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Was ich von Bernd das Brot über das Leben gelernt habe 51

Ein depressives Weißbrot mit viel zu kurzen

Armen hat mich aufs Erwachsensein vorbereitet.

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Wir schreiben das Jahr 2003. Die No Angels geben ihre Trennung bekannt, amerikanische Truppen marschieren in den Irak ein, Christl Stürmer verliert im Finale von Starmania und generell gibt es gerade keinen Grund zum Jubeln. Ungefähr zur selben Zeit beginnt der KiKA mit der Ausstrahlung der Nachtschleife – ein Programm, das die ansonsten sendefreie Zeit des deutschen Fernsehkanals zwischen 21:00 und 6:00 Uhr füllen soll.

Und obwohl nächtliches Fernsehen im deutschsprachigen Raum ein breites Spektrum bedient – von Infomercials für Haushaltsgeräte über Wiederholungen der Golden Girls bis hin zu Kontaktgesuchen reifer Hausfrauen und dem legendären Super RTL-Kaminfeuer –, gab es schon damals eine Handvoll arbeitsloser Stoner und schlecht gelaunter Millennials, die lieber einem depressiven Stück Brot huldigten.

Bernd das Brot hat uns quasi großgezogen. Als unsere Eltern über Nacht weg waren und wir nicht schlafen konnten, hat Bernd uns ein unmotiviertes Lied vorgesungen. Als wir aus Langeweile, Faszination und Befremdlichkeit nicht wegschalten konnten, hat Bernd uns minutenlang angestarrt und gesagt, wir sollen bitte endlich ins Bett gehen.

Als wir später betrunken nachhause kamen und mit einem angeknabberten Block Käse in der Hand vorm Fernseher eingeschlafen sind, hat Bernd auf uns aufgepasst. Bernd war da – ob er nun wollte oder nicht. Und meistens wollte er nicht.

Ein Brotlaib, der alles hasst und einfach nur in Ruhe gelassen werden möchte: Das war neu und irgendwie so viel besser als alles andere, das wir bis dahin vom Fernsehen, geschweige denn einem Kindersender, gewohnt waren. Bernd hatte tiefe Augenringe, einen kastenförmigen, unproportionalen Körper, viel zu kurze

Arme, schlechten Teint und keine Lust. Bernd war wie wir. Vielleicht haben wir schon damals etwas in ihm gesehen, von dem wir insgeheim wussten, dass wir es eines Tages selbst werden würden.

Zu Beginn jeder Nachtschleife – die in der Regel nur ein paar Minuten andauert und danach, äh, in einer Schleife weiterläuft – wird Bernd meist widerwillig und möglichst unbequem vor einer weißen Wand abgesetzt, bevor er so was wie „Mist“ oder „Mein Leben ist die Hölle“ raunzt. Kommt euch bekannt vor? Willkommen zu jedem Montagmorgen eures Lebens.

Auch der wohl bekannteste Running Gag aus den Nachtschleifen lässt sich heute recht einfach in unser tristes Dasein übersetzen: Jedes Mal, wenn Bernd mal wieder genug von allem hat und einfach aus dem Bildschirm gehen will (und das will er oft), kommt er schnurstracks auf der anderen Seite wieder rein.

Egal, wie sehr er sich auch bemüht, er kommt hier nicht raus. Jeder Fluchtversuch ist zwecklos. Bernd ist gefangen in dieser ewig gleichen Schleife von ewig gleichen Umgebungen und ewig gleichen Abläufen. Wenn das mal keine bitterernste Hamsterrad-Analogie ist, dann weiß ich auch nicht. Hat Bernd das Brot etwa die längste Zeit versucht, uns im Schlaf auf den Ernst des Lebens vorzubereiten?

Der Legende nach hat Tommy Krappweis Bernd einst auf eine Serviette gezeichnet und gemeinsam mit seinem Kollegen Norman Cöster erfunden. Für Krappweis verkörpert die Figur in erster Linie das „Recht auf schlechte Laune“, wie er uns gegenüber erzählt: „Egal ob TV, Werbung oder Social Media: Überall bekommt man mehr oder weniger subtil vermittelt, man möge doch bitte immer glücklich, zufrieden, ausgeglichen und dankbar debil grinsend vor sich hin funktionieren“, so der Brot-Papa. „Aber jeder hat mal einen Scheißtag – unabhängig davon, wie alt man ist. Und wir wissen aus Zuschriften, dass Kinder ihren Eltern dann sagen: ‚Mama, ich fühl mich gerade brotig, aber das geht wieder vorbei.‘ Das heißt, du kannst ‚das Brot in dir‘ erkennen und so die Situation auch ein Stück weit abstrahieren, was immer hilfreich ist – auch bei Erwachsenen.“

Auch für Bernds Zukunft ist laut Tommy Krappweis bestens gesorgt. „Wir haben gerade erst eine neue Nachtschleife produziert und Bernd damit geködert, dass er selbige zum ersten Mal verlassen darf“, sagt Krappweis weiter. „Das war insofern auch für uns spannend, als dass Bernd das Brot ja eigentlich eine Handpuppe ist (Anmerkung: WHAT?!) und als solche unten einen Puppenspieler dranhängen hat. Der musste Bernd nun von hinten spielen, während unten mechanische Brötchenfüße dranbaumeln, die mit einer Art Rückzugsmechanik zum Laufen gebracht werden. Der Effekt ist gleichermaßen erstaunlich wie … naja, verstörend. Auch für Bernd selbst. Außerdem muss Bernd das Brot in der neuen Nachschleife wieder einmal singen und das hasst er ja besonders.“

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