ZWISCHENRÄUME
POTENZIALE DER DEGRADIERTEN RÄUME UNTER VIADUKTEN IM ZENTRUM VON SÃO PAULO Masterthesis
Annkristin Meyhoff Prof. Dr. Michael Koch | Prof. Dr.-Ing. habil. Wolfgang Willkomm HafenCity Universität Hamburg | 2015
Masterthesis zur Erlangung des akademischen Grades "Master of Arts" im Fachbereich Architektur an der HafenCity Universit채t Hamburg. Eingereicht von:
Annkristin Meyhoff Matrikelnummer: 6019556 a.meyhoff88@gmail.com
Hamburg, den 16. September 2015
Danksagung An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Besonderer Dank gilt meinen Prüfern Prof. Dr. Michael Koch und Prof. Dr.-Ing. habil. Wolfgang Willkomm für die engagierte Betreuung der Thesis und die überaus hilfreichen Gespräche. Ich danke Prof. Karina Oliveira Leitão der FAU-USP dafür, dass sie mir immer beratend zur Seite stand. Gleiches gilt für Paula Rochlitz Quintão, deren Masterarbeit über Obdachlose mich inspirierte. Darüber hinaus danke ich Anderson Lopes Miranda, Luciana, Ana und allen anderen Aktivisten der Bewegung Movimento Nacional da População de Rua - SP für die warmherzige Unterstützung während meines Aufenthalts in São Paulo. Ich danke Nilson Garrido für die vielen Geschichten und bewundere sein Engagement, ein so wunderbares Projekt wie seine Boxschule auf die Beine zu stellen. Ferner bedanke ich mich bei Auro Tanamati für die Ermöglichung meines Besuchs in der Einrichtung Oficina Boracea.
Danke.
INHALT
ANALYSE Einleitung - Motivation, Ziele und Herangehensweise
06
1. Methodik der Analyse
08
1.1.
São Paulo
08
1.2.
Zentrale Region - Forschungsgebiet
10
1.3. Obdachlosigkeit
12
1.4.
14
Viadukte - Urbanes Straßenverkehrsnetz im Zentrum
2. Stadt der Obdachlosen
16
2.1. Wer?
18
2.2. Wo?
20
2.3.
20
2.4. Herausforderungen
21
2.5.
Soziale Bewegungen
22
2.6.
Soziale Einrichtungen der Stadt
24
2.7.
Negative Reaktionen der Stadt
29
2.8.
Situationen - Tag | Nachtvergleich
30
2.9.
Informelle Aktivitäten
31
2.10.
Raumproduktion - [Über]Leben auf der Straße
34
2.11.
Materialien
43
Warum?
3. Viadukte im Zentrum von São Paulo
46
3.1.
Standorte und Typologien
48
3.2.
Analyse der Viadukte
50
3.3.
Flächenermittlung
51
3.4. Ergebnisse
52
3.5.
53
3.6. Raumtransformation
Steckbriefe der Viadukte
4. Leitlinien für das Projekt
72 78
PROJEKT 1. Strategien für urbane Interventionen unter Viadukten
82
82
1.1.
Schnellstraße Ligação Leste-Oeste
2. Das Quartier
84
2.1.
2.2. Quartiersanalyse
Quartier Bixiga - Viadukt Júlio de Mesquita Filho
85 86
2.2.1. Schwarzplan
87
2.2.2. Satellitenaufnahme
88
89
2.2.3.
Historische Aufnahme 1958
2.2.4. Grünflächenplan
90
2.2.5. Verkehrsplan
91
2.2.6. Mobilitätsplan
92
2.2.7. Nutzungsplan
93
2.2.8. Gebäudehöhenplan
99
2.3.
Konzept im urbanen Kontext
3. Der Entwurf
100 101
3.1.
Eindrücke des Grundstücks
3.2. Entwurfskonzept
102 104
3.2.1.
Herleitung des Nutzungskonzepts
104
3.2.2.
Nutzungsmöglichkeiten - Raumanordnung und -abfolge
105
3.2.3.
Materialität der Architektur
106
3.2.3.
Ablauf des Konstruktions- und Aneignungsprozesses
107
3.3. Grundriss
108
3.4. Längsschnitt
108
3.5. Querschnitt
110
3.6.
110
Der Entwurf im Detail
3.6.1. Freiräume
111
3.6.2. Kerne
112
3.6.3. Flexible Strukturen
116
118
3.7. Perspektiven
Literaturverzeichnis
128
Abbildungsverzeichnis
131
Anhang
134
EINLEITUNG Motivation
für die Problematik zu erarbeiten, sondern lediglich Möglichkeiten zur
Erstmals in der Geschichte leben über die Hälfte der Menschen in Städ-
Verbesserung der aktuellen Situationaufzuzeigen. Ich bin jedoch da-
ten . Laut UN-Habitat wird die Zahl der Stadtbewohner bis 2050 auf
von überzeugt, dass durch das Entwerfen und Zusammenfügen ver-
über 80% steigen.
schiedener Nutzungen und Räume die Empfindungen von Menschen
1
beeinflusst werden können und eine Interaktion mit ihrer Umwelt herSeit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts befinden
beiführen.
sich die Städte in einem Urbanisierungprozess und leiden unter einem immer rasanteren Wachstum, das verschiedene Konflikte mit sich
Die Wahl für die zentrale Region von São Paulo resultiert aus der hohen
bringt. Der Mangel an Wohnraum, Arbeitsplätzen und zeitgemäßer
Anzahl der sich dort aufhaltenden Obdachlosen. Während der letzten
Infrastruktur ist unübersehbar. Weltweit existieren bereits viele urba-
fünfzehn Jahre hat sich in Brasiliens Metropole eine unsichtbare, pa-
ne Agglomerationen, die mehr als zehn Millionen Einwohner zählen.
rallel existierende Kleinstadt aus fast 16.000 Obdachlosen gebildet.
Besonders in Entwicklungsländer nimmt die Zahl an Metropolen stetig
Davon leben 64% in der zentralen Region, die aus zehn Stadtteilen besteht und sich in einem Umkreis von drei Kilometern um den Stadt-
2
zu .
mittelpunkt verteilen (FIPE 2011). Die Zahl der Obdachlosen ist noch Die Prognose des globalen Städtewachstums und die daraus resultie-
immer steigend und es stellt sich die Frage, was die Gründe für ein
renden sozialen, urbanen und ökonomischen Konflikte haben meine
Leben auf der Straße sind und wie die bereits existierenden sozialen
besondere Aufmerksamkeit geweckt. Während eines einjährigen Stu-
Einrichtungen der Stadtverwaltung auf das Problem reagieren. Un-
dien- und Praktikumsaufenthalts in São Paulo habe ich in einer der
übersehbar ist jedoch der Bedarf an Raum, der den Grundrechten des
größten Metropolen der Welt gelebt und konnte viele eigene Erfah-
Menschen entspricht.
