview: Till Schmidt

Auf Ihrem neuen Album »Zan« singen Sie auf Farsi – ungewöhnlich für eine israelische Musikerin. Wie kam es dazu?

Meine Eltern sind 1964 und 1970 nach Israel eingewandert. Sie haben den Iran verlassen, weil sie dort ihr Judentum nicht offen leben konnten und im Alltag antisemitische Anfeindungen erleben mussten. Das war noch vor der Islamischen Revolution, als es noch eine gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern und den Menschen gab. Ich wurde in Israel geboren und bin in Ramla aufgewachsen, einer Provinzstadt, eine Dreiviertelstunde von Tel Aviv entfernt. Lange Zeit habe ich mich gefragt, was ich denn bin – israelisch, persisch, beides?

Auf Ihren ersten beiden Alben haben Sie auf Hebräisch gesungen, »Naz« aus dem Jahr 2018 war das erste auf Farsi. Gab es für diese Entwicklung einen bestimmten Wendepunkt?

Zu Beginn meiner Karriere als Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin war mein persisches Erbe kein Thema. Vor einigen Jahren erhielt ich dann eine Einladung zu einem Filmfestival in Los Angeles. Wegen der vielen Iraner wird L. A. ja als »Teherangeles« bezeichnet. Zu Recht, und dort verstand ich, wie groß meine tatsächliche Familie ist. Das war verrückt. Da ich einige Jahre regelmäßig in L. A. gearbeitet habe, konnte ich dort die iranisch geprägten Viertel, die Musik, das Essen erkunden und Iraner kennenlernen – und damit auch mein eigenes kulturelles Erbe.

Mit welchem Bild vom Iran kamen Sie in »Teherangeles« an?

Mein ganzes Leben hatte ich zwar auch wunderschöne Geschichten über den Iran gehört. Vor allem aber hatte ich das Land als einen hässlichen Ort wahrgenommen, als Ort des extremen Islam, wo Leute sich anschreien, über Bomben reden und uns Israelis verteufeln. Als Ort, wo Frauen ihre Gesichter verdecken müssen, ein freudloses Leben führen und zum Schweigen verdammt sind. Das ähnelt durchaus auch der Geschichte meiner Großmütter, die mit 13 und 15 Jahren verheiratet worden sind. Immer, wenn ich in L. A. gelandet bin, verspürte ich den Drang, mich selbst besser kennenzulernen. Und jedes Mal kehrte ich mit Koffern voller iranischer Platten und CDs mit Popmusik aus der Zeit von vor 1979 nach Israel zurück.

Hatten Sie eine Lieblingsplatte damals?

In die Musik von Googoosh habe ich mich sofort verliebt. Da ist etwas Faszinierendes in ihrer Stimme. Sie ist frech, nicht höflich, entschuldigt sich nicht, eine Frau zu sein. Als Sängerin und Schauspielerin hat sie ihre Sexualität, ihre Persönlichkeit offen gelebt und immer so gesungen, wie sie das wollte, und sich auch in ihrem Modestil nicht angepasst. Auch nach der Islamischen Revolution hat sie ihr Leben, ihre Seele, ihre Persönlichkeit und ihre Karriere trotz der Repression nicht aufgegeben – und ab einem bestimmten Punkt einfach außerhalb des Iran weitergemacht. Für mich steht Googoosh für die Freiheit der iranischen Frauen. Das war neu für mich und hat mich als Frau stark inspiriert. Ich merkte, dass auch ich, zu Hause in Israel, stumm gemacht wurde. Auch von mir wurde wie selbstverständlich erwartet, ein ‚gutes Mädchen‘ zu sein, früh zu heiraten und Kinder zu bekommen. Um mehr bei mir selbst zu sein, habe ich mich scheiden lassen. Das war der erste Schritt. Irgendwann später in diesem Prozess wurde mir klar: Ich muss auf Farsi singen.

Für Ihr neues Album »Zan« haben Sie mit iranischen Musikern zusammenarbeitet. Wie war das möglich?

Es ging nur, weil die Zusammenarbeit geheim über das Internet erfolgte. Die beteiligten Musiker und Komponisten waren sehr, sehr mutig. Von israelischer Seite ist eine Zusammenarbeit gar kein Problem, aber im Iran mit dem Erzfeind Israel zusammenzuarbeiten, das ist wirklich gefährlich. Deshalb habe ich mich entschieden, die iranischen Künstler im Booklet nicht namentlich, sondern nur anonymisiert zu nennen. Immer wieder hing die Produktion am seidenen Faden, weil seitens der Iraner jederzeit etwas schiefgehen konnte. Honorare musste ich über Umwege – etwa via Türkei oder Deutschland – überweisen. Immer mal wieder mussten wir neue, sicherere Wege der Kommunikation finden, damit nichts auffliegt. Der gesamte Prozess war für mich emotional sehr aufreibend.

»Zan« bedeutet übersetzt »Frauen«. Welche Botschaft haben Ihre Lieder?

Sie richten sich speziell an iranische Frauen. Gleich der erste Song, »Zan Bezan« (Von Frau zu Frau), aber auch »Nafaz« (Atem) und »Hala« (Jetzt) thematisieren das ziemlich direkt. Es geht darum, für die eigene Freiheit zu kämpfen, Widerstände zu brechen, zu singen, zu tanzen und zu jubeln.

Haben Sie auch eine Botschaft an die Frauen in Israel, wo es zwar keinen staatlich verordneten Kopftuchzwang, aber ebenfalls viel männlichen Chauvinismus gibt?

Mir selbst ist es schon passiert, dass in Jerusalem Konzerte abgesagt wurden, weil sich streng Religiöse beschwert haben. Es passiert also auch in Israel, auch wenn es natürlich eine andere Qualität hat als im Iran. Letztlich ist meine Botschaft an alle Frauen und Mädchen gerichtet, auch an meine Töchter. Meinen eigenen, konservativen Vater musste ich erst überzeugen, dass »Zan« einfach Ausdruck meiner eigenen Persönlichkeit und ein wichtiger Teil meines künstlerischen Werdegangs ist. Zunächst meinte er, ich könne doch nicht einfach die iranischen Frauen zu einer Revolution gegen das dort geltende Gesetz auffordern.

Ihr neues Musikvideo zu »Bia Bia« (Komm, Komm) erinnert ästhetisch stark an Googoosh und andere Sängerinnen aus dem Iran vor der Islamischen Revolution. Ist das Zufall?

Nein. Für das Video habe ich die Geschichte einer meiner Großmütter aufgegriffen. Sie ist heute 81 Jahre alt und hat eine wunderschöne Stimme. Damals im Iran wollte sie ebenfalls Sängerin werden, und bei jeder Bar Mizwa, Hochzeit oder Party hat sie versucht, sich ein Mikrofon zu schnappen. Doch auch sie wurde zum Schweigen gebracht. Stattdessen ging sie heimlich zu Underground-Konzerten, wohin sie später auch meine Mutter mitgenommen hat. In »Bia Bia« – das Lied ist ein Ruf an meine Liebe, mit mir zusammen zu singen und zu tanzen – habe ich diese Geschichte aufgegriffen und einen solchen Club nachbauen lassen. Damit habe ich den Traum meiner Großmutter nachgespielt, auf der Bühne zu stehen und zu performen.

