Sozialhilfe - Lockerung der Schweigepflicht

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M 196/2007 GEF M 198/2007 GEF

12. März 2008 GEF C Motion

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Brand, Münchenbuchsee (SVP) Siegenthaler, Rüti b.Büren (SVP) Weitere Unterschriften:

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Eingereicht am:

30.07.2007

Lockerung der Schweigepflichten im Interesse unseres Sozialstaates Der Regierungsrat wird beauftragt, - dem Grossen Rat eine Änderung des Sozialhilfegesetzes sowie allenfalls weiterer Gesetzesartikel (insbesondere des Datenschutzgesetzes) vorzulegen mit dem Ziel, die Schweige- und Auskunftspflicht der Personen, die sich mit dem Vollzug des Sozialhilfegesetzes befassen, zu lockern. - dem Grossen Rat die nötigen Gesetzesänderungen vorzulegen, damit der Informationsaustausch zwischen Polizei und Steuerbehörden sowie allen Amtsstellen, die sich mit der Sozialhilfe und mit der IV befassen, gewährleistet ist. - bei den Bundesbehörden zu intervenieren, falls die eidgenössische Gesetzgebung eine Anpassung des kantonalen Rechtes verunmöglichen sollte. Begründung Die kürzlich aufgedeckten Fälle von Missbrauch unseres Sozialsystems zeigen deutlich, dass die heute geltenden Regeln zum Datenschutz und zur Schweigepflicht zu restriktiv sind. Der Datenschutz kann somit zum Täterschutz werden, was unter allen Umständen verhindert werden muss. Offenbar gilt diese Feststellung nicht nur im Bereich der Sozialhilfe, sondern auch im Bereich der Invalidenversicherung. Fachleute aus dem Sozialbereich verlangen deshalb eine Lockerung der Schweigepflicht und allenfalls eine Anpassung der Datenschutzgesetzgebung. Unser Sozialhilfesystem soll dazu dienen, tatsächlich bedürftige Personen zu unterstützen. Wenn es so offensichtlich missbraucht werden kann, wie die BMW-Fälle in Zürich und Bern zeigen, müssen die gesetzlichen Grundlagen angepasst werden. Die Anpassung der gesetzlichen Grundlagen dient damit vor allem auch den Interessen und der Glaubwürdigkeit unseres Sozialstaates. Im Vergleich mit den Regelungen anderer Kantone, z.B. mit der Regelung im Kanton BaselStadt, ist der Artikel 8 unseres Sozialhilfegesetzes viel zu restriktiv. Im Kanton Basel Stadt (§ 28 des Sozialhilfegesetzes) besteht keine Schweigepflicht gegenüber Verwaltungs- und Gerichtsbehörden des Kantons und seiner Gemeinden, gegenüber Verwaltungen und Gerichten des Bundes und den Verwaltungsbehörden und Gerichten anderer Kantone, wenn diese Behörden die Auskünfte für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigen. Im Kanton Bern (Art. 8 SHG) sind Auskünfte an Behörden nur erlaubt, wenn die Betroffenen (also die Sozialhilfeempfänger!) ihre ausdrückliche Zustimmung erteilen oder wenn das Erfüllen der Sozialhilfeaufgaben es zwingend erfordert. Diese gesetzliche Regelung führt nun offensichtlich zu Missbräuchen.


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Wir könnten uns beispielsweise vorstellen, dass die Regelung des Kantons Basel Stadt übernommen wird, eine Regelung, die sich offenbar bewährt und die datenschutzkonform ist. Die Lockerung der Schweigepflicht ist nicht nur unter Sozialhilfebehörden, sondern auch im Verhältnis zu den Polizeiorganen, zu den Organen der Invalidenversicherung, zu den Steuerbehörden sowie zu weiteren Verwaltungs- und Gerichtsbehörden zwingend nötig. Es wird Dringlichkeit verlangt.

