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Das Magazin FÜr Die Menschenrechte
4,80 eUro
aMnesty joUrnal
lanDplage Wie Der gloBale WettlaUF UM ackerFlächen Menschenrechte verletzt
etappensieg Die Uno hat ein abkommen zum Waffenhandel beschlossen
aMnesty report 2013 Der Bericht dokumentiert die lage in 159 ländern
politisches theater Milo rau bringt den Fall pussy riot auf die Bühne
06/07
2013 jUni/ jUli
Das aMnesty joUrnal – jetzt aUch als app! Mobil und multimedial, mit ausführlichen Bildstrecken und Videos, Podcasts und Online-Aktionen. Die neue Amnesty Journal App ist kostenlos. Sie finden sie im App Store unter »Amnesty Mag«.
Zeichnung: Mareike Engelke
Weitere Informationen: www.amnesty.de/app
Anton Landgraf ist Redakteur des Amnesty Journals
Foto: Mark Bollhorst / Amnesty
eDitorial
»Wir haBen jetzt einen titel … … für unseren monatlichen Rundbrief. Wir haben ihn erstmal ›Informationen‹ genannt – sind aber mit dieser Formulierung nicht sehr zufrieden! Haben Sie einen besseren Vorschlag (der allerdings knapp sein muß)?« Mit diesem kleinen Hinweis begann vor genau 40 Jahren die Geschichte unseres Magazins: Zwar gab es schon zuvor regelmäßige Mitteilungen. Aber mit den »ai-informationen« startete im Juli 1973 die deutsche Sektion von Amnesty International ein eigenes Zeitschriftenformat. Ein neuer Name ließ allerdings noch lange auf sich warten. Wie so oft im Leben erwies sich die provisorische Lösung als äußerst dauerhaft. Erst viele Jahre später wurde die Zeitschrift in »Amnesty Journal« umbenannt. Im Laufe der Zeit hat sich dann nicht nur der Titel mehrfach geändert, sondern auch Layout, Format und Erscheinungsweise. Aus dem unscheinbaren Mitteilungsblatt entwickelte sich ein in der deutschen Presselandschaft einmaliges Magazin, das kontinuierlich über die Lage der Menschenrechte weltweit berichtet. Dafür erhält das Amnesty Journal nicht nur viel Zuspruch von seinen Lesern, sondern es wurde auch vielfach ausgezeichnet. Die ursprüngliche Print-Auflage hat sich bis heute um mehr als das Zwanzigfache gesteigert, das Journal ist mittlerweile an ausgewählten Kiosken erhältlich und kann als App heruntergeladen werden (www.amnesty.de/app). Geändert haben sich aber auch die thematischen und geografischen Schwerpunkte. Besonders auffallend sind die vielen Beiträge über europäische Staaten in den ersten Ausgaben der »ai-informationen«. Spanien, Griechenland oder Portugal – immer wieder wurde von schweren Menschenrechtsverletzungen, von Folter, willkürlichen Festnahmen und Hinrichtungen berichtet. Ein anderes Dauerthema war die Lage in Südafrika und dem damaligen Rhodesien. Die Beispiele zeigen, wie sehr sich die politischen Umstände verändern können. Sie zeigen aber auch, dass die mühsam erkämpften Verbesserungen alles andere als selbstverständlich sind und viel Ausdauer erfordern. Dass sich der Einsatz lohnt, demonstrieren die Erfolge, über die wir im Amnesty Journal berichten können. So informieren wir in dieser Ausgabe über den Abschluss des Vertrages zur Kontrolle des Waffenhandels (ATT), für den sich Amnesty-Aktivisten weltweit eingesetzt haben (siehe Seite 38 und 65). Nun sind weitere Anstrengungen nötig: Damit der Vertrag tatsächlich umgesetzt werden kann, müssen ihn möglichst viele Staaten ratifizieren. Und dafür ist weiterhin öffentlicher und politischer Druck notwendig – auch mit diesem Magazin.
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inhalt
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Titelfoto: Sojabohnen-Ernte bei Tangara da Serra, Brasilien. Foto: Paulo Fridman / Bloomberg / Getty Images
theMa 18 Das große Grabschen Von Uta von Schrenk
20 Liebling der Investmentfirmen Äthiopien vergibt riesige Landflächen an Agrarinvestoren. Der Export von Nahrungsmitteln aus einem der ärmsten Länder der Welt verspricht Millionengewinne. Von Philipp Hedemann
24 Hunger nach Land
rUBriken 06 Weltkarte 07 Erfolge 10 Panorama 12 Nachrichten 13 Interview: Dina Meza 15 Kolumne: Edith Kresta 59 Rezensionen: Bücher 60 Rezensionen: Film & Musik 62 Briefe gegen das Vergessen 64 Aktiv für Amnesty 65 Selmin Çalışkan über Banolen
Ausländische Investoren kaufen oder pachten in den ärmsten Ländern der Welt riesige Ackerflächen – und verdrängen damit Menschen, die ohnehin schon hungern. Von Ramin M. Nowzad
26 »Menschenrechtlich katastrophal« Deutsche Firmen, die Bundesregierung und die EU spielen beim internationalen Landgrabbing eine unrühmliche Rolle. Ein Gespräch mit Roman Herre, Agrarexperte des »Food First Informations- und Aktionsnetzwerks« (FIAN).
29 Wettlauf ums Land Die wichtigsten Akteure beim globalen Handel mit Landflächen.
30 Hüter der Küste In Honduras sind die indigenen Gemeinschaften der Garifuna von Mega-Tourismusprojekten bedroht. Von Kathrin Zeiske
34 Treibstoff für Konflikte Großgrundbesitzer und Multis wie Shell/Cosan weiten ihre Produktion von Zuckerrohr und Soja in Brasilien aus. Leidtragende sind Indigene und Kleinbauern. Von Verena Glass Fotos oben: Philipp Hedemann | Pierre-Yves Brunaud / Picturetank für Amnesty International | Martina Bacigalupo / VU / laif | Andrey Stenin / RIA Novosti / pa
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aMnesty joUrnal | 06-07/2013
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Berichte
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38 Waffen runter
52 Die Welt ist die Bühne
Die Vereinten Nationen haben einen internationalen Waffenhandelsvertrag unterzeichnet – ein Etappensieg für die Menschenrechte. Von Verena Haan
40 Menschenrechte sind grenzenlos Auszüge aus dem Vorwort zum Amnesty Report 2013. Von Salil Shetty, internationaler Generalsekretär von Amnesty International
44 Mein Land liebt mich nicht Seit 2009 sind in Burundi homosexuelle Handlungen verboten. Ein Hintergrundbericht über die gesellschaftlichen Folgen. Von Georg Kasch
47 »Die Mächtigen zeigen Härte, weil sie Angst haben« Der Chinese Chen Guangcheng überlistete vor einem Jahr seine Wachen und floh in die US-Botschaft in Peking. Nun hat der blinde Bürgerrechtler die Bundesrepublik besucht. Von Ramin M. Nowzad
48 »Solidarität ist der Schlüssel« In den Hafensiedlungen der nigerianischen Stadt Port Harcourt sollen mehr als 200.000 Menschen zwangsgeräumt werden. Ein Gespräch mit dem Menschenrechtsaktivisten Marcus George Irimaka.
inhalt
Der Schweizer Regisseur Milo Rau gilt als führender Vertreter des »Reenactment«-Theaters – der Nachstellung der Realität auf der Bühne. Sein Thema sind die Menschenrechte. Sein Stil ist die Provokation. Von Georg Kasch
55 Nicht ungerecht, sondern Unrecht Mit seiner umfassenden Studie »Soziale Menschenrechte« schließt Michael Krennerich, Dozent für Menschenrechte, endlich eine Lücke in der deutschsprachigen Literatur. Von Alexander Hülle
56 Ohrfeige für Säkulare In Tunesien attackieren Salafisten zunehmend Bildungseinrichtungen. Ein prominenter Fall ist der Prozess gegen den Dekan der geisteswissenschaftlichen Fakultät von Manouba. Von Bernd Beier
58 Wenn der Bote die Botschaft nicht versteht US-Starautor Tom Wolfe behandelt in seinem neuen Roman das Zusammenleben von Migranten und den Rassismus der Polizei in Florida – und sieht dabei alt aus. Von Maik Söhler
61 Hinter den Pyramiden Yousry Nasrallahs Film »Nach der Revolution« ist ein filmisches Experiment über die Demokratiebewegung in Ägypten. Von Jürgen Kiontke
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Usa
DeUtschlanD
BelarUs
Der Oberste Gerichtshof der USA hat am 17. April die Klage von zwölf Nigerianern gegen den niederländisch-britischen Ölmulti Shell abgewiesen. Die Kläger sind davon überzeugt, dass der Konzern in Nigeria während der neunziger Jahre in schwerste Verbrechen der Militärdiktatur verstrickt war. Mit ihrem Urteil haben die US-Richter die Reichweite eines Gesetzes von 1789 eingeschränkt, das Ausländern die Möglichkeit einräumt, in den USA Beschwerde einzureichen, wenn sie Opfer gravierender Menschenrechtsverletzungen außerhalb der USA geworden sind. Amnesty hat die Entscheidung des Supreme Court bedauert.
Die Bundesregierung hat Ende April vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf Fehler bei den Ermittlungen zur NSU-Mordserie eingeräumt: Die UNOVertreter verlangen eine lückenlose Aufklärung der Morde. Nur wenige Tage zuvor hatte sich ein anderes Gremium der Vereinten Nationen mit Deutschland beschäftigt: Der Antirassismus-Ausschuss rügte die Bundesrepublik, weil die Berliner Staatsanwaltschaft 2010 eine Klage gegen Thilo Sarrazin wegen Volksverhetzung und Beleidigung abgeschmettert hatte. Die deutschen Behörden hätten versagt, die Bevölkerung vor Rassenhass zu schützen.
Ein neuer Amnesty-Bericht belegt, wie die Regierung in Belarus (Weißrussland) die Zivilgesellschaft im Land fortwährend unterdrückt und schikaniert. Menschenrechtler, Gewerkschafter, Umweltaktivisten und sexuelle Minderheiten werden verfolgt. Friedliche Demonstranten werden immer wieder inhaftiert und teilweise von Polizisten verprügelt. Die Gründung von NGOs oder Parteien wurde über die letzten zwanzig Jahre nahezu unmöglich gemacht. »Die belarussischen Behörden setzen alles daran, jede Form der Kritik zu unterdrücken«, sagt Amnesty-Expertin Carola Söller. »Belarus muss seinen Bürgern erlauben, sich ohne Angst vor Repressionen frei zu äußern.«
Ausgewählte Ereignisse vom 2. April bis 8. Mai 2013.
Brasilien Ein brasilianisches Gericht hat Ende April 23 Polizisten zu je 156 Jahren Haft verurteilt, weil sie vor mehr als zwanzig Jahren in São Paulo eine Gefängnisrevolte blutig niedergeschlagen hatten. Bei dem Massaker im Gefängnis Carandiru waren 1992 mehr als 100 Häftlinge zu Tode gekommen. Die verurteilten Polizisten bleiben auf freiem Fuß, bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Amnesty International begrüßte das Urteil als einen wichtigen Schritt und forderte, dass nicht nur die Polizisten, sondern auch hochrangige Beamte, die damals die Befehle erteilten, für das Blutbad zur Verantwortung gezogen werden.
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eritrea
papUa-neUgUinea
Vor zwanzig Jahren erlangte Eritrea seine Unabhängigkeit von Äthiopien. Doch seither herrscht in dem ostafrikanischen Land Willkürjustiz. Dies zeigt ein neuer Bericht von Amnesty International. Mindestens 10.000 Oppositionelle wurden seit der Unabhängigkeit inhaftiert – häufig ohne Anklage oder Prozess. Schon die leiseste Kritik an der Regierung kann in Eritrea ausreichen, um im Gefängnis zu landen. Die Haftbedingungen sind oft besonders grausam: Gefangene müssen gefesselt über lange Zeiträume in schmerzhaften Positionen verharren, sie werden geprügelt oder gezwungen, sich nackt über scharfkantige Steine zu rollen.
Weil man sie für eine Hexe hielt, wurde Anfang April eine Frau auf der Insel Bougainville im Südwesten des Landes angegriffen, schwer verletzt und gemeinsam mit ihren beiden Töchtern gefangen gehalten. Bereits über Ostern hatte auf Papua-Neuguinea ein aufgebrachter Mob sechs Frauen und einen Mann, die man der Hexerei bezichtigte, entführt und mit glühenden Eisen an den Genitalien gefoltert. Mitte Mai will das Parlament nun über die erneute Vollziehung der Todesstrafe beraten. Amnesty hat die Behörden von Papua-Neuguinea aufgefordert, diese Gewaltakte zwar konsequent zu untersuchen und die Täter zu bestrafen, allerdings ohne Anwendung der Todesstrafe.
aMnesty joUrnal | 06-07/2013
Foto: Alfredo Falvo / Contrasto / laif
erFolge
Stellte sich. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher Bosco Ntaganda.
kongos »terMinator« in Den haag Dr kongo Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat
einen Geburtsfehler: Das Gericht, das weltweit Kriegsverbrechen und Völkermord ahnden soll, verfügt über keine eigene Polizei, um Verdächtige festzunehmen. Doch nun hat sich ein Gesuchter erstmals selbst gestellt: Die Diplomaten der US-Botschaft in Ruanda staunten nicht schlecht, als Mitte März der Rebellenführer Bosco Ntaganda das Botschaftsgelände betrat und darum bat, an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt zu werden. Das Gericht hatte 2006 einen Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher ausgestellt. Nun sitzt Ntaganda, der in der Demokratischen Republik Kongo unter dem Kampfnamen »Terminator« Angst und Schrecken verbreitete, in einer Arrestzelle in Den Haag. »Dies ist eine großartige Nachricht für die Bürger des Kongo, die unter Bosco Ntagandas Verbrechen lange zu leiden hat-
ten«, sagte Fatou Bensouda, die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs. Der 40-jährige Ntaganda erschien Ende März erstmals zur Anhörung vor Gericht, Ende September soll das Vorverfahren beginnen. Die Anklage wirft dem aus Ruanda stammenden Tutsi unter anderem vor, während des Bürgerkrieges im Kongo vor zehn Jahren Kindersoldaten rekrutiert, Morde und Massenvergewaltigungen befohlen und junge Mädchen sexuell versklavt zu haben. Amnesty hatte lange dafür gekämpft, dass Ntaganda nach Den Haag überstellt wird. Dass er sich nun freiwillig gestellt hat, lässt vermuten, dass er um sein Leben fürchten musste. Nach Machtkämpfen innerhalb der von ihm gegründeten Rebellengruppe M23 war Ntaganda aus dem Osten Kongos ins benachbarte Ruanda geflohen. Ein Prozess in Den Haag erschien ihm vermutlich als das geringere Übel.
70.000 UnterschriFten gegen aBschottUngspolitik Der eU eUropäische Union Amnesty International hat europaweit mehr als 70.000 Unterschriften gesammelt, um einen besseren Flüchtlingsschutz an den Außengrenzen der EU einzufordern. »S.O.S Europa« heißt die Petition, die Amnesty am 24. April Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, übergeben hat. Die Petition fordert das Parlament auf, dafür Sorge zu tragen, dass in der europäischen Flüchtlingspolitik die Menschenrechte eingehalten werden. »Das EU-Parlament darf den Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen der Union nicht untätig zusehen«, sagte Amnesty-Asylexpertin Franziska
erFolge
Vilmar. »Die EU-Staaten setzen darauf, den Weg in die EU zu versperren, anstatt gemeinsam für einen wirksamen Flüchtlingsschutz zu sorgen. Die EU macht sich so mitschuldig am Tod verzweifelter Menschen, die beim Versuch sterben, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen.« Jedes Jahr begeben sich mehrere tausend Menschen in seeuntüchtigen Booten auf eine gefährliche Reise, in der Hoffnung, Europas Festland zu erreichen. Viele von ihnen kommen nie an: Sie verdursten, ertrinken oder werden von patrouillierenden Schiffen aufgegriffen, die sie dorthin zurückbringen, von wo sie aufgebrochen sind.
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Foto: Heng Sinith / AP / pa
Liebt das freie Wort. Der Journalist und Regierungskritiker Mam Sonando auf dem Weg zum Berufungsgericht in Phnom Penh, März 2013.
ein schritt in Die richtige richtUng Die Aufhebung der langjährigen Haftstrafe gegen den Journalisten und Regierungskritiker Mam Sonando ist ein Erfolg für die Meinungsfreiheit in Kambodscha. Ein drakonisches Urteil wurde nun gekippt: »Zwanzig Jahre Haft wegen Anstiftung zum Aufstand«, so hatte im Oktober 2012 der Richterspruch gegen den bekannten kambodschanischen Journalisten und Regierungskritiker Mam Sonando gelautet. »Dieses Urteil war unerklärlich. Dem Gericht wurden keinerlei Beweismittel vorgelegt, die belegt hätten, dass dieser Aufstand überhaupt stattgefunden hat oder dass Mam Sonando daran beteiligt war«, sagt Rupert Abbott, Kambodscha-Experte von Amnesty International, der Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung verfolgte. Der Schuldspruch des vergangenen Jahres legt den Verdacht politischer Einflussnahme nahe. Die Verurteilung des 72-Jährigen stand im Zusammenhang mit der gewaltsamen Räumung des Dorfes Pro Ma. Die Gemeinde war in einen langwierigen Landkonflikt mit einem Kautschukunternehmen verwickelt. Im Mai 2012 vertrieben die Behörden fast tausend Familien gewaltsam aus dem Dorf, dabei wurde ein 14-jähriges Mädchen erschossen. Ihr Tod ist bis heute nicht aufgeklärt. In einer beim Internationalen Strafgerichtshof eingereichten Klage werden der kambodschanischen Regierung rechtswidrige Zwangsräumungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Hierüber hatte Mam Sonando in einer Sendung seines »Beehive Radio« berichtet, einem der wenigen unabhängigen Radiosender des Landes. Daraufhin unterstellte der kambodschanische Ministerpräsident Hun Sen in einer Rede Mam Sonando, er habe die Abspaltung Pro Mas von Kambodscha geplant.