rungen sammeln. Doch wo befindet sich dieser Stadtraum? Bei näherer Untersuchung Brasilien ist ein Land der Gegensätze. Einerseits reich an Kultur, dy-
der Metropolzentren, wird deutlich, dass Raum kostbar und vor allem
namisch und fortgeschritten, andererseits von korrupten Politikern,
kaum noch verfügbar ist. Ein Neubau oder Umbau eines bereits beste-
Gewalt und sozialer Ungleichheit geprägt. In der brasilianischen Ge-
henden Gebäudes mit der Intention einer sozialen Reintegration einer
sellschaft entwickelt sich eine ständig breiter werdende Kluft zwischen
Randgruppe im Stadtzentrum schien mir sehr schwer realisierbar. Mein
arm und reich. Während sich in der Peripherie der Städte immer größe-
Interesse lag viel mehr auf der Entwicklung einer unkonventionellen
re Favelas bilden, entstehen in den zentraleren Regionen "Gated Com-
Architektur in alternativen Stadträumen, die sich die Obdachlosen be-
munities" 4 in Form von festungsähnlichen Hochhäusern. Besonderes
reits angeeignet haben. Den Schwerpunkt setzte ich deshalb auf die
Interesse entwickelte ich während meines Aufenthaltes für die Prob-
Räume unterhalb von Viadukten.
3
lematiken Wohnungsmangel und soziale urbane Konflikte. Die daraus resultierende misslichste Situation, in der sich ein Mensch befinden
Das Leben unter der Brücke wird schnell mit dem Thema Obdachlosig-
kann, ist die Obdachlosigkeit. Vor allem im Zentrum der Stadt bemerk-
keit assoziiert. Nicht nur in Brasilien, sondern weltweit werden Brücken
te ich eine hohe Präsenz an obdachlosen Menschen, die in extremer
und Viadukte von ausgegrenzten Menschen als schützendes Dach ge-
Armut lebten.
nutzt. Im Hinblick auf die Verbesserung der alltäglichen Situation stellte ich mir folgende Frage:
Es stellte sich mir die Frage, ob es eine Möglichkeit gebe, durch architektonische und städtebauliche Methoden ein Konzept zu entwickeln,
Wie kann das Potenzial der degradierten Flächen unter Viadukten
das Obdachlose darin unterstützt, einen "Ausweg von der Straße" zu
dazu genutzen werden, das alltägliche Leben von Obdachlosen zu
finden bzw. ihnen das Leben auf der Straße erleichtert. Dabei ist mir
verbessern und ihre Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen?
sehr bewusst, dass das sehr komplexe Thema Obdachlosigkeit nicht allein durch Architektur zu lösen ist, sondern von vielen Faktoren ab-
Ziele
hängt. Vor allem politische und wirtschaftliche Prozesse müssen ver-
Die Masterthesis beschäftigt sich mit dem Thema Zwischenräume, so-
bessert werden, um Obdachlosigkeit zu verhindern. Daher liegt es
wohl im öffentlichen Stadtraum als auch in der Gesellschaft von São
nicht in meinem Ermessen, als angehende Architektin, eine Lösung
Paulo. Im Mittelpunkt stehen zum einen die Potenziale der degradierten Räume unter Viadukten und zum anderen die Problematik der
1 United Nations Publications: http://www.un.org/en/development/desa/population/publications/pdf/urbanization/urbanization-wallchart2009.pdf
2 United Nations: http://esa.un.org/unpd/wup/Maps/CityDistribution/CityPopulation/CityPop.aspx 3 Portugiesisch für "Armenviertel" oder "Elendsviertel", besonders in den Randlagen großer brasilianischer Städte liegende, informelle Siedlungen, bei denen der Großteil der Bewohner nicht über legalen Grundbesitz verfügt 4 geschlossenen Wohnkomplex mit verschiedenen Arten von Zugangsbeschränkungen
06
Obdachlosigkeit im Zentrum der Stadt. Ziel ist es, einen Zusammenhang der beiden Themen herzustellen und in einem Entwurf zusammenzufassen, der eine soziale Reintegration der Obdachlosen in die Gesellschaft vorbereitet und ihre aktuelle Lebenssituation verbessert. Im Vordergrund steht dabei gleichermaßen, auf die Probleme und Bedürfnisse von Obdachlosen und des Quartiers zu reagieren sowie das
Projekt in das Stadtgefüge einzugliedern. Es soll überprüft werden,
Entwurf
inwieweit städtebauliche und architektonische Methoden in alterna-
Der Entwurf besteht aus zwei verschiedenen Phasen. Zuerst wurde das
tiven Stadträumen zu einem gesellschaftlichen Dialog zweier unter-
um das Grundstück liegende Quartier in einer ausführlichen Analyse
schiedlicher sozialer Schichten beitragen können.
stadtplanerisch untersucht. Dazu gehörten neben der Erstellung ver-
5
schiedener Pläne wie Nutzungs-, Grünflächen- und Verkehrsplan auch
Methode
eine empirische Studie. Anhand von Beobachtungen sowie Interviews
Die Durchführung der Thesis besteht aus zwei Teilen. Zum einen aus
mit den Anwohnern und Dienstleistenden wurden Konfliktpunkte und
der Analyse, die in den ersten Wochen der Bearbeitungszeit in São
Mängel ermittel. Ziel war es, den Entwurf in das Quartier einzugliedern
Paulo realisiert wurde. Der durch die Interpretation und die Ergebnisse
und gleichermaßen auf die Probleme und Bedürfnisse von Bewohnern
enstandene Entwurf der Vor-Ort-Analyse bildet den zweiten Teil.
und Obdachlosen zu reagieren. Das Raumprogramm entwickelte sich deshalb aus zweierlei Perspektiven, um eine soziale sowie urbane Ein-
Analyse
gliederung des Entwurfs zu garantieren.
In der Analyse wurden die degradierten Räume unter den Viadukten in der zentralen Region von São Paulo untersucht und die Anzahl der un-
Den zweiten Schritt bildet der architektonische Entwurf. Es wurden
genutzten bzw. potenziell nutzbaren Flächen ermittelt. Besonders in
Entscheidungen zu Raumanordnungen und Nutzungskombinationen
der dicht besiedelten Millionen-Metropole ist Raum kostbar und kaum
getroffen. Der Schwerpunkt basierte dabei immer auf der Interaktion
noch verfügbar. Der Schwerpunkt konzentriert sich daher auf alterna-
zwischen Entwurf und Quartier. Die Struktur des Viadukts war ein wich-
tiven Stadträume unter Viadukten, deren Existenz einer undurchdach-
tiger Bestandteil und wurde in den Prozess mit einbezogen. Die Ma-
ten Verkehrsplanung seitens der Stadt Mitte des 20. Jahrhunderts ge-
terialbeschaffung und Konstruktion finden in Selbstorganisation statt
schuldet sind. Die Analyse wurde anhand von eigenen Beobachtungen
und leiten sich aus den Untersuchungen des ersten Arbeitsschrittes
durchgeführt. Zur Berechnung der Flächen wurden die CAD-Daten des
her. Es wurde hinterfragt, bis zu welchem Punkt der Architekt am Ent-
CESAD6, zur Hilfe genommen.
