Amnesty Journal August/September 2011

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das magaZin für die menschenrechte

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amnesty journal

hoffen auf freiheit aufbruch mit hindernissen: über den demokratischen wandel in den arabischen staaten

50 jahre amnesty eine große idee feiert geburtstag

ecuador wie ein Ölkonzern land und leute verpestet

Zehn jahre 9/11 was vom »krieg gegen den terror« übrigbleibt

08/09

2011 august september


Illustration: André Gottschalk

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editorial

Foto: Amnesty

Anton Landgraf ist Redakteur des Amnesty Journals

selten hat ein ereignis soviel hoffnung geweckt … … wie die Umbrüche in den arabischen Staaten. Auch die Bundesregierung signalisierte schnell, dass sie den demokratischen Reformprozess unterstützen will. Es sei ein Fehler gewesen, in der Region vor allem auf stabile Verhältnisse zu setzen, und weniger auf die Menschenrechte, hieß es in Berlin. Die vollmundigen Versprechen haben sich bereits ein halbes Jahr später als bloße Rhetorik erwiesen. Wie anders ist es zu erklären, dass die Bundesregierung moderne Panzer nach Saudi-Arabien liefern will (Seite 32). Einem Staat also, der noch vor kurzem der Monarchie in Bahrain dabei half, einen Aufstand niederzuschlagen. Der Frauen untersagt, Auto zu fahren, die Todesstrafe anwendet und seinen Kritikern den Mund verbietet. Den deutschen Beitrag zum arabischen Frühling hätte man sich gern anders vorgestellt. Denn Gründe, die Protestbewegungen zu unterstützen, gibt es nach wie vor. So wie in Syrien, wo die Menschen seit Monaten auf die Straße gehen, obwohl sie jederzeit damit rechnen müssen, von den Soldaten Assads erschossen zu werden. In einem aktuellen Bericht hat Amnesty die Geschehnisse in Syrien als Verbrechen gegen die Menschlichkeit kritisiert. Doch auch in den Ländern, in denen autokratische Präsidenten gestürzt wurden, sind die Perspektiven ungewiss. In Ägypten kommt es noch immer zu Folter und Misshandlungen (Seite 22). Und Tunesien, wo der arabische Frühling seinen Anfang nahm, befindet sich in einer schweren Krise. Die Reportage in unserer Titelgeschichte über das Flüchtlingslager Choucha im Osten Tunesiens beschreibt eindringlich, wie nahe Verzweiflung und Hoffnung zusammen liegen (Seite 24). In Tunesien wie auch in vielen anderen arabischen Ländern ist Amnesty International mit zahlreichen Missionen und Beobachtern präsent. In aktuellen Blogs können Sie jederzeit nachlesen, wie schwierig diese Arbeit ist – zum Beispiel, wenn es darum geht, Informationen aus Syrien heraus zu schaffen (http://livewire.amnesty.org/). Dass sich der Einsatz lohnt, erfahren wir immer wieder. Wie bei Abel Barrera Hernández aus Mexiko, der Ende Mai mit dem Menschenrechtspreis der deutschen Amnesty-Sektion ausgezeichnet wurde. »Vielen Dank, Amnesty International Deutschland. Bis heute kann ich die große Herzlichkeit und Wertschätzung nicht fassen, die Ihr unserer Arbeit in La Montaña in Guerrero entgegenbringt«, schrieb Abel Barrera nach seiner Rückkehr aus Deutschland. Wie wichtig diese internationale Aufmerksamkeit ist, zeigte sich erst kürzlich, als Mitarbeiterinnen von Abel Barrera erneut Morddrohungen erhielten – und Amnesty daraufhin eine Eilaktion startete.

editorial

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inhalt

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Titelbild: Demonstrantin auf dem Kairoer Tahrir-Platz, 8. Februar 2011.

thema 19 Keine halbe Revolution! Von Ruth Jüttner

Foto: Yuri Kozyrev / Noor / laif

20 Aufbruch ins Ungewisse

In zwei arabischen Ländern fegte der gesellschaftliche Aufbruch vor allem der jungen Generation die jahrzehntelang regierenden autokratischen Regime hinweg. Von Ali Al-Nasani

22 Zwischen Folter und Freiheit

rubriken 06 Reaktionen 07 Erfolge 10 Panorama 12 Nachrichten 13 Interview: Abdallah Abu Rahmah 15 Kolumne: Dominic Johnson 73 Rezensionen: Bücher 74 Rezensionen: Film & Musik 76 Briefe gegen das Vergessen 78 50 Jahre Amnesty 81 Wolfgang Grenz über Fußball

Auch nach dem Ende der Ära Mubarak kommt es zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Von Henning Franzmeier und Jan Busse

24 Willkommen in der Wüste

Die tunesische Bevölkerung versorgt eine enorme Zahl von Flüchtlingen, die vor dem Bürgerkrieg in Libyen flüchten mussten. Von Wolf-Dieter Vogel

32 »Es mangelt an Vertrauen«

Interview mit Slim Amamou, Blogger und Internetaktivist. Nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali wurde er im Januar jüngstes Mitglied der neuen Übergangsregierung.

34 Waffen für Arabien

Jahrzehntelang wurden die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens aufgerüstet. Von Mathias John

36 Fliegen lernen

Neues aus Gaza: Eine Jugendkultur lehnt sich auf gegen israelische Besatzung, religiösen Extremismus und eine gestohlene Jugend. Es ist ein Ausbruch mit limitierten Möglichkeiten aus dem Gefängnis, das sich Heimat nennt. Von Carsten Stromer

Fotos oben: Michael Danner | Alessandro Gandolfi / Parallelozero | Luigi Baldelli | Peter Macdiarmid / Getty Images

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berichte

kultur

44 »Sie haben uns den Schmerz hinterlassen«

62 Kulturkampf

Mehr als ein Vierteljahrhundert lang bohrte der USKonzern Texaco im Amazonasgebiet von Ecuador nach Erdöl – mit fatalen Folgen für die indigene Bevölkerung und die Umwelt. Von Kathrin Zeiske

50 Die Ausnahme als Normalzustand

Die Anschläge vom 11. September jähren sich zum zehnten Mal. Der anschließende »Krieg gegen den Terror« bedeutete einen gewaltigen Rückschritt für die Menschenrechte. Von Maria Scharlau

52 »Schlimmer als Guantánamo«

Ein Gespräch mit Manfred Nowak, ehemaliger UNOSonderberichterstatter für Folter.

54 Langer Prozess

Zum ersten Mal findet in Deutschland ein Prozess nach dem Völkerstrafgesetzbuch statt. Angeklagt sind zwei mutmaßliche Kriegsverbrecher aus dem Kongo. Von Denise Bentele

55 Armut ist weiblich

Mädchen und Frauen in Armut sind besonders oft von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Von Gunda Opfer

56 Gleiche Rechte – nicht für alle

Wie steht es mit den sozialen Menschenrechten in Deutschland? Dazu befragte der UNOSozialausschuss die Bundesregierung. Von Dorothee Haßkamp

58 »Die Lager machen die Leute krank«

Der politische Flüchtling Bruno Watara kämpft für bessere Asylbedingungen in Deutschland.

inhalt

Der ägyptische Militärrat steht einer kulturellen Öffnung des Landes ambivalent gegenüber. Eine Analyse von Götz Nordbruch

66 Sartre gegen Korruption

Das »Tarmac des Auteurs«, ein kleines Hinterhoftheater in Kinshasa, bringt auf die Bühne, was sonst in der Demokratischen Republik Kongo eher selten ist – sozialkritische Kunst. Das jedoch ruft auch den kongolesischen Geheimdienst auf den Plan. Ein Theaterbesuch von Johann Tischewski

68 Auf Vatersuche

Der neue Roman des libyschen Schriftstellers Hisham Matar heißt »Geschichte eines Verschwindens«. Darin spiegeln sich auch eigene Erfahrungen des Autors wider. Von Wera Reusch

70 Sex and Drugs and Amnesty

Zum Geburtstag ein Buch – zum 50. Jahrestag der Gründung von Amnesty ist nun ein Buch von engagierten Mitstreitern erschienen. Eine Leseprobe von Urs M. Fiechtner

72 Im Rausch der Macht

In seinem neuen Buch »Die Lust am Bösen« diskutiert der Schweizer Psychotherapeut Eugen Sorg die verstörende These, dass dem Menschen das Ausüben von Gewalt immanent ist. Von Maik Söhler

75 Hurra

Mit der Compilation »Our dreams are our weapons« ist nun so etwas wie der Soundtrack zur Revolution in Tunesien und Ägypten erschienen. Von Daniel Bax

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guatemala

marokko

georgien

Wegen des Verdachts auf Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde der ehemalige Militärgeneral Héctor Mario López Fuentes im Juni verhaftet. Der 81-Jährige wird für mehrere Massaker an insgesamt 317 indigenen Maya verantwortlich gemacht, die zwischen 1982 und 1983 von Sicherheitskräften verübt wurden. »Seine Verhaftung ist ein Erfolg für die Gerechtigkeit und die Hunderttausenden, die Opfer von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs in Guatemala wurden«, sagte Sebastian Elgueta, Amnesty-Experte für Zentralamerika.

Weil er angeblich über »unwahre Straftaten« berichtete und versuchte, die »Justiz zu beeinflussen«, wurde Rachid Nini Anfang Juni zu einem Jahr Haft verurteilt. Der bekannte Journalist und Redakteur der Zeitung »Al-Massaa« begann kurz danach einen Hungerstreik, um gegen die schlechten Haftbedingungen zu protestieren. Der 40-Jährige hatte in seinen Artikeln dazu aufgerufen, Foltervorwürfe bei Antiterroreinsätzen zu untersuchen. Amnesty betrachtet Rachid Nini als gewaltlosen politischen Gefangenen.

Ende Mai forderten während einer Demonstration in der georgischen Hauptstadt Tiflis rund tausend Menschen den Rücktritt des Präsidenten Micheil Saakaschwili. Die Polizei reagierte mit brutaler Gewalt und setzte Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer ein. Mehr als 30 Menschen wurden verletzt, ein Demonstrant und ein Polizist starben. Rund 90 Personen wurden inhaftiert. »Die Zwischenfälle müssen durch eine umfassende Untersuchung aufgeklärt werden«, forderte John Dalhuisen, stellvertretender Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Amnesty.

