Amnesty Journal Oktober/November 2011

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das magaZin f端r die menschenrechte

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amnesty journal

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2011 oktober/ november

willkommen in den haag 端ber die fortschritte im kampf gegen die straflosigkeit

sudan der vergessene krieg in den nuba-bergen

syrien aufstand ohne ende

geschlossenes netZ wie staaten versuchen, das internet zu kontrollieren


Illustration: André Gottschalk

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editorial

Foto: Amnesty

Anton Landgraf ist Redakteur des Amnesty Journals

sie galten als unantastbar … … und ihre Macht schien grenzenlos. Nun finden sich ehemalige Präsidenten und Generäle auf der Anklagebank wieder und müssen sich vor internationalen Gerichtshöfen rechtfertigen. Noch nie konnte der Kampf gegen die Straflosigkeit so viele Erfolge verbuchen wie in diesem Jahr. Sicherlich landet längst nicht jeder Täter vor Gericht. Aber es ist ein Fortschritt, dass »eine Menschenrechtsverletzung, egal wo sie auch geschehen mag, heute nicht lange verborgen bleibt«, wie der Anwalt und Völkerrechtsexperte Wolfgang Kaleck erklärt (S. 34). Das gilt selbst für eine so abgeschiedene Gegend wie die sudanesische Provinz Südkordofan. Eine Delegation von Amnesty International hat kürzlich die Region bereist und anschließend über mutmaßliche Kriegsverbrechen berichtet. Unsere Reportage schildert die bedrückende Situation, in der sich die Zivilbevölkerung befindet (S. 40). Auch in Syrien versucht die Regierung, alle Informationen über die Situation im Land zu unterdrücken (S. 54). Dennoch gelangen fast täglich Nachrichten nach außen, die von Übergriffen und Massakern berichten. Gut möglich, dass sich auch Präsident Assad eines Tages in einer Zelle in Den Haag wiederfindet. Häufig versuchen Oppositionelle, in eigenen Blogs und Webseiten über die Lage in Krisengebieten zu informieren. In manchen Ländern nehmen die Versuche, diese Kommunikation zu kontrollieren, extreme Formen an. So wollen die Behörden im Iran das Internet nicht nur systematisch überwachen. Vielmehr arbeiten sie daran, es grundsätzlich von der Außenwelt abzuschotten. Das sogenannte »Halal-Netz« würde dann allerdings nur noch als Karikatur eines schrankenlosen Austausches fungieren (S. 62). Zuletzt eine Nachricht in eigener Sache. Am 13. September ist Helmut Frenz im Alter von 78 Jahren gestorben. Frenz war der erste Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International und leitete die Organisation von 1976 bis 1985. Auch nach seiner Zeit als Generalsekretär blieb er Amnesty verbunden und setzte sich weiter für die Menschenrechte, insbesondere für Flüchtlinge, ein. Für sein Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet. 2007 verlieh ihm Chile die Ehrenstaatsbürgerschaft. »Wir spüren den Verlust umso mehr, als Helmut bis kurz vor seinem Tod noch seine Stimme für die Rechte von Flüchtlingen und gegen die Straflosigkeit für Menschenrechtsverbrechen erhoben hat«, erklärte Wolfgang Grenz, amtierender Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion. »Mit Helmut haben wir einen großartigen Kämpfer für die Menschenrechte verloren.« Wir werden in der kommenden Ausgabe einen ausführlichen Nachruf auf Helmut Frenz veröffentlichen.

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inhalt

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Für unser Titelbild und die Illustrationen auf den Seiten 16 bis 27 hat der Berliner Grafiker André Gottschalk Sprayschablonen von den Köpfen von Angeklagten vor internationalen Gerichtshöfen gebastelt und die Porträts dann (legal) auf Mauern in Kreuzberg gesprüht.

rubriken 06 Reaktionen 07 Erfolge 10 Panorama 12 Nachrichten 13 Interview: Pavel Sapelka 15 Kolumne: Jürgen Gottschlich 73 Rezensionen: Bücher 74 Rezensionen: Film & Musik 76 Briefe gegen das Vergessen 78 Amnesty@50 81 Wolfgang Grenz: Wo unsere Stärke liegt

thema 19 Kein Frieden ohne Gerechtigkeit Von Leonie von Braun

20 Von großen und kleinen Fischen Die internationale Strafgerichtsbarkeit verzeichnet vermehrt Fortschritte bei der Verfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen. Von Andrea Böhm

28 Von Phnom Penh bis Den Haag Die wichtigsten internationalen Strafgerichte im Überblick: Aufgaben, Unterschiede und Besonderheiten.

30 Vita heißt Krieg Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wird derzeit über Menschenrechtsverletzungen verhandelt, die in der Demokratischen Republik Kongo begangen wurden. Es ist der erste Prozess in Deutschland, der nach dem Völkerstrafgesetzbuch geführt wird. Von Denise Bentele

33 Tödliche Geschäfte Im Ostkongo leidet die Zivilbevölkerung weiterhin unter den Angriffen bewaffneter Gruppen. Von Andrea Riethmüller

34 »Wir stehen erst am Anfang« Ein Gespräch mit Wolfgang Kaleck, Anwalt und Völkerrechtsexperte, über die juristische Aufarbeitung der argentinischen Militärjunta.

37 Der lange Atem der Revolution Ägypten und Tunesien nehmen die juristische Aufarbeitung der jüngsten Umstürze selbst in die Hand. Die Protestbewegung bleibt misstrauisch. Von Ralf Rebmann Fotos oben: Andrew McConnell / Agentur Focus | Carsten Stormer | Andy Spyra | Jean-Marc Caimi / Redux / laif

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berichte

kultur

40 Im toten Winkel

62 Das Ende der Freiheit

In der sudanesischen Provinz Südkordofan führt die Armee einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Von Carsten Stormer

46 Reise ins gelobte Land Während des Bürgerkriegs im Sudan flohen über vier Millionen Menschen aus dem Süden in den Norden des Landes. Nach der Gründung des Südsudans im Juli kehren sie nun zu Tausenden zurück. Von Oliver Seidl und Paul Knecht

50 Falsches Spiel in Porto Alegre In Brasilien laufen die Vorbereitungen für die FußballWM 2014 auf Hochtouren. Zehntausende Familien sollen den geplanten Großprojekten weichen. Doch der Widerstand wächst. Von Gerhard Dilger

52 »Information bedeutet Macht« Ein Interview mit Pablo Pacheco Avila, der zu den 75 Dissidenten gehörte, die während des sogenannten »Schwarzen Frühlings« 2003 in Kuba festgenommen wurden.

54 Aufstand ohne Ende In Syrien gehen die Massenproteste weiter, der Druck auf Präsident Assad nimmt zu. Amnesty International wirft der Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Von Larissa Bender

58 Verurteilt auf Verdacht In den USA sitzen zwei ehemalige Black PantherAktivisten seit 40 Jahren vermutlich unschuldig im Gefängnis. Von Claus Walischewski

inhalt

Das Internet galt bislang als Hort der Freiheit. Einige Länder versuchen jedoch, es zu sperren, zu kontrollieren und einzuschränken. So richtet der Iran derzeit ein abgeschottetes »Halal-Netz« für die gesamte Nation ein. Von Thomas Lindemann

66 Die Schwalbe Wer den Tschetschenienkonflikt verstehen und begreifen möchte, was er für seine Opfer bedeutet, muss sich an German Sadulajew wenden. Der Jurist und Romanautor ist beides: Russe und Tschetschene. Von Barbara Kerneck

68 Spitzname »Konterrevolution« Liao Yiwu hat mit seinem Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen das Pendant zu Alexander Solschenizyns »Archipel GULAG« geschrieben. Der Preis dafür ist hoch. Von Maik Söhler

70 Raperos Wer auf Kuba Missstände öffentlich anspricht, gerät schnell ins Visier der Staatsmacht. Das macht viele Rapper zu Stars einer Underground-Szene. Von Knut Henkel

72 Der große Widerspruch Der Journalist Michael Thumann erklärt, warum die westliche Sicht auf die islamisch geprägten Länder fatal verengt ist. Von Maik Söhler

75 Filme der Jugend Das diesjährige »Internationale Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte« widmet sich dem Leben junger Menschen unter erschwerten Bedingungen. Von Jürgen Kiontke

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usa

grossbritannien

russland

Jordan Brown ist angeklagt, im Alter von elf Jahren die Verlobte seines Vaters und deren ungeborenes Kind getötet zu haben. Der heute 13-Jährige hätte vor einem ganz normalen Gericht für Erwachsene verurteilt werden sollen. Ende August wurde das Verfahren schließlich einem Jugendgericht übergeben. Amnesty hatte sich dafür eingesetzt, weil dem Jungen sonst eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung gedroht hätte. Laut UNO-Kinderrechtskonvention ist dies verboten, doch die USA sind neben Somalia das einzige Land weltweit, das die Konvention noch nicht ratifiziert hat.

»Heimlichtuerisch, unehrlich und mit großen Fehlern.« So haben Amnesty International und andere Organisationen die Pläne der britischen Regierung zur Aufklärung von Foltervorwürfen kommentiert. Britische Einheiten stehen im Verdacht, bei Antiterrormaßnahmen nach dem 11. September 2001 an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen zu sein. »Wir brauchen eine Untersuchung, die so transparent und effizient wie möglich ist und nicht diesen halbgeheimen Prozess, dem es an Reichweite und Willen fehlt«, sagte Nicola Duckworth, Direktorin für das Europa-Programm bei Amnesty.