wurfsprozess beteiligt sein sollte bzw. inwiefern er Raum für Möglichkeiten anbieten kann, die das Potenzial einer spontanen, wachsenden
Gleichzeitig wurden in einer theoretischen und empirischen Studie
Architektur besitzen. Bei dem Entwurf handelt es sich weder um ein
die Probleme und Bedürfnisse der Obdachlosen ermittelt. Als Grund-
Obdachlosenheim, noch um sozialen Wohnungsbau. Vielmehr wurde
lage des theoretischen Teils dienten Dissertationen und Publikationen
deutlich, dass das Potenzial in der Selbstorganisation des Projekts liegt.
zum Thema Obdachlosigkeit in São Paulo, die die Problematik auf unterschiedliche Weise hinterfragen. Darüber hinaus wurde mit Hilfe des Zensus zur Obdachlosigkeit in São Paulo der letzten sechs Jahre und dem Nationalen Zensus der Versuch unternommen, ein Profil der Wohnungslosen zu erstellen. Im empirischen Teil wurden Interviews mit Personen verschiedener sozialer Einrichtungen und Bewegungen durchgeführt, die dem Verständnis der Problematik und Komplexität des Themas dienen und vor allem bei der Entwicklung eines adäquaten Raumprogrammes helfen sollten. Durch persönliche Beobachtungen wurde festgestellt, wie Obdachlose sich den öffentlichen Raum aneignen, sich verhalten und welchen informellen Tätigkeiten sie nachgehen. Genauso wie Aufschluss darüber, in welchen Räumen sie sich aufhalten und welche Gegenstände bzw. Materialien sie zum Bau improvisierter Schlafplätze benutzen. Hinterfragt wurde dabei, ob eine Integration dieser informellen Aktionen in den Entwurf möglich oder gar sinnvoll sei. Die zusammengetragenen Informationen aus der Analyse wurden kritisch hinterfragt und die erörterten Problematiken zusammengefasst. Als Resultat begründen sich daraus die Leitideen für den Entwurf. Zudem wurde eine hergeleitete Auswahl für ein bestimmtes Viadukt getroffen, unter dem der Projektentwurf sattfinden sollte. Dabei besaßen die Faktoren der potenziell nutzbaren Flächen, des Standorts und der Situation des Quartiers einen besonders hohen Stellenwert.
5 Der Begriff beschreibt Flächen im öffentlichen Raum, die durch urbane Elemente entstanden sind, jedoch nur als sekundäre Räume fungieren. 6 digitale Datenbank für Geoinformationen http://www.cesadweb.fau.usp. br/
07
1. METHODIK DER ANALYSE
Brasilien
Staat São Paulo
Stadt São Paulo
Zentrale Region São Paulo
São Paulo Die brasilianische Metropole São Paulo liegt im süd-östlichen Teil des
privaten Akteure mit ein, die im Stadtbezirk São Paulos agieren. Die
Landes und gehört mit 20,9 Millionen Einwohnern (IGBE, 2014), in der
Methode soll neue Industrie- und Dienstleistungsstandorte schaffen
Metropolregion Grande São Paulo, zu den größten Städten der Welt.
und für eine soziale und kulturelle Entwicklung der Stadtteile sorgen.
Zudem ist sie die bevölkerungsreichste Stadt der südlichen Hemisphä-
Der aktuelle Plano Diretor Estratégico trat im Juli 2014 durch den Bür-
re und größter industrieller Ballungsraum Lateinamerikas.
germeister Fernando Haddad in Kraft und wurde in einem partizipativen Prozess mit der Bevölkerung entwickelt. Er soll das Wachstum und
Das rastante Wachstum begann erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
die Entwicklung der Stadt in den kommenden 16 Jahren bestimmen.
Lebten beispielsweise 1872 etwa 30.000 Einwohner in São Paulo, waren es um 1900 bereits 240.000 (Prefeitura de São Paulo, Histórico De-
Während in Folge der Industrialiserung das Zentrum nach nordame-
mografico do Município). Als Konsequenz des großen wirtschaftlichen
rikanischem Vorbild vertikalisiert und verdichtet wurde, bildeten sich
Aufschwungs durch die Kaffeeindustrie und der kurz darauf folgenden
außerhalb die flachen suburbanen Wohn- und Industriebezirke. Das
Industrialisierung mit der einhergehenden urbanen Zuwanderung aus
überlastete Verkehrsnetz wurde durch den Plano de Avenidas von Pres-
ländlichen Teilen des Landes, wuchs die Stadt in einer exponentiellen
tes Maia in den 1930er Jahren geregelt und sorgte für große städte-
Geschwindigkeit. In keiner anderen Region weltweit konnte bis heute
bauliche Veränderungen (detailliertere Ausführung über das Verkehrs-
ein so schnelles Wachstum verzeichnet werden.
netz im Kapitel I auf Seite 14). Das Zentrum litt besonders unter dem, der sehr guten Infrastruktur geschuldeten hohen Bodenpreis und der
Die Folge war eine überlastete Stadt, die keine Kapazitäten hatte, auf
Abwanderung der Einwohner in die Randgebiete. Somit wurde es fast
die schnellen Veränderungen zu reagieren. Probleme wie Wohnungs-
vollständig dem Wirtschafts- und Dienstleistungssektor überlassen.
mangel, Niederlassungen von informelle Siedlungen in der Pheriphe-
Bis heute versucht die Stadtverwaltung mit Initiativen wie Viva o Cen-
rie, schlechte Verkehrsnetze und die wachsende soziale Ungleichheit
tro die Attraktivität des Stadtkerns als Wohngebiet zu steigern. Wäh-
waren die Konsequenz. Die urbane Morphologie entstand ohne eine
renddessen beteiligten sich vermehrt Hausbesitzer an Immobilien-
angemessene städtebauliche Planung und das Wachstum versetzte
spekulationen, was die Leerstände von zentralen mehrgeschossigen
die Stadt in einen bis heute anhaltenden chaotischen Zustand. Die ers-
Gebäuden zur Folge hatte. In der Konsequenz kam es zu Hausbeset-
ten Zonierungen der Stadt wurde, im Jahre 1934 durch den Ato nº 663
zungen von Wohnungslosen, die sich in den ungenutzen Bauwerken
vom 10. August in die Gesetzgebung integriert. Dort wurden speziell
niederließen und für ihr Recht auf Wohnraum kämpften. Ein besonders
die Nutzungen und der Gebrauch des Grund und Boden des Stadtbe-
markantes Beispiel ist ein Hochhaus in der Avenida Prestes Maia, das
zirks geregelt. 1972 wurde das Gesetz vom Plano Diretor de Desenvolvi-
seit Ende 2010 von etwa 380 Familien besetzt und von der Bewegung
mento Integrado/PDDI-Lei nº 7.688/71 abgelöst und 2002 vom Plano Di-
Movimento dos Sem-Têto da Cidade (MSTC) unterstützt wird.