Bestien & Göttinnen

Der Fotograf und bildende Künstler Igor Vidor arbeitet zu Polizeigewalt in Brasilien. Weil er mit dem Tode bedroht wurde, floh er nach Berlin. Hier beschreibt er einige seiner Arbeiten. Von Malte Göbel

Es ging nicht mehr so weiter. Ich bekam Todesdrohungen. Und dann wurde es auf einmal sehr still. Zu still. Also habe ich zu meiner Frau gesagt: Wir sollten weg von hier, so schnell wie möglich.« Igor Vidor ist ganz ruhig, als er das erzählt. Er sitzt auf einer Couch, trägt eine rote Wollmütze, Corona-Frisur. Seine tiefe Stimme flößt sofort Vertrauen ein. Von der Panik, die er damals wahrscheinlich empfand, ist kaum etwas zu spüren.

Mittlerweile lebt der Fotograf und Bildende Künstler in Berlin. Seit Juni 2019 ist er Stipendiat der Martin-Roth-Initiative, die verfolgten Kulturschaffenden einen Schutzraum bietet: Wer in seinem Heimatland wegen seiner Kunst verfolgt oder bedroht wird, soll herausgeholt werden, mit einem Stipendium. Für Igor Vidor war es 2019 die Rettung. »In Berlin konnte ich endlich wieder nachts durchschlafen.«

Vidor ist ein politischer Künstler. Seine Werke befassen sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in seiner Heimat, mit der Gewalt im öffentlichen Raum – und das bedeutet auch immer Polizeigewalt. »Brasilien wird von vielen Menschen so positiv gesehen, es gibt diesen Gründungsmythos: Die Brasilianer glauben, sie seien tolerant, vielfältig und friedlich … aber das stimmt nicht! Wir haben die höchste Mordrate der Welt, die höchste Rate von Polizeimorden, auch von Morden an Polizisten, die höchsten Raten von Morden an Frauen, an Trans, an Schwulen und Lesben«, zählt er auf. »Wir sind einfach kein friedliches Land. Brasilien ist gefährlich und gewalttätig.«

Dass Gewalt zum Alltag gehört, hat Igor Vidor von klein auf gelernt. Wirklich aufgefallen ist es ihm erst später. Geboren wurde er 1985 in einem armen Vorort von São Paulo, der Vater war Lastwagenfahrer, die Mutter blieb nach der Geburt des zweiten Kindes zu Hause. »Ich wuchs in einer Gegend auf, in der die Straßen nachts gefährlich sein können, wegen der Polizei.« Die Polizei war nicht Freund und Beschützer, sondern Bedrohung. »Es ist krass: Brasilien ist eine Demokratie, aber es ist schwer, den Polizisten zu vertrauen.«

Neun seiner Freunde sind von der Polizei getötet worden – dass das nicht normal ist, fiel ihm erst nach dem Tod seines Jugendfreundes Rodrigo auf. Der arbeitete für ein Drogenkartell und wurde 2016 von der Polizei gefoltert und ermordet. »Ich dachte: Oh fuck, was passiert hier eigentlich?«

Seitdem war Vidor klar, dass er noch mehr über die Themen Sicherheit und Gewalt und die Verbindung von beidem reden muss. Er begann zu recherchieren. »Es war sehr leicht, Namen und Verbindungen zu finden.« Doch geht es ihm weniger um Namen, als vielmehr um die Strukturen dahinter: »Ich als Künstler habe eine andere Perspektive als ein Journalist. Ich möchte tiefer gehen als die Schlagzeilen in einer Zeitung.«

Doch Vidors Recherchen fielen auf, bald bekam er Morddrohungen. Sein Instagram- und sein E-Mail-Account wurden gehackt. Einzelheiten möchte Vidor nicht erzählen, um sich nicht in Gefahr zu bringen, aber: »Die Drohungen enthielten spezifische Angaben über mich und meine Arbeit« – also doch ein Grund, besorgt zu sein. Mit einem Freund, der sich in IT-Sicherheit auskennt, verfolgte er die Drohungen zurück und landete bei einem Polizisten. »Wir fanden heraus, dass er Verbindungen zu einer illegalen Militäreinheit hatte, einer Miliz. Das ist ernst.« Die gleiche Gruppe hatte im März 2018 die Politikerin Marielle Franco umgebracht, was international Aufsehen erregte.

Obwohl die von Vidor gesammelten Informationen gereicht hätten, den Mann vor Gericht zu bringen, entschied er sich dagegen, ihn anzuzeigen. »Wir hatten Angst vor Racheakten. Und als ich erfuhr, dass es Versuche gab, mich mit einem Drogen kartell in Verbindung zu bringen, war klar: Ich muss da raus.«

»Teresa und Moira«, 2019. »Teresa und Moira ist der Name dieses Seils aus verdrehten Bettlaken, die von einem Draht zusammengehalten werden. Auf den Laken sind Blutflecken – die Laken bedeckten einst Mordopfer auf Straßen in Brasilien. Teresa ist Umgangssprache für aneinander geknotete Laken, die man aus dem Fenster hängt, um aus dem Gefängnis auszubrechen. Die Bezeichnung geht auf eine christliche Legende aus dem 14. Jahrhundert zurück, in der ein gefangener Priester eine Vision von Santa Teresa hatte, die ihm so zum Ausbruch verhalf. Die Moiren sind in der griechischen Mythologie die drei Schicksalsgöttinnen. Das Werk ›Teresa und Moira‹ schafft so ein Paradox, eine Spannung aus Schicksal, Flucht und Freiheit.«

Zunächst waren Igor Vidor und seine Frau Gabriela in Brasilien auf der Flucht, von Haus zu Haus, von Region zu Region. Durch seine Arbeit in Rio de Janeiro hatte Vidor Kontakt zum Goethe-Institut, das ihn mit der Martin-Roth-Initiative zusammenbrachte. Nach zehn Monaten bürokratischer Hürden kam er im Juli 2019 mit seiner Frau in der deutschen Hauptstadt an. »Berlin war nicht geplant. Aber endlich fühlten wir uns wieder sicher.« 2020 wurde das Stipendium um ein Jahr verlängert, weil es Hinweise gab, dass Vidor weiterhin gefährdet ist.