In Zusammenhang mit dem Mord an der Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja im Jahr 2006 ist Ende August ein ehemaliger russischer Polizist verhaftet worden. Dmitri Pawljutschenko steht unter dem Verdacht, Drahtzieher des Mordes zu sein. Amnesty International hofft, dass damit die Aufklärung des Verbrechens in greifbare Nähe rückt. Anna Politkowskaja hatte sich mehr als ein Jahrzehnt lang unermüdlich und vehement gegen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und im Nordkaukasus engagiert.

Ausgewählte Ereignisse vom 21. Juli bis 15. September 2011.

israel

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haiti

malawi

Im Juli wurden rund 500 Familien aus einem provisorischen Lager im Zentrum der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince vertrieben. »Die Behörden in Haiti haben diese Familien seit dem Erdbeben bereits drei Mal auf die Straße gesetzt«, sagte Javier Zuñiga, Experte bei Amnesty. »Sie haben dabei versagt, die Rechte der Menschen auf Obdach und einen angemessenen Lebensstandard zu schützen.« Berichten zufolge bezahlten die Behörden jeder Familie 250 US-Dollar, klärten jedoch nicht in adäquater Weise über die Räumung auf und boten keine alternativen Wohnmöglichkeiten an.

Mindestens acht Tote und 44 Verletzte sind das Resultat gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen regierungskritischen Demonstranten und Sicherheitskräften in der malawischen Stadt Mzuzu. »Wenn es einen glaubwürdigen Verdacht gibt, dass willkürlich auf die Demonstranten geschossen wurde, dann müssen die Verantwortlichen in einem fairen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden«, sagte Erwin van der Borght, Leiter des Afrika-Programms bei Amnesty. Die Proteste richteten sich unter anderem gegen steigende Lebenshaltungskosten und die Rationierung der Benzinund Stromversorgung.

Im vergangenen Jahr haben israelische Behörden die Bewohner des BeduinenDorfs al-‘Araqib insgesamt 28 Mal vertrieben und ihre Behausungen zerstört. Für die Räumungen hat die Regierung nun eine Forderung in Höhe von 500.000 USDollar geltend gemacht. »Die Behörden können nicht ernsthaft erwarten, dass die Beduinen selbst für die wiederholte Zerstörung ihrer Wohnungen und ihrer Lebensgrundlage aufkommen«, sagte Philip Luther, stellvertretender Leiter der Abteilung Nahost und Nordafrika bei Amnesty. Nach Ansicht der Beduinen liegt das Dorf auf dem Land ihrer Vorfahren, nach Ansicht der israelischen Regierung handelt es sich um die illegale Besetzung eines »nicht erfassten« Gebiets.

amnesty journal | 10-11/2011


Foto: Thomas Kierok / laif

erfolge

»Keine erhöhte Gefährdung für Polizeibeamte.« Das Namens- oder Nummernschild ist für Berliner Polizisten Pflicht.

name oder nummer Die Berliner Polizei beweist Bürgernähe: Seit Juli tragen über 13.000 Beamte im Dienst ein Namens- oder Nummernschild zur Kennzeichnung. In Brandenburg soll die Kennzeichnungspflicht 2013 eingeführt werden. »Amnesty International begrüßt die Umsetzung der Kennzeichnungspflicht in Berlin und den Landtagsbeschluss zur Einführung in Brandenburg«, sagte Joachim Rahmann, Referent für das Thema »Polizei und Menschenrechte« bei Amnesty in Deutschland. Dass sich Berliner Polizisten zwischen Namen und Nummer entscheiden können, ist das Ergebnis eines Kompromissvorschlags der Einigungsstelle des Landes Berlin. Polizeigewerkschaften hatten die Kennzeichnungspflicht mit der Begründung abgelehnt, sie würde die Sicherheit der Beamten gefährden. »Erfahrungen anderer europäischer Länder sowie des SEK in Berlin liefern keine Grundlage dafür, eine erhöhte Gefährdung für Polizeibeamte zu vermuten«, sagte Rahmann. Der Einsatz von Nummernschildern garantiere eine effektive Ermittlung, be-

deutschland

libyscher regierungskritiker entlassen

libyen »Ich habe keine Worte, um mich für die Hilfe von Amnesty International zu bedanken«, sagte Jamal al-Hajji zwei Amnesty-Vertretern in Tripolis. Jamal al-Hajji ist ein langjähriger Kritiker von Muammar al-Gaddafi und dessen Politik. Nach einer fast sieben Monate dauernden Haft wurde er Ende August freigelassen. Weil der Regierungskritiker angeblich einen Autounfall verursacht haben soll, wurde er am 1. Februar von Sicherheitskräf-

erfolge

achte aber auch die Sicherheitsbedürfnisse der Beamten. Die Bundesregierung hat eine generelle Kennzeichnungspflicht für die Bundespolizei ausgeschlossen. In einer Antwort auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen heißt es, die Kennzeichnung sei »sachlich nicht erforderlich«, da Bundespolizisten bereits identifiziert werden könnten. Nach Ansicht von Amnesty ist diese Begründung nicht stichhaltig: »Anders als die Bundesregierung behauptet, sind Fälle dokumentiert, in denen Vorwürfe wegen mangelnder Kennzeichnung nicht aufgeklärt werden konnten«, so Rahmann. Die deutsche Amnesty-Sektion hatte im vergangenen Jahr mit der Kampagne »Mehr Verantwortung bei der Polizei« auf die mangelnde Aufklärung mutmaßlicher Misshandlungen durch die Polizei aufmerksam gemacht. In Baden-Württemberg, Bremen und Rheinland-Pfalz ist die Kennzeichnungspflicht bei »Großlagen«, beispielsweise Demonstrationen, inzwischen in den Koalitionsverträgen verankert.

ten in Zivil festgenommen. Zuvor hatte Jamal al-Hajji auf ausländischen Internetseiten zu regierungskritischen Demonstrationen aufgerufen. Seine Haft verbrachte er unter menschenunwürdigen Bedingungen. »Es ist unglaublich, zu welchen Mitteln Staatsoberhäupter greifen, um an der Macht zu bleiben«, so al-Hajji. »Alle Menschen, die grundlegende Freiheiten und Menschenrechte fordern, müssen wir deshalb unterstützen.«

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Foto: Centro de Derechos Humanos de la Montaña de Tlachinollan

»Ein bedeutender Schritt nach vorn.« Inés Fernández Ortega and Valentina Rosendo Cantú.

teilerfolg gegen die straflosigkeit Vor neun Jahren wurden Inés Fernández Ortega und Valentina Rosendo Cantú von Angehörigen des mexikanischen Militärs vergewaltigt. Bis heute kämpfen sie dafür, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Vor Gericht haben die beiden Frauen nun einen Teilerfolg erstritten. »Ich weiß, dass es ein langer Prozess ist, aber ich werde weiterkämpfen, bis ich Recht bekomme.« Das sagte Valentina Rosendo Cantú Amnesty International im Januar 2009. Zweieinhalb Jahre später ist sie zusammen mit Inés Fernández Ortega diesem Ziel näher gekommen. Im August 2011 räumte die Generalstaatsanwaltschaft des Militärs ein, dass die Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen durch Militärangehörige nicht in ihre Zuständigkeit fällt. Das Verfahren gegen die Täter wird somit vor einem Zivilgericht und nicht, wie sonst üblich, vor einem Militärgericht verhandelt. »Für uns ist das ein bedeutender Schritt nach vorn, denn die mexikanische Bevölkerung hat sich kontinuierlich dafür stark gemacht, dass die Fälle an die zivile Justiz übergeben werden«, sagte Vidulfo Rosales, der Anwalt der beiden Frauen im Menschenrechtszentrum Tlachinollan im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero. »Dennoch besteht weiterhin die Möglichkeit, dass die Verantwortlichen ungeschoren davonkommen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist verpflichtet, unverzüglich ein Strafverfahren zu eröffnen und die Soldaten zu bestrafen, die Inés und Valentina bereits als Täter genannt haben«, so Rosales. Beide Frauen gehören zur indigenen Gemeinschaft der Tlapaneca, die im Bundesstaat Guerrero lebt. Im Februar 2002 wurde Valentina Rosendo Cantú von Militärangehörigen zu einem

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Diebstahl befragt. Anschließend wurde sie vergewaltigt, weil sie nicht die gewünschten Informationen liefern konnte. Inés Fernández Ortega wurde im März 2002 aus ähnlichen Gründen vergewaltigt. Das Einlenken der Generalstaatsanwaltschaft geht auf eine Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2010 zurück. Darin hieß es, die Verfahren zu Menschenrechtsverletzungen durch das Militär müssten vor Zivilgerichten verhandelt werden. Die mangelnde Unabhängigkeit vieler Militärgerichte ist einer der Hauptgründe dafür, dass viele mutmaßliche Täter aus den Reihen des Militärs straffrei davonkommen oder Verfahren verschleppt werden. Trotz der Entscheidung liegen eine Reihe von Vergewaltigungsfällen nach wie vor bei Militärgerichten. Übergriffe von Militärangehörigen auf die Zivilbevölkerung sind keine Seltenheit: 2010 hat die Nationale Menschenrechtskommission in Mexiko in mehr als 1.600 Fällen Beschwerden entgegengenommen. Bis heute ist Amnesty International nur ein Fall bekannt, bei dem ein Militärangehöriger wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt wurde. Laut Javier Zuñiga, Experte bei Amnesty, könnte das Verfahren von Inés Fernández Ortega und Valentina Rosendo Cantú zu einem wichtigen Präzedenzfall werden. »Die Staatsanwaltschaft muss die Verantwortlichen rasch vor Gericht stellen«, forderte Zuñiga. »Man darf nicht zulassen, dass die mexikanische Militärjustiz einmal mehr die Schuldigen deckt, wenn Angehörigen der Armee Menschenrechtsverletzungen an Zivilpersonen zur Last gelegt werden.« Text: Ralf Rebmann