retor de Desenvolvimento Estratégico - PDE, Lei nº 13.430. Letzterer dient zur Bestimmung neuer Vorgaben im Bezug auf Nutzung und Gebrauch
São Paulo ist desweiteren wichtigstes Wirtschafts-, Finanz- und Kul-
des Grund und Boden. Diese Art der öffentlichen Politik im Bezug auf
turzentrum sowie Verkehrsknotenpunkt des Landes. Fahrzeug- und
die städtebauliche Entwicklung der Stadt schließt alle öffentlichen und
Maschinenbau, Textil-, Metall- und Nahrungsmittelindustrie sind nur
08
WIRTSCHAFTS ZENTRUM
ENTWICKLUNG
Sテグ PAULO METROPOLE
WACHSTUM KULTUR
SOZIALE UNGLEICHHEIT
1. METHODIK DER ANALYSE einige der angesiedelten Industrien der Region. Zudem befindet sich
Die 30er Jahre wurden in Brasilien von der Industrialisierung geprägt.
die einzige Börse Brasiliens in São Paulo (Bovespa), die 1890 gegrün-
Das rasante Bevölkerungswachstum hatte große urbane Veränderun-
det und 1966 privatisiert wurde. Die Ansiedlung der großen Konzerne
gen der Stadt und besonders des Zentrums zur Folge. Der Plano de
und der große wirtschaftliche Einflusses machen die Metropole zur
Avenidas von Prestes Maia wurde als Konsequenz der Transformation
reichsten Stadt Brasiliens, nimmt man das BIP (Bruttoinlandsprodukt)
zur modernen Metropole entwickelt und sah die Erweiterung des Ver-
zur Grundlage.
kehrs- und Transportnetzes vor. Der Bau großer, breiter Schnellstraßen veränderte die urbane Struktur markant. Zudem wurden Leitlinien für
São Paulo verfügt im Hinblick auf Kultur über unzählige Theater, Mu-
die Organisation und Verschönerung des Stadtbildes sowie Zonierun-
seen, internationale Ausstellungen, Restaurants der gehobenen Klas-
gen, urbane Expansionen, das Steuergesetz und der Vorrang der Nut-
se, und anderen kulturell wichtigen Einrichtungen. Hinzu kommen
zung von Privatfahrzeugen eingegliedert.
bedeutende Bauwerke aus den Zeiten der Moderne von Architekten wie Oscar Niemeyer, Paulo Mendes da Rocha und Lina Bo Bardi. Auch
Laut Libâneo sei der Plano das Avenidas und Maias Politik nur auf die
historische Gebäude befinden sich vor allem im Zentrum der Stadt. Zu
Vorteile für das industrielle Bürgertum und die Elite ausgelegt. Bereits
den wichtigsten zählt der Dom Catedral da Sé.
existierende Siedlungen in der Peripherie der Stadt wurden ignoriert und entwickelten sich weiterhin ohne Infrastruktur und Anbindung
Die Einwohner São Paulos besitzen die verschiedensten kulturellen
ans Zentrum.
Hintergründe. Die multikulturelle Mischung setzt sich zusammen aus den Zeiten der Kolonialisierung, Sklaverei und den indianischen Ur-
Schon zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Stadtinnere über die Gren-
einwohnern, wobei letztere nur einen kleinen Anteil ausmachen. Die
zen des historischen Dreiecks hinweg ausgedehnt. Das Vorbild, die
ethnische Vielfalt besteht vor allem aus portugiesisch, italienisch, ja-
Stadt nach dem europäischen Modell zu entwickeln, wurde von der
panisch und afrikanisch abstammender Bevölkerung. Dieser kulturelle
nordamerikanischen Stadtplanung abgelöst und das Zentrum vertika-
Reichtum drückt sich nicht nur in den einzelnen Stadtteilen aus, son-
lisiert. Vor allem kommerzielle und dienstleistende Nutzungen präg-
dern findet sich zudem besonders im kulinarischen Bereich wieder,
ten das alltägliche Bild. Die gute Infrastruktur führte zu einer raschen
was São Paulo zu einem der wichtigsten Gastronomiestandorte in Bra-
Erhöhung des Bodenpreises und war bald für die arme Arbeiterklasse
silien macht. [FRÚGOLI, 2000, S.19-34]
nicht mehr zugänglich. Die Mittel- und Oberschicht wanderte zunehmend, nach dem nordamerikanischen Vorbild, in die Randgebiete der
Zentrale Region Forschungsgebiet
Stadt ab und ließ sich dort in Einfamilienhäusern nieder. So wurde das Zentrum fast ausschließlich als Arbeitsplatz genutzt, was es besonders nachts und am Wochenende zu einem unsicheren Ort machte.
Das Gebiet der Analyse in der zentralen Region von São Paulo setzt sich aus acht Stadtteilen der Stadtgemeinde Sé und zwei Stadtteilen der
Der Prozess des erneuten Wachstums der Bevölkerung im Zentrum be-
Stadtgemeinde Mooca zusammen. Den Kern des Zentrums bilden Sé
gann in den 1960er Jahren, als Banken und große Unternehmen die
und República, in denen sich auch der historische Teil "Triângulo histór-
Region für andere Standorte verließen. Die Folge dieser Veränderung
ico" (dt. historisches Dreieck) befindet.
war die Verschlechterung der öffentlichen Dienstleistungen und der Zustände der Gebäude. Der dadurch sinkende Bodenpreis machte das
Um die aktuelle Situation des Zentrums zu verstehen, ist es notwendig,
Zentrum jedoch wieder zugänglich für die geringverdienende Schicht.
einen kurzen geschichtlichen Exkurs über die Entwicklungen und Pro-
Dies ist zum Beispiel im Quartier Bixiga, im Stadtteil Bela Vista, sehr gut
zesse zu unternehmen.
zu beobachten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich das Zentrum ausschließ-
Während der 1980er Jahre immigrierten viele Brasilianer aus dem ar-
lich im historischen Dreieck zwischen den Straße Rua Direita, Rua XV
men Nord-Osten nach São Paulo, von denen viele informellen Tätig-
de Novembro und Rua Boa Vista. Vor allem die Elite nutzte den Ort für
keiten nachgingen, um ihr Überleben zu sichern. Schon damals füllten
Konsum, Handel und Geschäfte. Im Hinblick auf die Gestaltung öffent-
sich die öffentlichen Plätze mit Straßenverkäufern, Arbeitslosen, Rent-
licher Räume, Architektur und urbane Zusammenhänge entwickel-
nern, Lotteriescheinverkäufern, Prostituierten, Transvestiten, religiösen
te sich die Stadt nach dem europäischen Modell. Bereits in den 20er
Anhängern, Obdachlosen, Straßenkindern, um nur einige von ihnen
Jahren bestand das Zentrum aus einer urbanen Landschaft, geprägt
zu nennen. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Das
von Institutionen, öffentlichen Plätzen und anderen symbolischen Mo-
Zentrum besitzt eine große soziokulturelle Vielfalt und sorgt für das
numenten, die bis in die heutige Zeit ihre Bedeutung nicht verloren
Aufeinandertreffen der verschiedenen sozialen Schichten.
haben. Dazu gehören unter anderem das Teatro Municipal, das Viaduto
Laut einer Studie des FIPE stellt das Zentrum mit 38,5% die meisten
do Chá, die Estação da Luz und das bis dato höchste Gebäude Südame-
Arbeitsplätze bereit, gefolgt von der Region Paulista (29,5%) und Faria
rikas: Edifício Martinelli.