In Berlin kann Vidor in Ruhe arbeiten. Seine Werke beschäftigen sich weiterhin mit Polizeigewalt und den Strukturen dahinter – mit Drogen- und Waffenhandel, mit dem deutschen Waffenhersteller Heckler & Koch. Vidor hat für die Berlinische Galerie einen Kurzfilm gedreht, in dem er Oberndorf besucht, den Sitz des Rüstungsunternehmens, ein malerisches Örtchen im Neckartal. »Es ist so friedlich dort, aber sie exportieren den Tod!« Die Waffen, mit denen sein Freund Rodrigo und die Politikerin Marielle Franco umgebracht wurden, stammten von Heckler & Koch. »Diese Verbindung nach Deutschland ist schon verrückt, und jetzt ist es genau das Land, das uns Sicherheit bietet.«

Wie es für Igor Vidor und seine Frau weitergeht, ist unklar. Im Juli läuft das Stipendium aus. Im Augenblick loten die beiden Porto als neue Heimat aus. Oder Vidor bleibt in Berlin, wo er mittlerweile gut vernetzt ist. Nur nach Hause kann er nicht. »Es ist nicht sicher für mich, nach Brasilien zurückzukehren.«

»Batidão M4A1, Geschenk an den Erlöser«, 2018. »Diese Arbeit ist die erste einer Serie von Skulpturen, die in Realgröße für die Statue von Christus dem Erlöser in Rio de Janeiro gedacht sind. Das Werk bezieht sich auf öffentliche Sicherheitsprogramme, die exklusive Bereiche für Tourismus und Handel schaffen und kulturelles Erbe schützen sollen, während im Mittelstand von Rio gleichzeitig das Spiel mit Softairwaffen immer populärer wird.« »Alltägliches Nr. 1«, 2018. »Das Werk zeigt Gegenstände, die von der Polizei für Waffen gehalten wurden. Menschen, die diese Gegenstände bei sich trugen, wurden von der Polizei erschossen. Das zeigt die tägliche Barbarei und die Fragilität des Lebens in bestimmten Gegenden von Rio de Janeiro. In keinem der Fälle wurde die Polizei zur Verantwortung gezogen.«

»Biest – Bestie« (aus der Serie »Allegorie des Terrors«), 2020. »Auf den Wappen von Militär- und Zivilpolizeieinheiten in Brasilien sind oft Tiere dargestellt. Anders als bei indigenen Völkern, wo Tierdarstellungen für spirituelle Verbindungen stehen, können sie bei der Polizei als eine Distanzierung von Menschlichkeit gedeutet werden – und als Zeichen einer institutionalisierten Bestialität. Das Werk ist eine Collage von Körperteilen verschiedener Tiere von Polizeiwappen, um ein neues Ungeheuer zu erschaffen. Gedruckt auf Aramid, einem kugelsicheren Stoff, der dem eigentlich dreidimensionalen Kunstwerk, das Raum einnimmt, gleichzeitig etwas von seinem Umfang nimmt. Diese Ebenheit verstärkt den allegorischen Charakter und schafft eine bestialische Darstellung.«

Tod eines Kriegsdienst- verweigerers

In Westdeutschland mussten sich Generationen junger Männer, die den Wehrdienst verweigerten, einer entwürdigenden Gewissensprüfung unterziehen. In »Gegen mein Gewissen« erinnert Hannah Brinkmann an einen Pazifisten, der daran zerbrach. Von Wera Reusch

Die Autorin ist fünf Jahre alt, als sie bei einem Familientreffen an Weihnachten erfährt, dass ihr Onkel Hermann »im Himmel« sei. Als sie wissen will, warum, erklärt ihr Vater: »Das erzähle ich dir, wenn du groß bist!« Zwanzig Jahre später feiert die Familie im selben Haus erneut gemeinsam Weihnachten, als die Autorin ihrem Vater verkündet, sie wolle Hermanns Geschichte erzählen. Ihre Idee stößt zunächst auf wenig Begeisterung: »Warum muss man das alles jetzt wieder aufwühlen«, fragt ihr Vater.

Die beiden Sequenzen machen den autobiografischen Hintergrund dieser Graphic Novel deutlich: Hannah Brinkmann erzählt in »Gegen mein Gewissen« die Geschichte ihres Onkels, der sich 1974 das Leben nahm, nachdem seine Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen abgelehnt worden war. Das Buch setzt Mitte der 1950er-Jahre ein, als die allgemeine Wehrpflicht und ein mehrstufiges Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer eingeführt wurden.

Der 1955 geborene Hermann wächst in einer kinderreichen Familie im niedersächsischen Lindern auf. In ausgewählten Szenen schildert Hannah Brinkmann den empfindsamen Charakter des Jungen, der bereits als Kind kein Cowboy mit Pistole sein will und seinen Vater kritisiert, der auf die Jagd geht. Die detailreich gezeichneten Bilder lassen die 1960er- und 1970er-Jahre lebendig werden – die Ordnung, Enge und den autoritären Geist einerseits, das Aufbegehren und die kleinen Fluchten der Jugendlichen andererseits. Ob der Messbecher in der Küche oder das Plattencover im Jugendzimmer – Brinkmann hat jede Kleinigkeit recherchiert und bringt den Zeitgeist präzise auf den Punkt.

Das eigentliche Drama beginnt, als Hermann seinen Musterungsbescheid bekommt. Anders als seine beiden älteren Brüder will er weder eine Krankheit vortäuschen noch nach Westberlin abhauen, um dem Verfahren zu entgehen. »Ich schiebe keine verlogenen Ausreden vor! Ich bin kein Feigling«, erklärt er seinen Geschwistern. Er stellt sich der schikanösen Gewissensprüfung und wird in erster wie zweiter Instanz abgelehnt. Ob-

Verzweifelt. Während eines Wehrurlaubs begeht Hermann Brinkmann Suizid. wohl er beim Verwaltungsgericht dagegen klagt, wird Hermann zur Bundeswehr eingezogen. Wenige Monate später bringt er sich während eines Wehrurlaubs in Lindern um. In ihrer Todesanzeige macht die Familie deutlich, dass sie der Bundeswehr eine Mitschuld am Tod des 19-Jährigen gibt, und löst damit einen Skandal aus. Es wird jedoch noch Jahre dauern, bis die erniedrigende Gewissensprüfung ausgesetzt wird. Hannah Brinkmann erzählt weit mehr als die Geschichte ihrer Familie. In starken, surrealen Bildern verdeutlicht sie die verzweifelte Lage eines jungen Menschen, der wegen seiner politischen Überzeugungen so sehr unter Druck gesetzt wird, dass er daran zerbricht. »Hermann war ein Opfer verfehlter konservativer Nachkriegspolitik«, sagt die Autorin in der zweiten autobiografischen Sequenz zu ihrem Vater: »Das System hat Kriegsdienstverweigerer gedemütigt und misshandelt. Amnesty International hat sie als politisch Verfolgte betrachtet.« Ihr eindrucksvolles Buch erinnert an ein bedrückendes Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte, das selbst viele Betroffene inzwischen vergessen oder verdrängt haben. Hannah Brinkmann: Gegen mein Gewissen. Avant-Verlag, Berlin 2020, 232 Seiten, 30 Euro