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Der Journalist hat die NGO »Association of Democrats« gegründet, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt. Amnesty vermutet hierin und in der großen Popularität seines Radiosenders die wahren Gründe für seine Verhaftung. Mam Sonando wurde bereits mehrfach wegen Beiträgen von »Beehive Radio« inhaftiert: 2003, als er über Ausschreitungen gegen Thailänder in Phnom Penh berichtete, und zwei Jahre später wegen eines Interviews der Gruppe »Cambodia’s Border Committee«, die die Grenzpolitik Kambodschas kritisiert. Damals wurde er wegen »Verleumdung«, »Falschinformation« und »Aufwiegelung« angeklagt. Nach internationalem Druck konnte Mam Sonando das Gefängnis nach drei Monaten verlassen. Die Verurteilung des Journalisten im Oktober 2012 zu zwanzig Jahren Haft wegen »Anstiftung zum Aufstand« löste ebenfalls Kritik aus. Amnesty International betrachtete Mam Sonando als gewaltlosen politischen Gefangenen, der aufgrund der Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung verfolgt wird. Ein Antrag auf Freilassung gegen Kaution wurde abgelehnt. Im März 2013 hob ein Berufungsgericht die zwanzigjährige Haftstrafe gegen Mam Sonando auf und verurteilte ihn stattdessen zu fünf Jahren Haft wegen »Anstiftung zu rechtswidrigem Abholzen und Besetzen eines Waldstücks«. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Journalist bereits acht Monate in Haft verbracht. Die Reststrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Zwar gibt es Zweifel an der Fairness des Prozesses wegen der neuen Anklagepunkte, Amnesty International begrüßt jedoch die Freilassung von Mam Sonando und sieht darin eine positive Entwicklung in Richtung Meinungsfreiheit in Kambodscha. Text: Katharina Nägler
aMnesty joUrnal | 06-07/2013
einsatz Mit erFolg Weltweit beteiligen sich Tausende Menschen mit Appellschreiben an den »Urgent Actions«, den »Briefen gegen das Vergessen« und an Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen diese Beispiele.
nach 91 tagen WieDer in Freiheit
saUDi-araBien 91 Tage lang fehlte von ihm jede Spur: Der Informatiker Khalid al-Natour, der in Saudi-Arabien ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft saß, kam am 7. April frei. Der jordanische Staatsbürger war mit vier seiner Kollegen am 6. Januar zu einer Geschäftsreise nach Saudi-Arabien aufgebrochen. Doch schon am Flughafen in Riad nahmen ihn Sicherheitskräfte fest. 25 Tage musste er in Einzelhaft verbringen, erst nach einem Monat gewährte man ihm Hofgang. Während seiner Zeit im Gefängnis wurde ihm ein Rechtsbeistand verwehrt. Die Behörden erhoben weder Anklage gegen ihn, noch begründeten sie seine Inhaftierung. AlNatour gehört der Bewegung »Herak« an, die sich in Jordanien für Reformen einsetzt. Im September 2011 war er schon einmal nahe des saudischen Konsulats in der jordanischen Hauptstadt Amman festgenommen worden, als er gegen den Einfluss von Saudi-Arabien in Bahrain demonstrierte.
Todeskandidaten, deren Alter umstritten ist, sollen nun von einem medizinischen Ausschuss untersucht werden.
peitschenhieBe nicht vollstreckt
MaleDiven Es war ein drakonisches Urteil: Eine 15-Jährige wurde im Februar auf den Malediven zu 100 Peitschenhieben und acht Monaten Hausarrest verurteilt, weil sie vorehelichen Sex hatte. Nun hat sich die Regierung der Malediven verpflichtet, das Mädchen vor der Vollstreckung der Strafe zu schützen. Die Regierung stand in dem Fall unter starkem Druck, da das Schicksal des Teenagers international hohe Wellen schlug. Der Stiefvater soll das Mädchen über Jahre vergewaltigt haben. Während die Behörden den Missbrauchsfall im vergangenen Jahr untersuchten, stießen sie darauf, dass das Mädchen auch mit einem anderen Mann sexuellen Kontakt hatte. Im Februar verurteilte ein Jugendgericht die 15-Jährige wegen »Unzucht«. Daraufhin erhielt das Mädchen weltweit Solidaritätsbekundungen, auch Amnesty setzte sich für die junge Frau ein.
Martínez Arias wurde am 9. April aus der Haft entlassen. Er war zuvor zwei Mal in den Hungerstreik getreten, um gegen seine Inhaftierung zu protestieren – zuletzt am 8. März: Martínez Arias nahm 22 Tage keine Nahrung zu sich, bis ihm die kubanischen Behörden schließlich zusagten, dass er auf freien Fuß komme. Amnesty International betrachtete ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen. Nach seiner Entlassung bedankte sich Calixto Ramón Martínez Arias bei allen Amnesty-Aktivisten, die sich für ihn eingesetzt hatten. Martínez Arias geht davon aus, dass der internationale Druck seine Freilassung bewirkt hat.
gericht stoppt exekUtion
Er war sieben Monate im Gefängnis, ohne dass man gegen ihn Anklage erhoben hatte. Nun ist er wieder frei: Der kubanische Journalist Calixto Ramón
Usa Er sollte per Giftinjektion sterben, doch fünf Stunden, bevor das Todesurteil vollstreckt werden sollte, hat der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaates Mississippi die Hinrichtung von Willie Manning am 7. Mai gestoppt. Der 44-jährige Manning befindet sich seit mehr als 18 Jahren im Todestrakt. Er war 1994 aufgrund von Indizien zum Tode verurteilt worden, weil er 1992 ein Studentenpaar getötet haben soll. Er hat stets seine Unschuld beteuert. Mannings Anwälte haben den Aufschub der Hinrichtung beantragt, nachdem das FBI und das Justizministerium Fehler bei den Ermittlungen eingeräumt hatten und neue Untersuchungen für zulässig hielten.
Endlich frei. Calixto Ramón Martínez Arias.
Unrecht. Todesstrafen-Gegnerin in den USA.
joUrnalist nach hUngerstreik entlassen kUBa
jeMen Er erwartete seinen Tod, nun darf er wieder hoffen: Der junge Jemenit Muhammad al-Qassem sollte am 5. Mai hingerichtet werden, doch am Tag zuvor stoppten die Behörden die Vollstreckung des Todesurteils. Der Grund: Es ist noch immer umstritten, ob al-Qassem zum Tatzeitpunkt volljährig war. Das jemenitische Gesetz verbietet es, Straftäter zu exekutieren, die zum Zeitpunkt der Tat jünger als 18 Jahre alt waren. Doch das Alter eines Delinquenten ist nicht immer leicht zu ermitteln, denn in vielen Regionen des Jemen stellen die Behörden keine Geburtsurkunden aus. Bereits im Februar 2013 hatte der jemenitische Präsident dem zum Tode Verurteilten al-Qassem einen Hinrichtungsaufschub gewährt – vier Tage vor der damals angesetzten Vollstreckung. Sein Fall und weitere Fälle von
erFolge
Fotos: Hablemos Press, Rogelio V. Solis / AP / pa
hinrichtUng aUFgeschoBen
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Foto: Sanjit Das / Panos
haiti: zWangsräUMUngen verschliMMern Die notlage Der erDBeBenopFer
Drei Jahre nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti leben Zehntausende Menschen noch immer in Flüchtlingslagern. Nun müssen die Erdbebenopfer auch noch um ihre provisorischen Unterkünfte bangen, weil diese sich auf öffentlichen Plätzen oder auf Privatgrundstücken befinden: Nach einem neuen Bericht von Amnesty International ist rund ein Viertel der 320.000 Flüchtlinge von Zwangsräumungen bedroht. Allein von Januar bis März dieses Jahres nötigten die haitianischen Behörden rund tausend Familien, ihre Heime zu verlassen. Seit 2010 wurden insgesamt mehr als 61.000 Menschen aus ihren provisorischen Unterkünften gedrängt. Bei den Zwangsräumungen wendet die Polizei oft Gewalt an. Am 12. Januar 2010 hatte ein Erdbeben der Stärke 7,0 Haiti erschüttert. Rund 250.000 Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als zwei Millionen Menschen wurden obdachlos.
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aMnesty joUrnal | 06-07/2013
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inDien: gericht verhinDert Minenprojekt aUF inDigeneM lanD
Es ist ein Meilenstein für die Rechte der indigenen Bevölkerung Indiens: Das Oberste Gericht des Landes hat entschieden, dass die indigenen Bevölkerungsgruppen im Bundesstaat Odisha (ehemals Orissa) selbst darüber entscheiden dürfen, ob das britisch-indische Unternehmen »Vedanta« auf ihrem Land eine Mine zum Abbau des Aluminiumerzes Bauxit errichten darf. Der Konzern hatte eine Mine auf dem Land der Dongria Kondh in den Niyamgiri-Hügeln geplant, die 670 Hektar umfassen sollte. Die indigene Bevölkerung betrachtet die Hügel als heiliges Land. Amnesty International begrüßte das Urteil des Obersten Gerichtes. »Die Dongria Kondh-Gemeinschaft setzt sich seit einem Jahrzehnt für den Fortbestand ihrer Lebensweise ein, die Hügel sind Teil ihrer Identität«, sagte ein Vertreter von Amnesty International in Indien. »Dieses Urteil ist daher von immenser Bedeutung.«
Foto: Damon Winter / The New York Times / Redux / laif
panoraMa
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Foto: Amnesty
nachrichten
Bei Amnesty aktiv. Der Kölner Schriftsteller Doğan Akhanlı (Zweiter von rechts).
»iM Falschen FilM« Vor zwei Jahren sprachen türkische Richter den Kölner Schriftsteller Doğan Akhanlı vom Vorwurf frei, an einem Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein. Nun soll der Prozess neu aufgerollt werden. Der in Köln lebende Schriftsteller Doğan Akhanlı soll sich in seiner Heimat Türkei erneut vor Gericht verantworten, nachdem er 2011 vom Vorwurf freigesprochen worden war, vor mehr als zwanzig Jahren an einem Raubüberfall auf eine Wechselstube in Istanbul beteiligt gewesen zu sein. Dies hat das höchste türkische Berufungsgericht im April angeordnet. Die Geschichte der Anklage reicht bis in die achtziger Jahre zurück, als der engagierte Linke nach dem Militärputsch verfolgt wurde. Anfang der neunziger Jahre flüchtete Doğan Akhanlı nach Deutschland und nahm später die deutsche Staatsbürgerschaft an. Als er 2010 in die Türkei einreiste, um seinen schwerkranken Vater zu besuchen, wurde er am Flughafen verhaftet. »Ich bin vor vielen Jahren weggegangen als Untergrundkämpfer und zurückgekehrt als Schriftsteller. Das hat der Türkei nicht gefallen«, sagte Akhanlı bei der Amnesty-Jubiläumsgala im März 2011.
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Die türkischen Behörden warfen dem Schriftsteller vor, 1989 an einem Überfall auf ein Geschäft beteiligt gewesen zu sein, bei dem der Inhaber erschossen wurde. Verantwortlich sei eine linke »Terrororganisation« gewesen, zu der Akhanlı gehört habe. Sein Name war von einem damals Verhafteten ins Spiel gebracht worden, den man während des Verhörs schwer gefoltert hatte. In dem Prozess im Jahr 2011, den Amnesty International beobachtete, wurde Akhanlı von allen Zeugen vollständig entlastet. Das Berufungsgericht wies nun die Zeugenaussagen als unerheblich zurück und ließ nur noch den Polizeibericht mit den durch Folter erpressten Aussagen von 1989 gelten. Akhanlı zeigte sich über die Aufhebung des Freispruchs schockiert: »Ich glaube, ich bin im falschen Film«, sagte er. Mit Entsetzen hat auch der Journalist Günter Wallraff die Nachricht aufgenommen: »Die Türkei hat eine Mitgliedschaft in der EU anscheinend abgeschrieben. Das Land scheint es nicht mehr nötig zu haben, sich an irgendwelche Menschenrechtsstandards zu halten. Stattdessen werden kritische Intellektuelle willkürlich kriminalisiert.«
So wie der türkische Pianist und Komponist Fazıl Say, der kürzlich wegen »Beleidigung des Islam« zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Say hatte die türkische Regierung kritisiert und sich satirisch über den Koran geäußert. Im Januar hatte ein türkisches Gericht die im französischen Exil lebende Soziologin Pınar Selek wegen eines angeblichen Bombenanschlags zu lebenslanger Haft verurteilt. Beobachter bezeichneten den Prozess als Farce (siehe Amnesty Journal 04-05/2013). Amnesty sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Türkei nicht gewährleistet. Gegen Hunderte Aktivisten, Journalisten, Schriftsteller und Anwälte werden Strafverfahren eingeleitet. Grundlage sind zumeist die berüchtigten Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches »Beleidigung des Türkentums« und 318 »Distanzierung des Volkes vom Militär«. Doğan Akhanlı droht bei einem Schuldspruch eine lebenslange Freiheitsstrafe. Vermutlich wird der Prozess im Sommer neu aufgerollt. Bei einer Einreise in die Türkei fürchtet Akhanlı eine erneute Verhaftung. Text: Sylvia Meier
aMnesty joUrnal | 06-07/2013
Im britischen Exil. Die honduranische Journalistin Dina Meza.
intervieW
Dina Meza
Die Journalistin Dina Meza engagiert sich in Honduras seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Rechte der Bürger – und bringt sich damit selbst in Gefahr. Sie leben derzeit in England. Warum haben Sie Ihre Heimat verlassen? Ich stand in Honduras seit Jahren unter immensem Druck – wie viele andere Menschenrechtsverteidiger auch. Es begann mit Drohbotschaften per SMS – auf meinem Handy gingen wiederholt Nachrichten ein, in denen mir sexuelle Gewalt angedroht wurde. Später merkte ich, dass man mich beschattete und mein Telefon rund um die Uhr abhörte. Ich fühlte mich regelrecht verfolgt. Als schließlich auch noch meine Kinder eingeschüchtert wurden, spürte ich, dass es Zeit war zu gehen. Jetzt besuche ich gemeinsam mit anderen Menschenrechtsaktivisten aus verschiedenen Ländern einen dreimonatigen Intensivkurs an der Universität York im Norden Englands. Dort bringt man uns bei, wie wir in unseren Heimatländern besser für unsere eigene Sicherheit sorgen können. Nach dem Ende des Kurses werde ich wieder nach Honduras zurückkehren. Es ist also ein Exil auf Zeit. Seit mehr als zwanzig Jahren kämpfen Sie in Honduras für Menschenrechte. Gab es einen Auslöser für Ihr Engagement? Mich hat das Schicksal meines Bruders Víctor seinerzeit aufgeschreckt: Paramilitärs verschleppten ihn im Sommer 1989 in ein geheimes Foltergefängnis. Als er nach einigen Wochen wieder auftauchte, bezichtigte man ihn und sieben andere Entführte, Links-Terroristen zu sein. In der Folge kämpfte ich gemeinsam mit meiner Familie dafür, dass die Beschuldigten rehabilitiert würden. Schließlich trat ich der Menschenrechtsorganisation COFADEH bei, die sich um das Schicksal von Menschen kümmert, die in Honduras von Sicherheitskräften verschleppt worden sind. Nach einer längeren Unterbrechung bin ich nun seit vier Jahren wieder für COFADEH tätig.
nachrichten
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intervieW
Foto: Ralf Rebmann
»ich Will WeiterkäMpFen« Vor vier Jahren putschte das Militär in Honduras. Wie hat der Staatsstreich das Land verändert? Seit dem Putsch hat sich die Lage im Land drastisch verschlechtert. Honduras erlebt de facto eine Remilitarisierung der Gesellschaft. Die Grenzen zwischen Polizei und Militär verschwimmen immer mehr. Menschen werden bedroht, eingeschüchtert, entführt, inhaftiert und in unfairen Prozessen abgeurteilt. Inzwischen sind regelrechte Todesschwadronen aktiv, die gezielt Menschen verfolgen, die es gewagt haben, Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu üben. COFADEH hat dokumentiert, dass seit 2009 mindestens 148 Menschen verschwunden sind oder getötet wurden. Die Opfer sind Journalisten, Gewerkschafter, Kleinbauern oder Umweltschützer. Und wer sich für die Verfolgten einsetzt, droht selbst verfolgt zu werden. Im kommenden November wählt das Land einen neuen Präsidenten. Ein Grund zur Hoffnung? Nein. Ein paar einflussreiche Familien teilen sich die Macht, und sie werden es nicht zulassen, dass sich das politische System durch Wahlen grundlegend ändert. An den Wahlen wird zwar eine Partei des Widerstandes teilnehmen, die sich kürzlich gegründet hat – ihr Name ist »LIBRE«. Allerdings wird die herrschende Oligarchie alles unternehmen, um der Partei das Rückgrat zu brechen. Bisher wurden bereits 27 Parteifunktionäre ermordet. Und ich fürchte, dass sich die staatliche Gewalt im Laufe des Wahljahres noch verschärfen wird. Sie wollen trotzdem bald in Ihre Heimat zurückkehren. Setzen Sie sich damit nicht großer Gefahr aus? Mag sein. Aber ich will weiterkämpfen. Fragen: Ramin M. Nowzad Siehe auch Seite 30.
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aMnesty joUrnal | 06-07/2013
Thema: Landgrabbing
Hungerländer werden zu Kornkammern der Welt. Was so hoffnungsvoll klingt, ist seit einigen Jahren bittere Realität: Reiche Staaten und Investoren sichern sich in Entwicklungsländern gigantische Landflächen, um dort intensiven Ackerbau zu betreiben. Jedoch nicht für die örtliche Bevölkerung. Im Gegenteil, die wird ausgehungert: Kleinbauern werden von ihrem Land vertrieben, Grundwasser wird durch Pestizide vergiftet und die angebaute Nahrung exportiert.
Weizen in Kenia. Die Börsen haben Ackerland als Option entdeckt. Foto: Trevor Snapp / Bloomberg / Getty Images
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Heuschrecken. Sojabohnen-Ernte in Mato Grosso, Brasilien.
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aMnesty joUrnal | 06-07/2013
Das große Grabschen »Landgrabbing« bedeutet auf Deutsch »nach Land grabschen«. Was salopp klingt, beschreibt den knallharten Wettlauf reicher Staaten, Firmen und Investoren um gigantische Landflächen vor allem in gescheiterten Staaten Afrikas und Asiens, deren Regierungen die Lebensgrundlage ihrer Bürger gegen Bargeld veräußern oder langfristig verpachten. In welche Schieflage Staaten, auch hinsichtlich ihrer Souveränität, durch diese Deals geraten können, zeigt das Beispiel Kambodscha. Hier sind inzwischen über zwei Millionen Hektar Acker in ausländischer Hand – das ist mehr als Hälfte der nutzbaren Fläche des Landes. Doch auch in Europa haben Finanzjongleure Ackerland als börsenfähige Ware entdeckt. Strukturell findet Landgrabbing also inzwischen überall statt. Produziert wird auf diesen Anbauflächen für den Export: Agrartreibstoffe wie Zuckerrohr-Ethanol in Brasilien (Seite 34), aber auch Nahrungsmittel wie Mais oder Soja. Doch nicht nur die Agrarindustrie ist in das Landgrabbing involviert, auch die Tourismusindustrie versucht, sich attraktive Landflächen im großen Stil – etwa an der honduranischen Küste (Seite 30) – zu sichern. Besonders krass sind die Folgen der Landnahme in den Entwicklungsländern zu beobachten. Zum Opfer wird die örtliche Bevölkerung – Kleinbauern, Indigene, Landarbeiter. Vertrieben von ihrem Land dürfen sie sich fortan für einen Hungerlohn auf den Latifundien der neuen Besitzer verdingen. Doch damit nicht genug: Kunstdünger,
Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel der High-Tech-Farmen hinterlassen ihre giftigen Spuren im Trinkwasser und auf dem Land der Anwohner. Ihre Menschenrechte werden buchstäblich untergraben: Zwangsumsiedlung und Vertreibung, bewaffnete Konflikte und verschärfte Hungersnöte sind die zynischen Begleitumstände der Mega-Deals. Die Rolle westlicher Regierungen in dieser Gemengelage ist unrühmlich. So heizt die Europäische Union mit ihrer Förderung von Agrartreibstoffen den weltweiten Anbau der sogenannten »Flexcrops« an (Seite 26). Das Zusatzprotokoll zum Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte räumt Menschen, deren Recht auf Nahrung verletzt wird, ein internationales Klagerecht ein. Dies wäre ein wirksamer Hebel gegen Landgrabbing. Wäre. Die deutsche Regierung etwa hat dieses Protokoll bis heute nicht ratifiziert. Uta von Schrenk ist Journalistin und arbeitet für das Amnesty Journal.
