RUBRIK
LOVE FOOD HATE WASTE
Issue 01/2013 | lovefoodhatewaste.at| € 4,90
LOVE FOOD HATE WASTE 01/13
CONTENT Geography of Hunger Hunger is Organised Crime Love Food Hate Waste The Waste of Resources Change Through Daily Purchase
IMPRINT Love Food Hate Waste AG Hainburger Straße 33, 1030 Wien Tel. +43-1-51414-0 info@lovefoodhatewaste.com Concept, Artdirection and Illustration: Anna Frey (anna_frey@gmx.at) References: Valentin Thurn „Die Essensvernichter“ Interview Jean Ziegler (der Standard) FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) Anita Blasberg (die Zeit.de) Mental Support: Susanne Eder, Dominik Guzei
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EDITORIAL
EDITORIAL Wenn wir uns darüber empören, dass so viel verschwendet wird, dann müssen wir uns auch darüber empören, wie heutzutage mit unserem Essen umgegangen wird, und zwar von der Aussaat bis zu dem Zeitpunkt, da es in die Supermarktregale einsortiert wird! Nichts demonstriert besser, welchen Grad an Idiotie das System der globalen industriellen Nahrungsmittelproduktion erreicht hat, als die Verschwendung von Essen. Sie ist zum Sinnbild aller Probleme im Zusammenhang mit der extremen Kommerzialisierung geworden. Die Verschwendung ist aber nicht nur ein ethisches Problem angesichts einer Milliarde Menschen auf dieser Welt, die unter Hunger und Unterernährung leiden, sondern auch ein ökonomisches und ökologisches Problem: Wie viel Geld und Energie könnten weit besser eingesetzt werden, indem ein wirklich nachhaltiges System der Nahrungsmittelproduktion eingeführt würde, das auf lokalen Landwirtschaften und neu-erlerntem, intelligentem Konsum beruht. Vorbild hierfür können die traditionellen bäuerlichen Gesellschaften sein, weil sie nicht nur dem Essen Respekt entgegenbrachten, sondern auch Meister im Wiederverwerten und Recyceln waren. Und sie können uns lehren, dass dann, wenn man den Dingen die rechte Wertschätzung entgegenbringt, auch der Genuss eine ganz andere Bedeutung erlangt, allerdings nicht wie heute immer mehr verstanden als Statussymbol und Luxus, sondern als tief empfundene Freude am Leben, am wirklichen Wohlbefinden. Auch der Genuss kann also der Verschwendung entgegenwirken, denn gerade er lehrt uns, dass das Essen in all seiner Komplexität gesehen werden muss, um ihm wieder Bedeutung zu verleihen, um ihm den rechten Wert zurückzugeben. Beginnen wir deshalb bei uns zu Hause, im Alltag, machen wir uns Gedankendarüber, was wir essen und was wir wegwerfen: Das Leben wirdschöner werden und an Bedeutung gewinnen, wenn wir begreifen, was hinter den Dingen steckt, die wir essen. Zugleich tun wir damit der Erde und ihren Bewohnern einen Gefallen. Valentin Thurn
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Text & Illustration: Anna Frey
GEOGRAPHY OF HUNGER There are 7.1 billion people living on our planet. 925 million of us do not have enough to eat and almost one billion is permanently malnourished.
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ach Schätzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) belief sich die Zahl der chronisch schwerst unterernährten Menschen 2010 auf 925 Millionen, gegenüber 1023 Millionen im Jahr 2009. Fast eine Milliarde der gesamten Weltbevölkerung (7 Mrd.), die unseren Planten bewohnt, leidet permanent an Hunger und seinen direkten Folgen.
98 % der permanent Unterernährten lebt in Entwicklungsländer. Der Großteil dieser Hungerkatastrophe (65%) geschieht in nur sieben Ländern. Dazu zählen: Indien, China, Republik Kongo, Bangladesch, Pakistan und Äthiopien. Hunger stellt das weltweit größte Gesundheitsrisiko dar. Jährlich sterben mehr Menschen an Hunger als an Malaria AIDS, und Tuberkulose zusammen. 18 von 70 Mio. Todesfällen jährlich können auf Hunger und Unterernährung zurück geführt werden.