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einsatZ mit erfolg

aktivisten aus der haft entlassen

Sechs Mitglieder der Sozialistischen Partei in Malaysia, darunter der Parlamentsabgeordnete Jeyakumar Devara, sind wieder frei. Die Aktivisten wurden über einen Monat lang auf Grundlage einer Notstandsverordnung in Haft gehalten. »Die Freilassung ist eine gute Nachricht, Malaysia sollte jedoch auch Tausende weitere Personen freilassen, die aufgrund dieses ungerechten Gesetzes inhaftiert sind«, sagte Sam Zarifi, Direktor des Asien-Pazifik-Programms von Amnesty. Derzeit befinden sich schätzungsweise 2.000 Personen ohne Anklage oder Verfahren in Haft. Verabschiedet wurde die Notstandsverordnung bei ethnischen Konflikten im Jahr 1969, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. »Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass malaysische Behörden dieses problematische und präventive Gesetz weiterhin anwenden«, so Sam Zarifi.

malaysia

ein recht auf verweigerung

armenien / eu Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Rechte von Kriegsdienstverweigerern gestärkt. In einem Urteil gegen den armenischen Staat entschieden die Richter, dass Staaten verpflichtet seien, die Ablehnung des Kriegsdienstes als Teil der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu respektieren. »Durch diese Entscheidung steht das Europäische Recht nun ganz klar in Einklang mit den internationalen Standards zur Kriegsdienstverweigerung«, erklärte Michael Bochenek, Leiter der Abteilung Recht und Politik im Internationalen Sekretariat von Amnesty. Hintergrund des Urteils war die Klage von Vahan Bayatyan, einem Mitglied der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas. Wegen seiner Weigerung, den Militärdienst anzutreten, wurde er 2003 von einem armenischen Gericht zu zweieinhalb Jahren Haft

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verurteilt – obwohl er sich bereit erklärt hatte, einen Ersatzdienst zu leisten. In der Folge saß Bayatyan über zehn Monate im Gefängnis.

gericht stoppt expansion einer aluminium-raffinerie

indien Der britische Konzern Vedanta Resources darf seine Aluminium-Raffinerie im indischen Bundesstaat Orissa nicht vergrößern. Das entschied der Oberste Gerichtshof von Orissa im Juli und bestätigte damit einen Beschluss der indischen Regierung. Nach Ansicht der Richter verletzt das Projekt die Umweltgesetze des Landes. Die durch den Aluminiumabbau verursachten Umweltschäden gefährden die Lebensgrundlage der Bewohner von zwölf Dörfern, größtenteils Majhi Kondh Adivasis (Indigene) und Dalit-Gemeinschaften. »Diese Entscheidung ist von enormer Bedeutung für die lokalen Gemeinden, die gekämpft haben, um diese Expansion zu verhindern«, sagte Madhu Malhotra, stellvertretende Direktorin des Asien-Pazifik-Programms von Amnesty International.

ter extrem hohem Blutdruck leidet und in einem öffentlichen Krankenhaus behandelt werden sollte«. Inzwischen hat sich ihr Gesundheitszustand wieder verbessert. Sie steht allerdings weiter unter Beobachtung der chinesischen Behörden. Amnesty International wird die Situation von Mao Hengfeng weiter genau beobachten und gegebenenfalls neue Aktionen einleiten.

ex-soldaten Zu 6.060 jahren haft verurteilt

Mao Hengfeng wurde Ende Juli, einen Monat vor Verbüßung ihrer Haftstrafe in einem Arbeitslager in Shanghai, freigelassen. Die bekannte chinesische Menschenrechtsverteidigerin war im Mai 2010 zu 18 Monaten Haft in einem Lager zur »Umerziehung durch Arbeit« verurteilt worden. Den Entlassungspapieren zufolge kam Hengfeng frei, weil sie »un-

guatemala Ein Richter in Guatemala-Stadt hat vier ehemalige Soldaten wegen ihrer Rolle beim Massaker von Dos Erres im Jahr 1982 zu insgesamt 6.060 Jahren Haft verurteilt. Damals wurden mindestens 250 Männer, Frauen und Kinder getötet. »Dies ist ein Meilenstein für Guatemala und zeigt, dass das Land sich endlich dem Ziel nähert, Gerechtigkeit zu schaffen für die Hunderttausende von Menschen, die während des Bürgerkriegs Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden«, kommentierte Sebastian Elgueta, Experte für Zentralamerika von Amnesty, das Urteil. Die Soldaten erhielten für jeden einzelnen Mord eine Haftstrafe von 30 Jahren. Das Urteil ist symbolisch: In Guatemala können verurteilte Personen für maximal 50 Jahre inhaftiert werden. Während des 36-jährigen Bürgerkriegs in Guatemala begingen Sicherheitskräfte UNO-Angaben zufolge über 600 Massaker an ländlichen und indigenen Bevölkerungsgruppen. Rund 200.000 Menschen kamen ums Leben oder verschwanden.

Vedanta in der Kritik. Amnesty-Aktion, 2010.

Einsatz für die Rechte anderer. Mao Hengfeng.

mao hengfeng freigelassen china

Fotos: Amnesty

Weltweit beteiligen sich Tausende Menschen mit Appellschreiben an den »Urgent Actions«, den »Briefen gegen das Vergessen« und an Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen diese Beispiele.

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panorama

Foto: Ahmad Masood / Reuters

chile: Zivilrichter soll tod eines jugendlichen untersuchen , Am 25. August wurde Manuel Gutiérrez bei einer Demonstration in der chilenischen Hauptstadt Santiago von einer Polizeikugel in die Brust getroffen. Der 16-Jährige starb noch in derselben Nacht. Er hatte wie viele andere Protestteilnehmer für Reformen und eine Verbesserung des Bildungssystems in Chile demonstriert. Da der Schuss nachweislich aus der Waffe eines Polizisten stammte, wird der Fall nach chilenischem Recht vor einem Militärgericht verhandelt. Amnesty forderte die chilenischen Behörden auf, den Fall einem Zivilrichter zu übergeben, damit die Unabhängigkeit des Verfahrens gewährleistet ist. »Chile muss sein Justizsystem reformieren, damit alle von Sicherheitskräften begangenen, mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen vor einem Zivilgericht untersucht und verhandelt werden können«, sagte Guadalupe Marengo, stellvertretende Leiterin des Americas-Programms von Amnesty. Seit Mai demonstrieren in ganz Chile Hunderttausende Menschen für staatliche Reformen. Die Sicherheitskräfte reagierten auf die Proteste in mehreren Fällen mit ungerechtfertiger Gewalt und setzten große Mengen an Tränengas ein.

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% afghanistan: frauenrechte dürfen nicht wegverhandelt werden Am 5. Dezember wird nach zehn Jahren wieder eine internationale Afghanistan-Konferenz in Bonn stattfinden. Die 1. Bonn-Konferenz stand ganz im Zeichen des Sturzes der Taliban. Seitdem hat es sicherlich noch nicht ausreichende, aber doch deutliche Fortschritte gegeben, insbesondere für die Frauen. So besuchten vor zehn Jahren weniger als eine Million Kinder die Schule, unter ihnen fast keine Mädchen. Im Jahr 2009 gingen schon fünf Millionen Kinder zur Schule, mehr als ein Drittel von ihnen Mädchen. Die 2. Bonn-Konferenz steht nun unter einem ganz anderen Vorzeichen: Wie kann nach zehn Jahren der Abzug der internationalen Truppen gelingen, ohne dass das Land im Chaos versinkt? Die NATO-Staaten wollen mit den Taliban über eine Regierungsbeteiligung verhandeln. Welchen Preis sind beide Seiten zu zahlen bereit? Werden die Taliban die afghanische Verfassung respektieren, die die Gleichstellung von Mann und Frau festschreibt? Werden die Frauen überhaupt gefragt, wenn über ihre Zukunft verhandelt wird? Amnesty International fordert die Bundesregierung auf, ihren Einfluss zu nutzen, um zu verhindern, dass die Menschenrechte – und insbesondere die Frauenrechte – wegverhandelt werden. Dies kann nur gelingen, wenn die afghanische Zivilgesellschaft umfassend beteiligt wird. Insbesondere die Stimme der Frauen muss nach Meinung von Amnesty in Bonn Gehör finden.

Foto: Victor Ruiz Caballero / Reuters

panorama

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Foto: Yuri Kozyrev / Noor / laif

nachrichten

Wo alles anfing. Demonstration in Bengasi, 24. Februar 2011.