Abgelehnt: 10.09.2007

M 198/2007 GEF Motion Fuchs, Bern (SVP) Weitere Unterschriften:

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Eingereicht am:

07.08.2007

Stopp dem Sozialmissbrauch - Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden Das Drei-Affen-Prinzip „ich sehe nichts, ich höre nichts, ich sage nichts“ scheint immer mehr zum Alltag zu werden, wenn es darum geht, Sozialhilfemissbrauch zu ahnden. Gehandelt wird immer erst dann, wenn Politiker oder Medien einen Fall aufdecken oder wenn Kritik aus den eigenen Reihen kommt. Es scheint zum Beispiel ein offenes Geheimnis zu sein, dass viele Drogendealer finanzielle Unterstützung von der Sozialhilfe oder anderen Stellen erhalten. Sogar die Leiterin des Stadtberner Sozialdienstes, Annemarie Lanker, ihres Zeichens langjähriges SP-Mitglied, vertritt die Meinung, dass der Datenschutz gelockert werden müsse. Sie tat dies bezeichnenderweise am Tage vor ihrer Pensionierung um nicht mehr abgestraft zu werden. Es ist also an der Zeit, dass von politischer Seite das Ganze endlich angepackt wird und verwaltungsintern effizient zusammengearbeitet wird. Ich beauftrage daher den Regierungsrat, die notwendigen Gesetze derart anzupassen, dass 1. bei Missbrauchsverdacht zwischen Sozialdienst und Polizei ein gegenseitiger Datenaustausch erfolgt und rechtlich ermöglicht wird 2. im Falle von missbräuchlichem Bezug von Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe griffigere und einschneidendere Sanktionen möglich sind 3. die Sozialbehörden ungeachtet eines so genannt „persönlichen Vertrauensverhältnisses „ zu ihren Bezügern zur Strafanzeige verpflichtet werden Ein hartes Durchgreifen gegen Sozialmissbraucher ist unabhängig von deren Nationalität ein Muss. Es ist unbestritten, dass wer unverschuldet in Not gerät, Hilfe vom Staat bekommen soll. Drogendealer, Leute die unsere Sozialwerke missbrauchen und Kriminelle zählen aber nicht dazu. Es wird Dringlichkeit verlangt.

Abgelehnt: 10.09.2007

Antwort des Regierungsrates Die beiden Motionen betreffen das gleiche Themenfeld, weshalb sie gemeinsam beantwortet werden können. 1.

