Amnesty Journal April / Mai 2011

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das magaZin für die menschenrechte

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amnesty journal

04/05

2011 april mai

: Beilagere 50 Jah ty Amnes

viva la justicia im mexikanischen bundesstaat guerrero kämpfen aktivisten für mehr gerechtigkeit. sie werden nun mit dem amnestymenschenrechtspreis geehrt.

revolutionäre welle über die historischen proteste in tunesien

epochenbruch ägypten nach dem ende von mubaraks regime

ai weiwei der künstler und provokateur aus china im gespräch



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Illustration: André Gottschalk

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editorial

Foto: Amnesty

Anton Landgraf ist Redakteur des Amnesty Journals

es sind historische ereignisse … … über die die tunesische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine im Gespräch mit dem Amnesty Journal (Seite 38) berichtet. Jahrzehntelang hat sie unter großen persönlichen Opfern gegen die Diktatur gekämpft. Jetzt erlebt sie die neue Freiheit. Was sich aus den Umbrüchen in Tunesien, Ägypten und vielen anderen Ländern der arabischen Welt ergibt, ist noch nicht absehbar. Entzaubert ist aber jetzt schon die Illusion, der sich viele Verbündete der Regierungen in Ägypten oder Tunesien hingaben. Sie glaubten, dass Diktatoren stabile Verhältnisse garantieren würden – im Zweifelsfall eben auch auf Kosten der Menschenrechte. Die atemberaubenden Umwälzungen in den arabischen Ländern beweisen jedoch das Gegenteil: Ohne ihre Achtung kann keine Gesellschaft dauerhaft friedlich existieren. Ihre Unterdrückung erzeugt keine Stabilität, sondern nur Verzweiflung, Gewalt und Hass. Auch ein anderes Vorurteil ist angesichts der epochalen Ereignisse gründlich blamiert: Dass die Menschenrechte nur zu bestimmten Kulturkreisen passen. Das Aufbegehren in der arabischen Welt aber demonstriert, dass diese grundlegenden Rechte einen universellen Charakter besitzen, jenseits aller kulturellen Unterschiede. Auch für Amnesty International bedeutet dieses Jahr ein historisches Datum. Seit 50 Jahren treten Amnesty-Mitglieder für eine Welt »ohne Furcht und Not« ein, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt. Sie unterstützen dabei Aktivisten wie Abel Barrera Hernández, der sich in dem mexikanischen Bundesstaat Guerrero unter schwierigen Bedingungen für die Rechte indigener Minderheiten einsetzt. Für sein außergewöhnliches und mutiges Engagement wird er, stellvertretend für viele andere, am 27. Mai in Berlin mit dem Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International ausgezeichnet. »Diesen Preis verdienen diejenigen, die Folter und Misshandlungen erleiden mussten«, sagt er im Gespräch mit dem Amnesty Journal (Seite 32). »Jene, die auf dem Erdboden die Nacht verbringen und hungrig einschlafen müssen. Sie lehren uns, wie man von unten kämpft.« Der Geburtstag und die Preisverleihung sind ein wunderbarer Anlass, um zu feiern – und um die Aufgaben anzugehen, die vor uns liegen. Denn, dass sich die Welt verändern lässt, zeigt sich in Guerrero ebenso wie in Kairo oder in Berlin: überall dort, wo Menschen sich mit Unrecht und Not nicht abfinden können. Seien Sie mit dabei.

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inhalt

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Titelbild: Vater und Sohn in der Gemeinde Mini Numa in den Bergen des mexikanischen Bundesstaates Guerrero. Foto: Ricardo Ramírez Arriola

thema 21 Im Schatten des Drogenkrieges 22 Im Haus der Armen

Gewalttätige Soldaten, Drogenmafia und korrupte Beamte: Im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero kämpfen die Aktivisten des Menschenrechtszentrums »Tlachinollan« für bessere Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung. Von Wolf-Dieter Vogel

32 »Amnesty hat uns im Blick«

rubriken 08 Reaktionen 09 Erfolge 12 Panorama 14 Nachrichten

Ein Gespräch mit Abel Barrera Hernández, Leiter des Menschenrechtszentrums »Tlachinollan« und Träger des Menschenrechtspreises 2011 der deutschen Amnesty-Sektion.

34 Täter ohne Spuren

Wer sich in Mexiko für Menschenrechte einsetzt, riskiert oft sein Leben. Mit dem Einsatz des Militärs im Drogenkrieg hat sich die Lage weiter verschärft.

15 Interview: Frank Mugisha 17 Kolumne: Götz Nordbruch 67 Rezensionen: Bücher 68 Rezensionen: Film & Musik 70 Briefe gegen das Vergessen 72 50 Jahre Amnesty 75 Aktiv für Amnesty 75 Monika Lüke über Kinderschaukeln

Fotos oben: Ricardo Ramírez Arriola | Christopher Furlong | Luca Zanetti | Michael Danner

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berichte

kultur

38 »Die revolutionäre Welle rollt unaufhaltsam«

56 »Die Fähigkeit zum Glücklichsein verloren«

41 Zivilisten unter Beschuss

60 In der Nicht-Welt

Ein Gespräch mit der tunesischen Journalistin und Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine über die Revolution in ihrem Heimatland und die historischen Proteste in der arabischen Welt. Amnesty veröffentlicht einen Bericht über die brutale und rechtswidrige Gewalt der tunesischen Sicherheitskräfte. Von Anna Rimpl

42 Arabische Welt im Umbruch

Die Proteste der Menschen im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika sind das Resultat jahrelanger Unterdrückung durch autoritäre Herrscher. Ein Länderüberblick.

Der Künstler Ai Weiwei genießt aufgrund seiner internationalen Bekanntheit in China zwar einen gewissen Schutz, doch allzu viele Provokationen kann auch er sich nicht leisten.

Der diesjährige Amnesty-Filmpreis geht an Mantas Kvedaravicius’ Dokumentarfilm »Barzakh« über das von Krieg und Folter gezeichnete Tschetschenien. Von Jürgen Kiontke

62 Spannungsreiches Erzählen

15 Filme waren für den Amnesty-InternationalFilmpreis nominiert. Eine Übersicht von Jürgen Kiontke.

44 Die unvollendete Revolution

63 Insel der Grausamkeit

46 Erziehung zum Gehorsam

64 »Den Menschen eine Stimme geben«

Der politische Wandel in Ägypten muss auch zu einer umfassenden Einhaltung der Menschenrechte führen. Von Jan Busse und Henning Franzmeier Im Jemen werden Mädchen und Frauen grundlegende Rechte vorenthalten. Von Irene Hellrung

48 Mord auf Bestellung

In Kolumbien werden junge Männer von Soldaten entführt, ermordet und anschließend als Guerillakämpfer ausgegeben – denn dafür gibt es Kopfgeld. Von Christian Mihr

50 Ein Streichholz genügt

Bei ethnischen Unruhen in Kirgistan kamen im Juni 2010 Hunderte von Menschen ums Leben. Nun versuchen die Gerichte, die Gewaltexzesse aufzuarbeiten. Von Marcus Bensmann

inhalt

Der Bürgerkrieg in Guatemala dauerte 36 Jahre. In »La Isla« dokumentiert Uli Stelzner die Aufarbeitung der Verbrechen dieser Zeit. Von Jorun Poettering Am 27. Mai werden die Söhne Mannheims bei der Verleihung des Menschenrechtspreises von Amnesty International auf der Bühne stehen. Ein Gespräch mit Bandmitglied und Sänger Henning Wehland.

66 Verwerfungen

Die haitianische Schriftstellerin Yanick Lahens hat das Erdbeben im Januar 2010 in Port-au-Prince miterlebt. Von Wera Reusch

69 Abschied von der Bühne

FlamencHop adé: In diesem Jahr wird die spanische Mestizo-Band »Ojos de Brujo« ein letztes Mal auf Tournee gehen. Von Daniel Bax

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usa

italien

albanien

Isolationshaft, Ausgehverbot, Hand- und Fußfesseln bei Besuchen. Der Soldat Bradley Manning sitzt in den USA in Untersuchungshaft, wird aber von den Behörden wie ein Schwerverbrecher behandelt. »Diese Maßnahmen widersprechen den Verpflichtungen des Landes, ihre Gefangenen mit Würde zu behandeln«, kritisierte Susan Lee, Leiterin des Americas-Programms von Amnesty. Manning wird verdächtigt, geheime Informationen an die Online-Plattform WikiLeaks weitergegeben zu haben.

Italienische Behörden sprechen von einem »humanitären Notfall« und meinen damit Tausende Flüchtlinge, die nach den Unruhen in Tunesien mit Booten auf die Insel Lampedusa kamen. »Ein humanitärer Notfall erfordert humanitäre Maßnahmen«, sagte Nicola Duckworth, Leiterin des Europa-Programms von Amnesty. Die Bootsflüchtlinge dürften nicht einfach abgewiesen werden, sondern müssten mit Würde behandelt werden und hätten ein Recht auf einen fairen Asylprozess.

Es waren die schwersten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften seit zehn Jahren. Im Januar wurden in Tirana drei Demonstranten getötet, 17 Polizisten und 21 weitere Protestteilnehmer verletzt. Die Demonstranten warfen der Regierung von Ministerpräsident Sali Berisha Korruption vor und verlangten seinen Rücktritt. Die Polizei setzte Tränengas ein. Amnesty verurteilte das brutale Vorgehen der Polizei und forderte eine Untersuchung der Todesfälle.

Ausgewählte Ereignisse vom 11. Januar bis 15. März 2011.

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mexiko

ruanda

aserbaidschan

Weil Josefina Reyes Menschenrechtsverletzungen des mexikanischen Militärs anprangerte, wurde sie im Januar von Unbekannten erschossen. Im Februar wurde ihre Schwester Malena Reyes und ihr Bruder Elias Reyes sowie seine Ehefrau Luisa Ornelas ermordet. »Die mexikanischen Behörden müssen weitere Angehörige der Familie Reyes unbedingt schützen und unabhängige Untersuchungen zu den Vorfällen einleiten«, sagte Susan Lee, Leiterin des Americas-Programms von Amnesty.

Agnes Nkusi Uwimana und Saidati Mukakibibi hatten vor den letzten Wahlen die ruandische Regierung und Präsident Paul Kagame kritisiert. Dafür wurden die Journalisten zu siebzehn und sieben Jahren Haft verurteilt. »Dieses Gerichtsurteil ist ein weiterer Rückschlag für die Presse- und Meinungsfreiheit in Ruanda«, sagte Erwin van der Borght, Leiter des Afrika-Programms von Amnesty. Die ruandischen Behörden müssten sich mit Kritik auseinandersetzen, anstatt sie sofort zu unterdrücken.

Jabbar Savalan wurden vermutlich Sympathiebekundungen mit den Demonstranten in Tunesien und Ägypten zum Verhängnis. Auf seiner Facebook-Seite rief der 20-jährige Student im Februar zu Solidaritätsdemonstrationen auf. Kurz danach wurde er von Polizisten festgenommen – wegen Drogenbesitz. Er muss jetzt eine zweimonatige Haftstrafe absitzen. Amnesty befürchtet, dass die aserbaidschanischen Behörden die Anklage benutzen, um Savalan für seine politischen Aktivitäten zu bestrafen.

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Foto: AFP / Getty Images

erfolge

Bad in der Menge. Ein bahrainischer Oppositioneller lässt sich nach seiner Freilassung von Freunden und Unterstützern feiern.

könig lässt oppositionelle frei bahrain Seine Angehörigen haben Tränen in den Augen, Freun-

de schütteln ihm die Hand, klopfen ihm auf die Schulter. Ali Abdulemam, ein bekannter Blogger und Betreiber der Seite »BahrainOnline«, ist wieder in Freiheit. Der bahrainische König Hamad bin ’Issa Al Khalifa hat ihn und über 250 weitere Oppositionelle Ende Februar freigelassen. Unter den Freigelassenen befanden sich auch 23 Menschenrechtsverteidiger, politische Aktivisten und schiitische Geistliche, die seit vergangenem Herbst inhaftiert waren und für die Amnesty zu einer Eilaktion aufgerufen hatte. Die 23 Personen wurden beschuldigt, eine Organisation gegründet zu haben, um »das politische System des

illinois schafft todesstrafe ab

usa »Es ist ein Meilenstein für Illinois und die Vereinigten Staaten«, sagte Larry Cox, Generalsekretär von Amnesty International in den USA. Im März hat der Gouverneur des US-Bundesstaates Illinois, Pat Quinn, ein Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe unterzeichnet. Bereits im Januar wurde es vom Senat verabschiedet. Quinn begründete seine Entscheidung damit, dass er es für »unmöglich« halte, ein absolut fehlerfreies Justizsystem zu erschaffen. Illinois ist damit der 16. Bundesstaat der USA ohne Todesstrafe. Nach Ansicht von Amnesty hat Gouverneur Quinn mit der Abschaffung der inhumanen Strafe seine Anerkennung für die Menschenrechte gezeigt. »Illinois hat die einzig richtige und logische Entscheidung getroffen«, sagte Debra Erenberg, Leiterin der Amnesty-Sektion

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Landes zu stürzen und zu verändern«. Im Gefängnis wurden sie nach eigenen Angaben gefoltert und misshandelt. Ihr Anwalt Mohammed al-Tajer sagte, es sei nicht klar, ob sie begnadigt worden seien oder ob ihr Fall zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werde. Mit der Freilassung von Oppositionellen und Menschenrechtsverteidigern reagierte König Hamad bin ’Issa Al Khalifa auf die wachsenden Proteste der schiitischen Bevölkerungsmehrheit seines Landes. Diese fordert ein Ende ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung und politische Reformen. Seit dem Ausbruch der Unruhen am 14. Februar kamen bei den Protesten mindestens sieben Menschen ums Leben.

für den Mittleren Westen der USA. »Die hohe Anzahl an irrtümlichen Verurteilungen hat gezeigt, dass mit der Todesstrafe in Illinois etwas furchtbar schief lief.« In der Vergangenheit wurden 20 Todeskandidaten aus der Todeszelle entlassen, weil Zweifel an ihrer Schuld aufgekommen waren. Mit der Unterzeichnung des Gesetzes wurde gleichzeitig das Urteil der verbliebenen 15 zum Tode verurteilten Gefangenen in lebenslängliche Haft ohne Bewährung umgewandelt. »Illinois hat den anderen Bundesstaaten bewiesen, dass es möglich ist, die Todesstrafe per Abstimmung aufzuheben«, sagte Erenberg. Damit trage Illinois zum aktuellen Trend in den USA bei, sich von dieser Strafform endgültig zu verabschieden. Zuletzt haben die Bundesstaaten New Mexiko (2009) und New Jersey (2007) die Todesstrafe abgeschafft.

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Foto: Pete Muller / AP

Erfolg gegen die Straflosigkeit. Oberstleutnant Kibibi Mutware nach seiner Verurteilung am 21. Februar 2011.

einsatZ mit erfolg

oberstleutnant wegen massenvergewaltigung verurteilt

Bei einem Angriff auf die Stadt Fizi wurden Anfang des Jahres mindestens 35 Frauen von Angehörigen der kongolesischen Armee vergewaltigt. Oberstleutnant Kibibi Mutware, der den Angriff anordnete, wurde dafür von einem Militärgericht in Baraka zu 20 Jahren Haft verurteilt. »Das Urteil ist ein Schritt in die richtige Richtung«, sagte Claire Morclette, Amnesty-Expertin für die Demokratische Republik Kongo. »Jahrzehntelang wurden derartige Verbrechen nicht geahndet, die Täter nicht zur Verantwortung gezogen.« Dennoch gebe es noch viel zu tun, die Behörden müssten umfassend und auf lange Sicht in das Rechtssystem investieren. Dazu gehöre auch, dr kongo

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Verstöße gegen das Völkerrecht vor Zivilgerichten zu verhandeln, auch wenn sie von Militärangehörigen verübt wurden. Außer Kibibi Mutware waren im Januar zehn weitere Soldaten festgenommen worden. Acht Offiziere wurden schuldig gesprochen und zu zehn bis zwanzig Jahren Haft verurteilt, ein Offizier kam frei. Ein letzter konnte nicht belangt werden, da er vermutlich minderjährig ist.

Opfer von Kriegsverbrechen während der Jugoslawienkriege hätten nun die Möglichkeit, ihr Recht auf Aufklärung einzufordern, wenn der Staat nichts unternehme. Im Dezember 2010 hatte Amnesty in einem Bericht auf die unzureichende Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in Kroatien hingewiesen.

kroatien muss kriegsverbrechen aufklären

ungarn Es ist nicht nur ein Erfolg für die Bewegung der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen, sondern auch für das Recht auf Versammlungsfreiheit in Ungarn. Ein Gericht hat entschieden, dass die diesjährige »Pride«Parade, eine Demonstration für die Rech-

Am 3. November 1991 wurde der Ehemann von Josipa Skendžić von Polizisten verhaftet. Danach tauchte er nie wieder auf. Erst sieben Jahre nach dem Krieg in Kroatien erklärte ihn ein Gericht für tot. Nun hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof den Fall der Familie Skendžić wieder aufgenommen und in seinem Urteil die kroatischen Behörden für die mangelhafte Aufarbeitung verantwortlich gemacht. Diese seien zur Aufklärung vergangener Kriegsverbrechen verpflichtet, so die Straßburger Richter. »Das Urteil schafft einen wichtigen Präzedenzfall«, sagte Marek Marczinski, Kroatien-Experte von Amnesty International.

kroatien

»pride«-parade ist kein verkehrshindernis

Foto: Laszlo Balogh / Reuters

Weltweit beteiligen sich Tausende Menschen mit Appellschreiben an den »Urgent Actions«, den »Briefen gegen das Vergessen« und an Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen diese Beispiele.

»Pride«-Parade in Budapest, September 2009.

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Mohammad Ghazzai al-Mutairi starb, weil er vermutlich gefoltert wurde. Die Regierung in Kuwait hat nun angekündigt, seinen Todesfall untersuchen zu lassen. »Wir begrüßen diese Entscheidung«, sagte Malcom Smart, Leiter der Abteilung Naher und Mittlerer Osten und Nordafrika bei Amnesty. Sie müsse jedoch internationalen Menschenrechtsstandards genügen, unabhängig und transparent sein. Mohammad Ghazzai al-Mutairi wurde Anfang des Jahres festgenommen, nachdem die Polizei alkoholische Getränke in seinem Auto gefunden hatte. Der Handel mit und der Konsum von Alkohol sind in Kuwait verboten. Nach Medienberichten wurde Mohammad Ghazzai al-Mutairi wenige Tage nach der Festnahme in ein Krankenhaus gebracht, das er nicht mehr lebend erreichte. Sein Zustand deutete darauf hin, dass er während seiner Haft gefoltert und sexuell missbraucht wurde.

kuwait

14-jähriger aus haft entlassen

Mushtaq Ahmad Sheikh wurde am 9. April 2010 festgenommen, weil er bei Protesten Steine auf Polizisten und Sicherheitskräfte geworfen haben soll. Der 14-Jährige war fast zehn Monate lang ohne Anklage und Gerichtsverfahren inhaftiert. Am 10. Februar 2011 kam Mushtaq Ahmad Sheikh endlich frei. Untergebracht war er in gewöhnlichen Gefängnissen, ohne ausreichende medizinische Versorgung und ohne besondere Einrichtungen für Kinder. Die Polizei schätzte sein Alter auf 19 Jahre, obwohl seine Familie angegeben hatte, dass er 1996 geboren und somit erst 14 Jahre

indien

erfolge

Foto: privat

Demonstranten in Srinagar, Indien.

alt sei. Mushtaq Ahmad Sheikhs Inhaftierung wurde mit dem »Jammu and Kashmir Public Safety Act« begründet. Das Gesetz ermächtigt die Behörden, Personen bis zu zwei Jahre ohne richterliche Prüfung der Anklagepunkte festzuhalten.

menschenrechtler vorerst frei

dschibuti »Aktive Mitgliedschaft in einer Widerstandsbewegung« – aus diesem Grund wurde Jean-Paul Noël Abdi, Vorsitzender der Menschenrechtsliga in Dschibuti (LDDH), am 9. Februar festgenommen. Knapp zwei Wochen später durfte er aus Gesundheitsgründen das Gefängnis vorläufig verlassen. Jean-Paul Noël Abdi leidet an einem Herzproblem und Diabetes. Bei Studentenprotesten am 5. und 6. Februar hat er Recherchen über Festnahmen angestellt und diese weiterverbreitet. Außerdem hatte er sich darum bemüht, inhaftierte Studenten im Gefängnis besuchen zu können. Die Proteste richteten sich gegen Abschlussprüfungen im laufenden Jahr, die nur von wenigen bestanden wurden, und gegen Mängel im Bildungssystem. Bei den Demonstrationen wurde aber auch das politische System des Landes kritisiert. Am 18. Februar versammelten sich in der Hauptstadt Dschibuti Tausende Menschen und forderten den Rücktritt von Präsident Ismael Omar Guelleh. Im vergangenen Jahr hatte das dschibutische Parlament die Verfassung geändert, um ihm eine dritte Amtszeit zu ermöglichen.

»journalist des jahres« freigelassen

iran Abdolreza Tajik, Journalist und Mitglied des iranischen Menschenrechtszentrums CHRD (Centre for Human Rights Defenders), wurde am 22. Dezember 2010 gegen eine Kaution von rund 500.000 US-Dollar freigelassen. Amnesty hatte ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen betrachtet, der allein wegen der friedlichen Ausübung seiner Rechte

in Haft gehalten worden war. Seiner Schwester hatte er bei einem Besuch im Gefängnis erzählt, er sei misshandelt und in Anwesenheit des Abdolreza Tajik Staatsanwalts in seiner »Selbstachtung und Ehre« verletzt worden. In der Vergangenheit war Abdolreza Tajik wiederholt festgenommen und inhaftiert worden. Im vergangenen November ehrte ihn die Organisation Reporter ohne Grenzen mit der Auszeichnung »Journalist des Jahres«, die Shirin Ebadi stellvertretend für ihn entgegennahm. Die Nobelpreisträgerin ist Mitgründerin der Organisation CHRD, deren Büro auf Druck der iranischen Behörden im Dezember 2008 geschlossen werden musste. Shirin Ebadi, Abdolreza Tajik und andere Mitglieder der Organisation setzen sich jedoch weiterhin für die Menschenrechte ein.

erste oppositionelle freigelassen

»Ohne Euch wäre ich jetzt nicht frei.« Das schrieb Natallya Radzina nach ihrer Freilassung auf der oppositionellen Nachrichtenwebsite »Charter«. Sie dankte damit allen Unterstützern für ihren Einsatz. Radzina gehört zu einer Gruppe von 30 Personen, die wegen der Organisation und Teilnahme an einer Demonstration am 19. Dezember 2010 in Minsk festgenommen worden waren. Zusammen mit Syargei Vaznyak wurde sie Ende Januar gegen Kaution aus Natallya Radzina dem Gefängnis entlassen. »Im 21. Jahrhundert darf es nicht sein, dass Verdächtige unter derartigen Bedingungen in Haft gehalten werden«, sagte Natallya Radzina. Die Hafteinrichtung sei völlig überbelegt. Unter den Gefangenen, die sich noch in Haft befinden, ist auch der Oppositionspolitiker Andrei Sannikov und sein Pressesprecher Alyaksandr Atroshchankau. Sie und noch weitere zwölf Oppositionelle betrachtet Amnesty als gewaltlose politische Gefangene. belarus

Foto: AP

untersuchung wegen poliZeifolter eingeleitet

Foto: Mukhtar Khan / AP

te sexueller Minderheiten, wie geplant am 18. Juni in Budapest stattfinden darf. Im Februar hatte die Polizei die Demonstration verboten, da sie zu erheblichen »Verkehrsstörungen« führe. Das Gericht widersprach dieser Einschätzung und stellte fest, dass dies keine Rechtfertigung sei, um die Demonstration zu untersagen. Würde man das Verbot akzeptieren, »könnten praktisch nirgendwo in Budapest öffentliche Veranstaltungen stattfinden«, so die Richter. Amnesty begrüßte diese Entscheidung. Damit sind die ungarischen Behörden verpflichtet, das Recht auf Versammlungsfreiheit zu wahren und die Demonstranten zu schützen.

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panorama

Foto: David Sauveur / VU / laif

guatemala: unwille Zur aufklärung , Rosa Franco erfuhr aus den Nachrichten vom Tod ihrer Tochter. Die 15-jährige Maria Isabel Franco wurde im Dezember 2001 vergewaltigt, ermordet und auf einem brachliegenden Grundstück zurückgelassen. Zehn Jahre später ist der Täter noch immer nicht gefasst. »Die verantwortlichen Behörden, inklusive der Staatsanwaltschaft und der Polizei, haben komplett versagt«, sagt Rosa Franco, die schon seit Jahren für eine Untersuchung des Falls kämpft. In Guatemala wurden nach offiziellen Angaben allein im vergangenen Jahr mindestens 685 Frauen getötet. Doch nur in vier Prozent aller Todesfälle wird der Täter verurteilt. Die Unfähigkeit und der Unwille der Behörden verhindern eine konsequente Strafverfolgerung: »In Guatemala müssen Frauen sterben, weil der Staat unfähig ist, sie zu schützen«, sagte Sebastian Elgueta, Guatemala-Experte von Amnesty International. »Die Kultur der Gewalt und Straflosigkeit muss aufhören und die Menschenrechte von Frauen müssen respektiert und geschützt werden.« Rosa Franco will solange weiterkämpfen, bis der Mörder ihrer Tochter zur Verantwortung gezogen wurde. Das hat sie sich geschworen.

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% libyen: sanktionen sind ein »historischer schritt« »Tausende werden sterben.« Dies sagte der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi in einer seiner Fernsehansprachen. Er ließ seinen Worten Taten folgen und die eigene Bevölkerung mit Panzern und Kampfflugzeugen angreifen. Der UNOSicherheitsrat hat deshalb im Februar einstimmig Sanktionen verhängt. Dazu gehören ein Waffenembargo gegen das Land, Reisebeschränkungen für die libysche Regierungsspitze sowie das Einfrieren ihres Auslandsvermögens. Außerdem wurde der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs beauftragt, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ermitteln. »Das ist ein historischer Schritt«, sagte Steve Crawshaw, Direktor für die UNO-Arbeit bei Amnesty International. »Die libysche Führung und alle anderen, die möglicherweise Verbrechen nach internationalem Recht begangen haben, müssen ab sofort damit rechnen, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden.« Für die Menschen in Libyen sei diese Entscheidung ein Zeichen dafür, dass die internationale Gemeinschaft nicht die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen verschließe.