Lima (17,2%).
10
BOM RETIRO
PARI
SANTA CECÍLIA
REPÚBLICA
BRÁS
SÉ
CONSOLAÇÃO
BELA VISTA CAMBUCI
64%
LIBERDADE
der Obdachlosen leben im Stadtzentrum von São Paulo
Abb. 2: Zentrum von São Paulo
Die Wohnnutzung im Zentrum (Region Sé und República) macht laut
wichtiges Projekt realisiert. Durch einen Wettbewerb zur Umgestal-
einer Untersuchung von Aldaíza Sposati 5% der gesamten Metropole
tung des Vale do Anhangabaú, mit einer Jury bestehend aus Mitglie-
aus. Dabei leben die Bewohner zwischen extremem Reichtum oder ex-
dern der Empresa Municipal de Urbanismo (Emurb) und des Instituto dos
tremer Armut.
Arquitetos do Brasil (IAB), wurden mehr als fünfzig eingereichte Arbeiten bewertet. Der Siegerentwurf sah einen großen Platz mit Freizeit-
Wie bereits kurz im vorherigen Unterkapitel erwähnt, besteht ein gro-
aktivitäten vor, der die Schnellstraße der Achse Norte-Sul überdachen
ßer Leerstand an Gebäuden durch Immobilienspekulation ihrer Besit-
sollte. Der Entwurf wurde zwischen 1986 und 1992 realisiert.
zer. Dies führte ab 1997 zu Invasionen dieser Immobilien durch Wohnungslose. Anfang 2000 wurden 15 besetzte Orte registriert, deren
Die Initiative der Stadtverwaltung, das Zentrum für die Wohnnutzung
sich insgesamt 9.000 Menschen als Überlebensraum aneigneten.
zu reaktivieren, wird in den folgenden Jahrzehnten fortgeführt. Seit
Während der Amtszeit von Olavo Setúbal (1975-79) wurde eine groß
den 1990er Jahren existiert die "Associação Viva o Centro". Der Verein
angelegte Revitalisierung des Zentrums unternommen. Der Plano de
besteht aus Eigentümern der unterschiedlichsten Bereiche aus Wirt-
Requalificação do Centro sah die Erweiterungen von Fußgängerzonen,
schaft, Dienstleistung, Handel und privaten sowie öffentlichen Institu-
die Sanierung symbolisch wertvoller Orte (Edifício Martinelli, Viadukt
tionen. Er versteht sich als repräsentativer Gesprächspartner (Vermitt-
Santa Efigênia, Pátio do Colégio) und die Aufnahme von historischen
ler), der als Schnittstelle zwischen der öffentlichen Hand und anderen
Gebäuden mit architektonischem und kulturellen Wert vor, die später
Institutionen fungiert, um Projekte zur Aufwertung der zentralen Regi-
unter Denkmalschutz gestellt wurden.
on zu realisieren. [FRÚGOLI, 2000, S. 49-75]
In der darauf folgenden Amtszeit von Reinaldo de Barros (1979-82) wurde, im Bezug auf die Revitalisierung des Zentrums, ein weiteres 11
1. METHODIK DER ANALYSE
OB
LOSIGKEIT
Obdachlosigkeit ist ein historisches Problem, das sich als Konsequenz
In São Paulo leben 15.905 Menschen ohne Obdach (FIPE 2015), von de-
des Wachstums der Städte entwickelt hat. Das globale Phänomen lässt
nen etwa die Hälfte in sozialen Einrichtungen wie Obdachlosenheimen
sich sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern beobachten
untergebracht ist. Die andere Hälfte nutzt die öffentlichen Räume als
und weist einige Parallelen im Hinblick auf das alltägliche Leben und
(Über)Lebensraum und übt alle alltäglichen menschlichen Bedürfnisse
die Raumaneignung der Obdachlosen auf. Es ist notwendig, dieses Er-
in ihm aus wie bspw. Nahrungsaufnahme, Schlafen, Hygiene, informel-
eignis zu begreifen, um die Sozialpolitik darauf abzustimmen und Me-
le Arbeit, u.a.
thoden zu entwickeln, die Obdachlose Menschen in die Gesellschaft integriert, ihre Anzahl reduziert oder ihr Leben erleichtern. Denn unab-
Öffentliche Plätze, Bürgersteige, Hauseingänge, Stellen unter Brücken
hängig von der Lokalisierung befinden sich Obdachlose am äußersten
und Viadukten sind Orte, an denen sich Obdachlose häufig aufhalten
Rand der Gesellschaft und in extremer Armut. Die Bevölkerung nimmt
oder temporär ansiedeln. Gründe für ein Leben auf der Straße sind
sie als störend und problematisch wahr oder hat Angst vor ihnen, da
oft psychische, physische, wirtschaftliche und finanzielle Probleme der
sie sie mit Drogenhändlern und anderen Kriminellen assoziiert. Diese
Individuen sowie chemische Abhängigkeiten oder das Unvermögen,
Haltung führt zu einer sozialen Exklusion der Obdachlosen und bietet
soziale Beziehungen aufzubauen. Im Kapitel 2 "Stadt der Obdachlosen"
kaum Raum für eine wirtschaftliche und soziale Reintegration.
wird das Thema Obdachlosigkeit detailliert behandelt. Neben der Erstellung eines Profils geht es um informelle Tätigkeiten, Raumaneig-
In der brasilianischen Gesellschaft lässt sich eine große Kluft zwischen
nung, soziale Bewegungen und Einrichtungen der Stadtverwaltung.
Armut und Reichtum feststellen. Während in den Randgebieten der
Das Wachstum von 55% der Obdachlosen in 15 Jahren führt unaus-
Städte informelle Siedlungen durch große Wohnungsnot entstehen,
weichlich zu der Frage, welches wirtschaftliche Entwicklungsmodell
verbarrikadieren sich die Mittel- und Oberschicht in "Gated Communi-
konzipiert werden kann, das die Integrationsfähigkeit der sozial und
ties" (in Form von bewachten geschlossenen, Straßen oder Hochhäu-
wirtschaftlich verletzbarsten Schicht in die Gesellschaft besitzt. (FERRO,
sern). Diese räumliche Abgrenzung sorgt nicht nur für Segregation,
2013).
sondern vor allem dafür, dass öffentliche Flächen zu unsicheren Orten werden.