Foto: Paulo Whitaker / Reuters
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Liebling der Inves Äthiopien vergibt riesige Landflächen an Agrarinvestoren. Der Export von Nahrungsmitteln aus einem der ärmsten Länder der Welt verspricht Millionengewinne. Von Philipp Hedemann (Text und Fotos)
Agrarinvestor. Mit riesigen Traktoren wird auf der gigantischen Farm »Karuturi« das unberührte Buschland urbar gemacht.
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ur Reds Kopf lugt aus dem Grün hervor. Seit dem frühen Morgen kniet der Junge bei knapp 40 Grad inmitten eines Zuckerrohrfeldes und jätet Unkraut. Ein Inder mit einem großen Sonnenhut steht neben ihm und passt auf, dass er nichts übersieht. Red ist acht Jahre alt. Umgerechnet 83 Cent verdient er, wenn er einen Tag lang auf dem Feld im Westen Äthiopiens schuftet. Seine Arbeitskraft ist billiger als Pflanzenschutzmittel. Der indische Farmpächter will bald Millionen verdienen, indem er Lebensmittel exportiert, die im Hungerland Äthiopien mithilfe von Kinderarbeit produziert wurden. In einem der ärmsten Länder der Welt hat das sogenannte Landgrabbing, der Wettlauf um riesige landwirtschaftliche Produktionsflächen, begonnen. Die sozialen und ökologischen Risiken und Chancen sind noch nicht absehbar. »Noch ist hier überall Wildnis, aber bald wird hier alles ordentlich aussehen, und wir werden unter anderem Zuckerrohr und Ölpalmen anbauen«, sagt Karmjeet Singh Sekhon, als er
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sich in einem Toyota-Pick-up über seine Farm kutschieren lässt. Rechts und links der Piste brennt das bislang unberührte Buschland. Wo die gelegten Feuer zu schwach waren, helfen Bulldozer nach. Der 68-jährige Inder ist Manager der gigantischen Farm »Karuturi«, die sich auf einer Fläche von zunächst 100.000 Hektar im Westen Äthiopiens erstreckt. Bald sollen es 300.000 Hektar sein – eine Fläche größer als Luxemburg. Beschleunigt durch den Anstieg und die Schwankungen der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt und Hungerrevolten in 15 Ländern begann 2008 ein beispielloser Run auf landwirtschaftliche Produktionsflächen in Afrika, Südamerika und Asien. Ein Weltbank-Bericht vom September 2010 kommt zu dem Ergebnis, dass allein im Jahr 2009 weltweit 45 Millionen Hektar Land verpachtet wurden. Zwischen 1998 und 2008 waren es »nur« rund vier Millionen Hektar pro Jahr. Und der Hunger nach Land ist noch nicht gestillt. Die Weltbank geht davon aus, dass – konservativ geschätzt – in den Entwicklungsländern
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Kleinbauer. Landwirt Ojwato mit seinem Grabstock, seinem Universalwerkzeug, auf seinem knapp einen Hektar großen Acker.
bis zum Jahr 2030 jedes Jahr weitere sechs Millionen Hektar Farmland an Investoren verpachtet werden. Vor allem Länder wie Indien und die Golfstaaten wollen so den Hunger ihrer wachsenden Bevölkerung stillen oder einfach Ernten erzielen, um damit auf dem Weltmarkt zu handeln. Mais, Reis, Weizen, Soja, Sorghum, Sesam, Zuckerrohr und Ölpflanzen für die Biospritproduktion stehen bei den Investoren besonders hoch im Kurs. Die Weltbank sieht darin Gefahr und Chance zugleich. »Die Landakquisitionen bergen ein großes Risiko. Der Schleier der Geheimhaltung, der auf diesen Land-Deals liegt, muss gelüftet werden, damit die armen Leute nicht den Preis zahlen und ihr Land verlieren«, sagt Weltbank-Direktorin Ngozi Okonjo-Iweala. Bei einer Hungerkatastrophe starben vor 28 Jahren in Äthiopien mehr als eine Million Menschen. Der Großteil der Nahrungsmittelhilfe, die in dem immer wieder von Dürren betroffenen Land am Horn von Afrika verteilt wird, wird aus dem Aus-
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land importiert. Kein Problem, findet Farm-Manager Sekhon. »Ein Teil unserer Produktion bleibt in Äthiopien und mit dem Export kommen harte Devisen ins Land, mit denen Äthiopien auf dem Weltmarkt einkaufen kann«, sagt der Inder. Ein Gesetz, das besagt, dass ein gewisser Prozentsatz im Land bleiben muss, gibt es nicht, und Karuturi-Marketing- und Logistik-Chef Birinder Singh macht keinen Hehl daraus, dass seine Firma rein wirtschaftliche Ziele verfolgt und an den verkaufen wird, der am meisten zahlt. Egal wohin. In Äthiopien leben rund 85 Prozent der rund 90 Millionen Einwohner von der Landwirtschaft, doch die Erträge gehören zu den geringsten weltweit. Meist werden die kargen Felder wie vor Hunderten von Jahren mit einem vom Ochsen gezogenen Holzpflug bestellt. Dünger, Pflanzenschutzmittel und Bewässerung gibt es überwiegend nicht. Die äthiopische Regierung erhofft sich von der Verpachtung riesiger Flächen an ausländische Investoren den so dringend benötigten Modernisierungsschub für
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Billige Arbeitskräfte. Red Paul (8) jätet mit anderen Kindern Unkraut.
Zufriedener Manager. Karmjeet Singh Sekhon.
äthiopien Äthiopien ist das ideale Ziel für Landgrabber: Da die Staatskassen des ostafrikanischen Landes chronisch klamm sind, haben finanzstarke Investoren leichtes Spiel. Es gibt keinen privaten Grundbesitz, alles Land – insgesamt 111,5 Millionen Hektar – gehört dem Staat. 3,6 Millionen Hektar v.a. im Westen des Landes hat die Regierung jetzt für Investoren zur Verfügung gestellt, rund ein Zehntel davon ist bereits verpachtet. Umgerechnet 4,62 bis 166,55 Euro zahlen die Investoren pro Hektar und Jahr. Die Verträge haben Laufzeiten von 20 bis 45 Jahren. Dazu gewährt der Staat Steuerbefreiungen, zollfreien Export von Ernten und zollfreien Import von Maschinen. Kritik an der Verpachtungspraxis ist in Äthiopien unerwünscht. In dem Land, das im Pressefreiheitsranking von »Reporter ohne Grenzen« auf Platz 137 landet, werden oppositionelle Journalisten und Regierungskritiker regelmäßig verhaftet.
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die Landwirtschaft und beruft sich dabei unter anderem auf die Welternährungsorganisation (FAO). Laut FAO muss die Nahrungsmittelproduktion zwischen 2010 und 2050 um 70 Prozent erhöht werden, um den weltweiten Hunger bei steigender Bevölkerung und gleichzeitig abnehmender landwirtschaftlicher Fläche stillen zu können. Kritiker werfen der äthiopischen Regierung den Ausverkauf des Landes vor. Doch der im vergangenen Jahr verstorbene Premierminister Meles Zenawi wollte die Kritik nie gelten lassen. Wer ausländische Konzerne des Landgrabbings bezichtige, sei schlecht informiert oder hege böse Absichten, meinte der Politiker. »Wir möchten nicht die jungfräuliche Schönheit unseres Landes bewundern, während wir verhungern«, sagte der für seine scharfzüngigen Kommentare bekannte Regierungschef. Kein Wunder, dass die äthiopische Regierung zum Liebling der internationalen Agro-Investmentfirmen avanciert ist. »Es gibt jede Menge gutes Land, genug Wasser, billige Arbeitskräfte und eine stabile Regierung, die für Law and Order sorgt«, sagt Birinder Singh von Karuturi. In unmittelbarer Nachbarschaft der Karuturi-Farm will der äthiopisch-saudische Scheich Mohammed Hussein Ali Al Amoudi, einer der reichsten Männer der Welt, auf der Farm seiner Firma Saudi Star bald bis zu einer Million Tonnen Reis pro Jahr anbauen. Offensichtlich größtenteils für den Export, denn Reis steht bislang kaum auf dem äthiopischen Speiseplan. Laut Esayas Kebede, Chef der staatlichen Agentur, die für die Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen zuständig ist, profitiert Äthiopien vielfach. »Durch den Export der Lebensmittel kommen dringend benötigte Devisen ins Land. Die Farmen sorgen für Beschäftigung. Technik und Know-how werden importiert, sie helfen uns, die Produktivität zu verbessern und so die Ernährungssicherung zu erhöhen«, sagt Kebede. Doch helfen die großen Farmen tatsächlich, die Armut zu bekämpfen? Philipp Baumgartner promoviert derzeit genau zu dieser Frage am renommierten Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn. Die Daten für seine Studie sammelte er unter anderem auf einer 10.000 Hektar großen saudischen Reisfarm in der Region Gambella. Er sieht Vor- und Nachteile: »Die Investmentaktivitäten in Gambella haben bereits in den ersten zwei Jahren die Löhne steigen lassen und viele neue Jobs geschaffen. Analysen zeigen zwar, dass es mittelfristig zu wirtschaftlichem Aufschwung in der Region kommen wird, eine kombinierte Strategie mit mehr Investitionen in Kleinproduzenten würde allerdings noch mehr Jobs schaffen und einen höheren Lebensstandard ermöglichen«, sagt der Agrarökonom. Nicht alle wollen den vermeintlichen Fortschritt. Bauer Ojwato steht auf seinem knapp einen Hektar großen Feld. Eine knappe Minute braucht der Dorfvorsteher, um sein Feld, das er nur mit einem Grabstock bestellt, abzulaufen. Mehrere Stunden braucht Farmmanager Sekhon, um mit seinem Geländewagen die Farm, die er mit Bulldozern und 450-PS-Traktoren urbar macht, abzufahren. Ojwato macht es wütend, dass die neben seinem Feld angebauten Lebensmittel exportiert werden sollen, während er und seine Familie regelmäßig auf Hilfslieferungen angewiesen sind. »Als die Ausländer mit ihren großen Maschinen kamen, haben sie uns versprochen, dass sie uns Strom, Wasser und Krankenhäuser bringen. Davon ist bislang nichts zu sehen. Sie haben nur ein paar von uns schlechtbezahlte Arbeit gegeben«, sagt der Bauer. »Wir zahlen immer den nationalen Mindestlohn«, sagt Birinder Singh stolz, und Esayas Kebede von der äthiopischen
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Regierung sagt lapidar, dass niemand gezwungen werde, bei den Indern zu arbeiten. Dennoch schuften viele Kinder auf den Feldern. »Die spielen doch nur im Gras«, sagt Esayas Kebede, als er mit den Fotos der arbeitenden Kinder konfrontiert wird. Auch wenn seine Familie das kärgliche Einkommen gut gebrauchen könnte, hat Bauer Ojwato seinen Kindern verboten, bei den Indern zu arbeiten. Sie sollen später Lehrer, Ärzte oder Ingenieure werden, doch dazu müssen sie zur Schule gehen, anstatt auf den Feldern zu schuften. Nicht alle sind so weitsichtig wie Bauer Ojwato. »Manchmal kommen nur fünf von sechzig Schülern zum Unterricht. Die anderen arbeiten auf den Feldern«, sagt Tigaba Tekle. Er ist stellvertretender Leiter einer Schule, die unmittelbar an die Karuturi-Farm grenzt. Offiziell werden für die Großfarmen bislang ungenutzte Flächen bebaut, doch Menschenrechtsgruppen befürchten, dass es zu Zwangsumsiedlungen kommt. Ein heikles Thema, das Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) bei einem Äthiopienbesuch ansprach. »Premierminister Meles Zenawi versicherte uns, dass es keine Zwangsumsiedlungen geben werde. Sollten wir davon Kenntnis erhalten, sollten wir uns persönlich bei ihm melden. Das haben wir uns gut gemerkt«, sagte der Minister nach einem Treffen mit Meles Zenawi. Fakt ist: In Westäthiopien findet derzeit ein staatliches Umsiedlungsprogramm statt. Auch wenn kein expliziter Zusammenhang zwischen den Großfarmen und den Umsiedlungen besteht, vermuten die Betroffenen genau das. Laut Regierung finden alle Umsiedlungen freiwillig statt und dienen lediglich dazu, der Bevölkerung einen besseren Zugang zu Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen zu gewähren. Die Realität sieht anders aus. Mit ihren drei Kindern kauert Bäuerin Turu Omod vor dem, was von ihrem Speicherhaus und ihrer Maisernte übriggeblieben ist. »Die Regierung hat uns immer wieder gesagt, wir sollen
in ein neues Dorf ziehen, aber wir wollten hier bleiben«, sagt die Frau. Kurz darauf brannten am helllichten Tag mehrere Hütten der kleinen Siedlung nieder. Eine Frau wurde schwer verletzt. Die Bewohner vermuten, dass die Regierung mit dem Feuer dem »freiwilligen« Umsiedlungsprogramm Nachdruck verleihen wollte, um so unbesiedeltes Land für ausländische Investoren zu schaffen. Die Regierung bestreitet dies, hinderte den Autor jedoch an seinen Recherchen in den Umsiedlungsgebieten und wollte ihm einen offiziellen Begleiter zur Seite stellen. Begründung: »Wir wollen nicht, dass Sie politisch unerwünschte Informationen sammeln.« Nicht nur Menschenrechtler, auch Umweltschützer haben ein Problem mit den neuen Großfarmen. Vor 40 Jahren waren noch 40 Prozent Äthiopiens mit Wald bedeckt, heute sind es weniger als drei Prozent – und in Gambella brennt der Busch. »Es wurde keine Umweltverträglichkeitsstudie gemacht. Die ökologischen Folgen von Brandrodung und intensiver Bewässerung sind überhaupt nicht abzusehen«, sagt Girma Gumata, Mitarbeiter des unmittelbar an die Karuturi-Farm angrenzenden Nationalparks. Laut äthiopischer Regierung gab es Umweltverträglichkeitsstudien, ökonomische und ökologische Interessen stünden in keinem Konflikt. Farm-Manager Sekhon, der sich lieber Bauer als Investor nennt, macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Antilopen ziemlich egal sind. Für ihn muss es mit der Farm vorangehen. Und dafür müssen der kleine Red und seine Freunde weiter Unkraut zupfen. Der Autor ist Journalist in Addis Abeba und berichtet als Mitglied des Netzwerks weltreporter.net u.a. für die »NZZ« und »Die Zeit«. Diesen Artikel können Sie sich in unserer iPad-App vorlesen lassen: www.amnesty.de/app
Verweigerten sich der Umsiedlung. Bäuerin Turu Omod (mit weißem Hemd, kniend) mit ihrer Familie vor ihrem niedergebrannten Erntespeicher.
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Hunger nach Land Ausländische Investoren kaufen oder pachten in den ärmsten Ländern der Welt riesige Ackerflächen – und verdrängen damit Menschen, die ohnehin schon hungern. Von Ramin M. Nowzad
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ie Weltbevölkerung wächst und mit ihr der Hunger in der Welt. Doch etwas anderes wird rar: fruchtbarer Boden. Agrarflächen gehen weltweit verloren, weil sie erodieren, auf ihnen Raubbau betrieben wird oder sie mit Beton zugepflastert werden. »Kaufen Sie Land, es wird keins mehr hergestellt«, notierte einst der Spötter Mark Twain. Ackerland und Weideflächen sind heute so begehrt wie nie zuvor, der Handel floriert – ausgerechnet in den ärmsten Ländern der Erde, wo Äcker billig und Löhne mickrig sind. Seit einigen Jahren liefern sich wohlhabende Staaten, private Unternehmer und windige Spekulanten einen wahren Wettlauf um die ertragreichsten Böden Afrikas, Asiens und Lateinamerikas – und verdrängen dort oft Menschen, die ohnehin schon hungern. »Landgrabbing« nennt sich der Trend, wörtlich übersetzt: »nach Land grabschen«. Kritiker sprechen auch von »Landraub«. Die größten »Räuber« kommen aus den aufstrebenden Staaten Südostasiens, aus Indien, Nordamerika, Großbritannien oder den arabischen Golfstaaten – doch auch deutsche Investoren mischen mit. Einer der Auslöser für den globalen Landrausch war die Lebensmittelkrise, die vor fünf Jahren die Weltwirtschaft erschütterte. Im Jahr 2008 explodierten die Preise für Weizen, Reis, Milch, Soja und andere Nahrungsmittel. Es kam zu Versorgungsengpässen und Exportverboten, was so manche Regierung aufschreckte. Reiche Wüstenstaaten wie Saudi-Arabien oder Kuwait kauften in der Folge insbesondere in Afrika riesige Landstriche auf, um ihre eigene Bevölkerung langfristig mit Getreide versorgen zu können. Das kleine Emirat Katar besitzt inzwischen mehr Agrarflächen im Ausland als innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Doch auch pures Profitstreben spielt beim Landraub eine Rolle. »Seit der Nahrungsmittelpreiskrise ist ein generelles Bewusstsein entstanden, dass mit Agrarprodukten Geld zu verdienen ist«, sagt Constanze von Oppeln, Referentin für Ernährungspolitik bei der Deutschen Welthungerhilfe. Die Volksrepublik China etwa kauft oder pachtet fremden Boden nicht nur, um Chinesen zu ernähren, sondern auch, um die Ernte auf dem
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Weltmarkt feilzubieten. Ausländische Geschäftsleute bauen auf gepachtetem Land in Afrika energiereiche Pflanzen an, um die Tankstellen der Industrienationen mit Bio-Sprit zu versorgen. Und auch westliche Investmentfonds, Banken, Großkonzerne und private Finanzexperten haben das Ackerland der Dritten Welt als lukratives Spekulationsobjekt entdeckt. »Fruchtbarer Boden ist eine ganz neue Anlagemöglichkeit geworden, die in Zeiten unsicherer Finanzmärkte gute Rendite verspricht«, so Constanze von Oppeln. Der globale Landrausch hat in den vergangenen Jahren ein solches Ausmaß angenommen, dass unter Experten längst das Wort vom »Neo-Kolonialismus« die Runde macht. Doch niemand weiß, wie viel Land tatsächlich betroffen ist. Die OnlineDatenbank »Land Matrix« dokumentiert, dass seit dem Jahr 2000 mindestens 48 Millionen Hektar an Investoren veräußert wurden. Dies sind allein die Landdeals, die das Netzwerk verifizieren konnte. Andere NGOs gehen sogar von mehr als 200 Millionen Hektar aus – eine Fläche, in die das gesamte Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland mehr als fünf Mal hineinpassen würde. Verlässliche Zahlen existieren nicht, weil die meisten Deals heimlich abgewickelt werden – und dies hat einen triftigen Grund: Es geht bei den Landgeschäften um viel Geld, doch der Profit geht zumeist auf Kosten der Einheimischen. Zu den finanziellen Gewinnern gehören örtliche Eliten, die die Geschäfte abwickeln und neben den offiziellen Verkaufserlösen und Pachtgebühren nicht selten auch noch Schmiergelder einstreichen. Die einfache Bevölkerung gerät hingegen häufig unter die Räder: Wo ausländische Investoren Agrarflächen aufkaufen, werden Kleinbauern und Anwohner von ihrem angestammten Land vertrieben – oft mit Gewalt und fast immer ohne Entschädigung. Die neuen Grundherren zäunen ihre erworbenen Ländereien ein und engagieren bisweilen sogar bewaffnetes Wachpersonal, um den ehemaligen Besitzern die Rückkehr zu verwehren. In kaum einem Entwicklungsland existieren Grundbücher mit eindeutig dokumentierten Besitzansprüchen, auf die sich die Vertriebenen berufen könnten. »Investoren suchen gezielt nach Orten
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Foto: Rodrigo Baleia / Latin Content / Getty Images
Das Ende des Regenwaldes. Sojabohnen-Monokultur im Amazonasgebiet, Brasilien.