Ausgewählte Ereignisse vom 20. Mai bis 12. Juli 2011.

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panama

bahrain

Wegen des Staudammprojekts »Chan-75« im Nordwesten Panamas mussten Hunderte Familien ihr Land verlassen. Nun hat der Vizepräsident Panamas angekündigt, das Gebiet fluten zu lassen, obwohl sich noch einige Familien dort aufhalten. »Das Leben und die Sicherheit dieser Menschen ist in Gefahr«, sagte Sebastian Elgueta, Zentralamerika-Experte von Amnesty. Nach Angaben lokaler Aktivisten, haben zudem einige Familien die vereinbarte Entschädigung nicht erhalten. Amnesty forderte die Behörden von Panama auf, das Leben der betroffenen Personen nicht zu gefährden und die Flutung des Gebiets zu stoppen.

Weil die Studentin Ayat al-Qarmezi während einer regierungskritischen Demonstration öffentlich ein Gedicht vortrug, wurde sie von einem Militärgericht zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. In ihrem Gedicht kritisierte sie den bahrainischen König Hamad bin ’Isa Al Khalifa. Mitte Juli wurde die 20-Jährige unter Auflagen freigelassen. Ayat al-Qarmezi gab an, in der Haft geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert worden zu sein. Amnesty hat ihre Freilassung begrüßt und gleichzeitig die bahrainischen Behörden aufgefordert, alle noch bestehenden Anklagepunkte gegen sie fallen zu lassen.

malaysia Massenfestnahmen und unverhältnismäßige Gewalt in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur: Mehr als 1.600 Menschen wurden Anfang Juli bei Protesten für eine Reform des Wahlsystems vorübergehend festgenommen. Polizisten zielten mit Tränengas-Geschossen direkt auf Protestierende und setzten Schlagstöcke ein. »Die Regierung von Premierminister Najib hat das Recht tausender Malaysier auf friedlichen Protest mit Füßen getreten«, sagte Donna Guest, stellvertretende Direktorin des Asien-Pazifik-Programms bei Amnesty International.

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Foto: Evert-Jan Daniels / Reuters

erfolge

»Ein wichtiger Schritt.« Demonstration vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag am 3. Juni 2011.

mladic vor uno-kriegsverbrechertribunal Er wird für eines der größten Verbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht. Nach 16 Jahren auf der Flucht wurde Ratko Mladic Ende Mai in der nordserbischen Provinz Vojvodina verhaftet. Der Ex-General der bosnisch-serbischen Armee soll maßgeblich für das Massaker von Srebrenica im Jahr 1995 verantwortlich sein. Dabei wurden rund 8.000 muslimische Jungen und Männer getötet. Nun muss sich Mladic dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag stellen. »Die Verhaftung von Ratko Mladic ist ein wichtiger Schritt, um Gerechtigkeit für die Opfer von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Bosnien-Herzegowina herzustellen«, sagte

serbien

mehr rechte für homosexuelle paare

Der Oberste Gerichtshof in Brasilien hat in einem Grundsatzurteil die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren gestärkt. So entschieden die Richter unter anderem, dass Schwule und Lesben, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, ebenfalls Anspruch auf Renten- und Erbschaftszahlungen haben. Auch bei der Adoption von Kindern sollen heteround homosexuelle Paare zukünftig die gleichen Rechte haben. »Dies ist ein historischer Moment für gleichgeschlechtliche Paare in Brasilien«, sagte Guadalupe Marengo, stellvertretende Leiterin des Americas-Programms von Amnesty. »Wir begrüßen diese Entwicklung und hoffen, dass die Entscheidung zu einer vollständigen Anerkennung der Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen in Brasilien führt.« Toni

brasilien

erfolge

Sian Jones, Serbien-Experte von Amnesty International. Bei einer Verurteilung droht Mladic eine lebenslange Freiheitsstrafe. »Die serbischen Behörden müssen jetzt außerdem dafür sorgen, dass Goran Hadzic verhaftet wird«, so Jones. »Er ist der letzte Angeklagte des Strafgerichtshofs, der noch auf der Flucht ist.« Hadzic ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in der ostkroatischen Region Slawonien angeklagt. Er soll sich derzeit in Serbien oder in Bosnien-Herzegowina aufhalten. Amnesty International hat die serbischen Behörden aufgefordert, auch auf nationaler Ebene die Täter von Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen und allen Opfern den Zugang zu Rechtsmitteln zu gewähren.

Reis, Leiter der LGBT-Vereinigung in Brasilien (ABGLT), sprach gegenüber Amnesty von einem »wichtigen Sieg« für die Schwulen- und Lesbenbewegung und die Demokratie in Brasilien. Dennoch sei der Kampf noch nicht vorbei. »Wir müssen die Menschen dazu erziehen, dass sie gesellschaftliche Vielfalt respektieren«, so Reis. Zahlreiche lateinamerikanische Länder haben in den vergangenen Jahren Gesetze zugunsten von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen verabschiedet. In Uruguay und Kolumbien sind gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften inzwischen rechtlich anerkannt. In MexikoCity können homosexuelle Paare seit 2009 und in Argentinien seit 2010 heiraten. In Deutschland ist für Lesben und Schwule nur eine eingetragene Partnerschaft möglich.

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Foto: privat

»Ein Teil von mir bleibt bei euch im Gefängnis.« Emadeddin Baghi verbrachte bereits über fünf Jahre seines Lebens in Haft.

der unermüdliche Emadeddin Baghi ist das bekannteste Gesicht der iranischen Oppositionsbewegung. Im Juni wurde der Menschenrechtsverteidiger, Journalist und Autor nach einer zweijährigen Haftstrafe entlassen. »Auch wenn ich jetzt gehe, bleibt ein Teil von mir bei euch im Gefängnis.« Mit diesen Worten habe er sich von seinen Mitgefangenen verabschiedet, sagte Emadeddin Baghi nach seiner Freilassung. Dies bedeute jedoch nicht das Ende der Geschichte, denn viele weitere Iranerinnen und Iraner säßen weiterhin rechtswidrig im Gefängnis. Die Situation im Iran ist für Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Regierungskritiker weiterhin gefährlich: Ihnen drohen Repression, Haft und Folter. In der ersten Hälfte des Jahres 2011 wurden nach offiziellen Angaben 183 Menschen hingerichtet. Baghis Einsatz für die Menschenrechte hat eine lange Geschichte. Der 49-Jährige ist Gründer zweier Nichtregierungsorganisationen und kämpft schon seit den achtziger Jahren gegen die Todesstrafe. Ein Ereignis in seiner Grundschulzeit habe ihn geprägt, sagte Baghi 2009 in einem Interview, das die Stiftung »True Heroes Films« mit ihm führte. Auf dem Heimweg nach der Schule sei er Zeuge geworden, wie Kinder eine Katze an einem Balken erhängten. »Die Katze kämpfte um ihr Leben und die Kinder hatten ihren Spaß daran«, erzählte Baghi, »während meiner ganzen Kindheit hatte ich dieses verstörende Bild in meinem Kopf«. Baghi ist 17 Jahre alt, als er anfängt, Informationen über Hinrichtungen im Iran zu sammeln. Später beginnt er ein Studium der Theologie und eine Laufbahn als Journalist. Er veröffentlicht über zwanzig Bücher, von denen sechs im Iran verbo-

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ten werden. In seinem Werk »Recht auf Leben« diskutiert er, ob es unter islamischem Recht möglich ist, die Todesstrafe zu verbieten. Auch dieses Buch wird zensiert. Für sein politisches Engagement erhält Baghi zahlreiche Auszeichnungen. Einen Großteil davon kann er nicht entgegennehmen, weil ihm die Ausreise verweigert wird. So zum Beispiel 2004 den »Preis für Zivilcourage«, 2005 den französischen Menschenrechtspreis, 2008 die Auszeichnung als »Journalist des Jahres« der britischen Presse und 2009 den renommierten Martin-Ennals-Preis für Menschenrechte. Das iranische Regime versucht, seine Arbeit mit allen Mitteln zu torpedieren. Er wurde wegen »Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit«, »Öffentlichkeitsarbeit zur Unterstützung der Gegner der Regierung« und zuletzt »Propaganda gegen den Staat« angeklagt. Rechnet man alle Haftstrafen zusammen, die Baghi in seinem Leben absitzen musste, so verbrachte er über fünf Jahre im Gefängnis. Diese Zeit hat Spuren hinterlassen: ein Bandscheibenvorfall, drei Krampfanfälle, ein Herzinfarkt sowie Nieren- und Blasenbeschwerden sind die Folgen jahrelanger Strapazen in iranischen Gefängnissen. »Wir sind sehr froh, dass er freigelassen wurde, aber er hätte erst gar nicht im Gefängnis sein dürfen«, sagte Malcolm Smart, Direktor der Abteilung Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty. Nach seiner jüngsten Freilassung sagte Baghi, dass ihm derzeit keine neuen Anklagen drohten, es aber weiterhin alte Vorwürfe gegen ihn gebe. »Wir hoffen, dass die iranischen Behörden die Verfolgung dieses mutigen Mannes, der so viele Jahre seines Lebens den Menschenrechten im Iran gewidmet hat, nun endgültig einstellen«, so Smart. Text: Ralf Rebmann

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einsatZ mit erfolg

vertriebene bekommen neue unterkunft

angola In der angolanischen Hauptstadt Luanda sollen über 450 Personen neue Unterkünfte bekommen. Die Betroffenen wurden im Zuge von Zwangsräumungen zwischen 2004 und 2006 aus ihren informellen Siedlungen vertrieben. Das Gebiet ist für den Bau von Luxuswohnungen vorgesehen. »Die Ankündigung der Behörden ist eine gute Nachricht für die Opfer der Zwangsräumungen«, sagte Tawanda Hondora, stellvertretende Leiterin des Afrika-Programms von Amnesty. »In anderen Gegenden Angolas finden jedoch weiterhin Zwangsräumungen statt, die Behörden müssen dem ein Ende setzen.« In ganz Angola waren in der Vergangenheit Zehntausende Menschen von derartigen Räumungen betroffen. In den meisten Fällen wurde von exzessiver Gewaltanwendung angolanischer Sicherheitskräfte berichtet. Anwesende Menschenrechtsverteidiger, vor allem von der Organisation SOS-Habitat, wurden regelmäßig festgenommen.