Dina Nayeri wurde 1979 in Isfahan geboren und kam als Zehnjährige in die USA: Ihre Mutter hatte den Iran verlassen, nachdem sie zum Christentum übergetreten war, und die Kinder mitgenommen. Nayeri machte in ihrer neuen Heimat eine eindrucksvolle akademische Karriere und veröffentlichte zwei Romane. Ihr erstes Sachbuch »Der undankbare Flüchtling« widmet sie dem Thema Flucht und Asyl, und zwar auf verschiedenen Ebenen: 30 Jahre nach ihrer eigenen Emigration analysiert die Autorin, wie dies ihre Persönlichkeit und ihren Lebensweg geprägt hat. Nayeri erzählt aber auch Geschichten anderer Geflüchteter, die sie in den vergangenen Jahren in Europa getroffen hat. In essayistischer Form behandelt sie Aspekte wie den ewigen Kampf um Würde und Anerkennung in den Aufnahmeländern, die Dankbarkeit und den Opportunismus von Geflüchteten, das Warten lassen als »Vorrecht jeder Macht«, Absurditäten in Asylverfahren, psychologische Anpassung und kulturelle Assimilation. Für ihre klugen Reflexionen über die Fluchterfahrung ist Dina Nayeri im November mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet worden. Ihr Buch gebe dem Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse und fördere moralischen wie intellektuellen Mut, heißt es in der Begründung der Jury: »›Der undankbare Flüchtling‹ ist damit ein Plädoyer, die Würde eines jeden Menschen anzuerkennen.«

Dina Nayeri: Der undankbare Flüchtling. Aus dem Englischen von Yamin von Rauch. Kein & Aber, Zürich 2020, 400 Seiten, 24 Euro

Zeitzeugin des Genozids

Mehr als 100 Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern ist jetzt der Bericht einer Augenzeugin auf Deutsch erschienen. Die Bankierstochter Arshaluys Mardigian war 14 Jahre alt, als die Gräueltaten in ihrer Heimatstadt im heutigen Ostanatolien an Ostern 1915 begannen. Ihre gesamte Familie wurde ermordet, während sie zu den wenigen Überlebenden zählte, die später über die Todesmärsche und Massaker, über Gefangenschaft, sexualisierte Gewalt und Folter berichten konnten. Ihre 1918 erstmals erschienenen Erinnerungen sind eine quälende und schockierende Lektüre, sie schildern unfassbare Grausamkeit. Man mag sich kaum vorstellen, welche Verwüstungen dieses Martyrium in der Psyche des Mädchens hinterlassen hat, das schließlich in die USA gelangte. Es ist sehr verdienstvoll, dass dieses historische Dokument jetzt zugänglich ist – sorgfältig editiert und um wichtige Informationen zu seiner Entstehung ergänzt. Denn Mardigian wurde im Exil erneut Opfer: Ihr von einem Drehbuchautor aufgezeichneter Bericht wurde Grundlage eines Hollywoodfilms, in dem die 18-Jährige unter dem Namen »Aurora« die Hauptrolle spielte. Ökonomisch wie emotional ausgebeutet und retraumatisiert zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Als sie 1994 in Los Angeles starb, waren Buch und Film vergessen.

Arshaluys Mardigian: ...meine Seele sterben lassen, damit mein Körper weiterleben kann. Ein Zeitzeugenbericht vom Völkermord an den Armeniern 1915/16. Aus dem Englischen von Walburga Seul. Zu Klampen Verlag, Springe 2020, 260 Seiten, 24 Euro Wer nach Ägypten reist, sollte dieses Buch nicht dabei haben. Der neue Roman des ägyptischen Schriftstellers Alaa Al-Aswani ist dort verboten. Kein Wunder, denn in »Die Republik der Träumer« setzt der erfolgreichste zeitgenössische Autor des Landes der ägyptischen Revolution ein Denkmal und analysiert zugleich ihr Scheitern. Als Schuldige benennt er klar die korrupten Eliten eines Systems, von dem vor zehn Jahren nur die oberste Spitze gestürzt werden konnte. Militär und Geheimdienste, staatstreue Medien, wirtschaftliche Profiteure und religiöse Autoritäten haben indes dafür gesorgt, dass alles beim Alten bleibt. Sie treten in Form verschiedener Charaktere in Al-Aswanis Roman auf, wo sie mit den jungen Leuten des Tahrir-Platzes, Gewerkschaftern der Fabriken, oppositionellen Studentinnen und ganz normalen Ägyptern aneinandergeraten. Al-Aswani ist ein Meister der Mikrokosmen: In seinen Werken bildet er die ägyptische Gesellschaft anhand mehrerer Protagonisten ab, deren Geschichten sich miteinander verflechten. Aus mehr als einem Dutzend verschiedenen Perspektiven beleuchtet er in seinem neuen Buch das hoffnungsvollste und zugleich deprimierendste Ereignis der jüngeren ägyptischen Geschichte. Leider fehlt den einzelnen Figuren dadurch die Tiefe. Letztlich bleibt der 63-Jährige aber ein begnadeter Erzähler, der auch auf mehr als 400 Seiten kaum einen Moment der Langeweile aufkommen lässt.

Alaa Al-Aswani: Die Republik der Träumer. Aus dem Arabischen von Markus Lemke. Hanser, München 2021, 464 Seiten, 25 Euro

Digitale Selbstjustiz

»Letztes Schuljahr habe ich etwas gesehen, was ich nie mehr vergessen werde. Am 1.April kam Jordan Springer in die Cafeteria der Haver High marschiert und hat sich in Brand gesetzt. Aber es war kein Aprilscherz.« Schon die ersten Sätze dieses Jugendromans lassen ahnen: An dieser amerikanischen Highschool läuft etwas gewaltig schief, und Jordan Springers Suizid ist womöglich nur die Spitze des Eisbergs. Denn in den Selbstmord getrieben haben den Jungen die Mobbingattacken seiner Mitschülerinnen und Mitschüler. Dieselben, die nun anlässlich des ersten Jahrestags zu einer Gedenkfeier in der Aula versammelt sind und sich in Trauerbekundungen übertreffen. Der Ich-Erzähler Eli Bennet ist angewidert und schockiert zugleich. Und so beteiligt sich der Computer-Nerd nicht nur an der US-Cybersicherheitsmeisterschaft, sondern lässt sich auch dazu überreden, bei einer Website mitzumachen, die diejenigen, die Jordan gemobbt haben, im Internet für alle sichtbar bloßstellt und diskreditiert. Packend und authentisch ist die Geschichte, die Erin Jade Lange ihren Protagonisten in lockerem Plauderton erzählen lässt; erschreckend die fatalen Ausmaße, die der Kampf gegen Cybermobbing annimmt, bei dem sich zunehmend Fragen nach Macht, Recht und Unrecht, nach Schuld und Verantwortung stellen.