Zwischen den fronten Ein Amnesty-Bericht über den Bürgerkrieg in Libyen dokumentiert zahlreiche Kriegsverbrechen durch die GaddafiTruppen. Doch auch die Aufständischen begingen Menschenrechtsverletzungen. Mo’ayed Boujlawi hatte keine Chance. Der 25-jährige Libyer demonstrierte am 17.Februar 2011 in Bengasi gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi und für die Freiheit. Er war friedlich und unbewaffnet. Ein Scharfschütze tötete ihn mit einem gezielten Schuss in den Unterleib. Die Demonstranten hatten zuvor noch in Sprechchören gerufen: »Das Volk und die Polizei sind Blutsbrüder.« Mindestens 13 Demonstranten wurden an diesem Tag erschossen. Der Mord an Boujlawi und die brutale Niederschlagung der friedlichen Proteste in Bengasi ist nur ein Beispiel für die schweren Menschenrechtsverletzungen durch Gaddafis Truppen, die der Mitte September veröffentlichte Amnesty-Bericht »Die Schlacht um Libyen« dokumentiert. Seit Ende Februar hatten Amnesty-Experten mehrere Monate lang im Land sowie in Flüchtlingslagern in Tunesien und Ägypten ermittelt. Sie sprachen mit Zeugen und Familienangehörigen, sichteten Handy-Aufnahmen und Obduk-

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tionsberichte, untersuchten Einschusslöcher und Munitionsreste. Die 42 Jahre, die Gaddafi Libyen regierte, waren geprägt von schweren Menschenrechtsverletzungen. Dementsprechend brutal ging der selbsternannte »König der Könige« auch gegen die Proteste vor. Seine Sicherheitskräfte verschleppten und folterten mutmaßliche Oppositionelle und töteten Gefangene. Auch griffen sie wahllos die Zivilbevölkerung an, indem sie Wohngebiete mit Mörsern, Panzern und Artillerie unter Beschuss nahmen, was nach dem Völkerrecht als Kriegsverbrechen gilt. Die Amnesty-Ermittler fanden aber auch – in geringerem Ausmaß – Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, die von den Rebellen begangen wurden. Der Bericht dokumentiert mehrere Fälle, in denen Angehörige der Gaddafi-Truppen nach ihrer Gefangennahme von den Aufständischen gefoltert und – an Händen und Beinen gefesselt – erschossen wurden. Während der Kämpfe verbreitete sich das Gerücht, dass Gaddafi vor allem Schwarze aus der Subsahara als Söldner angeworben habe. In einigen Städten kam es deshalb zu einer regelrechten Jagd auf Schwarze und

dunkelhäutige Libyer. Die Amnesty-Ermittler fanden bei ihrer Recherche im Osten des Landes jedoch keine Belege für die Gerüchte über afrikanische Söldner. In Gesprächen mit inhaftierten Afrikanern gewannen die Ermittler hingegen den Eindruck, dass es sich um Arbeitsmigranten oder Flüchtlinge handelt. Amnesty hat den Nationalen Übergangsrat aufgefordert, weitere Racheakte gegen vermeintliche oder tatsächliche GaddafiAnhänger zu verhindern. Zeitgleich mit dem Bericht veröffentlichte Amnesty Empfehlungen an den Nationalen Übergangsrat zur Neugestaltung Libyens. Die Organisation fordert, den Schutz der Menschenrechte ins Zentrum zu rücken. Oberste Priorität hat der Aufbau einer unabhängigen Justiz, die in der Lage ist, die Verantwortlichen für die Verbrechen der Vergangenheit zur Rechenschaft zu ziehen. Damit die Libyer wieder Vertrauen in ihren Staat fassen – und damit Mo’ayed Boujlawi und alle anderen nicht umsonst gestorben sind. Text: Daniel Kreuz Den vollständigen Bericht finden Sie auf www.amnesty.de

amnesty journal | 10-11/2011


Pavel Sapelka wurde 1971 in Vitebsk, Belarus geboren. Nach seinem Jurastudium begann er eine Laufbahn als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Straf- und Zivilrecht. Sapelka setzt sich für die Abschaffung der Todesstrafe in Belarus ein und erhielt mehrmals die Auszeichnung »Anwalt des Jahres«. Im März 2011 wurde ihm die Anwaltslizenz entzogen.

interview

pavel sapelka

Pavel Sapelka zählt zu den bekanntesten Juristen von Belarus. Zuletzt verteidigte er Oppositionelle und politische Gefangene vor Gericht, die nach den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 verhaftet wurden, darunter den Präsidentschaftskandidaten Andrei Sannikov. Seit März 2011 darf Sapelka nicht mehr als Rechtsanwalt arbeiten: Die Minsker Anwaltskammer hat ihm die Lizenz entzogen. Warum hat die Anwaltskammer Sie ausgeschlossen? Von offizieller Seite hieß es: »Es wurde festgestellt, dass Sapelka sich einige Verstöße gegen die Anforderungen der Strafprozessordnung, die Regeln der anwaltlichen Berufsethik sowie die Beschlüsse der anwaltlichen Selbstverwaltung erlaubt hat. (…) Die Verstöße äußerten sich durch Nichterscheinen trotz Vorladung im Hinblick auf die Ermittlungen im Strafverfahren und somit durch die nicht sichergestellte Verteidigung der Angeklagten.« Tatsächlich ging es um ein Verhör, zu dem ich plötzlich durch die Staatssicherheit einbestellt wurde. Ich konnte jedoch nicht erscheinen, da ich mich auf einer Geschäftsreise außerhalb von Belarus befand. Die Anschuldigungen waren erfunden, und es hat niemanden überrascht, dass die Staatssicherheit ein großes Interesse an meinem Ausschluss aus der Anwaltskammer hatte. Die Leitung der Minsker Anwaltskammer hat sich zu diesem Zeitpunkt dem Druck gebeugt. Haben Sie Rechtsmittel eingelegt? Nein, ich habe erklärt, dass ich nicht beabsichtige, in eine solche Kammer zurückzukehren. Ich wollte auch nicht meine ehemaligen Kollegen verklagen. Seit wann verteidigen Sie Oppositionelle? Ende der neunziger Jahre wurde ich gebeten, Oppositionelle in kleineren Verfahren zu vertreten, im Wesentlichen handelte es sich um Teilnehmer von Massenveranstaltungen. Ihr Verhalten

nachrichten

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interview

Foto: privat

»die staatssicherheit hatte interesse an meinem ausschluss« als Bürger und ihre Weltanschauung entsprachen meiner persönlichen Einstellung, daher kam ich nicht auf den Gedanken, dies abzulehnen. In den Jahren danach verteidigte ich Angeklagte, denen Beleidigung der Ehre und Würde sowie Verleumdung von Präsident Alexander Lukaschenko vorgeworfen wurde. Im Jahr 2003 vertrat ich in Prozessen zivilgesellschaftliche Vereinigungen, die von der Schließung bedroht waren, einschließlich der belarussischen NGO »Ratuscha«. Im Anschluss wurden es immer mehr Verfahren dieser Art. Wurde Ihre Arbeit von staatlicher Seite behindert? Bis zum Jahr 2010 gab es seitens der Behörden höchstens Anspielungen und versteckte Drohungen. Erst danach begannen gezielte Aktivitäten der Sonderdienste, um mich von politisch motivierten Fällen abzuhalten: Meinen Mandanten wurde vorgeschlagen, den Anwalt zu wechseln, mein Telefon wurde abgehört, irgendwelche Menschen versuchten, mich zu einem Gesetzesverstoß zu provozieren. Vertreter des Justizministeriums untersuchten Gerichtsverfahren, an denen ich beteiligt war, sowie meine Finanzberichterstattung. Aber ihre Bemühungen blieben erfolglos. Was machen Sie jetzt nach dem Ausschluss? Durch den Ausschluss aus der Kammer kann ich nicht mehr selbstständig juristisch tätig werden. Ich kann mich bis zu einem Regimewechsel lediglich als angestellter Jurist verdingen. Da ich mich den Fragen der Bürger- und Menschenrechte nicht mehr auf professioneller Ebene widmen kann, werde ich mich damit im zivilgesellschaftlichen Bereich beschäftigen. Dazu motiviert mich allein schon die aktuelle Situation in Belarus, aber auch die Menschen, die mich unterstützt haben. Fragen und Übersetzung: Amnesty-Gruppe Belarus 2349 Ausführliches Interview auf www.amnesty-2349.de

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muammar al-gaddafi

Illustration: André Gottschalk

Geboren: Juni 1942 Funktion: ehemaliges Staatsoberhaupt Libyens Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter vorsätzliche Tötung und Verfolgung der libyschen Zivilbevölkerung während des Libyen-Kriegs 2011 Status: Muammar al-Gaddafi wird derzeit vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) per Haftbefehl gesucht.

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Thema: Straflosigkeit

Menschenrechtsverletzer und Kriegsverbrecher sind gewarnt: Nie zuvor konnte die internationale Strafjustiz mehr Erfolge verzeichnen als in diesem Jahr. Auch in Deutschland findet erstmalig ein Prozess nach dem VĂślkerstrafgesetzbuch statt. Doch der Kampf gegen die Straflosigkeit verlangt einen langen Atem. Weltweit steht die juristische Aufarbeitung von BĂźrgerkriegen und Diktaturen erst am Anfang.