Ausganglage


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Die Sozialhilfe geniesst seit einiger Zeit eine hohe Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Ausgelöst durch einzelne gravierende Fälle, in denen Bezügerinnen und Bezüger von Sozialhilfe Leistungen zu Unrecht bezogen haben, ist eine Diskussion entfacht worden, wie solche Fälle verhindert werden könnten. In diesem Zusammenhang wurden auch Vermutungen geäussert, die gesetzlichen Bestimmungen über den Datenschutz würden verhindern, dass missbräuchliches Verhalten von Sozialhilfe beziehenden Personen aufgedeckt und sanktioniert werden kann. Die gesetzlichen Bestimmungen über den Datenschutz sind eingeführt worden, um die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger vor missbräuchlicher Datenbearbeitung durch Organe des Staates zu schützen. Diesen Schutz gewährleisten heute zahlreiche gesetzliche Bestimmungen, sowohl auf Bundes- wie auch auf Kantonsebene. Eine Lockerung dieses Schutzes bedarf deshalb einer sorgfältigen Abklärung. 2. Motion Wisler Albrecht Bereits am 11. September 2006 hat der Grosse Rat einen Vorstoss von Frau Grossrätin Wisler Albrecht (M 115/2006) als Postulat überwiesen. Verlangt wurden darin rechtliche Grundlagen, damit die Sozialdienste unbürokratisch auf die für die Sozialhilfe relevanten Personendaten der Verwaltung zugreifen können. In der Begründung des Vorstosses hatte die Motionärin darauf hingewiesen, dass Ausführungsbestimmungen für den Datenfluss von anderen Amtsstellen zu den Sozialdiensten und von den Sozialdiensten zu anderen Verwaltungsstellen notwendig seien. Der Regierungsrat hatte sich bereit erklärt, den Vorstoss als Postulat zu übernehmen und, unter Beizug von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis, die Frage der Notwendigkeit klärender Bestimmungen im Bereich Datenschutz zu prüfen. Eine Umfrage bei den Sozialdiensten hat ergeben, dass zwar nicht alle, aber doch eine grössere Zahl von Sozialdiensten im Umgang mit dem Datenschutz Probleme haben. Schwierigkeiten bereitet die Anwendung der verschiedenen nebeneinander geltenden Datenschutzbestimmungen. Vorgesehen ist deshalb einerseits eine Verbesserung der Information der betroffenen Amtsstellen, andererseits eine Klärung der Frage, ob gesetzliche Lücken bestehen und allenfalls wie diese geschlossen werden könnten. 3. Gesetzliche Grundlagen Die Behörden von Kanton und Gemeinden des Kantons Bern müssen bei der Beschaffung und Weitergabe von Personendaten regelmässig verschiedene, nebeneinander geltende, gesetzliche Regelungen beachten. − Nach Artikel 10 des kantonalen Datenschutzgesetzes vom 19. Februar 1986 (KDSG) werden Personendaten einer anderen Behörde bekannt gegeben, wenn (a) die verantwortliche Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgabe gesetzlich dazu verpflichtet oder ermächtigt ist oder (b) die Behörde, die Personendaten verlangt, nachweist, dass sie zu deren Bearbeitung gesetzlich befugt ist und keine Geheimhaltungspflicht entgegensteht oder (c) trotz Unvereinbarkeit der Zwecke die betroffene Person ausdrücklich zugestimmt hat oder es in ihrem Interesse liegt. − Das KDSG findet allerdings u.a. keine Anwendung auf hängige Verwaltungsverfahren (Art. 4 Abs. 2 Bst. c KDSG). Die Beschaffung von Daten durch die Sozialdienste findet in der Regel im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens betreffend die Gewährung von Sozialhilfe statt. Soweit es zur Abklärung der Anspruchsberechtigung der Gesuchsteller bzw. der Subsidiarität gegenüber anderen Leistungspflichtigen erforderlich ist, müssen Auskünfte bei Dritten eingeholt werden. Nach Artikel 50 Absatz 1 des Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe vom 11. Juni 2001 (Sozialhilfegesetz, SHG) veranlasst der Sozialdienst die zur Abklärung des Gesuchs erforderlichen Vorkehren. Gestützt auf Artikel 18 des Gesetzes vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG) stellt er den Sachverhalt von Amtes wegen fest und bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen. Als Beweismittel können im Verwaltungsverfahren u.a. Amtsberichte und Auskünfte Dritter herangezogen werden (Art. 19 Abs. 1 VRPG). In Verwaltungsverfah-