mit schwachen staatlichen Institutionen«, sagt Marita Wiggerthale, Agrarexpertin bei der NGO Oxfam. »Je weniger rechtsstaatliche Regeln in einem Land existieren, desto besser für Investoren. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie mit Entschädigungsforderungen konfrontiert werden könnten.« In der Regel schaffen die Landverkäufe nicht einmal neue Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung. Da ausländische Investoren eine stark industrialisierte Landwirtschaft betreiben, gehen meist sogar Jobs verloren. Was zuvor einheimische Kleinbauern erledigten, übernehmen nun moderne Traktoren und Mähdrescher. Und die Volksrepublik China pachtet in Ländern wie Mosambik oder Kambodscha nicht nur riesige Plantagen, um Kautschuk, Soja oder Reis anzupflanzen, sondern exportiert auch gleich noch chinesische Bauern, die den neu erworbenen Boden bewirtschaften. Aber nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch ganze Ökosysteme geraten bisweilen in Gefahr. In der Hoffnung auf schnelles Geld legen Investoren Feuchtgebiete trocken, holzen Wälder ab, überziehen Land mit Monokulturen, traktieren Äcker mit aggressiven Pestiziden und Düngemitteln. Wenn ihre Projekte dennoch keinen Gewinn abwerfen, ziehen sie sich wieder zurück und hinterlassen verwüstetes Land. Besonders bedrückend: Landraub grassiert vor allem dort, wo Menschen ohnehin schon hungern. Im Mittelpunkt des globalen Agrar-Monopolys steht Afrika, nirgends werden mehr
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Landdeals abgeschlossen. Nach Angaben der Weltbank befinden sich rund zwei Drittel der weltweit veräußerten Fläche auf dem afrikanischen Kontinent. Ausgerechnet der Hungerkontinent Afrika droht zur Kornkammer der restlichen Welt zu werden. In Ländern wie Somalia, die regelmäßig von Hungersnöten geplagt werden, bauen asiatische Schwellenländer großflächig Getreide an – doch die Ernte wird nach Südkorea oder Kuwait verschifft, während für die lokale Bevölkerung oft kein einziges Körnchen abfällt. Wo äthiopische Kleinbauern einst ihre Nahrungsmittel anbauten, züchten nun indische Großunternehmer Schnittblumen für den Weltmarkt und greifen dabei auch noch auf das Trinkwasser der Einheimischen zurück, denn »Landraub« geht zumeist mit »Wasserraub« einher. Freilich könnten Agrargeschäfte theoretisch auch für die Menschen in Entwicklungsländern von Nutzen sein, schließlich bringen ausländische Investoren Kapital, Infrastruktur und Know-how ins Land, von denen auch Einheimische profitieren könnten. Doch dazu müssten bei den Landdeals klare Regeln eingehalten werden, die die Rechte der ansässigen Menschen schützten. Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, hat im vergangenen Jahr entsprechende Richtlinien für Landgeschäfte beschlossen – verpflichtend sind diese allerdings nicht. Der Autor ist Volontär des Amnesty Journals.
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Treibstoff für Konflikte Großgrundbesitzer und Multis wie Shell/Cosan weiten ihre Produktion von Zuckerrohr und Soja in Brasilien aus. Leidtragende sind Indigene und Kleinbauern wie die Guarani-Kaiowá, die von ihrem Land verdrängt werden. Von Verena Glass
Rohstoff für Agrardiesel. Sojabohnen-Ernte in Mato Grosso, Brasilien.
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nde Oktober 2012 verbreitete sich ein dramatischer Hilferuf von Indigenen aus dem brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul in den sozialen Netzwerken: »Wir wollen sterben und direkt hier mit unseren Vorfahren beerdigt werden«, schrieben Vertreter der 170 GuaraniKaiowá der Gemeinschaft Pyelito Kue, die unweit der Grenze zu Paraguay leben. »Deshalb bitten wir die Regierung und das Justizsystem, nicht unsere Vertreibung, sondern unseren kollektiven Tod anzuordnen und uns hier zu begraben.« Auslöser des offenen Briefs war die Entscheidung eines Regionalgerichts, das der Räumungsklage eines Viehzüchters stattgegeben hatte. Indigene halten derzeit zwei Hektar von dessen 700-Hektar-Farm besetzt. Mit diesen drastischen Worten wollten die Guarani-Kaiowá darauf aufmerksam machen, dass sie durch die Vertreibung existenziell betroffen sind. Internationale Abkommen zum Schutz indigener Völker erkennen die besondere Beziehung indigener Völker zu ihrem traditionell angestammten Land an. Um ihre kulturelle Identität und Lebensweise zu schützen, stehen ihnen demnach besondere Mitspracherechte zu, wenn wirtschaftliche Projekte ihr angestammtes Land betreffen. Dieses Recht wird in Brasilien massiv verletzt.
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Wie kein zweites indigenes Volk in Brasilien sind die gut 30.000 Guarani-Kaiowá aus dem Agrarstaat im Mittelwesten von Landkonflikten betroffen. Dabei haben sie gegen die internationale Agrarindustrie, Farmer, Regionalpolitiker und Justizbehörden kaum eine Chance. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie von ihrem angestammten Land verdrängt und in kleine Reservate gepfercht. Für die Jahre 2000 bis 2011 sind 555 Selbstmorde belegt, darunter zahlreiche Jugendliche. Unterernährte Kinder, eine katastrophale Gesundheitsversorgung und Alkoholismus gehören zum Alltag. Dazu kommt die Bedrohung durch »Pistoleiros«, die von der Agrarindustrie angeheuert werden. Sie wehrt sich mit allen Mitteln gegen die Übertragung von Landrechten an die Indigenen: Im Jahr 2011 wurden in Brasilien 51 Ureinwohner ermordet, davon allein 32 in Mato Grosso do Sul. Nach dem verzweifelten Brief aus Pyelito Kue kam es in Brasilien zu einer bemerkenswert breiten Kampagne zugunsten der Rechte von Indigenen. Die Regierung sah sich zu einigen Maßnahmen gezwungen. Doch die Großgrundbesitzer starteten einen Gegenangriff. Anfang 2013 übergaben Verbandsfunktionäre und Parlamentarier, die selbst der Agrarindustrie angehören, Präsidentin Dilma Rousseff ein Dokument, in dem sie die an-
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Foto: Paulo Whitaker / Reuters
geblich »unhaltbare Situation juristischer Unsicherheit« schilderten, in der sich die Produzenten befänden, »deren Ländereien von indigenen Gruppen und paraguayischen Bürgern an der Grenze der Bundesstaaten Mato Grosso do Sul und Paraná besetzt wurden«. Die Farmer würden bedroht, es herrsche »Angst vor Gewalt«. Im März schlugen die einflussreichen Agrar-Abgeordneten einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor, der angebliche Übergriffe von Funktionären der staatlichen Indigenenbehörde Funai bei der (Rück-)Übertragung von Land an die Indigenen untersuchen soll. Zudem solle ausgeschlossen werden, dass die Behörde die Indigenen zum Kampf aufstachle und »produktives« Land an indigene Völker zurückgebe. Zwischen Oktober 2012 und März 2013 gab es sieben Angriffe von »Pistoleiros« auf Dörfer und Camps von Indigenen. Ein 15jähriger Jugendlicher wurde von einem Farmer aus nächster Nähe erschossen. Ein Fluss, der durch ein Dorf führt, wurde vorsätzlich vergiftet. Jahr für Jahr wachsen in Brasilien die mit Zuckerrohr und Soja bepflanzten Flächen – und immer steht dabei die Verheißung guter Geschäfte mit Agrartreibstoffen im Raum: Beim Zuckerrohr-Ethanol ist Brasilien Weltmarktführer, und etwa 90 Prozent des für den internen Markt bestimmten Agrardiesels wird aus Soja hergestellt. In Mato Grosso do Sul sind die vormals von Indigenen besiedelten und heute von ihnen reklamierten Gebiete im Süden und Südosten des Bundesstaates für den Zuckerrohr- und Sojaanbau besonders begehrt: Auf 550.000 Hektar wird Zuckerrohr angebaut, die Sojafelder machen bereits 1,8 Millionen Hektar aus. Kein Wunder, dass große transnationale Konzerne wie Bunge, Louis Dreyfus, Cargill und der weltweit größte Ethanol-Produzent Shell/Cosan mit seinem Joint-Venture Raízen ihre Fabriken in dieser Region bauen. Das gilt auch für die Produzenten von Agrardiesel. In Mato Grosso do Sul gibt es derzeit bereits 30 Zuckerrohr-Ethanol- und acht Agrardiesel-Fabriken. Mehrere Soja- und Zuckerrohrplantagen befinden sich auf dem Land, das die brasilianische Regierung indigenen Gruppen zuerkannt hat. Durch die Plantagen werden nicht nur Landkonflikte geschürt, sie haben auch schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit und die Subsistenzwirtschaft der Bevölkerung. Durch den exzessiven Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden und Herbiziden werden das Wasser und die Luft in den Dörfern verschmutzt, Tiere verenden, die Felder der Indigenen werden zerstört. Die Probleme sind so gravierend, dass sich der Ethanol-Riese Raízen nach großem öffentlichem und juristischem Druck gegenüber der Regierung verpflichten musste, kein auf indige-
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nem Land angebautes Zuckerrohr mehr aufzukaufen. Bunge bezieht seinen Rohstoff weiterhin aus fünf Plantagen, die im Indigenengebiet Jataywary liegen. Raízen ist das fünftgrößte Unternehmen Brasiliens – geschätzter Marktwert 20 Milliarden Dollar. Negative Schlagzeilen machte der Mutterkonzern Cosan schon früher. Anfang 2010 stand das Unternehmen wegen eines Falls von Sklavenarbeit kurzzeitig auf der schwarzen Liste des brasilianischen Arbeitsministeriums. Auf Zuckerrohrfeldern bei einer Cosan-Fabrik im Bundesstaat São Paulo waren 42 Arbeiter entdeckt worden, die unter menschenunwürdigen Bedingungen schufteten. Ein Richter hob allerdings den Beschluss des Arbeitsministeriums auf, der einen Kreditstopp für Cosan zur Folge gehabt hätte. Ein Jahr später wurde bekannt, dass die Regierung einen Deal mit Cosan abgeschlossen hatte: Das Unternehmen verpflichtete sich, interne wie externe Kontrollmechanismen zu verbessern – im Gegenzug wurde ihm versprochen, nicht mehr auf der »schwarzen Liste« zu erscheinen. Hinter der Sonderbehandlung steckt auch handelspolitisches Kalkül: Kein anderer brasilianischer Großbetrieb ist international so verflochten wie Cosan, und die brasilianische Regierung arbeitet mit aller Kraft daran, Ethanol zu einem an den Börsen handelbaren Gut zu machen. Auch Raízen geriet schon bald ins Gerede. Das Konsortium kaufte eine durch Staatskredite großzügig geförderte Zuckerund Ethanolfabrik in Caarapó in Mato Grosso do Sul. Hergestellt wird der dortige Agrosprit teilweise aus Zuckerrohr, das Farmer auf über 4.000 Hektar des indigenen Gebiets Guyraroká anpflanzen lassen – ein gutes Drittel jenes Lands, das 2009 nach jahrelangen »Rücknahme«-Verhandlungen einer Guarani-Kaiowá-Gemeinschaft zugesprochen worden war. Allerdings wurde das Land bis heute noch nicht formell ausgewiesen – wegen Einsprüchen der Großgrundbesitzer ziehen sich solche Verfahren oft jahrelang hin. Die 120 Bewohner von Guyraroká leben derzeit auf 58 Hektar Land, das immer stärker von den Besprühungen der Monokulturen in Mitleidenschaft gezogen wird. »In Brasilien haben die betroffenen Gemeinschaften kaum eine Chance, zu mächtig ist die Gegenseite«, sagt Marcelo Gomes von »Reporter Brasil«, einer NGO aus São Paulo, die seit 2008 die sozialen und arbeitsrechtlichen Folgen der Agrartreibstoffproduktion sowie deren Auswirkungen auf Landkonflikte und Umwelt untersucht. Gomes ist überzeugt: »Die großen Unternehmen werden ihr Verhalten nur ändern, wenn die internationalen Käufer und Konsumenten der Zucker- und Sojaprodukte größeren Druck ausüben.« Die Autorin arbeitet als Journalistin mit dem Schwerpunkt Südamerika.
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Berichte
38 Waffenhandelsabkommen: Etappensieg 40 Amnesty Report 2013: Weltb端rger contra Unrecht 44 Burundi: Unterdr端ckung Homosexueller 47 China: Chen Guangcheng 48 Interview: Marcus George Irimaka
Einsatzbereit. Franz旦sische Amnesty-Aktivisten fordern ein internationales Waffenhandelsabkommen. Foto: Pierre-Yves Brunaud / Picturetank f端r Amnesty International
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Menschenrechte sind grenzenlos Auszüge aus dem Vorwort zum Amnesty Report 2013. Von Salil Shetty, internationaler Generalsekretär von Amnesty International Am 9. Oktober 2012 schossen Taliban in Pakistan der 15-jährigen Malala Yousafzai in den Kopf. Ihr Verbrechen war es, sich für die Bildung von Mädchen einzusetzen. Ihr Medium war ein Blog. Wie bei dem Tunesier Mohamed Bouazizi, dessen Selbstverbrennung 2010 Proteste im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika auslöste, hatte auch Malalas Entschlossenheit Auswirkungen weit über die Grenzen Pakistans hinaus. Menschen wie sie auf der ganzen Welt haben – unter großem persönlichem Risiko sowohl auf der Straße als auch in der digitalen Welt – Unterdrückung und Gewalt durch Regierungen und andere einflussreiche Akteure aufgedeckt. Über Blogs, andere soziale Medien und mithilfe der traditionellen Presse haben sie eine internationale Solidarität geschaffen, damit die Erinnerung an Mohameds und Malalas Träume nicht in Vergessenheit gerät. Der Mut vieler Menschen verbunden mit der Möglichkeit, ein starkes Verlangen nach Freiheit, Gerechtigkeit und Rechten auf neuen Wegen zu kommunizieren, hat die Machthaber alarmiert. Solidaritätsbekundungen mit denjenigen, die gegen Unterdrückung und Diskriminierung protestieren, stehen in deutlichem Gegensatz zu dem Verhalten vieler Regierungen, die mit großer Härte gegen friedliche Demonstrierende vorgehen und immer wieder versuchen, die Kontrolle über die digitale Welt zu gewinnen – nicht zuletzt auch durch das Schaffen digitaler Landesgrenzen. (…)
Recht auf Wohnen! Zwangsräumung in Guangzhou, China.
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Souveränität und Solidarität (…) Einer der Schwerpunkte der Menschenrechtsarbeit ist das Recht aller Menschen auf Schutz vor Gewalt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die strikte Begrenzung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in das Privat- und Familienleben. Dazu gehört auch der Schutz der Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Gewissensfreiheit. Dies bedeutet zudem, dass der Staat nicht über den Körper und den Umgang mit ihm bestimmen darf – was auch die Wahl der Kleidung, die Entscheidung Kinder zu bekommen und die sexuelle und geschlechtliche Identität einschließt. Allein das Jahr 2012 hat uns eine Vielzahl von Beispielen dafür geliefert, dass Regierungen die Rechte ihrer eigenen Bevölkerung verletzen. In den ersten Tagen des Jahres 2012 wurden 300 Familien aus einem Stadtteil der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh vertrieben und waren in der Folge obdachlos. Nur wenige Wochen später erlitten 600 Menschen im Armutsviertel Pinheirinho im brasilianischen Bundesstaat São Paulo dasselbe Schicksal. Im März wurden insgesamt 21 Menschen von Polizisten in Jamaika erschossen und mehrere Musiker in Aserbaidschan geschlagen, festgenommen und in Haft gefoltert. Die westafrikanische Republik Mali stürzte im selben Monat nach einem Putsch in der Hauptstadt Bamako in eine schwere Krise. Und so ging es weiter: In Nigeria kam es zu Zwangsräumungen. In Somalia, Mexiko und anderen Ländern wurden Journalisten getötet. Frauen wurden zu Hause, auf der Straße oder während sie ihr Recht zu protestieren wahrnahmen, vergewaltigt
Schutz der Zivilbevölkerung! Bewohner von Aleppo
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und sexuell missbraucht. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle wurden verprügelt und daran gehindert, Gay-Pride-Festivals zu veranstalten. Menschenrechtsverteidiger wurden ermordet oder auf Grundlage konstruierter Anklagen inhaftiert. Im September ließ die japanische Regierung zum ersten Mal seit mehr als 15 Jahren eine Frau hinrichten. Im November eskalierte der Konflikt zwischen Israel und dem Gazastreifen abermals, zur gleichen Zeit flohen in der Demokratischen Republik Kongo Tausende Zivilpersonen aus ihren Unterkünften, als die von Ruanda unterstützte bewaffnete Bewegung M23 in Richtung der Hauptstadt der Provinz Nordkivu marschierte. In Syrien dauerte der bewaffnete Konflikt 2012 unvermindert an. Bis Ende des Jahres war die Anzahl der Toten laut Angaben der UNO bereits auf 60.000 gestiegen.