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GEOGRAPHY OF HUNGER
ONE-SEVENTH (1 BILLION) OF THE WORLD’S POPULATION IS PERMANENTLY MALNOURISHED
CAUSES OF DEATH WORLDWIDE, MORE PEOPLE DIE FROM HUNGER THAN FROM AIDS, MALARIA AND TBC. HUNGER AIDS MALARIA TUBERKOLOSE
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9 Mrd. 7.1 Mrd.
3 Mrd.
1960
2013
2050
DEVELOPMENT OF GLOBAL GROWTH
OF 7.1 BILLION PEOPLE WORLDWIDE, 1 BILLION IS OVERWEIGHT AND 1 BILLION MALNOURISHED
65% OF HUNGER OCCURS IN JUST 7 COUNTRIES: INDIA CHINA BANGLADESCH CONGO PAKISTAN ETHIOPIA TANZANIA 98% OF HUNGER OCCURS IN DEVELOPING COUNTRIES
ONE IN EIGHT PEOPLE HAS TO GO TO BED HUNGRY.
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217 MIO. 154 MIO. 43.4 MIO. 37 MIO. 32.5 MIO. 31.5 MIO. 16.1 MIO.
GEOGRAPHY OF HUNGER
CHRONISCHER HUNGER Zustand konstanter oder regelmäßiger Unterernährung. Ist meist eng mit akuter Armut verknüpft und global am weitesten verbreitet. Chronische Unterernährung ist häufig auf den ersten Blick nicht sichtbar, hat aber dramatische Folgen. Der Körper schränkt körperliche und geistige Aktivitäten ein, Initiative und Konzentrationsfähigkeit nehmen ab und apathische Zustände treten ein. Bei Kindern kann die kognitive und physische Entwicklung und Gesundheit unumkehrbar beeinträchtigt werden. AKUTER HUNGER Schwere Unterernährung über einen langen abgrenzbaren Zeitraum; extremste Form von Hunger. Ausgelöst durch Naturkatastrophen wie Dürreperioden sowie politische Konflikte und Kriege. Weltweit sind momentan acht Prozent der Hungernden betroffen. UNTERERNÄHRUNG Unterernährung wird durch einen Mangel an Nährstoffen und/oder Vitaminmangel ausgelöst. Es handelt sich um einen quantitativen Begriff und tritt nach Definition der FAO ein, wenn die tägliche Energiezufuhr für einen längeren Zeitraum unter dem Bedarfsminimum liegt, das für einen gesunden Körper und ein aktives Leben benötigt wird. Die erforderliche Nahrungsmenge variiert zwischen Ländern sowie zwischen Altersgruppen und Geschlechtern, liegt aber laut der FAO durchschnittlich bei etwa 1.800 Kilokalorien am Tag. Unterernährung ist das Ergebnis einer mangelhaften Ernährung.
