Amnesty Journal Februar / März 2012

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DAS MAGAZIN FÜR DIE MENSCHENRECHTE

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AMNESTY JOURNAL

02/03

2012 FEBRUAR/ MÄRZ

KLIMA DES HASSES RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG IN OSTEUROPA

MYANMAR Zwischen Zuversicht und Zweifel

PUTINS RUSSLAND Welle der Empörung nach manipulierten Wahlen

»HATE RADIO« Wie die Propagandamaschine in Ruanda funktionierte


Illustration: André Gottschalk

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Anton Landgraf ist Redakteur des Amnesty Journals

Foto: Mark Bollhorst / Amnesty

EDITORIAL

VIELE GLAUBTEN AN EINE BESSERE ZUKUNFT,… …als vor rund zwei Jahrzehnten in Osteuropa die Diktaturen fielen. Nach harten Wirtschaftskrisen ist heute von diesem Optimismus nicht viel geblieben. Stattdessen sucht man nach Schuldigen für die Misere. Roma, Juden und andere Minderheiten dienen als Projektionsfläche für Frust und Ressentiments. Der autoritäre Gestus, mit dem die ungarische Regierung nun ihre Ziele verfolgt, erinnert dabei an längst überwunden geglaubte Zeiten. Das westliche Europa nimmt diese Entwicklung nur am Rande zur Kenntnis. Hier ist man mit den eigenen Problemen beschäftigt und auch die Umbrüche in Nordafrika ziehen – zu Recht – viel Aufmerksamkeit auf sich. Dabei sind Rassismus und Diskriminierung beileibe kein osteuropäisches Problem allein. In fast allen EU-Ländern erzielten in den vergangenen Jahren rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien Wahlerfolge, steigen die Ressentiments gegen Minderheiten und Migranten Umfragen zufolge kontinuierlich. Immer wieder kommt es zu brutalen Attacken, wie im vergangenen Dezember in Florenz, als Rechtsextremisten zwei senegalesische Straßenhändler erschossen. Und in Deutschland konnte eine Neonazi-Gruppe unbehelligt jahrelang Migranten und eine Polizistin ermorden, Banken überfallen und Bombenanschläge verüben. Tatverdächtig erschienen den Ermittlern jedoch lange Zeit nur die Opfer und deren Angehörige. Die Entwicklung in einer anderen Weltregion gibt derzeit hingegen Anlass zu vorsichtiger Hoffnung: Jahrzehntelang herrschte in Myanmar, dem früheren Burma, eine blutige Diktatur. Nun deutet sich langsam ein demokratischer Wandel an. Maßgeblich dazu beigetragen hat die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi (S. 38). Ihr friedlicher, aber hartnäckiger Kampf gegen die Generäle und für die Menschenrechte lieferte die Vorlage für den Film »The Lady«, der demnächst in die Kinos kommt (S. 68). Eine aussichtsreiche Wendung hat auch der friedliche Widerstand einer indigenen Gemeinschaft im indischen Bundesstaat Orissa gegen einen multinationalen Konzern genommen. Amnesty hat sich jahrelang für verfolgte indigene Aktivisten eingesetzt. Jetzt hat ein indisches Gericht deren Klage gegen den geplanten Abbau von Baxit aus ökologischen Gründen untersagt (S. 56). Nicht zuletzt können wir in eigener Sache Erfreuliches berichten. Das Amnesty Journal wurde beim »International Corporate Media Award 2011« mit dem 1. Platz in der Kategorie Kundenzeitschriften ausgezeichnet. An dem Wettbewerb beteiligten sich mehrere hundert Zeitschriften aus ganz Europa. Das Redaktionsteam dankt allen Beteiligten, die diesen Erfolg möglich machten.

EDITORIAL

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INHALT

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Titelbild: Jugendliche Anhänger der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik. Foto: Peter Rigaud / laif

THEMA 21 Schutzlose Minderheiten 22 Übergang ins Nirgendwo Vor dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise eskaliert in Osteuropa die rassistische Gewalt. Der Hass gegen Minderheiten wird von breiten Teilen der Bevölkerung getragen und oftmals, wie in Ungarn, sogar durch Politiker legitimiert. Von Keno Verseck

26 Leben in der Umlaufbahn

RUBRIKEN 06 Reaktionen 07 Erfolge 10 Panorama 12 Nachrichten 13 Porträt: Asmaa Mafhouz 15 Interview: Jesús Emilio Tuberquia und Noelia Tuberquia 17 Kolumne: Larissa Bender 75 Rezensionen: Bücher 76 Rezensionen: Film & Musik 78 Briefe gegen das Vergessen 80 Aktiv für Amnesty 81 Wolfgang Grenz über Kunst und Menschenrechte

Bildung, Arbeit, Wohnen: In der Slowakei führen Roma eine Existenz am Rande der Gesellschaft. In manchen Gegenden ist selbst dies nicht möglich. Von Arne Semsrott

30 Verfolgt und ausgegrenzt Roma, Juden, Homosexuelle und Obdachlose: In vielen südosteuropäischen Staaten werden die Rechte von Minderheiten verletzt.

32 »Wir dürfen nicht schweigen« Die ungarische Regierung von Viktor Orbán diskriminiert Angehörige von Minderheiten und überlässt sie schutzlos rechtsextremistischen Übergriffen. Gleichzeitig wird die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International behindert, die diese Minderheiten schützen wollen. Von Sara Fremberg

34 »Die Auswirkungen sind dramatisch« Ein Gespräch mit der Politologin Britta Schellenberg über Rechtsextremismus in Europa.

Fotos oben: Annette Hauschild / Ostkreuz | Christian Holst | Luigi Baldelli / Parallelozero | Daniel Seiffert

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BERICHTE

KULTUR

38 Zwischen Zuversicht und Zweifel

64 Der Soundtrack des Völkermords

In Myanmar vollzieht sich ein vorsichtiger politischer Wandel. Von Daniel Becker

44 Freie Fahrt für Frauenrechte In Saudi-Arabien wehren sich Frauen gegen Diskriminierung. Von Regina Spöttl

46 »Die Mutter der Revolution« Tawakul Karman wurde als erste arabische Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Von Ralf Rebmann

48 Macht der Militärs Ägypten nach den Parlamentswahlen. Von Henning Franzmeier und Jan Busse

50 »Sie sind der Verräter!« Die Journalistin Samar Yazbek dokumentiert in ihrem Buch Ereignisse der syrischen Protestbewegung.

52 Aufbruch der Empörten In Russland funktioniert Putins Machtapparat nicht mehr so reibungslos wie früher. Von Peter Franck

54 Raus aus dem Koma Ein Porträt des russischen Journalisten Oleg Kaschin. Von Daniel Kreuz

56 Der Kampf um den Berg In Indien kämpft eine indigene Gemeinschaft gegen die Folgen des Bauxit-Abbaus. Von Kathrin Zeiske

60 Eine Frage des Prinzips Der Internationale Gerichtshof in Den Haag muss über Entschädigungszahlungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs entscheiden. Von Frank Selbmann

INHALT

Das Theaterprojekt »Hate Radio« wirft ein Schlaglicht auf die Propagandamaschine des Völkermords in Ruanda. Von Georg Kasch

68 Mehr als ein Film Menschenrechte im Großformat: Meisterregisseur Luc Besson verfilmte mit »The Lady« die Lebensgeschichte von Aung San Suu Kyi. Gespielt wird Myanmars bekannteste Politikerin von Actionstar Michelle Yeoh. Von Jürgen Kiontke

70 Grausamer Konsum Jeanette Erazo Heufelder ist mit ihrem Band »Drogenkorridor Mexiko« ein erhellendes Buch über eine Region gelungen, die sich fest im Griff der Kartelle befindet. Von Wolf-Dieter Vogel

72 »Im Kino findet ein Wunder statt« Der Regisseur Ayat Najafi ist dieses Jahr Mitglied der Jury des Amnesty-International-Filmpreises. Kinofilme hält er für das Medium der Menschenrechte.

74 Sieben Jahrhunderte Verfolgung Klaus-Michael Bogdal hat mit »Europa erfindet die Zigeuner« nicht irgendein Buch zur Diskriminierung der Roma in Europa geschrieben, sondern eines der besten Werke zur Entstehung und Gegenwart von Vorurteilen. Von Maik Söhler

77 Mädchen in Gefahr Die UNO-Polizistin Kathryn Bolkovac enthüllte die Verwicklungen von Kollegen in den Menschenhandel im Kosovo. Der Film »The Whistleblower« setzt ihrem mutigen Engagement ein Denkmal. Von Jürgen Kiontke

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EL SALVADOR

UKRAINE

CHINA

767 Bewohner des salvadorianischen Dorfs El Mozote wurden im Dezember 1981 von Regierungstruppen gefoltert, vergewaltigt und anschließend getötet. Es ist eines der brutalsten Verbrechen des Bürgerkriegs in El Salvador, der von 1980 bis 1992 dauerte und rund 75.000 Menschenleben forderte. 30 Jahre nach dem Massaker von El Mozote sind die Verantwortlichen immer noch nicht zur Verantwortung gezogen worden. Amnesty hat die Behörden aufgefordert, die Verbrechen aufzuarbeiten und die Angehörigen der Opfer angemessen zu entschädigen.

Wegen eines Streits mit einem Sicherheitsmitarbeiter wurde der 19-jährige Ihor Indilo im Mai 2010 auf einer Polizeiwache verhört. Stunden später starb er an einer Schädelfraktur und inneren Blutungen. Obwohl die Beweise nahelegen, dass das Verhalten der Polizisten zum Tod von Ihor Indilo geführt hat, wurde ein Angeklagter lediglich zu einer Bewährungsstrafe von fünf Jahren verurteilt, ein zweiter wurde freigesprochen. Das Urteil zeige eine »schockierende Missachtung des menschlichen Lebens«, sagte John Dalhuisen, stellvertretender Leiter des Europa und Zentralasien-Programms von Amnesty.

Der chinesische Aktivist und Dissident Chen Wei wurde zu neun Jahren Haft verurteilt, weil er angeblich zum »Umsturz der staatlichen Ordnung« aufgerufen hat. Der 42-Jährige gehört zu über 130 Aktivisten, die im vergangenen Jahr inhaftiert wurden, nachdem im Internet ein anonymer Protestaufruf gegen die chinesischen Behörden aufgetaucht war. »Die Regierung bestraft Chen Wei für seinen jahrelangen Einsatz und versucht, Kritiker einzuschüchtern«, sagte Catherine Baber, stellvertretende Leiterin des Asien-Pazifik-Programms von Amnesty International. Amnesty hat die Behörden aufgefordert, ihn umgehend freizulassen.

Ausgewählte Ereignisse vom 10. Dezember 2011 bis 14. Januar 2012.

BAHRAIN

DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO Am 28. November fanden in der Demokratischen Republik Kongo Präsidentschaftswahlen statt. Seitdem ist die Sicherheitslage angespannt, Dutzende Oppositionsanhänger wurden festgenommen. »Die kongolesische Regierung scheint die angespannte Situation ausnutzen zu wollen, um politisch motivierte, willkürliche und rechtswidrige Festnahmen durchzuführen, mit denen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit unterdrückt werden soll«, sagte Paule Rigaud, stellvertretende Direktorin des Afrika-Programms von Amnesty. Die Organisation ruft die kongolesischen Behörden auf, ihre Einschüchterungsversuche gegenüber Regierungskritikern umgehend einzustellen.

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ÄTHIOPIEN Wegen »terroristischer Aktivitäten« und »Verletzung der territorialen und politischen Souveränität« wurden die schwedischen Journalisten Martin Schibbye and Johan Persson von einem äthiopischen Gericht zu elf Jahren Haft verurteilt. Sie waren illegal eingereist und wollten nach eigenen Angaben zu Menschenrechtsverletzungen recherchieren. Im Rahmen ihrer Recherche trafen sie sich mit der Rebellenorganisation Nationale Befreiungsfront von Ogaden (ONLF). Amnesty betrachtet die Männer als gewaltlose politische Gefangene, die lediglich aufgrund ihrer journalistischen Arbeit inhaftiert wurden.

Folter, Schläge, Androhung von Vergewaltigung. Der 18-jährige Student Hassan Oun wurde offenbar schon zum zweiten Mal von bahrainischen Sicherheitskräften misshandelt. Nachdem er bereits 2011 bei regierungskritischen Protesten festgenommen wurde, kam er Anfang Januar abermals in Haft. Familienangehörigen zufolge soll Hassan Oun zuvor mit dem Bahrain Centre for Human Rights gesprochen haben. »Wir befürchten, dass er festgenommen wurde, weil er es gewagt hat, über Polizeimisshandlungen zu berichten«, sagte Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Leiterin für Nordafrika und den Nahen Osten bei Amnesty. »Wenn er ausschließlich wegen seiner friedlichen Aktivitäten festgenommen wurde, muss er sofort entlassen werden.«

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Foto: Matt Rourke / AP

ERFOLGE

»Freiheit für Mumia.« Unterstützer von Mumia Abu-Jamal vor dem Bundesgericht in Philadelphia, November 2010.

MUMIA ABU-JAMAL WIRD NICHT HINGERICHTET Gegen ihn wurde vor fast 30 Jahren wegen Mordes die Todesstrafe verhängt. Im Dezember 2011 wurde das Todesurteil von Mumia Abu-Jamal in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Selten hat ein Todeskandidat so viel Aufsehen erregt. Der Journalist war 1982 wegen Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner zum Tode verurteilt worden. Ende Dezember 2011 hat die Staatsanwaltschaft im US-Bundesstaat Pennsylvania nun sein Todesurteil in eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung umgewandelt. Im Laufe der Jahrzehnte wurde der heute 57Jährige zur Kult- und Symbolfigur im Kampf gegen die Todesstrafe: Weltweit erklärten sich Bürgerrechtsgruppen, Politiker und Prominente mit ihm solidarisch und verlangten seine Freilassung. Die Schuldfrage ist jedoch bis heute nicht geklärt.