Untätigkeit
Schutz oder Ausbeutung Eines der prägnantesten Beispiele für die problematische Auslegung staatlicher Souveränität ist der weltweite Umgang mit indigenen Bevölkerungsgruppen in den vergangenen Jahrzehnten. Eine Wertvorstellung, die indigene Gemeinschaften rund um den Globus verbindet, ist ihre Ablehnung des Konzeptes von »Grundbesitz«. Sie betrachten sich stattdessen traditionell als Hüter des Landes, auf dem sie leben. Dafür zahlen sie jedoch einen hohen Preis. Wie sich im Laufe der Zeit herausgestellt hat, leben viele indigene Gemeinschaften in Gebieten, die reich an Bodenschätzen sind. Die Regierungen, die eigentlich zum Schutz der Rechte dieser Gemeinschaften verpflichtet sind, beanspruchen deswegen oftmals deren traditionelles Land für den »souveränen Staat«, verkaufen oder verpachten es oder ermöglichen es anderen, die Bodenschätze auszubeuten. Anstatt die Vorstellung der Gemeinschaften, Wächter des Landes und aller zugehörigen Ressourcen zu sein, zu respektieren, sind Staaten und Unternehmen in diese Gebiete eingedrungen, haben die indigene Bevölkerung vertrieben und Eigentum am Land oder aber die daran geknüpften Abbaurechte beansprucht. Besonders erschreckend ist, wie viele Staaten und Unternehmen die UNO-Erklärung über die Rechte der Indigenen Völker einfach ignorieren. Darin werden Staaten ausdrücklich dazu aufgefordert, indigene Gemeinschaften in vollem Umfang und wirksam an allen Angelegenheiten zu beteiligen, die sie betreffen. (…) Aktivisten, die sich für die Rechte ihrer indigenen Gemeinschaften einsetzen, laufen Gefahr, angegriffen und sogar getötet zu werden. Derartige Diskriminierung, Marginalisierung und Gewalt beschränkten sich 2012 nicht nur auf den amerikanischen Kontinent, sondern waren weltweit zu beobachten – von den Philippinen bis Namibia (…).
Fotos: Imagine China / AP, Narciso Contreras / AP, Pete Muller
(…) Der syrische Präsident Bashar al-Assad sicherte sich, wie schon sein Vater vor ihm, sein Amt, indem er die Armee und die Sicherheitskräfte des Landes gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, die seinen Rücktritt forderte. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied: Zur Zeit des Massakers von Hama im Jahre 1982 geschahen diese Massentötungen trotz des Einsatzes von Amnesty International und vielen anderen weitgehend außerhalb des Blickfeldes der restlichen Welt. Im Gegensatz dazu war es mutigen syrischen Bloggern und Aktivisten in den vergangenen Monaten möglich, der ganzen Welt direkt und unmittelbar zu erzählen, was in ihrem Land passiert. Seit nunmehr fast zwei Jahren führen die syrischen Streitund Sicherheitskräfte immer wieder willkürliche Angriffe durch und inhaftieren, foltern und töten Menschen, die sie für Unterstützer der bewaffneten Opposition halten. Trotz der steigenden Zahl der Todesopfer – und trotz reichlich vorhandener Beweise für begangene Verbrechen – ergriff der UNO-Sicherheitsrat erneut keine Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung. In einem Bericht von Amnesty International werden in diesem Zusammenhang 31 verschiedene Arten der Folter und anderweitiger Misshandlungen dokumentiert. Bewaffnete Oppositionsgruppen sind ebenfalls für Massentötungen und Folterungen
verantwortlich, wenngleich in wesentlich geringerem Ausmaß. Dass der UNO-Sicherheitsrat bisher nicht eingegriffen hat, liegt vor allem am Widerstand der Vetomächte Russland und China, die ihre Haltung damit begründen, dass man die staatliche Souveränität Syriens achten müsse. (…)
Recht auf Leben! Flüchtlingslager in Yida, Südsudan.
in ihrer zerstörten Stadt.
Berichte
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Globalisierung und Menschenrechte Der Kampf um Ressourcen ist nur eines der Merkmale unserer globalisierten Welt. Ein anderes ist der Kapitalfluss über Landesgrenzen und Ozeane hinweg in die Taschen der Machthaber. Natürlich stimmt es, dass die Globalisierung für einige zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand geführt hat. Doch müssen nicht nur indigene Bevölkerungsgruppen, sondern zahlreiche weitere Gemeinschaften zusehen, wie Regierungen und Unternehmen Profit aus dem Land schlagen, auf dem sie leben – während sie selbst hungern. Trotz eines signifikanten Wirtschaftswachstums in vielen Ländern Subsahara-Afrikas leben dort noch immer Millionen von Menschen in lebensbedrohlicher Armut. Nach wie vor sind zwei der Hauptgründe dafür Korruption und der Abfluss von Kapital in Steuerparadiese außerhalb Afrikas. Der Reichtum der Region an Bodenschätzen heizt Geschäfte zwischen Unternehmen und Politikern an. Fehlende Transparenz hinsichtlich abgeschlossener Lizenzverträge und keinerlei Verpflichtungen zur Rechenschaftslegung führen zu unrechtmäßiger Bereicherung sowohl der Unternehmenseigner als auch der Politiker, die auf Kosten derjenigen geschieht, deren Arbeitskraft ausgebeutet wird, deren Land abgetragen wird und deren Rechte verletzt werden. Gerechtigkeit ist für sie nicht einmal ansatzweise erreichbar. (…) Sobald Arbeitsmigranten die Grenzen ihrer Herkunftsländer hinter sich gelassen haben, fühlen diese sich nicht länger für sie verantwortlich. Gleichzeitig sprechen ihnen die Aufnahmeländer alle Rechte ab, weil sie eine fremde Staatsbürgerschaft haben. Die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen von 1990 gehört noch immer zu den Menschenrechtsabkommen mit den wenigsten Vertragsstaaten. Keiner der Staaten in Westeuropa, die Migranten aufnehmen, hat das Abkommen bisher ratifiziert und auch andere wichtige Aufnahmeländer wie die USA, Kanada, Australien, Indien, Südafrika und einige der Golfstaaten gehören nicht zu den Vertragsstaaten. Besonders schutzlos sind Personen, die keine Staatsbürgerschaft besitzen. Weltweit gibt es zwölf Millionen Staatenlose, was der Einwohnerzahl großer Ballungsräume wie London, Lagos oder Rio de Janeiro entspricht. Etwa 80 Prozent der Staatenlosen sind Frauen. Sie unterstehen nicht dem Schutz eines »souveränen Staates«. Ihr Schutz obliegt uns allen. Die Menschenrechte müssen für alle Menschen gelten, ob sie ein Heimatland haben oder nicht. Manche Staaten fühlen sich nicht zuständig, wenn Frauen in Lagern im Südsudan vergewaltigt, Asylsuchende von Australien bis Kenia in Hafteinrichtungen oder Metallverschlägen eingesperrt werden, Hunderte Flüchtlinge in undichten Booten auf ihrer verzweifelten Suche nach einem sicheren Hafen sterben. Afrikanischen Flüchtlingen vor der Küste Italiens wurde 2012 abermals das Anlegen an den sicheren Ufern Europas verweigert. Die australische Regierung fing weiterhin Boote von Flüchtlingen und Migranten auf hoher See ab. Auch die US-Küstenwache verteidigte dieses Vorgehen: »Das Abfangen von Migranten auf hoher See ermöglicht eine schnelle Rückführung in ihre Herkunftsländer, wodurch kostspielige Prozesse vermieden werden, die nach einer Einreise in die USA erforderlich werden würden.« In all diesen Fällen hatte die staatliche Souveränität Vorrang vor dem Recht des Einzelnen, Asyl zu beantragen. Etwa 200 Menschen sterben jedes Jahr bei dem Versuch, auf dem Weg in die USA die Wüste zu durchqueren – eine direkte Folge von Maßnahmen der US-Regierung, ungefährlichere Wege über die Grenze für Migranten unpassierbar zu machen. Ob-
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wohl die Einwanderung in die USA stetig abnimmt, ist die Zahl der Todesopfer in etwa gleich geblieben. Diese Beispiele zeigen auf besonders drastische Weise, wie die Verantwortung, die Menschenrechte – einschließlich des Rechts auf Leben – zu schützen, verleugnet wird. Die Abschottung der Grenzen steht in starkem Kontrast zum freien und grenzüberschreitenden Kapitalfluss. In ebenso starkem Kontrast stehen Einwanderungskontrollen zum weitgehend unbeschränkten internationalen Handel mit konventionellen Waffen, zu denen auch Kleinwaffen und leichte Waffen gehören. Hunderttausende Menschen werden infolge dieses Handels verletzt, vergewaltigt, gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen, oder getötet. Darüber hinaus hat der Waffenhandel direkten Einfluss auf Diskriminierung und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und auf die Bemühungen um Frieden und Sicherheit sowie Gleichberechtigung der Geschlechter. Es ist oftmals einfach, an Waffen zu gelangen, sie werden gekauft und verkauft, getauscht und weltweit versandt. Und viel zu häufig landen Waffen in den Händen von Regierungen und ihren Sicherheitskräften, die Menschenrechte missachten, oder bei Kriegsherren und kriminellen Banden. Die weltweiten Rüstungstransfers sind ein lukratives Geschäft mit einem Volumen von rund 70 Milliarden US-Dollar. Natürlich versuchen daher diejenigen, die besonders von diesem Geschäft profitieren, Handelsschranken zu verhindern. Als dieser Bericht in den Druck ging, waren die Regierungen der Länder, die am stärksten in den Handel mit Rüstungsgütern eingebunden sind, zu Verhandlungen über einen Waffenkontrollvertrag bereit. Amnesty International fordert, dass Waffen nicht exportiert werden dürfen, wenn die Gefahr besteht, dass mit ihnen schwere Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts begangen werden könnten.
Der Fluss von Informationen Positiv an den bisher genannten Beispielen ist, dass sie uns überhaupt bekannt sind. Schon seit einem halben Jahrhundert dokumentiert Amnesty International Menschenrechtsverletzungen rund um die Welt und setzt alle verfügbaren Mittel ein, um solche Verletzungen zu stoppen, ihnen vorzubeugen und die Menschenrechte zu schützen. Heutige Kommunikationsformen eröffnen Möglichkeiten, die sich die Gründer der modernen Menschenrechtsbewegung niemals erträumt hätten. Durch sie wird es für Regierungen und Unternehmen zunehmend schwieriger, sich hinter den Grenzen der »Souveränität« zu verstecken. (…) Die modernen Kommunikationsmittel verschaffen uns Zugang zu unzähligen Informationen und ermöglichen es Aktivisten, sicherzustellen, dass Menschenrechtsverstöße nicht unbemerkt bleiben. Informationen schaffen jedoch auch einen gewissen Handlungszwang. Schon bald wird sich entscheiden, ob wir auch in Zukunft uneingeschränkten Zugang zu diesen Informationen haben werden oder ob Staaten und andere einflussreiche Akteure diesen Zugang einschränken werden. Ein Ziel von Amnesty International ist es, sicherzustellen, dass jeder die Möglichkeit hat, Informationen zu erhalten und zu verbreiten und somit den Missbrauch von Macht und Souveränität zu bekämpfen. Das Internet bildet ein wichtiges Gegengewicht zu dem Konzept der Souveränität und den an Staatsbürgerschaft gebundenen Rechten. Es eröffnet uns die Möglichkeit, das Modell eines Weltbürgertums zu kreieren. (…) Amnesty International Report 2013. S. Fischer, Frankfurt/Main. 544 Seiten, 14,99 Euro.
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Mein Land liebt mich nicht Aenigma. In Burundi steht Homosexualität unter Strafe. Alle Porträts wurden daher anonymisiert.
Seit 2009 sind in Burundi homosexuelle Handlungen verboten. Ein Hintergrundbericht über die gesellschaftlichen Folgen. Von Georg Kasch Vielleicht sollte man in Burundi einfach keine Anhalter mitnehmen – es könnte übel ausgehen. Wie für eine Transsexuelle, die einen Tramper mitnahm: Zunächst versuchte er sie zu erpressen, als sie nicht darauf einging, zeigte er sie wegen Vergewaltigung an. Die Polizei durchsuchte ihr Haus, nahm sie fest. Nur gegen eine Geldzahlung wurde sie freigelassen. Vielleicht sollte man in Burundi auch einfach nicht lesbisch, schwul, bi-, trans- oder intersexuell sein. Denn sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern sind seit 2009 per Gesetz verboten. Bei einem Verstoß drohen Haftstrafen von drei Monaten bis zu zwei Jahren oder eine Geldbuße von bis zu 100.000 Burundi-Franc (etwa 47 Euro). Burundi ist ein traumatisiertes Land: Der jahrzehntelange Konflikt zwischen Hutu und Tutsi mündete 1993 in einen Bürgerkrieg, der das Land verwüstete. Heute gehört es zu den ärms-
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ten der Welt, auf dem Index für menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen von 2011 belegt es den drittletzten Platz vor Niger und der Demokratischen Republik Kongo. Während das ebenso kleine Nachbarland Ruanda – beide haben etwa die Größe Brandenburgs – gerade einen wirtschaftlichen Boom erlebt, scheint in Burundi die Entwicklung auf der Stelle zu treten. Heute kann man die düsteren Folgen des Anti-Homosexuellen-Gesetzes für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle betrachten: Ihre Diskriminierung innerhalb der Familien, aber auch durch Nachbarn und Bekannte nahm deutlich zu, ebenso Drohungen, sie zu denunzieren, und Erpressungen, oft in Abstimmung mit der korrupten Polizei. Nicht minder heftig wirkt sich die Verordnung des Erziehungsministeriums aus dem Jahr 2011 aus: Homosexualität steht an erster Stelle in einer Liste von Vergehen, die mit einem fristlosen Ausschluss vom Unterricht und einem Schulverweis ohne Möglichkeit auf Wiederzulassung bestraft werden. Die verordnete Homophobie hat drastische Folgen für die Betroffenen: »Weil ich von meiner Familie verjagt wurde, kann
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Fotos: Martina Bacigalupo / VU / laif
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ich mein Studium nicht fortsetzen«, erzählt ein 23-jähriger schwuler Mann. Jetzt prostituiert er sich, um zu überleben. »Wegen meiner Homosexualität wurde ich für mehrere Wochen inhaftiert. Man hat mich mehrere Male geschlagen und verletzt.« Eine 20-jährige lesbische Frau wird zu Hause von ihrem großen Bruder und ihrer Cousine drangsaliert: »Nachbarn haben auch schon mit Steinen nach mir geworfen und mich geohrfeigt.« »Ich gehe auf die Oberschule und bin sehr fleißig, aber manchmal erfahre ich dort Diskriminierung«, berichtet ein 19-Jähriger. »Vor allem als ich mich mit einem Jungen unterhalten habe, der sehr weiblich wirkt, wurde mir vorgeworfen, dass ich homosexuell sei. Dabei bin ich bisexuell!« Seine Familie unterstützt ihn nicht mehr, seit sie von Freunden gehört hat, ihr Sohn sei schwul. Die Freunde seiner Eltern hatten das aus seinem Freundeskreis geschlossen. Zeugnisse wie diese sammelt das Gemeinschaftszentrum »Remuruka«. Es ist das Herz der schwul-lesbischen Community von Burundi. In einem eleganten Viertel der Hauptstadt Bujumbura liegt das einstige Wohnhaus hinter einer schützenden Mauer. Die Wächter lassen nur Personen durch das metallene Eingangstor, die sie kennen oder die sagen können, mit wem sie verabredet sind. Drei der vier burundischen Organisationen, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten einsetzen, haben hier ihren Sitz. Obwohl sie verschiedene Schwerpunkte setzen und sich an unterschiedliche Zielgruppen wenden, eint sie ein Ziel: für die Interessen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen und gegen die öffentliche Homophobie zu kämpfen. Früher war das anders, erzählt Thierry von »Rainbow Candlelight«. 2004 gründete eine kleine Gruppe um den Menschenrechtler George Kanuma die »Association pour le Respect et les Droits des Homosexuels« (ARDHO). Sie kümmerte sich vor allem um HIV-Aufklärung – damals glaubten viele Männer, die Sex mit Männern hatten, man könne sich nur beim Sex mit einer Frau infizieren. 2007 erhielt die Organisation Fördermittel aus Norwegen, mit denen sie ein Internetcafé einrichtete – die Einnahmen aus diesem Café tragen noch heute zur Finanzierung der ARDHO-Nachfolgeorganisation »Humure« bei. Das Jahr 2009 wurde zur Feuertaufe für die junge Bewegung: Angesichts des drohenden Verbots von Homosexualität stand nicht