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omar al-bashir

Illustration: André Gottschalk

Geboren: 1. Januar 1944 Funktion: Amtierender Präsident der Republik Sudan Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord im Darfur-Konflikt seit 2003 Status: Omar al-Bashir wird derzeit vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) per Haftbefehl gesucht.

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Kein Frieden ohne Gerechtigkeit Am 26. Februar 2011 beauftragte der UNO-Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof damit, den Fall Libyen zu untersuchen. Es lagen Berichte vor, dass Staatschef Gaddafi mit Scharfschützen auf demonstrierende Zivilisten schießen ließ. Der Sicherheitsrat machte mit seiner Entscheidung deutlich, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen den Weltfrieden gefährden. Die Überweisung des Falls an den Gerichtshof in Den Haag war ein starkes Signal gegen die Straflosigkeit für Menschenrechtsverbrechen. Menschenrechtsorganisationen begrüßten diesen Schritt. Doch als der Widerstand Gaddafis und seiner Anhänger anhielt, wurden die Stimmen derjenigen lauter, die ihm Straffreiheit und den Gang ins Exil anbieten wollten, um die Kämpfe zu beenden. Es sei ein probates Mittel zur Friedenssicherung, einem scheidenden Machthaber den Abgang zu erleichtern, wurde argumentiert. Eine drohende Inhaftierung und Anklage sei kein Anreiz, sich an Verhandlungen zu beteiligen. Über ein Jahrzehnt nach der Verabschiedung des Statuts von Rom sehen noch immer viele – auch ranghohe Diplomaten – das Prinzip der Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen als hinderlich für den Frieden an. Inzwischen ist Gaddafi militärisch besiegt. Doch was wäre gewesen, wenn es weiterhin ein Patt gegeben und der Konflikt angedauert hätte? Hätte man dennoch dafür eintreten sollen, dass Gaddafi und andere Mitglieder des Regimes sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen? Ja, sagt Amnesty International. Nachdem die Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats den Fall an den Gerichtshof überwiesen haben, müssen sie nun unnachgiebig und geschlossen dafür eintreten, dass die Menschenrechtsverletzungen nicht straflos bleiben – Amnestien für Menschenrechtsverbrechen sind völkerrechtswidrig. Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung menschenrechtlicher Prinzipien an sich. Eines der wichtigsten Ziele des Völkerstrafrechts ist es, Frieden zu schaffen. Damit ist zum einen Rechtsfrieden gemeint, also Wahrheitsfindung und Genugtuung für die Opfer. Andererseits ist damit tatsächlicher Frieden

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gemeint, der über die Stigmatisierung der Täter und ihren damit verbundenen politischen und militärischen Machtverlust den Weg für einen Neuanfang ohne Gewalt ebnen kann. Ein nachhaltiger Frieden ist in den allermeisten Fällen undenkbar, ohne dass Täter, Militärführer, Politiker oder Rebellengruppen vor ein Gericht – sei dieses national oder international – gestellt werden, das in einem rechtsstaatlichen Verfahren ihre Schuld klärt. Amnestien – ob de facto oder de jure – senden dagegen ein falsches Signal: Sie zeigen Despoten und ihren Handlangern, dass die massenhafte Tötung von Zivilisten und andere Verbrechen folgenlos bleiben. Eine Amnestie gegenüber Gaddafi wäre zudem keine Garantie dafür, dass sich der scheidende Despot auch tatsächlich aus dem politischen Leben zurückzieht. Er würde ein Machtfaktor bleiben und mit einer starken Anhängerschaft sowie ausreichenden finanziellen Mitteln weiter destabilisierend wirken. Amnestien für die Hauptverantwortlichen erschweren zudem eine strafrechtliche Verfolgung der mittleren Führungsebene. Dies führt letztlich zu einer allgemeinen Straflosigkeit und fördert den Erhalt des alten Systems. Ein mit Straflosigkeit erkaufter Frieden ist nicht von Dauer, wenn er mit Despoten wie Slobodan Milošević, Charles Taylor, Omar al-Bashir oder Muammar Gaddafi geschlossen wird. Amnesty setzt sich daher dafür ein, dass Gaddafi im Falle seiner Verhaftung an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt wird, wo ihn ein faires und unabhängiges Strafverfahren erwartet. Das legitime Bedürfnis der libyschen Bevölkerung, auch Menschenrechtsverletzungen des Gaddafi-Regimes aufzuklären und zu ahnden, die nicht in die Zuständigkeit des Gerichts in Den Haag fallen, wird dadurch nicht übergangen. Um nachhaltigen Frieden in Libyen zu schaffen, sollte die internationale Gemeinschaft unnachgiebig und kompromisslos die Ahndung der begangenen Menschenrechtsverletzungen fordern und die Justizsysteme bei dieser Aufgabe unterstützen. Dr. Leonie v. Braun, Staatsanwältin und Sprecherin der Themengruppe gegen Straflosigkeit der deutschen Sektion von Amnesty International.

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Liste des Grauens. Soldaten der FDLR in einem Camp in Kivu, Ostkongo.

Vita heißt Krieg Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wird derzeit über Menschenrechtsverletzungen verhandelt, die in der Demokratischen Republik Kongo begangen wurden. Es ist der erste Prozess in Deutschland, der nach dem Völkerstrafgesetzbuch geführt wird. Die Justiz stellt er vor unerwartete Probleme. Von Denise Bentele

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Foto: Andrew McConnell / Agentur Focus

Wie weist man Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach, die Tausende Kilometer entfernt begangen wurden?

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ie weist man Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach, die Tausende Kilometer entfernt im Osten der Demokratischen Republik Kongo begangen wurden? Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, zwei ruandische Staatsbürger, sind angeklagt, im Rahmen der sogenannten Vorgesetztenverantwortlichkeit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich zu sein – begangen 2008 und 2009 im kriegsgeschüttelten Osten des Kongo, geplant und organisiert mitten in Deutschland. Darüber hinaus wird ihnen die Mitgliedschaft bzw. Rädelsführerschaft in einer ausländischen

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terroristischen Vereinigung, der FDLR, vorgeworfen. Bei den »Forces Démocratiques de Libération du Rwanda« handelt es sich um eine bewaffnete ruandische Rebellengruppe, die im Osten der Demokratischen Republik Kongo operiert und deren Präsident bzw. Vizepräsident die Angeklagten zu dieser Zeit waren. Die vorgelegten Beweise zu beurteilen, ist die Aufgabe des 5. Strafsenats am Oberlandesgericht Stuttgart. So groß die Aufgabe, so kleinteilig die Beweisführung: Jedes einzelne abgehörte Telefonat wurde vorab im Bundeskriminalamt übersetzt, der Mitschnitt wird vor Gericht angehört und nochmals live übersetzt und bewertet. Jede einzelne E-Mail wird analysiert. Das bedeutet auch, dass über einzelne Sätze, einzelne Wörter diskutiert wird. Ist »vita« ein Wort aus dem in der Grenzregion gebräuchlichen Kiswahili und mit »Krieg« zu übersetzen? Oder könnte der Absender nicht doch das lateinische »vita«, also »Leben«, gemeint haben, wie es die Verteidigung dem Gericht nahezulegen versucht? Die Anklageschrift ist eine Liste des Grauens: Folterungen, Geiselnahmen, Plünderungen, Einsatz von Kindersoldaten, Vergewaltigungen, Tötungen und Versklavungen. Für die Angeklagten geht es um alles. Sollten sich die Anklagepunkte erhärten, droht ihnen lebenslange Haft. Das erklärt die immer neuen Befangenheitsanträge, mit denen die Verteidigung das Gericht konfrontiert. Die Richter seien befangen und der Dolmetscher, ebenso die Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft, die für die Ermittlung schwerster Menschenrechtsverbrechen zuständig ist. Beim Oberlandesgericht Stuttgart gibt es keine Sonderzuständigkeit für Völkerstraftaten und keine Richter, die in der Vergangenheit schon einmal mit ähnlichen Fällen zu tun hatten. Es handelt sich um ein ganz gewöhnliches Instanzgericht. Dieser 5. Strafsenat verhandelt nun also den ersten deutschen Völkerstrafrechtsprozess auf der Grundlage des 2002 in Deutschland eingeführten Völkerstrafgesetzbuches. Danach kann ein deutsches Gericht Völkermord, Kriegsverbrechen und

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Fotos: Bernd Weißbrod / dpa, Michael Probst / AP

ignace murwanashyaka

straton musoni

onesphore rwabukombe

Geboren: 14. Mai 1963, Ruanda Funktion: Präsident der Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) Vorwurf: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Rädelsführer- und Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung FDLR Status: Derzeit wird ihm vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gemacht.

Geboren: 4. Juni 1961, Ruanda Funktion: Vizepräsident der Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) Vorwurf: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung FDLR Status: Derzeit wird ihm vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gemacht.