Foto: Patrick Bard / Signatures / laif

panorama

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Foto: AP

nachrichten

Mut zum Protest. Oppositionelle demonstrieren gegen das Regime von Mahmoud Ahmadinejad am 14. Februar in Teheran.

hinrichtungswelle im iran Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi und sechs Menschenrechtsorganisationen rufen in einem weltweiten Communiqué die Staatengemeinschaft und die Vereinten Nationen auf, gegen die Hinrichtungswelle im Iran zu protestieren. Von der iranischen Justiz und vom Parlament fordern sie ein sofortiges Hinrichtungsmoratorium. Seit Anfang 2011 sind nach Informationen der sechs Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International, mindestens 86 Menschen hingerichtet worden. Bei mindestens acht der im Januar Hingerichteten handelte es sich um politische Gefangene. Sie waren wegen »Feindschaft gegen Gott« (moharebeh)

iran

verurteilt worden, weil sie an Demonstrationen teilgenommen hatten oder angeblich zu Oppositionsgruppen gehörten. »Es hat sich gezeigt, dass sich die iranischen Behörden nicht mehr damit zufriedengeben, diejenigen, die die Wiederwahl von Mahmoud Ahmadinejad in Frage stellen, durch Verhaftung und Verurteilung im Zaum zu halten – sie haben bewiesen, dass sie auch vor Hinrichtungen nicht mehr zurückschrecken«, erklärte Ebadi. »Sie bedienen sich der altbekannten Taktik, politische Hinrichtungen gleichzeitig mit Massenexekutionen von Gefangenen durchzuführen, die wegen krimineller Delikte verurteilt wurden. Die Zahl der Hinrichtungen könnte zuneh-

systematische folter in irakischen gefängnissen

irak Amnesty International hat den irakischen Behörden vorgeworfen, Gefangene systematisch zu foltern, um »Geständnisse« zu erpressen. In einem Anfang Februar veröffentlichten Bericht mit dem Titel »Gebrochene Körper, gepeinigte Seelen« schätzt Amnesty, dass derzeit 30.000 Männer und Frauen im Irak in-

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haftiert sind, darunter viele in geheimen Gefängnissen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Wie Amnesty unter Berufung auf Zeugenberichte schreibt, sind inhaftierte Männer, Frauen und auch Kinder im Irak schlimmsten Misshandlungen ausgesetzt. Seit 2004 sind den Angaben zufolge Dutzende Häftlinge an

men, wenn die Welt weiter schweigt«, fügte sie hinzu. Die Hinrichtungszahlen stiegen an, nachdem Ende Dezember 2010 das revidierte Betäubungsmittelgesetz in Kraft getreten war. Damals wurde es vom Schlichtungsrat entworfen und vom geistlichen Führer Ayatollah Ali Khamenei bewilligt. Die Behörden wollen den Drogenhandel verstärkt bekämpfen. 67 der im Januar Hingerichteten waren wegen Drogenhandels verurteilt worden. Die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen dürfte noch höher sein, erklärten die Menschenrechtsorganisationen; es gebe glaubwürdige Berichte, wonach in Gefängnissen heimliche Hinrichtungen stattfänden.

den Folgen von Folter gestorben. Zu den üblichen Foltermethoden zählen unter anderem Vergewaltigung, die Androhung von Vergewaltigung, Schläge mit Kabeln und Schläuchen, Stromschläge. Zahlreiche irakische Gerichte verwendeten Geständnisse trotz offensichtlicher Spuren von Folter, kritisiert Amnesty.

amnesty journal | 04-05/2011


Frank Mugisha ist der verantwortliche Leiter von »Sexual Minorities Uganda« (SMUG), einer Dachorganisation mehrerer Initiativen, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten in Uganda einsetzen. Sie existiert seit 2004.

interview

frank mugisha

In Uganda werden sexuelle Minderheiten gesellschaftlich diskriminiert und vom Staat inhaftiert. Ugandische Zeitungen wie der »Rolling Stone« stellen Homosexuelle öffentlich an den Pranger. Das jüngste Opfer der homophoben Hetze ist David Kato. Der Aktivist der Organisation »Sexual Minorities Uganda« wurde am 26. Januar ermordet. Frank Mugisha ist Leiter der Organisation und sein langjähriger Freund und Kollege. Welchen Formen von Diskriminierung sind Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen in Uganda ausgesetzt? Beim Einkaufen, in der Schule oder am Arbeitsplatz werden sie schikaniert und teilweise auf offener Straße geschlagen. Manche Eltern verstoßen ihre eigenen Kinder, wenn sie erfahren, dass sie homosexuell sind. Außerdem sind homosexuelle Handlungen in Uganda strafbar, Betroffene werden festgenommen und dann willkürlich wegen »Störung der öffentlichen Ordnung« angeklagt. Teilweise kommt es zu »korrigierenden Vergewaltigungen«. Lesbische Mädchen werden von ihren eigenen Familienmitgliedern zu Sex mit einem Mann gezwungen, um sie in heterosexuelle Frauen »umzuwandeln«, die von der afrikanischen Gesellschaft akzeptiert werden. Wieso engagieren Sie sich bei der Organisation »Sexual Minorities Uganda«? Für mich war das keine bewusste Entscheidung, es hat sich so entwickelt. Als ich Student war, fing ich an, alle Formen der Diskriminierung von sexuellen Minderheiten anzuprangern und traf mich mit Aktivisten, die der gleichen Meinung waren wie ich. Wir wollten uns von der ugandischen Bevölkerung nicht länger schlecht behandeln lassen - egal ob Zuhause, in der Schule oder am Arbeitsplatz. Dagegen wollten wir etwas unternehmen und so wurde ich Teil der Bewegung. 2007 wurde ich schließlich zum verantwortlichen Leiter von »Sexual Minorities Uganda« gewählt.

nachrichten

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interview

Foto: privat

»wir lassen uns nicht einschüchtern« Sie stehen in der Öffentlichkeit. Ist öffentliches Auftreten oder Anonymität der bessere Schutz vor Übergriffen? Ich denke, dass Öffentlichkeit einen gewissen Schutz bieten kann. Wenn ich mich öffentlich zeige, demonstriere ich damit gleichzeitig, dass ich mich so akzeptiere, wie ich bin, und keine Angst habe. Öffentliche Veranstaltungen unterstützen außerdem unsere Bewegung, verleihen ihr eine gewisse Sichtbarkeit und helfen damit unserem Anliegen. Man muss jedoch immer Übergriffe homophober Bevölkerungsgruppen befürchten und muss vorsichtig sein. Was bedeutet der Tod von David Kato für die Organisation? Dass David wegen seiner sexuellen Identität getötet wurde, hat mich sehr traurig gemacht – ich bin es immer noch. Sein unermüdlicher Einsatz war sehr wichtig in dem Kampf, den unsere Bewegung führt. Er war eine zentrale Person in unserer Organisation. Der Mord an ihm wird unsere Arbeit aber nicht beenden, wir werden uns nicht einschüchtern lassen, sondern weitermachen, mit mehr Strategie, mehr Wut und mehr Einsatz. Was fordern Sie von der ugandischen Regierung? Und wie kann die internationale Gemeinschaft Sie unterstützen? Wir verlangen, dass Homosexualität zukünftig keine Straftat mehr darstellt, und dass stattdessen Gesetze erlassen werden, die homophobe Angriffe auf sexuelle Minderheiten unter Strafe stellen. Das Anti-Homosexualitäts-Gesetz von 2009, welches sexuelle Minderheiten vollständig kriminalisiert, darf nicht eingeführt werden. Jeder kann uns helfen, indem er darüber spricht, was in Uganda passiert. Internationale Organisationen sollten religiöse Gemeinschaften unterstützen, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten aussprechen und diejenigen verurteilen, die das nicht tun. Fragen: Ralf Rebmann

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ungarns mediengesetZ weiter in der kritik ungarn Das ungarische Mediengesetz bleibt umstritten. Aktivisten der Facebook-Seite »Eine Million für die ungarische Pressefreiheit« haben für den 15. März neue Proteste angekündigt. Bereits am 27. Januar gingen rund 8.000 Menschen in Budapest für die Pressefreiheit auf die Straße. Viele Organisationen hatten zu der Veranstaltung vor dem ungarischen Parlament aufgerufen, unter anderem die ungarische Sektion von Amnesty International. Die Proteste richten

sich gegen ein Mediengesetz, das Einschränkungen für Rundfunk, Print- und Webmedien vorsieht. Orsolya Jeney, Generalsekretärin von Amnesty Ungarn, warnte vor den Folgen des Gesetzes: »Ein Resultat könnte Selbstzensur sein. Damit wären wichtige Informationsquellen nicht mehr zugänglich.« Mitte Februar haben sich die ungarischen Behörden bereit erklärt, das Mediengesetz zu ändern. »Ich bin zufrieden, dass die ungarische Regierung zugesagt hat, das Gesetz mit EU-Recht in Ein-

klang zu bringen«, sagte die verantwortliche EU-Kommissarin Neelie Kroes. Ausländische Medienkonzerne seien nun von Geldbußen und dem Zwang zur Registrierung unter bestimmten Bedingungen befreit. Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte hingegen, dass noch immer inakzeptable Eingriffe in die Pressefreiheit möglich seien. Die ungarische Regierungspartei könne weiterhin auf private Medien einwirken und der Quellenschutz sei nicht gewährleistet.

frankreich Elektroschockpistolen und Hartgummigeschosse zählen offiziell zu der Kategorie »nicht-tödliche Waffen«. Doch starben in Frankreich Ende 2010 erstmals zwei Menschen nach dem Einsatz dieser Waffen: Der 43-jährige Mostefa Ziani in Marseille, der vorher einen Nachbar mit einem Messer verletzt hatte, sowie ein 38-jähriger malischer Staatsbürger ohne Aufenthaltserlaubnis im Pariser Vorort Colombes. Beide Männer sollen sich mit Gewalt ihrer Festnahme durch die Polizei widersetzt haben. Daraufhin antworteten die Beamten in Marseille mit dem »Taser« und in Colombes mit dem »Flash-Ball« – unter diesen Markennamen sind die Waffen in Frankreich bekannt. In beiden Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft derzeit noch die genaue Todesursache. Derweil scheint sich im Französischen aus gutem Grund für »Taser« und »Flash-Ball« der Begriff »weniger tödliche Waffen« einzubürgern. Auch die Debatte über die umstrittenen, 2004 in Frankreich eingeführten Waffen flammte wieder auf. Amnesty International Frankreich forderte eine restriktivere Nutzung der Waffen und eine Prüfung durch die unabhängige Untersuchungskommission CNDS. Nach Angaben von Amnesty sind in den USA zwischen 2001 und 2010 über 400 Personen nach einem »Taser«-Einsatz gestorben. In mehr als 50 Fällen hat die Waffe direkt oder indirekt den Tod verursacht. Befürworter des »Tasers« entgegnen, die französische Polizei verwende ein weniger gefährliches Modell. Innenminister Brice Hortefeux erklärte im Senat, seit 2006 seien Elektroschockpistolen und Gummiprojektile 22.000 Mal verwendet worden. Dabei sei es »nur« zu 22 »schweren Unfällen« gekommen.

das gewehr bleibt im kleiderschrank

schweiZ Amnesty International ist ent-

täuscht über die Ablehnung der Volksinitiative »Für den Schutz vor Waffengewalt«. Die Schweiz hat die Chance verpasst, in Sachen Waffenkontrolle mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Entfernung von Armeewaffen aus Privathaushalten hätte zudem die erschreckend hohe Zahl der tödlichen Zwischenfälle mit Schusswaffen in der Schweiz senken

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Foto: Sebastien Nogier / Reuters

ein bisschen tödlich

Tödliche Waffe. Ein französischer Polizist mit dem Taser X26.

und Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen können. Mitte Februar wurde die Initiative für ein schärferes Waffenrecht bei einer Volksabstimmung mehrheitlich abgelehnt. Amnesty International setzt sich seit vielen Jahren für eine bessere Prävention häuslicher Gewalt ein. Die schweizerische Waffengesetzgebung gilt als eine der liberalsten der Welt, da der Besitz und Erwerb von Waf-

fen und Munition grundsätzlich jedem nicht vorbestraften Bürger gestattet wird. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums kommen auf rund sieben Millionen Schweizer zwei Millionen Schusswaffen. Weitere 240.000 Waffen sind nicht registriert. In der Schweiz sterben jährlich rund 300 Menschen durch Schusswaffen, so viele wie in keinem anderen europäischen Land.

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Zeichnung: Oliver Grajewski

kolumne götZ nordbruch

arabische welt: abschied von alten gewissheiten

Ein Viertel der ägyptischen Bevölkerung ist zwischen 18 und 29 Jahren. In der hiesigen Wahrnehmung prägte dieser Teil der Bevölkerung bisher das negative Bild von den arabischen Ländern. »Der Mob der Frommen« (»Die Welt«) oder »Wilder Mob stürmt Botschaften« (»Focus«) lauteten die Schlagzeilen, die eine weit verbreitete Sichtweise auf das Geschehen im Nahen Osten wiedergaben. Irrational, fanatisch – und die Jugend vorneweg. Der Sturz der Machthaber in Tunesien und Ägypten und die anhaltende Revolte in Libyen lassen hoffen, dass sich nicht nur die dortigen sozialen und politischen Rahmenbedingungen, sondern auch der Blick auf die Gesellschaften südlich des Mittelmeers verändern. Wie kaum eine andere Stadt stand die ägyptische Hauptstadt Kairo noch bis vor kurzem gleichzeitig für Stagnation und für die Explosivität der dortigen Verhältnisse. Vielen Beobachtern galt der Moloch mit seinen 18 Millionen Einwohnern entweder als »tomb« oder als »bomb«, Grab oder Bombe. Dem Alltag in der Metropole am Nil hat dieses Bild einer Schockstarre, einer »versiegelten Zeit« (Dan Diner), in der die arabischislamischen Ländern dahinsiechen, noch nie entsprochen. Spätestens seit den neunziger Jahren befinden sich die arabischen Gesellschaften von Marokko bis Jemen im Umbruch. Mittlerweile schlägt sich dies auch in politischen Veränderungen nieder. Ägypten ist dabei ein Vorreiter. Wie in keinem anderen Land konnte man hier in den vergangenen Jahren eine Vervielfältigung der Lebenswelten beobachten. Der Ruf nach der Einheit, mit dem die Regime in Ägypten und anderswo versuchten, die Bevölkerungen auf eine gemeinsame Sache einzuschwören, blieb hier schon lange nicht mehr unwidersprochen. Zwar steht die Wut über die israelische Politik in Gaza und der Westbank für viele junge Ägypter auch weiterhin ganz oben auf der Tagesordnung. Als »Opium des Volkes« taugt der Verweis auf Palästina allerdings immer weniger. Gerade die Jugend in Ägypten spürt die Grenzen der Freiheiten, die ihnen in den globalen Medien vorgelebt werden. Schon der Wunsch, eine Familie zu gründen, scheitert für viele an den fehlenden Mitteln. In den mittlerweile zahllosen Initiativen von Arbeitern, Frauen und Angestellten, die für den zunehmenden Drang nach Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe stehen, spielen junge Heranwachsende auch deshalb eine maßgebliche Rolle. Die soziale Ungleichheit, die in Ägypten wie in anderen arabischen Ländern immer obszönere Formen annimmt, hat wesentlich zur Eskalation der Proteste beigetragen. Für viele Jugendliche boten schicke Einkaufszentren und Cafés in den wohlhabenden Stadtvierteln Kairos einen gesellschaftlichen Freiraum, in dem die Revolte für viele erst denkbar wurde. Gerade darin besteht eine der Widersprüchlichkeiten, von denen der Wandel der letzten Jahre gezeichnet ist. Denn der zur Schau getragene Wohlstand und die Weltgewandtheit, mit der die neuen Mittelschichten wie selbstverständlich auftraten, haben die Proteste gegen das Regime befördert. Die »gated communities« und privaten Universitäten im Speckgürtel der Stadt machen die Kluft deutlich, die sich in Ägypten mittlerweile auftut. Mit ihrer Überraschung über die Proteste in Tunesien und Ägypten standen die arabischen Machthaber dabei keineswegs allein. Auch in Europa und den USA ist der Abschied von alten Gewissheiten noch lange nicht beschlossene Sache. Hier wie dort wird man sich allerdings auf neue Realitäten einstellen müssen. Eine Politik über die Köpfe der Menschen in Kairo oder Tunis hinweg wird sich zukünftig kaum mehr machen lassen. Der Autor ist Mitbegründer des Berliner Vereins ufuq-de, der in der politischen Bildungsarbeit mit jungen Muslimen aktiv ist, und Assistenzprofessor an der Universität von Süddänemark in Odense.

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Thema: Mexiko

Menschenrechte in Mexiko zu verteidigen, heißt, sein Leben zu riskieren. Doch es gibt sie: mutige Aktivisten, Gewerkschafter und Journalisten. Wie Abel Barrera Hernández vom Menschenrechtszentrum »Tlachinollan« im Bundesstaat Guerrero. Im Kampf für die Rechte von Minderheiten verzeichnet er immer wieder kleine und große Erfolge.

Von was soll man leben? Männer in der Gemeinde Mini Numa in den Bergen des Bundesstaates Guerrero. Foto: Ricardo Ramírez Arriola

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ÂťWo ist das Opium, wo sind die Waffen?ÂŤ Das Dorf Chiepetepec in den Bergen des Bundesstaates Guerrero.

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Foto: Ricardo Ramírez Arriola

Im Schatten des Drogenkrieges

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Wenn heute von Mexiko die Rede ist, geht es meist um blutige Kämpfe rivalisierender Mafiabanden, um grausame Leichenfunde und hochgerüstete Sicherheitskräfte. Das Land befindet sich im Ausnahmezustand, seit Präsident Felipe Calderón Tausende Soldaten und Bundespolizisten gegen die Drogenkartelle mobilisiert hat. Kein Tag vergeht mehr ohne bewaffnete Auseinandersetzungen, zahlreiche Bundesstaaten sind vom Militär besetzt. Allein im vergangenen Jahr starben nach Angaben der Regierung 15.273 Menschen bei Schießereien zwischen Soldaten, Polizisten und Killertrupps der Mafia. Ob im karibischen Cancún, an der Grenze zu den USA oder in den Bergen des südöstlichen Bundesstaates Oaxaca – quer durch die Republik bestimmt der sogenannte Drogenkrieg den Alltag. Die Bevölkerung lebt mit der ständigen Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten, rechtsstaatliche Garantien und die Menschenrechte kommen immer weniger zur Geltung. Schon seit langem werden in Mexiko Gefangene gefoltert, indigene Aktivisten verfolgt und Menschenrechtsverteidiger angegriffen. Migranten sind auf ihrem Weg in die USA immer wieder Angriffen ausgesetzt. Doch im Schatten des Drogenkrieges haben die Menschenrechtsverletzungen noch zugenommen. Die Toten erscheinen nur noch als Kollateralschaden im Kampf gegen die Mafia, in den wenigsten Fällen ermitteln die Behörden. Wer trotzdem Fragen stellt, wie etwa kritische Journalisten, läuft Gefahr, selbst ermordet zu werden. Zugleich gehen Soldaten immer brutaler gegen die Zivilbevölkerung vor. Das bekommen vor allem Kleinbauern und Indigene zu spüren. Sie sind am stärksten dem korrupten Treiben von Politikern, Großgrundbesitzern, Polizisten, Juristen sowie Kriminellen ausgesetzt. So auch in Guerrero, einem der ärmsten Bundesstaaten Mexikos. Die kleinbäuerliche Wirtschaft ist fast komplett zerstört, denn die Kleinbauern können mit den subventionierten US-Importen nicht konkurrieren. Viele verdingen sich als Saisonarbeiter in den Plantagen des mexikanischen Nordens. Andere pflanzen Schlafmohn an, denn das daraus gewonnene Opium verspricht ein Vielfaches dessen, was sich mit Mais oder Bohnen verdienen lässt. Doch nicht nur das Drogengeschäft liefert der Regierung Vorwände, die Armee in das Bundesland zu schicken. Bereits in den siebziger Jahren waren hier Guerilleros aktiv, seither dringen Soldaten immer wieder in die Dörfer ein und greifen Bewohner an, die sich meist friedlich gegen die Missstände organisieren. Soziale und indigene Organisationen werden kriminalisiert, Menschenrechtsverteidiger ermordet. Dennoch haben die Menschen nicht aufgegeben. Seit Jahren verhindern Anwohner den Bau eines Staudamms, der ihren Lebensraum zerstören würde. Bauern wehren sich gegen die illegale Rodung von Wäldern, und Menschenrechtsorganisationen kämpfen dafür, dass die Verbrechen nicht ungesühnt bleiben – trotz des Militärs und gegen den Willen der Regierung im fernen Mexiko-Stadt. Der Journalist Wolf-Dieter Vogel reiste für das Amnesty Journal nach Guerrero und verfasste die Texte für dieses Thema. Der mexikanische Fotograf Ricardo Ramírez Arriola begleitete ihn dabei.

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Im Haus der Armen Gewalttätige Soldaten, Drogenmafia und korrupte Beamte: Im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero kämpfen die Aktivisten des Menschenrechtszentrums »Tlachinollan« für bessere Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung. Manchmal gelingen ihnen überraschende Erfolge. Von Wolf-Dieter Vogel (Text) und Ricardo Ramírez Arriola (Fotos)

Zu wenig Nahrung, fehlende Lehrer, schlechte Gesundheitsversorgung. In der Gemeinde Chiepetepec.

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ie kamen am frühen Morgen. Eulogio Cayetano und sein Sohn Bertario saßen gerade beim Kaffee, als die Soldaten das Haus stürmten. »Scheiß Indios«, riefen die vermummten Eindringlinge. »Wo ist das Opium, wo sind die Waffen?« Dann warfen sie Bertario zu Boden und drückten dem jungen kräftigen Mann einen Gewehrhals in den Rücken. »Ich dachte, sie bringen ihn um«, sagt seine Mutter Maria Cayetano. Sie beginnt zu weinen, kein Wort kommt mehr über ihre Lippen. Noch immer sitzt der Schock tief, diese Angst, die sie überfiel, als die Militärs sie in der Küche einschlossen, während nebenan das sechs Monate alte Enkelkind schrie. Eine Woche ist es her, dass rund 40 Soldaten die indigene Familie aus dem südmexikanischen Bundesstaat Guerrero überfallen haben. Nun sitzen »Don Eulogio«, »Doña Maria« und ihr Sohn Bertario Cayetano hier im Menschenrechtszentrum »Tlachinollan«. Die Wege in der Region La Montaña sind lang. Steinige Fußpfade, schlechte Straßen und alte Busse erschweren die Reise durch die von Dürre geprägte Gegend, spätestens ab zehn Uhr drückt die Sonne. Rund dreieinhalb Stunden waren sie unterwegs, um von der Laguna Seca, dem »trockenen Teich«, in das Büro in der Kleinstadt Tlapa zu gelangen. Mit Santiago Aguirre, einem der acht Anwälte und Anwältinnen von »Tlachinollan«, wollen sie an diesem Morgen bei der Menschenrechtskommission eine Klage einreichen. »Das Militär soll uns unsere Sachen zurückgeben«, fordert Eulogio Cayetano. 10.000 Pesos (rund 600 Euro) – die Einnahmen seines Ladens – hätten die Soldaten unter anderem mitgehen lassen. Sein Leben lang habe er redlich gearbeitet, betont der 59-Jährige, und nie habe die Familie etwas mit den Mohnfeldern zu tun gehabt. Und jetzt das: Wie aus dem Nichts hatten die Soldaten 500 Gramm Opium sowie ein Kilo Mohnsamen hochgehalten. »Dann zwangen sie uns, eine Bestätigung des Fundes zu unterschreiben.« Mit jedem Satz wird er zorniger. Er spricht vom Krieg gegen die Indigenen, den Präsident Felipe Calderón

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»Die unterschreiben jeden internationalen Vertrag, den man ihnen unter die Nase hält, doch halten tun sie sich an nichts.« mit seiner militärischen Mobilmachung gegen die Drogenmafia ausgelöst habe. Und von den vielen anderen, die keine Anzeige erstatten, weil sie kein Spanisch sprechen. Hier in diesen Räumen kann er offen reden. Ohne Angst. Denn »Tlachinollan« ist für ihn das »Haus der Armen«. Längst hat sich der Warteraum des viergeschossigen Gebäudes gefüllt. Selbst auf der Straße stehen noch einige Frauen, Männer und Kinder. Sie sind gekommen, weil sie hier finden, was ihnen sonst niemand bietet: kostenlose juristische Beratung sowie solidarische Begleitung, wenn nötig mit Übersetzung in die indigenen Sprachen Me’Phaa, Amuzgo oder Nahuatl. Und die Sicherheit, nicht von korrupten Beamten, Kriminellen oder Kaziken, den örtlichen Machthabenden, übers Ohr gehauen zu werden. Fotos an den Wänden zeugen von den vielen Aktivitäten des Zentrums: Ein kleiner Junge hält ein Transparent für den »Kampf um unseren Boden« in die Höhe, andere fordern auf einer Demonstration die Freilassung politischer Gefangener. Ein Poster zeigt zwei indigene Frauen. Ihr wütender und dennoch nicht verbitterer Blick unterstreicht die Forderung des Plakats: »Durchbrecht die Mauer der Straflosigkeit.«

Soldaten zerstörten ihr Leben Zwei Frauen – Inés Fernández Ortega und Valentina Rosendo Cantú – stehen derzeit wie kaum andere in Mexiko dafür, dass Soldaten für ihre Verbrechen an der Zivilbevölkerung zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Jahrelang kämpften sie für ihr Recht – unterstützt von den Menschenrechtsverteidigern in Guerrero. Wir aber treffen Valentina Rosendo Cantú weit entfernt von ihrer Heimat, im Hinterhof einer mexikanischen Großstadt, zwischen vierspurigen Straßen, hohen Mauern und gefährlich angebrachten Stromleitungen. Schon lange kann sie nicht mehr nach Barranca Bejuco zu-

rück, jenem Dorf in der Küstenregion Costa Chica, in dem sie aufgewachsen ist. Dort, wo am 16. Februar 2002 alles begann. Die damals 17-Jährige wusch gerade Wäsche im Fluss, als acht Soldaten kamen. Wo die Guerilleros seien, wollten sie wissen. Dann vergewaltigten zwei der Männer die junge Frau, die Monate zuvor ein Kind zur Welt gebracht hatte. »Danach konnte ich kaum mehr stehen und hatte Fieber.« Wie oft schon hat sie das alles erzählt? Wie sie zum Arzt ging, der sie nicht behandelte, weil er keinen Ärger mit der Armee bekommen wollte. Wie sie acht Stunden in die Kleinstadt Ayutla gelaufen war und auch dort im Krankenhaus abgewiesen wurde. Und wie sie sich bei den Behörden darum bemühte, dass gegen ihre Vergewaltiger ermittelt wird. »So etwas tun die Soldaten nicht«, hatten ihr Beamte der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte erklärt. Dabei hatte sie die Täter sogar auf Fotos wiedererkannt. Aber ohnehin seien für Vorwürfe gegen Armeeangehörige nur Militärgerichte zuständig. »Sie machten sich über mich lustig, weil ich damals fast nur Me’Phaa sprechen konnte.« Ganz ruhig redet die 26-Jährige, entschlossen, emotional, aber nicht verzweifelt. Und in bestem Spanisch. Sie hat sich verändert in diesen Jahren. In ihrem beige-grauen Pullover, mit der Armkette und den geschminkten Lippen wirkt sie städtisch, weit weg von Barranca Bejuco. Ans Aufgeben denkt sie nicht. Dabei haben die Ereignisse sie in eine schier hoffnungslose Situation getrieben. Soldaten kamen in die Gemeinde und wollten erzwingen, dass sie ihre Anzeige zurückzieht. Dorfbewohner wandten sich von ihr ab, nachdem man ihnen drohte, die Sozialleistungen zu streichen. Und dann wurde sie von ihrem eigenen Mann verlassen. Sie sei nichts mehr wert, weil sie vergewaltigt worden sei, hatte er ihr erklärt. Schließlich kehrte Valentina Rosendo Cantú mit ihrer Tochter der Gemeinde den Rücken. Dennoch ließ man sie nie in Ruhe: Unbekannte observierten und bedrohten die junge Mut-

Einsatz für Menschenrechte. »Tlachinollan«-Mitarbeiter Isabel Margarita Nemeso, Roberto Gamboa Vázquez, Eulogia Flores Vázquez, Santiago Aguirre.

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Reden können ohne Angst. Das Menschenrechtszentrums »Tlachinollan« in der Kleinstadt Tlapa.

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Zwei Zimmer fĂźr 15 Menschen. Aureliana DĂ­az in ihrem Haus in der indigenen Gemeinde Chiepetepec.

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Juristische Beratung in indigener Sprache. Wartezimmer des Zentrums »Tlachinollan«. Valentina Rosendo Cantú (rechts).

ter, man versuchte, ihre Tochter von der Schule zu werfen. Vertrieben aus der Heimat, lebt Valentina Rosendo Cantú nun in der Stadt, wo sie nicht so schnell ausfindig gemacht werden kann. »Die Regierung hat mein Leben zerstört«, sagt die junge Frau, »nicht nur wegen der Vergewaltigung, sondern auch, weil ich nicht mehr als ganz normale Frau mit meiner Familie weiterleben kann«. Trotz allem zog sie mit Inés Fernández Ortega, die auch von Soldaten vergewaltigt worden war, bis vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof in San José, Costa Rica. Dort gaben ihr die Richter im Oktober 2010 Recht. »Nun muss die mexikanische Regierung dafür sorgen, dass die beiden vollständig rehabilitiert werden«, erklärt Tlachinollan-Anwalt Aguirre, der die beiden juristisch begleitet. Die Vorgaben des Gerichts sind eindeutig: Die Taten müssen vor einem Zivilgericht verhandelt werden, der Staat muss die Opfer entschädigen und die besonderen Konsequenzen berücksichtigen, die solche Verbrechen in indigenen Gemeinden hervorrufen. »Wenn das umgesetzt wird, kann ich vielleicht wieder zurück nach Barranca Bejuco«, hofft Valentina Cantú. »Denn dann glauben mir die Leute, dass ich nicht gelogen habe.« Bislang jedoch, erläutert Aguirre, umgehe die Regierung das Urteil mit juristischen Spitzfindigkeiten.