»CHIMES OF FREEDOM« WÜRDIGT ARBEIT VON AMNESTY

Die weltweit größte Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist 50 Jahre alt, das Debütalbum von Bob Dylan wird es am 19. März 2012. Anlässlich dieses doppelten Jubiläums haben mehr als 80 Künstler das musikalische Erbe von Bob Dylan für einen guten Zweck neu interpretiert. Insgesamt 76 Songs finden sich auf dem Album »Chimes of Freedom« (Glocken der Freiheit), das ab Anfang Februar im Handel erhältlich ist. Der Erlös aus dem Verkauf der CDs geht an Amnesty International. Die musikalische Bandbreite reicht von Rock bis Hip Hop, von Country bis Blues: Beteiligt sind Musiker wie Mark Knopfler, Patti Smith, Kris Kristofferson, Joan Baez, Queens of the Stoneage oder Maroon 5. Ein Großteil der Songs wurde ex-

ERFOLGE

Sicher ist, dass der Prozess nicht den internationalen Standards für ein faires Verfahren entsprach. Zeugen wurden unter Druck gesetzt und widerriefen ihre zuvor gemachten Aussagen später vor Gericht. Der Pflichtverteidiger des Journalisten bezeichnete sich selbst als »unvorbereitet«. Dazu kam eine extreme Politisierung des Prozesses. Abu-Jamal wurde während seines Verfahrens immer wieder mit der militanten »Black Panther«-Bewegung in Verbindung gebracht, der er früher angehört hatte. Er selbst hat stets seine Unschuld beteuert. Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 wurden in den USA mehr als 1.200 Menschen hingerichtet. Nach Angaben des »Death Penalty Information Center« saßen im April 2011 3.222 Personen im Todestrakt.

klusiv für »Chimes of Freedom« aufgenommen und wird zum ersten Mal veröffentlicht. »Wir sind stolz, dass wir mit Amnesty dieses bemerkenswerte Projekt auf die Beine stellen konnten«, sagten Jeff Ayeroff und Julie Yannatta, die die Produktion des Albums koordinierten. Es sei eine »starke Fusion« zwischen der Musikgemeinde, deren Respekt für die Menschenrechtsarbeit von Amnesty und Bob Dylans musikalischem Schaffen. Amnesty arbeitet schon seit vielen Jahren mit Musikern zusammen, um die Arbeit der Organisation bekannter zu machen: Die traditionelle Konzertreihe »The Secret Policeman’s Ball«, der Sampler »Make some Noise« aus dem Jahr 2007 oder die erfolgreiche 360°-Tour der irischen Band U2 sind nur einige Beispiele.

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Foto: IRFS / Amnesty

Kritik unerwünscht. Polizisten lösen eine Protestkundgebung auf. In der Bildmitte ist Jabbar Savalan zu sehen. Baku, 29. Januar 2011.

»SIE KÖNNEN UNS NICHT ZERSTÖREN« Weil er zu Protesten gegen die aserbaidschanische Regierung aufrief, wurde Jabbar Savalan zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Dezember 2011 kam der Blogger und Aktivist überraschend frei. Amnesty hatte sich ihm Rahmen des Briefmarathons für ihn eingesetzt. Es ist kurz vor Mitternacht, als Jabbar Savalan über die Türschwelle tritt und seiner Mutter und seinen Brüdern in die Arme fällt. Der 20-Jährige wirkt sichtlich erleichtert: Elf Monate saß er im Gefängnis, am 26. Dezember 2011 wurde er im Rahmen einer Generalamnestie entlassen. »Es fühlt sich gut an, wieder bei meinen Freunden zu sein«, sagte er kurz nach seiner Entlassung zu einem Vertreter von Amnesty. Er wünsche sich, dass auch die anderen politischen Gefangenen freikämen. 16 sitzen weiterhin in Haft. Amnesty fordert auch deren Entlassung. Der Fall des Bloggers und Aktivisten war Teil des Briefmarathons von Amnesty International im Dezember 2011. Innerhalb von zwei Wochen wurden über eine Million Appellbriefe verfasst, Jabbar Savalan selbst erhielt über 5.500 allein aus Deutschland. Er bedankte sich bei allen Unterstützern für ihren Einsatz. Amnesty sei ein »Symbol für Menschenrechte und Freiheit«, nicht nur in Aserbaidschan, sondern weltweit. Jabbar Savalan war am 5. Februar 2011 festgenommen worden, weil man bei ihm angeblich 0,74 Gramm Marihuana gefunden hatte. Savalan selbst, seine Familie und auch seine Freunde beteuerten stets, dass er nie Drogen konsumiert habe. Auch ein Bluttest nach seiner Inhaftierung lieferte keine Anhaltspunkte dafür. Auf Grundlage eines Geständnisses, das Jabbar Savalan unter Androhung von Gewalt machte, wurde er zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt.

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Vermutlich hat sein politisches Engagement die Aufmerksamkeit der Behörden erregt. Savalan ist Mitglied der Oppositionspartei Azerbaijan Popular Front’s Party (APFP) und nahm öfter an regierungskritischen Demonstrationen teil. Anfang Januar 2011 verbreitete er auf Facebook einen Artikel aus einer türkischen Zeitung, in dem der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew als korrupt und als »Zocker« beschrieben wurde. Inspiriert von den Umbrüchen in der arabischen Welt rief Savalan am 4. Februar 2011 zu friedlichen Protesten gegen die Regierung auf. Einen Tag später wurde er verhaftet. Nach Savalans Festnahme kam es im März und April in der Hauptstadt Baku zu größeren Protesten. Hunderte Demonstranten wurden vorübergehend inhaftiert, viele berichteten später über Misshandlungen. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew vertritt seit seinem Amtsantritt 2003 einen autoritären Regierungsstil. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation »Reporter ohne Grenzen« belegt das Land Platz 152 von 178. Jabbar Savalan sagte gegenüber Amnesty, dass seine Festnahme ihn nur darin bestärkt habe, sich weiter für grundlegende Freiheiten einzusetzen. »Wir werden weder Inhaftierungen noch andere Strafen fürchten. Sie können uns einsperren, aber sie können uns nicht zerstören. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt für uns, so wie es auch für andere gilt.« Am 26. Mai 2012 findet das Finale des Eurovision Song Contest in der Hauptstadt Baku statt. Aserbaidschanische Aktivisten wollen diese Möglichkeit nutzen, um auf Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land aufmerksam zu machen. Amnesty wird sie dabei unterstützen. Text: Ralf Rebmann

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EINSATZ MIT ERFOLG

GBAGBO NACH DEN HAAG ÜBERSTELLT

CÔTE D’IVOIRE Der ehemalige ivorische Präsident Laurent Gbagbo muss sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. Die Anklage umfasst Morde, Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen, die zwischen dem 16. Dezember 2010 und dem 12. April 2011 begangen wurden. Amnesty sieht darin einen ersten wichtigen Schritt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in Côte d’Ivoire verübt wurden, aufzuklären. Nach den Präsidentschaftswahlen vom 28. November 2010 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des Wahlsiegers Alassane Ouattara und Anhängern von Laurent Gbagbo, der sich weigerte, sein Amt abzugeben. Tausende Menschen wurden getötet, Hunderttausende mussten fliehen. Amnesty fordert, dass auch Verbrechen, die während der neunjährigen Amtszeit Laurent Gbagbos von 2002 bis 2011 begangen wurden, untersucht werden.

IRANISCHE ÄRZTE DANKEN AMNESTY

Weil die Brüder Arash und Kamiar Alaei 2008 angeblich mit einer »feindlichen Regierung kooperiert« hatten, wurden sie zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Zuvor hatten die beiden Ärzte an IRAN

einer internationalen Konferenz zum Thema HIV und AIDS teilgenommen. Kamiar Alaei wurde nach zweieinhalb Jahren Haft entlassen, sein Bruder kam erst am 27. August 2011 frei. »Dass wir heute frei und in Sicherheit sind, ist das Ergebnis eurer Unterstützung«, schrieben die Brüder in einem Brief an Amnesty. Die Organisation hatte sie als gewaltlose politische Gefangene anerkannt. Heute leben Arash und Kamiar Alaei in den USA. Sie möchten sich ebenfalls für andere politische Gefangene im Iran einsetzen. »Um die Güte zurückzugeben, die wir von euch bekommen haben, ist dies das Mindeste, was wir tun können«, heißt es weiter. »Wir möchten uns von ganzem Herzen dafür bedanken, dass ihr für unsere Freiheit gekämpft habt.« Wichtiger Teilerfolg. Valentina Rosendo Cantú.

STRAFVERFAHREN EINGESTELLT

SUDAN Der sudanesische Justizminister hat

am 13.Dezember die Strafverfahren gegen den aus Darfur stammenden Menschenrechtler Abdelrahman Adam Abdelrahman und den Journalisten Jaafar Alsabki Ibrahim einstellen lassen. Abdelrahman Adam ist stellvertretender Direktor des Netzwerks »Human Rights and Advocacy Network for Democracy« (HAND), ein Zusammenschluss verschiedener in Darfur tätiger Organisationen. Er war von Oktober 2010 bis Dezember 2011 inhaftiert und soll in der Haft gefoltert worden sein. Jaafar Alsabki Ibrahim arbeitet in Darfur für die unabhängige Tageszeitung »Al Sahafa«. Er war von November 2010 bis August 2011 in Haft. Die Festnahmen der Männer waren Teil einer Verhaftungswelle, die sich gegen Journalisten und Menschenrechtler mit Verbindungen zu einem in den Niederlanden registrierten Radiosender richteten.

Foto: Amy Hart / Amnesty

MEXIKO STELLT SICH VERANTWORTUNG

Frei und in Sicherheit. Arash und Kamiar Alaei.

ERFOLGE

Foto: Carlos Reyes-Manzo / Andes Press Agency

Weltweit beteiligen sich Tausende Menschen mit Appellschreiben an den »Urgent Actions«, den »Briefen gegen das Vergessen« und an Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen diese Beispiele.

MEXIKO »Der mexikanische Staat erkennt die internationale Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen im Fall Valentina Rosendo Cantú an«, lautete die Entschuldigung, die Mexikos Innenminister am 15. Dezember 2011 während einer öffentlichen Veranstaltung verlas. Hintergrund ist ein Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs vom 1. Oktober 2010, in dem festgestellt wurde, dass mutmaßlich von Militärange-

hörigen verübte Verbrechen vor Zivilgerichten verhandelt werden müssen. Valentina Rosendo Cantú war 17 Jahre alt, als sie 2002 von Soldaten vergewaltigt wurde. Trotz Drohungen erstattete sie Anzeige und suchte später Unterstützung beim Menschenrechtszentrum »Tlachinollan«. Die Entschuldigung ist ein wichtiger Teilerfolg für Cantú. Die Verantwortlichen wurden noch nicht ermittelt. »Der Kampf ist nicht zu Ende«, sagte Cantú, »Diese Nachricht geht an alle Frauen: Kämpft weiter und gebt nicht auf, beendet die Kette der Straflosigkeit.«

GIFTMÜLLSKANDAL: URTEIL GEGEN TRAFIGURA BESTÄTIGT

CÔTE D’IVOIRE Ein niederländisches Berufungsgericht hat das Urteil gegen Trafigura bestätigt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass das niederländische Rohstoffunternehmen 2006 illegal Giftmüll in der ivorischen Hautstadt Abidjan entsorgt hat. Über 100.000 Menschen klagten deswegen über gesundheitliche Probleme, 15 Personen starben. »Für Trafigura, das wiederholt jegliches Fehlverhalten von sich gewiesen hat, ist das ein vernichtendes Urteil«, sagte Benedetta Lacey, Expertin für Unternehmensverantwortung bei Amnesty. Staaten müssten nun sicherstellen, dass multinationale Konzerne, die durch illegale Handlungen Menschenrechtsverletzungen begehen, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen würden.

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PANORAMA

Foto: Reuters / Kyodo

TSCHECHISCHE REPUBLIK: AMNESTY WÜRDIGT VÁCLAV HAVEL , »Die Welt wird ihn vermissen und er kann und wird nicht vergessen werden«, sagte Shalil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International, anlässlich des Todes von Václav Havel. Der Schriftsteller und Politiker war einer der Hauptinitiatoren der Charta 77 und der tschechoslowakischen Bürger- und Menschenrechtsbewegung der siebziger und achtziger Jahre. Er wurde deswegen mehrfach verhaftet und von Amnesty als gewaltloser politischer Gefangener adoptiert. Havel gehörte der ersten tschechischen Amnesty-Gruppe an und engagierte sich stark für die Menschenrechtsorganisation. Der ehemalige Präsident der Tschechischen Republik und »Amnesty-Botschafter des Gewissens« starb am 18. Dezember 2011 im Alter von 75 Jahren.

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% NORDKOREA: MACHTÜBERNAHME VON KIM JONG-UN Nach dem Tod von Kim Jong-il und der Machtübernahme durch seinen Sohn Kim Jong-un stellt sich die Frage, ob die neue Führung die katastrophale Menschenrechtsbilanz des Landes verbessern wird. Berichte aus der jüngeren Vergangenheit legen nahe, dass die Regierung in Vorbereitung auf den Machtwechsel sich möglicherweise Hunderter Staatsangestellter entledigte, die als potenzielle Gefahr für Kim Jong-un als Nachfolger seines Vaters angesehen wurden. Sie sollen hingerichtet oder in Hafteinrichtungen für politische Gefangene gebracht worden sein. Insgesamt deuten die Berichte aus dem vergangenen Jahr darauf hin, dass Kim Jong-un und seine Unterstützer seine Macht durch zunehmende Repression sichern wollen.

Foto: Josef Horazny, Martin Sterba / CTK / AP

PANORAMA

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Foto: Gordon Welters / laif

NACHRICHTEN

»Ein längst überfälliger Schritt.« Auch die irakische Familie Abdulwahid kam mithilfe des Resettlement-Programms nach Deutschland.