bekannter journalist freigelassen

aserbaidschan Wegen mehrerer kritischer Zeitungsartikel wurde Eynulla Fatullayev 2007 verhaftet und inhaftiert. Nun wurde der bekannte Journalist endlich entlassen. »Seine Freilassung ist ein Grund zum Feiern«, sagte John Dalhuisen, stellvertretender Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Amnesty, »Wir dürfen aber nicht vergessen, dass viele weitere Personen aufgrund konstruierter Anklagen in aserbaidschanischen Gefängnissen sitzen – nur weil sie die Regierung kritisiert haben.« Amnesty hatte für Fatullayev eine internationale Kampagne gestartet. Mithilfe des Onlineportals Twitter schickten Hunderte Unterstützer ihre Nachrichten direkt an den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev und for-

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derten die Freilassung von Fatullayev. »Ich bin Amnesty International extrem dankbar«, sagte er, »ihr habt euch von Anfang an für mich eingesetzt«.

mehr rechte für hausangestellte

weltweit Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat auf ihrer diesjährigen Jahreskonferenz eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der Rechte von Hausangestellten beschlossen. Das Abkommen sieht neben Mindestlöhnen und geregelten Arbeitszeiten auch das Recht vor, sich in Gewerkschaften organisieren zu können. »Missbrauch und Ausbeutung von Hausangestellten, in der Mehrheit Mädchen und Frauen, sind in weiten Teilen der Welt verbreitet. Bis heute haben die richtigen Mittel gefehlt, um dies zu verhindern«, erklärte Michael Bochenek, Leiter der Abteilung Recht und Politik im internationalen Sekretariat von Amnesty. Staaten müssen Hausangestellten endlich die gleichen Rechte wie anderen Arbeitnehmern garantieren und deshalb dieses Grundsatzabkommen ratifizieren, so Bochenek. Die ILO schätzt, dass weltweit rund hundert Millionen Menschen als Hausangestellte beschäftigt sind.

der Menschenrechtlerin Natalia Estemirova verantwortlich sei. Der Richter begründete Orlovs Freispruch damit, dass er nur seine Meinung geäußert habe. »Oleg Orlov hätte dafür nie strafrechtlich verfolgt werden dürfen«, sagte John Dalhuisen, stellvertretender Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Amnesty. Im Juli 2010 wurde Orlov schon einmal wegen »Verleumdung« verurteilt. »Der nächste Schritt für das russische Justizsystem sollte nun die umfassende Untersuchung der Tötung von Natalia Estemirova sein, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen«, so Dalhuisen.

19-jähriger freigelassen

russland Einer der führenden russischen Menschenrechtsverteidiger, Oleg Orlov, wurde Mitte Juni freigesprochen. Der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation »Memorial« war zuvor der »Verleumdung« beschuldigt worden. Er hatte die Vermutung geäußert, dass der tschetschenische Präsident Ramzan Kadyrov für den Tod

Weil er angeblich zu Demonstrationen gegen die Regierung aufgerufen hat, saß Zaffar Shafi Hakeem über vier Monate in Haft. Mitte Juni wurde er schließlich entlassen. Vor seiner Freilassung hatten indische Medien die »Urgent Action«, die Amnesty zugunsten des 19Jährigen gestartet hatte, veröffentlicht und über seinen Fall berichtet. Obwohl das zuständige Gericht in Jammu und Kashmir die Haft des jungen Mannes für ungesetzlich erklärt hatte, konnte er aufgrund des Gesetzes zur Öffentlichen Sicherheit (»Public Safety Act«) weiter in Verwaltungshaft gehalten werden. Das Gesetz ermöglicht es den Behörden, Personen bis zu zwei Jahre ohne richterliche Prüfung der Anschuldigungen in Gewahrsam zu halten. Offiziellen Angaben zufolge wurden in Jammu und Kashmir zwischen März 2010 und Mai 2011 insgesamt 258 Menschen auf der Grundlage des Gesetzes zur Öffentlichen Sicherheit inhaftiert.

Angeklagt wegen »Verleumdung«. Oleg Orlov.

Rechtswidrig in Haft. Zaffar Shafi Hakeem.

russischer menschenrechtler freigesprochen

indien

Fotos: Amnesty

Weltweit beteiligen sich Tausende Menschen mit Appellschreiben an den »Urgent Actions«, den »Briefen gegen das Vergessen« und an Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen diese Beispiele.

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panorama

Foto: Athar Hussain / Reuters

griechenland/spanien: unverhältnismässige gewalt gegen demonstranten , Tränengas, Gummigeschosse, Schlagstöcke: Im Juni gingen Polizeieinheiten in Griechenland und Spanien bei mehreren Demonstrationen mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen friedliche Protestteilnehmer vor. In Griechenland kam es bei Protesten gegen die Sparpolitik der Regierung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen vermummten Demonstranten und der Polizei. Diese setzte große Mengen Tränengas ein. Am 15. Juni wurden bei einer Demonstration vor dem griechischen Parlament 36 Polizeibeamte und 33 Demonstranten verletzt. Viele mussten wegen Atemproblemen im Krankenhaus behandelt werden. Auch in Spanien demonstrierten im Juni Hunderttausende Menschen im ganzen Land gegen die Politik der spanischen Regierung. Bei der Räumung einer Sitzblockade am 27. Mai auf dem Platz »Plaça de Catalunya« in Barcelona wurden nach offiziellen Angaben über hundert Personen verletzt. Amnesty hat die griechischen und spanischen Behörden aufgerufen, die Vorfälle zu untersuchen und die Opfer angemessen zu entschädigen.

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% pakistan: eskalation der gewalt in karachi Im Juni wurde der 25-jährige Sarfaraz Shah (siehe Foto) mit zwei Schüssen von einem Mitglied der »Karachi Rangers«, einer paramilitärischen Polizeieinheit, erschossen – vor laufender Kamera. Videoaufnahmen zeigen, dass der Student in diesem Moment offensichtlich unbewaffnet war. Sarfaraz Shah ist einer von mehr als 1.100 Personen, die in diesem Jahr in der pakistanischen Hauptstadt Karachi getötet wurden. Der pakistanischen Menschenrechtskommission zufolge kam knapp die Hälfte der Opfer aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen ums Leben. Sicherheitskräfte, bewaffnete politische und nicht-staatliche Gruppierungen werden für die Gewalt verantwortlich gemacht. »Der alarmierende Anstieg von gezielten Tötungen in den vergangenen zwei Jahren und die allgemeine Unsicherheit offenbaren eine schwerwiegende Krise der öffentlichen Ordnung in Pakistan«, sagte Sam Zarifi, Experte für den asiatisch-pazifischen Raum bei Amnesty International. Amnesty hat die pakistanischen Behörden aufgefordert, die Tötungen zu untersuchen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Foto: Gerasimos Koilakos / Invision / laif

panorama

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Foto: Michael Zumstein / Agence VU / laif

nachrichten

Zwischen den Fronten. Kinder, Frauen und unbeteiligte Männer sind die Leidtragenden des Konflikts in Côte d’Ivoire.

Zerrissenes land Seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im November 2010 bestimmt ein Klima der Angst das Leben in Côte d’Ivoire. Gewalt und Rechtlosigkeit haben Zehntausende in die Flucht getrieben. »Die Männer kamen mitten in der Nacht. Zwei nahmen meinen Mann mit, die anderen sechs gingen auf mich los. Sie vergewaltigten mich der Reihe nach, die Kinder stießen sie zu Boden. Danach hörte ich zwei Schüsse. Als sie gingen, fand ich meinen Mann tot.« Diese Zeugenaussage und zahlreiche weitere Fälle von Menschenrechtsverletzungen dokumentierte ein Untersuchungsteam von Amnesty International Anfang des Jahres in Côte d’Ivoire. Der Bericht über die vierwöchige Erkundungsmission verzeichnet Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen, Misshandlungen, willkürliche Verhaftungen, »Verschwindenlassen« und Vergewaltigungen. Verantwortlich dafür sind bewaffnete Gruppen der beiden verfeindeten politischen Lager: die Sicherheitskräfte um den ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo und die Forces Nouvelles (FN) – ein politisches Bündnis bewaffneter Oppositionsgruppen. Die Situation eskalierte nach den Prä-