Mit dem Hunger leben Abel Barrera verbirgt seinen Zynismus nicht, wenn es um die Regierenden in Mexiko-Stadt geht. »Die unterschreiben jeden internationalen Vertrag, den man ihnen unter die Nase hält, doch halten tun sie sich an nichts«, sagt der 50-Jährige. Der kleine, kräftige Mann leitet das Menschenrechtszentrum. Es ist nicht einfach, ihn zu treffen. Ständig ist er unterwegs, vom Termin bei der örtlichen Staatsanwaltschaft zur Versammlung nach Mexiko-Stadt und weiter zum Besuch einer Gemeinde in den Bergen. Das Urteil von San José sei ein wichtiger Schritt, bestätigt er. »Aber der wirkliche Erfolg ist, dass zwei Frauen aus dem Volk der Me`Phaa zu Protagonistinnen der Verteidigung ihrer Menschenrechte geworden sind.« Was könne man im Einsatz

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für Menschenrechte Besseres erreichen? Dennoch betont Barrera: »Die Leute kennen uns hier nicht, weil wir vor internationale Gerichte ziehen, sondern weil wir dort sind, wo sie sind: in ihren Gemeinden, in ihren Häusern, in den Bergen.« Ortstermin in Chiepetepec, etwa 45 Autominuten von Tlapa entfernt. Hier ein paar grüßende Worte aus dem Wagen, dort ein Handschlag, wenige Meter später noch ein kurzes Gespräch – Abel Barrera ist in der Gegend bestens bekannt. Esel kreuzen den steinigen Fußweg zu Aureliana Díaz, der Pfad zu ihrem Zuhause führt vorbei an brüchigen Holzhütten und der einzigen Quelle des Dorfes. Fließend Wasser haben nur die wenigsten. Zwei mit blauer Farbe gestrichene große Häuser zeigen, dass hier Familien leben, deren Söhne es in den USA zu etwas gebracht haben. Nur wer genug Dollars aus dem Norden bekommt, kann solche Häuser bauen. Aureliana Díaz kam nur bis in den Nachbar-Bundesstaat Morelos. Dort erntete sie grüne Bohnen. Zwölf Stunden am Tag, für hundert Pesos. So wie ihr Mann, doch der starb dort vor sechs Jahren bei einem Autounfall. Mit ihrer Familie lebt sie in einem aus Sandsteinen gemauerten Haus, dessen Wellblechdach an vielen Stellen nur notdürftig mit blauen Plastikplanen geflickt ist. 15 Menschen wohnen hier in zwei Zimmern: sie, die Eltern, zehn Kinder sowie Aurelianas Bruder und dessen zwei Frauen. Eine Glühbirne spendet ein wenig Licht in dem fensterlosen Raum. Land, um Mais anzubauen, hat die Familie nicht, und das Geld, das die Männer als Bauarbeiter verdienen, reicht hinten und vorne nicht. Aureliana Díaz zeigt auf einen Dachbalken, auf dem ein paar frisch gefertigte Strohhüte liegen. »Jeden Tag flechten wir fünf Sombreros, das bringt 15 Pesos ein«, sagt die 30-Jährige. Und dann ist da noch das Sozialprogramm »Oportunidades« – 800 Pesos alle zwei Monate für jede Mutter im Haushalt. Doch mit den Zahlungen gibt es gerade Probleme. »Da müssen wir mit dem Zuständigen reden«, beruhigt Abel Barrera und bittet um ein paar Unterlagen, bevor es zurückgeht nach Tlapa. »In La Montaña zu leben, heißt mit Hunger zu leben, krank geboren zu

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»Eine Maisernte im Jahr, das bringt gerade einmal Tortillas für vier Monate.« Die Gemeinde Mini Numa im Hochland von Guerrero.

Zu oft sind sie schon betrogen worden. Dorfbewohnerin in Mini Numa.

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»In La Montaña zu leben, heißt, mit Hunger zu leben, krank geboren zu werden und immer von Krankheiten begleitet zu werden.« werden und immer von Krankheiten begleitet zu werden«, sagt er und spricht von der Diskriminierung, davon, dass die Indigenen in der mexikanischen Gesellschaft im Verborgenen vegetieren. »Es ist diese stille Gewalt, die die Menschen hier tötet.«

Als Tagelöhner in den Norden Zu wenig Nahrung, fehlende Lehrer und eine schlechte Gesundheitsverorgung seien die Probleme, gegen die man zuerst kämpfen müsse, erläutert Barrera, dann muss er weiter, zum nächsten Termin. Einige Mitarbeiter von Tlachinollan machen sich indes mit uns auf den Weg nach Mini Numa, einer weiteren Gemeinde in den Bergen von La Montaña. Nachdem Kinder im Dorf wegen fehlender medizinischer Versorgung starben, setzten die Aktivisten gemeinsam mit den Bewohnern durch, dass eine Gesundheitsstation eröffnet wird. Und nun verlegen sie Rohre und bauen Toilettenhäuschen, um Krankheiten vorzubeugen. Dennoch sind Mauricio Montealegre und die anderen Männer aus Mini Numa, die sich an diesem Nachmittag vor dem Gemeindehaus treffen, gegenüber Fremden zunächst zurückhaltend. Zu oft schon sind sie betrogen worden. Etwa, als plötzlich Bauarbeiter kamen, eine Straße bauten und Häuser zerstörten, ohne die Bewohner zu fragen. Nun planen auch noch Minenunternehmen, in den Bergen Gold, Silber und Zink abzubauen. Und wieder wollte niemand wissen, was die Leute in Mini Numa davon halten. Mehr interessierten sich die Beamten dafür, wer hier in den Bergen Drogen anbaue. »Woher soll ich das wissen, jedem sein Feld, jedem seine Arbeit«, hatte Mauricio Montealegre damals geantwortet. Aber von was soll man leben? Eine Maisernte im Jahr, das bringt gerade einmal Tortillas für vier Monate. »Mehr geben Klima und Boden nicht her«, sagt er. Elf Kinder hat er groß gezogen und zum Glück sind vier von ihnen in New York. Denn ohne deren Geld ginge gar nichts. Praktisch keine Familie kann ohne die Überweisungen leben und wer nicht bis in die USA kommt, geht als Tagelöhner in die großen Plantagen des mexikanischen Nordens. Während der Saison fährt aus Tlapa jeden Morgen ein Bus mit 40 bis 50 Menschen ab , berichten Mitarbeiter von »Tlachinollan«. In der Erntezeit, von September bis Januar, informiert das Zentrum die Saisonarbeiter in einer Kantine über ihre Rechte, bevor sich die »Jornaleros«, die Tagelöhner, auf den Weg machen. Wer jedoch immer fernab der Heimat ist, kann zu Hause kein Feld bestellen, erklärt Tlachinollan-Mitarbeiter Roberto Gamboa Vázquez. »Und wer hier bleibt, wird mit dem Anbau von Mais oder Bohnen nicht weit kommen.« Ein Teufelskreis. Was die Menschenrechtsverteidiger tun können? »Die strukturellen Probleme werden wir nicht lösen«, antwortet Gamboa. »Aber wir können helfen, die Lebensbedingungen zu verbessern.« Nicht mehr, aber auch nicht weniger. In seiner Stimme ist eine Spur Verbitterung zu hören.

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der bundesstaat guerrero USA

Mexiko

Guerrero liegt im Süden Mexikos und ist der drittärmste Bundesstaat des Landes. 85 Prozent der Gemeinden sind in der kleinbäuerlichen Wirtschaft tätig, an der Pazifikküste leben viele vom Tourismus. 130.000 Menschen reisen jedes Jahr in andere Bundesstaaten, um dort saisonal als Tagelöhner in der Agrarindustrie zu arbeiten, eine knappe Million lebt in den USA. 60 Prozent des in Mexiko kultivierten Schlafmohns zur Herstellung von Opium wird in Guerrero angebaut. Von den drei Millionen Einwohnern des Bundesstaates sind 17,2 Prozent Indigene. Die meisten von ihnen leben in den Regionen La Montaña und Costa Chica. La Montaña ist nach UNO-Angaben eine der ärmsten Regionen weltweit. Eines von fünf Kindern stirbt, bevor es sechs Jahre alt wird. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 40 Jahren. Die Hälfte der indigenen Einwohner sind Analphabeten. 40 Prozent der von Indigenen bewohnten Häuser haben keinen festen Boden.

militärisches sonderrecht Nach einem Sonderrecht werden in Mexiko von Armeeangehörigen verübte Verbrechen nur vor Militärgerichten verhandelt – ein wichtiger Grund für die hohe Straflosigkeit im Land. Nur selten werden Soldaten zur Verantwortung gezogen, und wenn, fallen die Urteile meist gering aus. Viele hohe Militärs, die für Folter, Mord und »Verschwindenlassen« von politischen Gegnern in den siebziger Jahren verantwortlich sind, mussten nie für ihre Taten büßen. Auch viele heute von Soldaten verübte Vergewaltigungen oder Misshandlungen bleiben deshalb ungesühnt. Mehrmals forderte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte eine Reform. Im Oktober 2010 kündigte Präsident Felipe Calderón Änderungen an: Folter, Vergewaltigung und »Verschwindenlassen« sollen künftig vor Zivilgerichten verhandelt werden. Diese Verbrechen machen jedoch nur fünf Prozent der von Militärs verübten Menschenrechtsverletzungen aus. Außergerichtliche Hinrichtungen sind beispielsweise von der Reform ausgenommen.

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»Natürlich sind wir ein unbequemer Akteur, weil wir die Regierung bloßstellen.« Abel Barrera Hernández in der Gemeinde Chiepetepec.

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Foto: Ricardo Ramírez Arriola


»Amnesty hat uns im Blick« Ein Gespräch mit Abel Barrera Hernández, Leiter des Menschenrechtszentrums »Tlachinollan« und Träger des Menschenrechtspreises 2011 der deutschen Amnesty-Sektion. Sie stammen aus einer Mittelschichtsfamilie, heute widmen Sie ihr Leben der indigenen Bevölkerung. Hatten Sie damals schon Kontakt mit Indigenen? Meine Kindheit war vom Konflikt zwischen Indigenen und Mestizen bestimmt: Ich lebte mit den Kindern unserer Haushälterin zusammen und spielte mit indigenen Mitschülern. Ich spürte, dass sie mich sehr schätzten. Doch meine Eltern wollten, dass ich mich mit meinen Geschwistern beschäftige, nicht mit den »Indios«. Ich sollte mich nicht mit dieser »minderwertigen« Kultur vergleichen, obwohl meine Großeltern aus einer indigenen Gemeinde stammen. Das rief in mir eine tiefe Krise hervor, ohne dass ich damals richtig verstand, warum. Sie gingen ins Priesterseminar, studierten Theologie. Prägte diese religiöse Ausbildung ihr jetziges Leben? Die Religion spielte eine wichtige Rolle. In meiner Studienzeit arbeitete ich mit kirchlichen Vertretern zusammen, die sich der Befreiungstheologie widmeten. Doch um zu begreifen, warum Indigene diskriminiert werden, musste ich mit meinen familiären und religiösen Denkstrukturen, mit den Denkformen der mestizischen Gesellschaft, brechen. Ich wollte die Indigenen begleiten, stellte aber fest, dass das mit religiösem Einsatz nicht zu leisten war. Ich wollte ihnen als Bürger nahe sein und zugleich Werkzeuge besitzen, um in ihre Welt einzutauchen. Ihre Kultur, Rituale und Visionen waren ja auch für mich ein Mysterium. Deshalb studierte ich Anthropologie. Das lehrte mich auch zu respektieren, dass die tatsächlichen Einwohner unserer Region die Indigenen sind. Später gründeten Sie das Menschenrechtszentrum »Tlachinollan«. War das eine Konsequenz aus den Erfahrungen, die Sie in den indigenen Gemeinden sammelten? Die Menschenrechte kamen erst nach dem Aufstand der Zapa-

tisten in Chiapas 1994 ins Spiel. In ganz Mexiko herrschte damals eine Aufbruchstimmung, die Indigenen wurden zu wichtigen Akteuren. Ich war in laizistischen Gruppen tätig, aber mit einer neu entstandenen Diözese begannen wir, uns für die Menschenrechte einzusetzen. Kurz darauf entstand »Tlachinollan«. Die Region La Montaña galt schon vorher als rebellisch… Es gab hier große Agrarkonflikte, Lehrer kämpften für soziale Gerechtigkeit, seit den siebziger Jahren gibt es auch Guerillagruppen. Diese Kämpfe richteten sich gegen die Kaziken, die lokalen Machthaber. Die Menschenrechte und die Rechte der indigenen Völker spielten jedoch keine Rolle, es ging um Klassenkampf. Das änderte sich eben mit den Zapatisten, und wir haben aus menschenrechtlicher Perspektive auf die Diskriminierung der Indigenen und den Machtmissbrauch der Kaziken hingewiesen. Was bei Eliten und Militärs auf Widerstand stieß… Die Regierung betrachtete uns als zivilen Arm der bewaffneten Gruppen. Dabei hatten wir ganz andere Interessen: Wir wandten uns gegen Folter, Misshandlung und sexuelle Gewalt von Seiten der Soldaten. Noch heute werden wir deshalb als »persona non grata« denunziert. Man wirft uns vor, das dreckige Spiel der organisierten Kriminalität zu spielen. Mit unseren Veröffentlichungen würden wir die Armee schwächen. Werden Sie von den Behörden als Feind gesehen? Natürlich sind wir ein unbequemer Akteur, weil wir die Regierung bloßstellen. Zugleich respektiert man uns aber auch. Wir besitzen ein soziales, ethisches Kapital, das es uns erlaubt, auch mit dem Innenministerium oder der Staatsanwaltschaft zu reden. Selbst mit dem Militär gibt es einen Austausch, etwa wenn Soldaten auf ein Feld getrampelt sind oder Tiere gestohlen haben …

»Diesen Preis verdienen diejenigen, die Folter und Misshandlung erleiden mussten. Jene, die auf dem Boden die Nacht verbringen und hungrig einschlafen müssen.« 32

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Sie leben in ständiger Gefahr. Die Außenstelle von »Tlachinollan« in Ayutla wurde nach der Ermordung eines Mitarbeiters geschlossen. Wie halten Sie diesem Druck stand? Das ist nur zu ertragen, wenn man vollkommen von seinem Tun überzeugt ist. Sonst wird man die erste Gelegenheit nutzen, um das Weite zu suchen. Nach 17 Jahren leben wir heute mit größeren Risiken als damals, als wir mit der Arbeit anfingen. Amnesty International fordert vom mexikanischen Staat, Ihre Sicherheit zu gewährleisten. Ist das sinnvoll, wenn doch häufig gerade Soldaten, Polizisten oder Politiker für Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger verantwortlich sind? Natürlich sind wir misstrauisch. Aber Mexiko hat sich in internationalen Verträgen verpflichtet, dafür zu sorgen, dass wir sicher arbeiten können. Außer den staatlichen Behörden gibt es keine Instanz, die diese Vereinbarungen einhalten muss. Wir haben schon mehrmals von den Behörden eingeklagt, dass sie wegen der Drohungen ermitteln. Zum ersten Mal, als ich im Jahr 2001 bedroht wurde. Leider ist dabei nie etwas herausgekommen, auch entsprechende Anweisungen des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof werden einfach nicht umgesetzt. Die mexikanische Regierung fühlt sich nicht in der Pflicht, unser Leben und unsere Integrität zu garantieren. Amnesty International macht immer wieder auf die Situation von »Tlachinollan« aufmerksam. Hat das Ihre Bedingungen verbessert? Wir verfügen nicht über große Netzwerke, um das, was hier passiert, weltweit öffentlich zu machen, und Amnesty macht unsere Fälle auf internationaler Ebene sichtbar. Zudem kann Amnes-

ty auf viele solidarische Menschen zurückgreifen und schnell reagieren. Amnesty hat uns im Blick und das hilft uns. Sie sind mit dem Menschenrechtspreis 2011 der deutschen Amnesty-Sektion ausgezeichnet worden. Was bedeutet das für Sie persönlich? Es hat mir zu denken gegeben. Diesen Preis verdienen eigentlich diejenigen, die Folter und Misshandlung erleiden mussten. Jene, die auf dem Erdboden die Nacht verbringen und hungrig einschlafen müssen. Sie lehren uns, wie man von unten kämpft. Sie sind die Helden der Menschenrechtsgeschichte. Deshalb ist es etwas unangenehm, dass diese Anerkennung auf mich fokussiert ist. Aber diesen Leuten wird der Preis Stärke geben. Ich will mit ihnen teilen, was sie in diesen Jahren geschaffen haben. Fragen: Wolf-Dieter Vogel

Foto: Ricardo Ramírez Arriola

… die einfacheren Fälle … Das sollte man nicht unterschätzen. Wir beschäftigen uns nicht nur mit den großen, strategischen Fällen. Im Gegenteil: Häufig suchen wir Lösungen am Runden Tisch, auf Gemeindeversammlungen oder bei Ortsterminen in den Flussbetten. Dort treffen wir uns mit den Menschen, dort entsteht die Identität des Menschenrechtsverteidigers, ausgehend von der Situation der Frauen, der Jugendlichen, den Lehrern, den Migranten oder denen, die das Land kultivieren. Da entsteht die Geschichte von »Tlachinollan«.

interview abel barrera hernándeZ Geboren am 10. April 1960, wuchs Abel Barrera Hernández als eines von vier Kindern in Tlapa de Comonfort im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero auf. Mit 13 Jahren schickten ihn seine Eltern aufs Priesterseminar, dann folgten Studienjahre in Mexiko-Stadt. Nach Abschluss eines Theologie- und eines Anthropologiestudiums kehrte er 1991 in seine Heimat zurück. In den Folgejahren machte er anthropologische Untersuchungen in indigenen Gemeinden der Bundesstaaten Puebla, Veracruz und Guerrero. 1994 gründete er mit fünf Mitstreitern das Menschenrechtszentrum der Region La Montaña »Tlachinollan«. Sechs Jahre lang war die Organisation im Hotel von Barreras Vater untergebracht, bis sie in ein neues Gebäude umzog. Dort sind heute 25 Menschen für »Tlachinollan« tätig. Barrera veröffentlichte zudem zahlreiche Artikel und Forschungsarbeiten über Menschenrechtsverletzungen sowie Geschichte, Mythologie und Kultur indigener Völker.

ein preis, der schütZt Mutig und beharrlich. So lässt sich Abel Barrera Hernández´ Einsatz für die Rechte von Landarbeitern und Indigenen im mexikanischen Bundesstaat Guerrero beschreiben. Deshalb erhält er in diesem Jahr den 6. Amnesty International Menschenrechtspreis. Seit 1994 ist Barrera Direktor des Menschenrechtszentrum »Tlachinollan«, das mehrere Erfolge vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof erstritten hat. Unter seiner Leitung hat sich die kleine Organisation zu einer bedeutenden Stimme in der mexikanischen Menschenrechtsbewegung entwickelt. Mit dem Menschenrechtspreis ehrt die deutsche Amnesty-Sektion seit 1998 Persönlichkeiten, die sich unter schwierigen Bedingungen für die Menschenrechte einsetzen. Dabei soll der Preis nicht nur den Blick der Öffentlichkeit auf die Probleme lenken, gegen die der Preisträger ankämpft. Die Öffentlichkeit soll den Preisträger und seine Mitarbeiter auch schützen. Allzu oft werden diejeni-

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gen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, selbst Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Das bestätigt Jenni Williams, Mitgründerin der Organisation Women and Men of Zimbabwe Arise (WOZA), die sich friedlich für die Einhaltung der Menschenrechte und eine Verbesserung der sozialen Lage in Simbabwe einsetzt: »Ich bin heute noch am Leben, weil die internationale Gemeinschaft und die Medien von unserer Arbeit erfahren haben.« Ihre Organisation wurde 2008 mit dem 5. Menschenrechtspreis von Amnesty ausgezeichnet. Weitere Preisträger waren Monira Rahman mit der Organisation Acid Survivors Foundation (2005), welche die Opfer von Säureattentaten in Bangladesch betreut, die russische Menschenrechtsverteidigerin Swetlana Gannuschkina (2003) und die türkische Anwältin Eren Keskin (2001). Die erste Auszeichnung im Jahr 1998 wurde gleich an zwölf Menschenrechtler übergeben.

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Täter ohne Spuren Wer sich in Mexiko für Menschenrechte einsetzt, riskiert oft sein Leben. Mit dem Einsatz des Militärs im Drogenkrieg hat sich die Lage weiter verschärft.

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ie schafft es gerade noch auf die andere Straßenseite, dann wird Marisela Escobedo von ihrem Verfolger erschossen. Keine 30 Meter von dem Kreuz entfernt, das sie und andere Aktivistinnen vor dem Regierungspalast des Bundesstaates Chihuahua aufgestellt haben. »Ni una muerta más!« – »Nicht eine Tote mehr!« – fordern die Frauen dort Tag für Tag, und immer ist die 52-jährige Escobedo mit dabei. Denn auch ihre Tochter wurde ermordet, so wie unzählige Mädchen und Frauen in der nordmexikanischen Region. Allein in der Grenzstadt Ciudad Juárez forderte der sogenannte Feminicidio nach Angaben der Bundesstaatsanwaltschaft im vergangenen Jahr 306 Opfer. Am 16. Dezember 2010 traf es die Mutter Escobedo – ihr Einsatz gegen das Morden kostete sie nun selbst das Leben. Wenige Wochen später, über 3.000 Kilometer entfernt, im südöstlichen Bundesstaat Oaxaca: Auf einer einsamen Landstraße werden am 25. Januar 2011 in einem Transporter die Leichen des Bauernführers Renato Cruz Morales und dessen Begleiter gefunden. Die beiden sind mit einem »Gnadenschuss« hingerichtet worden. Von den Tätern fehlt jede Spur. Schon lange war der Leiter einer Kleinbauernorganisation den örtlichen Machthabern ein Dorn im Auge. Unter fadenscheinigen Vorwänden saß Cruz bereits im Gefängnis, nachdem er sich am Aufstand in Oaxaca im Jahr 2006 beteiligt hatte. Über den Mord an Morales berichtet der Journalist Pedro Matías in der mexikanischen Wochenzeitung »Proceso«. Er kritisiert die »fehlende Sicherheit für soziale Aktivisten« und schreibt über die vielen Attentate gegen Gewerkschafter, Menschenrechtsverteidiger und oppositionelle Politiker in der indigen geprägten Region. Auch er selbst wurde im Oktober 2008 in der Landeshauptstadt Oaxaca de Juárez entführt, nach einem Tag aber wieder freigelassen. »Immer wieder drohten sie, mich zu vergewaltigen und zu töten«, erinnert er sich an die

schlimmste Nacht seines Lebens. Wer hinter dem Angriff steckte, weiß er bis heute nicht mit Sicherheit. Die Regierung, vermutet er. Schließlich habe er während des Aufstands über dem Gouverneur nahestehende paramilitärische Gruppen und das brutale Vorgehen der Polizei berichtet. »Wenn es deine Arbeit ist, die Regierung zu kritisieren, die Menschenrechte einzuklagen oder darauf hinzuweisen, dass noch immer sieben Menschen verschwunden sind, dann wird man zum Hindernis«, erklärt Matías. Ob Journalist, Kleinbauernvertreter oder Frauenrechtlerin, wer sich in Mexiko für Menschenrechte einsetzt, lebt gefährlich. Lebensgefährlich. 2010 startete Amnesty International 43 Eilaktionen, um Menschenrechtsverteidiger in Mexiko zu schützen. Mit Marisela Escobedo starben innerhalb eines Jahres drei Frauen eines gewaltsamen Todes, die gegen das Morden in Ciudad Juárez kämpften. Am 25. Februar 2011 wurden nahe der Stadt drei Angehörige der im Januar 2010 ermordeten Aktivistin Josefina Reyes tot aufgefunden, im vergangenen August töteten Unbekannte ihren Bruder. Im Oktober 2010 sprach die Staatliche Menschenrechtskommission (CNDH) von mindestens 65 getöteten Journalisten in den vergangenen zehn Jahren. Tendenz steigend. Damit ist Mexiko das zweitgefährlichste Land für Medienschaffende. Regelmäßig werden Mitarbeiter regionaler Zeitungen ermordet, die über das Treiben der Drogenbarone und deren Verstrickung zu lokalen Machthabern und korrupten Politikern berichten. Zunehmend richten sich die Angriffe aber auch gegen Gemeinderadios, mit denen Indigene, Bauern und linke Aktivisten in abgelegenen Dörfern auf Sendung gehen. Häufig sind wohl Killer der Drogenkartelle für diese Angriffe verantwortlich. Jenseits von Recht und Gesetz gehen sie skrupellos gegen alle vor, die ihnen im Weg stehen. Doch auch Sicherheitskräfte greifen Medienschaffende an. »Polizei und Armee

gefährliche reise Rassistische Übergriffe, Vergewaltigungen, Entführungen oder Mord – wer als Migrant über Mexiko in die Vereinigten Staaten reist, muss mit allem rechnen. 20.000 Auswandernde wurden im vergangenen Jahr entführt, informierte der Leiter der Staatlichen Menschenrechtskommission (CNDH) Raúl Plascencia Villanueva im Januar 2011. Vor allem Mitglieder der Mafiagruppe »Zetas«, aber auch kriminelle Jugendbanden verschleppen die Reisenden auf ihrem Weg in den Norden. Sie fordern Lösegelder von in den USA lebenden Angehörigen, rauben den Flüchtlingen ihr letztes Hab und Gut, zwingen sie zur Prostitution oder zum Einsatz im Drogengeschäft. »Wer nicht zahlen kann, wird ermordet«, erklärt Mario Santiago von der Organisation »Fundación I(dh)eas«.

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Im August vergangenen Jahres entdeckten Soldaten auf einer Ranch im Bundesstaat Tamaulipas die Leichen von 58 Männern und 14 Frauen aus Ecuador, Brasilien und mittelamerikanischen Ländern. Sie seien von den »Zetas« entführt worden und hätten sich geweigert, Lösegeld zu zahlen, erklärte ein Überlebender. Rupert Knox vom AI-Team Mexiko in London macht die Regierung mitverantwortlich: »Die fortgesetzte Untätigkeit der Behörden bei Übergriffen gegen illegale Einwanderer hat deren Reise durch Mexiko zu einer der gefährlichsten in der Welt gemacht.« Die Migranten hätten praktisch keinen Zugang zu den Gerichten. »Sie leben in ständiger Angst vor Repressalien und Abschiebung, sollten sie über einen Missbrauch berichten«, so Knox. Eine Reform soll nun die Rechte der Migranten stärken.

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Allein in der Grenzstadt Ciudad Juárez forderte der sogenannte Feminicidio nach Angaben der Bundesstaatsanwaltschaft im vergangenen Jahr 306 Opfer. zungen kaum strafrechtlich verfolgt werden. Praktisch keiner der Militärs, die in den siebziger Jahren politische Gefangene gefoltert, verschleppt oder ermordet haben, wurde zur Verantwortung gezogen. Im März 2009 bestätigte ein Bundesgericht die Einstellung des Verfahrens gegen den ehemaligen Präsidenten Luis Echeverría, dem im Zusammenhang mit einem Massaker an Studenten 1968 in Mexiko-Stadt Völkermord vorgeworfen wurde. Unbestraft blieben auch die sexuellen Übergriffe auf 26 festgenommene Demonstrantinnen im Jahr 2006 in dem Dorf San Salvador Atenco sowie zahlreiche Morde paramilitärischer Gruppen während der Rebellion in Oaxaca. Im November 2009 wies der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof die mexikanische Regierung an, die für die Frauenmorde in Ciudad Juárez verantwortlichen Täter angemessen zu verfolgen und Maßnahmen einzuleiten, um weitere Fälle zu verhindern. Seitdem sei wenig passiert, erklärte die Leiterin der staatlichen Beobachtungsstelle für Frauenmorde und »Verschwindenlassen«, Irene Miramontes im Juli 2010: »Jeden Tag kommt eine Frau gewaltsam ums Leben. Die Zahl der im Jahr 2010 begangenen Frauenmorde ist bereits so hoch wie die Summe aller Morde aus den letzten fünf Jahren.«

Foto: Gael Gonzalez / Reuters

spielen bei der Verletzung von Menschenrechten und Pressefreiheit eine bedeutende Rolle«, stellt die Organisation Reporter ohne Grenzen fest. Über die tatsächlichen Hintergründe der Angriffe auf Journalisten, Frauenrechtlerinnen oder Menschenrechtsverteidigerinnen ist allerdings wenig bekannt. Angesichts der über 35.000 Toten, die seit Beginn des von Präsident Felipe Calderón im Dezember 2006 erklärten Krieges gegen die Drogenmafia verzeichnet wurden, verschwindet der einzelne Fall. 90 Prozent der Opfer seien aus dem kriminellen Milieu, behauptet Calderón. Stimmt das? Wurden diese Menschen von Soldaten gefoltert oder hingerichtet? Und was ist mit den verbleibenden zehn Prozent? Fragen, die sich auch Edgar Cortez stellt, der bis 2010 das Menschenrechtsnetzwerk »Todos los derechos para todas y todos« koordinierte. »Da in den meisten Fällen erst gar keine juristischen Ermittlungen stattfinden, wissen wir weder, was genau passiert ist, noch wer die Täter sind«, erklärt Cortez. Korrupte Politiker, Polizisten und Juristen sowie eine Gesetzgebung, die Soldaten vor zivilen Gerichtsverfahren schützt, sorgen schon lange dafür, dass in Mexiko Menschenrechtsverlet-

»Nicht eine Tote mehr.« Aktivistin in Ciudad Juárez, Januar 2011.

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Berichte

38 Interview: Sihem Bensedrine 41 Tunesien: Amnesty-Bericht über Polizeigewalt 42 Hintergrund: Arabische Welt im Umbruch 44 Ägypten: Die unvollendete Revolution 46 Jemen: Gewalt gegen Frauen 48 Kolumbien: Außergerichtliche Hinrichtungen 50 Kirgistan: Übergriffe gegen usbekische Minderheit

Gebildet und gut informiert. Demonstrant in Tunis, 23. Januar 2011. Foto: Christopher Furlong / Getty Images

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»Die revolutionäre Welle rollt unaufhaltsam« »Die Geheimpolizei können wir schon mal abschaffen.« Demonstration in Tunis, 23. Januar 2011.