mehr der Kampf gegen HIV im Vordergrund, sondern der Kampf ums gesellschaftliche Überleben. Trotz engagierter Lobby-Arbeit der Aktivisten wurde das Gesetz zur Kriminalisierung von Homosexualität verabschiedet. Norwegen zog sich wegen »erhöhter Sicherheitsrisiken« aus der Förderung zurück. Die Organisation gab sich einen neutralen neuen Namen: »Humure« (was auf Kirundi »Trost« heißt). Innerhalb der schwul-lesbischen Bewegung wurden Brüche sichtbar, die ein Jahr später zur Spaltung der Organisation führten. Heute gibt es in Burundi neben »Humure« drei weitere wichtige Organisationen: »Together for Women’s Rights« ist die einzige burundische Organisation für Lesben, bisexuelle und Transfrauen. »Rainbow Candlelight« konzentriert sich auf die gesundheitlichen und sozialen Probleme homosexueller Männer. »Mouvement pour les Liberties Individuelles« (MOLI) widmet sich der Recherche und Dokumentation, erstellt Umfragen, Reader und Bestandsaufnahmen. Auch grenzüberschreitend: So hat MOLI die Arbeit der Homosexuellen-Organisationen in Burundi und den Nachbarländern Ruanda und DR Kongo analysiert. Zum Beispiel, was die Schwerpunkte der Arbeit betrifft: Noch immer fließen die meisten Ressourcen in die HIV-Prävention, während Umfragen unter den Aktivisten ergaben, dass für sie der Kampf gegen Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen Priorität haben sollte. Seitdem die Organisationen unter einem Dach sitzen, kooperieren sie eng miteinander, wie Thierry erzählt: »Wir tauschen Erfahrungen aus, stimmen Aktivitäten ab.« Etwa bei der Arbeit in der burundischen Provinz, wo sie Verhütungsmittel verteilen und Gesprächskreise organisieren. »Menschen, die noch nicht mit unseren Organisationen zu tun hatten, wenden sich oft erst mal an das Zentrum und wir leiten sie dann weiter«, erklärt Thierry. Denn obwohl das Gelände äußerlich unscheinbar ist und, anders als die einzelnen Organisationen, keinen eigenen Webauftritt besitzt, sorgen Mund-zu-Mund-Propaganda und ein Flyer dafür, dass sich die Kunde von »Remuruka« verbreitet. Zwar sucht man im Infoblatt Begriffe wie schwul, lesbisch oder homosexuell vergeblich. Aber der sechsfarbige Regenbogen und die Symbole der einzelnen Organisationen helfen dabei, zwischen den Zeilen zu lesen, an wen sich die »Gesundheitsservices«, »Beratungsdienste« und »soziale Wieder-
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eingliederungen« richten. In der Gesellschaft bleiben die burundischen Aktivisten so unsichtbar, hinter den Kulissen aber kämpfen sie weiter. »Das Gesetz von 2009 hat viele Entwicklungsprozesse gebremst«, erzählt Thierry. Dennoch habe es damals auch positive Zeichen gegeben, erinnert er sich: »Das Parlament hat das Gesetz zwar passiert, nicht aber den Senat. Außerdem erhielten wir aus Regierungskreisen die Zusicherung, das Gesetz werde nicht angewendet.« »Lange Zeit wurde außer dem Verstoß gegen dieses Gesetz immer noch ein weiterer Grund gefunden, um eine Festnahme zu rechtfertigen«, sagt James von MOLI, so wie im Fall der eingangs erwähnten Transsexuellen der Vorwurf der Vergewaltigung. 2012 wurden allerdings zum ersten Mal zwei Frauen nur aufgrund des Gesetzes gegen Homosexualität festgenommen. Lesben sind ohnehin eine besonders verletzliche Gruppe, wie Sandrine von »Together for Women’s Rights« unterstreicht: »Der soziale Druck auf Frauen ist viel höher, weil von uns Heiraten und Kinderkriegen erwartet wird.« Lesben werden als Frauen und Homosexuelle mehrfach diskriminiert. Vergewaltigungen lesbischer Frauen durch Familienangehörige sind gängige Praxis, um sie so auf den »rechten Weg« zu zwingen. »Und wenn Lesben von ihren Familien verstoßen werden, bleibt ihnen oft nur die Prostitution, um zu überleben«, sagt Sandrine. Die schwierige wirtschaftliche Situation des Landes ist für die Betroffenen ein drängendes Problem. Die oft enge Einbettung in die traditionell starke Familie schafft Abhängigkeiten. Viele erreichen erst spät oder nie eine finanzielle Selbstständigkeit. Ein Coming-out (oder ein Outing) ist mit weitreichenden Konsequenzen verbunden. Gleich mehrere »Remuruka«-Organisationen bieten deshalb Familienberatungen an. Allerdings sind es bislang nur wenige Eltern, die sich auf solche Gespräche einlassen. Trotz aller Probleme, gibt es ein aktives schwul-lesbisches Leben in Burundi. Viele sind von einem erstaunlichen Optimismus erfüllt. Sandrine erzählt selbstbewusst und lachend davon, wie sie von ihrer Familie in flagranti beim Sex mit ihrer damaligen Freundin erwischt wurde. Oder Nicolas: Hauptberuflich arbeitet der 29-Jährige bei der Non-Profit-Organisation »Society for Women Against Aids«, nebenbei kümmert er sich um die Finanzen bei »Humure«. Seine Eltern wissen, dass er schwul ist:
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»Wissen ist nicht verstehen«, sagt er, »sie reden nicht darüber. Sexualität ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema.« Im Gegensatz zu anderen Aktivisten geht er offensiv mit seiner Homosexualität um: In einen als tolerant geltenden Club in Bujumbura, wo die Jugend auf der kleinen Tanzfläche nicht nur die neuesten »Moves«, sondern auch ihre schicksten Klamotten zeigt, geht er als schillernd androgynes Wesen im Kleid – und niemand scheint sich daran zu stören. Es gibt also auch in Burundi Freiräume für sexuelle Minderheiten. Stabile Partnerschaften sind hier allerdings ebenso die Ausnahme wie Schwule und Lesben über 30. »Viele Ältere leben ein Doppelleben, sie sind verheiratet, haben Familie«, sagt Thierry. »Mit dem Älterwerden und zunehmendem beruflichen Erfolg steigt oft die Angst, durch ein Coming-out diesen Erfolg zu gefährden.« Allerdings habe er die Hoffnung, dass sich diese Situation jetzt ändert: »Die Jungen erfahren miteinander eine Freiheit, hinter die man kaum zurückkann.« Zum Beispiel bei MOLI: Einmal in der Woche treffen sich die Jungs im Zentrum und diskutieren über ein bestimmtes Thema, ob Liebe, die schwule Community oder Sex – die Gespräche enden doch immer wieder bei den Sehnsüchten und Träumen: »Die große Liebe, eine echte Partnerschaft«, wünscht sich ein 22-jähriger Informatikstudent, ein 20-Jähriger will vor allem von seiner Familie akzeptiert werden: »Und zwar so, wie ich bin!« Ein dritter hofft, dass in Zukunft »die Homophobie in gleichem Maße als Sünde gesehen wird, wie das heute für die Homosexualität der Fall ist«. Mut mache diese junge Generation, die idealistisch ihre Hoffnungen und Wünsche formuliert, sagt Thierry. Doch die Bewegung steht vor großen Herausforderungen. Im Januar lief die Förderung des »Remuruka«-Zentrums durch die US-amerikanische »Heartland Alliance« aus – jetzt bemühen sich die drei Organisationen, die Miete und den Unterhalt allein zu stemmen. Dabei haben schon die Kampagnen gegen das Anti-Homosexuellen-Gesetz und die Schulverordnung gezeigt, dass die Organisationen personell wie finanziell zu schwach aufgestellt sind, um gegen die religiöse Lobby zu bestehen. Über 98 Prozent der Burunder sind gläubig, die meisten von ihnen katholisch, aber auch der Islam und evangelikale Strömungen spielen eine Rolle. Zudem mangelt es an Prominenten, die sich für den Kampf gegen Homophobie einsetzen. Drohungen westlicher Staaten, bei anhaltender staatlicher Homophobie die Entwicklungshilfe zu kürzen, werden als kontraproduktiv wahrgenommen. »Die Gefahr ist, dass die Drohungen extrem negativ auf die Community zurückfallen werden«, sagt Sandrine. Sanktionen würden die sexuellen Minderheiten zum Sündenbock machen. Denn die afrikanischen Staaten, auch die ärmsten, sind selbstbewusster geworden, wollen sich von westlichen Regierungen nichts mehr vorschreiben lassen. Wichtiger, so Sandrine, sei die finanzielle Unterstützung der Menschenrechtsarbeit vor Ort. Denn noch ist viel zu tun in Burundi, einem Staat, der einen Teil seiner Bürger zu Parias macht. »Ich liebe mein Land, ich respektiere unsere Kultur und ich versuche, der Tradition zu folgen«, bringt es ein 24-jähriger schwuler Mann auf den Punkt: »Allein – die Burunder wollen ihre Augen nicht öffnen; Homosexualität hat es hier immer gegeben. Und wie jemand treffend gesagt hat: Ich liebe mein Land, aber mein Land liebt mich nicht.« Der Autor lebt als Kulturjournalist in Berlin.
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»Die Mächtigen zeigen Härte, weil sie Angst haben« Der Chinese Chen Guangcheng überlistete vor einem Jahr seine Wachen und floh in die US-Botschaft in Peking. Nun hat der blinde Bürgerrechtler die Bundesrepublik besucht. Von Ramin M. Nowzad
seinem Haus erneut gefangen: Sobald er versuchte, sein Anwesen zu verlassen, prügelten sie ihn blutig. Seiner Familie erging es nicht besser: Schläger drangsalierten seine Mutter und brachen Chens Ehefrau die Knochen. Der schikanöse Hausarrest dauerte mehr als ein Jahr, dann beschloss Chen zu fliehen. Seine Flucht verlief so abenteuerlich, dass man sich wundert, wie sie überhaupt gelingen konnte. Mindestens sechzig Menschen waren in seinem Heimatdorf darauf abgestellt, ihn zu überwachen. Als seine Aufpasser für einen Moment unachtsam waren, erklomm Chen Guangcheng die meterhohe Mauer, die die Behörden um sein Haus errichtet hatten – und brach sich beim Sprung nach unten den Fuß. Er humpelte in einen Schweinestall, wo er sich versteckte, bis die Dunkelheit anbrach. Dann robbte der blinde Mann zwanzig Stunden ins Nachbardorf. »Es war gefährlich«, sagte er später. »Wenn ich entdeckt worden wäre, hätte man mich vermutlich totgeprügelt.« Inzwischen ist er in den USA in Sicherheit, doch die chinesischen Behörden haben längst seine Angehörigen in Sippenhaft genommen. Erst kürzlich verurteilte ein Gericht Chens Neffen zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Trotzdem bleibt Chen optimistisch: »Die Mächtigen zeigen Härte, weil sie Angst haben. Das Volk fordert immer selbstbewusster seine Rechte ein – und diese Entwicklung lässt sich nicht mehr umkehren.«
Foto: Todd Heisler / The New York Times / Redux / laif
Der Mann, der eine Weltmacht blamierte, wirkt eigenartig schüchtern. Steif sitzt er da, nur selten huscht ein scheues Lächeln über seine Lippen. Auf den Tag genau vor einem Jahr hielt der Chinese Chen Guangcheng die Welt in Atem. Nun sitzt der blinde Anwalt im Presseraum des Auswärtigen Amtes in Berlin, trinkt Tee und beantwortet geduldig die Fragen der Journalisten. Das »Time Magazine« zählte den chinesischen Bürgerrechtler schon 2006 zu den »100 einflussreichsten Menschen der Welt«. Doch erst das vergangene Jahr machte den Mann mit der großen Sonnenbrille und dem dünnen Oberlippenbart schlagartig weltbekannt: Chen, der seit frühester Kindheit blind ist, stand in seinem Heimatdorf unter Hausarrest. Im April 2012 überlistete er seine Wachen und floh in die US-Botschaft in Peking. Er löste damit eine der bisher größten bilateralen Krisen zwischen den USA und China aus. Nach erbittertem diplomatischem Tauziehen durfte Chen im Mai 2012 nach New York ausreisen, wo er heute mit seiner Familie lebt. Anlässlich des Jahrestages seiner Flucht besuchte Chen erstmals Deutschland. Eingeladen hatte ihn Markus Löning (FDP), der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Der Autor ist Volontär des Amnesty Journals. Chen ist kein Dissident im herkömmlichen Sinne. In seiner Heimat kämpfte er nicht für einen Umsturz, sondern lediglich dafür, dass die Gesetze eingehalten werden. Jahrelang wanderte Chen von Dorf zu Dorf, um Landbewohner über ihre Rechte aufzuklären. Die juristischen Kenntnisse hatte sich der Bauernsohn im Selbststudium angeeignet. Doch Chen glaubte an Chinas Rechtssystem mehr, als es dem Regime lieb sein konnte. Als er 2005 eine Sammelklage einreichte, weil Frauen in seiner Heimatprovinz von Beamten illegal dazu gezwungen wurden, abzutreiben und sich sterilisieren zu lassen, schlugen die Behörden zurück: Der missliebige Laienjurist wurde unter fadenscheinigen Vorwänden selbst angeklagt. Vier Jahre musste Chen wegen »Sachbeschädigung« und »Störung des Straßenverkehrs« im Gefängnis verbüßen – und kaum war er im Herbst 2010 aus der Haft entlassen, hielten ihn Wachen in Fern der Heimat. Chen mit seiner Ehefrau Yuan Weijing auf dem Campus der New York University.
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52 Theater: Milo Rau 55 Studie: Soziale Menschenrechte 56 Tunesien: Kulturelle Hegemonie 58 Bücher: Von »Back to Blood« bis »Die Scanner« 60 Film & Musik: Von »Nach der Revolution« bis »Zoom«
Bringt Menschenrechte auf die Bühne. Milo Rau. Foto: Andrey Stenin / RIA Novosti / pa
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Moskauer Prozesse. Der Schweizer Theatermacher Milo Rau stellt im Moskauer Sacharow-Zentrum drei Prozesse gegen russische Künstler nach.
Die Welt ist die Bühne Der Schweizer Regisseur Milo Rau gilt als führender Vertreter des »Reenactment«-Theaters – der Nachstellung der Realität auf der Bühne. Sein Thema sind die Menschenrechte. Sein Stil ist die Provokation. Von Georg Kasch
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Raus Arbeit stach in eine offene Wunde der russischen Gesellschaft: die Kunst- und Meinungsfreiheit. Zum ersten Mal seit langem konnte in Russland offen darüber gestritten werden, saßen sich erbitterte Kontrahenten in einem Raum gegenüber und mussten einander zuhören. Als ob es eines weiteren Beweises für die schwierige Lage bedurft hätte, wurde der dritte Prozesstag von orthodoxen Kosaken und der Einwanderungsbehörde gestört – erstere sahen ihre Religion besudelt, letztere warf Rau vor, keine Arbeitserlaubnis zu besitzen. Doch Rau ist einer, der Gegenwind aushält. Und der Prozess konnte schließlich zu Ende gebracht werden, nachdem Maxim Schewschenko den Konflikt schlichtete: Der Medienstar des Staatsfernsehens spielte bei dem Reenactment den Chefankläger und setzte sich dabei leidenschaftlich für den Schutz des Sakralen ein. Weil das Staatsfernsehen über die Zwischenfälle berichtete, wurde Rau sogar in dessen Sendungen eingeladen. Ein Etappensieg für den Künstler, der damit mehr erreicht hat als viele politische Aktivisten: »Pussy Riot und ähnliche oppositionelle Themen werden im Staatsfernsehen eigentlich komplett ignoriert«, sagt Rau. »Das war jetzt nicht mehr möglich.« Insgesamt hat die Aktion eine Debatte losgetreten. »Jetzt kursieren Bilder, auf denen der orthodoxe Kunsthasser neben dem schwulen postmodernen Künstler sitzt und beide lachend in einem Katalog blättern. Die Leute dachten erst, das sei eine Fotomontage!« Es ist ein ähnlich zaghaftes Zeichen der Hoffnung wie das Ergebnis der Gerichtsverhandlung: Die Jury plädierte mit drei Ja-Stimmen, drei Nein-Stimmen und einer Enthaltung knapp auf unschuldig. Generell aber sieht Rau die Situation in Russland pessimistisch. »Natürlich musste man einander während des Prozesses zuhören. Einige haben auch danach noch miteinander geredet. Aber die Fronten hier sind so verhärtet, dass es keinen echten Dialog mehr geben kann. Dmitri Gutow, einer der bekanntesten Künstler Russlands, hat zu mir gesagt: Wir befinden uns in Russland im Treibsand. Egal, wie wir uns bewegen – es geht nach unten.« Raus Auseinandersetzung mit den »Moskauer Prozessen« – ein Name, der bewusst auf die stalinistischen Schauprozesse der 1930er Jahre anspielt – begann im Oktober 2012 mit einem Kon-
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Foto: Anton Novoderezhkin / ITAR-TASS / pa
Foto: Yuri Kochetkov / EPA / pa
ann Kunst die Welt verändern? Als der Schweizer Theater- und Filmregisseur Milo Rau Anfang März im Moskauer Sacharow-Zentrum die »Moskauer Prozesse« inszenierte, kappte der Inlandsgeheimdienst gleich das komplette Telefonnetz der Umgebung. »Niemand konnte mehr telefonieren, das haben selbst die russischen staatlichen Medien erwähnt«, erzählt Rau. »Sogar die fragen jetzt, ob das nicht ein bisschen heftig war und die Zusammenhänge des Rechtsstaats hinter sich lässt.« Rau gilt derzeit als einer der wichtigsten und einflussreichsten politischen Theatermacher Europas. Und er zählt zu denen, die sich intensiv mit den Menschenrechten beschäftigen. Diese Auseinandersetzung begann 2009 mit »Die letzten Tage der Ceaușescus«, einem Reenactment, also einer Nachinszenierung des Schauprozesses gegen den rumänischen Diktator und seine Frau, die zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Und sie setzte sich fort bis zu den »Moskauer Prozessen« im März, als Rau an drei Tagen drei in den vergangenen Jahren geführte russische Gerichtsverhandlungen nachstellte, bei denen es um Kunstfreiheit ging – mit Richtern, Schöffen, Anklägern und Angeklagten, die zwar nicht immer identisch mit denen der Originalprozesse waren, aber doch reale Vertreter der Gesellschaft. Zwei der Prozesse betrafen religionskritische Ausstellungen in den Jahren 2003 und 2006, die im Sacharow-Zentrum gezeigt worden waren, in dem die gleichnamige oppositionelle Stiftung ihren Sitz hat. Der dritte und brisanteste – weil jüngste und medial präsenteste – Prozess behandelte den Auftritt der Punk-Band Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale. Auf der Anklagebank im Sacharow-Zentrum saß dabei Jekaterina Samuzewitsch, jenes Band-Mitglied, dessen Haftstrafe auf Bewährung ausgesetzt wurde. Was bei seiner Gerichtsshow herauskommen würde, wusste Rau nicht, schließlich war die siebenköpfige Jury mit Moskauer Bürgern besetzt, die im Bezug auf Alter, Geschlecht und politische Einstellung in etwa repräsentativ waren für die russische Bevölkerung. Er wusste nicht einmal, ob die »Prozesse« überhaupt stattfinden würden: »Die sieben Wochen davor habe ich in ständiger Angst und Panik verbracht«, erzählt Rau, der mit seinem Schweizer Dialekt, seiner kräftigen Statur und dem blonden Vollbart nicht gerade wirkt, als sei er leicht aus der Ruhe zu bringen. »Ich wusste, dass die Teilnehmer derart viel zu verlieren hatten, dass ich mich nicht vollständig auf sie verlassen konnte. Das Projekt stand ständig auf der Kippe.«
Provokateur. Milo Rau.