Erin Jade Lange: Firewall. Aus dem Englischen von Sandra Knuffinke und Jessika Komina. Magellan Verlag, Bamberg 2020, 351 Seiten, 16 Euro, ab 14 Jahren

Iran und Polen – zwei Revolutionen nimmt die Zeitanalyse »Der nackte König« des Schweizer Regisseurs Andreas Hoessli in den Fokus. »König der Könige« ließ sich Schah Reza Pahlavi nennen. Hoessli hat sich den iranischen Kaiser genau angesehen und nicht allzu viel Substanz vorgefunden. Autoritäre Machtstrukturen wurden ein Jahr nach dem Sturz des Schahs 1979 auch in Polen infrage gestellt: Hoessli, damals als Stipendiat vor Ort, lernt den Reporter Ryszard Kapuściński kennen, der seinerseits von der Revolte im Iran berichtete. Die Aufzeichnungen des Journalisten bilden den Ausgangspunkt dieses eigenwilligen Dokumentarfilms. Seine Erinnerungen aufarbeitend, nimmt Hoessli die Zuschauer mit auf eine höchst bizarre zeitgeschichtliche Reise zu zwei Ereignissen, in denen eine aufgewühlte Bevölkerung ihre Diktatur loswerden wollte – und zumindest in einem Fall gleich eine neue errichtete. Der Regisseur präsentiert seltene Szenen von Werftbesetzungen und der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność in Polen wie auch von der Ankunft des Schah-Nachfolgers Ruhollah Chomeini im Iran. Seine Zeitzeugen sind verfolgte Schriftsteller und Werftarbeiter, aber auch Geheimdienstmitarbeiter und Politiker, wie etwa Masoumeh Ebtekar, eine Stellvertreterin des derzeitigen Staatschefs. Statements und Gesprächspartner dürften nicht jedem gefallen; die Originalaufnahmen aus dem jeweiligen Geschehen haben es allerdings in sich.

»Der nackte König – 18 Fragmente über Revolution«. CH/D/PL 2019. Regie: Andreas Hoessli. Als Stream auf http://shop.koenig.wfilm.de

Korrektur eines Bildes

Unversehens wird der zwölfjährige Afghane Afshin Oberhaupt der Familie. Sein Vater muss das Land aus Sicherheitsgründen verlassen, er steht als Ex-Soldat auf der Todesliste der Taliban. Afshin muss zusehen, wie er mit dem Abdichten des Hausdachs, dem vertrockneten Baum und nicht zuletzt mit seinem kleinen Bruder zurechtkommt – und legt ungeahnte Kräfte an den Tag. Abas ist Busfahrer in Kabul, verschuldet wie drogensüchtig. Anschläge bestimmen den chaotischen Alltag, der Bus bekommt jeden Tag neue Einschuss löcher, und dennoch findet Abas glückliche Minuten bei klarem Verstand. Die Lebensbedingungen im afghanischen Dauerkriegszustand nimmt Regisseur Aboozar Amini unter die Lupe. Amini, der als Teenager aus Afghanistan floh und in den Niederlanden studiert hat, reiht für seinen Debütfilm paradigmatische Situationen und traumhafte Sequenzen eines politischen Desasters aneinander. Kabul befinde sich an einem Punkt, wo Drogen für viele die einzige Flucht vor dem endlosen Morden bieten. Seit die USA und ihre Verbündeten 2001 in Afghanistan einmarschiert sind, hätten NGO-gesponserte Filme ein stereotypes Bild von Afghanistan geschaffen, das es zu korrigieren gelte, sagt Amini. Darum zeige er das »starke Verlangen der Menschen in Afghanistan nach Leben, trotz aller Gewalt und Bombenanschläge«.

»Kabul, City in The Wind«. NL 2018. Regie: Aboozar Amini. Kinostart: 18.Februar 2020 Ganz harmlos beginnt »Udondolo«, das Debütalbum von Urban Village. Ein hingetupfter Rhythmus, der zum sanften Hüftenwiegen einlädt, eine vorsichtige Flöte, die an ein einsam quietschendes Scharnier erinnert. Dann die Stimme: Fast einschläfernd erzählt sie von der Seele des Sängers, die beschwert ist, von der Mutter, die er liebend gern wiedersehen würde, und von dem Weg, der viele scharfe Wendungen nimmt. »Izivunguvungu« heißt der Song, übersetzt ungefähr: »All diese Nöte«, und er erzählt trotz – oder gerade wegen – seiner so leisen wie unkonkreten Poesie und schwer zu fassenden Symbolik dann doch sehr viel über Südafrika. Aber auch in der Musik spiegelt sich das Land, in dem Urban Village aufgewachsen sind. Die vier Mitglieder der Band aus Soweto wurden geboren, als es die Apartheid schon nicht mehr gab oder sie in den letzten Zügen lag. In den beständig zwischen globalisierten Pop-Ideen und traditionellen Harmonien tanzenden Stücken von Gitarrist Lerato Lichaba und seinen Mitmusikern werden die Folgen der Burenherrschaft und der Prozess des »Nation Building« nicht nur verhandelt, sondern spürbar. Denn auch wenn ihre Melange aus Folk und Jazz, Rock, Funk und den Zulu-Traditionen Mbaqanga, Marabi oder Maskandi scheinbar leichten Herzens und eingängig daherkommt, brechen die Konfliktlinien, die Südafrika bis heute durchziehen, doch immer wieder auf. Aber gerade, weil sie ein Abbild des Landes in all seiner Widersprüchlichkeit sind, propagieren sie umso effektvoller Versöhnung und die panafrikanische Vision.

Urban Village: »Udondolo« (No Format!/Indigo)

Die Musikgeschichte Anatoliens

Wer ein Album von Altın Gün erwirbt, kauft mehr als nur ein paar Lieder. Der bekommt auch gleich noch die halbe anatolische Musikgeschichte mitgeliefert. Das ist auch auf »Yol«, dem neuen Album der Band aus Amsterdam nicht anders. Hinter den meist flotten, zum Tanzen einladenden, bisweilen auch melancholischen Stücken verbirgt sich das ganze Gewicht einer Tradition, die selbst in der Türkei vergessen zu werden droht. Die beiden ersten Altın-Gün-Alben waren große Erfolge. »Gece« (2019) war gar für den Grammy nominiert, allerdings in der verstaubten Schublade »World Music«, in die Altın Gün sowieso schwer abzulegen sind mit ihrer Idee, traditionelle Harmonien und Klangfarben mit westlichen Pop-Rhythmen zu unterlegen. Mit »Yol« verabschiedet sich das Sextett nun endgültig von der »Weltmusik« und gibt den Synthesizern, die die 1980er-Jahre heraufbeschwören, mehr Raum als der bislang dominierenden Langhalslaute Saz. So ist dem fast schon kindlich fröhlichen »Bulunur mu« die bleischwere Wehmut des Originals von Neşet Ertaş nur mehr entfernt anzuhören. Ähnlich ergeht es anderen legendären Sängern, Komponisten und Dichtern wie Çekiç Ali oder Âşık Veysel und überlieferten Volksliedern. Damit ist auch »Yol« wieder ein Tanz in die Moderne, eingeleitet mit einer respektvollen Verbeugung vor der Vergangenheit.

Altın Gün: »Yol« (Glitterbeat/Indigo)

Arabische Milch und jüdische Orangen

Innerlich zerrissen. Rasha Nahas macht extravagante Musik über eine ruhelose Region.

Die palästinensische Sängerin und Songwriterin Rasha Nahas ist in Israel aufgewachsen. Auf ihrem Debütalbum nähert sie sich dem Nahostkonflikt auf poetische Weise. Von Thomas Winkler

Zwei Jungs spielen in Ruinen mit einer Pistole, ein bärtiger Mann ist an einen Olivenbaum gefesselt, zwei Frauen umkreisen sich tanzend im Sonnenlicht, und Benjamin Netanjahu sitzt auf einem Sofa und trinkt mit einer jungen Frau tiefschwarzen Kaffee. Ein Fiebertraum ist der Video clip zu »Desert« von Rasha Nahas, aber noch nicht einmal so anspielungsreich und voller verschlungener Symbole wie das Lied selbst.