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ren haben die Sozialdienste somit eine gesetzliche Grundlage, um bei anderen Behörden Daten zu verlangen. Im Rahmen der laufenden Revision des KDSG ist allerdings geplant, auch erstinstanzliche Verwaltungsverfahren neu der Geltung des KDSG zu unterstellen. Da das VRPG – soweit hier von Bedeutung – jedoch unverändert bleibt, wird sich an den Möglichkeiten der Sozialdienste zur Beweiserhebung dadurch nichts ändern. − Zu beachten sind zudem die Vorschriften über das Amtsgeheimnis. Nach Artikel 58 Absatz 1 des Personalgesetzes vom 16. September 2004, das in Verbindung mit Artikel 32 des Gemeindegesetzes vom 16. März 1998 auch für das Personal der Gemeinden und damit für die Sozialdienste gilt, soweit die Gemeinden keine eigene Regelung erlassen haben, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtet, über Angelegenheiten zu schweigen, die ihnen in ihrer dienstlichen Stellung zur Kenntnis gelangen und die ihrer Natur nach oder nach besonderer Vorschrift geheim zu halten sind. Welche Tatsachen dem Amtsgeheimnis unterstehen, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen. − Mit einzubeziehen sind sodann die verschiedenen spezialgesetzlichen Geheimhaltungspflichten. Das SHG enthält in Artikel 8 eine Bestimmung zur Schweigepflicht. Danach haben Personen, die sich mit dem Vollzug des Gesetzes befassen, über Angelegenheiten, die ihnen dabei zur Kenntnis gelangen und die ihrer Natur nach oder gemäss besonderer Vorschrift geheim zu halten sind, zu schweigen (Absatz 1). Mitteilungen an Behörden oder an bestimmte Privatpersonen sind ihnen erlaubt, wenn die Betroffenen hierzu ihre ausdrückliche Zustimmung erteilen oder wenn das Erfüllen der Sozialhilfeaufgaben es zwingend erfordert (Absatz 2). Besondere Mitteilungspflichten und Mitteilungsrechte gemäss besonderer Gesetzgebung bleiben vorbehalten (Absatz 3). Zu beachten ist, dass Absatz 2 von Artikel 8 SHG nicht die Bekanntgabe generell, sondern die Mitteilung an Behörden und an bestimmte Privatpersonen regelt. Unter Mitteilung ist das ungefragte Aktivwerden einer Behörde zu verstehen (sog. Spontanauskunft). Im SHG nicht geregelt sind aber spezialgesetzlich vorgesehene Datenbekanntgaben sowie Datenbekanntgaben auf Anfrage einer Behörde (Amtshilfe). Die Amtshilfe wird vorab durch Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b KDSG geregelt. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind neben den in Artikel 8 Absatz 2 SHG geregelten Mitteilungen – im Rahmen der Voraussetzungen des KDSG – auch amtshilfeweise Antworten erlaubt. Die Schweigepflicht der Sozialdienste kommt somit dann nicht zur Anwendung, wenn die Betroffenen ihre Einwilligung zur Datenweitergabe erteilen, wenn ein gesetzlich besonders geregeltes Mitteilungsrecht oder gar eine Mitteilungspflicht besteht, wenn das Erfüllen der Sozialhilfeaufgaben es zwingend erfordert oder wenn bei Anfragen einer andern Behörde die Voraussetzungen der Amtshilfe erfüllt sind. Die in Artikel 8 SHG verankerte Schweigepflicht ist somit stark zu relativieren. Sie verhindert in der Regel nicht, dass die Sozialdienste die erforderlichen Auskünfte erteilen bzw. einholen können. Ebenso wenig verhindert sie die Durchführung von Strafuntersuchungen durch die Strafverfolgungsbehörden im Fall des Verdachts auf strafbare Handlungen. 4. Grundsätzliche Stellungnahme zu den Vorstössen Der Regierungsrat hat bereits zum Vorstoss Wisler Albrecht erklärt, dass er zu einer Überprüfung der gesetzlichen Bestimmungen über den Datenschutz in der Sozialhilfe bereit ist. Deshalb verschliesst er sich auch einer Überweisung der beiden vorliegenden Vorstösse nicht. Die Anliegen der Motionäre können jedoch nicht ohne eine gründliche Prüfung der geltenden Grundlagen und der Auswirkungen einer eventuellen Änderung auf andere Regelungsbereiche umgesetzt werden. Dabei ist das öffentliche Interesse an der Durchführung einer Verwaltungsaufgabe gegen das Interesse der betroffenen Personen an der Geheimhaltung der sie betreffenden Daten abzuwägen. Aus diesen Gründen beantragt der Regierungsrat, die beiden Vorstösse (mit Ausnahme von Ziffer 1 der Motion Fuchs, die als Motion angenommen werden kann) als Postulat zu überweisen. 5. Zu den Vorstössen im Einzelnen 5.1 Zur Motion Brand