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Die Welt produziert genug Nahrung für 12 Milliarden Menschen – das entspricht knapp der zweifachen globalen Bevölkerung. Trotzdem geht einer von acht Menschen auf unserem Planeten jede Nacht hungrig zu Bett. Warum existiert also Hunger? ARMUTSFALLE Menschen in Armut können sich häufig nicht genug nahrhaftes Essen für sich und ihre Familien leisten. Dadurch werden sie geschwächt, was es ihnen noch unmöglicher macht ausreichend Geld zu verdienen, um der Armut und dem Hunger zu entkommen. Dabei geht es nicht nur um tagesabhängige Situationen: Wenn Kinder chronisch unternährt sind, kann das ihre körperliche und geistige Entwicklung negativ beeinflussen und sie zu einem Leben in Armut und Hunger verdammen. In Entwicklungsländern können sich Bauern oftmals nicht genug Samen leisten um Landwirtschaft für ihre Familien zu betreiben. FEHLENDE INVESTITIONEN IN DIE LOKALE LANDWIRTSCHAFT In den meisten Entwicklungsländern fehlt es an grundlegender landwirtschaftlicher Infrastruktur wie Wasser, Straßen, und Lagerhäuser. Das Resultat sind hohe Transportkosten, fehlende Lagermöglichkeiten und unbeständige Wasservorräte. Diese Faktoren limitieren die landwirtschaftlichen Erträge und damit den Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln. Investitionen in Landverwaltung, effektivere Wassernutzung und widerstandsfähigere Samen können die Lage entscheidend verbessern. Studien der FAO zeigen, dass Investitionen in Landwirtschaft fünf mal effektiver zur Bekämpfung von Armut und Hunger sind als in allen anderen Branchen. KLIMA UND WETTER Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, tropische Stürme und lange Dürreperioden werden immer häufiger – mit dramatischen Folgen für die Hungernden in Entwicklungsländern. Dürre ist eine der häufigsten Ursa-
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chen für weltweite Nahrungsmittelknappheit. In vielen Ländern verschlechtert der Klimawandel die bereits ungünstigen Bedingungen. Fruchtbares Ackerland weltweit wird zunehmend von Erosion, Bodenversalzung und Verwüstung bedroht. Menschliche Abholzung beschleunigt die Erosion von Land welches zum Anbau von Pflanzen genützt werden könnten. KRIEG UND VERTREIBUNG Auf der ganzen Welt bringen Konflikte immer wieder die Landwirtschaft und Nahrungsproduktion zum erliegen. Aufstände und Kriege zwingen Millionen von Menschen aus ihrer Heimat zu fliehen und von ständiger Hungersnot bedroht zu sein, da ihnen nichts mehr bleibt um selbst Nahrung zu produzieren. INSTABILE MÄRKTE In den letzten Jahren verdoppelte sich der Preis für Grundnahrungsmittel. Das macht es schwerer für die Ärmsten an Nahrungsmittel zu kommen. Gerade sie bräuchten jedoch einen ständigen Zugang zu Nahrung. ESSENSVERSCHWENDUNG Ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel (1.3 Mrd. Tonnen) wird nie konsumiert. Diese Verschwendung repräsentiert eine verpasste Gelegenheit die globale Nahrungssicherheit zu garantieren, und das in einer Welt wo jeder achte Mensch hungert. Um dieses Essen zu produzieren, werden kostbare natürliche Ressourcen verschwendet, die wir bräuchten um die Welt zu ernähren. Zusätzlich gelangen dadurch jährlich ca. 3,3 Milliarden Tonnen an Treibhausgase in die Atmosphäre, mit entsprechenden Konsequenzen für das Klima und letztlich die Nahrungsproduktion.
GEOGRAPHY OF HUNGER
FACTORS OF HUNGER
NATURAL DISASTER
POPULATION BOOM
DROUGHT
CEREAL SHORTAGE
WATER SHORTAGE
CONFLICTS
STOCK SPECULATION
FOOD WASTE
EXPORT EMBARGO
PRICE DUMPING
LAND GRABBING
+ 31%
+ 63%
+ 100%
PRICE INCREASE ON THE GLOBAL FOOD MARKET SINCE 2012.
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Text: Jean Ziegler | Photo: Fred Merz
HUNGER IS ORGANISED CRIME Worldwide one child dies from hunger every five seconds. This makes it impossible for Jean Ziegler, former UN special rapporteur on the right to food, to come to rest. In his interview he speaks about corrupt banks, speculators betting on agricultural products, a cannibalistic world order and the causes for global hunger.
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INTERVIEW
Den Politikern müsste das doch klar sein.
Sie werden nicht müde, in Ihrem Buch zu betonen, dass alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren verhungert.