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sidentschaftswahlen im November 2010, als sowohl Gbagbo als auch der international anerkannte Wahlsieger Alassane Ouattara die Macht beanspruchten. Ein Protestmarsch von Anhängern Ouattaras am 16. Dezember wurde von den Sicherheitskräften Gbagbos gewaltsam niedergeschlagen. Dabei starben Dutzende Protestierende und drei Polizisten. Sicherheitskräfte verfolgten die Demonstrierenden bis in ihre Häuser, wie Zeugen in Abidjan gegenüber Amnesty berichteten: »In der Nacht kam eine Gruppe von Sicherheitskräften. Als wir die Tür öffneten, begannen sie zu schießen. Wir sind zurück in den Hof gerannt, aber mein Bruder wurde getroffen und starb kurz darauf.« Einige Teilnehmende des Protestmarsches, wie der 21-jährige Dao Sago, verschwanden spurlos. Ein Augenzeuge berichtet: »Sicherheitskräfte und Militärs verhafteten ihn. Sie nahmen ihm seine Kleidung ab und verprügelten ihn. Wir suchten ihn anschließend auf den Polizeistationen und in den Leichenhäusern, konnten ihn aber nirgends finden.« In Dörfern, die mehrheitlich von Wählern Gbagbos bewohnt waren, kam es wiederholt zu Menschenrechtsverletzungen durch die FN. Im Januar 2011 nah-

men Angehörige der FN elf Männer fest, beschuldigten sie des Mordes und richteten sie ohne Prozess hin. Obwohl die Verantwortlichen den FN-Kommandeuren bekannt sind, blieben diese und andere Verbrechen in der allgemein herrschenden Straflosigkeit folgenlos. Die FN hat bislang nichts unternommen, um in den von ihr kontrollierten Gebieten ein funktionierendes Rechtssystem zu etablieren. Im Westen des Landes gab es bereits vor den Wahlen Spannungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Als der politische Machtkampf zwischen Gbagbo und Ouattara entbrannte, verschärfte sich dort die Lage. Auch unbeteiligte Männer, Frauen und Kinder blieben nicht von Gewalt- und Racheakten verschont. Mittlerweile befinden sich 70.000 Menschen aus den westlichen Regionen auf der Flucht und suchen Schutz in Lagern für Binnenflüchtlinge oder fliehen in die Nachbarländer. Amnesty International fordert, dass alle verübten Menschenrechtsverletzungen unabhängig und umfassend aufgeklärt und die Verantwortlichen beider Seiten zur Rechenschaft gezogen werden. Text: Julia Schell

amnesty journal | 08-09/2011


Abdallah Abu Rahmah, 40 Jahre, ist Lehrer und Vorsitzender der Organisation »Volkskomitee gegen die Mauer« in Bilin, Westjordanland. Für die Organisation gewaltloser Demonstrationen wurde ihm 2008 die Carl-vonOssietzky-Medaille verliehen. Während seiner Inhaftierung betrachtete Amnesty ihn als gewaltlosen, politischen Gefangenen und setzte sich für ihn ein. Er ist Vater von drei Kindern.

interview

abdallah abu rahmah

Eine über 700 Kilometer lange Grenzanlage trennt das Westjordanland von israelischem Gebiet. Im palästinensischen Dorf Bilin koordiniert Abdallah Abu Rahmah schon seit Jahren die Proteste gegen den Grenzzaun, der sich dort quer durch die Felder der Dorfbewohner zieht. Dafür saß er sechzehn Monate im Gefängnis. Im März 2011 kam er frei und war kurz darauf zu Besuch in Berlin. Herr Rahmah, was erwartet Sie, wenn Sie zurück nach Bilin reisen? Die israelischen Behörden haben mir nach meiner Entlassung sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich bei weiteren Demonstrationen jederzeit wieder verhaftet und ohne Verfahren eingesperrt werden kann. Das dient allein der Einschüchterung, damit es nicht zu weiteren Protesten kommt. Dennoch habe ich auch nach meiner Entlassung wieder demonstriert. Ich denke, dass es mein Recht ist, für den Widerstand und die Menschenrechte gewaltlos einzustehen und meine Meinung zu äußern. Für die Organisation der Proteste wurden Sie am 10. Dezember 2009 festgenommen, am Tag der Menschenrechte … Ja, und exakt ein Jahr nachdem mir von der Internationalen Liga für Menschenrechte die Carl-von-Ossietzky-Medaille in Berlin verliehen wurde. Der Zeitpunkt der Festnahme war sicher kein Zufall. Bei der Aktion stürmten schwer bewaffnete israelische Soldaten in mein Schlafzimmer. Sie fesselten mich, verbanden mir die Augen und verhafteten mich in Anwesenheit meiner Frau und meiner Kinder. Es ist sehr schwer, solche schrecklichen Momente und Erlebnisse zu verarbeiten, geschweige denn zu vergessen. Danach wurden Sie wegen der »Organisation einer illegalen Demonstration« zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Es war nicht einfach, vor allem als ich in Einzelhaft war. Die

nachrichten

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interview

Foto: Amnesty

»die beste form des widerstands ist gewaltlos« Trennung von meiner Familie und meinen Freunden belastete mich sehr. Im Gefängnis fehlte es an angemessener medizinischer Versorgung und Verpflegung. Ich habe psychische Misshandlung erlebt. So war meine ursprüngliche Haftstrafe auf ein Jahr angesetzt. Am Tag meiner Entlassung, als schon alle meine Freunde vor dem Gefängnis warteten, wurde mir mitgeteilt, dass ich noch mal dem Richter vorgeführt werde. Dieser entschied, dass meine Strafe nicht ausreichend sei und verlängerte sie um weitere vier Monate. Was haben Sie durch die Proteste bisher erreicht? Wir haben vor dem Obersten Gericht in Israel geklagt und erreicht, dass der Verlauf der Grenzmauer verändert werden muss. Damit bekommen wir ungefähr die Hälfte des Gebiets, das wirverloren haben, wieder zurück. Außerdem wird unser »Volkskomitee gegen die Mauer« immer bekannter, auch im Ausland. Allerdings hatte der Einsatz auch seinen Preis: Aus meiner Familie starben allein zwei Menschen. Mehr als hundert Männer wurden verhaftet. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die beste Form des Widerstands gewaltlos ist. Im September könnte Palästina von den Vereinten Nationen als unabhängiger Staat anerkannt werden. Was würde das für Ihre Organisation bedeuten? Ich hoffe, dass unser Leben weniger von Gewalt und Leid geprägt sein wird und der israelische Staat mit uns zusammenarbeitet. Solange die israelische Besatzung andauert, werde ich mit meiner Organisation aktiv bleiben – natürlich gewaltlos. Aber auch wenn es einen palästinensischen Staat geben sollte, in dem unsere Rechte von den palästinensischen Behörden verletzt werden, werde ich mich engagieren, damit sich das Leben für die Palästinenser verbessert und sie in Würde leben können. Fragen: Hassan Asfour und Ralf Rebmann

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Waffen für Arabien Jahrzehntelang wurden die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens aufgerüstet. Auch Deutschland liefert umfangreiche Rüstungsgüter in die Region, unter anderem Kriegschiffe für Algerien und Leopard-Panzer für Saudi-Arabien. Von Mathias John

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bwohl die Menschenrechtslage in Nordafrika und dem Nahen Osten seit langem katastrophal ist, hat dies die Rüstungslieferanten fast nie davon abgehalten, modernste Rüstungs- und Sicherheitstechnologie zu liefern. Dazu zählen nicht nur Kleinwaffen wie Maschinenpistolen, Schnellfeuer- und Maschinengewehre, sondern auch Großwaffensysteme wie Panzer, Hubschrauber, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe. Darüber hinaus werden Produktionsanlagen oder Lizenzen für Rüstungsgüter geliefert, Polizeiausrüstung und Überwachungstechnologie exportiert und Ausbildungshilfen geleistet. Rüstungstransfers unterliegen weltweit meist einer strikten Geheimhaltung, sodass nur selten genauere Angaben über tatsächliche Lieferungen und deren Empfänger bekannt werden. Offizielle Daten, wie beispielsweise die Rüstungsexportberichte der Europäischen Union oder das Großwaffenregister der Vereinten Nationen, geben nur bruchstückhaft Auskunft. Wissenschaftliche Einrichtungen, wie das schwedische Friedenforschungsinstitut SIPRI oder das Internationale Konversionszentrum BICC in Bonn, bemühen sich, den weltweiten Handel mit Waffen und anderen Rüstungsmaterialen aufzuklären. Die Transfers von Kleinwaffen und leichten Waffen, aber auch von sogenannten »dual use«-Gütern (militärisch oder zivil nutzbare Güter), bleiben dabei allerdings ebenso im Dunkel wie andere Aspekte der Rüstungszusammenarbeit. Die jahrzehntelange Aufrüstung der Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens hat zu einem hohen Grad an Militarisierung der Region geführt. Dies lässt sich gut an dem vom BICC entwickelten Globalen Militarisierungsindex (GMI) ablesen, der sich nicht auf die reinen Militärausgaben beschränkt, sondern diese in Bezug zu anderen staatlichen und gesellschaftlichen Indikatoren darstellt. Alle Staaten der Region finden sich nach den derzeit aktuellen GMI-Werten für 2009 unter den Top 50 dieser Militarisierungsrangliste. Nach der SIPRI-Statistik gingen zwischen 2007 und 2010 insgesamt rund 13 Prozent der weltweiten Lieferungen von Großwaffensystemen an Ägypten, Algerien, Bahrain, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Libyen, Marokko, Oman, Saudi-Ara-

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bien, Syrien, Tunesien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Zu Zeiten des Kalten Krieges waren die Waffenlieferanten im Wesentlichen nach Bündnispräferenzen verteilt. Nach dem Ende der Blockkonfrontation Anfang der neunziger Jahre wurde der weltweite Waffenmarkt jedoch zunehmend von den Käufern bestimmt, dies gilt insbesondere für die durch ihren Öl- und Gasreichtum finanziell relativ gut gestellten Staaten der arabischen Halbinsel und Nordafrikas. So ist bei den traditionell von den USA oder Großbritannien belieferten Golfstaaten Frankreich ein weiterer wichtiger Lieferant und auch Russland hat es in diesen Markt geschafft. Gute Kunden der ehemaligen UdSSR, wie Algerien, Syrien oder Jemen, beziehen auch heute noch ihre Rüstung aus Russland, aber auch aus der Ukraine oder anderen Staaten des früheren Warschauer Paktes. Auch China, Nordkorea und Südafrika drängen als Lieferanten in den Waffenmarkt des Nahen Ostens. Das Beispiel Libyen illustriert, wie skrupellos etliche Staaten mit repressiven Regimes umgehen – kaum hatte die EU 2004 das 1986 verhängte Waffenembargo aufgehoben, warben europäische Staaten, vor allem Italien und Frankreich, um Waffengeschäfte mit Gaddafis Regime. Auch Deutschland genehmigt Rüstungslieferungen an fast alle Staaten der Region. Obwohl die Bundesregierung immer wieder versichert, außerhalb von EU und NATO nur sehr restriktiv Rüstungsexporte zu genehmigen und dabei die Menschenrechte zu beachten, scheint dies für die Staaten des Nahen Ostens nur eingeschränkt zu gelten. Genehmigt werden Lieferungen für fast das gesamte Spektrum von Rüstungsgütern, nur in Ausnahmefällen werden Exportanträge abgelehnt. Dass deutsche Rüstungsmaterialien auch bei innerstaatlichen Konflikten eingesetzt werden, wird billigend in Kauf genommen. So wurde kürzlich dokumentiert, wie libysche Regierungstruppen aus Deutschland gelieferte Tieflader zum Panzertransport verwendeten. Besonders bedenklich ist dies beim Export von Kleinwaffen. So genehmigte Deutschland zwischen 2007 und 2009 die Lieferung von Maschinenpistolen an Ägypten, Jordanien, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain und Kuwait.