EINE PERSPEKTIVE FÜR FLÜCHTLINGE Die Innenminister der Länder haben einem dauerhaften Resettlement-Programm für Flüchtlinge zugestimmt. Amnesty International und viele weitere Organisationen haben lange auf diese Entscheidung hingearbeitet. Sie sind in einer besonders schwierigen Situation: Flüchtlinge, die vor Gewalt oder Verfolgung aus ihrem Heimatland fliehen mussten, und die weder eine Perspektive auf eine Rückkehr dorthin haben, noch auf eine Integration in dem Land, in das sie als erstes geflohen sind. Es handelt sich oft um Personen, die in besonderer Weise geschützt werden müssen: Etwa alte Menschen, Kranke, Verletzte oder Traumatisierte, alleinstehende Frauen oder Kinder, die keine Familie haben. Für sie hat das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) das sogenannte Resettlement entwickelt: Im Rahmen des Programms werden besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Krisenregionen von anderen Staaten aufgenommen und erhalten dort eine sichere Zukunftsperspektive. Deutschland gehörte bisher nicht zu den Ländern, die ein ständiges Resettlement-Programm eingerichtet haben – die

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also jährlich eine bestimmte Anzahl besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aufnehmen. Dies soll sich nun ändern: Am 9. Dezember beschloss die Innenministerkonferenz eine dauerhafte Beteiligung Deutschlands am Resettlement besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus Drittstaaten. In den kommenden drei Jahren sollen jährlich 300 Flüchtlinge aufgenommen werden. Bisher hatte Deutschland die dauerhafte Beteiligung am Resettlement stets abgelehnt. »Die Entscheidung, ein ständiges Resettlement-Programm auch in Deutschland einzurichten, begrüßen wir sehr«, sagte Wolfgang Grenz, amtierender Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, »es ist ein längst überfälliger Schritt«. Er hoffe, dass die Zahl der angebotenen Plätze noch erhöht werde. Zum Vergleich: Schweden nimmt trotz einer wesentlich geringeren Bevölkerungszahl jährlich rund 1.800 Flüchtlinge im Rahmen des Resettlement-Programms auf. Allein im Jahr 2012 fehlen jedoch weltweit über 90.000 ResettlementPlätze. Seit Jahren haben sich zahlreiche Organisationen für das Programm eingesetzt: Im Kontext der von Amnesty Inter-

national, Pro Asyl sowie von Kirchen und Verbänden getragenen Kampagne »Save me – Flüchtlinge aufnehmen« konnten über 40 Städte und Gemeinden gewonnnen werden, die sich in Ratsbeschlüssen für die Aufnahme von Flüchtlingen aussprachen. In diesem Jahr setzte sich Amnesty zudem stark für Flüchtlinge ein, die infolge des Libyen-Konflikts in Flüchtlingslagern in Tunesien und Ägypten gestrandet sind. Eine Petition an Bundesinnenminister Friedrich zur Aufnahme eines Teils dieser Flüchtlinge in Deutschland fand über 23.000 Unterstützer. Die in Nordafrika gestrandeten Menschen könnten in diesem Jahr von dem neuen Programm profitieren. Auch für andere Flüchtlingsgruppen gibt es einen hohen Bedarf an Resettlement-Plätzen. So zum Beispiel für rund 20.000 besonders schutzbedürftige somalische Flüchtlinge, die in Kenia keine dauerhafte Perspektive haben. Wichtig ist, dass die Auswahl der aufzunehmenden Schutzsuchenden im Einklang mit menschenrechtlichen Standards erfolgt – also ohne Diskriminierung. Text: Diana Engel

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»Ich bin jung, eine Frau und Ägypterin.« Asmaa Mafhouz und ihre Mitstreiter haben die Proteste gegen Mubarak entscheidend geprägt.

PORTRÄT

ASMAA MAFHOUZ

Von Beginn an beteiligte sich die Ägypterin Asmaa Mafhouz an den Protesten gegen den ehemaligen Präsidenten Mubarak und setzte sich für die Meinungsfreiheit ein. Dafür ehrte das Europäische Parlament die 26-Jährige mit dem »SacharowPreis für geistige Freiheit«. Sympathisch, zurückhaltend, bescheiden. Man sieht Asmaa Mafhouz nicht an, dass sie als Mitgründerin der Bewegung »April 6th Movement« die Proteste gegen den ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mubarak entscheidend geprägt hat. Für dieses Engagement wurde sie gemeinsam mit vier weiteren Protagonisten der politischen Umbrüche in Syrien, Libyen und Tunesien mit dem »Sacharow-Preis für geistige Freiheit 2011« des Europäischen Parlaments ausgezeichnet. Ein »leuchtendes Beispiel und Symbol« sei Asmaa Mafhouz, sagte der Präsident des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, bei der Preisverleihung in Straßburg. Asmaa Mahfouz übt sich in Bescheidenheit: »Ich bin sicher nicht die Mutigste«, betont sie. »Es gibt sehr viele Menschen in Ägypten, die demonstriert haben und dafür inhaftiert oder sogar getötet wurden.« Die junge Frau hat an der Universität Kairo studiert und dort einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht. Zur politischen Aktivistin wurde sie im März 2008, als Textilarbeiter in Mahalla al-Kobra, einer Stadt nördlich von Kairo, für den 6. April einen Generalstreik zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen ankündigten. Um die Forderungen der Arbeiter zu unterstützen, gründete Asmaa Mafhouz zusammen mit Ahmed Maher und Waleed Rashed die Gruppe »April 6th Movement«. Die dazugehörige Facebook-Seite fand innerhalb kürzester Zeit über 60.000 Anhänger. Der Streik wurde damals von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen. »Ich habe Angst gehabt, sehr sogar«, sagt Asmaa Mahfouz heute. Woher nimmt sie ihren Mut? Sie sagt, dass der Glaube ihr helfe und dass sie lieber für die Freiheit kämpfe, als untätig zu bleiben.

NACHRICHTEN

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PORTRÄT

Foto: Ralf Rebmann / Amnesty

MUT ZUR VERÄNDERUNG Ihren Mut bewies sie eindrucksvoll in einer Videobotschaft, die eine Woche vor der großen Demonstration gegen Mubarak am 25. Januar 2011 auf Facebook die Runde machte. Viereinhalb Minuten dauert das Video, in dem Asmaa Mafhouz dazu aufruft, die Demonstration auf dem Tahrir-Platz zu unterstützen. »Ich habe Tausende Anrufe bekommen«, sagt sie und beschreibt, wie sie einerseits euphorisch, andererseits verunsichert war: War der Aufruf die richtige Entscheidung? Am 25. Januar strömten schließlich Hunderttausende auf den Tahrir-Platz in Kairo und forderten den Rücktritt Mubaraks. »Ich habe geweint«, erinnert sich Asmaa Mafhouz. Sie und ihre Mitstreiter seien überwältigt gewesen vom Mut der ägyptischen Bevölkerung. Doch die Begeisterung währte nicht lange: In den folgenden Monaten agierte das Militär zunehmend gegen die eigene Bevölkerung, Tausende Zivilisten wurden bis heute vor Militärgerichte gestellt. Im August 2011 musste sich auch Asmaa Mafhouz wegen angeblicher Beleidigung des Militärs vor Gericht verantworten. Zum Militär äußert sich Asmaa Mafhouz vorsichtig, eine Militärherrschaft in Ägypten verurteilt sie jedoch scharf. Und sie belässt es nicht bei Worten: Für die Parlamentswahlen ließ sich Asmaa Mafhouz als Kandidatin aufstellen. »Einige Personen haben mir Geld geschickt, damit ich Plakate drucken konnte«, sagt sie. Ihr Wahlkampf sei »erfolgreich, aber langwierig« gewesen. Weil jedoch bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften kurz vor den Wahlen Dutzende Personen starben, zog sie ihre Kandidatur wieder zurück. Sie habe nicht kandidieren wollen, solange das Blut der Menschen noch auf den Straßen vergossen werde, und fügt hinzu, bei den kommenden Wahlen wieder kandidieren zu wollen. »Ich bin jung, eine Frau und Ägypterin«, sagt Asmaa Mafhouz selbstbewusst. Ihre Botschaft: Jeder Mensch kann sich politisch beteiligen, wenn er bereit ist, dafür einzustehen. Text: Ralf Rebmann

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LUFTANGRIFF AUF ZIVILISTEN

Amnesty International hat die türkischen Behörden aufgefordert, den Tod von 35 Zivilisten zu untersuchen, die bei einem Luftangriff nahe dem Dorf Gulyazi im Südosten des Landes Ende Dezember getötet wurden. »Die Umstände der Militäroperation, die den Tod so vieler Menschen, darunter Kinder, verursachte, müssen umgehend geklärt werden«, forderte

TÜRKEI

GUANTÁNAMO UND KEIN ENDE

ner Polizeiaktion wurden 25 Journalisten wegen angeblicher PKK-Propaganda festgenommen. Viele von ihnen haben einen kurdischen Hintergrund, fast alle hatten in der Vergangenheit über PKK-Anschläge und das Vorgehen von Polizei und Armee berichtet. Insgesamt befinden sich in der Türkei mittlerweile über hundert Pressevertreter in Haft.

nehmen, verhören und ohne zeitliche Beschränkung festhalten kann. Außerdem beinhaltet das Gesetz Regelungen, die eine Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo quasi unmöglich machen. So darf etwa kein Regierungsgeld dafür verwendet werden, die verbleibenden 171 Gefangenen auf das US-Festland zu bringen. Aus Anlass des 10. Jahrestags der Gründung des Lagers rief Amnesty

International zu einer Demonstration gegen das Gesetz am 11. Januar in Washington auf. Am selben Tag fand auch in Berlin eine Protestaktion statt. »Vor drei Jahren versprach Präsident Obama, das Militärgefängnis innerhalb eines Jahres zu schließen«, sagte Wolfgang Grenz, Generalsekretär der deutschen AmnestySektion. »Es wird Zeit, dass er sein Versprechen endlich einlöst.«

Foto: Scott Langley / Amnesty

USA Pünktlich zum Jahreswechsel hat US-Präsident Barack Obama ein hoch umstrittenes Gesetz unterzeichnet. Er signierte den »National Defense Authorization Act« (NDAA) und gab damit 662 Milliarden US-Dollar für den Militärhaushalt 2012 frei. Das Gesetz sieht vor, dass die US-Regierung Terrorverdächtige ohne Gerichtsverfahren festsetzen und das USMilitär weltweit Terrorverdächtige fest-

Nicola Duckworth, Leiterin der EuropaAbteilung von Amnesty. Die Armee vermutete Kämpfer der kurdischen Separatistenorganisation PKK, als sie eine Gruppe aus der Luft attackierte. Tatsächlich befanden sich unter den Opfern 18 Kinder. Bereits Anfang Dezember hatten die Behörden ihr Vorgehen gegenüber der kurdischen Minderheit verschärft. Bei ei-

Falsche Versprechen. Amnesty-Aktion für die Schließung von Guantánamo am 11. Januar 2012 in Washington.

VORSICHT VOR DER POLIZEI

Amnesty International hat die ukrainischen Behörden aufgefordert, umgehend eine unabhängige Kommission einzurichten, um Polizeiübergriffe aufzuklären. Ende vergangenen Jahres hatte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch in einer Rede vor Polizeioffizieren zu Reformen aufgerufen. Unter anderem sprach er sich dafür aus, Polizeiwachen und Haftanstalten per Video überwachen zu lassen. Der Staat habe die volle Ver-

UKRAINE

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antwortung für alle Personen, die von der Polizei verhaftet würden. Die allgemeine Praxis, die Untersuchung von Übergriffen zu behindern, sei »inakzeptabel«, erklärte Janukowitsch. Amnesty hat in der Vergangenheit zahlreiche Fälle von Polizeigewalt dokumentiert, darunter auch Fälle von Folter, schweren Misshandlungen und ungeklärten Todesfällen in Polizeigewahrsam. Obwohl im vergangenen Jahr rund 5.000

Beschwerden eingereicht wurden, sind bislang nur zehn Verfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet worden. Im Juni werden zahlreiche Fußballfans zur Europameisterschaft in der Ukraine erwartet. »Wenn der Präsident die Rechte der ukrainischen Bürger und der ausländischen Besucher tatsächlich ernst nimmt, dann muss er seinen Worten nun Taten folgen lassen«, sagte Heather MacGill, Amnesty-Researcherin für die Ukraine.

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Foto: Amnesty

Jesús Emilio Tuberquia (rechts) lebt seit seiner Geburt in der Friedensgemeinde San José de Apartadó im Nordwesten Kolumbiens. Seit 2008 ist er ihr rechtlicher Vertreter. Mehrfach wurde er von Angehörigen der bewaffneten Gruppen bedroht. Noelia Tuberquia (links) ist seit 1999 Mitglied der Gemeinde. 2004 wurde ihre zweijährige Tochter vor ihren Augen von Angehörigen der Armee ermordet.