Ein Gespräch mit der tunesischen Journalistin und Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine über die Revolution in ihrem Heimatland und die historischen Proteste in der arabischen Welt. Mit Fotos von Christopher Furlong / Getty Images 14. Januar 2011, der Höhepunkt der Proteste in Tunesien: Morgens kehren Sie aus dem Exil zurück. Abends flieht Präsident Zine el Abidine Ben Ali nach Saudi-Arabien. Wie haben Sie diesen Tag erlebt? Mein Mann und ich haben den Flughafen von Tunis fast nicht wiedererkannt: 23 Jahre lang hatten uns Polizisten bedroht, Leibesvisitationen verlangt, uns Reisedokumente und Bücher abgenommen. Diesmal: gar nichts. Aber als wir das Flughafengebäude verließen, bekamen wir richtig Angst. Überall lauerten Scharfschützen, ihre Waffen auf die Leute gerichtet. Nun haben sie das Land den Milizionären und Todesschwadronen überlassen, dachte ich. Zum Glück haben Sie sich getäuscht. Und wie! Gleichzeitig belagerten 20.000 Menschen das Innen-

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ministerium im Zentrum von Tunis. Die Leute forderten natürlich den Rücktritt von Ben Ali. Ich glaube, Ben Ali begriff, dass die Leute nicht lockerlassen würden. Als er Tunesien verließ, rechnete er trotzdem fest mit seiner Rückkehr als Präsident. Sein Premierminister sollte ihn ja nur übergangsweise vertreten, hieß es zuerst. Wie später auch in Ägypten hat die tunesische Armee die Demonstranten gewähren lassen. Das tunesische Militär hat eine entscheidende Rolle gespielt, davon bin ich überzeugt. Sie haben Ben Ali zum Verlassen des Landes gedrängt und ihm vorgegaukelt, er könne später zurückkommen. Ich glaube auch, dass andere Staaten, besonders die USA, dabei geholfen haben. Aber die Grundlage von allem bleibt die Revolte des Volkes, das fest entschlossen war, den Diktator zu stürzen – und dafür zu Opfern bereit war. Warum lebten Sie seit Januar 2010 im Exil in Barcelona? Seit Jahrzehnten bekämpfte das Regime die Opposition, Organisationen wie Amnesty International haben unentwegt darauf aufmerksam gemacht. Mit den letzten Wahlen im Herbst 2009

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wurde dieser Kampf immer erbitterter. Ich und andere Oppositionelle wollten die Europäische Union davon abhalten, Tunesien bei den Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen einen sogenannten »fortgeschrittenen Status« in den Beziehungen zu gewähren. Bis heute hat die EU das nicht getan. Ich wurde ständig von 15 bis 20 Männern bewacht, die vor meinem Haus warteten und mir überallhin folgten. Wenn sie dachten, ich würde einen Oppositionellen treffen, hinderten sie mich daran, in Cafés zu gehen. Auch die Presse griff mich an: Ich war wahlweise eine Agentin Israels, der Hamas oder eine Prostituierte. Im Dezember 2009 schrieb ich einen offenen Brief mit dem Titel »Nehmen Sie Ihren Hut, Herr Präsident!«. Kurz darauf gingen mein Mann und ich ins Exil. Nun leben Sie wieder dauerhaft in Tunesien? Ja, wir kümmern uns gerade um Genehmigungen und Frequenzen für unseren Radiosender Kalima … … Tunesiens einzigen unabhängigen Sender, den Sie mit Freunden gründeten. Vor zwei Jahren wurde Radio Kalima verboten und Sie sendeten nur noch im Internet. Genau. Wir hatten zwar Reporter in Tunesien, aber unsere Techniker saßen in München, Köln, Marseille und Barcelona. Das war nötig, weil sich die Polizei bei uns einschleusen wollte. Nun wird der gesamte Sender wieder seinen Sitz in Tunis haben. Sie sind Sprecherin des »Nationalen Rats für die Freiheitsrechte in Tunesien«. Wie will Ihre Menschenrechtsorganisation zur Demokratisierung Tunesiens beitragen? Das Regime hatte seine Kraken überall, in der Verwaltung, den öffentlichen Firmen, der Wirtschaft. Da müssen wir jetzt aufräumen. Auf einer Tagung haben wir zwei Kräfte zusammengebracht: diejenigen, die die Revolution gemacht haben – also junge Leute und die Bewohner des Landesinneren –, und diejenigen, die 23 Jahre lang gegen Ben Ali Widerstand geleistet haben. Wir waren uns einig, dass wir die zersplitterten demokratischen Kräfte vereinen müssen, um die Revolution zu schützen. Wir ha-

»Das Regime hatte seine Kraken überall, in der Verwaltung, der Wirtschaft.« ben einen Ausschuss gegründet, der alle Regionen besucht, um lokale Komitees zum Schutz der Revolution aufzubauen. Meinen Sie den »Rat zur Verteidigung der Revolution«? Das war in der Tat unser ursprünglicher Plan, dann hat sich aber das Establishment des alten Regimes in diesen Rat eingeschleust. Deshalb bauen wir dieses Organ nun von unten auf. Die lokalen Komitees sollen dann auf einem Konvent einen Rat zum Schutz der Revolution wählen. Wir arbeiten daran und an zwei anderen, dringenden Aufgaben. Die wären? Wir müssen unsere Justiz reformieren, sie einsatzfähig machen. Das ist einfach, weil die meisten unserer Richter aufrichtig sind und einen solchen Wandel herbeiführen können. Eine Reform des Obersten Gerichtsrates würde schon reichen, um die korrupten Richter und Staatsanwälte zu entfernen. Gleichzeitig sollten junge Akademiker mit Jura-Abschluss eingestellt werden und eine beschleunigte Ausbildung erhalten. Und die zweite Baustelle? Wir müssen unser Wahlgesetz reformieren und eine Verfassungsgebende Versammlung wählen. Wenn beides auf den Weg gebracht ist, ist der Übergang quasi gesichert.

»Das Gesicht der arabischen Welt wird sich verändern.« Demonstranten nahe des Präsidentenpalastes in Tunis, 25. Januar 2011.

INTERVIEW

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SIHEM BENSEDRINE

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Beispiel auch die Kommunisten, ihren Platz haben. Dieses Recht haben die Islamisten übrigens teuer bezahlt: Die Folteropfer Ben Alis kommen aus ihren Reihen. Warum fingen die Proteste in der arabischen Welt in Tunesien an? Und warum mündeten sie in eine Revolution – im Gegensatz etwa zu den früheren Aufständen? Das werden die Historiker beantworten müssen. Mein Eindruck ist: Man hat lange gedacht, das tunesische Volk würde endlos die Diktatur, die Demütigungen und Entwürdigungen ertragen. Bei den Aufständen im Winter 1999/2000 hat das halbe Land protestiert, aber im Ausland hat es fast niemand mitbekommen. Schon damals hat Ben Ali verstanden, dass die Jugend sein größter Feind ist. Dementsprechend hat er sie dann bekämpft.

Für ein Land mit zehn Millionen Einwohnern hat Tunesien einen enormen Polizeiapparat. Was soll mit den 100.000 Beamten geschehen? Wir brauchen weiterhin Polizisten, aber natürlich nicht 100.000. Die Geheimpolizei können wir schon mal abschaffen. Dann gibt es diejenigen, die weder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, noch nachweislich korrupt waren, aber Fehler gemacht haben. Das tunesische Volk ist bereit zu vergeben – wenn diese Beamten Selbstkritik üben und sich entschuldigen. Und wenn es sonst noch irgendwo zu viel Personal gibt: Es gibt tausend Sachen zu tun! Können Menschenrechtsorganisationen nun wieder arbeiten? Ja, alle Organisationen arbeiten wieder, fast 24 Stunden am Tag. Jeder spezialisiert sich auf ein bestimmtes Gebiet. Zum Beispiel sammelt die Tunesische Menschenrechtsliga Bürgerbeschwerden. Wir vom Rat für Freiheitsrechte möchten die Energie der Demonstrationen, die es täglich im ganzen Land gibt, in positive Vorschläge ummünzen. Diese Menschen können ein Bollwerk sein gegen eine Regierung, mit der wir nicht zufrieden sind, aber die wir als Übergangslösung akzeptieren. Oft wird davor gewarnt, dass sowohl in Ägypten als auch in Tunesien die Islamisten die großen Gewinner der Revolution sein könnten. Wie begründet ist die Angst vor einem »zweiten Iran«? Ich sehe hauptsächlich eine Gefahr für unsere junge Demokratie: Die Geheimpolizei des alten Regimes, die immer noch überall ist. Die Muslimbruderschaften sind also keine Gefahr? Ich glaube keineswegs, dass die Islamisten heute dazu fähig sind, unsere politische Bühne zu dominieren. Mit diesem Schreckgespenst hat man sehr lange die Diktaturen gerechtfertigt. Der Rat für Freiheitsrechte teilt nicht die Ideen des Islamismus. Unsere Position ist aber, dass alle Bewegungen, zum

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Mubarak und Ben Ali hat das Volk schon gestürzt, in fast allen Nachbarländern gibt es Proteste. Erlebt jetzt die gesamte arabische Welt einen Aufbruch? Die revolutionäre Welle rollt unaufhaltsam. Sie wird das Gesicht der arabischen Welt verändern. Die Region wurde von ausländischen Mächten dominiert, die uns ihre Diktatoren aufzwangen. Mittlerweile haben selbst die Europäer verstanden, dass sie auch ohne Gewalt Beziehungen zu uns pflegen können. Die arabische Welt wird einer der Pole sein, die die Geschicke der Welt mitbestimmen. Sie wird sich nicht mehr dem Willen der anderen unterwerfen. Fragen: Martin Sander

interview sihem bensedrine

Foto: dpa

Bereit zu Opfern. Verletzter Demonstrant. Tunis, 21. Januar 2011.

Der große Anteil junger, gebildeter Menschen in den arabischen Ländern gilt als ein Auslöser der Proteste. Die jungen Tunesier hatten nichts zu verlieren. Vor allem aber sind sie gebildet, gut informiert und haben ein politisches Bewusstsein. Sie sprechen Arabisch und Französisch, oft noch eine dritte oder vierte Sprache. Sie sind weltoffen, nutzen intensiv ausländische Medien. Es heißt oft, die Tunesier wussten nichts vom Ausmaß der Korruption und dem moralischen Bankrott des Regimes. Genau das aber war Thema der »Noktas«, der kleinen Geschichten, die die Tunesier erfanden, um das Regime lächerlich zu machen. Vor allem Jugendliche haben die Noktas anonym im Internet verbreitet. Und schließlich war für den raschen Erfolg der Revolution sicher förderlich, dass wir ein kleines, eher homogenes Volk sind.

Die Journalistin ist seit 1980 in einer tunesischen Menschenrechtsorganisation aktiv. Als eine der bekanntesten Persönlichkeiten des Widerstands gegen die Diktatur Ben Alis war sie vielfältigen Repressionen ausgesetzt. Im Jahr 2000 wurde sie wegen ihrer kritischen Berichte mehrfach inhaftiert und schwer gefoltert. Für ihren Mut ist Bensedrine vielfach ausgezeichnet worden. So erhielt sie im Juli 2001 den Menschenrechtspreis für bedrohte Journalisten der britischen Amnesty-Sektion und 2002 den Johann Philipp Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit.

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Zivilisten unter Beschuss Am 14. Januar stürzte die tunesische Bevölkerung den autoritären Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali. Viele Demonstranten mussten die Revolution mit ihrem Leben bezahlen, weil Polizei und Sicherheitskräfte brutale und rechtswidrige Gewalt gegen sie einsetzte. Von Anna Rimpl Vermutlich war es ein Scharfschütze. Ein Arzt stellte später fest, dass die Kugel Manal Boualagi in die Brust getroffen hatte. Die 26-Jährige wurde am 9. Januar am Rande einer Demonstration in der tunesischen Stadt Regueb tödlich verletzt. Eine Verwandte erinnert sich: »Wir haben uns unterhalten und gingen zu Manals Haus, wo ihre Kinder waren. Plötzlich schrie sie und fiel zu Boden.« Manal Boualagi starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Mindestens 147 Menschen kamen bei den Protesten gegen die ehemalige Regierung von Präsident Zine El Abidine Ben Ali ums Leben. Weitere 72 Menschen starben bei Gefängnisunruhen. Ein aktueller Bericht von Amnesty International liefert deutliche Hinweise dafür, dass viele Demonstranten durch rechtswidrige oder unverhältnismäßige Gewalt der tunesischen Sicherheitskräfte getötet wurden. Amnesty sprach mit Angehörigen, Menschenrechtsverteidigern und medizinischem Personal in verschiedenen tunesischen Städten. Sie berichteten, mit welcher Brutalität die Polizei unter Einsatz von Gummigeschossen, Schlagstöcken und Tränengas gegen die Demonstranten vorgegangen war. Unbeteiligte und flüchtende Demonstranten wurden erschossen, obwohl keine Gefahr von ihnen ausging. Auch Manal Boualagi hatte nicht an den Protesten teilgenommen. »Das Verhalten der tunesischen Sicherheitskräfte zeugt von einer beispiellosen Verachtung für das menschliche Leben«, sagte Malcolm Smart, Leiter der Abteilung Naher und Mittlerer Osten und Nordafrika bei Amnesty. Aber nicht nur auf offener Straße wurde Gewalt angewandt. In der Zeit vor und nach der Flucht von Präsident Ben Ali kamen Hunderte Protestteilnehmer in Haft. Es gab viele Berichte, dass sie dort tagelang misshandelt wurden, um sie von weiteren Demonstrationen abzuhalten oder in einigen Fällen um Informationen zu erpressen. Ausgangspunkt der Protestwelle war der Selbstmord des jungen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi im Dezember 2010. Wenige Wochen später hatte sie ganz Tunesien erfasst. Immer mehr Menschen beteiligten sich an den Kundgebungen und forderten Würde, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und erhöhten dadurch den Druck auf die tunesische Regierung. In einem letzten Versuch seine Macht zu sichern, ersetzte Ben Ali am 12. Januar den Innenminister und machte politische Zugeständnisse. Nach 23 Jahren Korruption, Selbstgefälligkeit und Unterdrückung ließ sich die tunesische Bevölkerung jedoch nicht mehr besänftigen. Am 14. Januar musste Ben Ali ins Exil fliehen. Doch auch zwei Wochen nach seinem Sturz lösten Polizeieinheiten gewaltsam eine Sitzblockade vor dem Parlamentsgebäude auf. »Die neue Regierung muss sicherstellen, dass alle Tötungs- und Foltervor-

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würfe so schnell wie möglich untersucht werden«, sagte Malcolm Smart. Dazu hat die tunesische Übergangsregierung eine Kommission eingerichtet, die die Menschenrechtsverletzungen während der Proteste untersuchen soll. Amnesty begrüßte die Entscheidung, stellte allerdings Forderungen zu deren effektiver Umsetzung. So soll der Zugang zu allen notwendigen offiziellen Dokumenten gewährleistet sein und es müssen konkrete Maßnahmen unternommen werden, um ähnliche Ereignisse in der Zukunft zu verhindern. Dazu gehören zum Beispiel eine gründliche Reform der Sicherheitskräfte und die Anweisung, Gewalt nur in äußersten Notsituationen einzusetzen. Zusätzlich fordert Amnesty, dass Betroffene sowie Hinterbliebene der Opfer entschädigt und all diejenigen, die für rechtswidrige Tötungen und unverhältnismäßige Gewalt verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Auch Chadia Boualagi, die Mutter der getöteten Manal Boualagi, fordert Gerechtigkeit für die Tötung ihrer Tochter. »Manal hinterlässt zwei kleine Kinder, die ohne die Zuneigung ihrer Mutter aufwachsen müssen«, sagte Chadia gegenüber Amnesty. »Alles, was ich will, ist, dass sie später ein Leben in Würde führen können.« Die Autorin ist Mitglied der Tunesien-Ländergruppe von Amnesty. Den vollständigen Bericht »Tunisia in Revolt« finden Sie auf www.amnesty.org

Gerechtigkeit für die Opfer. Demonstrantin in Tunis, 24. Januar 2011.

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tunesien

Arabische Welt im Umbruch Die Proteste der Menschen im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika sind das Resultat jahrelanger Unterdrückung durch autoritäre Herrscher. Ein Länderüberblick.

marokko und westsahara

algerien

Mitte Januar führten regierungskritische Proteste in ganz Tunesien zum Sturz des Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali. Tunesische Sicherheitskräfte gingen während der Auseinandersetzungen mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten vor. Dabei starben mindestens 147 Menschen, über 500 wurden verletzt. Während Ben Alis 23-jähriger Amtszeit wurden Menschenrechte regelmäßig verletzt, kritische Meinungen unterdrückt und Gefangene gefoltert. Kamel Jendoubi ist ein bekannter tunesischer Menschenrechtler und lebt seit 1994 im französischen Exil. Nach dem Sturz Ben Alis konnte er erstmals wieder in sein Heimatland einreisen. Staatsoberhaupt: Interimspräsident Fouad Mebazaa Einwohner: 10,3 Mio. Durchschnittsalter: 29,1 Jahre Alphabetisierungsrate: 77,7% Internetnutzer: 27,1% Bevölkerung unter der Armutsgrenze: 7,6%

Die Proteste der Bevölkerung richten sich gegen die hohe Arbeitslosigkeit, gestiegene Lebensmittelpreise und Wohnraumnot. Bei den Unruhen seit Beginn dieses Jahres kamen mindestens drei Menschen ums Leben, etwa tausend wurden verletzt. Menschenrechtsverteidiger und Journalisten sind den Schikanen der Behörden ausgesetzt. Personen unter Terrorismusverdacht werden wochenlang festgehalten, ihnen drohen Folter und Misshandlung. Amine Sidhoum ist einer der wenigen Rechtsanwälte, der Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Terrorbekämpfung kritisiert. Weil er dadurch angeblich die »algerische Justiz in Verruf« bringt, wurde er 2008 zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Staatsoberhaupt: Abdelaziz Bouteflika Einwohner: 34,9 Mio.

libyen

Das Recht auf Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Kritische Journalisten müssen mit Haftstrafen rechnen. Menschenrechtsverteidiger, die sich für die Selbstständigkeit der Westsahara aussprechen, werden drangsaliert. Im vergangenen November wurde ein sahrauisches Protestcamp gewaltsam von Sicherheitskräften geräumt. Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus werden festgenommen und kollektiv abgeschoben. Chekib El-Khiari ist Journalist, Menschenrechtsverteidiger und Gründer der Menschenrechtsorganisation »Association du Rif des droits de l’homme«. Derzeit muss er eine dreijährige Haftstrafe verbüßen, wegen angeblicher »Untergrabung und Beleidigung öffentlicher Institutionen«. Staatsoberhaupt: König Mohammed VI. Einwohner: 32 Mio. Durchschnittsalter: 26,2 Jahre

Durchschnittsalter: 26,2 Jahre

Durchschnittsalter: 26,2 Jahre

Alphabetisierungsrate: 55,6%

Alphabetisierungsrate: 75,4%

Alphabetisierungsrate: 86,8%

Internetnutzer: 33%

Internetnutzer: 11,9%

Internetnutzer: 5,1%

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: 19%

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: 22,6%

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: k.A.

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Muammar al-Gaddafi ist bereits seit über 41 Jahren an der Macht. Hunderte Fälle von »Verschwindenlassen« und anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen sind bis heute nicht aufgeklärt. Der Interne Sicherheitsdienst (ISA), der daran beteiligt war, kann noch immer straflos operieren. Libyen hält weiterhin an der Todesstrafe fest. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sind stark eingeschränkt. Jamal al-Hajji ist ein Autor mit dänisch-libyscher Nationalität. In der Vergangenheit wurde er mehrere Male inhaftiert, weil er zu friedlichen Demonstrationen aufgerufen und die Regierung kritisiert hatte – zuletzt bei den Unruhen im Februar 2011. Staatsoberhaupt: Muammar al-Gaddafi Einwohner: 6,4 Mio.

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palästinensische autonomiegebiete

syrien

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist durch die israelische Militärblockade verheerend. Sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen wird freie und kritische Berichterstattung unterdrückt. Das Justizwesen funktioniert nur äußerst eingeschränkt. Vermeintliche »Kollaborateure« werden willkürlich und ohne Gerichtsverfahren festgehalten. Gefangene in Untersuchungshaft werden häufig geschlagen und mit Schlafentzug gequält. Die NGO Sharek Youth Forum unterstützt die Organisation von Sommercamps für Kinder im Gazastreifen. Im November musste die NGO die Arbeit auf Anordnung der Hamas-Behörden kurzzeitig einstellen. Ihre Mitarbeiter wurden in der Folgezeit schikaniert. Leiter der Autonomiebehörde: Mahmoud Abbas Einwohner: 4,3 Mio.

Seit 1963 gilt in Syrien der Ausnahmezustand. Sicherheitskräfte haben damit weitreichende Regierungsbefugnisse, oppositionelle Meinungen zu unterdrücken. Politische Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Blogger oder Angehörige der kurdischen Minderheit werden willkürlich festgenommen und über lange Zeiträume hinweg inhaftiert. Folter und andere Misshandlungen auf Polizeiwachen sind an der Tagesordnung. Muhannad al-Hassani ist ein bekannter Menschenrechtsanwalt und Präsident der syrischen Menschenrechtsorganisation »Sawasiya«. Derzeit muss er eine dreijährige Haftstrafe wegen »Schwächung des Nationalgefühls« verbüßen. 2010 erhielt er den Martin Ennals-Menschenrechtspreis. Staatsoberhaupt: Bashar al-Assad Einwohner: 21,9 Mio.

Regierungskritische Proteste der schiitischen Bevölkerungsmehrheit werden von Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt. Mehrere Menschen kamen im Februar dabei ums Leben oder wurden verletzt. Die Meinungsfreiheit ist eingeschränkt, einige Internetseiten werden gesperrt. Führende Oppositionelle werden festgenommen. Berichte über Folter in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt werden nicht aufgeklärt. Ali Abdulemam ist ein bekannter Menschenrechtsaktivist, Blogger und Gründer der populären Nachrichtenseite »BahrainOnline«. Von September 2010 bis Februar 2011 saß er in Haft, weil er angeblich »falsche Nachrichten« verbreitet hatte. Staatsoberhaupt: König Hamad bin ’Issa Al Khalifa Einwohner: 0,8 Mio.

Durchschnittsalter: 17,6 Jahre

Durchschnittsalter: 22,5 Jahre

Durchschnittsalter: 28,1 Jahre

Alphabetisierungsrate: 93,8%

Alphabetisierungsrate: 83,1%

Alphabetisierungsrate: 88,8%

Internetnutzer: 9%

Internetnutzer: 17,3%

Internetnutzer: 51,9%

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: k.A.

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: k.A.

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: k.A.

ägypten

bahrain

Landesweite Proteste zwangen den ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak im Februar zum Rücktritt. Während seiner 30-jährigen Regierungszeit wurde die Opposition unterdrückt. Eine seit 1981 geltende Notstandsgesetzgebung wurde dazu benutzt, Kritiker willkürlich festzunehmen und ohne Gerichtsverfahren zu inhaftieren. Folter und andere Misshandlungen in Polizeistationen waren alltäglich. Bei den Protesten im Februar wurden mindestens 365 Menschen getötet und über 5.500 verletzt. Zahlreiche Menschenrechtler wurden während des Umsturzes inhaftiert und teilweise misshandelt: Darunter Mitarbeiter des »Egyptian Centre for House Rights« und des »Hisham Mubarak Law Centre«, der Organisationen Amnesty International und Human Rights Watch sowie Aktivisten der Bewegungen »6. April«. Staatsoberhaupt: Militärische Interimsregierung Einwohner: 83 Mio.

jordanien

jemen

Auch in Jordanien wird seit Anfang des Jahres regelmäßig gegen Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit demonstriert. In der Vergangenheit kam es in jordanischen Gefängnissen immer wieder zu Folter und Misshandlungen. Tausende Personen befanden sich ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft. Journalisten und Kritiker können wegen »Beleidigung« des Königs, der Justiz und »Verunglimpfung« der Religion strafrechtlich belangt werden. 24 Frauen wurden 2009 im Namen der »Familienehre« getötet. Asma Khader ist Anwältin und setzt sich für die Rechte von Frauen in Jordanien ein. Sie war Vorsitzende der »Jordanian Women’s Union«, der Organisation »Law for the Human« und ist Mitgründerin der jordanischen Sektion des »Sisterhood is global Institute«. Staatsoberhaupt: König Abdullah II. Einwohner: 6,3 Mio.

Im Februar wurden bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Regimegegnern und Regimeanhängern mehrere Menschen getötet und verletzt. Die Demonstranten forderten ein Ende der Korruption und den Rücktritt des Präsidenten Ali Abdullah Saleh. In der Vergangenheit kam es bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Rebellen in der Provinz Sa’da zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen. Seit Ausbruch des Konflikts wurden mehr als 300.000 Menschen aus ihren Heimatorten vertrieben. 2010 wurden mindestens acht Menschen hingerichtet. Tawakkol Karman ist Menschenrechtsaktivistin, Journalistin und Präsidentin der jemenitischen Organisation »Women Journalists without Chains«. Weil sie die sozialen Proteste im Februar mitorganisierte, erhielt sie eine anonyme Morddrohung. Staatsoberhaupt: Ali Abdullah Saleh Einwohner: 23,6 Mio.

Durchschnittsalter: 23,9 Jahre

Durchschnittsalter: 22,8 Jahre

Durchschnittsalter: 17,8 Jahre

Alphabetisierungsrate: 66,4%

Alphabetisierungsrate: 91,1%

Alphabetisierungsrate: 58,9%

Internetnutzer: 16,6%

Internetnutzer: 27%

Internetnutzer: 1,6%

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: 16,7%

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: 14,2%

Bevölkerung unter der Armutsgrenze: 41,8%

Quellen: World Bank, Human Development Report 2010, Amnesty International Report 2010

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arabische welt im umbruch

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Keine Angst mehr vor Unterdrückung und Gewalt. Tahrir-Platz in Kairo, 18. Februar 2011.

Der politische Wandel in Ägypten muss auch zu einer umfassenden Einhaltung der Menschenrechte führen. Von Jan Busse und Henning Franzmeier »Wir sind alle Khalid Said.« Dies ist der Name einer FacebookGruppe mit mittlerweile über 930.000 Mitgliedern. Der 28-Jährige war im Juni 2010 von Polizisten in Zivil in einem InternetCafé in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria festgenommen und anschließend zu Tode geprügelt worden. Der von Amnesty International dokumentierte Fall, nur einer von vielen, erregte großes Aufsehen in der ägyptischen und internationalen Öffentlichkeit. Zusammen mit weiteren Gruppierungen, wie der »6. April-Jugend«, die sich nach Streiks von Textilarbeitern in der Stadt Mahalla el-Kubra im Jahr 2008 gegründet hatte, entstand so ein lockerer Zusammenschluss von Hunderttausenden, zumeist jungen Menschen, die die Repression der Regierung

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und die massiven sozialen Missstände im Land nicht länger akzeptieren wollten. Inspiriert und ermutigt vom Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali Mitte Januar riefen diese Gruppen dazu auf, den »Tag der Polizei« am 25. Januar, einem Feiertag in Ägypten, in einen »Tag des Zorns« gegen das Regime zu verwandeln. Die Demonstrationen dieses Tages waren der Auftakt eines 18-tägigen Protestes, der letztlich zum Rücktritt des seit 30 Jahren herrschenden Staatspräsidenten Husni Mubarak führte. Mindestens 300 Menschen starben im Verlauf der Proteste, Tausende wurden verletzt. Die Sicherheitskräfte begingen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, insbesondere durch die Anwendung übermäßiger Gewalt gegen Demonstranten und die gezielte Einschüchterung von Aktivisten. Am 3. Februar wurden zum Beispiel zwei Amnesty-Mitarbeiter und etwa 30 ägyptische Menschenrechtsaktivisten durch Angehörige der Militärpolizei fest-

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Foto: Ed Ou / The New York Times / Redux / laif

genommen und erst nach mehr als 24 Stunden wieder freigelassen. Ein junger ägyptischer Demonstrant berichtete Amnesty, er sei nahe des Tahrir-Platzes am 3. Februar aufgegriffen und von Sicherheitskräften gefesselt und gefoltert worden. Mit dem Rücktritt Mubaraks endeten die Proteste zunächst, und der Hohe Militärrat, geführt von Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi, übernahm die Macht in Ägypten. Die Verfassung wurde außer Kraft gesetzt und das Parlament aufgelöst. Anfang März wurde Essam Scharaf zum Ministerpräsidenten ernannt. Aus Sicht der Opposition ein wichtiger Schritt, da Scharaf als politisch integre Persönlichkeit gilt. Allerdings: Trotz Ankündigung des Militärrats wurde der Ausnahmezustand bislang nicht aufgehoben. Der Ausnahmezustand gilt in Ägypten mit einer kurzen Unterbrechung seit 1967. Er erlaubt den Sicherheitskräften unter anderem willkürliche Verhaftungen ohne rechtsstaatliche Grundlage.