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deutsche rüstungsexportgenehmigungen 2009

Tunesien: 3,1 Marokko: 37,2

Jordanien: 9,5 Kuwait: 68,1

Algerien: 9

Libyen: 53,2

Ägypten: 77,5

In Millionen Euro mehr als 70 50 bis 70 30 bis 50 10 bis 30 weniger als 10

Saudi-Arabien: 168

Bahrain: 2 Katar: 1,3 VAE: 541

Oman: 12,7

Jemen: 0,2

Quelle: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2009 (Rüstungsexportbericht 2009)

Auch Saudi-Arabien ist ein guter Kunde der deutschen Kleinwaffenproduzenten und erhält in großem Umfang Schnellfeuergewehre. Daneben wurde für dieses Land der Aufbau einer kompletten Lizenzproduktion moderner deutscher Schnellfeuergewehre genehmigt, was zudem das Risiko der Weiterverbreitung solcher Waffen erhöht. Ein weiterer kritischer Export betrifft ebenfalls Saudi-Arabien: Der EADS-Konzern errichtet dort, mit Beteiligung der deutschen Bundespolizei, die für die Ausbildung zuständig ist, ein umfassendes »Grenzsicherungssystem« mit Überwachungstechnik, die Berichten zufolge nicht nur auf die unmittelbaren Grenzen beschränkt ist. Gerade angesichts der verbreiteten Unterdrückung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit besteht ein hohes Missbrauchsrisiko solcher Überwachungstechnologie. Nach Presseberichten hat die Bundesregierung Anfang Juli 2011 zudem umfangreiche Rüstungslieferungen für Saudi Arabien und Algerien genehmigt. So soll Saudi Arabien rund 200 modernste Leopard-Kampfpanzer erhalten, eine angesichts latenter Konflikte in der Region, der Beteiligung Saudi Arabiens an der Unterdrückung der Proteste in Bahrain und andauernder Menschenrechtsverletzungen im Lande inakzeptable Entscheidung. Einmal mehr zeigt die Bundesregierung, dass Menschenrechte bei ihren Rüstungsexportentscheidungen vielfach nur nachrangig berücksichtigt werden. Ähnliches gilt auch für Algerien. Geliefert werden sollen unter anderem militärische Lastwagen, Geländefahrzeuge und Kriegsschiffe; deutsche Rüstungskonzerne sollen im Land Transportpanzer bauen, außerdem soll die Produktion sogenannter »Verteidigungs- und Sicherheitselektronik« mit deutscher Hilfe in Algerien vorgesehen sein – alles in allem in Anbetracht der Menschenrechtslage im Lande unverständliche Entscheidungen. Skandalös ist zudem, dass sich die Bundesregierung weigert, diese geplanten Waffengeschäfte zumindest zu bestätigen – geschweige denn, dass sie bereit wäre, Einzelheiten bekannt zu geben und über die Einbeziehung von Menschenrechtsgesichtspunkten bei der Abwägung Rechenschaft abzulegen. Und nicht

THEMA

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UMBRUCH IN DER ARABISCHEN WELT

zuletzt ist es ein katastrophales Signal für die Region, wenn Deutschland gerade autoritäre Staaten, die keine Anstalten zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation machen, mit milliardenschweren Waffenlieferungen weiter aufrüstet und damit womöglich noch die Aufrüstungsspirale in der Region weiter anheizt. Rüstungstransfers tragen in den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens ebenso wie in anderen Krisenregionen zu einem Teufelskreis aus Militarisierung, Konflikten und Repression mit negativen Folgen für die Menschenrechte bei, was sich auch an der aktuellen Eskalation in Libyen und Syrien zeigt. Angesichts dieser Entwicklungen wird deutlich, dass neben Maßnahmen zur zivilen Konfliktbearbeitung die Kontrolle des Waffenhandels zwingend notwendig ist, um zu verhindern, dass Rüstungstransfers zu Menschenrechtsverletzungen beitragen können. Die internationale Gemeinschaft ist in der Pflicht, endlich strikte Rüstungsexportkontrollen auf allen Ebenen zu schaffen. Die Anwendung der bisherigen Regelungen reicht vielfach nicht aus, zu oft werden die Menschenrechtslage oder das humanitäre Völkerrecht bei Rüstungsexportentscheidungen nicht berücksichtigt. Es müssen daher endlich weltweit umfassende verbindliche Standards für Rüstungstransferkontrollen eingeführt werden. Ein Schritt dahin sind die derzeit laufenden Staatenverhandlungen bei den Vereinten Nationen zur Erarbeitung eines internationalen verbindlichen Waffenhandelsabkommen (Arms Trade Treaty, ATT), für das sich Amnesty International mit Oxfam und anderen in der seit 2003 laufenden Kampagne »Waffen unter Kontrolle« einsetzt. Die aktuellen Entwicklungen in Deutschland zeigen aber auch, dass die Bundesregierung endlich ihre Genehmigungspraxis ändern muss – sie muss Rüstungstransfers verbieten, die Menschenrechte gefährden, über ihre Entscheidungskriterien öffentlich Rechenschaft abgelegen und alle Transfers umfassend offenlegen. Der Autor ist Sprecher der Themengruppe Wirtschaft, Rüstung und Menschenrechte in der deutschen Sektion von Amnesty International.

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»Schlimmer als Guantánamo« Vertrauliche Gespräche verweigert. Gefangeneneskorte in Guantánamo Bay, September 2010.

Ein Gespräch mit Manfred Nowak, ehemaliger UNO-Sonderberichterstatter für Folter. Während Ihrer Amtszeit von 2004 bis 2010 haben Sie das Gefangenenlager in Guantánamo Bay kein einziges Mal besucht. Warum? Zusammen mit vier anderen UNO-Sonderberichterstattern habe ich nach meinem Amtsantritt die US-Regierung um eine Besuchserlaubnis für Guantánamo gebeten, um vor Ort recherchieren zu können. Nach sehr vielen hochrangigen Gesprächen mit allen beteiligten Behörden schien es so, als erhielten wir die Besuchserlaubnis. Allerdings ohne die Möglichkeit, vertrauliche Gespräche mit den Gefangenen führen zu können – womit der Besuch natürlich keinen Sinn mehr ergeben hätte. Damit wären ja auch Bedingungen verletzt worden, die von den USA immer wieder im Hinblick auf andere Staaten, wie China, eingefordert wurden. Letztlich hat Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der in dieser Angelegenheit das letzte Wort hatte, die vertraulichen Gespräche verweigert. Daraufhin sagten wir den Besuch ab. Wenig später gab es im Vorfeld einer geplanten Russlandreise ähnliche Schwierigkeiten. Auch dort wurden vertrauliche Gespräche mit Gefangenen verweigert, woraufhin wir diesen Besuch ebenfalls absagten. Welche Menschenrechtsverletzungen haben Sie besonders angeprangert? Unser Bericht über geheime Haftzentren im »Kampf gegen den Terror« dokumentiert besonders brutale Verletzungen der Menschenrechte. Die sogenannte »Incomunicado«-Haft ist neben der Folter ein eigenes Verbrechen. Indem sie Menschen verschwinden ließ, machte sich die US-Regierung ähnlich schuldig wie die südamerikanischen Militärdiktaturen, die in den siebziger Jahren diese Methode anwandten. Im Rahmen des »Rendition«-Programms der CIA wurden Menschen gekidnappt und unter falschen Angaben mit Privatflugzeugen ausgeflogen und in gehei-

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me Haftzentren verbracht. Die Foltermethoden, die dort angewandt wurden, waren weitaus schlimmer als in Guantánamo. In den USA konnten die Verhörspezialisten nur bis zu einer bestimmten Grenze gehen. In syrischen, marokkanischen oder ägyptischen Haftzentren gab es diese Grenzen nicht mehr. Sind mittlerweile alle Einzelheiten über die geheimen Haftzentren bekannt? Eine vollständige Erfassung gibt es nicht, aber wir haben sicherlich den umfassendsten Bericht über geheime Haftzentren geschrieben. Demnach waren 66 Staaten darin involviert, viele im Zusammenhang mit dem »Rendition«-Programm. Andere Regierungen handeln unabhängig davon, wie etwa die Russische Föderation, die in Tschetschenien solche Zentren unterhielt. Aber wir haben nicht alles erfassen können. Allein in Pakistan gab es angeblich 24 Haftzentren, wir konnten aber nur einige eindeutig nachweisen. Die einzigen, die für völlige Aufklärung sorgen können, sind die betroffenen Staaten selbst. Wie erhielten Sie die nötigen Informationen für den Bericht? Wir haben sehr lange und sehr genau die geheimen Flüge untersucht: Wann ist welches Flugzeug mit welcher Nummer vom Dallas Airport nach Kabul und dann weiter nach Marokko oder Polen geflogen? Diese Daten haben wir anschließend mit den Aussagen ehemaliger Häftlinge verglichen. Einer berichtete zum Beispiel, dass er Wasserflaschen mit polnischen Etiketten in der Haft erhalten hatte. Wenn man diese Informationen zusammenfügt, erhält man gute Beweise. In welchem Maße waren europäische Staaten an diesem Programm beteiligt? Wir haben eindeutige Beweise dafür, dass von 2003 bis Ende 2005 in Polen, Rumänien und Litauen entsprechende Haftzentren betrieben wurden. In Bosnien und im Kosovo wurden Gefangene zumindest kurzzeitig festgehalten. Das ist die direkteste

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Foto: John Moore / Getty Images