INTERVIEW

JESÚS EMILIO TUBERQUIA UND NOELIA TUBERQUIA

»UNSER ZIEL IST ES, IN FRIEDEN ZU LEBEN« In Kolumbien herrscht seit Jahrzehnten ein Konflikt zwischen linksgerichteten Guerillagruppen, rechten Paramilitärs und der staatlichen Armee. Die Friedensgemeinde San José de Apartadó will in diese Auseinandersetzungen nicht hineingezogen werden. Deswegen werden die Bewohner des Ortes von allen Seiten bedroht. Warum haben Sie die Friedensgemeinde gegründet? Jesús Emilio Tuberquia: Unsere Gemeinde San José de Apartadó hat sich 1997 gegründet, mit dem Ziel, in Frieden zu leben. Wir sind Bauern. Während des Bürgerkriegs gerieten wir immer wieder zwischen die Fronten der Guerilla und der staatlichen Armee. Wir wollten mit keiner der beiden Seiten zusammenarbeiten. Mit einer Erklärung haben wir uns damals an die Regierung und an die Öffentlichkeit gewandt. Darin beriefen wir uns auf das humanitäre Völkerrecht, das den Schutz der Zivilbevölkerung vorschreibt. Wie ist das Zusammenleben in San José de Apartadó organisiert? Jesús Emilio Tuberquia: In unserer Gemeinde leben etwa Tausend Menschen. Der Besitz oder das Tragen von Waffen sind auf unserem Gelände verboten. Wir kooperieren mit keiner der bewaffneten Parteien und geben auch keine Informationen weiter. Jedes Mitglied muss außerdem einer gemeinnützigen Arbeit nachgehen. Es darf kein Koka angebaut oder konsumiert werden. Drogen und Alkohol werden bei uns nicht akzeptiert. Wir haben diese Regeln bei der Gründung der Gemeinde gemeinsam aufgestellt. Von wem werden sie am meisten bedroht: von den Paramilitärs, der Guerilla oder den staatlichen Sicherheitskräften? Jesús Emilio Tuberquia: Wir unterscheiden nicht zwischen den Paramilitärs und dem Staat. Die Paramilitärs bedrohen uns im Auftrag der kolumbianischen Armee. Innerhalb der vergangenen

NACHRICHTEN

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INTERVIEW

15 Jahre wurden 200 Menschen getötet: 30 gehen auf das Konto der Guerilla. 170 Morde hat die Regierung zu verantworten. Noelia Tuberquia: 2005 wurde in unserem Dorf ein Massaker verübt, bei dem acht Menschen getötet wurden, darunter drei Kinder. Zu den Verantwortlichen gehörten staatliche Sicherheitskräfte. 2010 kam endlich ein Prozess in Gang, bei dem mehrere Paramilitärs und staatliche Militärs mittleren Ranges verurteilt wurden. Warum akzeptiert die kolumbianische Regierung Ihre Neutralität nicht? Jesús Emilio Tuberquia: Sie betrachtet uns als Gegner, weil wir nicht mit ihr kooperieren. Wir wurden öffentlich als Guerilla-Organisation bezeichnet und es ist bekannt, dass der kolumbianische Staat seit 1972 im Krieg gegen die Guerilla-Gruppen Paramilitärs einsetzt. Noelia Tuberquia: Auch ökonomische Interessen spielen eine wichtige Rolle. Das Land in unserer Region ist sehr fruchtbar, es werden Erdölvorkommen vermutet und die Nähe zur Küste ist für Investoren interessant. Erst kürzlich haben wir erfahren, dass Präsident Juan Manuel Santos Südkorea eine Lizenz zur Erdölförderung versprochen hat. Was fordern Sie von der Regierung? Jesús Emilio Tuberquia: Wir wollen, dass eine unabhängige Kommission alle begangenen Morde und Menschenrechtsverletzungen an unserer Gemeinde vor Ort untersucht und vor Gericht bringt. Der Polizeistützpunkt, den die Regierung neben unserer Gemeinde errichtet hat, soll verschwinden. Außerdem verlangen wir von der Regierung, dass sie humanitäre Zonen einrichtet und den Schutz der Zivilbevölkerung garantiert. Fragen: Saara Wendisch

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Foto: Beatrice de Gea / The New York Times / Redux / laif

Chance auf Rehabilitation. Strafen für Kinder müssen ihrem Alter angemessen sein.

BIS ZUM LETZTEN TAG Die USA sind das einzige Land der Welt, das Minderjährige zu lebenslangen Freiheitsstrafen ohne die Möglichkeit auf Bewährung verurteilt. Christi Cheramie war 16 Jahre alt, als sie zusammen mit ihrem damaligen Freund Gene Mayeux wegen Mordes an dessen Großtante Mildred Turnage angeklagt und zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt wurde. Mayeux hatte Turnage während eines Besuchs in deren Haus erstochen. Christi beteuert, nicht in den Mord verwickelt gewesen zu sein. Im Sommer 1994 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Christi wegen Mordes und forderte die Todesstrafe. Während der Auswahl der Geschworenen sagte ein potenzieller Geschworener in ihrer Anwesenheit, sie verdiene es, hingerichtet zu werden, selbst wenn sie bei der Tat nur anwesend gewesen sein sollte. Christi bekannte sich daraufhin, wahrscheinlich aus Angst davor, zum Tode verurteilt zu werden, des Mordes mit bedingtem Vorsatz für schuldig. Durch ihr Geständnis wurde sie zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt, denn in Louisiana ist diese Strafe für Mord mit bedingtem Vorsatz obligatorisch. Weder

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Christis tragische Kindheit – sie wurde drei Jahre lang vom Freund der Mutter sexuell missbraucht – noch zwei Selbstmordversuche wurden bei der Urteilsfindung berücksichtigt. Anders als in Deutschland bedeutet »lebenslänglich« in den USA meist Haft für den Rest des Lebens. Christi Cheramie ist eine von über 2.500 Personen, die in den USA eine lebenslange Haftstrafe ohne die Möglichkeit auf Bewährung für eine Tat verbüßen, die sie als Minderjährige begangen haben. Wie ein neuer Amnesty-Bericht dokumentiert, waren einige Personen zum Tatzeitpunkt gerade einmal elf Jahre alt. Eine lebenslängliche Strafe für Jugendliche ist in den USA nicht vorgesehen. Doch auf Grundlage von bestimmten Gesetzen, den sogenannten »Transfer Laws«, die in fast jedem US-amerikanischen Bundesstaat existieren, kann ein Verbrechen vor einem Erwachsenengericht verhandelt werden, obwohl es von einem Minderjährigen begangen wurde. Wissenschaftliche Befunde legen nahe, dass Kinder weder physisch, noch psychisch weit genug entwickelt sind, um vollständig für ihre Taten verantwortlich gemacht werden zu können. Zudem ver-

stoßen die USA mit dieser Praxis gegen internationales Recht, so zum Beispiel gegen Artikel 37 der UN-Kinderrechtskonvention, die alle Staaten der Welt außer den USA und Somalia ratifiziert haben. Dort heißt es, dass für »Straftaten, die von Personen vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahres begangen worden sind, (…) weder die Todesstrafe noch lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit vorzeitiger Entlassung verhängt werden« dürfen. Amnesty International hat die USA aufgefordert, die UN-Kinderrechtskonvention zu ratifizieren und lebenslange Haftstrafen für Minderjährige abzuschaffen. Strafen für Kinder müssen ihrem Alter angemessen sein, sodass eine Chance auf Rehabilitation besteht und den Jugendlichen nicht jegliche Hoffnung genommen wird. Christi Cherami ist mittlerweile 33 Jahre alt und war bereits mehr als die Hälfte ihres Lebens im Gefängnis. Sollte sie das durchschnittliche Lebensalter einer US-Amerikanerin von 81 erreichen, wird sie noch weitere 48 Jahre dort verbringen. Im November hat sie ein Gnadengesuch eingereicht. Text: Rebecca Brielbeck

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KOLUMNE: LARISSA BENDER

Seit sich im tunesischen Sidi Bouzid vor gut einem Jahr der arbeitslose Akademiker und Gemüsehändler Mohammad Bouazizi aus Verzweiflung über seine ausweglose Situation mit Benzin übergoss und anzündete, hat sich die arabische Welt grundlegend verändert. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die im Westen häufig als fatalistisch betrachtete Bevölkerung dieser Länder zu Hunderttausenden auf die Straße gehen und monatelang friedlich gegen Nepotismus und für ein menschenwürdiges Leben und einen demokratischen Wandel demonstrieren würde?

Zeichnung: Oliver Grajewski

Auf den ersten Blick scheint sich die Situation in den arabischen Staaten nach dem Sturz ihrer Diktatoren allerdings eher verschlechtert zu haben: Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal und überall sind nicht nur Islamisten, sondern auch die weitaus radikaleren Salafisten auf dem Vormarsch. Waren und sind die vom Westen gestützten Diktatoren also nicht doch die besseren Potentaten für die arabischen Staaten?

GEMISCHTE BILANZ

Nein, denn übersehen wird dabei, dass erste Schritte in Richtung Demokratie unternommen wurden. In Tunesien und Ägypten fanden zum ersten Mal seit Jahrzehnten freie Wahlen statt, in Libyen besteht zumindest die Möglichkeit eines demokratischen Wandels und im Jemen demonstrieren noch immer Zehntausende friedlich gegen einen Präsidenten, der sich der gerichtlichen Verfolgung entziehen will. Dramatisch und vollkommen offen ist die Situation hingegen in Syrien. Dort scheint sich ein ganzes Volk in Geiselhaft zu befinden. Ein nach Kairo geflüchteter hoher Verwaltungsbeamter berichtete jüngst, die meisten Regierungsmitglieder unterstützten den Präsidenten nur noch aus purer Angst um das eigene Leben und das Leben ihrer Familien. Ins Ausland geflüchtete Soldaten bestätigten, es gebe bei Demonstrationen nicht nur einen Schießbefehl, sondern sogar vorgegebene Trefferquoten. Ein desertierter Brigadegeneral erklärte in einem Interview, die hohen Offiziere wüssten um die Gräueltaten des Militärs und der Sicherheitskräfte, schwiegen jedoch aus Angst vor den Konsequenzen gleichfalls. Die auf YouTube kursierenden Videos von misshandelten Körpern scheinen solche Aussagen zu bestätigen. Die Zahl der von Sicherheitskräften und Schergen des Regimes erschossenen oder zu Tode geprügelten Menschen ist offiziell auf über 6.000 gestiegen. Zehntausende wurden verletzt, sitzen in Haft oder sind verschwunden. Unzählige haben sich ins Ausland abgesetzt. Trotzdem hält Präsident Baschar al-Assad unbeirrbar an der Macht fest und prophezeite kürzlich in einer Rede sogar ein baldiges Ende der Krise. Was für ein Hohn! Syrien wird Jahre, wenn nicht Dekaden, brauchen, um die »Krise« zu überwinden. Die Wunden, die die vierzigjährige Herrschaft des AssadClans und die jahrzehntelange Indoktrinierung durch die Ideologie der BaathPartei hinterlassen haben, sind zu tief. Nie wurden die Verantwortlichen für erzwungenes Exil, für Misshandlung und Folter bis zum Tod, für mehrere Massaker mit Zehntausenden Toten zur Verantwortung gezogen. Nie gab es eine offizielle Anerkennung der Opfer, eine Entschädigung, eine Entschuldigung. Und die Fortsetzung der Assad-Herrschaft würde die Menschen mit ihrer Trauer und ihrer Wut sich selbst überlassen. Daran muss eine Gesellschaft unweigerlich zerbrechen. Die Weltgemeinschaft sollte daher alles tun, um das Leben der Menschen in Syrien zu schützen und dem Land auf seinem mühevollen Weg von einer Diktatur zu wahrer Demokratie alle erdenkliche Hilfe leisten. Die Autorin ist Journalistin und Arabisch-Übersetzerin. Siehe auch S. 50

NACHRICHTEN

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KOLUMNE

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Verfolgt und ausgegrenzt Roma, Juden, Homosexuelle und Obdachlose: In vielen südosteuropäischen Staaten werden die Rechte von Minderheiten verletzt.

Im vergangenen Oktober demonstrierten Neonazis und Anhänger der rechtsextremen Partei DSSS in den Kleinstädten Varnsdorf, Nový Borf und Rumburk nahe der deutschen Grenze wochenlang gegen die RomaGemeinschaften. Die Proteste stießen bei einem Teil der lokalen Bevölkerung auf Zustimmung. Wiederholt kam es dabei zu gewaltsamen Ausschreitungen, die nur durch ein massives Polizeiaufgebot eingedämmt werden konnten.

SLOWENIEN Ein Bericht von Amnesty International zeigt auf, dass

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einigen Roma-Familien in Slowenien weniger Wasser zur Verfügung steht, als in humanitären Katastrophen als absolutes Minimum vorgesehen ist. Amnesty-Mitarbeiter haben mit Familien gesprochen, die lediglich zehn bis 20 Liter pro Tag und Familienmitglied als Trinkwasser, zum Baden und zum Kochen zur Verfügung haben. Wasser, das sie aus entlegenen und oft verschmutzten Quellen holen müssen, weil ihnen der Anschluss an die Wasserversorgung verweigert wird. Damit werden grundlegende Rechte verletzt. »Der Mangel an Wasser hat einen direkten Einfluss auf die Bildung der Kinder. Diese gehen oft nicht mehr zur Schule, da sie sich nicht waschen können und deswegen von anderen Kindern gehänselt und verspottet werden«, erklärte eine Amnesty-Sprecherin.

SERBIEN In der serbischen Hauptstadt Belgrad untersagten Anfang Oktober 2011 die Behörden einen Umzug von Schwulen und Lesben, nachdem rechtsextreme Gruppen mit Gewalt gedroht hatten. »Die Polizei kann aus Sicherheitsgründen die Durchführung solcher Versammlungen nicht unterstützen, weil sie zu Konflikten, Opfern und Blut führen und wir deshalb in ein großes Chaos schlittern«, hatte Innenminister Ivica Dacic das Verbot begründet. Amnesty International hatte sich zuvor mit einer Eilaktion bei den serbischen Behörden für das Recht auf freie Meinungsäußerung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen eingesetzt. Auf Druck der EU war in Belgrad im Oktober 2010 erstmals eine Demonstration von Homosexuellen unter dem Schutz Tausender Polizisten erlaubt worden. Rechtsradikale hatten daraufhin Geschäfte in der Innenstadt demoliert und sich Straßenschlachten mit der Polizei geliefert.

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MONTENEGRO Ende Mai 2011 sollte der erste schwul-lesbische Umzug stattfinden. Die Organisatoren sagten die Veranstaltung jedoch wieder ab, weil die Polizei nicht den notwendigen Schutz garantieren konnte. Kurz zuvor hatten bei einem Konzert anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie in der Hauptstadt Podgorica Unbekannte mit Tränengas gefüllte Dosen in eine Menschenmenge geworfen. Außerdem gab es Berichte über tätliche Angriffe auf Aktivisten in der Innenstadt. Sie wurden dabei unter anderem aufgefordert, nicht mehr »die Krankheit Homosexualität« zu verbreiten.