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ägypten

Teile der Verfassung sollen durch eine Mitte Februar vom Militärrat eingesetzte Kommission überarbeitet werden, die mittlerweile auch erste Vorschläge vorgelegt hat. Auffällig ist die heterogene Zusammensetzung dieser Kommission, da auch Kritiker der alten Regierung – darunter ein Vertreter der Muslimbrüder – vertreten sind. Diese Entwicklung stellt ebenfalls einen Erfolg für die Opposition dar. Dennoch bleibt die zentrale Frage bestehen, wie ernst es dem Hohen Militärrat mit seinen Reformbemühungen ist. Schließlich ist das Militär Teil der alten Ordnung und darauf bedacht, auch in Zukunft seine herausgehobene Stellung zu erhalten. In Ägypten hat das Militär nicht nur massiven Einfluss auf die Politik. Es kontrolliert zugleich ein Wirtschaftsimperium, das Schätzungen zufolge bis zu 20 Prozent der ägyptischen Wirtschaft umfasst. In einer Demokratie wäre dieser Apparat kaum aufrechtzuerhalten. Deshalb ist es denkbar, dass das Militär nur scheinbar einen Reformkurs einleitet, letzten Endes aber eine Militärherrschaft zu konsolidieren versucht. Ein zentraler Punkt wird hierbei die Durchführung von Wahlen sein, die spätestens am Ende der zunächst auf sechs Monate angesetzten Übergangsphase stattfinden sollen. Wenn diese tatsächlich frei sind und das Militär die Ergebnisse respektiert, auch wenn etwa die Muslimbrüder einen hohen Stimmenanteil erzielen sollten, ist eine nachhaltige Demokratisierung und Stabilisierung Ägyptens möglich. Eine Politik von Scheinreformen dürfte hingegen zunehmende Instabilität, wenn nicht gar eine Radikalisierung innerhalb der Opposition zur Folge haben. Für Amnesty International ist unerlässlich, dass der politische Wandel in Ägypten auch zur umfassenden Einhaltung der Menschenrechte führt. Amnestys »Agenda für den Wandel« fordert die Beendigung des Ausnahmezustands und damit ein Ende willkürlicher Inhaftierungen, Folter und unfairer Prozesse. Die ägyptische Regierung muss das Recht der ägyptischen Bevölkerung auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährleisten. Außerdem muss den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten der Menschen in Ägypten Geltung verschafft werden. Denn für ein würdevolles Leben ist ein angemessener Lebensstandard unabdingbar. Die Rechte der Ägypterinnen verdienen besondere Beachtung, ebenso wie der Schutz von Minderheiten, gleich ob religiöse, soziale oder ethnische Gruppen. Darüber hinaus fordert Amnesty die Abschaffung der Todesstrafe, deren Verhängung in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Für den Prozess der Umgestaltung des ägyptischen Staates ist zudem eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit notwendig – und damit auch eine rechtsstaatliche Aufarbeitung aller Menschenrechtsverletzungen. Nur ein Prozess, in dem die relevanten Akteure all diese Punkte ernsthaft aufgreifen, kann zu einer dauerhaften Stabilisierung und politischen Öffnung Ägyptens führen. Der Gründer der Facebook-Seite »Wir sind alle Khalid Said«, Wael Ghonim, ist zu einer Symbolfigur der Protestbewegung geworden. Kurz nach dem Rücktritt Mubaraks twitterte er: »Diese Revolution ist erst beendet, wenn sich die Demokratie durchgesetzt hat!« Das ägyptische Volk hat keine Angst mehr vor Unterdrückung und Gewalt. Es wird wieder auf die Straße gehen, wenn die notwendigen Reformen nicht umgesetzt werden. Die Autoren sind Mitglieder der Ägypten-Ländergruppe von Amnesty. Weitere Informationen auf www.amnesty-aegypten.de und info@amnesty-aegypten.de

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Erziehung zum Gehorsam Im Jemen werden Mädchen und Frauen grundlegende Rechte vorenthalten. Von Irene Hellrung Der Jemen liegt im Süden der arabischen Halbinsel und gehört zu den ärmsten Staaten der Welt. Arbeitslosigkeit und Analphabetentum sind hoch, das schnelle Bevölkerungswachstum verschärft die Probleme des Landes. Staatsreligion ist der Islam. Die Scharia als Grundlage des islamischen Rechts steht über der staatlichen Rechtssprechung. Sie prägt auch im Jemen das Leben der Männer und besonders der Frauen. Die Scharia besagt, dass Männer den Frauen übergeordnet sind, die Frau zu absolutem Gehorsam verpflichtet ist und der Mann das »Recht auf Züchtigung« hat. Vor allem regelt sie das Ehe- und Familienrecht. So erhält der Vater das Recht, seine Tochter auch gegen ihren Willen zu verheiraten. Mädchen werden vom Imam schon vor dem staatlich festgesetzten Mindestalter von 15 Jahren verheiratet. Sie müssen ihre Schule beenden, und nach Abschluss des Ehevertrags und Zahlung des Brautgelds geht das Mädchen in den Besitz des Mannes über. Er hat nun Verantwortung und Vollmacht über seine Frau. Sie muss sich ihm unterwerfen und jederzeit sexuell zur Verfügung stehen. Verweigert sie sich, darf der Mann sie bestrafen und Sexualität auch gegen ihren Willen einfordern. Das Mädchen hat keine Mittel, diesem System zu entrinnen. Sie darf das Haus nur mit Erlaubnis des Ehemannes oder zusammen mit einem männlichen Bewacher verlassen. So ist es ihr nahezu unmöglich, eine Anzeige zu erstatten, da sie nie unbeobachtet ist. Die Behörden erkennen dieses Problem nicht an, zumal im Strafgesetzbuch häusliche Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe nicht als Straftatbestände gelten. Eine Scheidung bedeutet für einen Mann keinen großen Aufwand. Während er nur dreimal die Verstoßungsformel auszusprechen braucht, muss eine scheidungswillige Frau ein Gerichtsverfahren anstreben und Beweise für das Fehlverhalten des Mannes vorlegen. Die auf der Scharia basierenden Gesetze regeln im Jemen auch das Erbschafts-, Straf- und Zivilrecht, ebenso wie das Sorgerecht für die Kinder. Frauen werden in dieser Rechtsform als Menschen zweiter Klasse angesehen. Verdeutlicht wird diese Einstellung im Artikel 31 der jemenitischen Verfassung, in dem die Frau als »Schwester des Mannes« bezeichnet wird. Aber nicht nur die Scharia, sondern auch die Stammeszugehörigkeit beschränkt im Jemen die Rechte der Frauen, wobei sich die Traditionen mit den Gesetzen der Scharia überschneiden oder diese ergänzen. Mädchen lernen nur halb so oft wie Jungen Lesen und Schreiben und sind später dazu verurteilt, ihr Leben innerhalb des Hauses zu verbringen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, Teilnahme am politischen Leben, das Recht auf Mitsprache und selbstständige Entscheidung wird ihnen verwehrt. Der Vater oder ein naher Verwandter, später der Ehe-

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mann, übernehmen alle Entscheidungen, die das alltägliche Leben und die Zukunft der Frau betreffen. Besonders in ländlichen Gegenden finden diese Traditionen noch große Zustimmung. So werden Mädchen dort besonders häufig schon im Alter von sieben bis acht Jahren zur Ehe gezwungen, da die Familie sich anschließend nicht mehr um dieses Kind sorgen muss und die Familienehre nicht durch »unmoralisches Verhalten« gefährdet werden kann. Unterdrückung und Gewalt führen bei den Mädchen und Frauen zu Resignation und Lethargie, der sie häufig nur durch das Kauen von Kat, der Alltagsdroge im Jemen, entfliehen können. Durch die frühe Eheschließung werden die Mädchen schon kurz nach Eintritt der Pubertät schwanger, weitere Schwangerschaften folgen. Mangelernährung, Blutarmut und unzureichende medizinische Versorgung führen häufig zu tödlichen Komplikationen für Mutter und Kind. Zahlen über die hohe Müttersterblichkeit im Jemen belegen diese Aussage. Diese erschreckende Lage der Mädchen und Frauen im Jemen beschreibt Amnesty International in einem Bericht vom November 2009. Darin fordert Amnesty die jemenitische Regierung unter anderem auf, die diskriminierenden Gesetze und Sitten abzuschaffen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Mädchen und Frauen vor körperlicher oder seelischer Misshandlung in der Familie und vor Zwangsheiraten zu schützen. Im Rahmen einer Aktion zum »Tag gegen Gewalt an Frauen« am 25. November vergangenen Jahres hat die deutsche Amnesty-Sektion über 5.000 Unterschriften dazu gesammelt. Eindrucksvoll ist die im Bericht dokumentierte Geschichte von Nojoud Mohammed Ali Nasser. Sie wurde im Alter von acht Jahren mit einem 30 Jahre älteren Mann verheiratet, der sie schon am Tag der Eheschließung schlug und vergewaltigte. Zwei Monate später lief sie weg und beantragte beim Gericht in Sanaa die Scheidung. Die Ehe wurde geschieden und Nojoud kehrte zu ihrer Familie zurück. Gezeichnet von den Erlebnissen kann sie trotzdem wieder die Schule besuchen und später einen Beruf ergreifen. Solche Urteile gelten leider noch nicht generell als Rechtsgrundlage im Jemen. Sie zeigen aber, dass sich im Bewusstsein der jemenitischen Bevölkerung, insbesondere der jüngeren Generation, etwas geändert hat. So wurde 1996 ein nationales Frauenkomitee einberufen und 2003 ein Minister für Menschenrechte ernannt. Ebenso wurde die CEDAW, die UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, vom Jemen unterzeichnet. Die Autorin ist Mitglied der Themengruppe Menschenrechtsverletzungen an Frauen der deutschen Sektion von Amnesty International. Den vollständigen Bericht »Yemen’s Dark Side – Discrimination and Violence Against Women and Girls« finden Sie unter www.amnesty.org

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Foto: Muhammed Muheisen / AP

Das Bewusstsein der j체ngeren Generation ver채ndert sich. Demonstration in Sanaa, 25. Februar 2011.

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»Gerechtigkeit.« Protestmarsch in Bogotá gegen die Straflosigkeit, September 2008.

Mord auf Bestellung In Kolumbien werden junge Männer von Soldaten entführt, ermordet und anschließend als Guerillakämpfer ausgegeben – denn dafür gibt es Kopfgeld. Angehörige der Opfer fordern von der Regierung ein Ende der Straflosigkeit. Von Christian Mihr »Kurz zuvor hatten wir noch miteinander telefoniert. Jaime war fröhlich. Er erzählte mir von einem Lager, in das nun alle gemeinsam zur Arbeit fahren«, erinnert sich María Ubilerma Sanabrina an den 8. Februar 2008 und hat große Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken. An diesem Tag starb ihr 16-jähriger Sohn Jaime Estiven Valencia Sanabrina, wie man ihr sieben Monate spä-

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ter mitteilte. Er wurde von Soldaten des 15. Infanteriebataillons ermordet. Das erfuhr sie allerdings nur durch das mutige Engagement der »Madres de Soacha«, bei denen sie aktiv ist. Soacha ist eine Stadt im Süden der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Nach sieben Monaten der Ungewissheit klingelte ihr Telefon. Eine Gerichtsmedizinerin aus der nordkolumbianischen Stadt Ocaña verkündete ihr, Jaime sei tot. Die Leiche sei in einem Massengrab in Ocaña gefunden worden. Die Armee veröffentlichte gleichzeitig eine Mitteilung, Jaime und 16 weitere junge Männer aus Soacha seien im Februar 2008 von der Guerilla rekrutiert worden und im Kampf mit der Armee gefallen. María Ubilerma Sanabrina mochte das nicht glauben. Wie andere Mütter aus So-

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Foto: Luca Zanetti

acha, deren Söhne von einem Tag auf den anderen verschwunden und deren Leichen in Ocaña aufgetaucht waren, erstattete sie Anzeige wegen Mordes. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich zunächst, Ermittlungen einzuleiten mit der Begründung, die Jugendlichen seien Guerillakämpfer gewesen. Doch María Ubilerma Sanabrina und ihre Mitstreiterinnen fanden sich damit nicht ab, sie schrieben Petitionen und wandten sich an Kolumbiens damaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, der unter dem mittlerweile gewachsenen Druck der Öffentlichkeit Aufklärung versprach. Schließlich gaben Soldaten des 15. Infanteriebataillons im Herbst 2008 zu, die jungen Männer aus Soacha kaltblütig ermordet zu haben – für ein Kopfgeld von umgerechnet etwa 80 Euro sowie zusätzlichen Urlaub. Die jungen Männer aus Soacha waren zunächst mit dem Versprechen auf Arbeit nach Ocaña gelockt worden. Dort wurden sie von Soldaten in Guerillauniformen gesteckt und umgebracht. Im kolumbianischen Militärjargon werden solche außer-

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kolumbien

gerichtlichen Hinrichtungen von angeblich im Kampf getöteten Guerillakämpfern »falsos positivos«, (»falsche Erfolgsmeldungen«), genannt. Kolumbiens damaliger Verteidigungsminister und heutiger Präsident Manuel Santos bezeichnete die Morde nach Bekanntwerden als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und versprach, die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Doch rückblickend dienten die Versprechungen von Santos vor allem dazu, die Öffentlichkeit zu beruhigen. Darauf weisen die Mütter María Ubilerma Sanabrina und Luz Marina Bernal eindringlich hin. Gemeinsam mit der Anwältin Nancy Sanchez von der Menschenrechtsorganisation Minga waren sie Ende vergangenen Jahres auf Einladung von Amnesty International in Belgien, Dänemark, Deutschland, Irland und Spanien zu Besuch. Auf Veranstaltungen und bei Gesprächsterminen in Ministerien erzählten sie vom Schicksal ihrer Söhne und warben um internationale Unterstützung für ihr Engagement. Sie werfen dem heutigen Staatspräsidenten Santos vor, für den Mord an ihren Söhnen verantwortlich zu sein, weil er als Verteidigungsminister das Prämiensystem erfunden habe. Die Täter von damals sind bis heute nicht bestraft. Kolumbiens damaliger Heereschef, Mario Montoya Uribe, musste zwar zurücktreten, vertritt sein Land mittlerweile jedoch als Botschafter in der Dominikanischen Republik. Weitere 26 Angehörige des Militärs wurden zunächst festgenommen, kamen aber im Januar 2010 wieder auf freien Fuß, weil die 90-tägige Frist, die nach kolumbianischem Recht zur Erhebung einer Anklage notwendig ist, ausgelaufen war. Auch wenn es seit 2008 weniger illegale Hinrichtungen gibt, laufen derzeit immer noch mehr als 2.000 Ermittlungsverfahren zu illegalen Hinrichtungen. Seit 2002 sind nach Angaben von Minga insgesamt 3.183 Fälle illegaler Hinrichtungen durch kolumbianische Soldaten bekannt geworden, für die niemand bestraft wurde. Daher sind María Ubilerma Sanabrina, Luz Marina Bernal und Nancy Sanchez pessimistisch, dass der seit August vergangenen Jahres amtierende Präsident Santos das Problem der Straflosigkeit löst – trotz seiner Ankündigung im Wahlkampf, ein Gesetz für die Leidtragenden staatlicher Gewalt zu verabschieden und den Rechtsstaat stärken zu wollen. Sie befürchten, dass die Regierung die Verantwortung auf einzelne Täter abschiebt, während die allgemeine Straflosigkeit weiterhin gesellschaftlich akzeptiert bleibt. Dennoch ist Santos rund ein halbes Jahr nach Amtsantritt beliebt. Fast 80 Prozent der Kolumbianer waren Ende vergangenen Jahres mit seiner Politik zufrieden, da er sich außenpolitisch versöhnlich gegenüber Venezuela zeigt und hohes Wirtschaftswachstum verspricht. Amnesty International fordert, dass die Verantwortlichen für die Morde an den Söhnen der Mütter von Soacha belangt werden und der kolumbianische Staat unter Präsident Santos die Kultur der Straflosigkeit beendet. Wozu diese Kultur führt, erfahren die »Madres de Soacha« am eigenen Leib. In Kolumbien wird ihnen regelmäßig Mord angedroht, sollten sie nicht aufhören zu reden. Nach Berichten in kolumbianischen Medien über ihren Europabesuch wurden sie in Diskussionsforen der Tageszeitung »El Espectador« in anonymen Beiträgen unverhohlen mit dem Tod bedroht. María Ubilerma Sanabrina lässt sich davon nicht beeindrucken. »Das, was meinem Sohn geschehen ist, darf sich niemals wiederholen. Dafür kämpfe ich.« Der Autor ist Journalist und Mitglied der Kolumbien-Ländergruppe von Amnesty.

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Ein Streichholz genügt Bei ethnischen Unruhen in Kirgistan kamen im Juni 2010 Hunderte von Menschen ums Leben, zahlreiche Häuser wurden zerstört. Nun versuchen die Gerichte, die Gewaltexzesse aufzuarbeiten. Von Marcus Bensmann Der Hass ist ungebrochen. An einem Tag im Januar soll vor einem Gericht in der südkirgisischen Stadt Osch ein weiterer Prozess wegen der ethnischen Unruhen im Juni 2010 stattfinden. Zwei Usbeken müssen sich wegen Teilnahme an Massenunruhen und Diebstahl verantworten. Ein fensterloser Kastenwagen bringt die Angeklagten in den Gerichtshof. Eine Handvoll Polizisten, allesamt Kirgisen, stehen in der Kälte. Als ein älterer Mann mit einem Tschapan, dem Umhang der Usbeken, aus dem Anbau kommt, in dem die Angeklagten untergebracht sind, verpasst ihm einer der Polizisten im Vorübergehen einen Fausthieb in den Rücken. Keine Reaktion. Kein Protest. Sondern nur eine demütige Verbeugung des geschlagenen Mannes vor den lachenden Männern in Uniform. Seit September verhandelt die kirgisische Justiz über die ethnischen Unruhen zwischen Usbeken und Kirgisen, die sich im Sommer vergangenen Jahres im Süden des zentralasiatischen Landes ereigneten. Die Gewaltorgie begann in der Nacht zum 11. Juni 2010, wütete vier Tage lang ungehemmt in den Städten Osch, Basar Kurgan und Dschalalabad und gipfelte in von den Sicherheitskräften unterstützen Pogromen in den usbekischen Stadtvierteln. Tausende kirgisische Marodeure, die zuvor aus den Bergdörfern in die Städte eingefallen waren, zogen tagelang brandschatzend von Haus zu Haus. Von den mehr als 2.000

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niedergebrannten Häusern wurden etwa 98 Prozent von Usbeken bewohnt. Zwei Drittel der bisher offiziell bekannten 426 Toten gehören der usbekischen Minderheit an. Internationale Beobachter rechnen jedoch mit einer hohen Dunkelziffer. Rund hunderttausend Menschen, zum größten Teil Frauen und Kinder, flohen zeitweise nach Usbekistan. Doch sieht sich die kirgisische Öffentlichkeit als Hauptopfer der Unruhen. Sie ist davon überzeugt, dass die Usbeken damit begonnen hatten, sich zu bewaffnen und die Kirgisen sich nur wehrten. Diese Sichtweise bestätigt ein Bericht der nationalen Untersuchungskommission, der im Januar 2011 dem Parlament in der Hauptstadt Bischkek vorgestellt wurde. »Der usbekische Teil der Bevölkerung hat sich frühzeitig auf die Ereignisse vorbereitet«, heißt es darin, bereits vor den blutigen Ereignissen sei eine heimliche Migration usbekischer Frauen und Kinder in die Grenzprovinzen zu Usbekistan zu beobachten gewesen. Die bekannte kirgisische Menschenrechtlerin Asisa Abdirasulowa hält den Bericht für »fehlerhaft«. Ihre Organisation »Kilim Schami« (»Tageslicht«) ordnete die bislang bekannten Toten der Unruhen nach Datum, Todesursache und ethnischer Zugehörigkeit. Demnach wurden am ersten Tag der Unruhen 22 Kirgisen und 85 Usbeken getötet. Die Auswertung passe nicht zu dem Diktum, die Usbeken hätten angefangen, gibt die kirgisische Menschenrechtlerin zu bedenken. Zudem seien nach der Dokumentation ihrer Organisation dreimal mehr Usbeken als Kirgisen an Schussverletzungen gestorben. Auch dies widerspreche der Vorstellung, dass die Usbeken im Gegensatz zu den Kirgisen mit modernen Waffen ausgerüstet gewesen seien.

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Foto: William Daniels / Panos Pictures

»Untaten dürfen niemals ungesühnt bleiben.« Ein Usbeke steht inmitten der Überreste seines Hauses in Osch, Kirgistan, Juni 2010.

Abdirasulowa findet mit diesen Fakten aber kein Gehör. Die Menschenrechtlerin hat die nationale Untersuchungskommission aus Protest verlassen, ihre Organisation untersucht nun selbstständig die Ereignisse im Süden des Landes. Das Büro von »Kilim Schami« in Bischkek quillt über von Papieren und Listen, und auf den Computerschirmen flimmern Videoaufnahmen der dramatischen Geschehnisse im vergangenen Juni. In einer von einer Handykamera aufgenommenen Sequenz beklatschen Hunderte von Kirgisen johlend die Verbrennung von drei Usbeken bei lebendigem Leibe. Abdirasulowa legt vor Scham und Entsetzen die Hände vors Gesicht. »Es wird noch lange dauern, bis sich die kirgisische Öffentlichkeit eingesteht, was sich im Süden wirklich zugetragen hat«, sagt sie. Bisher folgt die juristische Aufarbeitung der nationalistischen Sichtweise der kirgisischen Öffentlichkeit. Seit den Unruhen wurden Hunderte von Personen, vorwiegend Usbeken, festgenommen und schweren Misshandlungen und Folter ausgesetzt. Menschenrechtsorganisationen, aber auch die EU und die UNO protestierten gegen die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen. Von den Tausenden von Kirgisen, die aus den Bergdörfern plündernd in die Städte eingefallen waren, wurde bisher noch keiner zur Rechenschaft gezogen. In Osch, der am schlimmsten betroffenen Stadt, in der ganze usbekische Wohnviertel niedergewalzt wurden, gab es bisher 53 Gerichtsverfahren, davon 44 gegen Usbeken. Von Beginn an beherrschte die Wut der Straße die Gerichtssäle. Vor den Augen der Staatsdiener wurden usbekische Angeklagte, deren Verwandte und Verteidiger bedroht und geschlagen. Eine Lynch-Stimmung hing über

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kirgistan

den Verfahren. Erst nach internationalen Protesten reagierte die kirgisische Regierung und sicherte zumindest den Verteidigern Sicherheiten zu. Gleichwohl glichen die Prozesse weiterhin einem Hexenkessel. Nur zehn Anwälte in Osch sind überhaupt noch bereit, Usbeken zu verteidigen. »Wir werden bedroht und sind isoliert«, sagt der Anwalt Tair Asanow. Er ist Kirgise, aber davon überzeugt, dass jeder das Recht auf einen Anwalt habe. Asanow fordert, dass auch die kirgisischen Plünderer zur Rechenschaft gezogen werden müssten. »Untaten dürfen niemals ungesühnt bleiben«, warnt der Anwalt. Die Vorsitzende Richterin am Gericht in Osch, Kumbat Bekschanbowa, macht für den Zorn der Kirgisen im Zuschauerraum die Verteidiger der Angeklagten verantwortlich. »Sie haben mit ihren unbesonnenen Fragen die Angehörigen der Opfer provoziert«, erklärt die kirgisische Richterin. Seit Ende Januar wird vor dem Obersten Gericht Kirgistans in Bischkek der Fall des zu lebenslanger Haft verurteilten usbekischen Menschenrechtlers Asimschon Askarow verhandelt. Er wurde zusammen mit sieben weiteren Personen angeklagt, während der Unruhen einen kirgisischen Polizisten in Südkirgistan ermordet zu haben und wurde dafür in zwei Instanzen schuldig gesprochen. Die Beschwerdeliste seiner Verteidiger ist schwerwiegend: Die Festgenommenen wurden gefoltert, Polizeiprotokolle wurden nachträglich gefälscht, und die Verwandten und Kollegen des ermordeten Polizisten hätten in den Verhandlungen derart randaliert, dass es unmöglich gewesen sei, Entlastungszeugen vorzuladen. Die kirgisischen Richter des Obersten Gerichts ste-

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Foto: William Daniels / Panos Pictures

Die Angst bleibt. Eine usbekische Familie auf der Flucht, Juni 2010.

hen vor einem Dilemma. Entweder bestätigen sie die von ethnischem Hass bestimmten Schuldsprüche oder sie heben die Urteile auf. Dann drohen die Angehörigen des Polizisten offen mit erneuten Unruhen im Süden des Landes. Anfang Februar verschoben die Richter die Entscheidung über eine Revision auf unbestimmte Zeit, da sie zunächst die Vorwürfe der Verteidigung überprüfen müssten. Neben den Gerichtsprozessen bestimmt der Aufbau der zerstörten Häuser die Situation im Süden des Landes. Erst Anfang September erhielten die internationalen Organisationen die Erlaubnis, in den zerstörten Höfen der Usbeken Notunterkünfte einzurichten. Das Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bauten pro Hof zwei bis drei Zimmer aus Ziegelsteinen auf dem zerstörten Grund. Im Dezember waren auf diese Weise knapp 2.000 Häuser fertiggestellt. »Unser Auftrag ist erfüllt«, sagt Mahir Safarli, Repräsentant des UNHCR in Osch. Aber für viele beginnen die Probleme erst. Einige Usbeken weigern sich, aus Angst vor dem kirgisischen Mob, in die Notunterkünfte zu ziehen. »Wir trauen uns nicht, hier über Nacht zu bleiben«, sagt eine Usbekin, die nur tagsüber in den Zimmern nach dem Rechten sieht. »Die früheren Bewohner des Viertels sind bei Verwandten und Freunden unterkommen. Sie haben gemeinsam beschlossen, zunächst abzuwarten, sagt die Usbekin. Die Angst vor nächtlichen Übergriffen sei zu groß, da in direkter Nachbarschaft Kirgisen wohnten. In die Staatsmacht habe man keinerlei Vertrauen. »Ob begründet oder nicht – wir müssen die Angst akzeptie-

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ren«, sagt ein Mitarbeiter einer internationalen Organisation. Es sei dieselbe Angst, die viele Usbeken vom Besuch eines Krankenhauses abhalte, da sie sich nicht von kirgisischen Ärzten behandeln lassen wollten. Die usbekischen Mitarbeiter seien entweder emigriert oder hätten ihren Job verloren. Die Kommunalverwaltung von Osch ist strikt gegen die Notunterkünfte. Den kirgisischen Bürgermeister Melis Mirsakmatow stören die ebenerdigen Gehöfte schon lange. Er träumt von einer neuen Stadt Osch, die aus modernen Hochhäusern besteht. Die Bauweise der dichtgedrängten Usbekenviertel wäre auch der Hauptgrund, warum so viele durch Feuer zerstört worden seien, erklärt der Chefarchitekt der Stadt, Almasbek Abdigarow, der den Stadtumbau im Auftrag des Bürgermeisters leitet. Bürgermeister Mirsakmatow nannte in der russischen Zeitung »Kommersant« freimütig den Grund für die Unruhen. »Die Usbeken haben einen Anschlag auf die Souveränität Kirgistans verübt, wir haben ihnen eine verpasst, nun ist alles wieder in Ordnung, und wir erlauben keinem mehr, zu schießen.« In Osch wurden vor allem die Viertel zerstört, die dem neuen Bebauungsplan im Wege stehen. »Die Notunterkünfte sind illegal und entsprechen nicht dem Stadtplan«, beharrt der Bürgermeister. Die Hilfsorganisationen hatten den Bau der Häuser zuvor mit der Regierung in Bischkek abgesprochen. Das stört den Herrscher über Osch jedoch nicht. Als er eines der neuen Häuser besuchte, frotzelte er, ein Streichholz genüge, um es wieder anzuzünden. Der Autor ist freier Journalist und lebt in Bischkek.

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MARCELO FR EIXO, BRASIL IEN Setzt sich fßr die Bek ämpfung gefährliche rM erhielt desw ilizen ein und egen Mordd rohungen.

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WEI JINGSHENG, CHINA SaĂ&#x; wegen seines Engagements in der Demokratiebewegung 18 Jahre in Haft.

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PABLO A. JAIMES, KOL UMBIEN Wurde beinahe Op fer eines Mordanschlags, weil er sich fĂźr die Verwirklichung de r Menschenrechte in Kolumbien ein setzt.

SCH AN, BANGLADE MONIRA RAHM er pf O e di Unterstßtzt nschlägen, von Säurea gegen den nicht selten von d an st er id W d Politikern un BehÜrden.

EREN KESKIN, TĂœRKEI Setzt sich fĂźr sexuell misshandelte Frauen ein. Erhielt Morddrohungen und ein einjähriges Berufsverbot als Anwältin.

IRĂˆNE FERNANDEZ, MALAYSIA Kämpft fĂźr das Recht auf freie Meinungsä uĂ&#x;erung und kam dafĂźr ins Ge fängnis.