Werden diese Handlungen strafrechtlich verfolgt? Unsere Untersuchungsergebnisse haben wir im vergangenen Jahr dem UNO-Menschenrechtsrat mitgeteilt. Jetzt liegt es an den entsprechenden Regierungen in Lettland, Polen und Rumänien, die Vorwürfe zu untersuchen und aufgrund ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen die entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Sie haben selbst einmal direkt erlebt, wie Menschen verschleppt wurden. Es handelte sich um sechs Bosnier algerischer Herkunft, die friedlich in dem Land gelebt haben. Sie wurden im Oktober 2001 nach einem Hinweis der US-Botschaft wegen angeblicher Anschlagspläne festgenommen. Ich war damals Richter am höchsten Gericht in Bosnien, das nach dem Dayton-Friedensabkommen eingesetzt wurde. Wir hatten verfügt, dass die Sechs nicht außer Landes gebracht werden dürfen, bis der Fall endgültig entschieden sei. Die USA setzten sich aber über alle rechtsstaatlichen Verpflichtungen hinweg – dabei waren sie ja selbst die Schutzmacht für das Friedensabkommen. Die Gefangenen wurden dann nach Guantánamo überstellt. Kam es zu einer Anklage? Einer von ihnen sitzt bis heute in Guantánamo ein. Die anderen wurden nach einem aufsehenerregenden Urteil des Supreme Courts freigelassen. Das oberste US-Gericht stellte 2008 fest, dass auch Guantánamo-Insassen Anspruch auf Haftprüfung vor

interview

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manfred nowak

einem unabhängigen Gericht haben. Daraufhin hat man die Anschuldigungen fallengelassen. Mit einigen von ihnen stehe ich nach wie vor in Kontakt. So wie mit Mustafa Ait Idir, den ich immer wieder zu meinem Unterricht einlade, damit er von seinen unglaublichen Erfahrungen berichtet. Bin Laden ist tot, die USA bereiten den Abzug aus Afghanistan vor. Ist der »Krieg gegen den Terror« vorbei? Obama spricht nicht mehr vom Krieg gegen den Terror, durch ihn ist ein großer Wandel eingetreten. Folter, geheime Haftzentren, das ganze Programm existiert nicht mehr. Obama ist allerdings daran gescheitert, die Menschenrechtsverletzungen während der Bush-Regierung aufzuarbeiten, das werfe ich ihm vor. Der Krieg gegen den Terrorismus hat die erste Dekade des Jahrhunderts geprägt, in der zweiten Dekade werden andere Themen wichtiger werden. Auch der arabische Frühling spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Die junge Generation bringt sehr klar zum Ausdruck, dass sie genug hat vom islamischen Fundamentalismus. Sie wollen ein demokratisches Leben führen, wie die Menschen auf der anderen Seite des Mittelmeers. Fragen: Anton Landgraf

interview manfred nowak Foto: Amnesty

Mitverantwortung. In anderen Fällen haben zum Beispiel die schwedischen Behörden Personen an die CIA übergeben. Sie wurden anschließend nach Ägypten ausgeflogen, wo man sie gefoltert hat. Andere Regierungen gaben Landeerlaubnis oder Überflugrechte. Deutsche oder britische Geheimdienste nahmen bei Verhören in geheimen Haftzentren teil – es gab viele Möglichkeiten, sich daran zu beteiligen.

Der österreichische Jurist ist Professor für Verfassungsrecht und Menschenrechte an der Universität in Wien. 2004 wurde er von der UN-Menschenrechtskommission zum Sonderberichterstatter über Folter ernannt. Seine Amtszeit endete im Oktober 2010.

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Kulturkampf

Analoge Revolution. Kairo, Tahrir-Platz, 9. März: Auseinandersetzungen zwischen Reformgegnern und -Befürwortern.

Der ägyptische Militärrat steht einer kulturellen Öffnung des Landes ambivalent gegenüber. Eine Analyse von Götz Nordbruch

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on den »roten Linien«, die noch zum Jahreswechsel die Grenzen des Sagbaren markierten, ist bei Ala Al-Aswani nichts mehr zu spüren. »Ägypten durchlebt eine heikle Phase, in der es die Aufgabe aller ist, ehrlich und klar Position zu beziehen«, schrieb der Schriftsteller in der ägyptischen Tageszeitung »Al-Masry al-Youm«. Dies gelte, »bis unser Land jene Zukunft vor Augen hat, die es verdient. Die Demokratie ist die Lösung.«

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Bereits in seinem 2002 erschienenen Roman »Der JakubijanBau« fand Al-Aswani deutliche Worte. Die Geschichte rund um die Bewohner eines Hauses im Stadtzentrum Kairos enthielt kaum verhüllte Kritik am politischen und kulturellen Verfall des Landes unter der Herrschaft korrupter Eliten. Al-Aswanis jüngster Appell erschien kurz nachdem das ägyptische Militär am 9. März eine Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit Gewalt auflösen ließ. Bei der Räumung des Platzes wurden 120 Demonstranten festgenommen und von einem Militärgericht in Schnellverfahren zu Haftstrafen verurteilt. Knapp vier Wochen nach dem Rücktritt des ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak am 11. Februar waren sie auf die Straße gegangen, um gegen den stockenden Reformprozess zu protestieren. Ihre Wut richtete sich auch gegen das Militär, das

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Foto: Reuters

»Die Ägypter haben jetzt zwei Wahlmöglichkeiten: Das neue Interesse an einer Verbesserung zu nutzen und der Nation voranzugehen – oder sich im verblassenden Ruhm zu sonnen.«

während der Proteste im Januar und Februar wegen seiner besonnenen Haltung gegenüber den Demonstranten noch gefeiert worden war. Mittlerweile heißt es auf Schildern und Stoffbahnen jedoch immer öfter: »Das Volk verlangt den Sturz Tantawis!«, des Vorsitzenden des herrschenden Militärrats. Der Enthusiasmus, der in den ersten Wochen der Revolution in aufwendigen Videos, Gedichten und Liedern auf Facebook und YouTube zum Ausdruck kam, ist der Sorge um die neuen Freiheiten gewichen. Auch unter Journalisten, Künstlern und Intellektuellen macht sich Ernüchterung breit – zu undurchschaubar sind die Ziele des Militärrats, dessen Ankündigung von Parlamentswahlen für September von vielen als verfrüht kritisiert wird. Berichte über Kontakte des Militärs zur Muslimbruderschaft und zu Vertretern salafistischer Gruppierungen

KULTUR

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ÄGYPTEN

bestärken die Sorge, die Revolution könnte auf halbem Weg zum Stoppen kommen. Auch deshalb stoßen die Mitteilungen des Militärs, die auf der Facebook-Seite des Rates veröffentlicht werden, auf breites öffentliches Interesse. Über eine Million Leser verfolgen die Seite, wobei einzelne Einträge zehntausendfach kommentiert werden. Doch der moderne Auftritt des Militärs im Internet ist nicht gleichbedeutend mit einer Abkehr von der repressiven Politik, die öffentlichen Debatten unter dem ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak enge Grenzen setzte. Die Verfassungsänderungen, über die der Militärrat die Bevölkerung am 19. März abstimmen ließ, sind aus Sicht der Demonstranten, die Ende Mai wieder zu Hunderttausenden auf die Straße gingen, schlicht unzureichend. Den Demonstranten, die sich auch vier Monate nach Beginn der Proteste am 25. Januar auf dem Tahrir-Platz versammeln, geht es um nichts weniger als um eine grundsätzliche Neuausrichtung des Landes. Dazu gehört nicht zuletzt auch die Forderung nach einer neuen politischen Kultur, die nicht nur Wahlen umfasst, sondern auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und kontroverse Debatten über die gesellschaftliche Ordnung. Die Verurteilung eines Bloggers durch ein Militärgericht im April macht deutlich, wie ambivalent das Verhältnis des Militärs gegenüber einer kulturellen Öffnung ist. Das Gericht verurteilte den 26-jährigen Maikel Nabil zu einer dreijährigen Haftstrafe, weil er sich kritisch über das Militär geäußert hatte. »Der Revolution ist es bisher gelungen, den Diktator Mubarak loszuwerden. Aber die Diktatur besteht weiterhin«, schrieb er auf seinem Weblog. Umso stärker war der Zuspruch, den ein Appell ägyptischer Blogger erfuhr, der dazu aufforderte, die Arbeit des Mili-

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Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt oder man lässt sie »verschwinden«. amnesty international veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle drei Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu beenden. Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie bitte eine Kopie an amnesty international.

amnesty international Postfach, 53108 Bonn Tel.: 0228 - 98 37 30, Fax: 0228 - 63 00 36 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de Spendenkonto Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00 oder Postbank Köln Konto: 22 40 46 - 502, BLZ: 370 100 50

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Foto: privat

briefe gegen das vergessen

gambia ebrima b. manneh Der Journalist Ebrima Manneh wurde am 11. Juli 2006 in den Redaktionsräumen der Zeitung »Daily Observer«, mutmaßlich von Angehörigen des Geheimdienstes, festgenommen. Seitdem ist er in Haft. Sowohl der Geheimdienst als auch die gambische Regierung bestreiten jegliche Beteiligung an der Festnahme und Inhaftierung des Journalisten. Im Juni 2007 reichte die Medienstiftung für Westafrika (MFWA) Klage beim Gericht der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) ein. Ein Jahr später erklärte das Gericht die Festnahme und Inhaftierung von Ebrima Manneh für rechtswidrig und forderte die gambischen Behörden auf, den Journalisten umgehend freizulassen. Zudem wies das Gericht die Behörden an, Ebrima Manneh eine Entschädigung in Höhe von 100.000 US-Dollar zu zahlen. Die Gründe für die Festnahme sind bis heute nicht bekannt. Einige Quellen gehen davon aus, dass es eine Meinungsverschiedenheit zwischen Ebrima Manneh und dem Herausgeber der Zeitung, einem engen Verbündeten von Präsident Yahya Jammeh, gab. Andere Quellen sprechen hingegen davon, dass Ebrima Manneh festgenommen wurde, weil er im Vorfeld des Gipfeltreffens der Afrikanischen Union im Juli 2006 Informationen an einen ausländischen Journalisten gegeben haben soll. Nach vorliegenden Informationen wurde Ebrima Manneh im Juli 2007, ein Jahr nach seiner Festnahme, wegen Bluthochdrucks in einem Krankenhaus in der Hauptstadt Banjul behandelt. Eine Eingreiftruppe der Polizei soll ihn dorthin gebracht haben. Aber auch danach bestritten sowohl der Polizeipräsident als auch der Informationsminister, etwas über die Festnahme des Journalisten zu wissen. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Vorsitzenden der ECOWAS-Kommission, in denen Sie ihn auffordern, sicherzustellen, dass das Urteil des Gerichts vom 5. Juni 2008 umgesetzt wird und die gambische Regierung den Journalisten Ebrima Manneh unverzüglich freilässt. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch an: James Victor Gbeho President of the Commission Economic Community of West African States (ECOWAS) ECOWAS Secretariat Building 60 Yakubu Gowon Crescent Asokoro Abuja, NIGERIA (korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz) Fax: 002 34 - 9 - 31 44 30 05 (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Republik Gambia S.E. Herrn Mamour A. Jagne 126, Avenue Franklin Roosevelt 1050 Brüssel, BELGIEN Fax: 0032 - 2 - 646 32 77 E-Mail: info@gambiaembassy.be