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UNGARN Wer auf der Straße schläft, wird verwarnt. Wird dieselbe Person innerhalb eines halben Jahres noch einmal aufgegriffen, droht eine Strafe von 490 Euro. Seit vergangenem Dezember gilt Obdachlosigkeit in Ungarn als Ordnungswidrigkeit. Nach Angaben des Zentralamts für Statistik betrug das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen in Ungarn 2010 etwa 430 Euro. Für Wohnungslose ist es daher unmöglich, die Strafe zu begleichen. Was folgt, ist die Ersatzhaft. Zudem verbietet das Gesetz das sogenannte »Containern«, die Suche nach Verwertbarem in Mülleimern und Mülltonnen. Eine spezielle Polizeieinheit soll die neuen Regelungen durchsetzten.

UNGARN Rund 80 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Budapest liegt der Ort Gyöngyöspata. Dort patrouillierten im Frühjahr vergangenen Jahres paramilitärische Gruppierungen wochenlang als selbsternannte Ordnungsmacht. Sie traten den Roma mit Axt und Peitsche gegenüber und belagerten ihr Wohnviertel. Eine staatliche Reaktion blieb aus, bis die Situation so eskalierte, dass die Roma-Gemeinde vom Roten Kreuz evakuiert wurde. Im Sommer wurde der Kandidat der rechtsextremen Jobbik-Partei zum Bürgermeister des Ortes gewählt.

UNGARN In Budapest untersagte die Polizei eine Veranstaltung im Rahmen der »Gay-Pride-Parade« im Juni 2011 vor dem ungarischen Parlament. Zur Begründung hieß es, der Verkehr werde dadurch »übermäßig beeinträchtigt«. Als Teil der »Gay-Pride-Parade« sollte es ursprünglich eine Demonstration auf dem Platz vor dem Parlament geben. Geplant waren Proteste gegen die Einschränkung der Rechte von Homosexuellen.

UNGARN Ab Februar dieses Jahres übernimmt nach einer umstrittenen Entscheidung des Budapester Bürgermeisters der rechtsextreme Schauspieler György Dörner die Leitung des Neuen Theaters in Budapest. Er ist Mitglied der rassistischen und antisemitischen Partei MIEP. Ursprünglich wollte Dörner dem antisemitischen Schriftsteller István Csurka die Intendanz des Theaters übertragen, was aber nach heftigen Protesten aus dem In- und Ausland wieder abgesagt wurde. In seiner Bewerbung für das Amt hatte Dörner erklärt, er wolle den »Kampf gegen die entartete, liberale Hegemonie« im ungarischen Kulturleben aufnehmen.

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X Im vergangenen September und Oktober kam es immer wieder zu gewaltsamen Demonstrationen gegen Roma. Die Demonstranten forderten in Sofia drastische Maßnahmen gegen die vermeintliche Roma-Kriminalität, unter anderem die Todesstrafe. Auslöser war der Tod eines Jungen im südbulgarischen Dorf Katuniza, der angeblich vorsätzlich von Roma überfahren wurde. Aufgebrachte Dorfbewohner brannten daraufhin die Häuser von Roma nieder. BULGARIEN

RUMÄNIEN Monatelang wurde über eine Mauer gestritten. Ende November forderte der Nationale Antidiskriminierungsrat endgültig: Die Mauer muss weg. Es geht um eine etwa zwei Meter hohe und hundert Meter lange Betonmauer, die der Bürgermeister der Stadt Baia Mare im Juni um zwei Roma-Wohnblöcke bauen ließ. Nach einer Anzeige einer Roma-Nichtregierungsorganisation verhängte der Nationale Antidiskriminierungsrat eine Geldstrafe in Höhe von 1.400 Euro gegen den Bürgermeister. Außerdem soll die Mauer umgehend abgerissen werden. Der Bürgermeister findet jedoch, er habe mit dem Bau der Mauer für Normalität in der Stadt gesorgt. Er kündigte an, rechtlich gegen die Strafe vorzugehen.

RUMÄNIEN Die ultranationalistische und rechtsextreme Bewegung »Neue Rechte« hat Ende vergangenen Jahres einen Antrag auf Parteigründung mit den dafür erforderlichen 30.000 Unterschriften beim Bukarester Gerichtshof eingereicht. Die im Jahr 2000 gegründete Organisation hat immer wieder durch Straßenaktionen und Märsche gegen Homosexuelle, Angehörige der ungarischen Minderheit, Roma, den Schengen-Beitritt Rumäniens oder die Globalisierung auf sich aufmerksam gemacht. Sie zeigte unter anderem offene Bewunderung für den Anführer der rumänischen faschistischen »Legionärsbewegung«, Corneliu Zelea Codreanu, oder die aggressiv antisemitischen Texte des rumänischen »Nationaldichters« Mihai Eminescu.

Fotos: dpa, Amnesty (2), laif, AP (2),

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RASSISMUS IN OSTEUROPA

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»Wir dürfen nicht schweigen« Die ungarische Regierung von Viktor Orbán diskriminiert Angehörige von Minderheiten und überlässt sie schutzlos rechtsextremistischen Übergriffen. Gleichzeitig wird die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International behindert, die diese Minderheiten schützen wollen. Von Sara Fremberg

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n den vergangenen Monaten habe ich zum ersten Mal daran gezweifelt, dass wir in diesem Land noch etwas ändern können«, sagt Orsolya Jeney, Direktorin von Amnesty International in Ungarn. Die energische Frau Anfang 30 leitet das Büro seit November 2011. War sie bis zum vergangenen Jahr noch die einzige Angestellte, so zählt die Sektion inzwischen sechs hauptamtliche Mitarbeiter. In Lobbygesprächen tragen sie die Amnesty-Analysen und Empfehlungen an die Regierung heran und informieren die ungarische Öffentlichkeit mit Aktionen über Menschenrechtsverletzungen weltweit. Ein besonderer Schwerpunkt liegt seit einem Jahr im Bereich der Menschenrechtsbildung. Orsolya Jeneys Pessimismus liegt in den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der beiden vergangenen Jahre begründet. Seit dem Regierungswechsel im April 2010 führen Präsident Viktor Orbán und seine Partei Fidesz die ungarische Demokratie konsequent in die Autokratie. Ihr rechtsnationales Werteverständnis verträgt sich dabei nur allzu gut mit den fremdenfeindlichen Parolen der rechtsextremen Jobbik-Partei und den Aufmärschen paramilitärischer Gruppen gegen »Zigeunerkriminalität« und »Jüdisches Großkapital«. Dies trägt zur Entstehung eines gesellschaftlichen Klimas bei, in dem das offene Bekenntnis zu Rassismus, Homophobie und Antisemitismus als akzeptabel gelten. Aufgrund der steigenden Zahl rechtsextremer Gewaltverbrechen gegen Minderheiten in der Region arbeitete Amnesty International in den vergangenen Jahren verstärkt zu diesem Problem. 2010 kritisierte Amnesty International in einem Bericht schwerwiegende Mängel der Ermittlungen zu einer Serie brutaler Anschläge auf ungarische Roma, die zwischen 2008 und 2009 sechs Todesopfer gefordert hatte. Dass sich daran trotz gegenteiliger Versprechen der Regierung nichts geändert hat, zeigten die Vorkommnisse in dem kleinen ungarischen Dorf Gyöngyöspata im März 2011. Tatenlos sah die Polizei zu, wie rechtsradikale Paramilitärs im Umfeld eines Wehrsportlagers

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wochenlang in Uniform durch das Dorf marschierten und die ansässigen Roma solange bedrohten, bis es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Rechtsextremisten und den Roma kam. Schließlich brachte der amerikanische Geschäftsmann Richard Field zusammen mit dem Roten Kreuz knapp 300 Frauen und Kinder aus dem Ort mit Bussen in Sicherheit. Die von der Regierung als lange geplanter »Ausflug« deklarierte Aktion – eine Version, die später auch das Rote Kreuz bestätigte – ging als »Notevakuierung von Roma« durch die internationale Presse. Ähnlich wie bei den Anschlägen vor drei Jahren reagierte die Regierung mit Gleichgültigkeit auf die Gewalt in Gyöngyöspata. Mit der neuen Verfassung, die am 1. Januar 2012 in Kraft trat, hat die Regierung von Viktor Orbán ihre politische Vormachtsstellung nun auch rechtlich zementiert: Eine Vielzahl hoher staatlicher Ämter und Institutionen, darunter das Verfassungsgericht, wurden über die aktuelle Regierungsperiode hinaus mit Fidesz-Mitgliedern besetzt. Der Entmachtung der Opposition 2011 war die Gleichschaltung der ungarischen Medien vorausgegangen. Die neue Fidesz-geführte Medienaufsichtsbehörde NMHH sorgte dafür, dass Hunderte kritischer Journalisten entlassen wurden. Die Behörde entzog oppositionellen Medien die Sendelizenz und verhängte Geldstrafen für »unausgewogene« Berichterstattung. Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer sexuellen Orientierung nicht in das nationalistische christlich geprägte Fidesz-Weltbild passen, werden durch den neuen Verfassungstext diskriminiert: So gelten ethnische Minderheiten nicht mehr als Teil der ungarischen Nation: Von etwa 360 religiösen Gruppen werden nur noch 14 offiziell anerkannt. Das Verbot von Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung wurde ebenso gestrichen wie die gleichgeschlechtliche Ehe. Die Zivilgesellschaft kämpft angesichts dieser Entwicklungen um ihre Existenz. Unter dem Vorwand, gegen das politische Erbe der sozialistischen Vorgängerregierung vorgehen zu wollen, wurden Anfang 2011 35 gemeinnützige Stiftungen aufgelöst.

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Foto: Bela Szandelszky / AP

Strafen wegen »unausgewogener Berichterstattung«. Amnesty-Aktion in Budapest, 14. Januar 2011.

Einer Vielzahl erfahrener Hilfsorganisationen wurde die Lizenz entzogen, weil ihre Träger nach der neuen Verfassung nicht mehr als religiöse Gemeinschaften anerkannt werden. So wurden bei der Vergabe von Förderungen für die Unterstützervereine von Obdachlosen kirchliche Organisationen bevorzugt und die Essensverteilung durch die Glaubensgruppe Hare Krishna untersagt. Amnesty International genießt im Vergleich dazu etwas mehr Unabhängigkeit: »Da wir keine staatlichen Gelder bekommen, sind wir politisch unabhängig im Gegensatz zu vielen anderen, die zumindest zum Teil auf staatliche Förderung angewiesen sind«, sagt Orsolya Jeney. »Auch unsere Internationalität schützt uns und da wir zu Menschenrechten arbeiten, zu denen sich der ungarische Staat ja zumindest offiziell bekennt, sind wir weniger angreifbar.« Als die ungarische Regierung jedoch die Ereignisse in Gyöngyöspata und die Rettungsaktion des Roten Kreuzes untersuchen wollte, gerieten mehrere Nichtregierungsorganisationen, unter anderem Amnesty, ins Fadenkreuz der Behörden. Ein extra einberufener Ausschuss sollte herausfinden, wer die »Evakuierungslügen« verbreitet hatte, um Ungarns Ruf im Ausland zu schädigen. Alle Organisationen mussten in einem Verhör Stellung beziehen, in welcher Verbindung sie zu Richard Field stehen und ob sie jemals Spenden von ihm angenommen haben. »Es geht uns doch darum, die Politiker zur Besinnung zu bringen«, sagt Jeney. »Aber wir müssen sie dazu bewegen, dass sie die Zivilgesellschaft nicht per se als ihren Feind begreifen.« Zudem versuchen die Regierungsbehörden immer wieder, Amnesty zur Legitimierung ihrer Politik zu missbrauchen. Als eine parlamentarische Menschenrechtskommission die Organi-

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RASSISMUS IN OSTEUROPA

sation zu einer Anhörung zum Thema Roma einlud, ließ man die Vertreter der Menschenrechtsorganisation auf den hinteren Bänken Platz nehmen ließ, während vier »Spezialisten«, darunter zwei Priester und ein Kriminologe, die Perspektiven der Politik gegenüber den Roma diskutierten. Die Anwesenheit der Amnesty-Experten wurde über die Medien als Zustimmung zur Roma-Politik der ungarischen Regierung verbreitet. »Wenn sie unsere Arbeit ignorieren, hat das keine Konsequenzen, und wenn es sogenannte Konsultationen gibt, benutzen sie uns als Aushängeschild für ihre Politik. Was sollen wir tun, wenn wir unsere Arbeit und Expertise nicht einbringen können? Sollten wir den Staat boykottieren? Sollten wir gehen?« Ein Großteil der ungarischen Gesellschaft reagierte bislang eher teilnahmslos auf die wachsende Zahl rechtsextremistischer Übergriffe. »Die meisten Leute sehen uns als ›Beschützer der Zigeuner und Schwulen‹«, so Jeney. »Sie verstehen nicht, warum es für uns von Bedeutung ist, welchen ethnischen Hintergrund oder welche sexuelle Orientierung die Opfer haben.« Doch die Demonstrationen zehntausender Menschen gegen das Mediengesetz im Oktober 2010 und gegen die Verfassung im Januar 2012 machen deutlich, dass es noch ein anderes Ungarn gibt. Ein Ungarn, das sich dem autoritären Druck der politischen Führung entgegenstellt und den konsequenten Abbau der Demokratie nicht hinnehmen will. »Wir dürfen nicht schweigen!«, sagt Orsolya Jeney. »Nicht als Amnesty International. Aber auch nicht als ungarische Bürger.« Die Autorin ist Mitarbeiterin der Pressestelle der deutschen Amnesty-Sektion.