Amnesty International hat diesen Menschenrechtsverteidigern geholfen – Ć‚ PCP\KGNN NQIKUVKUEJ WPF FWTEJ 'KNCMVKQPGP ,GFGP 6CI DG\CJNGP CPFGTG *GNFGP YGNVYGKV KJTGP 'KPUCV\ HĂ˜T FKG /GPUEJGPTGEJVG OKV 7PVGTFTĂ˜EMWPI (QNVGT QFGT )GHĂ€PIPKU

www.amnesty.de/spenden Spendenkonto 80 90 100 Bank fĂźr Sozialwirtschaft BLZ 370 205 00


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Kultur

54 Interview: Ai Weiwei 58 Berlinale: Amnesty-Filmpreis für »Barzakh« 60 Berlinale: Alle nominierten Filme 61 Film: »La Isla« 62 Interview: Söhne Mannheims 64 Bücher: Von Haiti bis Helmut Frenz 66 Film & Musik: Von »Ojos de Brujo« bis »Biutiful«

Monumental. Ai Weiwei, Chinas bekanntester Künstler. Foto: Michael Danner

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Gestanden. Ai Weiwei, bildender Künstler aus Shanghai, nutzt seine Popularität zu politischem Protest.

»Die Fähigkeit zum Glücklichsein verloren« 56

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»Ich denke, dass wir nur etwas ausrichten können, wenn wir uns zuerst einmal um unsere Gesundheit kümmern und unser Leben genießen.«

tage und Einzelheiten aus dem Leben dieser Kinder auf. So sammelten wir über ein Jahr lang etwa 5.200 Namen.

Der Künstler Ai Weiwei genießt aufgrund seiner internationalen Bekanntheit in China zwar einen gewissen Schutz, doch allzu viele Provokationen kann auch er sich nicht leisten. Fotografiert von Michael Danner. Von ihren Kunstwerken gehen viel Wärme und Glanz aus. Welches davon strahlt für Sie persönlich am stärksten? Die Arbeit, die ich den Kindern gewidmet habe, die bei dem Erdbeben 2008 ums Leben gekommen sind. Die chinesische Regierung verspricht heute zahlreichen Entwicklungsländern, dort Schulen zu errichten. Ich und meine Mitstreiter können darüber nur lachen. Denn im eigenen Land, in der Provinz Sichuan, sind Tausende von Kinder unter den Trümmern schlampig gebauter Schulen gestorben. Und die Wahrheit darüber wird noch immer unterdrückt. So nimmt man den Opfern ihre Würde. Ich habe in der Provinz eine Bürgerrechtsbewegung initiiert: Zahlreiche Freiwillige gingen von Tür zu Tür, schrieben Namen, Geburts-

interview

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ai weiwei

Sie blieben dabei nicht ungestört. Als Reaktion von oben wurden etwa vierzig unserer Leute festgenommen. Wir waren allen Arten von Kränkungen ausgesetzt, zahlreichen Hausdurchsuchungen und Körperverletzungen. Aber, weil wir von der Gesellschaft im eigenen Land und auch international so stark unterstützt wurden, haben wir es geschafft. Wenn ich heute all die Namen anschaue, die die Wände meines Büros bedecken, kann ich es kaum glauben: Für mich ist das ein Wunder. Nicht immer waren Ihre Handlungen für Ihre Landsleute so nachvollziehbar. So waren sie am Bau des Olympiastadions in Peking beteiligt, nahmen aber nicht an der Eröffnungszeremonie teil. Dies wurde in der chinesischen Öffentlichkeit heftig kritisiert. Sie wollten damit demonstrieren, dass Sie noch über eine gewisse Freiheit der Wahl verfügten. Aber müsste dahinter nicht ein bisschen mehr stecken? Überhaupt eine Wahl zu haben ist für mich schon ein Wert an sich. Denn wir sehen ja weder die Welt noch uns selbst die ganze Zeit über klar. Wir machen ständig kleine Fehler. Nur indem wir diese korrigieren und auch verkünden, kommen wir ein wenig voran. Aber natürlich hatte diese Wahl auch einen Inhalt. Es ging dabei um die Frage der Fairness gegenüber der Gesellschaft. Ich hatte die Vorbereitung der Spiele als einen Weg für uns in die internationale Gemeinschaft gesehen. Aber dann erkannte ich, wie sehr sie doch als Propaganda missbraucht wurden. Und wie sehr das Ganze schon kommerzialisiert war, auch im internatio-

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nalen Maßstab. Zum Schluss interessierte es kaum jemanden mehr, was bei den Spielen ursprünglich gefeiert werden sollte. Sie haben in anderem Zusammenhang einmal gesagt, das chinesische Volk sei um seine Fröhlichkeit und um sein Lachen betrogen worden. Wir Chinesen sind nicht nur durch das brutale System geschädigt, wir haben auch durch unsere jüngere Geschichte die Fähigkeit zum Glücklichsein verloren. Wir glauben, wir hätten einfach nicht das Recht auf ein glückliches Leben. Aber wir sind nicht auf die Welt gekommen, um zu leiden. Ich denke, dass wir nur etwas ausrichten können, wenn wir uns zuerst einmal um unsere Gesundheit kümmern und unser Leben genießen. Darum bemühe ich mich auch. Wenn ich manchmal nicht mehr fröhlich sein kann, registriere ich das als eine Art Schwäche von mir. Im August 2009 erlitten Sie in der Stadt Chengdu in der Provinz Sichuan nach Schlägen von Polizeibeamten eine Gehirnblutung.

Sie schleppten sich weiter und brachen Wochen später in München zusammen. Wie steht es jetzt um Ihre Gesundheit? Die ist nicht mehr die alte. Diese Kopfverletzung hätte mich das Leben kosten können. Und ich hatte großes Glück, damit schließlich in einer Münchner Klinik zu landen. Dort hat man mir nicht nur das Leben gerettet, sondern man hat mir sozusagen noch ein Extraleben geschenkt, das ich jetzt führe. Auf den Angriff selbst war ich überhaupt nicht gefasst. Es geschah kurz bevor ich mich in aller Öffentlichkeit an ein Gericht wenden wollte, um mich für einen angeklagten Mitstreiter einzusetzen. Aber ich selbst bin es andererseits, der immer zu Leuten sagt, wenn sie mir helfen wollen: Vorsicht, Eure Feinde handeln nicht logisch, sie sind unvorhersagbar! Als die Ärzte dort behaupteten, mit mir sei alles in Ordnung, machte ich mich davon. Denn in China muss man schon ganz schön dumm sein, um freiwillig in einem Krankenhaus zu bleiben. Aber die Kopfschmerzen waren so fürchterlich, dass ich manchmal drauf und dran war, aus dem Fenster zu springen.

interview ai weiwei Ai Weiwei wurde 1957 geboren. Der Sohn eines während der Kulturrevolution verfolgten Dichters gilt weltweit als einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart und ist Träger vieler Preise. Im vergangenen Jahr ging an ihn der von Kasseler Bürgern gestiftete Preis »Das Glas der Vernunft«. Ai Weiweis Werk umfasst neben Einzelskulpturen auch große Installationen und Architekturprojekte. Immer wieder initiierte er Protestaktionen gegen die chinesische Regierung und forderte in seinem Blog Zensurfreiheit. Dabei halfen ihm seine Privilegien als international anerkannter Künstler, sie schützen ihn aber nicht immer vor Repressalien. Anfang Dezember 2010 wurde er an der Ausreise gehindert, als Grund wurde die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo vermutet. Mitte Januar ließen die chinesischen Behörden Ai Weiweis Atelier in Shanghai abreißen. Sein neuestes Werk kann man derzeit in der Londoner Tate Modern sehen: Es besteht aus einem Meer von Sonnenblumenkernen. Sie haben Originalgröße, sind aber aus Porzellan und wurden von 1.600 seiner Landsleute einzeln von Hand bemalt.

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Überlegt. Die Form des Protests will gut durchdacht sein.

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Während der Ausstellung 2009 in München mit dem Titel »So Sorry« erklangen die Namen der verunglückten Kinder. Ihre bunten Rucksäcke bildeten damals eine Art Tempel-Fassade am Haus der Kunst. Sie und Ihre Helfer haben anderthalb Jahre an diesem Projekt gearbeitet. Doch wenn Sie zuviel riskieren, kann man Sie leicht um die Fähigkeit bringen, weiter derart umfangreiche und einflussreiche Werke zu schaffen. Ich gehe nicht leichtsinnig vor. Aber ich agiere als Beispiel und auch stellvertretend für all die vielen Menschen, die nicht über dieselben Möglichkeiten verfügen. Wenn das, was mir passierte, einem von ihnen widerfahren wäre, dann wäre er einfach anonym gestorben. Kein Hahn hätte nach ihm gekräht. »Na ja, der Mann hatte offenbar ein Problem« – das wäre der einzige Kommentar gewesen. Ich denke, dass wir alles im Leben, das Schöne und auch die Risiken, miteinander teilen sollten. Und das ist jede Anstrengung wert.

»Ich agiere als Beispiel und auch stellvertretend für all die vielen Menschen, die nicht über dieselben Möglichkeiten verfügen.«

Fragen: Barbara Kerneck

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Foto: Göran Gnaudschun / lux

Jury und Gewinner. Juliane Köhler, Regisseur Mantas Kvedaravicius, Monika Lüke, Cutter Mindaugas Galkus und Hans-Christian Schmid (von links).

In der Nicht-Welt Der diesjährige Amnesty-Filmpreis geht an Mantas Kvedaravicius’ Dokumentarfilm »Barzakh« über das von Krieg und Folter gezeichnete Tschetschenien. Von Jürgen Kiontke

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as Bild einer einsamen Frau, das im Regen verschwimmt. Ihre Klagen verwischen, verlaufen wie die Farben, die Landschaft, der Mensch. Mit dieser Einstellung beginnt Mantas Kvedaravicius’ Dokumentarfilm »Barzakh«. Ein Mensch, der das Verschwinden betrauert: Der Sohn wurde entführt, er wird wohl nie wiederkommen. Das von Krieg und Folter gezeichnete Tschetschenien ist der Ort der Handlung dieses eindrucksvollen Films: Städte, in denen Moscheen neben Foltergefängnissen stehen und in denen Auskünfte über den Verbleib von Menschen weniger glaubwürdig sind als die Voraussagen von Wahrsagerinnen. Der 35-jährige litauische Regisseur, der derzeit in Cambridge studiert, besuchte für seinen ersten Film Angehörige von Ver-

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schwundenen. Von Beamten soll der junge Verwandte abgeführt worden sein, ganz offiziell, das haben Zeugen beobachtet. Dennoch kennt niemand seinen Aufenthaltsort. Die Menschen berichten von unerhörten Vorgängen. Mit seinem Kamerateam besuchte Kvedaravicius auch ehemalige Gefängnisse. Dabei gelingen ihm einige der härtesten Bilder: Etwa wenn die ehemaligen Häftlinge ins Bild rücken und davon erzählen, was dort geschehen ist. Ihnen allen fehlen die Ohren – weil sie im Gewahrsam abgeschnitten wurden. Von einem besonderen Platz an der Grenze der Welt handelt dieser Film. Sein Name gibt den Titel vor: »Barzakh«. Einer alten Sufi-Legende zufolge liegt er zwischen Leben und Tod, ist eine Nichtwelt. Wer hier landet, gehört weder zu den Lebenden noch zu den Toten. »Barzakh«, gerade einmal eine Stunde lang, setzte auf den diesjährigen Berliner Filmfestspielen vom 10. bis zum 20. Februar in der Sparte Panorama Maßstäbe im Kino der Menschenrechte. Wie seine Protagonisten zwischen Leben und Tod feststecken, so wandelt auch der Film auf den Grenzen des Genres. Diese Kunst der Darstellung beeindruckte auch die Amnesty-Film-

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berichte

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Fotos: Berlinale

wie vor straffrei aus«. Gern sei von offizieller Seite von Normajury – Schauspielerin Juliane Köhler, Regisseur Hans-Christian lität die Rede. Ein Zustand, der so nicht existiere. Schmid und Amnesty-Generalsekretärin Monika Lüke –, die den »Ich habe nach einer Möglichkeit, einer Sprache gesucht, um diesjährigen Preis an »Barzakh« vergab: »Der Film zeigt eindie Gefühle der Menschen zu transportieren«, sagt Regisseur dringlich die lähmende Ungewissheit und den Schmerz der Kvedaravicius dem Amnesty Journal. Sich selbst sieht er gar Wartenden, deren Leben stillsteht«, begründete die Jury ihre nicht in erster Linie als Filmemacher, aber er hat offensichtlich Entscheidung. ein gutes Auge für das Team: Als Produzenten konnte Kvedaravi»›Barzakh‹ dokumentiert nicht, der Film beobachtet nicht aus der Distanz – sondern er schafft Nähe. Wer diesen Film sieht, cius immerhin den finnischen Ausnahme-Regisseur Aki Kaurisist in Tschetschenien. Der Regisseur nimmt die Zuschauer mit in mäki gewinnen. Der Amnesty-Preis sei für die Menschen, die er zeige, eminent wichtig, sagt Kvedaravicius: »Es ist ihr Film.« das Dorf, in das Leben und in die Seelen der Menschen.« Das große Thema der diesjährigen Berlinale hieß: BeziehunDurch den mit 5.000 Euro dotierten Preis will Amnesty gen. Viele Filme spiegelten das Verhältnis der Menschen unterInternational die Aufmerksamkeit von Fachleuten und Publieinander, die Veränderungen im Privaten angesichts gesellkum auf das Thema Menschenrechte lenken und Filmemacher schaftlicher Transformation. Ein Aspekt, den auch Kvedaravidazu ermutigen, sich dieses Themas verstärkt anzunehmen. cius’ Film aufnimmt, in ganz eigener Weise: »In Tschetschenien 15 Filme waren dieses Jahr nominiert. Darunter so schöne sind Beziehungen elementar wichtig«, sagt der Regisseur. »Von Werke wie der spanische »Tambien la Iluvia« von Icíar Bollaín. diesem Film habe ich mir erhofft, mit vielen Leuten in BezieEr handelt vom Wasserkrieg in Bolivien im Jahr 2000 bzw. 2005. hung zu treten. Ich habe mich dafür entschieden, einen Film zu Ein gelungener Film über den Kampf um die Privatisierung der machen, weil ich nach einer universellen Sprache gesucht habe, Grundversorgung in Südamerika. einer Sprache, die weltweit verständlich ist. Film ist diese SpraIn der Auswahl stand natürlich auch der Wettbewerbssieger che.« Nichtsdestotrotz arbeitet der Regisseur auch an einem »Nader und Simin: Die Trennung« aus dem Iran – nicht nur ein Buch zum Thema Tschetschenien. brillanter Film, sondern auch einer mit besonderer politischer Wer »Barzakh« sieht, lernt zugleich etwas über das Kino Brisanz, dadurch, dass Jafar Panahi, Kollege des Regisseurs Asgselbst. Doch ob der Film in Grosny laufen kann, ist ungewiss. har Fahadi, in der Hauptjury der Berlinale sitzen sollte, jedoch nicht aus seinem Heimatland ausreisen konnte. Ihm drohen nach einem Gerichtsverfahren sechs Jahre Haft und 20 Jahre Be- Der Autor arbeitet als Filmkritiker in Berlin. rufsverbot. Seit dem vergangenen Jahr stand Panahi im Mittelpunkt mehrerer Amnesty-Initiativen und Urgent Actions. Auch der iranische Filmemacher Mohammed Rasulof ist derzeit von Gefängnis bedroht. Der Vorwurf lautet: »Propaganda gegen das System.« Beide Künstler hatten sich offen auf die Seite der Opposition gestellt. Fahadi erklärte sich mit ihnen solidarisch. Sein Film bekam nicht weniger als drei Bären, die offiziellen Auszeichnungen der Berlinale – die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit war gegeben. Wie diskutierte angesichts der politischen Großwetterlage die Amnesty-Jury? »Unsere Entscheidung stand schnell fest«, sagt Juliane Köhler dem Amnesty Journal. »Wir haben uns bewusst für einen ›kleineren‹ Film entschieden – um jenen zu helfen, die nicht so viel Unterstützung bekommen.« Auch der künstlerische Anspruch habe die Jury überzeugt, sagt Köhler. »Barzakh« sei ein Dokumentarfilm, der wie ein Spielfilm gemacht sei. Und dazu handelt es sich auch noch um ein Filmdebüt – zu einem Thema, das aus der Öffentlichkeit nahezu verschwunden ist, beinahe so wie die Menschen, über die der Film berichtet. Nach wie vor stellt der Amnesty-Länderbericht für Tschetschenien schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen fest: »Nach den zwei Kriegen in Tschetschenien, in deren Umfeld praktisch jede Familie der kleinen Republik im Nordkaukasus Angehörige durch willkürliche Tötungen, Folter und ›Verschwindenlassen‹ verlor, hat sich die Lage dort nur scheinbar beruhigt.« Wer Kritik übe, könne Opfer von Folter und Mord werden; »die Verantwortlichen gehen nach Tschetschenische Tristesse. Szenen aus dem Siegerfilm »Barzakh«.

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Fotos: Berlinale

Von »Nader und Simin« bis »Man at Sea«. Stills aus den für den Amnesty-International-Filmpreis nominierten Filmen.

Spannungsreiches Erzählen 15 Filme waren für den Amnesty-International-Filmpreis nominiert. Eine Übersicht von Jürgen Kiontke.

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nter den Berlinale-Filmen, die für den diesjährigen Amnesty-International-Filmpreis nominiert waren, waren auch einige Wettbewerbsbeiträge, so etwa der Berlinale-Gewinner »Nader und Simin: Eine Trennung«. Der Film des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi vermittelt einen Einblick in eine Gesellschaft, deren Rechtsvorschriften anhand der geplanten Scheidung eines Mittelschichtehepaares geschildert werden. Die Spannungen in der Gesellschaft treten in den Gerichtsszenen ebenso zutage wie in der Darstellung der unterschiedlichen Lebensverhältnisse iranischer Familien. Aus dem Nichts entsteht eine Mordanklage, die Todesstrafe steht im Raum. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen der diesjährigen Berlinale ist »Nader und Simin« zudem rasant und spannend erzählt. Ebenfalls im Wettbewerb liefen »Odem (Lipstikka)«, ein Film über die schwierigen Bedingungen in den von Israel besetzten Gebieten, und »The Forgiveness of Blood«: Eine albanische Familie kämpft mit den Folgen und Gegebenheiten der Blutrache. »El Premio« aus Mexiko thematisiert die argentinische Militärdiktatur aus der Sicht eines kleinen Mädchens. Highlights der Amnesty-Nominierungsliste waren außerdem die Beiträge »Territoire perdu« und »State of Violence«. Der erste der genannten Filme enthält selten gezeigte Bilder aus der umkämpften Westsahara, entlang eines 2.400 Kilometer langen Sandwalls. Unzählige Menschen leben hier seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern. Regisseur Pierre-Yves Vandeweerd präsentiert Super-8- und Schwarzweiß-Aufnahmen von diesem von der Weltöffentlichkeit völlig vergessenen Konflikt. »State of Violen-

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ce« aus Südafrika zeichnet die Entwicklung von Menschen in Südafrika nach dem Ende der Apartheid im Stile eines PolitThrillers nach: Die ehemaligen Township-Kämpfer sind zu Neureichen geworden, die Verhältnisse sind gewalttätig. Weitere für den Amnesty-Filmpreis nominierte Filme waren »Halaw«, der sich mit Migranten auf den Philippinen beschäftigt, »Traumfabrik Kabul« über den Alltag einer afghanischen Regisseurin und Polizistin sowie »El Mocito«, ein Dokumentarfilm über einen ehemaligen chilenischen Polizisten, der schon als Junge zum Folterer wurde. Neben dem Gewinner des Amnesty-International-Filmpreises »Barzakh« (siehe Seite 60) liefen in der Festival-Sparte Panorama die nominierten Filme »Mama Africa«, eine Dokumentation über die Sängerin Mirjam Makeba, und der mazedonische Episodenfilm »Majki«. Der Dokumentarfilm »Zai Yi Qi – Together« gewährt Einblicke in das Leben Aids-Kranker und HIV-Positiver in China. Beeindruckend auch der spanische Film »También la lluvia«, dem die geschickte Verknüpfung zweier Plots gelingt: Ein Filmteam, das sich in Bolivien der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus widmet, gerät in die Wirren des »Wasserkrieges« von Cochabamba: Die Bevölkerung dieser Stadt wehrt unter bürgerkriegsähnlichen Zuständen die Übernahme der Wasserversorgung durch einen Großkonzern ab. Bedrückend dagegen der Film »Man at Sea«: Er inszeniert das Schicksal illegalisierter Flüchtlinge in Nordafrika als Beziehungsdrama. Ein Kapitän hat die Menschen aus dem Meer gefischt – nun kämpft er mit den Spannungen an Bord seines Öltankers. Denn niemand will das Schiff in den Hafen lassen – es sei denn, die dort sich herumtreibenden Organhändler, die ein Geschäft wittern. Insgesamt lieferte die diesjährige Berlinale eine beeindruckende Bandbreite an Filmen, die das Thema Menschenrechte spannungsreich ins Bild setzten.

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Insel der Grausamkeit Der Bürgerkrieg in Guatemala dauerte 36 Jahre. In »La Isla« dokumentiert Uli Stelzner die Aufarbeitung der Verbrechen dieser Zeit. Von Jorun Poettering

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La Isla. Archive einer Tragödie: Drehbuch und Regie Uli Stelzner, Guatemala/Deutschland 2009, HD, Spanisch mit deutschen Untertiteln.

»la isla« »La Isla« wurde mit einer Reihe internationaler Preise ausgezeichnet, unter anderem beim Internationalen Dokumentarfilmfestival München, bei den Festivals Memorimage und XÓM in Spanien, beim Festival de la Memoria in Mexiko und beim Moqavemat International Filmfestival im Iran. Uli Stelzner arbeitet in Berlin und Zentralamerika. Seit 1992 dreht er Dokumentarfilme, darunter drei weitere zu Guatemala: Die Zivilisationsbringer (1997), Testamento (2003) und Angriff auf den Traum (2006).

Foto: Eros Hoagland / Redux / laif

enn Uli Stelzner einen Film dreht, dann lässt er Menschen zu Wort kommen, die viel zu sagen haben, aber nur selten Gehör finden. Er geht behutsam mit ihnen um, die Geschichten, die sie erzählen, bleiben ihre eigenen. Stelzner dokumentiert, er beansprucht nicht, Erklärungen geben zu können. Und dennoch versteht er es, seine Zuschauer zu packen und sie mit ihrer eigenen Verantwortung zu konfrontieren. Der Film »La Isla. Archive einer Tragödie« stellt den schmerzhaften Erinnerungsprozess der guatemaltekischen Gesellschaft nach dem Bürgerkrieg dar und zeigt Ausschnitte aus der grausamen Vergangenheit des Landes. »La Isla« (Die Insel) ist der Name eines ehemaligen Geheimgefängnisses, in dem 2005 durch Zufall das Archiv der ehemaligen Nationalpolizei entdeckt wurde (siehe Amnesty Journal April 2010). Die dort aufbewahrten Dokumente geben Einblick in die von staatlicher Seite verübten Verbrechen während des 36 Jahre dauernden bewaffneten Konflikts. Er kostete rund 200.000 Menschen das Leben, weitere 40.000 Personen »verschwanden«. Bis heute wurden die Täter nur in den seltensten Fällen zur Rechenschaft gezogen. Stelzner drehte den Film ausschließlich auf dem Terrain von »La Isla«. Ein dunkles Gebäude, in dem einst gefoltert wurde, ein trostloses Gelände, auf dem heute eine Polizeischule untergebracht ist, ein monotones Archiv voller staubiger Papiere und technischer Geräte. Aber auch ein Ort, der für die erwachende Erinnerung Guatemalas steht. Denn die eigentlichen Protagonisten des Films, die Mitarbeiter und Besucher des Archivs, gehören zu den unmittelbar Betroffenen des Konflikts. Sie suchen die Wahrheit über die Schicksale ihrer Angehörigen – die stellvertretend für das Schicksal eines ganzen Landes stehen können. Um die politische Willkür, die extreme Repression und die internationale Beteiligung an dem Konflikt darzustellen, projiziert Stelzner weitgehend unbekanntes historisches Filmmaterial an die rauen Wände des Gebäudes. So werden die persön-

lichen Berichte der Protagonisten mit den von den Wänden reflektierten Szenen zu einer komplexen, aber klar strukturierten Gesamterzählung verwoben. Der Film berichtet ruhig und dicht – streckenweise ist er ausgesprochen hart. Er macht einen Konflikt nachvollziehbar, der die Gesellschaft mit ständigem Terror unterhöhlte. Bis heute herrscht Angst vor der Wahrheit, Schweigen über die Vergangenheit. Es fällt den Menschen im Film sichtlich schwer, über ihre Erlebnisse zu berichten. Aber sie überwinden ihre Angst; und ihre Berichte lassen sie ein Stück ihrer verlorengegangenen Würde zurückgewinnen. Schmerz und Trauer werden erträglich. Ein Cellist improvisiert. Es ist ein Film voll herber Poesie, meisterhaft in Szene gesetzt. Die Einschüchterungen und die Gewalt in Guatemala sind keinesfalls Vergangenheit. Kurz vor der Erstaufführung des Films im guatemaltekischen Nationaltheater gab es eine Bombendrohung. Spezialeinheiten suchten das Gelände ab, fanden aber nichts. Drei Stunden vor der Vorführung wurde ein Stromaggregat in die Luft gesprengt. Die Premiere fand dennoch statt und der Besucherandrang war groß, unter ihnen junge Leute, die den Konflikt nicht selbst miterlebt hatten. Sie wissen wenig über die Vergangenheit und so gut wie nichts über die Rolle ihrer eigenen Eltern. Aber sie kennen den außerordentlich hohen Grad alltäglicher Gewalt, der heute in Guatemala herrscht, eine Gewalt, die sich aus der fortwährenden Straflosigkeit speist.

Relikte des Bürgerkrieges. Akten im Menschenrechtsbüro der guatemaltekischen Regierung.

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»Den Menschen eine Stimme geben« Am 27. Mai werden die Söhne Mannheims bei der Verleihung des Menschenrechtspreises von Amnesty International auf der Bühne stehen. Ein Gespräch mit Bandmitglied und Sänger Henning Wehland. Wieso haben sich die Söhne Mannheims entschieden, beim Menschenrechtspreis von Amnesty aufzutreten? Ich glaube, dass wir immer schon gezeigt haben, dass die Band eine politische Botschaft hat. Amnesty ist eine Institution mit viel Tiefe und Glaubwürdigkeit, die sich für Themen und Menschen einsetzt, die sonst keine Stimme haben. Das wollen wir mit den Söhnen Mannheims auch tun – Menschen eine Stimme geben, die ansonsten nicht wirklich gehört werden. Ich denke, dass das in unserer Gesellschaft immer wichtiger wird. Und wenn sich Amnesty und die Söhne Mannheims dabei gegenseitig unterstützen, ist das eine gute Sache. Ist Musik heute noch politisch, wie sie es vielleicht in den siebziger Jahren war? Oder geht es mehr um Unterhaltung? Musik hat in erster Linie immer etwas mit Unterhaltung zu tun, aber ich glaube nicht, dass die siebziger Jahre die einzige Zeit waren, in der Musik politisch sein sollte und sein durfte. Politisch war sie auch in den achtziger Jahren – gerade in Deutschland. Auch heute stehen die Themen Politik und Glaubwürdigkeit im Vordergrund. Musik kann nicht nur Freiraum sein, sondern auch eine Pflicht, sich zu engagieren und sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen.

Das Jahr 2011 werde ich sehr viel mit den Söhnen Mannheims unterwegs sein, wobei ich auch Zeit finden werde, um mit meiner Band H-Blockx Musik zu machen. Darüber hinaus gibt es viele weitere Projekte, die mich interessieren. Dabei versuche ich immer mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, um meine Leidenschaft »Musik« ausleben zu können und um gleichzeitig etwas von der Welt zu sehen. Ein konkretes Projekt, das ich nebenher verfolge, ist eine Plattform für Nachwuchsmusiker. Sie soll junge Künstler fördern und ihnen dabei helfen, sich frei entfalten zu können. Fragen: Ralf Rebmann

interview die söhne mannheims sind ein Band-Kollektiv, das aktuell aus 14 Musikern besteht. Ihre Musik ist eine Mischung aus R&B, Soul, Rap, HipHop und Pop. Im Jahr 2000 veröffentlichte die Band mit »Zion« das erste Studioalbum. Danach folgten »Noiz« (2004) und die Compilation »Sonne, Mond & Sterne« (2005). Drei Jahre später fand das MTV-Unplugged-Konzert »Wettsingen in Schwetzingen« statt, im Mai 2009 erschien das Hörbuch »Mutige Menschen«, dem die Söhne Mannheims ihre Stimmen liehen. Darauf zu hören sind Geschichten von Mahatma Gandhi, Nelson Mandela, Rosa Parks, Anna Politkowskaja und anderen. Seit Februar 2011 ist die Band auf Europa-Tournee.