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»Kunst kann symbolische Akte schaffen. Wenn man Glück hat, setzen die dann Kettenreaktionen in Gang.«
Foto: Ulf Mauder / dpa / pa
gress am Nationaltheater Weimar. Die meisten seiner Projekte sichert der Regisseur mit wissenschaftlichen Symposien und Publikationen ab. Der Schweizer kommt ursprünglich vom Journalismus und aus der Wissenschaft. Mit 20 ging er auf seine erste große Recherchereise und schrieb anschließend zehn Jahre lang für die »Neue Zürcher Zeitung«. Daneben studierte er Germanistik, Romanistik und Soziologie, schrieb Drehbücher fürs Fernsehen und neun Theaterstücke. In seiner Jugend war der heute 36-Jährige außerdem bei den Schweizer Jungsozialisten aktiv und organisierte Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern. Politischen Themen ist er treu geblieben, wenn er heute seine künstlerischen Interventionen und sozialen Plastiken inszeniert. Vor sieben Jahren gründete er das Internationale Institut für politischen Mord (IIPM). Es dient als seine Produktions-, Recherche- und Denkwerkstatt, die Theaterprojekte wie »Hate Radio« (Amnesty Journal 02-03/12) erst ermöglicht. Bei diesem Reenactment wurde eine exemplarische Stunde jenes Radiosenders nachinszeniert, der 1994 durch seine Hetze maßgeblich zum Völkermord in Ruanda beigetragen hat. Im nachgebauten Studio saßen vier Schauspieler, die rauchten, plauderten und Musik auflegten. »Hate Radio« wurde zu Raus bislang größtem Erfolg in der Theaterszene: 2012 wurde das Stück zum Berliner Theatertreffen eingeladen, in diesem Jahr gastiert es in einer neuen Fassung beim Festival in Avignon. Eine künstlerische Ausnahmeerscheinung ist Rau auch deshalb, weil er sich nicht auf ein Medium verlässt, sondern seine Themen immer über mehrere Kanäle bespielt. Neben der theoretischen Auseinandersetzung und der Bühne nutzt er auch den Film. Weil »Theater nur absurd wenig Leute sehen«, wie Rau sagt. Die 15-stündige Langfassung der »Moskauer Prozesse« läuft derzeit auf Festivals als Videoinstallation, für die Berlinale 2014 erarbeitet er einen 90-minütigen Dokumentarfilm. Auch sein jüngstes Stück »Breiviks Erklärung« plante er von Anfang an als crossmediales Projekt. Über Umwege war Rau an den eigentlich unter Verschluss gehaltenen Text jener Rede gekommen, die Anders Behring Breivik, der Massenmörder von Oslo und Utoya, am 17. April 2012 vor dem Osloer Amtsgericht
Moskauer Prozesse. »Pussy Riot«-Mitglied Jekaterina Samuzewitsch.
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gehalten hat. Sie gibt das Weltbild des Täters wieder, das hinter den Anschlägen stand: Er bekundete darin seine Verbundenheit zu Al Qaida, zum Schweizer Minarettverbot und zur deutschen NSU. Außerdem skizzierte er seine Theorie des Untergangs Europas durch Einwanderung und Multikulturalismus. Natürlich stellt sich die Frage: Darf man den Gedanken eines Massenmörders ein Podium bieten? Zumal eines Volksverhetzers, dessen Ziel immer die größtmögliche Aufmerksamkeit für seine krude, rechtsextreme Ideologie war? Schließlich richtete Breivik das Blutbad an, um gehört zu werden. Kurz vor der Premiere entzog das Nationaltheater Weimar Rau den Veranstaltungsraum. Ein für Rau »extrem nerviger« Vorgang, der sich in München und Basel wiederholte. Das Grauen bei Raus Stück stellt sich vor allem deshalb ein, weil man viele der Behauptungen und Schlussfolgerungen so oder ähnlich schon einmal von konservativen Politikern gehört hat und weil manche Argumentationen gar sozialdemokratischen Mustern folgen – von Diskussionen an deutschen Stammtischen ganz zu schweigen. Die Schauspielerin Sascha Ö. Soydan liest den Text kaugummikauend vor neutraler Kulisse, betont sparsam und blickt den Zuschauer in ihren deutlich gesetzten Pausen intensiv an. Spätestens da erschrickt man über jedes Argument Breiviks, das man so oder so ähnlich schon einmal woanders gehört hat. Vielleicht ist es dieser kritische Blick nach Innen – nach Deutschland, Österreich und immer wieder in die Schweiz, der ihm die Autorität verleiht, ebenso souverän nach Rumänien, Russland und Ruanda zu blicken. Im St. Gallener Projekt »City of Change« von 2010 ist aus einer künstlerischen Intervention eine reale Petition zur Einführung des Ausländerstimmrechts hervorgegangen. Derzeit beschäftigt sich Rau in den »Zürcher Prozessen« mit dem Widerstreit zwischen Pressefreiheit und dem Schutz von Minderheiten im Fall der »Weltwoche«, die zwischen rechtskonservativer Polemik und verfassungsfeindlicher Hetze anzusiedeln ist. Wie in Moskau gilt: Ausgang offen. Kann Kunst die Welt verändern? »Ich denke, dass Kunst symbolische Akte schaffen kann«, sagt Rau. »Wenn man Glück hat, setzten die dann Kettenreaktionen in Gang. Wenn man Pech hat, wird man im Feuilleton hämisch besprochen und es ist allen egal.« Der Autor arbeitet als Kulturjournalist in Berlin. Diesen Artikel können Sie sich in unserer iPad-App vorlesen lassen: www.amnesty.de/app
aMnesty joUrnal | 06-07/2013
Foto: Khalil Senosi / AP / pa
Nicht ungerecht, sondern Unrecht
Recht auf Unterkunft. Amnesty-Protest gegen Zwangsräumung im Slum Kibera, Kenia.
Mit seiner umfassenden Studie »Soziale Menschenrechte« schließt Michael Krennerich, Dozent für Menschenrechte, endlich eine Lücke in der deutschsprachigen Literatur. Von Alexander Hülle
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ie wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte – im Titel des Buches als »soziale Menschenrechte« zusammengefasst – gelten oft noch immer als die »vergessenen Rechte«, als »Rechte der zweiten Generation« oder »Erfüllungsrechte«, als bloße Absichtserklärungen für eine bessere Welt, die mit durchsetzbaren oder einklagbaren Rechten wenig zu tun haben. Selbst bei ihren Befürwortern herrscht häufig die Vorstellung, die Rechte z.B. auf einen angemessenen Lebensstandard, auf Nahrung, Wasser, Gesundheit, Arbeit oder Bildung seien nur teure »Leistungsrechte«, die von Staaten Unmögliches forderten. Diese auch in Deutschland immer noch stark verbreiteten Ansichten widerlegt Michael Krennerich, Privatdozent am Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg, mit seiner Studie eindrucksvoll. Er bestimmt und interpretiert die wichtigsten sozialen Rechte genau und stellt Anwendungsbeispiele vor. Die klare Darstellung der Inhalte räumt mit vielen möglichen Missverständnissen auf – das Recht auf Gesundheit ist kein Recht, gesund zu sein, das Recht auf Arbeit sichert nicht jedem einen Arbeitsplatz. Es wird dabei deutlich, dass auch soziale Rechte Freiheits- und Abwehrrechte gegen staatliches Willkürhandeln oder Untätigkeit gegenüber Rechtsverletzungen Dritter sind. Die Unterlassung rechtswidriger Zwangsräumungen durch staatliche Stellen ist eine Umsetzung des Rechts auf angemessene Unterkunft. Und jeder Staat kann sie sofort und ohne übermäßige Inanspruchnahme seiner Ressourcen leisten; daher muss er es auch sofort tun, sofern er Vertragsstaat z.B. des UNO-Sozialpaktes ist.
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soziale Menschenrechte
Dass es nicht um eine akademische Übung geht, sondern um dringend gebotene Aufklärung, wird deutlich, indem Krennerich die Durchsetzungsmöglichkeiten sozialer Menschenrechte darlegt. Auch wenn die dafür geschaffenen internationalen, regionalen und nationalen Mechanismen nach Sicht des Autors »eher bellen als beißen« können, entfalten sie dennoch Wirkung und haben die Lebensumstände vieler Menschen bereits nachhaltig verbessert. Ein Beispiel dafür ist die »Treatment Action Campaign« in Südafrika, die den Zugang zu HIV/AIDSMedikamenten für Millionen Erkrankte erstreiten konnte. Für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen liegt der entscheidende Unterschied darin, dass diese Verletzungen nicht einfach nur ungerecht, sondern Unrecht sind. Der Unrechtscharakter von Verletzungen der sozialen Rechte ist nicht nur für die in den vergangenen Jahren zu beobachtende Umorientierung in der Entwicklungszusammenarbeit wesentlich. Die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International beruht ganz wesentlich auf dem Mechanismus des »naming, shaming, blaming«, bei dem Ross (der Unrechtstatbestand) und Reiter (der dafür Verantwortliche) klar zu benennen sein müssen. Die Erfahrungen, die Amnesty International seit 2006 mit der Kampagne »Mit Menschenrechten gegen Armut« gemacht hat, zeigen: Auch soziale Rechte sind vermittelbar und die Arbeit dazu führt zu Erfolgen! Ein Fakt, der die These des Buches nachdrücklich bestätigt. Das lebendig, klar und verständlich geschriebene Buch bietet Einsteigern eine gute Einführung mit einer Fülle von Beispielen und Fachleuten eine umfassende Referenz zu den sozialen Menschenrechten. Damit schließt es eine große Lücke in der deutschsprachigen Literatur. Der Autor ist Vorstandssprecher von Amnesty International Deutschland. Michael Krennerich: Soziale Menschenrechte – Zwischen Recht und Politik. Wochenschau Verlag, Schwalbach/Taunus, 2013. 526 Seiten, 29,90 Euro.
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Foto: Patrick Andrade / Polaris / laif
Wenn der Bote die Botschaft nicht versteht
Heimat der Exilkubaner. Biscayne Bay, Miami.
US-Starautor Tom Wolfe behandelt in seinem neuen Roman das Zusammenleben von Migranten und den Rassismus der Polizei in Florida – und sieht dabei alt aus. Von Maik Söhler
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om Wolfe, seit Jahren gefeierter US-Schriftsteller (»Fegefeuer der Eitelkeiten«, 1987, »Ein ganzer Kerl«, 1998) liefert uns einen guten Vorwand, um endlich mal vom Grundsatz abzukommen, dass der Bote nicht für die (schlechte) Botschaft verantwortlich ist. Ist er nämlich doch, wie sein neuer Roman »Back To Blood« beweist – ein Altherrenlamento auf mehr als 750 Seiten über die misslungene Integration von Migranten und gesellschaftlichen Zerfall in Florida. Nestor Camacho, der Protagonist des Buches, braucht nur wenige Tage im Dienst der Wasserschutzpolizei, um sich in Florida unbeliebt zu machen. Ein kubanischer Flüchtling hat ein kleines Schiff geentert und sich auf dem Mast verschanzt – nur wenige Meter vor dem Hafengelände. Erreicht er das Festland, wird er Asyl in den USA bekommen. Wird er auf dem Wasser abgefangen, so wird es vorerst nichts mit dem Asyl. Die Küstenwache hat dann über seinen Fall zu befinden, im ungünstigsten Fall droht die Abschiebung nach Kuba. Ausgerechnet Camacho, Sohn kubanischer Eltern, ist es, der den Flüchtling auf spektakuläre Art vom Mast holt, bevor er das Festland erreichen kann. Die exilkubanische Gemeinde Floridas läuft Sturm. Selbst seine Eltern lassen den Polizisten fortan links liegen. Der Bürger-
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meister und der Polizeipräsident geraten darüber in Streit, wie mit Camacho weiter zu verfahren sei. Nach seiner Versetzung zu einer Spezialeinheit kommt es zum nächsten Eklat. Zwei schwarze Dealer wehren sich, als sie von Camacho und einem Kollegen festgenommen werden. Im Handgemenge fallen rassistische Beleidigungen, ein Video des Vorfalls landet auf YouTube, der Streit zwischen dem Bürgermeister mit kubanischem Migrationshintergrund und dem schwarzen Polizeichef gewinnt an Härte. Wolfes Setting ist gut geeignet, um viele der Widersprüche und sozialen Probleme literarisch zu behandeln, die die Geschichte der Migration in den USA mit sich bringen kann. Die Botschaft ist klar. Doch der Bote vermag ihre Komplexität nicht zu begreifen. Anders als in »Fegefeuer der Eitelkeiten« fehlen die vielen kleinen Details, die die Grauzone des Menschlichen zwischen Heldengeschichten und Chroniken des Versagens ausmachen und die all jene verschiedenen Formen von Zusammengehörigkeit (zu einer Gemeinschaft, einer Stadt, einem Beruf, einer sozialen Schicht) aufeinanderprallen lassen. Statt widerstreitenden Motiven innerhalb einer Person und ihrer Umgebung liefert uns Wolfe Klischees satt. Klischees über Exilkubaner, Schwarze und Haitianer. Klischees über Dealer, Polizisten und Journalisten. Klischees über Männer und Frauen, Arme und Reiche, Junge und Alte. Der ganze Roman ist ein einziges Klischee. Schade. Tom Wolfe: Back To Blood. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Karl Blessing Verlag, München 2013, 768 Seiten, 24,99 Euro.
aMnesty joUrnal | 06-07/2013
Für die Schule lernen wir
Gewalt gegen Frauen beenden
»Jeder Bürger hat das Recht auf Bildung«, heißt es im Artikel 33 der indonesischen Verfassung, und genau darüber hat Andrea Hirata einen autobiografischen Roman geschrieben. Er heißt »Die Regenbogentruppe« und erzählt die Geschichte von elf Schülern, die allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Recht auf Bildung verwirklichen wollen. Denn auf Belitung, einst eine der reichsten Inseln Indonesiens, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Kinder armer Eltern eine Schule besuchen können. Mindestens zehn Kinder müssen zusammenkommen, damit Ikal, der Ich-Erzähler des Romans, überhaupt seine schulische Karriere beginnen kann und damit die Grundlage findet, auf der das Jahrzehnte später aus Dankbarkeit für seine Lehrerin geschriebene Buch basiert. Es werden gerade mal zehn Schüler, allesamt Kinder von Fischern und Hilfsarbeitern, die fortan in einem windschiefen Gebäude ohne Grundausstattung und sanitäre Einrichtungen unterrichtet werden. Schon bald trachten der Staat und eine Bergbaugesellschaft danach, die Schule zu schließen. Doch unermüdlicher Einsatz, Geschick und Mut von Lehrern und Schülern sorgen dafür, dass dort nicht nur fürs Leben, sondern auch für den Erhalt der Schule gelernt wird. Ein Happy End und zehn nicht ganz so schöne Enden später taucht man als Leser wieder aus der Sozialgeschichte Indonesiens auf. Ein kurzweiliges, intelligentes Buch – nicht nur für Bildungsbeflissene.
Ein zugleich systematisches wie kenntnisreiches Buch zur »Gewalt gegen Frauen in Südostasien und China« haben Genia Findeisen und Kristina Großmann für die Südostasien-Informationsstelle vorgelegt. 21 Einzelbeiträge sowie ein einleitendes Kapitel und ein Beitrag zur häuslichen Gewalt wurden zu einem Sachbuch zusammengefügt. Von der Rechtslage über unterschiedliche Gewaltformen, Schutzgesetze und Prävention bis zur Rolle von Frauen und Männern, gesellschaftlichem Umgang und frauenrechtlichem Engagement reichen die Kategorien, auf deren Grundlage eine Bestandsaufnahme und Bewertung von Gewalt gegen Frauen in verschiedenen Ländern Asiens geleistet wird. Indonesien nimmt dabei besonders viel Raum ein. Daraus ergibt sich der Vorteil, das Thema am Beispiel eines Landes zu vertiefen und auch einmal Randaspekte, wie etwa das kritische Männernetzwerk »Allianz der neuen Männer«, in den Blick zu bekommen. Ansonsten arbeiten die Autorinnen und Autoren wissenschaftlich Statistiken, Umfragen und neueste Forschungsergebnisse aus elf asiatischen Staaten heraus. Deutlich wird auch das Engagement von Amnesty International, wenn es um Aufklärung und Maßnahmen zur Gewalt gegen Frauen geht. Gunda Opfer, Sprecherin der Themen-Koordinationsgruppe »Menschenrechtsverletzungen an Frauen« der deutschen Sektion, hebt insbesondere die im Jahr 2004 gestartete Kampagne »Hinsehen und Handeln – Gewalt gegen Frauen verhindern« heraus.
Andrea Hirata: Die Regenbogentruppe. Aus dem Indonesischen von Peter Sternagel. Hanser Berlin, Berlin 2013, 272
Genia Findeisen und Kristina Großmann (Hrsg.): Gewalt
Seiten, 19,90 Euro.
gegen Frauen in Südostasien und China. Regiospectra Verlag, Berlin 2013, 244 Seiten, 19,90 Euro.
Verschollen in Afghanistan Seine besten Tage als Kriegsreporter liegen hinter ihm. Doch als Moritz Martens von einer Bacha Posh hört – einer Frau, die als Mann verkleidet mit einer Taliban-Gruppe in Afghanistan Terror ausübt – ist der Reiz des Abenteuers sofort wieder da. Zusammen mit Miriam Khalili, von der er die Geschichte hat, macht er sich auf den Weg in ein Bundeswehrcamp und von dort in die Berge der nordöstlichen Region Badakschan. Vor Ort stellt sich dann alles anders dar als gedacht und Martens wird die Taliban monatelang als Gefangener begleiten. Linus Reichlin, bekannt als Krimiautor, wagt sich in seinem Roman »Das Leuchten in der Ferne« an ein neues Genre. Und das Wagnis gelingt. Detailreich ziehen an dem Leser die Landschaften Afghanistans vorbei, der Alltag in den Dörfern und Städten, die Präsenz fremder Truppen und der Reiz, den die Taliban auf die Jugend in vielen verarmten Bauernfamilien ausüben. Vor allem die Beschreibungen der Taliban-Gruppe sind gelungen. Es offenbart sich eine triste, von Männern dominierte Welt voll simpler Weltbilder und Emotionen, in der Geld und Religion miteinander wetteifern, Steinigungen zur Tagesordnung gehören und wo für viele der einzige Reichtum in einer Fülle an Entbehrungen besteht. Reichlin geht also jenseits der von internationalen Armeen kontrollierten Gebiete dahin, wo es wehtut. Und das macht er gut.
Wissen ist Macht »Alles Wissen für alle! Jederzeit! Kostenlos!« – was für ein großartiges Versprechen. Doch was sich nach einer perfekten Welt anhört, entpuppt sich als Lüge und Propagandawerkzeug. Unter dem Vorwand allen Menschen sämtliches Wissen über das Ultranetz zugänglich zu machen, lässt die Scan AG im Jahr 2035 sogenannte Buchagenten nach Lesern und Buchbesitzern fahnden. Bücher und andere Printprodukte werden für horrende Summen aufgekauft, eingescannt und über das Ultranetz verbreitet. Soweit die schöne Theorie. Was jedoch auch Rob, selbst Buchagent und Ich-Erzähler dieses ebenso spannenden wie nachdenklich stimmenden Romans, nicht ahnt – alle Inhalte werden zensiert, bevor sie ins Netz gelangen, systemkritische Bücher vernichtet. Darunter auch Bradburys »Fahrenheit 451«, Orwells »1984« und Huxleys »Schöne neue Welt«. Wissen ist Macht. Wer das Wissen kontrolliert, kontrolliert mit ihm die Menschen, deren Meinung und ihr Leben. Und genau danach strebt der Ultranetz-Konzern: Die totale Kontrolle. Lediglich eine kleine Gruppe von Autoren, Journalisten, Gelehrten und anderen Buchliebhabern, die Büchergilde, durchschaut das falsche Spiel. Robs scheinbar zufälliges Zusammentreffen mit ihnen ändert sein bis dahin eher beschauliches Leben von Grund auf.