„Jedes Kind, das gerade jetzt, wo wir reden, stirbt, wird ermordet.“
Nicht ich behaupte das, sondern die Welternährungsorganisation FAO. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 57000 Menschen sterben pro Tag an Hunger. Eine Milliarde Menschen sind permanent schwerst unterernährt. Und das auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt. Der World Food Report der UNO sagt, dass die Weltlandwirtschaft problemlos fast 12 Milliarden Menschen ernähren könnte. Das ist nahezu das Doppelte der Weltbevölkerung. Seit Beginn dieses Jahrtausends gibt es keinen objektiven Nahrungsmittelmangel mehr. Jedes Kind, das gerade jetzt, wo wir reden, stirbt, wird ermordet. Was sind die Ursachen? Die Mechanismen, die für dieses tägliche Massaker verantwortlich sind, sind vielfach: Die Börsenspekulation auf Grundnahrungsmittel, die EU-Dumpingpolitik in Afrika, der Landraub, dann die Überschuldung der meisten Entwicklungsländer, die Investitionen in ihre eigene Landwirtschaft verhindern. Und letztlich der Agrartreibstoff. Das heißt, unsere Entscheidung an der Tankstelle wirkt sich auf die Welternährung aus? Natürlich. Unter dem Vorwand des Klimaschutzes haben zum Beispiel die USA letztes Jahr 138 Millionen Tonnen Mais und hunderte Millionen Tonnen Getreide verbrannt, um Bioethanol und Biodiesel herzustellen. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dazu kommt: Die Produktionsmethode von Bioethanol ist total umweltschädigend. Die Herstellung eines einzigen Liters Bioethanol erfordert 4000 Liter Wasser und setzt Unmengen CO2 frei.
Autonome Politiker gibt es äußerst selten. Die Konzerne diktieren ihr Gesetz auch den demokratischen Staaten des Westens. Sie funktionieren nach Profitmaximierung. Es herrscht eine kannibalische Weltordnung. Zehn weltumspannende Konzerne kontrollieren 85 Prozent der weltweit gehandelten Grundnahrungsmittel. Diese Konzerne entscheiden, wer isst und lebt oder wer hungert und stirbt. Die Frage von Leben und Tod ist die nach dem Zugang zur Nahrung und nicht nach der Produktion der Nahrung. Kann man auch als Verbraucher etwas tun? Sehr viel sogar. Erstens keine gentechnisch veränderte Nahrung kaufen, weil das die Finanzsklaverei für die Bauern bedeutet. Die müssen dann für die Aussaat nächstes Jahr Lizenzgebühren bezahlen. Dann in Weltläden einkaufen, dank derer der Produzent einen gerechten Preis erhält. Vegetarier sein, wenn möglich. Die Weltgetreideernte beträgt in normalen Zeiten zwei Milliarden Tonnen. Davon gehen 500 Millionen Tonnen weg für die Intensivernährung von Schlachtvieh. Wer wenig oder kein Fleisch isst, setzt Nahrung frei für Menschen. Nur saisonal einkaufen. Trauben aus Chile im Dezember in Berlin oder Stuttgart zu kaufen, ist ein totaler Blödsinn. Man soll nur das kaufen, was in der eigenen Region produziert wird, und nur dann, wenn es produziert wird. Sie sehen die Verantwortung also in jedem Einzelnen? Jeder weiß, dass dieser fürchterliche Massenmord durch verfassungsgerechte Reformen in Demokratien schon morgen Früh gestoppt werden könnte. Nur der Zufall der physischen Geburt trennt uns von den Opfern, nichts anderes. Das Solidaritätsbewusstsein, der Aufstand des Gewissens, steht bevor. Davon bin ich überzeugt. Che Guevara hat gesagt: „Auch die stärksten Mauern fallen durch Risse.“
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Text: Valentin Thurn | Illustration: Anna Frey
LOVE FOOD HATE WASTE One third of the global food production is not consumed and ends as waste. In the European Union the average citizen wastes 179 kg of food per year. At the same time one billion people suffer from hunger every day.