Nahas ist 1996 in Haifa zur Welt gekommen und dort aufgewachsen als sogenannte »48erin«. So werden jene Palästinenser genannt, deren Familien nach den Kämpfen 1948, die die Israelis Unabhängigkeitskrieg nennen und die Palästinenser »Die Katastrophe«, in dem neu entstandenen Land geblieben sind und deshalb heute einen israelischen Pass besitzen. Die Auseinandersetzung um das Land liegt auf dem Alltag in Israel, auf dem Leben, auf den Seelen der Menschen und auf den Liedern von Rasha Nahas. Die Texte ihres Debütalbums, das ebenfalls den Titel »Desert« trägt, sind durchzogen von diesem Konflikt. Von der Vergangenheit, die, so beschreibt es Nahas singend in »The Clown«, auf den Hügel klettert und ihren Namen ruft, von arabischer Milch und jüdischen Orangen, über die bittere Tränen vergossen werden, von diesem Krieg, der auf ihre Brust kriecht und flüstert: »Nimm mich mit.«

Also hat sie ihn mitgenommen nach Berlin, wo sie seit 2017 lebt. Das war nicht der Plan. Sie hatte gehofft, sie könnte all das hinter sich lassen, sie könnte sich, so erzählt sie beim Gespräch in ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg, »neu definieren – außerhalb des Kontextes des Nahostkonflikts«. Aber der Plan misslang, die 24-Jährige musste feststellen, dass man in einer Stadt wie Berlin, in der Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um zu feiern und zusammen kreativ zu sein, zwar die Nacht zum Tage machen kann und Gleichgesinnte findet, mit denen man Musik machen kann, aber man sich dann doch mitgenommen hat. Dass man sich immer mitnimmt. »Es fällt mir sehr schwer, die Grenze zwischen dem Politischen und dem Persönlichen zu ziehen«, sagt Nahas mit ihrer sanften Sprechstimme, die so beruhigend klingt wie das Versprechen, es würde alles immer gut.

Wenn Nahas singt, verändert sich ihre Stimme, wird voller, kräftig, zornig und durchschreitet – mitunter in einem einzigen Song – ein Gefühlsspektrum von Melancholie über Wut bis zu leiser Hoffnung. Diese emotionale Achterbahnfahrt ist unterlegt mit Gitarren, die an der Lärmgrenze kratzen, dann aber wieder eingefangen werden von sanften Streichern und poetischem Klavier. In seiner Theatralik erinnert Nahas’ Debüt ebenso an den Film »Cabaret« wie an eine Rockband wie Queen. Im Gespräch fallen denn auch die Namen Freddie Mercury und Kurt Weill.

In der musikalischen Extravaganz, im abrupten Auf und Ab der Stimmungen spiegelt sich – mindestens so sehr wie in ihren Texten – die innere Zerrissenheit der Künstlerin, die wiederum vor allem ein Ausdruck ihrer Identität als 48erin ist. Eine Identität, die nur in seltenen Momenten zur Ruhe kommt. Einer dieser Momente ist die wunderschöne Coverversion von Leonard Cohens »Lover«. Eine Palästinenserin mit israelischem Pass singt den Song eines Juden, der im französischsprachigen Teil Kanadas geboren wurde. Das klingt dann doch wie ein schöner Traum.

Rasha Nahas: »Desert« (Rmad Records/Cargo)

IRAN ARASH SADEGHI UND GOLROKH EBRAHIMI IRAEE

Die Eheleute Golrokh Ebrahimi Iraee und Arash Sadeghi setzten sich vor ihrer Festnahme im September 2014 für die Menschenrechte ein, unter anderem für politische Gefangene und Meinungsfreiheit sowie gegen die Todesstrafe. In unfairen Verfahren wurden sie zu langen Haftstrafen verurteilt. Nach zwischenzeitlichen Freilassungen gegen Kaution sind beide nun wieder inhaftiert.

Im Gefängnis wurden sie gefoltert und misshandelt. Golrokh Ebrahimi Iraee unterwarf man mit verbundenen Augen langen Verhören und drohte ihr mit Hinrichtung, weil sie »den Islam beleidigt« habe. Arash Sadeghi gab an, zwischen September 2014 und März 2015 im Gewahrsam sowohl mit offener Hand als auch mit der Faust gegen den Kopf geschlagen sowie getreten und gewürgt worden zu sein.

Seit einem 71-tägigen Hungerstreik leidet Arash Sadeghi an zahlreichen Er-

BRIEFE GEGEN DAS VERGESSEN

Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt, oder man lässt sie verschwinden. AMNESTY INTERNATIONAL veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzu prangern und zu beenden.

Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes.

ACHTUNG! Wegen der Verbreitung des Corona- Virus ist die weltweite Briefzustellung momentan eingeschränkt. Deshalb bitten wir Sie, Ihre Appell schreiben per E-Mail oder Fax bzw. an die Botschaft des jeweiligen Ziellandes zu schicken.

krankungen. Weil ihm die Behörden die Verlegung in medizinische Einrichtungen außerhalb des Gefängnisses immer wieder verweigerten, verschlechterte sich sein Zustand. Als er im Mai 2018 endlich im Krankenhaus untersucht wurde, stellten die Ärzt_innen einen Knochen tumor fest.

Im September 2020 wurde eine Bestrahlung der Tumorregion angeraten. Das erfolgte aber nicht. Auch die Forderung der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte im September 2020, ihm wegen der Corona-Ansteckungsgefahr Hafturlaub zu gewähren, wurde abgelehnt. Amnesty International betrachtet die Verweigerung der Krebsbehandlung und die dadurch verursachten Leiden als Folter.

Bitte schreiben Sie höflich formulierte

Briefe an die Oberste Justizautorität des Iran und bitten Sie darum, Arash Sadeghi und Golrokh Ebrahimi Iraee sofort und bedingungslos freizulassen, da sie gewaltlose politische Gefangene sind, die allein wegen ihrer freien Meinungsäußerung und ihrer Aktivitäten für Menschenrechte inhaftiert sind. Bis zu ihrer Freilassung muss außerdem sichergestellt werden, dass sie vor Folter oder Misshandlung geschützt werden und regel mäßigen Zugang zu Rechtsbeiständen, Familienangehörigen und medizinischer Behandlung erhalten. Bitten Sie die Oberste Justizautorität außerdem, die Foltervorwürfe zu untersuchen und die Verantwortlichen in einem fairen Verfahren zur Rechenschaft zu ziehen.