Geboren: 1. Januar 1957, Ruanda Funktion: Ehemaliger Bürgermeister der nordruandischen Gemeinde Muvumba, Vorwurf: Völkermord und Anstiftung zum Mord, maßgebliche Beteiligung an der Tötung von über 3.730 Tutsi im Jahr 1994 Status: Derzeit wird ihm vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt/Main der Prozess gemacht.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit aburteilen, auch wenn weder der Täter noch das Opfer Deutsche sind. Die Tat braucht nicht einmal in Deutschland begangen worden zu sein. Dieses sogenannte »Weltrechtsprinzip« macht die Spielräume für die Täter schwerster Menschenrechtsverbrechen kleiner: Sie müssen nicht nur den Zugriff durch internationale Gerichte wie den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fürchten, sondern auch die Strafverfolgung durch nationale Gerichte. Deshalb ist das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, obwohl nur ganze 14 Paragrafen dünn, so bedeutsam. Der Prozess gegen Murwanashyaka und Musoni bedeutet für Amnesty International einen Durchbruch im Kampf gegen die Straflosigkeit: Ein Gesetz, das bislang nur auf dem Papier stand, wird nach fast einem Jahrzehnt endlich mit Leben gefüllt. Wie mühsam und schwierig dies ist, zeigt sich in diesem im Mai begonnenen Prozess an jedem einzelnen Verhandlungstag. Und dabei ist bislang noch gar keine Zeugin, kein Zeuge aus dem Kongo oder aus Ruanda vernommen worden, dies wird erst im späteren Verlauf der Fall sein. Wie schwierig die Prozessführung in einem internationalen Prozess mit ganz anderem kulturellen Hintergrund ist, zeigt auch ein anderes Strafverfahren, das gegenwärtig in Frankfurt am Main stattfindet. Dort sieht sich Onesphore Rwabukombe, ebenfalls ein Ruander, mit Völkermordvorwürfen konfrontiert: Mindestens 3.730 Menschen wurden bei drei Massakern getötet, die er befehligt und koordiniert haben soll. Da diese Massaker 1994 und damit vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches stattfanden, basiert der Frankfurter Prozess auf einer anderen Rechtsgrundlage. Die mit einem solchen Verfahren verbundenen Schwierigkeiten sind aber durchaus vergleichbar: angefangen von technischen Problemen bei der Übertragung von Zeugenaussagen per Video, über kulturelle Unterschiede bei der Beschreibung von Zeiträumen oder Größenordnungen (»man lief etwa eine Stunde«) bis zu Fragen des Zeugenschutzes. So zeigt ein Augenzeuge vor seiner Aussage große Angst, er will seine Personalien nicht nennen. Später berichtet er, dass sein Bruder im vergangenen Jahr ebenfalls als Zeuge ausgesagt habe – vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha, Tansania. Trotz der dort herrschenden Sicherheitsvorkehrungen und Anonymisierung der Namen sei er bei seiner Rückkehr nach Ruanda angegriffen worden und an den Folgen im April gestorben.

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Zuschauer, Prozessbeobachter und Journalisten wurden in beiden Prozessen ermahnt, Klarnamen nicht zu veröffentlichen, ebenso wenig die im Prozess verlesenen E-Mail-Adressen der Angeklagten. Bislang haben sie sich daran gehalten. Diese Sensibilität ist begrüßenswert, aber kann der Schutz von Zeugen, Tätern und Opfern wirklich vom guten Willen eines Zuschauers oder Journalisten abhängig gemacht werden? Nach der deutschen Strafprozessordnung können einem Zeugen persönliche Angaben erspart werden, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass durch die Offenlegung der Identität des Zeugen dessen Gesundheit oder Leben gefährdet sein könnte. Solchen Schutzregelungen kommt gerade in Prozessen, in denen schwerste Menschenrechtsverletzungen verhandelt werden, eine besondere Bedeutung zu, sie sollten daher umfassend genutzt werden. Ob deutsches Prozessrecht, welches lange vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches konzipiert wurde, insgesamt ausreicht, die schutzwürdigen Belange aller am Prozess Mitwirkenden zu wahren, ist eine weitere Frage, die im Verlauf der Prozesse beantwortet werden muss. Die Autorin ist Rechtsanwältin und Referentin im Bundestag. Sie koordiniert für Amnesty International die Prozessbeobachtung im Verfahren gegen Murwanashyaka und Musoni.

fdlr Die FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda, deutsch: Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) ist mit rund 6.000 Kämpfern die stärkste bewaffnete Gruppierung im Ost-Kongo. 2003 wurde sie aus HutuKämpfern der im Völkermord aktiven ruandischen Regierungsarmee FAR und Interahamwe-Milizen gebildet, die nach dem ruandischen Genozid 1994 in den Ostkongo geflohen waren. Die FDLR vertritt eine ethnisch-extremistische Ideologie zur Vernichtung der Tutsi, zur Einflussnahme auf Ruanda und für eine politische Beteiligung der Hutu in Ruanda. Ihre illegale Kontrolle über ressourcenreiche Regionen im Osten des Kongo sichert sie durch extreme Gewaltakte gegen die lokale Bevölkerung, die mit schwersten Kriegsverbrechen einhergehen.

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Tödliche Geschäfte Im Ostkongo leidet die Zivilbevölkerung weiterhin unter den Angriffen bewaffneter Gruppen. Grund für die fortwährende Gewalt ist der Kampf um die wertvollen Rohstoffe in der Region und die fehlende Strafverfolgung der Täter. Von Andrea Riethmüller

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esitzen Sie ein Mobiltelefon oder eine Digitalkamera? Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Rohstoffe für die Produktion Ihres Gerätes aus der Demokratischen Republik Kongo stammen. In den Konfliktprovinzen im Osten des Landes befinden sich einige der weltweit größten Vorkommen an Coltan, Kassiterit, Gold, Kobalt und Uran. Bodenschätze, die sowohl in Waffensystemen als auch in zivilen Anwendungen wie Handys oder Laptops Verwendung finden. In vielen der ertragreichsten Minen werden diese Rohstoffe illegal und unter militärischer Kontrolle bewaffneter Gruppen abgebaut. Dahinter stehen grenzübergreifende illegale Netzwerke: Bewaffnete Milizen kooperieren mit zum Teil hochrangigen Angehörigen der kongolesischen Regierungsarmee (FARDC) sowie mit Ministerialbehörden in Ruanda und Burundi. Im vergangenen Jahr dokumentierte der UNO-Bericht einer Expertengruppe zur Demokratischen Republik Kongo erneut den Zusammenhang zwischen illegalem Ressourcenabbau, Schmuggel in die östlichen Anrainerstaaten des Kongo und illegalem Handel von Kleinwaffen in die ostkongolesischen Konfliktprovinzen – trotz eines bestehenden UNO-Waffenembargos. Ein verbrecherischer Wirtschaftskreislauf nährt somit den gewalttätigen Konflikt in der Region. In einem fortdauernden Machtpoker um die militärische und wirtschaftliche Kontrolle liefern sich bewaffnete Gruppen heftige Kämpfe mit der kongolesischen Regierungsarmee FARDC – allen voran die Hutu-Gruppierung FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda) sowie ihr bedeutendster Gegenspieler, die kongolesische Tutsi-Gruppierung CNDP (Congrès National pour la Défense du Peuple). So dauert nach dem offiziellen Ende des »Zweiten KongoKrieges« im Frühjahr 2003 der bewaffnete Konflikt bis heute an. Amnesty International dokumentierte seit 2003 eine Vielzahl schwerer Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Ost-Kongo. Die gewaltsamen Angriffe und Vergeltungsschläge durch die kongolesische Regierungsarmee und eine Vielzahl rivalisierender bewaffneter Gruppen richten sich gezielt gegen die Zivilbevölkerung. Plünderungen von Dörfern gehen einher mit Massenvergewaltigungen und -erschießungen sowie der gezielten Rekrutierung

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und dem Einsatz von Kindersoldaten. Seit Mitte 2008 hat der Konflikt mehr als sechs Millionen Todesopfer gefordert, durch direkte Gewalteinwirkung und durch die humanitäre Krise infolge der Auseinandersetzungen. Pro Tag verlieren schätzungsweise 1.500 Menschen ihr Leben. Eine der größten Herausforderungen für Frieden im Ostkongo ist die nachhaltige Entwaffnung und Befriedung aktiver bewaffneter Gruppen. Die Zerschlagung der FDLR und die Wiedereingliederung ihrer Kämpfer blieb trotz mehrerer Versuche der kongolesischen sowie der ruandischen Regierung und trotz der Unterstützung durch die UNO-Mission MONUC erfolglos. Die Kommandostruktur wie auch die Kampfstärke der FDLR sind bis zum heutigen Tag ungebrochen. In den ressourcenreichsten Regionen Nord-Kivus sind zahlreiche Gebiete weiterhin unter der Kontrolle der FDLR. Im August 2010 erschütterte das von der FDLR planvoll durchgeführte Massaker in Walikale die Weltöffentlichkeit. Mehrere Tage lang wurden 300 Frauen, Mädchen, Männer und Jungen jeden Alters systematisch vergewaltigt. Ähnliche Vergeltungsaktionen der FDLR, als Reaktion auf die militärischen Entwaffnungsoperationen, häufen sich derzeit wieder. Experten der UNO befürchten, dass die Gruppierung im Vorfeld der kongolesischen Präsidentschaftswahlen im November 2011 einen bewaffneten Aufstand vorbereiten könnte. Im Mai 2011 wurde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen die in Deutschland aktive Führungsspitze der FDLR, Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, der Prozess wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung ‚FDLR’« eröffnet. In der Demokratischen Republik Kongo wurden Täter bisher nur vereinzelt strafrechtlich verfolgt. Das Land steht vor der Herausforderung einer umfassenden Reform des Justizsystems. Die Unfähigkeit der Regierung, Armeeangehörige und Kämpfer bewaffneter Gruppen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen und zu verurteilen, schafft ein Klima der Straflosigkeit, das einer Einladung zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung gleichkommt. Die Autorin ist Sprecherin der Kongo-Ländergruppe von Amnesty.