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FOOD WASTE
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ro Jahr werden 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen oder sind Verluste entlang der Wertschöpfungskette. Das ist rund ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel. Industrieländer und Entwicklungsländer unterscheiden sich in der Summe der Verluste an Lebensmitteln nicht wesentlich. Sie liegen jeweils bei 670 beziehungsweise 630 Millionen Tonnen. Für Europa schätzen die Autorinnen und Autoren der FAO-Studie einen pro Kopf Verlust über die gesamte Wertschöpfungskette von 280 bis 300 Kilogramm. Europäerinnen und Europäer sowie Nordamerikanerinnen und Nordamerikaner werfen zwischen 95 und 115 Kilogramm Essen im Jahr im Haushalt weg, vor allem Obst und Gemüse, obwohl der Großteil noch genießbar wäre. Hinzu kommen Berge von Lebensmitteln, die der Einzelhandel aussortiert. Die Menschen in Afrika und im südlichen Asien werfen dagegen kaum etwas weg. Doch auch dort gibt es große Lebensmittelverluste von über 40 Prozent nach der Ernte und bei den folgenden Schritten, weil Lebensmittel unzureichend gelagert, verpackt und gekühlt werden. In den Industrieländern gehen die Lebensmittel zu über 40 Prozent im Handel
sowie bei den Konsumentinnen und Konsumenten verloren, überwiegend, indem essbare Lebensmittel weggeworfen werden. Die Gründe liegen einerseits in der mangelnden Abstimmung zwischen den einzelnen Handelsstufen und andererseits in den Konsumgewohnheiten. Viele Lebensmittel werden weggeworfen, weil sie in Form und Aussehen nicht der Norm entsprechen. Fehlende Einkaufsplanung oder übertriebene Vorsicht bei Haltbarkeitsdaten werden in der FAO-Studie genannt. Oft wird zudem mehr eingekauft, als tatsächlich benötigt wird. Durch den Kauf kleinerer Portionen oder Packungen und zum Beispiel durch Einfrieren von Lebensmitteln könnte der Verschwendung mehr Einhalt geboten werden. 179 KILO PRO PERSON In der Europäischen Union werden jedes Jahr pro Person durchschnittlich 179 Kilo Lebensmittel weggeworfen. Das macht insgesamt zirka 89 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr. Gemäß einer von der EU finanzierten Untersuchung „Preparatory study on food waste across EU 27“ gehen 42 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel auf das Konto der privaten Haushalte. 39 % landen bei den Herstellern im Müll, 14 % in der Gastronomie und 5% bei den Einzelhändlern.
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Ein Drittel der weltweit für den menschlichen Verzehr geernteten und produzierten Lebensmittel landet auf dem Müll, Schätzungen für die Industrieländer gehen sogar von der Hälfte aus. Der jährliche Müllberg wächst immer weiter, seit den 197oer Jahren hat er sich um 50 Prozent vergrößert. MASSENWARE Lebensmittel sind heute Massenware, die Discounter unterbieten sich im Preis. Im Supermarkt sollen wir uns zwischen über 100 Joghurtsorten entscheiden, eine Auswahl, die nur zu oft im Kühlschrank verdirbt. Wo fängt Verschwendung an, und wie definiere ich Lebensmittelmüll? Da werden oft Äpfel mit Birnen verglichen. Sind Biosprit und Fleischkonsum nicht auch Formen der Lebensmittelverschwendung? Über eine Milliarde Menschen auf der Welt sind übergewichtig, ernähren sich falsch und nehmen viel zu viele energiereiche Speisen und Getränke zu sich. Ist das ebenfalls Verschwendung oder sogar eine eingeplante Form der Müllentsorgung in einem auf wachsenden Konsum und Überproduktion ausgerichteten Wirtschaftssystem? Produzieren und verschwenden die Nahrungsmittelmultis aus Renditegründen bewusst viel zu viele Waren oder benötigt eine gesunde Volkswirtschaft nicht eine gewisse Überproduktion, um in Krisenzeiten abgesichert zu sein?