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»Die Mutter der Revolution« Mit dem Niqab, einem Gesichtsschleier, der nur die Augen zeigt, bedeckt sich Tawakul Karman schon seit Jahren nicht mehr. Im Gegensatz zu den meisten jemenitischen Frauen trägt die charismatische 32-Jährige oft ein buntes und auffälliges Kopftuch. Tawakul Karman muss sich nicht verstecken. Sie ist Jemens bekannteste Menschenrechtsaktivistin, Journalistin und Mitgründerin der Organisation »Journalistinnen ohne Ketten«. Schon seit Jahren setzt sie sich für die Rechte von Frauen und die Meinungsfreiheit in ihrem Land ein. Internationale Bekanntheit erlangte sie im Januar 2011, als die Umbrüche in der arabischen Welt auch den Jemen erreichten. Zehntausende gingen in der Hauptstadt Sanaa auf die Straße, um gegen die 33-jährige Herrschaft von Ali Abdullah Saleh zu demonstrieren und ein Ende der Korruption und Unterdrückung zu fordern. »Das Fehlen der Meinungsfreiheit und anderer grundlegender Freiheiten war ausschlaggebend für die Proteste«, sagt Karman, die die Demonstrationen unterstützt und mitorganisiert hat. Sie erhielt daraufhin Todesdrohungen und wurde am 23. Januar kurzfristig festgenommen. Ihre Inhaftierung löste internationale Proteste und weitere Demonstrationen aus, bei denen Karmans Freilassung gefordert wurde. Bis zum heutigen Tag wurden bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften mindestens 200 Menschen getötet, darunter auch Freunde von Karman. Für ihren langjährigen Einsatz für die Menschenrechte erhielt sie 2011 den Friedensnobelpreis. »Ich nehme den Preis in meinem und im Namen der jemenitischen und arabischen revolutionären Jugend entgegen, die in letzter Zeit den friedlichen Kampf gegen die Tyrannei und Korruption geführt hat«, sagte sie bei der Preisverleihung

am 10. Dezember 2011 in Oslo. Karman, die auch »Mutter der Revolution« genannt wird, ist die jüngste Preisträgerin und erste arabische Frau, die mit der renommierten Auszeichnung geehrt wird. »Vor allem Frauen haben bei den Protesten eine Vorreiterrolle gespielt«, sagt sie. Das ist bemerkenswert, da Frauen und Mädchen im Jemen ständiger Diskriminierung und Schikane ausgesetzt sind. Zwangs- und Frühverheiratungen sind in ländlichen Gebieten keine Seltenheit. Es gebe ein Sprichwort, das die Situation der Frauen sehr gut verdeutliche, sagt Karman: Demnach führt der Lebensweg einer Frau im Jemen vom Haus ihrer Familie über das Haus ihres Mannes in ihr Grab. Dies müsse sich ändern, betont die Preisträgerin. Neben ihrem Einsatz für Frauenrechte und Meinungsfreiheit ist sie Mitglied der al-Islah Partei, dem jemenitischen Ableger der Muslimbruderschaft. Zur Frage, ob es Differenzen zwischen ihrem Frauenbild und dem der Islah-Partei gebe, möchte sie sich nicht äußern. Sie sei nicht »Sprecherin der Partei, sondern eine Vertreterin der Jugendrevolution«. Gleichzeitig muss sich Karman gegen ultrakonservative Politiker und Prediger wehren, die gegen sie hetzen. Rückhalt bekommt sie vor allem von ihrer Familie. »Ich bin sehr stolz auf meine Frau, sie ist sowohl für Männer als auch für Frauen eine große Inspiration«, meint ihr Ehemann Mohammed Al-Nehmi, der sie auch auf der Reise nach Oslo begleitet hat. Karman ist Mutter von drei Kindern. »Natürlich vermissen sie mich«, sagt sie, »aber sie wissen, dass wir eine große Aufgabe vor uns haben und dass unser Einsatz auch zukünftigen Generationen gilt«. Karman wünscht sich einen Jemen, der auf Pluralismus und Demokratie aufbaut und den Menschen die Würde zurückgibt, die ihnen Saleh genommen hat. Saleh hat im November 2011 seinen Rücktritt angekündigt – unter der Bedingung, dass er Immunität genießt. Für die Menschen im Jemen ist dies ein Grund, wieder zu demonstrieren. Karman fordert, dass Saleh für seine Verbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen wird. »Für ihn darf es keine Amnestie geben«, betont sie und nimmt den Westen in die Pflicht. »Er hat sehr viel Vermögen auf ausländische Konten geschafft, das muss eingefroren werden. Auch die internationale Gemeinschaft trägt die Verantwortung dafür, wie sich der Jemen entwickelt.« Foto: Ralf Rebmann / Amnesty

Tawakul Karman ist die erste arabische Frau, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Journalistin und Menschenrechtlerin ist eine Ikone der Demokratiebewegung, die den jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh im November 2011 zum Rücktritt zwang. Von Ralf Rebmann

Einsatz für Frauenrechte und Meinungsfreiheit. Tawakul Karman.

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… mitmachen beim großen Aktionswettbewerb von Amnesty International Um sich für die Menschenrechte zu engagieren, muss man kein Profi sein. Auch du kannst etwas tun und damit vielleicht viel mehr bewirken als du denkst. Sei dabei beim Wettbewerb von Amnesty International und Stiftung Lesen und setze dich für die Menschenrechte ein.

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Ein bisschen Pop, ein bisschen Hass. RTLM-Moderator Kantano Habimana (Dorcy Rugamba) bei der Arbeit.

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Der Soundtrack des Völkermords Das Theaterprojekt »Hate Radio« wirft ein Schlaglicht auf die Propagandamaschine des Völkermords in Ruanda. Von Georg Kasch

Foto: Daniel Seiffert

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m Ende sind es die kleinen Gesten und beiläufigen Momente, die sich ins Gedächtnis fressen: Der Aufruf »Courage!«, also: Mut!; die Nachrichten, in denen die Ergebnisse der Fußballweltmeisterschaft und der Tour de France verkündet werden; die Pistole, die wie beiläufig auf dem runden Tisch liegt. Drei Personen sitzen hier vor ihren Mikrofonen, zwei Männer, eine Frau. Sie reden, lachen, machen Witze, knabbern Nüsse, räkeln sich, rauchen. Es sind die Moderatoren des Radiosenders RTLM, einer Propagandaschleuder, die den Völkermord der Hutu an den Tutsi mit ermöglicht hat. Bis heute ist unfassbar, wie es 1994 dazu kommen konnte, dass in Ruanda Menschen plötzlich ihre Nachbarn abschlachteten, ihre Mitschüler und Kollegen kaltblütig jagten, quälten und ermordeten, Menschen, die zum selben Gott beteten und dieselbe Hautfarbe hatten. Zwischen 800.000 und eine Million Angehörige der Tutsi-Minderheit und Tausende gemäßigte Hutu kamen innerhalb von drei Monaten ums Leben. Bis heute dauert die Aufarbeitung dieses Genozids an, der auch das moralische Gewissen des Westens erschütterte – weil die in Ruanda stationierten Blauhelmsoldaten kein Mandat zum Eingreifen hatten, sahen sie dem Gemetzel tatenlos zu. Siebzehn Jahre nach dem Massaker vermittelt ein Theaterprojekt jetzt auf atemberaubende Weise eine Idee davon, warum damals alle ethischen Dämme brachen. In dem Stück »Hate Radio« zeigt das Internationale Institut für politischen Mord (IIPM) von Regisseur Milo Rau und Dramaturg Jens Dietrich die Mechanismen des Völkermords auf. Aus 1.400 Seiten Abschriften, die im Rahmen des Prozesses gegen die sogenannten Hassmedien von allen RTLM-Sendungen angefertigt wurden, kondensierten Rau und Dietrich eine exemplarische einstündige Sendung.

THEATER

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»HATE RADIO«

Die Form des »Reenactments«, also der Wieder-Inszenierung konkreter geschichtlicher Ereignisse in möglichst authentischer Weise, ist nicht neu. Während sich in den USA das Nachstellen von Schlachten und ähnlichen Massenereignissen zu einer Art Volkssport entwickelt hat, geht es dem IIPM bei seinen »Reenactments« nicht um eine bunte Geschichtsstunde, es sieht sich vielmehr in der Tradition des dokumentarischen Theaters von Peter Weiss. So rollte das Institut zum Beispiel in seinem Stück »Die letzten Tage der Ceauşescus« 2009 den Prozess gegen Rumäniens Diktatorenpaar in einer getreuen Nachbildung der Militärbaracke auf. In »Hate Radio« rauscht einem nun der rhythmussatte Soundtrack des Völkermords um die Ohren. Jeder Zuschauer erhält zu Beginn des Stücks einen Empfänger mit Kopfhörer. Im Saal des Berliner Theaters HAU2 blickt man in einen Glaskasten, in dem das bis ins kleinste Detail rekonstruierte RTLM-Studio zu sehen ist: der schmucklose Raum mit den drei Moderatoren und einem stummen Wachsoldaten, daneben eine Kammer mit dem DJ. Viel geschieht nicht. Es wird vor allem geredet, auf Französisch und Kinyarwanda (mit deutschen Übertiteln). Während der Lieder stecken die Moderatoren die Köpfe zusammen, stehen auch mal auf, gehen durch den Raum, suchen Papiere zusammen, rauchen Gras – Radioalltag mit Spaßfaktor. Draußen zirpen Grillen, rauscht Regen, drinnen werden die angesagten Songs der frühen neunziger Jahre aufgelegt, »I Like to Move It« von Reel 2 Real und »Rape Me« von Nirvana. In die lockere, aufgekratzte Plauderstimmung platzen die Hasstiraden – wie eine Werbekampagne wurde auf RTLM über Monate der Völkermord vorbereitet und begleitet. Valerie Bemeriki etwa redet davon, dass sich ein Tutsi nicht freikaufen könne: »Man muss ihn töten, man muss ihn schlicht und einfach töten. Denn was hier in Ruanda geschieht, ist noch nie dagewesen. Nirgendwo auf der Welt hat eine Minderheit es je gewagt, die Waffen gegen die Mehrheit zu erheben, um sie auszurotten.« Und Kantano Habimana, der Chefideologe, fällt ihr eifernd ins Wort: »Ja, sie sind eine verkommene Rasse. Das sind Menschen, die ausge-

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»Jagt sie!« Nancy Nkusi, die die RTLM-Moderatorin Valérie Bemeriki spielt, floh mit acht Jahren aus Ruanda.

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»Ja, sie sind eine verkommene Rasse. Das sind Menschen, die ausgerottet werden müssen, denn es gibt keinen anderen Weg, als sie auszurotten und in die Flüsse zu werfen«. (O-Ton Radio RTLM) rottet werden müssen, denn es gibt keinen anderen Weg, als sie auszurotten und in die Flüsse zu werfen.« Es ist eine perfide Logik, derer sich die Moderatoren bedienen: Die anderen, die Tutsi, die »Kakerlaken«, die in Ruanda lange Zeit die Führungselite stellten, sind Rebellen und müssen deshalb sterben. Gerade weil man sie optisch nicht von den Hutu unterscheiden könne, weil sie ein unsichtbarer Fremdkörper in der Hutu-Rasse seien, müssten sie ausgemerzt werden. Absurd, dass ausgerechnet die Verfechter einer zutiefst rassischen Ideologie ihre Tutsi-Feinde wiederholt mit den Nazis vergleichen. Anrufe gehen ein, ein elfjähriger Junge wünscht sich ein Lied, grüßt seine Familie – und berichtet, als würde er vor einer Radarfalle warnen, von Tutsi, denen er begegnet ist. Darauf Bemeriki: »Die Nachbarn von diesem Jungen, der bei Sinshoboye Bernard lebt, sollen sich bei ihm erkundigen, wo er sich von ihnen getrennt hat. Jagt sie!« Schon geht es weiter mit dem nächsten gutgelaunten Popsong und einer Runde Wunschkonzert. Wäre Hannah Arendts Begriff von der Banalität des Bösen nicht so abgedroschen, man hätte ihn für diese Szene erfinden müssen. Eingerahmt wird das »Reenactment« von – ebenfalls nachgespielten – Zeugenaussagen, die auf die geschlossenen Jalousien des Glaskastens projiziert werden. Sie sprechen von hohnlachenden Grausamkeiten, von abgehackten Brüsten und Gliedmaßen, durchbohrten Leibern, vom Überleben in der Latrine, in einem Berg von Leichen. Sie fragen: Warum? Warum diese Grausamkeiten, dieses minutiöse Quälen? Warum dieses langsame Zerstückeln bei lebendigem Leib? Warum diese sexuelle Gewalt gegen Kinder, das systematische Aufspießen der Frauen, nachdem sie vergewaltigt wurden? Andererseits verteidigen sich hier Georges Ruggiu, ein Belgier, der eher zufällig bei RTLM landete, und Bermeriki. Sie versuchen, ihr damaliges Handeln zu erklären: Nach dem Absturz der Präsidentenmaschine, der den Tutsi-Rebellen zugeschrieben wurde, habe Krieg geherrscht. Man glaubte, das Richtige zu tun. Beiden merkt man an, dass sie zutiefst gespalten sind – zwischen ihrem Schuldeingeständnis heute und ihrer Erinnerung an die wilde Zeit damals, als sie mächtig waren und alles möglich schien. Ruhig sprechen die Schauspieler ihren Text, gespannt, aber sachlich. Drei von ihnen stammen aus Ruanda. Afazali Dewaele, der den DJ Joseph spielt, ist Hutu, sein Bruder war einer der Schlächter. Der Vater von Dorcy Rugamba, der den Chefideologen Kantano Habimana verkörpert, war als Dichter und Tutsi eines der ersten prominenten Mordopfer. Und Nancy Nkusi, die Valérie Bemeriki spielt, floh mit acht Jahren aus Ruanda. Bis