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Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt oder man lässt sie »verschwinden«. amnesty international veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle drei Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu beenden. Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie bitte eine Kopie an amnesty international.

amnesty international Postfach, 53108 Bonn Tel.: 0228 - 98 37 30, Fax: 0228 - 63 00 36 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de Spendenkonto Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00 oder Postbank Köln Konto: 22 40 46 - 502, BLZ: 370 100 50

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Foto: privat

briefe gegen das vergessen

aserbaidschan jabbar savalan Der Geschichtsstudent Jabbar Savalan wurde am 4. Mai 2011 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, nachdem er über Facebook zu Protesten gegen die Regierung aufgerufen hatte. Amnesty International betrachtet den Studenten als gewaltlosen politischen Gefangenen. Am Abend des 5. Februar 2011 war der 19-jährige Jabbar Savalan auf dem Heimweg von einem Treffen der Oppositionsbewegung »Popular Front Party« (PFP) in Sumgayit festgenommen worden. Man teilte ihm jedoch weder die Gründe für seine Festnahme mit, noch wurde er über seine Rechte in Kenntnis gesetzt. Die Polizei verhörte ihn zwei Tage lang, ohne dass ein Rechtsbeistand anwesend war. Als Jabbar Savalan schließlich seinen Rechtsbeistand traf, berichtete er ihm, dass er von Polizeiangehörigen geschlagen und eingeschüchtert worden sei, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Die Polizeibeamten gaben an, in Jabbar Savalans äußerer Manteltasche ein Päckchen mit 0,74 Gramm Marihuana gefunden zu haben. Der Student beteuerte, dass er keine Drogen konsumiere und ihm das Marihuana untergeschoben worden sei. Untersuchungen seines Bluts wiesen keine Spuren von Drogen auf. Wegen illegalen Drogenbesitzes für den persönlichen Gebrauch wurde Jabbar Savalan am 4. Mai von einem Gericht schuldig gesprochen und zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Seine Haftzeit endet im August 2013. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Präsidenten von Aserbaidschan und fordern Sie ihn auf, Jabbar Savalan unverzüglich und bedingungslos freizulassen. Geben Sie an, dass Amnesty International den Studenten als gewaltlosen politischen Gefangenen betrachtet, der nur deswegen festgenommen wurde, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung auf friedliche Weise ausgeübt hat. Fordern Sie die sofortige und unabhängige Untersuchung der Vorwürfe, die Polizei habe Jabbar Savalan Drogen untergeschoben. Schreiben Sie in gutem Aserbaidschanisch, Englisch oder auf Deutsch an: Präsident Ilham Aliyev Office of the President of the Azerbaijan Republic 19 Istiqlaliyyat Street Baku AZ1066 ASERBAIDSCHAN (korrekte Anrede: Dear President / Exzellenz) Fax: 00 99 - 412 - 492 35 43 oder 00 99 - 412 - 492 06 25 (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: BOTSCHAFT DER REPUBLIK ASERBAIDSCHAN S.E. Herrn Parviz Shahbazov Hubertusallee 43, 14193 Berlin Fax: 030 - 21 91 61 52 E-Mail: berlin@mission.mfa.gov.az

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Mehr als 200.000 Menschen in über 40 Hafensiedlungen in Port Harcourt sind von Zwangsräumungen bedroht. Amnesty befürchtet, dass die Behörden die geplanten Abrisse der verbliebenen Hafensiedlungen durchführen, ohne dass zuvor angemessene Menschenrechtsschutzbestimmungen umgesetzt werden. Die Bewohner der Hafensiedlungen haben das Recht darauf, informiert zu werden und in die Planung von Bau- und Wohnprojekten miteinbezogen zu werden. Seit 2000 sind mehr als zwei Millionen Menschen in Nigeria Opfer von rechtswidrigen Zwangsräumungen geworden. Hunderttausenden droht weiterhin die Obdachlosigkeit. Viele von ihnen haben bereits jahrelang ohne Zugang zu Trinkwasser, sanitären Anlagen, angemessener medizinischer Versorgung oder Bildung gelebt. In einigen Fällen wandten die Sicherheitskräfte exzessive Gewalt gegen diejenigen an, die gegen die geplanten Zwangsräumungen demonstrierten. Am 12. Oktober 2009, als die Bewohner der Ufersiedlung Bundu in Port Harcourt friedlich gegen eine geplante Zwangsräumung demonstrierten, schossen Polizisten und Soldaten wahllos in die Menge. Mindestens zwölf Menschen wurden lebensgefährlich verletzt, ein Mann starb. Am 28. August 2009 wurde die Hafensiedlung Njemanze abgerissen und Tausende von Männern, Frauen und Kindern in Port Harcourt wurden obdachlos. Die Bewohner erhielten weder Informationen noch Entschädigungen oder alternativen Unterkünfte. Es wurden auch keine angemessenen Rechtsmittel zur Verfügung gestellt, obwohl dies in den internationalen Menschenrechtsabkommen gefordert wird. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Präsidenten von Nigeria und drücken Sie Ihre Sorge darüber aus, dass mehr als 200.000 Bewohner der Hafensiedlung in Port Harcourt vor einer rechtswidrigen Zwangsräumung stehen. Fordern Sie den Präsidenten auf, eine nationale Wohnungspolitik einzuführen, die sicherstellt, dass die Bewohner eine angemessene Ersatzunterkunft erhalten, und bis dahin ein Moratorium für Zwangsräumungen in Nigeria zu verhängen. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch an: His Excellency Goodluck Jonathan President of the Republic of Nigeria Office of the President Nigerian Presidential Complex Aso Rock Presidential Villa Abuja Federal Capital Territory NIGERIA (korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75)

Foto: SKPHP

Foto: George Osodi / Amnesty

nigeria bewohner von port harcourt

indonesien filep karma Filep Karma gehörte zu den 200 Personen, die am 1. Dezember 2004 an einer friedlichen Zeremonie in Abepura in der indonesischen Provinz Papua teilnahmen. Die Polizei löste die Versammlung auf und ging mit Schlagstöcken auf die Demonstrierenden los. Filep Karma wurde festgenommen. Er hatte während der Parade die verbotene Morgenstern-Flagge gehisst, welche die Unabhängigkeit Papuas symbolisiert. Im Mai 2005 wurde er wegen »Rebellion« schuldig gesprochen und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Oberste Gerichtshof bestätigte diese Strafe. Berichten zufolge wurde er auf dem Weg zur Polizeistation misshandelt. Amnesty International betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen. Im Juli 2010 wurde Filep Karma eine Strafminderung angeboten. Er lehnte dies jedoch ab und gab an, dass er niemals hätte festgenommen werden dürfen, nur weil er auf friedliche Weise sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt habe. Mit der Annahme der Strafminderung würde er seine »Schuld« anerkennen. Während seines Gefängnisaufenthaltes prangerte Filep Karma mehrmals die Misshandlungen an, die er und andere Gefangene erleiden mussten und bezweifelte die Rechtmäßigkeit der Anklagepunkte, die gegen ihn erhoben wurden. Mindestens 70 Personen befinden sich derzeit in Indonesien wegen friedlicher politischer Aktivitäten in Haft. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Minister für Justiz und Menschenrechte und fordern Sie die bedingungslose Freilassung von Filep Karma und allen weiteren gewaltlosen politischen Gefangenen in Indonesien. Bitten Sie darum, dass Filep Karma während seiner Haft die nötige medizinische Versorgung gewährt wird und er Zugang zu Rechtsbeiständen seiner Wahl und zu Familienmitgliedern erhält. Schreiben Sie in gutem Indonesisch, Englisch oder auf Deutsch an: Mr. Patrialis Akbar Minister of Justice and Human Rights Jl. H.R. Rasuna Said Kav No. 4–5 Kuningan, Jakarta Selatan 12950 INDONESIEN (korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister) Fax: 00 62 - 21 - 525 30 95 (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: BOTSCHAFT DER REPUBLIK INDONESIEN S.E. Herrn Eddy Pratomo Lehrter Straße 16–17, 10557 Berlin Fax: 030 - 44 73 71 42

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: BOTSCHAFT DER REPUBLIK NIGERIA Neue Jakobstraße 4, 10179 Berlin Fax: 030 - 21 23 02 12 E-Mail: info@nigeriaembassygermany.org

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one amnesty

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Prost, Cheers, Salud! Am 28. Mai 2011 wurde Amnesty International 50 Jahre alt. Von Nepal über Belgien bis nach Peru feierten Menschen weltweit den Geburtstag einer großen Idee und machten deutlich: Jeder Einzelne kann sich mit seinen Mitteln für die Menschenrechte stark machen und einen Beitrag dafür leisten.