Das brasilianische Grundgesetz (Constituição da República Federativa do Brasil)7 existiert seit 1988 und regelt die Grundrechte der Bürger. Kapitel 1, Artikel 1 besagt: " Gründung und Grundlagen der Föderativen Republik. Die Föderative Republik Brasilien in Gestalt des unauflöslichen Bundes der Staaten und Gemeinden und des Bundesdistrikts konstituiert sich als Demokratischer Rechtsstaat und zählt zu ihren Grundlagen: I. die Souveränität; II. die Staatsbürgerschaft; III. die Würde der menschlichen Person; IV. die sozialen Werte Arbeit und freie Initiative; V. den politischen Pluralismus. Einziger §. Alle Gewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke durch gewählte Vertreter oder direkt nach Maßgabe dieser Verfassung ausgeübt."
15.905 OHNE ZUHAUSE
12
Zudem sind laut Kapitel 2, Artikel 6, folgende Grundrechte enthalten: Bildung, Gesundheit, Arbeit, Freizeit, Sicherheit, Sozialversicherung, Mutterschutz, Schutz von Minderjährigen, Versorgung von Arbeitslosen. Die alarmierenden Zahlen der Obdachlosen in Brasilien fanden erst7
Verfassungen Brasiliens, http://www.verfassungen.net/br/verf88-i.htm
mals zu Beginn dieses Jahrhunderts, während der Präsidentschaft von
Obdachlosenheime und die sogenannten Tendas9 konnten jedoch kei-
Luiz Inácio Lula da Silva ("Lula"), Aufmerksamkeit. Nach der Durchfüh-
nen großen Erfolg verzeichnen.
rung des ersten Zensus über obdachlose Menschen in den größten
Neben den Bemühungen der Regierung gibt es aber immer wieder
Städten Brasiliens wurde versucht, sich dem Problem auf der Grund-
negative Schlagzeilen von Vertreibungen der Obdachlosen aus dem
lage des Grundgesetzes zu nähern und erste Maßnahmen für eine na-
öffentlichen Raum. Ein brutales Beispiel ist das Massaker des Praça
tionale Politik im Bezug auf die obdachlose Bevölkerung entwickelt.
da Sé, in São Paulo, 2004. Bei dem Angriff auf schlafende Obdachlo-
Bis die Verordnung Decreto Presidencial nº 7.053 2009 in Kraft trat,
se durch maskierte und mit Eisenstangen bewaffnete Männer wurden
vergingen etwa fünf Jahre, in denen die Bundesregierung und die Zi-
sieben Personen getötet. Weitere sieben wurden verletzt. Man geht
vilbevölkerung wichtige Grundsteine für die obdachlosenspezifische
davon aus, dass zivile Militärpolizisten und Händler der angrenzenden
Sozialpolitik legte.
Geschäfte dafür verantwortlich sind. Man konnte ihnen jedoch nichts
8
nachweisen. Während die Entwicklung der nationalen Politik einen großen Fortschritt in der Geschichte Brasiliens symbolisiert, wird ihre Umsetzung
Darüber hinaus finden immer wieder "Limpezas urbanas" statt, also
von verschiedenen Hindernissen beeinflusst. Zum einen müssten die
"städtische Säuberungen", die Obdachlose durch Gewalteinwirkung
Bundesstaaten und Gemeinden Gelder dafür zurücklegen, anderer-
von ihren Plätzen vertreiben. Dabei werden die provisorischen Hütten
seits Lösungen gefunden werden, die einen Weg zur obdachlosen
oder Schlafplätze, persönliche Gegenstände und alles, was nicht auf
Bevölkerung durch die Sozialpolitik der verschiedenen Fachbereiche
den Gehweg bzw. in den öffentlichen Raum gehört, als Abfall deklariert
aufzeigen (FERRO, 2013).
und mit einem Lastwagen abtransportiert. Viele Obdachlose haben so nicht nur ihren Schlafplatz verloren, sondern persönliche Dokumente
In São Paulo vollzog sich dieser Veränderungsprozess durch die Bür-
und emotional wichtige Gegenstände wie alte Fotos von Familien-
germeisterin Marta Suplicy (2001-2004). Bereits im Jahr 2000 wurde
mitgliedern oder Freuden. Die Verantwortlichen dieser Aktionen sind
eine ausführliche und strukturierte Zählung sowie Studie der Obdach-
nicht immer klar feststellbar. 2013 wurde ein Vorfall in der Zeitung Es-
losen in São Paulo durch die Fundação Instituto de Pesquisas Econômi-
tadão veröffentlicht, in dem die Stadtteilgemeinden Mooca und Brás
cas (FIPE) durchgeführt. Mithilfe der Anfertigung eines sozio-ökono-
zusammen mit der Militärpolizei eine Säuberung unter dem Motto
mischen Profils sollte die Realität der Menschen besser verstanden
"Tolerancia Zero" (dt. Null Toleranz) unternahmen. Die Maßnahme spal-
werden, um adäquat auf ihre Situation reagieren zu können. So wurde
tete die Bevölkerung. Während ein Teil ihre Unterstützung zusagten,
beispielsweise 2004 die nach einem innovativen Konzept entwickel-
klagten andere eine unwürdige und unmenschliche Behandlung der
te soziale Einrichtung Oficina Boracea (siehe Seite 27) eröffnet, deren
Obdachlosen an und appellierten an die Stadtverwaltung, eine sozia-
Nutzungsprogramm auf die Obdachlosen zugeschnitten war. Andere
lere Lösung zu finden (MANSO, 2013). 9 Tendas oder Núcleos de Convivência sind Aufenthaltszentren speziell für Obdachlose, die von der Stadtverwaltung erstmals 2009 errichtet wurden. Sie bieten unter anderem Sanitärräume und verschiedene Freizeitaktivitäten sowie professionelle Betreuung. Sie sind überwiegend tagsüber geöffnet (PREFEITURA DE SAO PAULO, Secretaria Municipal de Assistência e Desenvolvimento Social).