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Wir sind es gewohnt, im Supermarkt zu jeder Tages- und Jahreszeit alles zu finden, was wir benötigen: Erdbeeren im Dezember und frisches Brot bis in die Nacht hinein. Das sorgfältig arrangierte Überangebot verführt uns, mehr zu kaufen, als wir letztendlich verarbeiten können. Ein Drittel wandert vom Kühlschrank direkt in den Mülleimer, ohne dass es überhaupt auf den Tisch gekommen ist. 1,3 MILLIARDEN TONNEN Eine einfache Prüfung schauen, riechen, schmecken – würde reichen, doch viele trauen sich das nicht mehr zu. Was fast kein Verbraucher weiß: Das Datum wird von den Herstellern selbst aufgedruckt, nicht von einer Behörde. Unter dem Vorwand des Verbraucherschutzes werden die Fristen immer kürzer gefasst, um den Warenumschlag zu erhöhen. Für die scharf kalkulierenden Unternehmen ist es offenbar rentabler, Überschuss für die Mülltonne zu produzieren. Europa wirft jedes Jahr drei Millionen Tonnen Brot auf den Müll. Ganz Spanien könnte damit versorgt werden. Denn schlimmer als wegwerfen ist es, Kunden an die Konkurrenz zu verlieren. Angesichts des Wettbewerbsdrucks ist das Risiko hoch. Finanziell ist es allerdings kein großes Problem, denn der Ausschuss und seine Entsorgung sind eingeplant und bereits »eingepreist«, auf alle Waren umgelegt.
FOOD WASTE
ONE THIRD OF THE GLOBAL FOOD PRODUCTION ENDS AS WASTE. THIS AMOUNT CORRESPONDS TO A VOLUME OF 216.6 MILLION GARBAGE TRUCKS, EACH 6 TONS. = 10.000.000 TONS
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Text: Anita Blasberg | Illustration: Anna Frey
THE WASTE OF RESOURCES With hundreds of millions of hungry people worldwide, it is criminally wasteful to feed perfectly edible food to farmed animals in order to produce meat – especially when you consider that it takes 8 pounds of grain to make one pound of meat.
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ie weltweite Verschwendung von Lebensmitteln richtet einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge große Umweltschäden an. Demnach werden 28 Prozent des weltweiten Ackerlands dazu genutzt, Nahrung zu produzieren, die nie gegessen wird. Allein diese Produktion verbrauche etwa ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs, währendessen 17% der Weltbevölkerung kein sauberes Trinkwasser haben. Zudem stammen ein Drittel aller Klimagase aus der Lebensmittelerzeugung. Der Lebensmittelmüll trägt somit mehr zur Klimaerwärmung bei als der gesamte Transportverkehr weltweit. Eine Halbierung dieser Verschwendung würde ebenso viele Klimagase sparen, wie wenn jedes zweite Auto stillgelegt würde. Die UN wollen sich damit nicht abfinden: „Wir alle – Landwirte und Fischer, Lebens mittelproduzenten und Supermärkte, lokale und nationale Regierungen sowie Verbraucher – müssen in jedem Glied der menschlichen Nahrungsmittelkette etwas ändern“, sagte FAO-Generaldirektor José Graziano.
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91 % OF GLOBAL AGRICULTURAL LAND IS USED FOR LIVESTOCK FEEDING.
WASTE OF RESOURCES
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TO PRODUCE 1 KILOGRAMM OF MEAT YOU NEED 8 KILOGRAMM GRAIN AND 16.000 LITRES OF WATER
WITH 8 KILOGRAMM GRAIN YOU CAN FEED 30 PEOPLE.
WITH 1 KILOGRAMM MEAT YOU CAN FEED 5 PEOPLE.