Linus Reichlin: Das Leuchten in der Ferne. Galiani, Berlin
Robert M. Sonntag: Die Scanner. Fischer KJB, Frankfurt am
2013, 320 Seiten, 19,99 Euro.
Main 2013, 192 Seiten, 12,99 Euro. Ab 12 Jahren.
Bücher: Maik Söhler, Marlene Zöhrer kUltUr
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BÜcher
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Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt oder man lässt sie »verschwinden«. aMnesty international veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle drei Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu beenden. Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie bitte eine digitale Kopie an aMnesty international.
Foto: Baba Amro News
BrieFe gegen Das vergessen
syrien ali MahMoUD othMan Der Aktivist Ali Mahmoud Othman wurde im März 2012 in der Provinz Aleppo festgenommen und befindet sich seitdem an einem unbekannten Ort in Haft. Er gehörte einem Netzwerk von Aktivisten an, das in der Stadt Homs ein provisorisches Medienzentrum unterhielt. Es gab Filmmaterial an Nachrichtenagenturen weiter und half ausländischen Journalisten, während des militärischen Angriffs auf das Viertel Baba Amr im Februar 2012 nach Homs hineinzukommen bzw. die Stadt zu verlassen. Von einem anderen syrischen Aktivisten hat Amnesty International erfahren, dass Regierungskräfte Ali Mahmoud Othman eine Kurzmitteilung geschickt hatten, um ihn an einen bestimmten Ort zu locken, wo er dann festgenommen wurde. Im April 2012 strahlte das syrische Staatsfernsehen ein Interview mit Ali Mahmoud Othman aus, in dem man ihm Fragen zu seiner Beteiligung an der Protestbewegung in Homs und zu seinen Medienaktivitäten stellte. Aktivisten in Syrien sind der Ansicht, dass Ali Mahmoud Othman zu dem Interview gezwungen wurde. Seither fehlt von Ali Mahmoud Othman jede Spur. Im November 2012 sagte ein außerhalb Syriens lebender Familienangehöriger Amnesty, die Familie habe aus inoffizieller Quelle erfahren, dass Ali Mahmoud Othman in das berüchtigte Militärgefängnis Saydnaya nahe Damaskus gebracht worden sei. Schreiben Sie bitte höflich formulierte Briefe an den syrischen Botschafter bei den Vereinten Nationen, in denen Sie ihn auffordern, die syrischen Behörden anzuhalten, die Familie von Ali Mahmoud Othman unverzüglich über dessen Verbleib und die Gründe für seine Inhaftierung zu informieren. Dringen Sie darauf, dass Ali Mahmoud Othman vor Misshandlungen geschützt wird und umgehend Zugang zu seiner Familie, einem Rechtsbeistand seiner Wahl und medizinischer Versorgung erhält. Bitten Sie die Behörden zudem darum, seinen Rechtsstatus bekannt zu geben und ihn entweder bedingungslos freizulassen oder einer international als Straftat anerkannten Handlung anzuklagen und in einem fairen Verfahren vor Gericht zu stellen.
aMnesty international Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin Tel.: 030 - 42 02 48 - 0 Fax: 030 - 42 02 48 - 488 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de
Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch an: His Excellency Bashar Ja’afari Ambassador Extraordinary and Plenipotentiary Permanent Representative of the Syrian Arab Republic to the United Nations 820 Second Avenue, 15th Floor (Between 43rd Street and 44th Street) New York, NY 10017, USA (Anrede: Your Excellency / Exzellenz) (Standardbrief Luftpost bis 20g: € 0,75)
Spendenkonto Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00 oder Postbank Köln Konto: 22 40 46 - 502, BLZ: 370 100 50 BIC: BFSWDE33XXX IBAN: DE23370205000008090100
Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Arabischen Republik Syrien Frau Abir Jarf Geschäftsträgerin a.i., Gesandte, Botschaftsrätin Rauchstraße 25, 10787 Berlin Fax: 030 - 50 17 73 11 E-Mail: info@syrianembassy.de
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aMnesty joUrnal | 06-07/2013
Miriam López, Hausfrau und Mutter von vier Kindern, wurde 2011 von Angehörigen des mexikanischen Militärs vergewaltigt und in anderer Weise gefoltert. Zwei Soldaten nahmen sie am 2. Februar 2011 in ihrem Heimatort Ensenada im Bundesstaat Baja California willkürlich fest. Sie hielten Miriam López zunächst eine Woche lang in einer Kaserne gefangen und verhörten sie bezüglich mutmaßlicher Drogendelikte. In dieser Zeit wurde Miriam López dreimal vergewaltigt und mit Elektroschocks und simuliertem Ersticken gefoltert. Sie wurde außerdem gezwungen, in schmerzhaften Positionen zu verharren. Die Soldaten zeigten ihr Bilder von ihrem Mann und ihren Kindern und drohten damit, ihnen etwas anzutun, sollte sie nicht kooperieren. Miriam López wurde schließlich im September 2011 ohne Anklage freigelassen. Bisher ist in diesem Fall niemand zur Rechenschaft gezogen worden. So wie Miriam López erging es in den vergangenen Jahren Tausenden weiteren Personen im Gewahrsam der mexikanischen Behörden. Besonders der vermehrte Einsatz von Soldaten zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens hat zur Folter und Misshandlung von Inhaftierten beigetragen. Der UNO-Ausschuss gegen Folter erteilte der mexikanischen Regierung im Jahr 2012 Empfehlungen, deren vollständige Umsetzung zur Eindämmung der Folter und Misshandlung führen würde. Schreiben Sie bitte höflich formulierte Briefe an den mexikanischen Präsidenten, in denen Sie ihn auffordern, umgehend für eine umfassende und unparteiische Untersuchung der willkürlichen Inhaftierung, Vergewaltigung und Folterung von Miriam López zu sorgen. Dringen Sie zudem darauf, dass die Ergebnisse veröffentlicht und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Fordern Sie von den Behörden die Ausarbeitung eines umfassenden Plans zur Umsetzung der Empfehlungen, die der UNO-Ausschuss gegen Folter abgegeben hat. Schreiben Sie in gutem Spanisch, Englisch oder auf Deutsch an: President Enrique Peña Nieto Residencia Oficial de los Pinos Casa Miguel Alemán Col. San Miguel Chapultepec, C.P. 11850 Mexico City, MEXIKO Fax: 00 52 - 55 50 - 93 53 21 E-Mail: enrique.penanieto@presidencia.gob.mx (Anrede: Estimado Señor Presidente / Dear President Peña Nieto / Sehr geehrter Herr Präsident) (Standardbrief Luftpost bis 20g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Vereinigten Mexikanischen Staaten S. E. Herrn Francisco N. González Díaz Klingelhöferstraße 3, 10785 Berlin Fax: 030 - 269 32 37 00 E-Mail: mail@mexale.de
BrieFe gegen Das vergessen
Foto: Karen Veldkamp / Amnesty
Foto: Agencia Reforma
Mexiko MiriaM lópez
rUssische FöDeration pUssy riot Am 17. August 2012 wurden drei Mitglieder der feministischen Punkband Pussy Riot von einem Gericht in Moskau des »Rowdytums aufgrund antireligiösen Hasses« für schuldig befunden und zu jeweils zwei Jahren Haft verurteilt. Maria »Mascha« Aljochina, Jekaterina »Katja« Samuzewitsch und Nadeschda »Nadja« Tolokonnikowa waren festgenommen worden, nachdem sie einen Protestsong in einer Moskauer Kathedrale gesungen hatten. Das Lied richtete sich gegen Wladimir Putin, der zu dem Zeitpunkt als russischer Präsident kandidierte. Außerdem wurde darin die Unterstützung Putins durch einige Angehörige der Russisch-Orthodoxen Kirche kritisiert. Im Berufungsverfahren erhielt Jekaterina Samuzewitsch eine Bewährungsstrafe und wurde im Oktober 2012 freigelassen. Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa wurden Ende Oktober beziehungsweise Anfang November in verschiedene Strafkolonien gebracht. Nadeschda Tolokonnikowa wurde als Näherin beschäftigt; Maria Aljochina wurde kurz darauf in einen Strafblock gebracht, angeblich zu ihrer eigenen Sicherheit. Die beiden Frauen haben kleine Kinder, denen der tägliche Kontakt mit ihren Müttern vorenthalten wird. Schreiben Sie bitte höflich formulierte Briefe an den russischen Generalstaatsanwalt. Fordern Sie die umgehende und bedingungslose Freilassung von Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa, die Amnesty International als gewaltlose politische Gefangene betrachtet, die nur deshalb inhaftiert sind, weil sie friedlich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben. Dringen Sie darauf, dass die Schuldsprüche von Jekaterina Samuzewitsch, Maria Aljochina und Nadeschda Tolokonnikowa aufgehoben werden. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch an: Generalstaatsanwalt Yurii Yakovlevich Chaika ul. B. Dimitrovka, d. 15a Moscow, GSP-3, 107048 RUSSISCHE FÖDERATION Fax: 007 - 495 - 692 17 25 und 007 - 495 - 987 58 41 (bitte sagen Sie: »Fax«) E-Mail: prgenproc@gov.ru (Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt) (Standardbrief Luftpost bis 20g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Russischen Föderation S. E. Herrn Vladimir M. Grinin Unter den Linden 63–65, 10117 Berlin Fax: 030 - 229 93 97 E-Mail: info@russische-Botschaft.de
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Foto: Amnesty
aktiv FÜr aMnesty
Wieder auf Tour. Das Amnesty-Mobil bereist in diesem Sommer erneut Festivals und Stadtfeste. Erstmals macht es auch auf Schulhöfen Station.
Das aMnesty-MoBil rollt WieDer In diesem Sommer gehen wir wieder mit unserem Amnesty-Mobil, einem umgebauten Doppeldeckerbus der Berliner Verkehrsbetriebe, auf Tour! Wir besuchen Stadtfeste und Festivals, um dort für die Menschenrechte zu werben und die Besucher über die Arbeit von Amnesty International zu informieren. Auftakt war, wie bereits im vergangenen Jahr, das DGB-Fest in Hannover am 1. Mai, dem Tag der Arbeit. Bis zum Herbst wird der Bus weitere Veranstaltungen besuchen, wie zum Beispiel das Reggae-Festival »Summerjam« am Fühlinger See in Köln oder das »Streetlife«-Festival in München. Hauptthema der Tour 2013 ist Ägypten. Mit dem Slogan »Macht Mächtigen Druck. Für Ägyptens Zukunft!« und den dazugehörigen Aktionen wollen wir zusammen mit den Besuchern des Amnesty-Mobils dieses Jahr genau das machen: Die Mächtigen Ägyptens unter Druck setzen, damit dort zwei Jahre nach dem Sturz Mubaraks endlich Meinungsfreiheit und Frauenrechte geachtet werden, Folter unter Strafe gestellt wird und die Op-
fer von Polizei- und Militärgewalt Gerechtigkeit erhalten. Mit Farbe und Pinsel können die Besucher des Amnesty-Mobils ihrer Kreativität auf Stoffbeuteln und Bannern freien Lauf lassen. Als Inspiration dient das Motiv der Nofretete mit der Gasmaske des ägyptischen Graffiti-Künstlers El-Zeft – ein Symbol der ägyptischen Revolution. Zum dritten Jahrestag der Revolution am 25. Januar 2014 sollen die Plakate dann zu einem Gesamtkunstwerk zusammengestellt werden. Zudem werden Petitionsunterschriften gesammelt, die anschließend den Verantwortlichen in Ägypten übergeben werden. Wir hoffen auf eine rege Beteiligung, damit 2013 genauso erfolgreich wird wie unsere Tour im vergangenen Jahr. Unter dem Motto »Hände hoch für die Waffenkontrolle!« konnten wir fast 8.000 Petitionsunterschriften für einen strengeren Waffenkontrollvertrag sammeln. Text: Yasmin Richter
Die britische Kultband »The Cure« hat im April auf ihrer Lateinamerika-Tour für die Amnesty-Kampagne »My Body, My Rights« geworben. Die Kampagne fordert, allen Menschen Gesundheitsversorgung und Beratung in Sachen Sexualität und Fortpflanzung zu ermöglichen. »Wir haben Tausende junger Fans, die es natürlich verdienen, über ihren Körper eigenständig zu bestimmen«, sagte Sänger Robert Smith. »Selbst wenn nur wenige Leute aus unseren Konzerten mit dem Gefühl kommen, dass sie mehr Kontrolle über ihren Körper und ihr Leben haben, wäre das eine gute Sache.« The Cure war zum ersten Mal seit 17 Jahren auf Konzerttour in Lateinamerika.
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Foto: Amnesty
the cUre UnterstÜtzt aMnesty-kaMpagne
Für Amnesty aktiv. Cure-Sänger Robert Smith.
aMnesty joUrnal | 06-07/2013
»Flüchtlingsschutz in Deutschland« lautet das Thema des 13. Symposiums zum Flüchtlingsschutz, das am 24. und 25. Juni in Berlin in der Französischen Friedrichstadtkirche stattfindet. Nachdem in den vergangenen Jahren der Schwerpunkt des Symposiums auf dem europäischen Recht lag, sollen nun – zwanzig Jahre nach dem Asylkompromiss – Verbesserungsmöglichkeiten des Flüchtlingsschutzes in Deutschland im Fokus stehen. Das Berliner Symposium wird sich mit den Lebensbedingungen von Asylsuchenden, mit etwaigen Defiziten im Flüchtlingsrecht und im Asylverfahren beschäftigen. Ziel der Veranstaltung ist es, das Problembewusstsein in Sachen Flüchtlingsschutz zu schärfen und Alternativen aufzuzeigen. Die Tagung wird jährlich von der Evangelischen Akademie in Berlin – unter anderem in Kooperation mit Amnesty – organisiert. Anmeldungen können per Mail an die Evangelische Akademie gerichtet werden: elter@eaberlin.de.
aktiv FÜr aMnesty
Durch ganz unterschiedliche Veranstaltungen geben Amnesty-Mitglieder den Opfern von Menschenrechtsverletzungen eine Stimme. Diese Aktionen vor Ort sind ein unentbehrlicher Teil der Arbeit von Amnesty International. Mehr Informationen darüber finden Sie auf http://blog.amnesty.de und www.amnesty.de/kalender
iMpressUM Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin, Tel.: 030 - 42 02 48 - 0, E-Mail: info@amnesty.de, Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion Amnesty Journal, Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin, E-Mail: journal@amnesty.de (für Nachrichten an die Redaktion) Redaktion: Bernd Ackehurst, Markus N. Beeko, Anton Landgraf (V.i.S.d.P.), Ramin M. Nowzad, Larissa Probst Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Daniel Bax, Bernd Beier, Selmin Çalışkan, Verena Glass, Verena Haan, Philipp Hedemann, Alexander Hülle, Georg Kasch, Jürgen Kiontke, Edith Kresta, Sylvia Meier, Katharina Nägler, Ralf Rebmann, Wera Reusch, Uta von Schrenk, Salil Shetty, Maik Söhler, Kathrin Zeiske, Marlene Zöhrer Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk / schrenkwerk.de Druck: Hofmann Druck, Nürnberg Vertrieb: Carnivora Verlagsservice, Berlin Bankverbindung: Amnesty International, Kontonr. 80 90 100, Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln, BLZ 370 205 00, BIC: BFSWDE33XXX, IBAN: DE23370205000008090100 Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Nichtmitglieder können das Amnesty Journal für 30 Euro pro Jahr abonnieren. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.
ISSN: 1433-4356
aktiv FÜr aMnesty
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Zeichnung: Oliver Grajewski
syMposiUM zUM »FlÜchtlingsschUtz in DeUtschlanD«
Kurz nach meinem Amtsantritt fuhr ich nach Erlangen. Die Amnesty-Gruppe vor Ort hatte mich eingeladen – zu einer Regionalkonferenz und zu einer Aktion anlässlich des Internationalen Frauentags. Gemeinsam forderten wir von den UNO-Staaten einen Vertrag, der nicht nur Waffengeschäfte mit Kriegsverbrechern verbietet, sondern die Staaten auch verpflichtet zu prüfen, ob ihre Rüstungslieferungen zur Gewalt gegen Frauen oder zum Einsatz von Kindersoldaten beitragen. Wir hielten Plakate mit dem Bild einer Banole: Einer Kreuzung aus Banane und Pistole. Ein Hingucker, der auf die absurde Situation hinweist, dass es zwar internationale Regeln für den Handel mit Bananen gibt, aber nicht für den mit Waffen. Seit 20 Jahren arbeitet Amnesty daran, diesen Zustand zu ändern. Kurz nach unserer Aktion in Erlangen fand die entscheidende Konferenz in New York statt. Dort handelten die Diplomaten endlich einen Vertragstext aus, der – trotz einiger Schwächen – viel bewirken könnte, wenn er umgesetzt wird. Die Generalversammlung der UNO verabschiedete das Abkommen bei nur drei Gegenstimmen. Ein großer Schritt. Ich weiß nicht, ob unsere Aktion in Erlangen zu dem Erfolg beigetragen hat. Sicher ist, dass er nur durch das beharrliche Engagement Zehntausender Aktivisten und Aktivistinnen und mit der Unterstützung von Millionen Menschen weltweit zustande kam. Symbole wie die Banole haben dabei geholfen, diese Unterstützung zu mobilisieren. Jetzt müssen wir daran arbeiten, dass der Erfolg nicht symbolisch bleibt: 50 Staaten müssen den Vertrag ratifizieren, damit er in Kraft tritt. Die deutsche Regierung hat zunächst wenig getan, um das Abkommen auf den Weg zu bringen. Auch sie musste erst überzeugt werden. Aber schließlich haben deutsche Diplomaten mitgeholfen, einen guten Text mit großer Mehrheit zu verabschieden. Einige Wochen nach dem Erfolg in New York war ich bei Außenminister Guido Westerwelle zum Antrittsbesuch eingeladen. Ich konnte ihm für das deutsche Engagement danken und eine schnelle Umsetzung des Vertrags fordern. Da durfte die Banole nicht fehlen: Für das gemeinsame Foto drückte ich dem Minister eines der Plakate in die Hand. Und so kam sie mit ins Bild. Selmin Çalışkan ist Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.
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ZEIG FLAGGE FÜR FRAUEN! Im Januar dieses Jahres kam es in Ägypten am Rande von Demonstrationen zu schockierenden sexuellen Übergriffen. Hunderte Männer umringten einzelne Frauen, rissen ihnen Kleider und Schleier vom Körper und belästigten sie körperlich. In manchen Fällen kam es sogar zu Vergewaltigungen. Die Frauen sollten damit von öffentlichen Plätzen ferngehalten und zum Schweigen gebracht werden. Doch viele Ägypterinnen lassen sich nicht mehr den Mund verbieten. Sie kämpfen lautstark gegen Diskriminierung und für ihr Recht, das neue Ägypten mitzugestalten. Du kannst sie unterstützen.
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