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Ziffern (Lemmata) 1 und 2: Wie oben bereits ausgeführt, gilt die Schweigepflicht der Sozialdienste bereits heute nicht absolut, sondern es muss im Einzelfall jeweils festgestellt werden, ob die Weitergabe von Personendaten unter Berücksichtigung aller relevanten gesetzlichen Bestimmungen zulässig ist. Da die gesetzliche Regelung bezüglich Datenschutz im Sozialhilfegesetz aber tatsächlich wenig transparent scheint, ist der Regierungsrat bereit zu prüfen, ob und wie die gesetzlichen Regelungen des Datenschutzes im Bereich Sozialhilfe angepasst werden sollen. Ziffer (Lemma) 3: Der Motionär fordert eine Intervention bei den Bundesbehörden, falls die eidgenössische Gesetzgebung eine Anpassung des kantonalen Rechts verunmöglichen sollte. Der Datenschutz im Sozialversicherungsbereich ist zwar bundesrechtlich geregelt. Der Regierungsrat ist aber bereit, auch diesen Bereich in die Überprüfung mit einzubeziehen und den Vorstoss deshalb auch in diesem Punkt als Postulat anzunehmen. 5.2 Zur Motion Fuchs Ziffer 1: Der Motionär beantragt gesetzliche Änderungen mit dem Ziel, bei Missbrauchsverdacht zwischen Sozialdienst und Polizei einen gegenseitigen Datenaustausch zu ermöglichen. Wenn ein Strafverfahren formell eröffnet wird, können die Strafverfolgungsbehörden gemäss Artikel 102 Absatz 1 Ziffer 8 StrV schriftliche Auskünfte bei andern Behörden einholen. Auch die Sozialdienste müssen somit den Strafverfolgungsbehörden die erforderlichen Auskünfte erteilen. Artikel 50 Absatz 4 des Polizeigesetzes vom 8. Juni 1997 (PolG) ermächtigt alle Behörden, also auch die Sozialhilfebehörden, der Polizei im Hinblick auf die Erfüllung polizeilicher Aufgaben Personendaten zu melden. Vorbehalten bleiben die besonderen Geheimhaltungspflichten. Solche bestehen heute aber für Sozialhilfebehörden nicht mehr. Mit dem SHG wurde die im früheren Fürsorgegesetz bestehende besondere Geheimhaltungspflicht aufgehoben. Die heutige gesetzliche Grundlage im Strafprozessbereich wird jedoch in absehbarer Zeit abgelöst werden. Die eidgenössischen Räte haben am 5. Oktober 2007 die neue Schweizerische Strafprozessordnung verabschiedet. Dieses Bundesgesetz, das auf den 1. Januar 2010 in Kraft gesetzt werden dürfte, enthält ebenfalls Bestimmungen über die Geheimhaltung, über die Mitteilung an andere Behörden und über die Datenbearbeitung. So sieht Artikel 75 Absatz 2 vor, dass die Strafbehörden die Sozial- und Vormundschaftsbehörde über eingeleitete Strafverfahren sowie über Strafentscheide informieren, wenn dies zum Schutz einer beschuldigten oder geschädigten Person oder ihrer Angehörigen erforderlich ist. Zudem können Bund und Kantone gemäss Absatz 4 die Strafbehörden zu weitern Mitteilungen an Behörden verpflichten oder berechtigen. Im Rahmen der Justizreform 2 wird gegenwärtig ein kantonales Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, zur Schweizerischen Strafprozessordnung und zur Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (EG ZSJ) vorbereitet. Im Entwurf ist vorgesehen, die Strafbehörden zu ermächtigen, andere Behörden über ein Strafverfahren zu informieren, soweit diese zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe auf die Information angewiesen sind und das Interesse an der Information gegenüber den Persönlichkeitsrechten der Parteien überwiegt. Die strafrechtliche Verfolgung von Missbräuchen soll durch die datenschutzrechtliche Bestimmungen nicht verhindert werden. Der Regierungsrat ist bereit, den ersten Punkt des Vorstosses als Postulat anzunehmen Ziffer 2: Der Motionär möchte im Falle von missbräuchlichem Bezug von Leistungen der Sozialhilfe oder der Sozialversicherungen griffigere und einschneidendere Sanktionen ermöglichen. Die bestehenden gesetzlichen Grundlagen bieten eine ausreichende Handhabe, um den rechtswidrigen Bezug von Leistungen der Sozialhilfe konsequent zu sanktionieren und auch strafrechtlich zu verfolgen. Die wirtschaftliche Hilfe wird bei Pflichtverletzungen oder bei selbstverschuldeter Bedürftigkeit gekürzt (Art. 36 Abs. 1 SHG). Wenn das Subsidiari-