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Text: Valentin Thurn | Illustration: Anna Frey
YOUR DAILY PURCHASE CAN CHANGE THE WORLD The effort to obtain and produce food in order to subsequently throw it away is too large. The rules for avoiding food waste is common knowledge. They are simple and require little effort.
BUY LESS
LESS MEAT
LESS WASTE
QUALITY OVER QUANTITY
CHECK OUT ORIGIN
CEREAL SHORTAGE
CONSCIOUS SHOPPING
FACTORY FARMING
FOOD WASTE
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FREQUENT SMALL PURCHASES
BUY LOCAL
CKECK EXPIRATION DATE BY YOURSELF
AVOID FASTFOOD
WHAT YOU CAN DO
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er Gedanke des politischen oder kritischen Konsums basiert auf der Überzeugung, dass jeder Einzelne durch seine Kaufentscheidung die Macht hat, Dinge zu verändern. Als Konsumenten stehen wir am Ende einer globalen Produktionsund Vermarktungskette, die in vielen Fällen mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung verbunden ist.
Die Herstellung unserer Konsumgüter hat weitreichende ökologische und soziale Folgen. Durch die Veränderung unseres Kaufund Konsumverhaltens können wir sowohl unseren ökologischen Fußabdruck verkleinern, als auch die sozialen Bedingungen der in der Landwirtschaft Beschäftigten verbessern helfen. Konsum wird also zu einer politischen Aktion. Ziel des kritischen Konsums ist es, „so zu leben, zu wohnen, einzukaufen und sich fortzubewegen, dass der Rest der Welt darunter nicht zu leiden hat. Oder sogar davon profitiert.“ WAS KANN ICH TUN? Jeder von uns braucht Lebensmittel, jeden Tag. Und auch jeden Tag kann man sich an dem großen Projekt, die Lebensmittelverschwendung im die Hälfte reduzieren, aktiv beteiligen. Mitmachen ist ganz einfach, wenn wir das grundlegende Prinzip beherzigen, dem alle anderen Lebewesen auch folgen: Iss Nahrung und vergeude sie nicht. Der
Aufwand, Nahrungsmittel zu besorgen und herzustellen, um sie anschließend wegzuschmeißen, ist zu groß. Die Spielregeln zum Mitmachen kennt eigentlich jeder, sie sind simpel und erfordern wenig Anstrengung. Schauen sie vor dem Einkauf in Kühl-und Vorratschrank nach, was Sie noch haben. Schreiben Sie sich eine Einkaufsliste. Kaufen Sie nur das ein, was Sie wirklich benötigen. Kaufen Sie nicht zu viel ein und lassen sich nicht von angeblichen Schnäppchen („Nimm zwei – zahl eins“) verführen. Achten Sie stattdessen bewusst auf heruntergesetzte Waren mit noch kurzem Gütedatum. Kaufen Sie Gemüse und Obst frisch vom Wochenmarkt. Messen Sie vor der Zubereitung die Essensportionen ab. Brauchen Sie Reste einer Mahlzeit auf, indem Sie sie am nächsten Tag in die Arbeit/Uni mitnehmen. Wärmen Sie Speisen wieder auf und frieren Sie überschüssiges Brot und Brötchen ein. Kreieren Sie aus den restlichen Zutaten und Speiseresten neue Gerichte. Wenn Sie auch nur einige dieser Ideen regelmäßig umsetzen, wird es ein Leichtes sein, ihren Lebensmittelmüll in kurzer Zeit auf unter zehn Prozent zu reduzieren. Sie tun damit ihrer Gesundheit, ihrem Geldbeutel und der Umwelt einen Gefallen. Darüber hinaus helfen Sie, den Klimawandel noch einigermaßen in den Griff zu bekommen. Und das ohne jeden Tag im Biomarkt einzukaufen und gleich Vegetarier oder Veganer zu werden. Die Formel lautet: weniger Fleisch essen, biologisch angebaute Produkte vorziehen, Waren aus der Region kaufen und saisonales Obst und Gemüse verwenden.
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