8 PREFEITURA DE SAO PAULO, Decreto Presidencial nº 7.053 2009
Conselho Nacional de Serviço Social - CNSS
Constituição da República Federal do Brasil
1937
1988
1991
Lei n° 12.316 Lei Municipal | São Paulo
Ministério da Assistência Social
Lei n° 8742 Lei Orgânica da Assistência Social - LOAS
Norma Operacional Básica - NOB
Sistéma Único de Decreto s/n° GruAssistência Social po de Trabalho - SUAS Interministerial - GTI
1993
1997
2003 2000 2004 Política Nacional de Assistência Social - PNAS
1. Studie über Obdachlosigkeit in São Paulo
Ministério do Desenvolvimento Social e Combate à Pobreza - MDS
Anzahl Obdachlose - São Paulo
1. Versammlung über Obdachlose Bevölkerung
Decreto n° 7053 Nationalpolitik für obdachlose Bevölkerung 2. Versammlung über Obdachlose Bevölkerung
2005
2009 2006
Comitê Inter-setorial da Política Municipal MUNICILAP
2013
2015
2008
Nationalpolitik über soziale Inklusion der obdachlosen Bevölkerung
15.000 12.500 10.000 7.500 5.000 1996
2000
2009
2011
2015
Zählung der Stadtverwaltung*
8.706 1. Zensus FIPE
13.666 2. Zensus FIPE
14.478 3. Zensus FIPE
15.905 4. Zensus FIPE
Jahr
Zeitleiste zur politischen Entwicklung der Problematik Obdachlosigkeit in Brasilien und Wachstum der Obdachlosen iin Sao Paulo (eigene Darstellung)
13
1. METHODIK DER ANALYSE
VIADUKTE
Urbanes Straßenverkehrsnetz im Zentrum von São Paulo Mit dem Beginn der brasilianischen Industrialisierung in den 1930er Jahren ging ein starkes Wachstum der urbanen Bevölkerung einher. Vor allem Menschen aus ländlichen Teilen des Landes zogen in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben in die Städte. Der demographische Wandel ließ die urbanen Strukturen schnell über ihre Grenzen hinaus wachsen und forderte neue Lösungen für eine Verbesserung der urbanen Situation. Neben Problemen wie Wohnungsmangel, vor allem im Zentrum signifikant ansteigenden Bodenpreisen und der Entstehung von informellen Siedlungen in der urbanen Peripherie, belastete die Städte das überbeanspruchte Verkehrsnetz. Durch das fordistische Konzept, das den Kaufpreis von Privatfahrzeugen auch für den Durchschnittsbürger bezahlbar machte, setzte sich das Auto als Hauptverkehrsmittel durch (FRÚGOLI, 2000). Während der ersten Jahrzehnte funktionierte die Personenbeförderung in der Stadt durch kollektive Transportmittel wie Straßenbahnen und die Fußgängerwege dominierten die Straßen. Besonders São Paulo wuchs durch die Industrialisierung in wenigen Jahren zu einer Millionenmetropole heran. Bereits während der 1930er Jahre entwickelten Prestes Maia10 und Ulhôa Cintra einen Vorschlag für ein strukturelles
Abb. 4: Plano de Avenidas von Prestes Maia, Schematische Darstellung (ANELLI, 2007)
Verkehrsnetzes, den Plano de Avenidas de São Paulo, der das Wachstum der Stadt über die folgenden Jahrzehnte gliedern sollte. Die Ausführung der Arbeiten am Straßennetz führten zu einer enormen Transformation der urbanen Strukturen von São Paulo. Der Plan bereitete die Stadt auf die urbane Ausdehnung sowie auf ihre wirtschaftliche Entwicklung vor, die sich in den folgenden Jahren konkretisierte. Das Vorsehen von Schnellstraßen im Mobilitätsplan von Prestes Maia schien adäquat für eine Stadt, die sich exponentiell in die Horizontale ausdehnte und eine stabile Verbindung vom komerziellen/administ-
Min
ho
rativen Zentrum in die umliegenden Wohn- und Industriegebiete be-
cão
nötigte. Jedoch wurden zwischen der Konzeption 1930 und der Ausführung 1938 einige relevante Veränderungen vorgenommen, da das rasante Wachstum der Fahrzeugnutzung schnell zu einer Überlastung der neuen Avenidas11 führte und darüber hinaus für Lärm und Umwelt-
Radial Leste
verschmutzung sorgte.
Ligação
Leste-Oeste
In den darauf folgenden Jahrzehnten wurde der Bau der Schnellstraßen kontinuierlich fortgeführt. Durch die Ansiedlung von Wohngebieten in den suburbanen Zonen der Stadt war ein immer größer werdendes Verkehrsnetz notwendig, das die langen Wege der Einwohner zur Arbeit verkürzen konnte und Stadtteile miteinander verband. 10 Francisco de Prestes Maia zwar Bürgermeister von São Paulo (1938-1945 und 1961-1965). Er war Bauingenieur sowie Architekt und entwickelte 1930, neben anderen Großprojekten, den "Plano de Avenidas" zur Umstrukturierung des Verkehrssystems (CPDOC | FGV) 11 Avenida bedeutet im deutschen "breite Straße, Allee, Chaussee" (www.leo. org - Online Wörterbuch Portugiesisch-Deutsch)
14
Hauptverbindungsstraßen Legende
Bahnnetz Fluss Ligação Leste-Oeste (inoffizielle Bezeichnung) | Radial Leste Corredor Norte-Sul Avenida do Estado
Während der Militärdiktatur12 fanden im Zentrum von São Paulo meh-
minderten sich der Bodenpreis und die Attraktivität der Quartiere. Die
rere Großprojekte statt, die die überfüllten Straßen entlasten und
Hochstraßen provozierten darüber hinaus die Entstehung von Sekun-
neue Verbindungen in die äußeren Gebiete der Stadt schaffen sollten.
därflächen unterhalb der Viadukte, denen keine feste Nutzung oder
Das bis heute bekannteste und sehr umstrittene Beispiel ist das des
Planung zugeschrieben wurde. Sie sorgten für Barrieren zwischen
Viadukts Elevado Presidente Costa e Silva (Minhocão, dt. großer Wurm).
Stadtteilen und erschwerten besonders den Fußgängern die sichere
Die Schnellstraße wurde 1970 unter großer Kritik der Bevölkerung vom
Unterführung. Schnell wurden die ungenutzten Flächen Lebensraum
damaligen Bürgermeister Paulo Maluf bauen lassen. Der Megabau er-
von Obdachlosen oder Orte, die als Umschlagspunkte von Drogen ge-
hebt sich auf einer Länge von 3400 Meter über eine sechsspurige Stra-
nutzt oder an denen sich andere Straftaten häuften. Die Stadtteile um
ße in einer innerstädtischen und dicht besiedelten Region im Stadtteil
die Viadukte Elevado Presidente Costa e Silva, Júlio de Mesquita Filho
Consolação. Sie ist der Beginn der Verbindung "Ligação Leste-Oeste"13,
und Glicério sind besonders von den negativen Folgen betroffen
die circa 8 Kilometer lang über diverse Viadukte und Tunnel führt. Zu
(ANELLI, 2007).
den Hochstraßen dieser Strecke gehören die Viadukte Júlio de Mesquita Filho, Jaceguaí und Glicério, auch bekannt unter dem Namen
Der Minhocão ist seit 2006 in der öffentlichen Diskussion. Seit dem In-
Viaduto Leste-Oeste. An dieser Stelle geht die "Ligação Leste-Oeste" in
krafttreten des neuen Masterplans für die Entwicklung von São Paulo
die Schnellstraße "Radial Leste" über, die das Zentrum mit dem Osten
in den nächsten 16 Jahren steht fest, dass die Hochstraße nicht mehr
der Stadt verbindet. Zusammen mit dem Viadukt Glicério bilden die
für den Verkehr zugänglich sein soll. Das Gesetz Lei nº 16.050/14, artigo
Viadukte Pref. Passos und Gov. Abreu Sodré eine komplexe Verkehrs-
375, sieht eine Reduzierung der Nutzung von Fahrzeugen über einen
struktur.