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tätsprinzip verletzt wird, kann die Sozialhilfe auch eingestellt werden. Darüber hinaus besteht für unrechtmässig bezogene Leistungen und bei in grober Weise selbst verschuldeter Bedürftigkeit eine Pflicht zur Rückerstattung (Art. 40, Abs. 4 und 5 SHG). Diese Rückerstattungspflichten gehen weiter als die allgemeine Rückerstattungspflicht bei wesentlicher Verbesserung der wirtschaftlichen Lage gemäss Artikel 40 Absatz 1 SHG. Wer Leistungen durch unrichtige oder unvollständige Angaben oder durch Verschweigung von Tatsachen erwirkt, wird mit Busse bestraft (Art. 85 SHG). Sofern die Tat arglistig begangen wird und die Voraussetzungen des Tatbestands des Betrugs gegeben sind, kann die Handlung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden. Der Regierungsrat hält zwar die bestehenden Möglichkeiten, Sanktionen zu ergreifen, grundsätzlich für ausreichend. Ungenügend sind aber teilweise die Ressourcen, um die Kontrollen wirksam durchzuführen. Deshalb ist der Fallbelastung der einzelnen Sozialarbeitenden Beachtung zu schenken. Zudem wird im Rahmen von Pilotversuchen geprüft, wie die Kontrolltätigkeit u.a. durch die Möglichkeit des Einsatzes von Sozialinspektoren verbessert werden kann. Im vorliegenden Motionstext werden neben Sanktionen im Bereich der Sozialhilfe auch Sanktionen im Bereich der Sozialversicherungen angesprochen. Die Sozialversicherungen sind jedoch bundesrechtlich geregelt. Der Kanton ist nicht zuständig, im Bereich der verschiedenen Sozialversicherungszweige gesetzgeberisch tätig zu werden. Der Regierungsrat ist aus diesen Gründen bereit, das Anliegen des Motionärs im erwähnten Rahmen zu prüfen. Er beantragt, Ziffer 2 der Motion als Postulat anzunehmen. Ziffer 3: Der Motionär fordert, dass die Sozialbehörden zur Strafanzeige verpflichtet werden, ungeachtet eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zu ihren Klientinnen und Klienten. Er nimmt damit auf Artikel 8 Absatz 4 SHG Bezug, der die mit dem Vollzug des SHG befassten Personen von der Mitteilungspflicht an die Untersuchungsbehörde gemäss Artikel 201 StrV ausnimmt. Diese Mitteilungspflicht betrifft die Behörden und die Beamtenschaft des Kantons und der Gemeinden, wenn ihnen in ihrer amtlichen Stellung konkrete Verdachtsgründe für ein von Amtes wegen zu verfolgendes Verbrechen bekannt werden. Die Befreiung von der Mitteilungspflicht soll es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sozialdienste ermöglichen, auf eine Anzeige zu verzichten, wenn dadurch das Ziel der Sozialhilfe, insbesondere die Integration der betroffenen Personen, ansonsten in Frage gestellt würde. Die Befreiung von der Anzeigepflicht ist jedoch nicht in erster Linie auf Fälle des Sozialhilfemissbrauchs, sondern auf andere von Amtes wegen zu verfolgende Verbrechen ausgerichtet. Auch weitere unterstützende Dienste, wie Vormundschaftsbehörden, Schulen, Erziehungsberatungsstellen und in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis stehende Gesundheitsfachpersonen sind von der Anzeigepflicht befreit. Die Befreiung wurde hier deshalb vorgesehen, weil es sich in der Praxis gezeigt hat, dass eine Anzeigepflicht dazu führen kann, dass den Opfern und ihrem Umfeld der Zugang zu einer sie unterstützenden Stelle genommen wird. Zu denken ist etwa an die Misshandlung von Kindern. Die Sozialdienste haben aber bereits heute die Möglichkeit, Strafanzeige einzureichen und sie machen davon auch regelmässig Gebrauch, wenn nicht besondere Gründe dagegen sprechen. Der Regierungsrat ist bereit, die Einführung einer auf Fälle des Sozialhilfemissbrauchs beschränkten Anzeigepflicht zu prüfen. Anträge: Motion Brand: Motion Fuchs:

An den Grossen Rat

Annahme als Postulat Ziffer 1 Annahme als Postulat Ziffer 2: Annahme als Postulat Ziffer 3: Annahme als Postulat


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