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Für die Ägypter bedeutet Brot Leben.
from bock auf... Brot
by anna.pommer
Halsbrecherische Brottransporteure liefern es an die hungrige Metropole.
Aish baladi ist, genauso wie der Nil, eine Quelle des Lebens. Das handgemachte Brot ist in Ägypten ein Grundnahrungsmittel, einst existierten 82 verschiedene Arten. In Kairo bekommt man es überall, dafür sorgen die agalati, die Brotträger, mit ihrem riesigen Netzwerk. Sie liefern das Brot an Restaurants und an die Imbissstände, die ful und andere Köstlichkeiten in der Metropole verkaufen. Weizenkleie und -mehl machen das Brot so rau, dass es Staub und giftige Partikel magnetisch anzieht, trotzdem isst es jeder. Die Kunst der agalati besteht darin, auf ihren Köpfen große Tabletts mit Broten durch die wilden Straßen Kairos mit dem Fahrrad zu manövrieren—wie Verrückte, die geradewegs in einen Sturm hineinrudern.
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Regala ist eine Bäckerei in der Innenstadt Kairos. Das einzige Licht spenden ein paar Neonröhren und der laufende Ofen, der Boden ist mit Weizenkleie bedeckt, die fast aussieht wie Sägespäne. Acht Männer arbeiten hier, einige barfuß. Sie ziehen sich gegenseitig auf und werden erst nach einigen Augenblicken auf mich aufmerksam. Andere, Mahmoud zum Beispiel, versuchen dem Gespräch zu folgen, aus ihren Kopfhörern dröhnt in voller Lautstärke shaabi-Musik.
Ihren Teig behandeln sich wie das wertvollste Gut, gleichzeitig geht es hier aber auch so schnell zu wie in einem Fast-Food-Laden. Täglich werden hier 24.000 Brote gebacken aus insgesamt 1,5 Tonnen Mehl. Ali ist 24 und hat eigentlich ein technisches Studium absolviert. Er träumt davon, zu kündigen. Seine langen Wimpern sind mit Mehl bestäubt, als käme er selbst gerade aus dem Ofen. „Ich mag es nicht, die ganze Zeit zu stehen und keine Pausen zu haben", beschwert er sich, sein Kollege kniet gerade für ein schnelles zweiminütiges Gebet nieder.
„Das subventionierte Brot reicht nicht für alle", meint der Besitzer Ahmed. In Ägypten wird weltweit das meiste Brot gegessen und das Land ist der größte Weizenimporteur. Drei Milliarden Dollar gibt die Regierung in Kairo jährlich für das Subventionssystem aus, das seit den 60ern existiert, so sollte das Brot billig bleiben. Heute kostet ein subventioniertes aish baladi fünf Piaster [umgerechnet nicht einmal einen Cent], 50 Millionen Ägypter profitieren davon. Präsident Abd al-Fattah al-Sisi hat 2015 sogenannte Smartcards eingeführt, damit das System nachvollziehbarer wird und es gar nicht erst zu Bestechungen kommt.
„Brot, Freiheit und Gerechtigkeit" ist der Schlachtruf und der Nährboden für alle sozialen Unruhen in Ägypten in den letzten 50 Jahren, vonPresident Sadats Versuch, die Brotsubventionen 1977 zu streichen, bis hin zum Anstiegder Lebensmittelpreise 2007 und 2008 und dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak. Wenn das Volk kein Brot bekommt, geht es auf die Straße.
Für mehr als 80 Millionen Ägypter
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Aish bedeutet nicht nur Brot, sondern auch Leben. Wenn Ägypter gestresst sind, sagen sie akl el aish murr, in etwa: Brot zu essen ist bitter. Eigentlich meint dieses Sprichwort: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Wirtschaft ist schwach, die Korruption blüht, Ehe und Essen sind teuer, der Verkehr ist unerträglich und so weiter. Aber ein Ägypter beschwert sich nicht.
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