Wie haben die Söhne Mannheims diesen Anspruch in der Vergangenheit umgesetzt? Im weitesten Sinne sprechen unsere Musikalben für sich. Und schließlich war der Wunsch, auf Missstände aufmerksam zu machen und sie zum Positiven zu verändern, auch ein Grund dafür, dass die Band existiert. Ein Beispiel ist der Verein »AufwindMannheim e.V.«, der aus dieser Idee hervorgegangen ist. Er hilft Menschen, die sich in Notlagen befinden und die auf die Unterstützung anderer Leute angewiesen sind.

Sie sind schon lange im Musikgeschäft. Gibt es Projekte, die Sie in der Zukunft unbedingt verwirklichen wollen?

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Foto: Rolf Klatt / WireImage

Wie kam es dazu, dass Sie bei den Söhnen Mannheims eingestiegen sind? Eigentlich haben die Söhne Mannheims mich gefragt. Für einen Sänger und Musiker ist das eine große Möglichkeit und Herausforderung. Ich empfinde es auch als Glück, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich Gedanken über soziale Themen macht, da Musik den Anspruch haben sollte, etwas zu verändern. Zum einen bei demjenigen, der sie schreibt, und zum anderen bei den Menschen, die in ein Konzert gehen und dadurch vielleicht neue Anstöße oder Perspektiven bekommen.

Ein Sohn in Aktion. Henning Wehland.

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Verwerfungen Die haitianische Schriftstellerin Yanick Lahens hat das Erdbeben im Januar 2010 in Port-au-Prince miterlebt. Jetzt hat sie ihre persönlichen Aufzeichnungen über die verheerende Katastrophe veröffentlicht. Von Wera Reusch

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Yanick Lahens: Und plötzlich tut sich der Boden auf. Haiti, 12. Januar 2010. Aus dem Französischen von Jutta Himmelreich. Rotpunkt Verlag, Zürich 2011, 155 Seiten, 18,50 Euro.

Foto: William Daniels / Panos Pictures

ch werde nie vergessen, wie still es in Port-au-Prince an diesem Tag war. Die Stille in einer zu Staub gewordenen Stadt, durch die Geistergestalten irren. Eingestürzte Mauern, zerdrückte Häuser zeigen offen ihre pulvrig weißen Wunden. (…) Ringsum riecht es nach Erde und nach Tod. Der Geruch der Armut, der Geruch derjenigen, die seit dem Anfang der Welt nichts haben.« So schildert die Schriftstellerin Yanick Lahens ihren ersten Rundgang durch ihre Heimatstadt nach dem Erdbeben vom 12. Januar 2010. Sie selbst war zu Hause und las ihrem Neffen vor, als ein Erdstoß die haitianische Hauptstadt innerhalb von wenigen Sekunden in Schutt und Asche legte. Unter dem Titel »Und plötzlich tut sich der Boden auf« hat Lahens jetzt ihre persönlichen Aufzeichnungen über das Erdbeben und seine Folgen veröffentlicht. Es ist das Protokoll einer aufmerksamen Schriftstellerin, die ihre Stadt kennt und liebt, die zu helfen versucht, die unter Schock steht, Eindrücke notiert, Freunde und Bekannte verloren hat, beobachtet, trauert, Fragen stellt. Es sind anrührende Szenen, die Lahens in der ihr eigenen, poetischen Sprache schildert, über das Chaos der ersten Tage, über Bergungsversuche und das Zusammenrücken der Menschen. Im Gegensatz zu journalistischen Reportagen, die eine professionelle Distanz wahren, macht Lahens in ihren Aufzeichnungen kein Geheimnis daraus, welche Hilflosigkeit und Zweifel sie als Schriftstelle-

rin erfassen: »Wie schreiben, ohne das Unglück zu exotisieren, ohne Schaulust zu befriedigen, ohne den Gesetzen des Markts zu gehorchen, ohne eine Ware herzustellen, die sich prima fürs Schaufenster eignet? Wie diesem Unglück gerecht werden?« Die Stärke dieses Buchs besteht genau darin, dass Lahens offenlegt, zu welchen Erschütterungen und Verwerfungen die Katastrophe auf persönlicher Ebene führte. Doch gehen die Aufzeichnungen der 1953 in der haitianischen Hauptstadt geborenen Autorin weit über ein Tagebuch im engeren Sinne hinaus. Private Ereignisse und Beschreibungen der Lage in der Stadt wechseln sich ab mit Ausführungen zur Kultur und Geschichte Haitis sowie mit klugen Gesprächen, die Lahens mit ihren Freunden über die Zukunft des Landes führt. Dabei gerät das politische Vakuum in Haiti ebenso in den Blick wie die fragwürdige Rolle der zahllosen internationalen Hilfsorganisationen, die das Geschehen bestimmen, ohne einer Kontrolle zu unterliegen: »Der Auftritt der ersten NGOs kommt einer Entmündigung gleich, trotz der großen Dienste, die sie geleistet haben.« Lahens, die hier 2004 mit ihrem Roman »Tanz der Ahnen« bekannt wurde, ist in Haiti als Dozentin, Journalistin, in zivilgesellschaftlichen Organisationen und in der Jugendarbeit tätig. »Und plötzlich tut sich der Boden auf« trägt nicht nur zum Verständnis Haitis bei, es ist vor allem ein glaubwürdiges literarisches Zeugnis für den persönlichen Umgang mit einer Katastrophe, die alle Dimensionen sprengt. »Ich schreibe im Versuch, zu erkennen. Ein bisschen mehr wenigstens. Wiederhergestellt sein aber werde ich nicht.«

Staub zu Staub. Bis zu 500.000 Tote und weit über eine Million Obdachlose forderte das Erdbeben in Haiti vom 12. Januar 2010.

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Die geballte Macht der Machtlosigkeit

Bischof der Verfolgten

42 Prozent der Deutschen können kein Menschenrecht nennen, fand eine Umfrage heraus. Um Licht in dieses Dunkel der Unwissenheit zu bringen und um das 50-jährige Bestehen von Amnesty International zu würdigen, haben Urs M. Fiechtner und Reiner Engelmann ein Lesebuch für Jugendliche herausgegeben. In zahlreichen Beiträgen gewinnt das vielseitige Wirken der Organisation Kontur – die Texte bringen auf den Punkt, worum es beim Thema Menschenrechtsverletzungen eigentlich geht. Erinnerungen langjähriger Amnesty-Mitglieder wechseln sich ab mit solchen von ganz jungen: Lebendig schildert Gerd Ruge die Gründungsstunden der ersten deutschen Amnesty-Sektion, während drei Abiturienten von ihrer Arbeit in der Jugendsektion von Amnesty berichten. Daneben kommen ehemalige Gefangene oder in geheimer Haft gehaltene Menschen zu Wort. Und engagierte Jugendbuchautoren wie Lutz van Dijk und Nasrin Siege erzählen in literarisierter Form von Straßenkindern, Kindersoldaten und Flüchtlingen. Dabei wird deutlich, dass viele internationale Abkommen und Einrichtungen zum Schutz der Menschenrechte noch gar nicht so alt sind. Erstaunlich ist auch, was Ausdauer, Briefe, Postkarten und E-Mails bewirken können! Stets kommt es auf den Einzelnen an – den Einzelnen, dem Unrecht widerfährt und den Einzelnen, der sich engagiert. Ein mitreißendes und erhellendes Buch.

Er war Dorfpfarrer. Dann hörten er und seine Frau von den Problemen der »Dritten Welt«, wie es damals hieß. Sie wollten etwas tun. Deshalb wurde Helmut Frenz Pfarrer einer deutschen evangelischen Gemeinde in Chile. Doch Frenz merkte bald, dass er in einem sprachlichen und kulturellen Ghetto gelandet war und lernte intensiv Spanisch, um aus dem reaktionären Milieu der Deutsch-Chilenen ausbrechen zu können. Nun sind die Lebenserinnerungen des engagierten Menschrechtsaktivisten unter dem Titel »… und ich weiche nicht zurück« erschienen. Bald nach dem Putsch Pinochets am 11. September 1973 kamen Verfolgte zu ihm, gleichzeitig erzählten ihm Gemeindemitglieder, wie glücklich sie über den Putsch wären. Es war der Anfang eines Spagats, den er später immer wieder vollziehen sollte. Seine Arbeit für die Verfolgten polarisierte und spaltete schließlich die mehrheitlich Pinochet-treue evangelische Kirche in Chile. Seine Gegner nannten ihn fortan den »falschen Bischof«. Doch die Zahl derjenigen, die bei ihm Zuflucht vor den Massenverhaftungen der Militärdiktatur suchten, nahm zu. Er tarnte die Gruppe als »Bibelseminar«, bis die Sache aufflog, das Gebäude umstellt wurde und alle »Seminaristen« festgenommen wurden. Als sie in einen Militärbus gezwungen wurden, mischte sich Frenz unter sie. Durch die Intervention von Freunden kamen fast alle Festgenommenen frei. Weitere Rettungsaktionen folgten: Mit einer Frau, die sich als seine Sekretärin ausgab, fuhr er in die rettende deutsche Botschaft. Frenz sorgte mit Intervention beim Bundeskanzler und Bundespräsidenten dafür, dass der zögerliche deutsche Botschafter in Santiago, Kurt Lüdde-Neurath, Flüchtlinge in seiner Residenz aufnahm. Zu einer Audienz bei Pinochet erschien Frenz in seinem Talar. Als er von »physischem Druck« sprach, unterbrach ihn Pinochet: »Sie meinen Folter?« – die sei nötig, damit die »Kommunisten singen«. Nach Pinochets Verhaftung in London 1998 schilderte Frenz diese Episode vor einem spanischen Gericht. Frenz und seine Mitstreiter gründeten ein Flüchtlingskomitee für Lateinamerikaner, die nach Chile geflohen waren und dort nach dem Putsch in der Falle saßen. Und sie gründeten ein ökumenisches Friedenskomitee. Sie halfen Tausenden, retteten Hunderten das Leben. Gemeinsam mit den Angehörigen der politischen Gefangenen bildeten sie den Ausgangspunkt für eine chilenische Zivilgesellschaft mitten im Militärstaat. 1975 wurde Helmut Frenz aus Chile ausgewiesen. Hier endet sein Buch, aber nicht sein Kampf für die Menschenrechte: Ein Jahr später wurde er Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty. Jetzt betrieb er professionell, was er in Chile gelernt hatte: Er setzte sich im Auswärtigen Amt vehement für politische Gefangene in Argentinien ein und wurde später Flüchtlingsbeauftragter in Schleswig Holstein. 2004 ging er erneut nach Chile, wurde Ehrenbürger des Landes und arbeitete in einer Stiftung, die sich mit Opferentschädigung befasst. Heute lehrt Helmut Frenz Menschenrechte an einer chilenischen Universität.

Urs M. Fiechtner, Reiner Engelmann (Hrsg.): Dass wir heute frei sind … Menschen schützen Menschenrechte – Ein Lesebuch. Sauerländer Verlag, Mannheim 2011. 200 Seiten, 16,95 Euro. Ab 14 Jahren.

Wer hat Angst vor WikiLeaks? Die Veröffentlichung von geheimen Kriegsprotokollen aus Afghanistan und dem Irak sowie der US-Botschaftsdepeschen durch die Internetplattform WikiLeaks wurde in den vergangenen Monaten kontrovers diskutiert. Die Redakteure Marcel Rosenbach und Holger Stark waren für das Magazin »Spiegel« zusammen mit Vertretern der »New York Times« und dem britischen »Guardian« an den Absprachen mit WikiLeaks über die Publikation der Dokumente beteiligt. In ihrem Buch »Staatsfeind WikiLeaks« schildern sie die Ereignisse aus der Innenperspektive und berichten auf Basis detaillierter Recherche über die Entstehung und den Aufbau der Organisation, über ihre Mitarbeiter und die politischen Folgen der Veröffentlichung des sensiblen Materials. Das Ziel von WikiLeaks ist es, jedem Bürger die Möglichkeit zu geben, anonym geheime Informationen über Regierungen und Unternehmen online zu stellen, sobald sie seiner Einschätzung nach von öffentlichem Interesse sind. Die besondere Stärke des Buches besteht darin, dass die Autoren offen und selbstkritisch-reflektiert über eine Situation berichten, in die sie persönlich involviert waren. Sie schildern so eindrücklich den Spagat zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Schutz des Persönlichkeitsrechts. Marcel Rosenbach, Holger Stark: Staatsfeind WikiLeaks – Wie eine Gruppe von Netzaktivisten die mächtigsten Natio-

Helmut Frenz: … und ich weiche nicht zurück: Chile zwi-

nen der Welt herausfordert. DVA, München 2011, 336 Seiten,

schen Allende und Pinochet. Verlag Gustav-Adolf-Werk,

14,99 Euro.

Leipzig 2010, 336 Seiten, 12 Euro.

Bücher: Sarah Wildeisen, Nina Szogs, Dieter Maier kultur

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bücher

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Kriegskarrieren

Algerische Freiheit

Adam, den alle nur Champ nennen, weil er vor Urzeiten mal Afrika-Meister im Schwimmen war, hat nah am Wasser gebaut, ganz wörtlich: Er ist Bademeister am Hotelpool in Tschads Hauptstadt N’Djamena. Sein Sohn Abdel macht den Animateur. Die neue Chefin ist der Meinung, ein Poolwächter genüge. Daher hat Adam ab sofort das Eingangstor zu bewachen. »Vater, ich hab’ ja auch Verpflichtungen jetzt«, sagt Abdel. Der Sohn fühlt sich sichtlich wohl als alleiniger WasserVerantwortlicher. Das alles passiert während eines Krieges, der das Land seit Jahren quält – Machtkämpfe zwischen Rebellen und Regierung, ethnische Auseinandersetzungen, auch der Darfur-Konflikt im benachbarten Sudan schwappt immer wieder über die Grenze. Um seinen alten Job zu retten und Abdel gleichzeitig einen gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen, zeigt der Vater den Sohn bei der Armee an. Wenige Tage später wird der junge Mann zwangsrekrutiert. Vielleicht wird es ja etwas mit der Karriere, hofft der Vater. Der Zustand, in dem Abdel seinen Sohn jedoch wieder zurückbekommt, lässt dieses Ziel in weite Ferne rücken. »Une homme qui crie« von Regisseur Mahamat-Saleh Haroun fragt, was der Krieg mit den Menschen macht. Ein spröder, leiser Film mit Wucht – kein Wunder, dass er in Cannes 2010 den Preis der Jury gewann. Tschads erster Film überhaupt, der dort im Wettbewerb lief.

Der Titel wirkt, als wäre er mit Blick auf die arabische Demokratiebewegung gewählt worden: »O Houria«, zu Deutsch: Freiheit. Doch das Album ist zu einer Zeit entstanden, als die jüngste Entwicklung noch nicht absehbar war. Die Songwriterin Souad Massi stammt aus Algerien und siedelte vor rund elf Jahren nach Frankreich über, wo sie sich mit ihrer Akustikgitarre und ihrer eindringlichen Stimme rasch einen Namen machte. Wer von ihr allerdings jetzt wieder jene andalusisch angehauchten Folk-Chansons erwartet, mit denen sie berühmt wurde, dürfte enttäuscht werden, denn »O Houria«, nach langer Pause entstanden, markiert einen Neuanfang. Die mediterrane Aura, die ihre Songs bislang umwehte, ist verflogen, das Album wurzelt im Folk, Country und Rock. Das gilt selbst für jene Songs, in denen die arabische Oud des Electro-Lautisten Mehdi Haddab zu hören ist. Geblieben ist nur der süße Weltschmerz, mit dem Souad Massi diesmal auffällig oft auch politische Themen beklagt. So singt Souad Massi in »Toute reste a faire« über die vielen unbewältigten Probleme, von sozialer Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung bis hin zum Krieg. Und in »Une lettre a … Si Hmed« erzählt sie die Geschichte eines algerischen Bürgermeisters, der nie etwas dafür tat, die Straßen ihrer Heimatstadt reparieren zu lassen, bis er im Gefängnis landete. In dieser Country-Moritat blitzt dann sogar etwas Optimismus auf angesichts der Möglichkeit, dass sich die Dinge zum Besseren wenden können. Also doch das Album zur Stunde.

»Un homme qui crie«. Tschad/F/B 2010. Regie: MahamatSaleh Haroun, Darsteller: Youssouf Djaoro, Emile Abossolo M’bo u.a. Kinostart: 7. April 2011

Souad Massi: O Houria (Wrasse / Harmonia Mundi)

Illegales Leben Vom Leid illegaler Einwanderung kündet Alejandro González Iñárritus grandioser Film »Biutiful«. Im Mittelpunkt steht der krebskranke Menschenschlepper Uxbal, der womöglich zu weich ist für das harte Geschäft: Er hat ein großes Herz, dessen Kapazitäten von der Familie arg in Beschlag genommen werden. Und von seinen Klienten auch – den illegal in Spanien lebenden Chinesen und Afrikanern, die er auszubeuten gedenkt: Die einen malochen in der Näherei und stellen billige Kopien von Markenartikeln her, die anderen verhökern diese auf der Straße. Uxbal schlägt sich mit den Behörden und der Polizei herum, bringt zeitweise Einwanderer in seiner Wohnung unter. Man ist eben auch befreundet. Dann wird ausgerechnet er zum Mörder. Den Himmel Spaniens wie auch sein Meer sieht man in diesem Film selten – und wenn, dann in Verbindung mit jenen angeschwemmten Toten am Strand, die von untergegangenen Schlepperbooten stammen. Iñárritu wirft einen harten Blick auf die europäische Migrationspolitik: Uxbals Dienste kommen beinahe als alltägliche Normalität des globalisierten Arbeitsmarktes daher. Parallel wird gezeigt, wo es mit Europas Jugend hingeht: Eingezwängt in einer heruntergekommenen Bude versucht der Schlepper, seinen Kindern die Schule schmackhaft zu machen. »Beautiful, wie schreibt man das?«, fragt das Kind. »Mit zwei i«, antwortet der Vater. »Biutiful« SP/MEX 2010. Regie: Alejandro González Iñárri-

Anatolische Traditionen Noch vor einigen Jahren landete ihr Album »Kece Kurban« in der Türkei auf dem Index. Angeblich ermunterten ihre Lieder junge Frauen dazu, sich in den Bergen der PKK-Guerilla anzuschließen, die von dort aus gegen den türkischen Staat kämpft. Das absurde Verbot wurde später von einem türkischen Gericht wieder aufgehoben. Denn tatsächlich hält sich die kurdische Sängerin Aynur von Politik und plakativem kurdischem Nationalismus eher fern. Auf ihrem neuen Album »Rewend« (»Nomade«) greift sie vor allem auf traditionelle Lieder aus Anatolien zurück, die sie mit modernen Arrangements in die Nähe von Jazz und Folk rückt. So strahlen die klagenden Balladen und kurdischen Tanzweisen, die häufig um Liebeshändel und Naturerfahrungen kreisen, in neuem Licht. Einem breiteren Publikum in Deutschland bekannt wurde Aynur durch ihren Auftritt in Fatih Akins schwärmerischer Dokumentation »Crossing the Bridge« über die Musikszene Istanbuls. Von dort aus hat die Sängerin, die aus einer Hochburg der kurdisch-alevitischen Minderheit, der Provinz Tunceli, stammt, längst international Karriere gemacht. Und auch wenn sie sich nicht parteipolitisch vereinnahmen lässt, so nutzt sie ihren Ruhm doch. Den Titelsong des Albums etwa hat sie den Menschen von Hasankeyf gewidmet – einem Dorf mit antiker Felsenfestung am Tigris, das durch einen umstrittenen Staudamm bedroht ist.

tu, Darsteller: Javier Bardem, Karra Elejalde u.a. Derzeit in den Kinos.

Aynur: Rewend (Sony Music Türkiye)

Film: Jürgen Kiontke | Musik: Daniel Bax 68

amnesty journal | 04-05/2011


Foto: Julia Montilla

Ästhetische Globalisierungskritik. Das spanische Künstlerkollektiv »Ojos de Brujo«.

Abschied von der Bühne FlamencHop adé: In diesem Jahr wird die spanische Mestizo-Band »Ojos de Brujo« ein letztes Mal auf Tournee gehen. Von Daniel Bax

S

ag zum Abschied leise: »Adios!« Es ist für Musiker nicht leicht, den richtigen Moment zu finden, um von der Bühne abzutreten. Die spanische Mestizo-Band Ojos de Brujo zieht nach zehn Jahren einen Schlussstrich und verabschiedet sich mit einem Best-of-Album von Fans und Freunden. Ojos de Brujo waren immer mehr als eine Band: ein Künstlerkollektiv, eine Kooperative, zu denen auch Künstler und Grafik-Designer zählten, die Globalisierungskritik und ästhetische Innovation zum Gesamtkunstwerk verband. »Die Augen des Hexers«, wie ihr Name übersetzt lautet, haben aus der Flamenco-Tradition der südspanischen Gitanos und der globalisierten Street Culture des HipHop ein Amalgam geschaffen, das so organisch wirkt, als hätten die beiden Musikstile schon immer zusammengehört. Aus zwei urbanen Stilen der Straße entstand ein neues Genre, der FlamencHop. Schon mit ihrem zweiten Album »Bari« gelang Ojos de Brujo 2002 der internationale Durchbruch: Damit staubte das Kollektiv nicht nur den begehrten World Music Award der BBC ab, ihre Tourneen führten sie in den Folgejahren auch rund um die Welt. Für den Nachfolger »Techari« gab es dann einen Latin Grammy, die höchste Auszeichnung, die die US-amerikanische Musikindustrie in dieser Sparte zu vergeben hat. Zuletzt erschien das Album »Aocaná« – und jetzt, kein Jahr später, verkünden sie schon ihren Abschied.

kultur

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film & musik

Ein treibender Rumba-Rhythmus, fast beiläufig mit Beats und Scratches unterlegt, eine mediterrane Melodie, die wie eine frische Meeresbrise aus Barcelona herüberweht, dazu der vom Flamenco inspirierte Gesang der Sängerin Marina »La Canilla« Abad – das sind die typischen Zutaten, mit denen Ojos de Brujo ihren unverwechselbaren Stil begründet haben. Auf »Corriente Vital« (»Lebendiger Fluss«) erkennt man ihre Handschrift gleich von den ersten Takten an. Der Titelsong ist allerdings das einzige wirklich neue Stück auf »Corriente Vital«. Ansonsten versammelt die Compilation fast ausschließlich neu eingespielte Songs aus den vergangenen zehn Jahren. Die Liste der Mitwirkenden auf »Corriente Vital« liest sich wie ein »Who is Who« der aktuellen spanischen Musikszene: Das zeigt den Status, den sich Ojos de Brujo im eigenen Land erspielt haben. Dem Stück »Todos Mortales« leiht Roldan von den Orishas seinen Schmelz; er ist die Gesangsstimme des SalsaHiphop-Trio aus Kuba. Bei »Nueva Vida« schaut die Sängerin und Schauspielerin Bebe aus Valencia vorbei und bei »Lluvia« die baskisch-arabische Sängerin Najwa Nimri aus Pamplona, während »Baraka« jetzt Manolo Garcia, ein 55-jähriger Veteran des Flamenco-Pops, seinen Stempel aufdrückt. Mit »Corriente Vital« geht eine Ära zu Ende. In diesem Jahr werden Ojos de Brujo ein letztes Mal auf Tournee gehen. Ihre Konzerte sind ein Spektakel für alle Sinne: Auf der Bühne kombinieren sie Flamencotanz und Breakdance, Graffiti-Art, Videokunst und Gipsy-Ästhetik zum multimedialen Ereignis. In Zukunft wird nun jeder seiner eigenen Wege gehen und sich eigenen Projekten widmen. Ojos de Brujo: Corriente Vital (Warner Spain / Galileo MC)

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Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt oder man lässt sie »verschwinden«. amnesty international veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle drei Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu beenden. Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie bitte eine Kopie an amnesty international.

amnesty international Postfach, 53108 Bonn Tel.: 0228 - 98 37 30, Fax: 0228 - 63 00 36 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de Spendenkonto Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00 oder Postbank Köln Konto: 22 40 46 - 502, BLZ: 370 100 50

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briefe gegen das vergessen

sri lanka prageeth eknaligoda Der sri-lankische Journalist und Karikaturist Prageeth Eknaligoda wird vermisst. Er »verschwand« am 24. Januar 2010 auf dem Heimweg nach Homagama in der Nähe der Hauptstadt Colombo. Der Regierungskritiker hatte im Vorfeld über die Präsidentschaftswahlen am 26. Januar 2010 berichtet und dabei eine Analyse beider Präsidentschaftskandidaten veröffentlicht, die zum Vorteil des Oppositionskandidaten Sarath Fonseka ausfiel. Prageeth Eknaligoda hatte in den Tagen vor seinem »Verschwinden« einem Freund erzählt, dass er glaube, beobachtet zu werden. Nachdem er am 24. Januar abends nicht nach Hause zurückkehrte, unternahm seine Ehefrau Sandya Eknaligoda am nächsten Tag den Versuch, die Polizei einzuschalten. Zwei Wochen lang weigerten sich die Beamten, in dem Fall zu ermitteln oder eine Anzeige von Sandya Eknaligoda entgegenzunehmen. Sie vermuteten, dass es sich lediglich um eine konstruierte Geschichte handle. Später gaben sie Sandya Eknaligoda gegenüber an, die Protokolle zum Fall ihres Ehemanns verloren zu haben. Sandya Eknaligoda hat inzwischen eine Untersuchung beantragt, da sie die Unabhängigkeit der Ermittlungen bezüglich des »Verschwindens« ihres Ehemannes anzweifelt. Zudem hat sie eine Kampagne ins Leben gerufen, mit der sie dafür sorgen will, dass der Fall von Prageeth Eknaligoda und weiteren Opfern des »Verschwindenlassens« aufgeklärt wird. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Präsidenten Sri Lankas und fordern Sie ihn auf, umgehend eine vollständige und gründliche Untersuchung des »Verschwindenlassens« von Prageeth Eknaligoda einzuleiten. Appellieren Sie an ihn, dafür zu sorgen, dass Angriffe und Entführungen von Journalisten in Sri Lanka ordnungsgemäß untersucht und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Schreiben Sie in gutem Singhalesisch, Tamilisch, Englisch oder auf Deutsch an: PRÄSIDENT His Excellency the President Mahinda Rajapaksa Presidential Secretariat Colombo 1 SRI LANKA (korrekte Anrede: Your Excellency) Fax: 0094 - 11 - 244 66 57 (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an Botschaft der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka S.E. Herrn Tikiribandara Maduwegedera Niklasstr. 19, 14163 Berlin Fax: 030 - 80 90 97 57 E-Mail: info@srilanka-botschaft.de

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Ilkhom Ismanov wurde vermutlich in der Haft gefoltert. Am 3. November 2010 nahmen ihn Polizisten in der Stadt Chudschand fest. Seine Ehefrau konnte ihn drei Tage darauf besuchen. Sie berichtete von Schnittwunden an seinem Hals und Narben an seinen Händen. Außerdem verstießen die Behörden gegen die Strafprozessordnung Tadschikistans: Erst neun Tage nach seiner Festnahme wurde Ilkhom Ismanov einem Richter vorgeführt. Seine Anwältin soll ihren Mandaten erstmals bei der Anhörung getroffen haben. Die Staatsanwaltschaft der Region Sughd teilte der Ehefrau von Ilkhom Ismanov im Dezember 2010 mit, dass sie die Vorwürfe über die Folterung ihres Mannes, seine widerrechtliche Inhaftierung und die Verwehrung des Zugangs zu seiner Anwältin nicht bestätigen könne. Amnesty International befürchtet, dass die Untersuchung unzureichend und ineffektiv war, da die Staatsanwaltschaft keine Angaben über den Verlauf der Untersuchung und die daraus resultierenden Ergebnisse gemacht hat. Die Ehefrau von Ilkhom Ismanov gab an, dass weder mit ihrem Mann, noch mit dessen Anwältin oder Zeugen Gespräche geführt wurden. Weiterhin befürchtet Amnesty International, dass Ilkhom Ismanov während der Haft nur unzureichenden Zugang zu medizinischen Untersuchungen und entsprechender Versorgung hatte. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den tadschikischen Präsidenten und bringen Sie Ihre Besorgnis über die Berichte zum Ausdruck, denen zufolge Ilkhom Ismanov gefoltert worden ist, widerrechtlich inhaftiert wurde, eingeschränkten Kontakt zu seiner Anwältin hatte sowie erst nach neun Tagen Untersuchungshaft einem Richter vorgeführt wurde. Betonen Sie, dass dies einen klaren Verstoß gegen die Strafprozessordnung Tadschikistans darstellt. Fordern Sie zudem, dass zu den Vorwürfen, Ilkhom Ismanov habe keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten, eine Untersuchung durchgeführt wird. Schreiben Sie in gutem Tadschikisch, Russisch, Englisch oder auf Deutsch an: Emomali Rahmon Apparat Prezidenta Respubliki Tajikistan or. Rudaki 80, 734023 g. Dushanbe TADSCHIKISTAN (korrekte Anrede: Dear President) E-Mail: mail@president.tj (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an Botschaft der Republik Tadschikistan S.E. Herrn Imomudin Sattorov Perleberger Straße 43, 10559 Berlin Fax: 030 - 34 79 30 29