THEATER

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»HATE RADIO«

heute haben ihre Eltern nicht mit ihr über den Genozid gesprochen. Sie hat soeben in Belgien ihr Schauspielstudium am Konservatorium in Lüttich abgeschlossen, »Hate Radio« ist ihre erste große Produktion. Als er Nkusi auswählte, wusste Regisseur Milo Rau zunächst nicht, dass sie aus Ruanda stammt. Für die Schauspielerin bedeutete die Rolle eine schwierige Reise in die Vergangenheit: »Als ich das Skript las, war ich komplett schockiert.« Dann las sie immer mehr über den Genozid, diskutierte mit den anderen Schauspielern: »Du musst wissen, wovon du auf der Bühne sprichst«, sagt sie. Nach Voraufführungen in Bregenz Anfang November reiste die Schauspieltruppe nach Ruanda und spielte im ehemaligen RTLM-Studio und in der Gedenkstätte »Kigali Memorial Centre«. »Wir hatten große Angst, da hinzugehen«, erzählt Regisseur Rau, der von der Gedenkstätte eingeladen wurde. »Nach der Vorstellung herrschte eine Stunde lang Schweigen.« Die Sache sei auch nicht ungefährlich gewesen, immerhin existiert seit dem Genozid in Ruanda ein Verbot, die verschiedenen Ethnien überhaupt zu erwähnen. Bislang ohne großen Erfolg: Umfragen zeigen, dass ethnische Kategorien noch immer das Denken der Ruander beherrschen. Auch für Nkusi war es ein besonderer und enorm bewegender Moment, in Ruanda zu spielen. Dort traf sie auch auf ihre Großmutter. »Ich denke, sie hat recht, wenn sie sagt: Es ist passiert, wir müssen weitergehen. Aber wir müssen uns daran erinnern, dass es passiert ist.« Pessimistischer klingt da ein Überlebender, der zum Abschluss des zweistündigen Theaterabends zu Wort kommt: »Ich glaube nicht an das Ende der Genozide. Ich glaube nicht, dass wir zum letzten Mal diese schlimmste aller Grausamkeiten erlebt haben. Wenn es einen Genozid gegeben hat, dann wird es noch viele geben.« Nächste Termine: 25., 27.–29. Januar 2012, Migros Museum Zürich 2. und 3. Februar 2012, Südpol Luzern 21.–23. März 2012, Beursschouwburg Brüssel 19.–21. April 2012, Kaserne Basel 25., 27.–29. April 2012, Schlachthaus Bern Weitere Termine und Informationen: international-institute.de Zu »Hate Radio« erscheint 2012 im Berliner Verbrecher Verlag ein Begleitbuch, in dem die Recherchen und Zeitzeugengespräche dokumentiert und von Theorie- und Sachtexten ergänzt werden. Der Autor ist Kulturjournalist und lebt in Berlin.

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Menschenrechte im Großformat: Meisterregisseur Luc Besson verfilmte mit »The Lady« die Lebensgeschichte von Aung San Suu Kyi. Gespielt wird Myanmars bekannteste Politikerin von Actionstar Michelle Yeoh. Von Jürgen Kiontke

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as ist für mich mehr als ein Film«: Die malaysische Schauspielerin Michelle Yeoh, bekannt aus »Tiger and Dragon« und James Bond-Filmen, ist sich sicher, dass sie das Werk ihres Lebens abgeliefert hat. »The Lady« heißt der zweistündige Film über das Leben von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die in ihrer Heimat Myanmar einfach »Daw Suu« genannt wird – eben: Lady Suu. Yeoh, zierlich, quirlig, kämpferisch, gibt mit ihrer Hauptrolle einer der erstaunlichsten politischen Biografien unserer Zeit Gestalt. Suu Kyis Werdegang als Ikone des Widerstands gegen eines der repressivsten Militärregime der Welt verlangt wohl nach einer starken Identifikation mit dem Sujet. In »The Lady« wird Yeoh zu Suu Kyi – rein optisch wie auch im Herzen der Zuschauer: Jahrelang hat sich die Schauspielerin mit nichts anderem beschäftigt als mit ihrer Suu-Kyi-Werdung. Sogar die halsbrecherische Landessprache Myanmars hat sie gepaukt. Das überrascht nicht: »Use your feelings to promote ours« habe ihr Suu Kyi bei dem einzigen Treffen mit auf den Weg gegeben, erzählt Yeoh dem Amnesty Journal. Der Film habe auch sonst viel mit ihr zu tun, denn, so sagt sie, ihre Heldin Suu Kyi sei in ganz Asien bekannt. Es ist relativ selten, dass Schauspieler ein Drehbuch (in diesem Fall von der Autorin Rebecca Frajn) in die Hand nehmen und sich dann einen Filmemacher suchen. Yeoh machte genau dies – und fand einen kongenialen Partner für ihr Vorhaben: den französischen Erfolgsregisseur Luc Besson. Der hatte noch

»Zehn Jahre hält sich der Film auf dem Markt. Zehn Jahre werden die Militärs in Myanmar diesen Film vor der Nase haben.« Luc Besson 68

kurz zuvor erklärt, er sei als Filmer am Ende. »Das fünfte Element«, »Johanna von Orléans« – Besson hat dem BlockbusterKino in den vergangenen Jahren entscheidende Impulse gegeben, gerade im Bezug auf starke Frauenfiguren. Dennoch hatte er genug vom Drehen und fühlte sich komplett ausgelaugt. Welchen Film sollte er noch machen? Mit »The Lady« konnte er das explizit Politische für sich und für die ganz große Leinwand entdecken: »Zehn Jahre hält sich der Film auf dem Markt, per Kino, DVD und Internet. Zehn Jahre werden die Militärs in Myanmar diesen Film vor der Nase haben«, sagte Besson dem Amnesty Journal. Bei der Recherche habe sich nur wenig Material finden lassen, das Regime habe Myanmar systematisch abgeriegelt. Man habe sich auf die Berichte von Menschenrechtsorganisationen stützen müssen. Auf dieser Basis ist eine klassische Filmbiografie entstanden, die versucht, komplexe zeitgeschichtliche Rahmenbedingungen zu integrieren. Suu Kyis Vater Aung San, selbst hoher Militär, wird nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft einer der führenden politischen Köpfe des Landes. Doch der demokratische Frühling hält nicht lange an: 1947 werden er und seine Kabinettskollegen Opfer eines Attentats, während die kleine Tochter zu Hause auf ihn wartet. Für die Bevölkerung avanciert der Hoffnungsträger zum Märtyrer, während die Generäle ihr Regime installieren. Per Schnitt katapultiert uns der Film ins Jahr 1988: Suu Kyi begegnet uns nun als Mutter zweier Söhne wieder, die in Oxford an der Seite ihres Mannes, des Burma- und Tibetforschers Michael Aris (David Thewlis), lebt. Ein Anruf aus Rangun bringt sie aus der Routine: Ihre Mutter liegt im Sterben, sie soll kommen. Im Krankenhaus erlebt sie mit, wie der diensthabende Arzt von Militärs erschossen wird, während er zusammengeschlagene Demonstranten versorgt. Das ist der Moment ihrer Politisierung. Die Köpfe der Opposition nehmen mit ihr Kontakt auf, die »National League for Democracy« entsteht. In der zentralen Szene des Films hält Yeoh alias Suu Kyi eine Rede vor 3.000 Statisten, tatsächlich waren es damals eine halbe Million Zuhörer. Mit diesem Auftritt sicherte sich Suu Kyi, die zuvor noch nie öffentlich gesprochen hatte, den Rückhalt in der Bevölkerung. Da sich die Militärführung ihrer nicht anders zu erwehren weiß, folgen Jahre der Haft und Verfolgung. Als dies Proteste auf internationaler Ebene zeitigt, wird Suu Kyi unter Hausarrest gestellt – im Film ist ihr Torwächter jener Soldat, der auch den Arzt erschoss. 1991 erhält Suu Kyi den Friedensnobelpreis. Aber nur ihr Mann Michael Aris und ihre beiden Kinder, die mittlerweile in Großbritannien leben, können ihn abholen. Die Dankesrede hält ihr Sohn, sie erfährt davon erst aus dem Radio. Aris ist die treibende Kraft, die dafür sorgt, dass Myanmar nicht aus dem Bewusstsein verschwindet. Viele Länder haben ein Interesse an den Rohstoffen des Landes, da wird Kritik an den Herrschenden gern unterlassen. Die Amnesty-Berichte aus jener Zeit prangern Waffenlieferungen, insbesondere von Pistolen und G3-Gewehren aus Deutschland an. Ganze Munitionsfabriken sollen geliefert worden sein – Embargos machen so wenig Sinn.

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Foto: Vincent Perez / Universum Film

Mehr als ein Film


Macht des Wortes. Michelle Yeoh als Aung San Suu Kyi, Filmszene aus »The Lady«.

Aris jettet durch die Welt, macht Termine mit Regierungsvertretern, spricht mit der Presse. Immer wieder versucht er, nach Myanmar einzureisen, doch wird ihm ein Visum verweigert, er wird überwacht. Dann erkrankt der geliebte Ehemann an Krebs. Das Regime stellt Suu Kyi die Möglichkeit der Ausreise in Aussicht. Wieder einreisen lassen wird man sie aber nicht. Sie bleibt in Myanmar und wird ihren Mann nicht mehr lebendig wiedersehen. Viel Dichtung war nicht nötig bei der Vorlage. Die Beziehung zwischen der Aktivistin und ihrem Ehemann bildet das erzählerische Gerüst von »The Lady«. Bessons Film will das historische Geschehen nahebringen, ohne allzu lehrreich zu sein. »Wir haben versucht, eine Geschichte zu erzählen, ohne jedes Wort zu buchstabieren.« Eine Geschichte, die dann sogar in den Dreharbeiten fortgeschrieben wurde, zum Beispiel in Thailand. Dort gebe es eine große Exil-Community aus Myanmar, erzählt Besson. Gecastet wurden auch Leute vor Ort, manche hatten noch nie eine Kamera gesehen. »Ich habe gefragt, ob sich jemand vorstellen könnte, einen Soldaten zu spielen. ›Ich kann es versuchen‹, hat jemand geantwortet. ›Ich kenne Soldaten. Sie haben meine Familienangehörigen ermordet.‹« Dann das Unglaubliche: Zum Abschluss der Dreharbeiten wird Suu Kyi freigelassen. Und in jüngster Zeit überschlagen sich gar die Nachrichten – von einer Mitarbeit in der Regierung von Präsident Thein Sein, von einem Demonstrationsrecht und der Zulassung von Parteien ist die Rede. Im Oktober 2011 kamen

KULTUR

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im Zuge einer Amnestie einige Häftlinge frei, sogar der zu 35 Jahren Haft verurteilte Komiker Zarganar war darunter. Vorsicht, sagt Besson: Immer noch ziehe das Militär die Strippen in Myanmar. Suu Kyi könne sich nicht frei bewegen: »Als Tourist darf man nicht einmal über den Fluss in Rangun.« Und immer noch sitzen Menschen wegen ihrer politischen Aktivitäten im Gefängnis. Der Ausgang von Myanmars Drama scheint demnach völlig offen. Besson und Yeoh haben einen Liebesfilm gedreht, ebenso wie ein politisches Epos. Besson erleichtert dem Zuschauer den Einstieg in den Stoff über das Privatleben seiner Protagonistin. Manchmal scheint die Kamera etwas stark an den Hauptfiguren zu hängen: Es gibt Stellen, da wünscht man sich weniger Kammerspiel und mehr Blick auf die internationalen Verflechtungen des Regimes: Wer hat von der Repression profitiert? Wieso brachte internationaler Druck keine Ergebnisse? Nichtsdestotrotz erhellt der Film viele Aspekte, die wenig bekannt sind. Zuallererst erhofft sich der Regisseur denn auch von seinem Film, »dass er gesehen wird«. Einen Oscar für Yeoh fände er schön, zumal noch nie eine Frau aus Asien einen Oscar gewinnen konnte. Verdient wäre er. Denn »The Lady« ist mehr – genau wie Yeoh sagt. Vielleicht sogar mehr als Kino: Kino der Menschenrechte. »The Lady«. F 2011. Regie: Luc Besson, Darsteller: Michelle Yeoh, David Thewlis u.a. Kinostart: 15. März 2012

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Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt oder man lässt sie »verschwinden«. AMNESTY INTERNATIONAL veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle drei Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu beenden. Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie bitte eine Kopie an AMNESTY INTERNATIONAL.

AMNESTY INTERNATIONAL Postfach, 53108 Bonn Tel.: 0228 - 98 37 30, Fax: 0228 - 63 00 36 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de Spendenkonto Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00 oder Postbank Köln Konto: 22 40 46 - 502, BLZ: 370 100 50

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Foto: privat

BRIEFE GEGEN DAS VERGESSEN

DOMINIKANISCHE REPUBLIK JUAN ALMONTE HERRERA Juan Almonte Herrera ist Mitglied der Menschenrechtsorganisation »Dominican Committee of Human Rights« und wird seit September 2009 vermisst. Er soll in Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik, von bewaffneten Polizeikräften verschleppt worden sein. Juan Almonte arbeitete als Buchhalter und wurde am 28.September 2009 auf dem Weg in sein Büro entführt. Im Oktober fand man zwei verbrannte Leichen in einem Auto in Santo Domingo. Die Schwester von Juan Almonte identifizierte seinen Leichnam. DNA-Tests bestätigten dies jedoch nicht. Die Familie kritisierte die Art, mit der die DNA-Tests durchgeführt wurden. Seit der Verschleppung von Juan Almonte werden seine Familienangehörigen und Rechtsbeistände von Personen überwacht, die Augenzeugen als Polizeikräfte identifizierten. Die Schwester von Juan Almonte hat anonyme Telefonanrufe erhalten, in denen ihr gesagt wurde, sie solle aufhören, die Entführung ihres Bruders publik zu machen. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte bezeichnete die Untersuchungen der dominikanischen Behörden mehrmals als völlig unzureichend und kritisierte, dass keine konkreten Maßnahmen eingeleitet wurden, um den Aufenthaltsort von Juan Almonte zu ermitteln. Im Mai 2010 forderte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte die Dominikanische Republik auf, der Familie von Juan Almonte Schutz zu gewähren. Dieser Forderung ist die Regierung bis heute nicht nachgekommen. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Innenminister der Dominikanischen Republik und fordern Sie eine Untersuchung, um den Aufenthaltsort von Juan Almonte zu ermitteln, der am 28. September 2009 verschleppt wurde. Dringen Sie auf eine vollständige und unparteiische Aufklärung seines Verschwindenlassens und auf umfassenden Schutz für seine Familienangehörigen und seine Rechtsbeistände vor Drohungen und Drangsalierungen. Schreiben Sie in gutem Spanisch, Englisch oder auf Deutsch an: Lic. José Ramón Fadul Ministro de Interior y Policía Ministerio de Interior y Policía Ave. México, Esq. Leopoldo Navarro, Edif. Oficinas Gubernamentales Santo Domingo, DOMINIKANISCHE REPUBLIK (korrekte Anrede: Dear Minister / Sr. Ministro / Sehr geehrter Herr Minister) Fax: 00 18 09 - 685 11 94 oder 00 18 09 - 686 65 99 E-Mail: jfadul@mip.gob.do (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Dominikanischen Republik S.E. Herrn Gabriel Rafael Ant Jose Calventi Gavino Dessauer Straße 28–29, 10963 Berlin Fax: 030 - 25 75 77 61 E-Mail: embajadom@t-online.de