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Shams-Ul-Din Baloch wurde am 1. Juli 2010 verschleppt, als er seine Mutter auf dem Weg in ein Krankenhaus in der Provinz Belutschistan begleitete. Amnesty International geht davon aus, dass er wegen seiner Verbindung zur politischen Bewegung der Belutschen entführt wurde. Über Shams Balochs Schicksal ist seit der Entführung nichts bekannt. Seine Familie fürchtet um sein Leben. Der Krankenwagen, in dem sich Shams Baloch und weitere Familienmitglieder befanden, wurde an einem Kontrollpunkt des Frontier Corps, einer paramilitärischen Einheit des Innenministeriums, zwischen Khuzdar und Quetta angehalten. Laut Augenzeugen traf kurz darauf ein Wagen mit vier bewaffneten Männern in Zivil ein, die Shams Baloch mitnahmen. Ein Ermittlungsteam, das aus Polizeibeamten und Angehörigen des Geheimdienstes bestand, bestätigte den Vorfall. Die Familie von Shams Baloch hat bei der Polizei Anzeige gegen das Frontier Corps erstattet und bei zahlreichen Regierungsstellen Nachforschungen angestellt. Am 6. Juli 2010 beantragten sie beim Hohen Gericht von Belutschistan eine Vorführung von Shams Baloch vor einem Richter. Im Februar 2011 wurden die beiden Rechtsanwälte, die Shams Balochs Fall und andere Fälle von »Verschwindenlassen« in Belutschistan vertreten, ebenfalls verschleppt. Einen der Rechtsanwälte ließen die Entführer nach einigen Tagen frei, der andere wird immer noch vermisst. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den pakistanischen Innenminister und fordern Sie ihn auf, umgehend den Verbleib von Shams Baloch zu ermitteln und die Untersuchungsergebnisse insbesondere der Familie mitzuteilen. Dringen Sie auf seine sofortige Freilassung, falls er sich in den Händen der Behörden befindet und nicht vor einem ordentlichen Gericht einer als Straftat erkennbaren Handlung angeklagt wird und ein faires Verfahren erhält. Fordern Sie die Behörden auf, die Verantwortlichen des Verschwindenlassens vor Gericht zu stellen und die Familie von Shams Baloch zu entschädigen. Schreiben Sie in gutem Urdu, Englisch oder auf Deutsch an: Rehman Malik Federal Minister for Interior Room 404, 4th Floor, R Block, Pakistan Secretariat Islamabad, PAKISTAN (korrekte Anrede: Dear Mr Malik / Sehr geehrter Herr Innenminister) Fax: 0092 - 519 - 20 26 24 (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Islamischen Republik Pakistan S.E. Herrn Shahid Ahmad Kamal Schaperstraße 29, 10719 Berlin Fax: 030 - 21 24 42 10 E-Mail: mail@pakemb.de

briefe gegen das vergessen

Foto: www.Angola3.org

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pakistan shams baloch

usa albert woodfox und herman wallace Seit 39 bzw. 36 Jahren werden Albert Woodfox und Herman Wallace in einem Gefängnis im US-Bundesstaat Louisiana unter menschenunwürdigen Bedingungen in Isolationshaft gehalten. Die Männer kamen in Einzelhaft, weil sie bei einem Häftlingsaufstand 1972 einen Wärter getötet haben sollen. Beide bestreiten den Mord und gehen davon aus, dass man sie der Tat beschuldigte, weil sie der »Black Panther Party« angehörten und im Gefängnis politisch aktiv waren. Dokumente der Justizbehörden deuten darauf hin, dass die Angst vor ihrem politischen Engagement ein Faktor bei der Entscheidung der Gefängnisleitung war, sie in Isolationshaft zu halten. Beide Männer haben vor Bundesgerichten Berufung gegen die Schuldsprüche eingelegt. Die Männer verbringen 23 Stunden am Tag in ihren Zellen, die nur sechs Quadratmeter groß sind. Für lediglich sieben Stunden in der Woche dürfen sie diese verlassen, um zu duschen oder allein über den Gefängniskorridor zu gehen. Seit Jahrzehnten leben die Männer isoliert und haben keine Möglichkeit sich sozial oder mental zu beschäftigen. Ihnen wird der Zugang zu Bildungsprogrammen verwehrt, sie dürfen nicht arbeiten, nur mit Einschränkungen Bücher lesen und haben keinen Fernseher in ihren Zellen. Albert Woodfox darf seit November 2010 weder telefonieren noch Besuche empfangen. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Gouverneur von Louisiana und äußern sie Ihre Kritik an den grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen, unter denen Albert Woodfox und Herman Wallace in Haft gehalten werden. Die Haftbedingungen stellen sowohl einen Verstoß gegen die Verfassung der USA dar als auch gegen internationale Menschenrechtsabkommen, die eine solche Behandlung untersagen. Fordern Sie den Gouverneur auf, die Isolationshaft der beiden Männer umgehend zu beenden. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch an: Bobby Jindal Governor of Louisiana Office of the Governor PO Box 94004 Baton Rouge, LA 70804 USA (korrekte Anrede: Dear Governor / Sehr geehrter Herr Gouverneur) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika S.E. Herrn Philip Dunton Murphy Pariser Platz 2, 10117 Berlin Fax: 030 - 83 05 10 50 E-Mail: über http://germany.usembassy.de/email/feedback.htm

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50 JAHRE AMNESTY

»amnesty, mach weiter!« Am 27. und 28. Juni feierte die deutsche Sektion von Amnesty International den 50. Geburtstag der Organisation. Höhepunkt der Festlichkeiten war die Verleihung des 6. Menschenrechtspreises an das mexikanische Menschenrechtszentrum »Tlachinollan« und dessen Leiter Abel Barrera Hernández. Ein über 30 Meter langes, gelbes Banner prangt an der Fassade des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin. Fahnen mit der Amnesty-Kerze wehen im Wind, ein knallgelber, doppelstöckiger Bus spiegelt sich im Wasserbecken des geschichtsträchtigen Kulturhauses. Hier, im Norden des Tiergartens und direkt an der Spree, fand am 27. Juni der Festakt zum 50. Geburtstag von Amnesty International statt. Im Mittelpunkt stand der Träger des diesjährigen Menschen-

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rechtspreises, Abel Barrera Hernández aus Mexiko. Ebenfalls angereist war Salil Shetty, der internationale Generalsekretär von Amnesty International. Nach einer Begrüßung durch den Vorstandssprecher der deutschen Amnesty-Sektion, Stefan Keßler, sprach Bundespräsident Christian Wulff ein Grußwort zum 50. Jubiläum von Amnesty. Vor rund 800 Gästen betonte er, dass die Opfer von Menschenrechtsverletzungen nicht vergessen werden dürfen und erinnerte daran, dass es wichtig sei, »jene Menschen fair zu behandeln, die sich als Flüchtlinge unter Gefahr auf den Weg nach Europa machen«. Zahlreiche nationale und internationale Gäste sprachen im Laufe des Abends über ihren Einsatz für die Menschenrechte. So zum Beispiel die Gründungsmitglieder der deutschen Sektion Gerd Ruge und Wolfgang Piepenstock oder Pablo Pacheco Avila, ein kubani-

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Fotos: Amnesty, Kay Herschelmann, Christian Ditsch

scher Journalist, für den sich Amnesty eingesetzt hat. Dazwischen gab es Musikbeiträge von Françoiz Breut, Sophie Hunger, Alice Sara Ott und den Söhnen Mannheims. Menschenrechte und Humor? Kein Problem für Michael Mittermeier, der mit seinem Auftritt zeigte, dass auch bei Amnesty gelacht werden darf. Unter großem Beifall verabschiedete sich der Comedian mit den Worten: »Amnesty, mach weiter!« Der Höhepunkt des Abends war zweifellos die Preisverleihung des 6. Amnesty-Menschenrechtspreises an das Menschenrechtszentrum »Tlachinollan« im mexikanischen Bundesstaat Guerrero und dessen Leiter Abel Barrera Hernández. »Abel Barrera und seine Mitarbeiter setzen sich mit Herz und Verstand für ein neues Mexiko ein, wo die Menschenrechte der Armen nicht länger mit Füßen getreten werden und Verletzungen der Menschenrechte nicht straflos bleiben«, begründete Salil Shetty die Entscheidung der Jury. Abel Barrera bedankte sich und betonte gleichzeitig, wie schwierig und gefährlich der Einsatz für