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Fotos: Amnesty

1 Finnland: Luftballonaktion in Helsinki. 2 Nepal: Geburtstagskerzen, Dharan. 3 Uruguay: Amnesty-Stand in Villa Biarritz. 4 Irland: Rockkonzert, Slane Castle. 5 Großbritannien: Kirche St. Martin-in-the-Fields in London, Gründungsort von Amnesty International. 6 Schweiz: »Toast to freedom«, Bern. 7 Kanada: Teilnehmer des »Human Rights College«, Montreal. 8 Thailand: Einsatz für die Meinungsfreiheit. 9 Portugal: Anstoßen auf die Menschenrechte, Viseu. 10 Togo: »Toast to freedom« in Lomé. 11 Peru: Geburtstagsveranstaltung in Orrantia del Mar, Lima. 12 Belgien: Festakt in Brüssel. 13 Italien: Torta di Amnesty.


AKTIV FÜR AMNESTY

»Keine Gewalt«. Flashmob der Berliner Syrien-Kogruppe und der deutschen Amnesty-Sektion, 6. August 2011.

aktionen gegen das blutvergiessen

Fotos: Amnesty

Ein kurzer, scheinbar spontaner Menschenauflauf – so lässt sich die Idee eines »Flashmobs« definieren. Die Berliner Syrien-Kogruppe und die deutsche Amnesty-Sektion veranstalteten am 6. August einen solchen Flashmob, um auf die anhaltende Gewalt in Syrien aufmerksam zu machen und den Druck auf die internationale Gemeinschaft und Syrien zu erhöhen. Um »Fünf vor Zwölf« versammelten sich rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Wilmersdorfer Straße im Berliner Bezirk Charlottenburg. Um die Symbole der Protestbewegung in Syrien aufzugreifen, waren alle aufgerufen, eine Blume mitzubringen und ein weißes T-Shirt mit aufgemaltem Blutfleck zu tragen. Damit sollte die blutige Niederschlagung der Proteste durch die syrische Regierung symbolisiert werden. Eine Minute lang skandierten wir den Slogan »Keine Ge-

walt« und legten uns nach mehreren »Schüssen« auf den Boden. Nach einer weiteren Minute standen wir wieder auf und riefen erneut »Keine Gewalt«. Zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus verschiedenen Berliner Amnesty-Gruppen sammelten währenddessen Unterschriften für die Petition »Syrien: Blutvergießen stoppen!«. Passanten reagierten mit großem Interesse und unterschrieben die Petition. Zahlreiche Medienvertreter waren vor Ort, filmten die Aktion, führten Interviews und berichteten darüber – sogar in der »Tagesschau« fand die Aktion Erwähnung. Nicht zuletzt bot der Flashmob eine gute Möglichkeit, sich mit syrischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen. Ein Video der Aktion mit arabischen Untertiteln steht mittlerweile auf dem YouTube-Kanal von Amnesty Deutschland zur Verfügung. Doch nicht nur in Deutschland gab es Solidaritäts-Bekundungen: Auch in der Schweiz, in Italien und Australien fanden Aktionen für Syrien statt. Einen Überblick bietet die interaktive Website der US-Sektion von Amnesty: http://eyesonsyria.org/

Solidarität mit der syrischen Bevölkerung. Aktionen in Zagreb (links) und Bern.

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Text: Kristina Schmidt

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radeln für den guten Zweck

wolfgang grenZ

aktiv für amnesty

Durch ganz unterschiedliche Veranstaltungen geben Amnesty-Mitglieder den Opfern von Menschenrechtsverletzungen eine Stimme. Diese Aktionen vor Ort sind ein unentbehrlicher Teil der Arbeit von Amnesty International. Mehr Informationen darüber finden Sie auf www.amnesty.de/aktiv-vor-ort und www.amnesty.de/kalender

Zeichnung: Oliver Grajewski

wo unsere stärke liegt

Foto: Christian Ditsch / Amnesty

20 Teilnehmer zählte die traditionelle »Radtour für die Menschenrechte«, die in diesem Jahr vom 30. Juli bis zum 7. August stattfand. Die Tour führte die Radler von Hamburg durch die Lüneburger Heide und entlang der Aller bis nach Magdeburg. Die Fahrrad-Aktivisten legten rund 50 Kilometer pro Tag zurück und konnten zusätzlich noch einige Hundert Unterschriften zu Amnesty-Fällen in Syrien, Libyen und den USA sammeln. Von Etappe zu Etappe wurde die Gruppe auch immer wieder von regional ansässigen Radlern unterstützt. In Magdeburg traf die Fahrrad-Gruppe auf das Amnesty-Mobil aus Berlin. Dort fand die Tour mit weiteren AmnestyAktivisten und einer Ansprache des stellvertretenden Bürgermeisters Dr. Rüdiger Koch ein würdiges Ende. Ein Konzert rundete die Veranstaltung ab. Die »Radtour für die Menschenrechte« wird jährlich vom Amnesty-Bezirk Sachsen-Anhalt organisiert – dieses Jahr zum 15. Mal. 2012 soll sie von Mit Muskelkraft für Menschenrechte: Magdeburg nach Fahrraddemonstration in Magdeburg. Sachsen führen.

Erst war es fast ein geheimes Treffen, jetzt ist es fester Bestandteil der internationalen Arbeit und Vernetzung von Amnesty: das Meeting aller Direktoren und Leiter der Sekretariate weltweit. Die erste Zusammenkunft fand 1993 in Wien statt – unter fast klandestinen Bedingungen. Denn die ehrenamtlichen Vorstände und auch viele Mitglieder der Sektionen waren misstrauisch, was die Hauptamtlichen denn so zu besprechen hatten. Das ist fast 20 Jahre später ganz anders: Diesmal fand das Treffen im August im Anschluss an die alle zwei Jahre stattfindende Internationale Ratstagung im niederländischen Noordwijkerhout statt, an der 500 Delegierte teilnahmen. Beim »directors meeting« waren 60 Direktoren und Leiter aus aller Welt anwesend. Es dient dazu, die Pläne und operativen Geschäfte der nächsten Jahre zu diskutieren. Die unterschiedlichen Größen der Sektionen und Strukturen von Amnesty haben mich besonders beeindruckt. In den USA und Großbritannien gibt es über hundert hauptamtliche Mitarbeiter; in Ghana, dem Partnerschaftsland der deutschen Amnesty-Sektion, immerhin schon sechs. Einige von ihnen kommen im November nach Deutschland, wir haben sie im Mai mit einer Delegation besucht. Ich habe auch Delegierte aus der Mongolei kennengelernt, die anschließend den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag besichtigen wollten. Der Aufenthalt in Noordwijkerhout hat mir deutlich gemacht: Die Aktivisten von Amnesty arbeiten mit sehr unterschiedlichen Bedingungen und Kapazitäten. Dass wir aber auf der ganzen Welt vertreten sind, das ist unsere Stärke! Wolfgang Grenz ist amtierender Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

impressum Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn, Tel.: 0228 - 98 37 30, E-Mail: Info@amnesty.de, Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion Amnesty Journal, Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: journal@amnesty.de (für Nachrichten an die Redaktion) Redaktion: Bernd Ackehurst, Markus N. Beeko, Anton Landgraf (V.i.S.d.P.), Larissa Probst, Ralf Rebmann Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Daniel Bax, Larissa Bender, Denise Bentele, Andrea Böhm, Leonie von Braun, Gerhard Dilger, Jürgen Gottschlich, Wolfgang Grenz, Knut Henkel, Barbara Kerneck, Jürgen Kiontke, Paul Knecht, Daniel Kreuz, Thomas Lindemann, Wera Reusch, Andrea Riethmüller, Kristina Schmidt, Uta von Schrenk, Oliver Seidl, Maik Söhler, Carsten Stormer, Claus Walischewski, Sarah Wildeisen Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk / schrenkwerk.de Druck: Hofmann Druck, Nürnberg

aktiv für amnesty

Vertrieb: Carnivora Verlagsservice, Berlin Bankverbindung: Amnesty International, Kontonr. 80 90 100, Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln, BLZ 370 205 00 Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Nichtmitglieder können das Amnesty Journal für 30 Euro pro Jahr abonnieren. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.

ISSN: 1433-4356

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BELARUS: TODESSTRAFE ABSCHAFFEN!


Im Justizsystem kommt es immer wieder zu Fehlern, internationale Standards für faire Gerichtsverfahren werden nicht eingehalten: »Geständnisse« werden zum Teil unter Folter erzwungen, die Gefangenen haben oftmals keinen Zugang zu effektiven Berufungs- und Beschwerdeinstanzen. In der Regel erfahren sie den Hinrichtungstermin erst direkt vor der Vollstreckung. Amnesty International, das nichtstaatliche belarussische Menschenrechtszentrum »Viasna« sowie das belarussische »Helsinki Komitee« lehnen die Todesstrafe ohne Ausnahme ab, denn sie verletzt das Recht auf Leben und ist eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafe.

BIS ZUR VOLLSTÄNDIGEN ABSCHAFFUNG DER TODESSTRAFE IN BELARUS FORDERN WIR EINEN SOFORTIGEN HINRICHTUNGSSTOPP! ALLE ANHÄNGIGEN TODESURTEILE MÜSSEN IN HAFTSTRAFEN UMGEWANDELT WERDEN! 9GTFGP 5KG CMVKX

WWW.AMNESTY.DE/ TAG-GEGEN-DIE-TODESSTRAFE-2011

Todeszelle im Gefängnis in SIZO in Minsk, Belarus © Public Association ‚Legislative Initiative‘

BELARUS IST DAS LETZTE LAND IN EUROPA UND DER EHEMALIGEN SOWJETUNION, DAS DIE TODESSTRAFE NOCH VOLLZIEHT.


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