Schreiben Sie in gutem Persisch, Englisch oder auf Deutsch an:

Oberste Justizautorität Head of the Judiciary Mr. Ebrahim Raisi c/o Permanent Mission of Iran to the UN Chemin du Petit-Saconnex 28 1209 Geneva, SCHWEIZ (Anrede: Sehr geehrter Herr Raisi / Dear Sir) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

Botschaft der Islamischen Republik Iran S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh Podbielskiallee 65–67, 14195 Berlin Fax: 030-84353535 E-Mail: info@iranbotschaft.de (Standardbrief: 0,80 €)

CHINA GAO ZHISHENG

Gao Zhisheng ist ein in China bekannter Menschenrechtsanwalt. Er hat Menschenrechtsverteidiger_innen vor Gericht vertreten und politisch brisante Fälle übernommen. Ende 2005 entzog ihm die Justizbehörde in Peking die Zulassung als Rechtsanwalt. Dies geschah unmittelbar, nachdem Gao Zhisheng sich in mehreren offenen Briefen kritisch über die Regierung geäußert hatte.

Am 13.August 2017 wurde Gao Zhi sheng von seiner Familie als vermisst gemeldet. Da sich die Behörden weigern, seinen Aufenthaltsort bekannt zu geben, gilt er als Opfer des Verschwindenlassens und ist in Gefahr, gefoltert oder misshandelt zu werden. Seine Familie weiß nichts über seinen Gesundheitszustand oder die Gründe für seine Inhaftierung.

Gao Zhisheng befand sich bereits in der Vergangenheit als gewaltloser politischer Gefangener in Haft und war Opfer des Verschwindenlassens. Damals wurde er eigenen Angaben zufolge gefoltert.

Trotzdem setzte sich Gao Zhisheng bis zum Zeitpunkt seines erneuten Verschwindens weiterhin für die Menschenrechte ein und übte nach wie vor Kritik an der Kommunistischen Partei Chinas.

Bitte schreiben Sie höflich formulierte

Briefe an den chinesischen Minister für öffentliche Sicherheit und fordern Sie ihn auf, den Aufenthaltsort von Gao Zhisheng bekanntzugeben und dafür zu sorgen, dass er umgehend und bedingungslos freigelassen wird. Bitten Sie ihn, sicherzustellen, dass Gao Zhisheng in der Haft nicht gefoltert oder misshandelt wird. Außerdem muss er bis zu seiner Freilassung regelmäßig uneingeschränkten Kontakt zu seiner Familie, einem Rechtsbeistand seiner Wahl sowie angemessener medizinischer Versorgung erhalten.

Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch an:

Zhao Kezhi, Minister of Public Security 14 Dongchanganjie, Dongchengqu Beijing Shi 100741 VOLKSREPUBLIK CHINA E-Mail: gabzfwz@mps.gov.cn (Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

Botschaft der Volksrepublik China S. E. Herrn Ken Wu Märkisches Ufer 54, 10179 Berlin Fax: 030-27588221 E-Mail: de@mofcom.gov.cn oder presse. botschaftchina@gmail.com (Standardbrief: 0,80 €)

Briefentwürfe auf Englisch und Deutsch finden Sie unter www.amnesty.de/briefe. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie sie bitte an: info@amnesty.de

AMNESTY INTERNATIONAL

Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin Tel.: 030-420248-0, Fax: 030-420248-488 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de

MALAWI PERSONEN MIT ALBINISMUS

In Malawi leben Tausende von Menschen mit Albinismus in permanenter Angst, entführt, verstümmelt oder getötet zu werden. Der Aberglaube, dass ihre Knochen und Körperteile Glück, Wohlstand und Macht bringen, hält sich hartnäckig. Ihre Körperteile können teuer verkauft werden: Nach UN-Angaben werden für einen ganzen Körper 75.000 US-Dollar bezahlt.

Zwischen Dezember 2014 und April 2016 wurden in Malawi 18 Personen mit Albinismus getötet. In derselben Zeit wurden mindestens 69 weitere Verbrechen gegen Menschen mit Albinismus gemeldet. Die zunehmende Armut hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die alten Mythen der magischen Kräfte von Menschen mit Albinismus wieder aufleben. So wurden zwischen September und November 2020 erneut sechs Angriffe auf Personen mit Albinismus verzeichnet – darunter Tötungen, versuchte Entführungen und Grabschändungen.

Die malawische Regierung prangerte die Angriffe im März 2015 öffentlich an. Trotz erster symbolischer Bemühungen muss die Regierung aber mehr zum Schutz von Personen mit Albinismus unternehmen.

Bitte schreiben Sie höflich formulierte

Briefe an den Präsidenten von Malawi und fordern Sie ihn auf, besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass Menschen mit Albinismus angegriffen, entführt oder getötet werden. Die Behörden müssen zudem alle Angriffe untersuchen und die Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht stellen. Bitten Sie den Präsidenten außerdem, Programme zu unterstützen, die ein Bewusstsein für Menschenrechte schaffen, damit die Diskriminierung und soziale Ausgrenzung von Personen mit Albinismus ein Ende hat.

Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch an:

Dr. Lazarus McCarthy Chakwera President of the Republic of Malawi Office of the President and Cabinet Private Bag 338, Capital Hill, Lilongwe 3 MALAWI E-Mail: pc@malawi.gov.mw (Anrede: Your Excellency / Exzellenz) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

Botschaft der Republik Malawi S. E. Herrn Michael Barth Kamphambe Nkhoma Westfälische Straße 86, 10709 Berlin Fax: 030-84315430 E-Mail: berlin@malawi-embassy.de (Standardbrief: 0,80 €)

»NICHT OHNE MEINEN ANWALT« IST ANDERSWO

In Japan können Verdächtige für lange Zeit ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand festgehalten und verhört werden. Manche sprechen von »Geiseljustiz«, die zu erzwungenen Geständnissen führe. Auch Emi Suzuki von Amnesty International Japan kritisiert diese Regelung des Strafrechts.

Interview: Felix Lill

Der ehemalige Profiboxer Iwao Hakamada, der 48 Jahre lang in der Todeszelle saß, hofft derzeit auf einen neuen Prozess. Was sagt dieser Fall über das japanische Strafrecht aus?

Vor allem sagt der Fall aus, dass Beschuldigte oft keinen fairen Prozess erhalten. Hakamada wurde nach der Ermordung von vier Personen im Sommer 1966 am Tatort gefunden, die Ermittler vermuteten in ihm den Mörder. Obwohl diverse Indizien gegen diesen Verdacht sprachen, wurde Hakamada einige Wochen nach seiner Festnahme schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Er hatte im Verhör zwar gestanden, dieses Geständnis aber vor Gericht wieder zurückgezogen.

Warum?

Er gab an, zu dem Geständnis gezwungen worden zu sein. 2014 gewährte ein Bezirksgericht eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Das Urteil wurde vier Jahre später von einem höheren Gericht kassiert. Im Dezember 2020 hob das Oberste Gericht wiederum diese Entscheidung auf, und nun warten wir, dass Hakamadas Fall neu aufgerollt wird.

Carlos Ghosn, der ehemalige Chef des Autokonzerns Nissan, der nach Haft und Freilassung auf Kaution Ende 2019 aus Japan floh, argumentierte ebenfalls, er habe keinen fairen Prozess erhalten.