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tadschikistan ilkhom ismanov

irak samar sa’ad abdullah Samar Sa’ad Abdullah droht die Hinrichtung. Am 15. August 2005 wurde sie in Bagdad wegen Mordes an ihrem Onkel, dessen Frau und einem der Kinder des Ehepaares zum Tode verurteilt. Ein Kassationsgericht bestätigte das Urteil am 26. Februar 2007. Während des Prozesses hatte Samar Sa’ad Abdullah wiederholt ihre Unschuld beteuert und angegeben, ihr »Geständnis« unter Folter in Polizeigewahrsam gemacht zu haben. Samar Sa’ad Abdullah beschuldigt ihren Verlobten, die Morde begangen zu haben. Die Behörden fahnden derzeit nach ihm. Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Irak im August 2004 können Menschen wegen Gefährdung der inneren Sicherheit, Mord, Drogenhandel und Entführung zum Tode verurteilt werden. Elf Monate zuvor war die Todesstrafe ausgesetzt worden. Die irakischen Behörden begründeten die Wiedereinführung mit der angespannten Sicherheitslage im Land und der hohen Anzahl politisch motivierter Gewalttaten. Zwischen 2004 und Ende 2009 wurden mindestens 255 Menschen hingerichtet. Rund 1.300 Menschen sitzen nach vorliegenden Informationen in den Todeszellen ein. Die meisten Todesurteile liegen schon einige Jahre zurück. Die Betroffenen befinden sich jedoch in ständiger Gefahr, hingerichtet zu werden. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Ministerpräsidenten des Irak und fordern Sie ihn auf, das gegen Samar Sa’ad Abdullah verhängte Todesurteil nicht zu vollstrecken. Erkundigen Sie sich nach den Einzelheiten der gegen Samar Sa’ad Abdullah vorgebrachten Anklagepunkte und dringen Sie darauf, dass eine unverzügliche Untersuchung der von ihr vorgebrachten Foltervorwürfe erfolgt und sämtliche dafür Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Appellieren Sie an den Ministerpräsidenten, alle verhängten Todesurteile umzuwandeln und ein Hinrichtungsmoratorium zu erlassen, um eine Abschaffung der Todesstrafe einzuleiten. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch an: His Excellency Nuri Kamil al-Maliki Prime Minister (korrekte Anrede: Your Excellency) Senden Sie bitte Ihr Schreiben an die irakische Botschaft und bitten Sie um Weiterleitung an den Ministerpräsidenten: Botschaft der Republik Irak S. E. Herrn Hussain Mahmood Fadhlalla Alkhateeb Pacelliallee 19–21, 14195 Berlin Fax: 030 - 81 48 82 22 E-Mail: info@iraqiembassy-berlin.de (Standardbrief bis 20 g innerhalb Deutschlands: € 0,55)

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50 jAhre

amnesty

international ausgewählte veranstaltungen Zum 50. geburtstag von amnesty international. Aktuelle InformAtIonen Auf: www.Amnesty.de/termIne albstadt – 16.04.2011, 18.30 Uhr: Benefizkonzert mit Panama Riddim Section, Mom´s Day, Funkenstein, Schwarzer Peter, u.a. Ort: Turn- und Festhalle, Albstadt-Laufen

beckum – 14.05.2011: Fahrradtour Beckum–Neubeckum–Oelde, mehr Informationen unter: amnesty-beckum@gmx.de. Start: Beckum

albstadt – 09.10.2011, 17 Uhr: Gospelkonzert mit »Voices, Hearts and Soul« unter der Leitung von Juandalynn R. Abernathy.Info: ai@ai-albstadt.de. Ort: Martinskirche

beckum – 09.04.2011, 18.30 Uhr: Rockkonzert »Mercy from the Moshpit 2011«. Ort: EWerk, Sternstraße 24

alt-oberhausen – 30.06.2011, 19 Uhr: »Chöre singen für die Menschenrechte« mit den Oberhausener Chören; Ort: Lutherkirche, Lipperheidstraße 55 asperg – 16.11. bis 13.12.2011: AI@50Ausstellung. Ort: Rathaus Bissingen augsburg – 28.05.11, 15 Uhr: Stadtführung zum Thema Menschenrechte, im Anschluss Kulturevent mit Benefizessen. Start vor dem Augsburger Rathaus bad mergentheim – 30.05. bis 17.06.2011: AI@50-Ausstellung. Ort: Sparkasse Tauberfranken, Härterichstraße bad mergentheim – 27.05.2011, 19.30 Uhr: Benefizkonzert und Geburtstagsfeier mit dem »Caribu-Chor«. Ort: Evangelisches Gemeindezentrum, Albert-Schweizer-Saal, Härterichstraße bamberg – 28.05.2011, 20 Uhr: Benefizabend mit den Musikgruppen »For Sale« und »Big Sound Jack« sowie einer Lesung von Jan Burdinski. Ort: Live-Club, Obere Sandstraße 7

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berlin – 28.05.2011: Infostand im Deutschen Historischen Museum. Ort: Unter den Linden 2

berlin – 17.05.2011, ab 12 Uhr: Aktionstag gegen Homophobie mit anschließendem Benefizkonzert. Ort: Yaam, Stralauer Platz 35 berlin – 27.04. bis 29.06.2011, immer mittwochs, 18 bis 20 Uhr: Vorlesungsreihe »Amnesty International: Ein halbes Jahrhundert für die Menschenrechte«. Ort: FU Berlin, Silberlaube, Otto-von-Simson-Straße 26 berlin – 28.05.2011, 10.30 bis 16 Uhr: Geburtstagsstand mit Musik, Spielen, Kuchenverkauf, usw. Ort: Kollwitz-Platz biberach – 20.05.2011, 19.30 Uhr: Ausstellungseröffnung zum Geburtstag.Musikalisch umrahmt von dem bekannten Jazzpianisten Joe Fessele. Ort: Foyer im Rathaus bremen – 06.05 bis 30.05.2011 (Eröffnung: 08.05.2011, 11 Uhr): Apacheta, Ausstellung südamerikanischer Künstler zum Thema Menschenrechte. Ort: Bürgerhaus Weserterrassen

bremen – 20.05.2011, 19 Uhr: Jubiläumsfest »Ein Toast auf die Freiheit«. Ort: Gemeindehaus der Stephaniekirche, Faulenstr. 108

burgdorf – 28.06.2011, 19 Uhr: Podiumsdiskussion zum Thema »50 Jahre Amnesty« mit Monika Lüke, Prof. Horster und Dr. Charbonnier. Ort: Veranstaltungszentrum, Sorgenser Str. 31 burgdorf – 22.07.2011, 19.30 Uhr: Konzertlesung »Was uns nicht ruhen lässt«. Lyrik und Musik für die Menschenrechte mit Gudrun Voss und Holger Kirleis. Ort: Isernhagen-Hof, Hauptstraße 68, Isernhagen celle – 21.05.2011, 19 Uhr: Benefizkonzert des »Jungen Chores Celle« unter dem Motto »Musik für die Menschenrechte«. Ort: Kreuzkirche Celle, Windmühlenstraße 45 cloppenburg – 24.05.2011, 19.30 Uhr: Konzert mit Big Band »Cajazzo« mit Lesung. Ort: Münchhausenscheune des Niedersächsischen Freilichtmuseums, Bether Straße 6

dachau – 30.04.2011, ab 12 Uhr: Veranstaltung zum 50. Geburtstag, Vortrag der Schirmherrin Frau Dr. Barbara Distel, danach Benefizkonzert der »Thunderbirds«. Ort: LudwigThoma-Haus, Augsburger Straße 23

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darmstadt – 28.05.2011, 14 Uhr: »Toast to freedom«: Sekt, Jubiläumstorte, Ausstellung und Gespräche mit Passanten. Ort: Citycarré (nahe Luisenplatz)

geesthacht – 13.11.2011, 9.30 Uhr: AI-Gottesdienst: »50 Jahre Einsatz für die Menschenrechte«. Ort: St.Petri-Kirche, Am Spakenberg

darmstadt – 27.08.2011, 15 Uhr: Jubiläumsfeier mit Live-Musik, Tanztheater, Ausstellungen uvm. Ort: Hofgut Oberfeld, Erbacher Straße 125

geesthacht – 13.11.2011, 18 Uhr: Benefizkonzert mit Andreas Krause & Friends, Obertongesang und meditative Weltmusik. Ort: St. Salvatoris-Kirche, Kirchenstieg 1

denZlingen – 28.05.11, 14 bis 16 Uhr: Benefizlauf: »Denzlingen läuft für die Menschenrechte«. Treffpunkt vor dem Rathaus

giessen – 30.04. bis 29.05.2011 (Eröffnung: 30.04.2011, 16 Uhr): Plakatkunst für die Menschenrechte – 50 Jahre Amnesty International. Ort: Oberhessisches Museum, Altes Schloss, Brandplatz 2

denZlingen – 19.09. bis 30.09.2011: Ausstellung von Schülerarbeiten über die Arbeit von Amnesty. Ort: Foyer des Neuen Rathauses denZlingen – 22.10.2011, 17 Uhr: Konzert mit »El Camino« (geistliche und weltliche Musik von Orlando di Lasso). Ort: Evangelische Georgskirche denZlingen – 10.12.2011: Mahnwache zum Tag der Menschenrechte. Ort: Kohlerhof detmold – 27.05.2011, 16 Uhr: Geburtstagsfest mit Informationsstand, Geburtstagstorte und Grußwort des Bürgermeisters. Ort: Marktplatz duisburg – 28.05.2011: Infostand mit Rahmenprogramm. Ort: Stadtmitte duisburg – Oktober bis November 2011: AI@50-Ausstellung. Ort: VHS Stadtmitte, Königstr. 47 emden – November 2011: AI@50-Ausstellung. Ort: VHS Emden, An der Berufsschule 3 ennigerloh – 13.04.2011, 20 Uhr: Buchvorstellung »Das wir heute frei sind …«. Ort: Alte Brennerei, Liebfrauenstr. 6 flensburg – 18.06.2011, 11 Uhr: Grenzüberschreitende Geburtstagfeier mit dänischen Amnesty-Gruppen, Reden, Musik, Unterhaltung, Essen. Treffpunkt: Hafenspitze Flensburg fürstenfeldbruck – 27.03.2011, 10 Uhr: »Frauen in Aktion – Frauen in Gefahr«. Ein Gottesdienst zu 50 Jahren Amensty International mit Postkartenaktion und Informationsstand. Ort: Ev. Gnadenkirche, Martin-LutherStraße 1 fürstenfeldbruck – 19.10.2011, 19.30 Uhr: Vernissage zur Ausstellungseröffnung mit Vortrag und Musik. Ort: VHS Fürstenfeldbruck, Niederbronner Weg 5 furtwangen – 10.12.2011: Infostand unter dem Motto »light a candle for hope«. Ort: Marktplatz geesthacht – Jeden Sonntag vom 13.03 bis 17.04.2011: Fastenaktion: »7 Wochen mit Engagement für die Menschenrechte«. Ort: in fünf Geesthachter Kirchen geesthacht – 09.04.2011, 20 Uhr: Rockkonzert Somethin Stupid, Memos, Bury us all, Red Flame und The Jesus Haircut. Ort: OberstadtTreff, Mehrgenerationenhaus, Dialogweg 1

50 jahre amnesty

hamburg – 30.07 bis 07.08.2011: Radtour für die Menschenrechte 2011 durch Niedersachsen und Sachsen-Anhalt: Hamburg–Magdeburg (mehrere Stationen). Anmeldung unter: radtour2011@amnestysachsen-anhalt.de hannover – 28.05.2011: Festakt und Vortrag »Menschenrechte heute und die Aufgaben von morgen«, Berichte von AI-Aktivisten, Mehr Info: info@aihannover.de. Ort: Schauspielhaus Hannover herford – 23.05. bis 01.07.2011: AI@50Ausstellung. Ort: Rathaus hilden – 05.07. bis 22.07.2011: AI@50-Ausstellung Stadtbibliothek, Nove-Mesto-Platz 3

karlsruhe – 07.05.2011, 20 Uhr: Filmpremiere Adelina v. Fürstenberg: Filmvorführung »Then and Now« und Gespräch mit der Regisseurin, im Anschluss Geburtstagsfest mit Live-Musik. Ort: Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), Lorenzstraße 19 karlsruhe – 08.05. bis 15.05.2011 (Vernissage 08.05., 11 bis 13 Uhr): Verkaufsausstellung 50 Jahre Amnesty – 20 Jahre Zusammenarbeit BBK. Ort: Bezirksverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Karlsruhe e.V., Am Künstlerhaus 47 karlsruhe – 22.05.2011, 12 Uhr: »Die Menschenrechte in den drei Weltreligionen«. Ort: Volkshochschule, Kaiserallee 12e karlsruhe – 29.05.2011, 14 Uhr: Fahrradtour 50 Jahre AI mit »stattreisen« vom Platz der Grundrechte über weitere Stationen. Start: Platz der Grundrechte karlsruhe – 01.06.2011: Filmvorführung »Stories on Human Rights« im IBZ, evtl. mit Vortrag

kempen – 28.05.2011: Anstoßfest und Rosenaktion. Ort: Engerstraße kempen – 02. und 03.09.2011: Bücherverkaufsbörse. Mehr Info: info@amnestykempen.de. Ort: Rathaus Kempen kempen – 16.10.2011, 11.15 Uhr: »50 Jahre Amnesty International«, Vortragsveranstaltung mit Stefan Kessler. Ort: VHS im Kulturforum

kiel – 29.05.2011, 18.30 Uhr: Theaterstück über die Menschenrechte: »Mahabad, Max und die Liebe« mit anschließender Vorstellung von sieben erfolgreichen Amnesty-Fällen. Ort: Theater Kiel, Hansastraße 48 kleve – 09.10.2011: Bücherbummel auf Stadtfest. Ort: Hoffmannallee bis Große Straße köln –

12. bis 19.06.2011: Jahresversammlung 2011 in Köln mit anschließender »Amnesty-Woche« (Ausstellung, Lesung, Open-Air-Kino, Konzerte). Mehr Info unter: info@ amnesty-koeln.de. Mehrere Veranstaltungsorte in Köln

krefeld – 21.05.2011, 20 Uhr: Infostand während der musikalischen Lesung von Ulla Meinecke. Ort: Kulturpunkt der Friedenskirche Luisenplatz 1 krefeld – 24.05.2011, 19 Uhr: Gottesdienst mit Präses Nikolaus Schneider. Ort: Kulturpunkt der Friedenskirche Luisenplatz 1 krefeld – 25.05.2011, 19 Uhr: Szenische Lesung mit Ensemblemitgliedern des Schauspielhauses. Ort: Schauspielhaus Krefeld, Theaterplatz 3 krefeld – 26.05.2011, 19.30 Uhr: Rockkonzert in der Kulturfabrik. Ort: Dießemer Str. 13 krefeld – Oktober: Ausstellung der Künstlergruppe Apacheta aus Bolivien, weitere Infos: presse@amnesty-krefeld.org. Ort: Volkshochschule, Von-der-Leyen-Platz 2 krefeld – 13.10.2011, 19 Uhr: Lesung mit lokalen Prominenten. Ort: Am Theaterplatz 2 kulmbach – 25.02.2011, 20 Uhr: Benefizveranstaltung: Musiktheater »Die Sekretärinnen«. Ort: »Studio Baumann«, Ziegelhüttener Straße 40 kulmbach – 08.05.2011, 15 Uhr: Benefiz-Konzert zum Muttertag mit dem »Damenorchester Cappucino«. Ort: Mönchshof Bräuhaus, Hoferstraße 20 kulmbach – 26.09.2011, 16 Uhr: Eröffnung der Ausstellung »Bootsflüchtlinge« zur interkulturellen Woche. Ort: Städtische Sparkasse, Fritz-Hornschuch-Straße 10 lübeck – 29.10.2011, 15 Uhr: Kunstauktion in der Kunsthalle St. Annen. Ort: Museum St. Annen, St. Annenstraße 15

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lübeck – 20.06.2011, 10 bis 13 Uhr: Aktionen zur »Festung Europa«. Ort: Rathaus Lübeck lübeck – 26.06.2011, 10 bis 13 Uhr: Aktionen zum Thema »Folter«. Ort: Rathaus Lübeck lübeck – 12.10.2011, 10 bis 13 Uhr: Aktionen zum Thema »Todesstrafe«. Ort: Rathaus Lübeck lübeck – 28.05.2011, 20 Uhr: Theaterstück über die Menschenrechte: »Mahabad, Max und die Liebe« mit anschließender Vorstellung von sieben erfolgreichen Amnesty-Fällen. Ort: Theater Lübeck, Breite Straße lübeck – 08.03.2011, 17 Uhr: Brückenaktion »Women for Women«. Ort: Obertrave, Höhe Musikhochschulen lübeck – 03.06.2011, 11 Uhr: Benefizgolfturnier im Golfpark Maritim Ostsee. Ort: Schloßstraße 14, 23626 Warnsdorf / Ratekau ludwigsburg – 27.05.2011, 17 Uhr: AI@50Ausstellung und Ausstellung »Bootsflüchtlinge«. Ort: Kulturzentrum, Ludwigsburg

mannheim – 28.05.2011, 12.30 bis 20.15 Uhr: Jubiläums-Schifffahrt auf dem Neckar mit Informations- und Unterhaltungsprogramm. Anmeldung auf www.ai-rhein-neckar.de/50-jahreamnesty. Ort: Mannheim (Start), über Ladenburg nach Heidelberg miesbach – 27.05.2011, 20 Uhr: Konzert mit »The Rainbow Gospel Voices«. Ort: Gymnasium Miesbach, Haidmühlstr. 36 moers – 28.05.2011, 17.30 Uhr: Geburtstagsfeier 50 Jahre Amnesty mit »Dark Dimension«. Ort: Bollwerk, Homberger Str. 107 mönchengladbach – 24.06.2011, 19 Uhr: Szenische Lesung mit Ensemblemitgliedern im »Schwesterntheater«. Ort: Am Nordpark 299

münchen – 08.05.2011, 19 Uhr: »Kugeln vor Lachen«, Benefiz-Gala im Circus Krone, u.a. mit Gerhard Polt, Biermösl Blosn, Erwin Pelzig und Timothy Peach. Ort: Circus Krone münster – 20.06 bis 08.07.2011: AI@50Austellung. Ort: Foyer des Hörsaalgebäudes, Hindenburgplatz 10 neustadt – 23. bis 28.05.2011: Bücherfenster in der Buchhandlung »Buchstabe«. Ort: Hochtorstraße 2 nordhorn – 08.12.2011, 19.30 Uhr: Fest zum Geburtstag mit verschiedenen Musikgruppen aus Nordhorn und den Niederlanden sowie Screening des AI-Spots. Ort: Alte Weberei, Vechteaue 2 nordhorn – 09. und 10.12.2011: Briefmarathon und Eröffnung der AI@50-Ausstellung. Ort: Stadtbibliothek, Büchereiplatz

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nürnberg – 02.07.2011, ganztägig: »Ein Toast auf die Freiheit« und AI-Infoecke, Straßentheater. Ort: Platz vor der Lorenzkirche nürtingen – 03.07.2011, 11 Uhr: Nürtinger Menschenrechtsweg. Start: Alte Seegrasspinnerei, Plochiner Straße 14 offenburg – 15.05.2011, 19 Uhr: Benefizkonzert: Orchester »Harmonie«, vier Solisten des Südwestrundfunk-Sinfonieorchesters BadenBaden/Freiburg. Ort: Reithalle auf dem Kulturforum offenburg – 20.05 bis Mitte Juli 2011: AI@50-Ausstellung. Ort: Stadtbibliothek, Weingartenstraße 32 papenburg – 28.05.2011, 21 Uhr: Konzert von und für Jugendliche. Ort: Jugendzentrum JUZ papenburg – 14.08. bis 25.09.2011: Ausstellung »Acusamos – Lateinamerikanische Künstler für die Menschenrechte«. Ort: Galerie Forum Alte Werft, Ölmühlenweg 11 passau – 24.06.2011, 10 bis 16 Uhr: Spendenlauf zugunsten von Amnesty. Ort: Sportplatz der Universität Passau plön – 13. bis 28.05.2011: Kunstausstellung »Die Menschenrechte«. Holzschnitte von Antje Wichtrey. Ort: Kunstforum, Schloss Plön ravensburg – 05.05.2011, 20 Uhr: »Wir machen weiter, mach mit!« Kabarett mit Mike Jörg und Künstlern aus der Region. Ort: Zehntscheuer, Grüner-Turm-Straße 26 recklinghausen – 28.05.2011, ganztägig: Aktionstag im Rahmen einer Kunstausstellung mit Redebeiträgen und musikalischer Begleitung. Ort: Lichthof, Oer-Erkenschwick regensburg – 28.05.2011: »Global toast to freedom« und Eröffnung der AI@50-Ausstellung, Musik, Filme. Weitere Infos: mail@ amnesty-regensburg.de. Ort: Alumneum, Am Ölberg 2 salZgitter – 28.05.2011, 14 Uhr: Festakt mit Musik, Lesung und Amnesty-Ausstellung. Ort: Mehrgenerationenhaus, Braunschweiger Straße 137, Salzgitter-Bad schwandorf – 26.05. bis 09.06.2011: AI@50Ausstellung. Ort: Landratsamt, Wackersdorfer Straße 80

tübingen – 28.05.2011, 15 Uhr: Geburtstagsfest und Global Toast mit Larissa Probst, Infostände und Programm, u.a. mit Uli Keuler, Rainbow Dance Factory, Go Dance. Ort: OpenAir-Gelände des Restaurants Africa, Schlachthausstraße 9 waiblingen – 20.03.2011, 19 Uhr: Gottesdienst »Kirche um 7« mit dem Thema »save me – für ein Resettlement-Programm«. Ort: Michaelskirche

waiblingen – 01. und 02.07.2011, 19 Uhr: Teilnahme am Altstadtfest. Ort: Innenstadt waiblingen – 06. bis 23.05.2011: Ausstellung »Die Würde des Menschen ist unantastbar« mit Fotos von Uli Reinhardt. Ort: Kulturhaus »Schwanen«, Winnender Straße 4 waiblingen – 22.07.2011, 10 Uhr: Infostand und Ausstellung zu 50 Jahre Amnesty. Ort: Innenstadt waiblingen – 11.09.2011: Ausstellung und Veranstaltung »50 Jahre Amnesty«. Ort: Stadtbücherei, Im Unterdorf 14 waiblingen – 10.12.2011, 20 Uhr: Kulturveranstaltung und Konzert mit »Nu Sports« am Tag der Menschenrechte. Ort: Kulturhaus »Schwanen«, Winnender Straße 4 waiblingen – 18.12.2011, 15 Uhr: »Weihnachten gegen das Vergessen«. Ort: Saal der Antoniuskirche wetZlar – 16.06. bis 01.07.2011 (Eröffnung: 16.06.2011, 18 Uhr): Ausstellung: 50 Jahre Arbeit für die Menschenrechte. Ort: Neues Rathaus Wetzlar, Ernst-Leitz-Straße 30 würselen – 17.04.2011, 18 Uhr: »Ein Toast auf die Freiheit«, Benefizkonzert von Nina Schwarz (Klassische Gitarre) + Infostand. Ort: Ev. Kirchengemeinde Hoengen-BroichweidenJülicher Straße 107–109 würZburg – 26.05.2011: Benefizkonzert für Amnesty mit Bernd Rinser. Mehr Info: www.omnibus-wuerzburg.de. Ort: »Omnibus«, Theaterstraße 10 würZburg – 19.05. bis 09.06.2011 (Vernissage: 27.05.2011, 16 Uhr): AI@50-Ausstellung. Ort: Sparkasse Mainfranken, Hofstraße 7–9 würZburg – 13.05.2011, 11 bis 17 Uhr: Aktion mit Infoständen der Gruppen aus dem Bezirk und Musik. Ort: Marktplatz

amnesty journal | 04-05/2011


Foto: Amnesty

Am 11. Februar trat der ägyptische Präsident Hosni Mubarak zurück – danach schien die Sonne. Zumindest für die knapp 300 Demonstranten, die am 12. Februar, dem »Global Day of Action«, vor dem Brandenburger Tor in Berlin zusammenkamen. Barbara Fuchs ist eine von ihnen: »Diese Botschaft ist total wichtig«, sagt sie und hält ein Pappschild mit der Aufschrift »Power to the People« in die Luft. Sie sei hier, um sich solidarisch mit den Menschen in Ägypten zu zeigen und um zu sagen: »Wir sind an eurer Seite.« Amnesty International und viele weitere Organisationen haben an diesem Tag zu Sympathiekundgebungen in 45 Städten und 15 Ländern für die Menschen in der arabischen Welt aufgerufen. »Der Neuanfang in Ägypten ist nur dann ein wirklicher Neuanfang, wenn die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden«, sagte Monika Lüke, Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty. Seit Mubaraks Sturz ist in Ägypten eine Militärregierung an der Macht.

»Die Bevölkerung an die Macht.« Solidaritätsdemo für Ägypten.

aktiv für amnesty

Durch ganz unterschiedliche Veranstaltungen geben Amnesty-Mitglieder den Opfern von Menschenrechtsverletzungen eine Stimme. Diese Aktionen vor Ort sind ein unentbehrlicher Teil der Arbeit von Amnesty International. Mehr Informationen darüber finden Sie auf www.amnesty.de/aktiv-vor-ort und www.amnesty.de/kalender

monika lüke übers

kinderschaukeln

Zeichnung: Oliver Grajewski

weltweite solidarität

Bei Amnesty International geht es im Geburtstagsjahr, aber auch in den kommenden Jahren viel um Wachstum. Wir wollen als globale Bewegung mehr Menschen für unsere Aktionen mobilisieren. Auch die deutsche Sektion steht im Fokus, hier gibt es noch eine Menge Potenzial. Wir haben derzeit rund 150.000 Mitglieder und Unterstützer. Bei einer Bevölkerung von über 80 Millionen Menschen können und wollen wir noch weiter wachsen. Ich leiste in diesem Jahr quasi meinen persönlichen Beitrag zum Thema »Wachstum«: Kurz vor dem Amnesty-Geburtstag werde ich Mutter einer Tochter. Darüber freuen sich mein Lebensgefährte und ich, aber auch meine KollegInnen und der Vorstand von Amnesty sehr. Gerade meine Kolleginnen haben mir gezeigt, wie sie den Einsatz für die Menschenrechte und ein Familienleben unter einen Hut bringen. Dass das oft nicht einfach ist, ist mir klar. Die größte Herausforderung als Generalsekretärin und Mutter wird sein, dass weder das Kind, noch Amnesty, noch ich zu kurz kommen. Doch ich bin mir sicher: Gemeinsam werden wir das Kind schon schaukeln! Aber: Ich bin mir bewusst, wie privilegiert ich in Deutschland bin. Ich kann mir meine Ärztin, meine Hebamme und das Krankenhaus aussuchen. In Burkina Faso, Peru und selbst in den USA ist das nicht so: Jede Minute stirbt irgendwo auf der Welt eine Frau während der Schwangerschaft, bei der Entbindung oder im Kindbett. Auf diesen weltweiten Skandal macht Amnesty aufmerksam, in dem wir bei der UNO, der Bundesregierung und den betroffenen Ländern auf die Verbindung von Müttersterblichkeit, Armut und Menschenrechten hinweisen. Monika Lüke ist Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.

impressum Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn, Tel.: 0228 - 98 37 30, E-Mail: Info@amnesty.de, Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion Amnesty Journal, Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: journal@amnesty.de (für Nachrichten an die Redaktion) Redaktion: Bernd Ackehurst, Markus N. Beeko, Anton Landgraf (V.i.S.d.P.), Larissa Probst, Ralf Rebmann Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Daniel Bax, Marcus Bensmann, Jan Busse, Henning Franzmeier, Irene Hellrung, Barbara Kerneck, Jürgen Kiontke, Daniel Kreuz, Monika Lüke, Dieter Maier, Christian Mihr, Götz Nordbruch, Jorun Poettering, Wera Reusch, Anna Rimpl, Martin Sander, Uta von Schrenk, Nina Szogs, Wolf-Dieter Vogel, Sarah Wildeisen Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk / schrenkwerk.de

AKTIV FÜR AMNESTY

Druck: Hofmann Druck, Nürnberg Vertrieb: Carnivora Verlagsservice, Berlin Bankverbindung: Amnesty International, Kontonr. 80 90 100, Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln, BLZ 370 205 00 Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Nichtmitglieder können das Amnesty Journal für 30 Euro pro Jahr abonnieren. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.

ISSN: 1433-4356 | Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier.

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ÖFFENTLICHE AKTIONEN ZUM GEBURTSTAG 28. MAI 2011, 11-12 UHR, BRANDENBURGER TOR UND WEITERE AKTIONEN BUNDESWEIT AMNESTY @ 50 PERSPEKTIVEN FÜR DIE MENSCHENRECHTE 28. MAI 2011, 14-20 UHR HAUS DER KULTUREN DER WELT, BERLIN FILME, VORTRÄGE, DISKUSSIONEN: U.A. DIE MACHT DER GERECHTIGKEIT MIT HINA JILANI, EHEM. UN-SONDERBEAUFTRAGTE FÜR MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER/INNEN Eintritt frei

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