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Moon Myung-jin verbüßt eine 18-monatige Gefängnisstrafe, weil er sich geweigert hat, den in Südkorea obligatorischen Wehrdienst abzuleisten. Er ist Friedensaktivist und Mitglied der britischen Organisation War Resisters’ International und der südkoreanischen NGO World Without War. Aufgrund seiner pazifistischen Gesinnung verweigert er den Militärdienst. Moon Myung-jin hat nach eigenen Angaben erstmals im Jahr 2006 über eine Wehrdienstverweigerung nachgedacht, als er beobachtete, wie die koreanische Bereitschaftspolizei mit Gewalt gegen Demonstrierende vorging. Am 14. Dezember 2010, dem Tag seiner Einberufung, hielt er eine Pressekonferenz vor dem Verteidigungsministerium ab und verkündete seine Wehrdienstverweigerung. Am 30. März 2011 wurde er verurteilt. Er sitzt nun in einem Gefängnis in Seoul und arbeitet von 6 bis 18 Uhr im Küchendienst. Moon Myung-jin teilt seine Zelle mit drei Häftlingen. Im November 2011 waren in Südkorea über 790 Personen, die den Wehrdienst verweigerten, inhaftiert. Im südkoreanischen Recht ist kein alternativer Zivildienst vorgesehen. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den südkoreanischen Präsidenten und fordern Sie die unverzügliche und bedingungslose Freilassung von Moon Myung-jin und seine Befreiung von weiteren Einberufungen zum Militärdienst. Dringen Sie darauf, dass Moon Myung-jin und andere Wehrdienstverweigerer in Südkorea nicht als vorbestraft gelten und eine angemessene Entschädigung für ihre Zeit in Haft erhalten. Schreiben Sie in gutem Koreanisch, Englisch oder auf Deutsch an: President Lee Myung-bak 1 Cheongwadae-ro Jongno-gu Seoul 110-820, REPUBLIK KOREA (korrekte Anrede: Dear President / Sehr geehrter Herr Präsident) Fax: 00 82 - 27 70 47 34 E-Mail: foreign@president.go.kr (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Solidaritätsbriefe (bevorzugt auf Englisch oder Koreanisch) können an Moon Myung-jin im Gefängnis gesendet werden. Bitte geben Sie nicht ihre Absenderadresse an. Schicken Sie die Briefe an: Myung-jin MOON (Inmate No. 837) Geumcheon P.O. Box 165 Geumcheon-gu Seoul 153-600, REPUBLIK KOREA (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Republik Korea S.E. Herrn Tae Young MOON Stülerstraße 8, 10787 Berlin Fax: 030 - 260 65 51 E-Mail: koremb-ge@mofat.go.kr

BRIEFE GEGEN DAS VERGESSEN

Foto: Amnesty

Foto: privat

SÜDKOREA MOON MYUNG-JIN

BAHRAIN AAYAT HASAN YUSUF MOHAMED ALQORMOZI Die 20-jährige Studentin Aayat Alqormozi kann jederzeit inhaftiert werden. Ihr Vergehen: Sie trug im Februar 2011 bei einer Kundgebung selbstverfasste Gedichte vor, in denen sie den König und Premierminister von Bahrain kritisierte. Aus diesem Grund wurde Aayat Alqormozi am 30. März 2011 festgenommen und im Juni von einem Militärgericht zu einem Jahr Haft verurteilt. Im Juli wurde sie zwar freigelassen, doch die Anklagepunkte gegen Aayat Alqormozi bestehen weiterhin. Vor ihrer Festnahme im März hatten Sicherheitskräfte zwei Mal das Haus ihrer Eltern durchsucht und damit gedroht, ihre Brüder zu töten. Sie soll in Haft gefoltert worden sein. Im November erklärte das höchste Berufungsgericht, dass ihr Verfahren bis auf Weiteres ausgesetzt werde. Im September hinderte man Aayat Alqormozi daran, ihr Studium an der Universität von Bahrain zu beenden. Ein Wachmann verweigerte ihr den Zugang zum Campus. Die Universität gab keine Erklärung für dieses Vorgehen ab. Im Zusammenhang mit den Reformkundgebungen, die Anfang Februar 2011 in Bahrain begannen, wurden mindestens 1.000 Personen inhaftiert. Fünf der Inhaftierten starben an den Folgen von Folter. Zahlreiche Festgenommene wurden vor Militärgerichte gestellt und für schuldig befunden, darunter auch Aayat Alqormozi. Seit Oktober 2011 werden in Bahrain alle Verfahren an Zivilgerichte übertragen. Amnesty International ist überzeugt, dass Zivilpersonen nicht vor ein Militärgericht gestellt werden dürfen, da diese Praxis gegen internationale Standards für faire Gerichtsverfahren verstößt. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an die bahrainische Ministerin für Menschenrechte, in denen Sie sie auffordern, sicherzustellen, dass das Urteil gegen Aayat Alqormozi aufgehoben wird und alle Anklagepunkte gegen sie fallen gelassen werden. Bitten Sie darum, dass die Folter- und Misshandlungsvorwürfe untersucht und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch an: Dr. Fatima Mohamed Al-Balooshi Minister of Human Rights and Social Development Ministry of Human Rights and Social Development P.O. Box 32868 Manama, BAHRAIN (korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz) Fax: 009 73 - 17 10 49 77 E-Mail: pr@social.gov.bh (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft des Königreichs Bahrain S.E. Herrn Ebrahim Mohmood Ahmed Abdulla Klingelhöfer Straße 7, 10785 Berlin Fax: 030 - 86 87 77 88 E-Mail: info@bahrain-embassy.de

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Foto: Christian Ditsch / Amnesty

AKTIV FÜR AMNESTY

Treten für die Menschenrechte ein. Katja Riemann und Max Herre am 8. Dezember 2011 in Berlin.

AMNESTY KNACKT DIE MILLION häufen, zeigt das Wirkung. Ein positives Beispiel des Briefmarathons 2011 ist Jabbar Savalan aus Aserbaidschan. Er wurde inhaftiert, weil er auf Facebook zu Protesten gegen die Regierung aufgerufen hatte. Am 26. Dezember kam er schließlich frei (Seite 8). Zudem fanden unter dem Motto »Shine a Light« weltweit Lichtaktionen statt. In Berlin »entzündeten« die Schauspielerin Katja Riemann, der Sänger Max Herre und der Generalsekretär von Amnesty Deutschland Wolfgang Grenz eine Lichtprojektion am Potsdamer Platz. In Kanada wurden die Niagarafälle in gelbes Licht getaucht, in Warschau erstrahlte die Amnesty-Kerze am Kulturpalast. Bleibt zu hoffen, dass dieser Briefmarathon ähnlich erfolgreich ist wie der vorherige: 2010 konnten in sieben Fällen positive Entwicklungen vermeldet werden.

Fotos: Amnesty

Über 1,1 Millionen Appellbriefe und E-Mails in 15 Tagen: Das ist das Ergebnis des Briefmarathons 2011 von Amnesty International. Nie zuvor wurden soviele Briefe geschrieben. Der Briefmarathon findet jedes Jahr in den Tagen rund um den 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, statt. Ziel ist es, auf Menschen in Gefahr aufmerksam zu machen. Menschen, die Opfer von Repression und Unterdrückung werden oder der Willkür der Behörden ausgeliefert sind. Zum Beispiel die Jemenitin Fatima Hussein Badi, die in einem unfairen Verfahren die Todesstrafe erhielt oder Jean-Claude Roger Mbede, der in Kamerun zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, weil er angeblich homosexuell ist. Wenn Tausende Menschen überall auf der Welt aktiv werden und die zuständigen Behörden mit Briefen über-

»Shine a Light«. Aktionen von Amnesty-Unterstützern in Kanada, Paris und Wien.

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ES DISKUTIEREN DR. ANNETTE WINDMEISSER, BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT UND ENTWICKLUNG / WOLFGANG STERK, FIAN / DR. ROLAND BANK, UNHCR MODERATION / DR. KATHARINA SPIESS, AMNESTY INTERNATIONAL

BUNDESWEITE DISKUSSIONSREIHE AMNESTY@50 — PERSPEKTIVEN FÜR DIE MENSCHENRECHTE 20. MÄRZ 2012 / 19:00 UHR UNIVERSITÄTSCLUB BONN / KONVIKTSTRASSE 9 50 JAHRE

AKTIV FÜR AMNESTY

Durch ganz unterschiedliche Veranstaltungen geben Amnesty-Mitglieder den Opfern von Menschenrechtsverletzungen eine Stimme. Diese Aktionen vor Ort sind ein unentbehrlicher Teil der Arbeit von Amnesty International. Mehr Informationen darüber finden Sie auf www.amnesty.de/aktiv-vor-ort und www.amnesty.de/kalender

WOLFGANG GRENZ ÜBER

KUNST UND MENSCHENRECHTE

Zeichnung: Oliver Grajewski

MENSCHENRECHTE UND KLIMAWANDEL

Neulich habe ich für eine Tageszeitung mit dem Direktor des Kölner Museum Ludwig, Kasper König, über Kunst diskutiert. Es ging um dessen aktuelle Ausstellung »Vor dem Gesetz«, in der die Grundlagen des Menschseins thematisiert werden und die Frage gestellt wird, was der Mensch braucht, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die Journalistin wollte von mir wissen, ob Kunst überhaupt geeignet sei, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Ich meine, ja. Denn Künstler haben manchmal mehr Freiheiten, ihre Kritik durch Kunst auszudrücken. Wenn Kritik in ein Kunstwerk verpackt ist, ist sie indirekter und somit weniger angreifbar. Aber nicht nur durch ihre Kunst, auch durch ihre Prominenz können Künstler Problembewusstsein schaffen. So wie der chinesische Konzeptkünstler und Bildhauer Ai Weiwei: Dank seines Bekanntheitsgrades kann er Kritik am Regime offener formulieren als viele seiner Landsleute. Dafür musste er einen hohen Preis zahlen, wurde unter fadenscheinigen Gründen inhaftiert und nach seiner Freilassung unter Hausarrest gestellt. Aber: Gegen so jemanden vorzugehen, ist selbst in China nicht einfach. Auch Filmkunst kann etwas bewegen. Amnesty verleiht dieses Jahr zum achten Mal im Rahmen der Berlinale einen Filmpreis. Ausgezeichnet werden Filme, die das Thema Menschenrechte besonders überzeugend umsetzen. Diese Filme klären auf und erreichen Menschen, die sich nicht – so wie wir – tagtäglich mit Menschenrechtsthemen beschäftigen. Die Kamera wird zur Waffe – einer Waffe für friedliche Zwecke! Wolfgang Grenz ist amtierender Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

IMPRESSUM Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn, Tel.: 0228 - 98 37 30, E-Mail: Info@amnesty.de, Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion Amnesty Journal, Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: journal@amnesty.de (für Nachrichten an die Redaktion) Redaktion: Bernd Ackehurst, Markus N. Beeko, Anton Landgraf (V.i.S.d.P.), Larissa Probst, Ralf Rebmann Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Daniel Bax, Daniel Becker, Larissa Bender, Rebecca Brielbeck, Jan Busse, Diana Engel, Peter Franck, Henning Franzmeier, Sara Fremberg, Wolfgang Grenz, Georg Kasch, Jürgen Kiontke, Daniel Kreuz, Wera Reusch, Uta von Schrenk, Frank Selbmann, Arne Semsrott, Maik Söhler, Regina Spöttl, Keno Verseck, Wolf-Dieter Vogel, Saara Wendisch, Sarah Wildeisen, Samar Yazbek, Kathrin Zeiske Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk / schrenkwerk.de

Vertrieb: Carnivora Verlagsservice, Berlin Bankverbindung: Amnesty International, Kontonr. 80 90 100, Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln, BLZ 370 205 00 Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Nichtmitglieder können das Amnesty Journal für 30 Euro pro Jahr abonnieren. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.

ISSN: 1433-4356

Druck: Hofmann Druck, Nürnberg

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Frauendemonstration in Ägypten am 8. März 2011, dem Internationalen Frauentag. Die Demonstrantinnen wurden dabei von einer Gruppe Männer gestört und geschlagen. © Sarah Carr


ÄGYPTEN: FRAUEN AN DIE MACHT! WÄHREND ÄGYPTEN UM SEINE ZUKUNFT KÄMPFT, WERDEN FRAUEN WEITERHIN DISKRIMINIERT UND AN DEN RAND DER GESELLSCHAFT GEDRÄNGT. Frauen in Ägypten waren über Jahrzehnte mit diskriminierenden Gesetzen und einer tief verwurzelten Ungleichheit der Geschlechter konfrontiert. Obwohl sie bei den Protesten und dem Sturz Hosni Mubaraks im Februar 2011 eine wichtige Rolle spielten, werden sie nun von der Gestaltung eines neuen Ägyptens weitgehend ausgeschlossen. Und damit nicht genug! Die Lage der Frauen droht sich sogar zu verschlechtern. So wurden etwa bestehende Frauenquoten für das Parlament abgeschafft. Das ist inakzeptabel! Wir fordern die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an der politischen Neugestaltung Ägyptens und ein Ende der Diskriminierung in Gesetz und Praxis.

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