Die Polizei kann einen Verdächtigen 23 Tage lang festhalten, ohne dass dieser Zugang zu einem Rechtsbeistand einfordern kann. Nach Ablauf der 23 Tage kann die Frist relativ einfach verlängert werden. Man kann den Sicherheitsbehörden also über einen langen Zeitraum hinweg ausgeliefert sein. Das galt für Iwao Hakamada wie für Carlos Ghosn. Viele behalten in die-

Emi Suzuki, 55, geboren in Nagoya, ist die Sprecherin von Amnesty International in Tokio. Sie arbeitet seit 2013 für Amnesty Japan.

ser Situation nicht die Nerven und gestehen, nur um rauszukommen. Deshalb liegt die Verurteilungsrate bei Kriminalfällen in Japan bei 99,9 Prozent.

Seit 2016 müssen Verhöre per Video aufgenommen werden.

Das ist ein Fortschritt. Aber leider gilt dies nur für Fälle, für die Schöffengerichte zuständig sind. Es wird in der Regel nicht bei schweren Verbrechen angewendet, für die zum Beispiel die Todesstrafe verhängt werden kann. Das wichtige Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand haben Verdächtige bis heute nicht.

Verdächtige sind allerdings nicht dazu verpflichtet, auf Fragen im Verhör zu antworten.

Das stimmt. Aber es herrscht hoher Druck. Befürworter des Systems sagen, die Staatsanwaltschaft werde ohnehin nur in Fällen aktiv, in denen sie sich ihrer Sache sicher sei. Außerdem wissen viele Menschen in Japan nicht, dass sie im Verhör schweigen dürfen. Ich bin ein großer Fan der US-amerikanischen TV-Serie »Prime Suspect.« Da sagen die Verdächtigen immer schnell: »Nicht ohne meinen Anwalt!« Dieser Satz ist im japanischen Alltag leider nicht geläufig.

Was ist Ihre Erwartung im Fall Iwao Hakamada?

Wir wissen noch nicht sicher, ob und wann es einen neuen Prozess gibt. Aber sollte es ihn geben, gehe ich davon aus, dass das Gericht Hakamada für nicht schuldig erklärt. Schon die Tatsache, dass ein Fall überhaupt neu aufgerollt werden soll, ist eine Seltenheit.

Die Amnesty-Hochschulgruppe Erfurt veranstaltete Ende Januar eine Podiumsdiskussion zum Thema Antisemitismus. Wegen der Pandemie fand sie online statt. »Wir wählen immer ein Thema, mit dem wir uns ein Semester lang beschäftigen«, sagte Agnieszka Jobst von der Hochschulgruppe. »Und dieses Semester war es das Thema Antisemitismus.«

Zur Podiumsdiskussion eingeladen waren Juri Goldstein von der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Umer Rashid Malik von der Ahmadiyya-Moschee Leipzig und Rüdiger Bender vom »Erinnerungsort Topf & Söhne« in Erfurt. Das Unternehmen J. A. Topf & Söhne stellte im Zweiten Weltkrieg Verbrennungsöfen für Konzentrationslager her. Seit 2011 gibt es im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Firma eine Dauerausstellung über die grausamen Verbrechen des Nationalsozialismus und die Firmengeschichte.

Wichtige Fragen lauteten, wie sich Antisemitismus heute äußert, wie er sich bekämpfen lässt und welche Ursachen er hat. Dabei ging es auch um die Demons trationen gegen die Corona-Maßnahmen, bei denen sich Judenhasser_innen und Shoah-Relativierer_innen offen zeigen. »Antisemitismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen«, sagte Juri Goldstein. Er betonte, dass Antisemitismus in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren zugenommen habe und sichtbarer geworden sei. Das werde am Anschlag von Halle deutlich, aber auch an antisemitischen Äußerungen auf Anti-Israel-Demonstrationen wie am Al-Quds-Tag. Als Gegenstrategie empfahl er: »Die Vorurteile der Wirklichkeit gegenüberstellen.«

Umer Rashid Malik betonte den Wert von Begegnung im Kampf gegen Judenhass und erzählte, wie ihn ein Synagogenbesuch während seiner Schulzeit geprägt habe. Es gebe zwar unter Mus lim_in nen Antisemitismus, dieser sei mit dem Islam jedoch nicht vereinbar. Rüdiger Bender wies auf die Kontinuität von Antisemitismus in der Geschichte hin sowie auf die Verantwortung jedes Einzelnen: »Antisemitismus betrifft uns alle«, sagte er.

AMNESTY FEIERT GEBURTSTAG

Am 28.Mai 1961 veröffentlichte der britische Rechtsanwalt Peter Benenson in der Zeitung »Observer« einen Artikel mit dem Titel »The Forgotten Prisoners – Appeal for Amnesty«. Darin machte er auf das Schicksal politischer Gefangener weltweit aufmerksam. Und er rief dazu auf, sich in Briefen an die jeweilige Regierung für die Freiheit dieser Menschen einzusetzen. Das war die Geburtsstunde von Amnesty International. Heute, 60 Jahre später, ist Amnesty die weltweit größte Menschenrechtsorganisation!

Ob finanziell oder ehrenamtlich – ohne die Unterstützung von Menschen wie Ihnen und Euch wäre dieser Weg nicht möglich gewesen. Was treibt Sie an? Warum unterstützen Sie Amnesty und die Menschenrechte? Schreiben Sie uns! Anlässlich des 60. Geburtstags von Amnesty sammeln wir für unterschiedliche Amnesty-Kanäle und -Publikationen Zitate von unseren Unterstützer_innen.

E-Mail: 60Jahre@amnesty.de

Gedenken an die Massenvernichtung. Erinnerungsort Topf & Söhne in Erfurt.

IMPRESSUM

Amnesty International Deutschland e.V.

Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin Tel.: 030-420248-0 E-Mail: info@amnesty.de Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redak tion Amnesty Journal Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin E-Mail: journal@amnesty.de Adressänderungen bitte an: info@amnesty.de Redaktion: Maik Söhler (V.i.S.d.P.), Jessica Böhner, Lea De Gregorio, Anton Landgraf, Tobias Oellig, Pascal Schlößer, Uta von Schrenk Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Nina Apin, Markus N. Beeko, Hannah El-Hitami, Malte Göbel, Siri Gögelmann, Oliver Grajewski, Heike Haarhoff, Jürgen Kiontke, Andreas Koob, Sabine Küper-Büsch, Bartholomäus von Laffert, Felix Lill, Philip Malzahn, Jan-Christian Petersen, Tigran Petrosyan, Wera Reusch, Bettina Rühl, Andrzej Rybak, Till Schmidt, Uta von Schrenk, Lilian Tietjen, Keno Verseck, Thomas Winkler, Christine Wollowski, Marlene Zöhrer

Layout und Bildredaktion:

Heiko von Schrenk/schrenkwerk.de Druck und Verlag: Hofmann Druck, Nürnberg GmbH & Co. KG Spendenkonto: Amnesty International Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE23 3702 0500 0008 0901 00 BIC: BFS WDE 33XXX (Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00) Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.

ISSN: 2199-4587

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