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die Menschenrechte in Mexiko sei. Er widme den Preis deshalb »all jenen Menschen, die ihr Leben für Gerechtigkeit und Menschenrechte in Guerrero gelassen haben«. Mit einem »Toast to Freedom« und erhobenen Gläsern ging der offizielle Teil der Menschenrechtsgala im Haus der Kulturen der Welt zu Ende. Doch gehört zu einem Amnesty-Geburtstag selbstverständlich auch eine Aktion: Sie fand mit prominenter Unterstützung am 28. Juni auf dem Pariser Platz in Berlin statt. Das Foto des Tages: Hunderte gelber Amnesty-Luftballons vor dem Brandenburger Tor. Und was erwartet Amnesty in den nächsten 50 Jahren? Für die Zukunft kann gelten, was Peter Benenson, der Gründer von Amnesty International, bereits zum 25. Geburtstag sagte. »Die Kerze brennt nicht für uns«, betonte er damals. »Die Kerze brennt für all jene, die wir bisher noch nicht aus dem Gefängnis befreien konnten. Für die, die auf dem Weg ins Gefängnis erschossen wurden. Für die Gefolterten, die Gekidnappten und für die Verschwundenen.«

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anstossen auf amnesty Von Miesbach bis München: In ganz Deutschland organisierten Amnesty-Mitglieder große und kleine Veranstaltungen, um an den 50. Geburtstag der weltweit größten Menschenrechtsorganisation zu erinnern. Wie feiert man eigentlich ein halbes Jahrhundert Menschenrechtsarbeit? Mit einer aufwändigen Geburtstagsgala in Berlin samt Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty und Bundespräsident Christian Wulff? Oder doch lieber mit einem Infostand in der Fußgängerzone der eigenen Heimatstadt, einer Geburtstagstorte und einem Glas Sekt? Ob pompös oder bescheiden: Die Mitglieder der deutschen Amnesty-Sektion haben in den letzten Monaten bewiesen, dass sie bei der Organisation von Geburtstagsveranstaltungen genauso engagiert und kreativ sind wie bei

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ihrem Einsatz für die Menschenrechte. Geboten war vieles: beispielsweise eine Radtour für die Menschenrechte, eine Jubiläumsschifffahrt, eine Vorlesungsreihe, Kurzfilmfestivals, Straßentheater, Kabarettvorstellungen sowie viele Vorträge, Lesungen, Ausstellungen und Benefizkonzerte. Größere Veranstaltungen gab es in München mit der Festgala »Kugeln vor Lachen« oder in Köln während der diesjährigen Jahresversammlung von Amnesty. Über zweihundert verschiedene Veranstaltungen nahmen den Geburtstag zum Anlass, um an die Ursprünge der Organisation zu erinnern, Menschenrechtsverteidiger zu würdigen und über die zukünftige Menschenrechtsarbeit nachzudenken. Dabei hat dieses Jubiläum einmal mehr bewiesen: Ohne das Engagement ihrer ehrenamtlichen Mitglieder wäre die Organisation nicht das, was sie heute ist.

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Foto: Christian Ditsch / Amnesty

Alexander Hülle ist der neue Vorstandssprecher der deutschen Sektion von Amnesty International. Die rund 700 Teilnehmer der diesjährigen Jahresversammlung in Köln wählten ihn und sechs weitere Kandidaten in das höchste ehrenamtliche Gremium von Amnesty in Deutschland. Alexander Hülle ist bereits seit Mitte der achtziger Jahre bei Amnesty tätig und war seit 2008 stellvertretender Vorstandssprecher. Zu den sechs weiteren Mitgliedern des neuen Vorstands gehören Benjamin Titze (stellvertretender Vorstandssprecher), Larissa Probst (Öffentlichkeitsarbeit), Ingrid Bausch-Gall (Mitgliedschaft und Organisation), Roland Vogel (Finanzen), Inga Morgenstern (Politische Flüchtlinge) und Oliver Hendrich (Länderarbeit). Die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder werden alle zwei Jahre auf der Jahresversammlung von den ehrenamtlichen Mitgliedern der deutschen Sektion gewählt.

Fotos: Coletta Ehrmann, Axel Gross, Amnesty

Neuer Vorstandssprecher. Alexander Hülle.

aktiv für amnesty

Durch ganz unterschiedliche Veranstaltungen geben Amnesty-Mitglieder den Opfern von Menschenrechtsverletzungen eine Stimme. Diese Aktionen vor Ort sind ein unentbehrlicher Teil der Arbeit von Amnesty International. Mehr Informationen darüber finden Sie auf www.amnesty.de/aktiv-vor-ort und www.amnesty.de/kalender

wolfgang grenZ über

fussball

Zeichnung: Oliver Grajewski

amnesty wählt neuen vorstand

1978: Jemand drückt mir ein Flugblatt in die Hand. »Fußball ja – Folter nein« steht darauf. Bald soll die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien beginnen und Amnesty informiert über die Verbrechen der Militärdiktatur in dem Land. Es ist mein erster Kontakt zu der Menschenrechtsorganisation. Die Aktion überzeugt mich und bringt mich schließlich dazu, für Amnesty zu arbeiten. 2011: Täglich gehen Presseanfragen in unserem Büro ein. Als Generalsekretär soll ich Auskunft geben über die Menschenrechtslage in China und Libyen, soll unsere Meinung zur Flüchtlingspolitik der EU vertreten. Oft geht es um Themen, die sowieso die Schlagzeilen bestimmen. Viel schwerer ist es, für Länder Aufmerksamkeit zu finden, die nicht im Zentrum der Weltpolitik stehen. Länder wie Äquatorialguinea. Ölfunde machen den afrikanischen Staat zu einem begehrten Wirtschaftspartner. Doch das Land wird seit 40 Jahren von einem Familienclan brutal regiert. Derzeit versucht die Regierung zu verhindern, dass Nachrichten aus Nordafrika die Bevölkerung erreichen. Das Regime hat Angst, es könnte nach dem Vorbild von Tunesien und Ägypten gestürzt werden. Es hat Angst vor Menschen, die friedlich ihre Rechte einfordern. Sie verdienen unsere Unterstützung. Umso mehr freut es mich, dass sich jetzt Journalisten bei uns nach Äquatorialguinea erkundigen. Der Anlass: Die Fußballweltmeisterschaft der Frauen. Fußball ja – Folter nein. Die Forderung ist weiterhin aktuell. Wolfgang Grenz ist amtierender Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

impressum Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn, Tel.: 0228 - 98 37 30, E-Mail: Info@amnesty.de, Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion Amnesty Journal, Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: journal@amnesty.de (für Nachrichten an die Redaktion) Redaktion: Bernd Ackehurst, Markus N. Beeko, Anton Landgraf (V.i.S.d.P.), Larissa Probst, Ralf Rebmann Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Ariane Allo, Ali Al-Nasani, Hassan Asfour, Daniel Bax, Denise Bentele, Jan Busse, Amke Dietert, Urs M. Fiechtner, Henning Franzmeier, Wolfgang Grenz, Dorothee Haßkamp, Mathias John, Dominic Johnson, Ruth Jüttner, Jürgen Kiontke, Götz Nordbruch, Gunda Opfer, Wera Reusch, Maria Scharlau, Julia Schell, Uta von Schrenk, Maik Söhler, Carsten Stromer, Johann Tischewski, Wolf-Dieter Vogel, Kathrin Zeiske Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk / schrenkwerk.de Druck: Hofmann Druck, Nürnberg

50 jahre amnesty

Vertrieb: Carnivora Verlagsservice, Berlin Bankverbindung: Amnesty International, Kontonr. 80 90 100, Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln, BLZ 370 205 00 Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Nichtmitglieder können das Amnesty Journal für 30 Euro pro Jahr abonnieren. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.

ISSN: 1433-4356

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Š Amnesty International Deutschland 2011


Ă„GYPTEN:

OLTER FSTOPPEN! FOFKLLĂ„RTEENR ! AU

30 Jahre lang haben Polizei und Geheimdienst unter der Herrschaft von Präsident Mubarak systematisch gefoltert und misshandelt. Zumeist um ÂťGeständnisseÂŤ zu erzwingen, aber auch, um die Menschen einzuschĂźchtern und zu demĂźtigen. Die Verantwortlichen blieben fast immer straffrei: FoltervorwĂźrfe von politischen Gefangenen wurden nicht untersucht und fĂźhrten nicht zu Ermittlungen gegen die mutmaĂ&#x;lichen Täter. Auch Kinder und Frauen waren davon betroffen. Zu den Foltermethoden gehĂśrten Schläge, Elektroschocks, das Aufhängen an Hand- und FuĂ&#x;gelenken, Schlafentzug, Morddrohungen und sexueller Missbrauch. Das unter Mubarak errichtete System der Angst existiert noch immer: Polizei und Sicherheitskräfte reagierten auf die friedlichen Demonstrationen im FrĂźhjahr 2011 mit massiver Gewalt und willkĂźrlichen Festnahmen. Mindestens 840 Menschen starben bei den Protesten. Viele der später Freigelassenen berichteten Amnesty von erniedrigender Behandlung, Schlägen und Folter. Familien, die Aufklärung Ăźber den Tod ihrer AngehĂśrigen verlangten, wurden eingeschĂźchtert und unter Druck gesetzt. Doch die Massendemonstrationen Anfang 2011 zwangen den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak zum RĂźcktritt. Damit besteht jetzt die historische Chance fĂźr einen Wandel. Fordern Sie jetzt ein Ende der Folter in Ă„gypten und eine Untersuchung aller FoltervorwĂźrfe. Diejenigen, die fĂźr Folter verantwortlich sind, mĂźssen zur Rechenschaft gezogen werden.

UNTERSCHREIBEN SIE JETZT DIE PETITION AN DEN Ă„GYPTISCHEN INNENMINISTER UND FORDERN SIE:

Folter und Misshandlung Ăśffentlich zu verurteilen und gegenĂźber den Sicherheitskräften klarzustellen, dass Ăœbergriffe unter keinen Umständen toleriert werden. alle Inhaftierten effektiv vor Folter und Misshandlung zu schĂźtzen und ihren Familien und Anwälten Zugang zu gewähren. alle FoltervorwĂźrfe umgehend und umfassend zu untersuchen und diejenigen, die fĂźr Folter verantwortlich sind, in fairen Gerichtsverfahren zur Rechenschaft zu ziehen.

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WWW.AMNESTY.DE/FOLTERSTOPPEN Amnesty wird die Unterschriften dem ägyptischen Innenminister gesammelt ßberreichen.


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