längeren Zeitraum vor, bis das Viadukt vollständig deaktiviert wird. Die Entscheidung, ob eine Umnutzung zu einem linearen Park (Vorbild des
Der Bau dieser Großprojekte führte zu diversen Problemen in den
High Line Parks in NY) stattfindet oder ob der Minhocão abgerissen
betroffenen Stadtteilen. Abgesehen von Lärm und Verschmutzung
werden soll, steht noch aus. Sicher ist jedoch, dass den Stadtteil Con-
12 Militärdiktatur in Brasilien von 1964-1985. Regierungsübernahme nach dem Militärputsch am 31. März 1964 der den Präsidenten João Goulart stürtze (HISTORIOA DO BRASIL) 13 Ligação Leste-Oeste wird die mehrspurige Schnellstraße genannt, die den westlichen mit dem östlichen Teil der Stadt verbindet. Sie führt durch das Zentrum und zerteilt dabei diverse Stadtteile. Sie beginnt mit dem Elevado Presidente Costa e Silva und mündet am Viadukt Glicério in die Schnellstraße Radial Leste. Der Name Ligação Leste-Oeste ist inoffiziell (ANELLI, 2007)
solação ein neues Projekt erwarten wird. In diesem Zusammenhang bleibt die Frage offen, ob es langfristig abzuschätzen ist, was mit den übrigen Viadukten der Schnellstraße "Ligação Leste-Oeste" passieren wird (ANTP, 2015).
Abb. 5: Bau der "Ligação Leste-Oeste" - Abschnitt Viadukt Júlio de Mesquita Filho
15
2. STADT DER OBDACHLOSEN
Habitat der Obdachlosen Legende Straßen, öffentliche Plätze, ungenutze Flächen
STADT DER OBDACHLOSEN 16
Der Begriff "Stadt der Obdachlosen" entstand aus der Annahme, dass neben der formellen sichtbaren Stadt eine parallel existierende unsichtbare Stadt entstanden ist, deren Grundstruktur aus informellen Tätigkeiten und Aktivitäten von Obdachlosen besteht. Dabei beschriebt die "Unsichtbarkeit" die Informalitäten von Stadtbewohnern, die nicht durch die Stadtverwaltung administriert werden. In São Paulo besteht die "Stadt der Obdachlosen" aus fast 16.000 Menschen, von denen die Mehrheit einer informellen Arbeit nachgeht (FIPE, 2015). Ein besonderes Interesse dieser Arbeit besteht darin, herauszufinden, wie diese parallel existierende unsichtbare Stadt funktioniert und ob sie Zusammenhänge, Regelmäßigkeiten, Strukturen und Abhängigkeiten aufweist. Das zentrale Thema ist der obdachlose Mensch, seine Probleme, Bedürfnisse und alltäglichen Herausforderungen. Es wurde untersucht, wie sich der Obdachlose den öffentlichen Raum aneignet, an welchen Orten er sich aufhält und wie er den Raum zu seinen Gunsten verändert. Die Durchführung der Analyse setzt sich zusammen aus eigenen Beobachtungen, Gesprächen mit verschiedenen sozialen Institutionen und Obdachlosen sowie des Studiums diverser Fachliteratur. Die Daten zur Obdachlosigkeit in São Paulo stammen aus dem Zensus Principais Resultados do Censo da População em Situação de Rua na Municipalidade de São Paulo aus den Jahren 2011 und 2015. Es handelt sich dabei um die Resultate von Befragungen zu Herkunft, Alter, Familienstand, Ausbildung, Beruf/Tätigkeit, Abhängigkeiten (z.B. Alkohol, Drogen), etc. Befragt wurden erwachsene Obdachlose aus allen Stadtteilen São Paulos. Es sind allerdings auch Darstellungen und Statistiken verfügbar, die die Ergebnisse jedes einzelnen Stadtteils aufzeigen. Zusätzlich zum Zensus 2011 und 2015 nehme ich Bezug auf die Ergebnisse einer Befragung des FIPE - Fundação Instituto de Pesquisas Econômicas aus dem Jahr 2010, die ein sozial-wirtschaftliches Profil der Obdachlosen der zentralen Region São Paulos erstellt haben. Die Daten stammen aus jenen Stadtteilen, die für die urbane Analyse meines Projekts relevant sind, nämlich República, Sé, Pari, Brás, Cambuci, Liberdade, Consolação, Bela Vista, Santa Cecília und Bom Retiro.
17
2. STADT DER OBDACHLOSEN Wer? Im Folgenden wird dargestellt, um wen es sich bei den Obdachlosen
Es konnte nur ein geringer Anteil an Familien beobachtet werden. Le-
handelt, die auf den Straßen und in den Herbergen São Paulos leben.
diglich an 43 von 1.182 Orten befanden sich Familien. Das sind 3,6%.
Der Zensus sowie die Befragungen des FIPE unterscheiden die Men-
Die Mehrheit der Obdachlosen lebt also alleine auf der Straße.Von den
schen in zwei Kategorien. Während die eine Gruppe in Herbergen für
befragten Frauen gaben 28 an, schwanger zu sein (5,5%). Allerdings
Obdachlose untergebracht ist, hält sich die andere die meiste Zeit auf
machte die Mehrheit darüber keine Angaben (68%).
der Straße auf. Bei der Herkunft der Obdachlosen handelt es sich hauptsächlich um Die Mehrheit der obdachlosen Menschen sind männlich (82%). Demge-
Brasilianer aus der Stadt bzw. dem Staat São Paulo. 40,1% konnten sich
genüber fällt der Anteil an Frauen mit 14,6% eher gering aus, ist jedoch
als Brasilianer ausweisen, von 59,5% liegen jedoch keine Angaben vor.
seit 2011 um 1,8% gestiegen. Die Hauptaltersklasse liegt mit 36,6% zwi-
Unter den Brasilianern, die nicht aus São Paulo stammen, wurden die
schen 31 und 49 Jahren. Mit großem Abstand folgen die Altersklassen
Heimatstaaten Bahia, Pernambuco und Minas Gerais am häufigsten ge-
50 bis 64 Jahre (19,7%) und 18 bis 30 Jahre (15,3%). Es fällt auf, dass
nannt (FIPE 2011).
mit 0,6% nur sehr wenig Jugendliche obdachlos sind, allerdings ist die Zahl der Straßenkinder mit 2,5% besorgniserregend. Insgesamt leben
Anders als bei der Befragung des Zensus wurden bei der Befragung
403 Kinder auf der Straße, von denen 370 einen Platz in einer Herber-
des FIPE (2010) weniger Personen interviewt (maximal 525 Befragte).
ge haben. Die übrigen 33 befinden sich auf der Straße. Ein wichtiger
Dabei handelt es sich lediglich um jene, die älter als 17 Jahre und in der
Hinweis zu diesen Daten ist, dass 20,5% keine Angaben zu ihrem Alter
Lage waren, ein Gespräch zu führen. Dies schließt stark alkoholisierte,
gemacht haben. Ferner ist das ermittelte Durchschnittsalter der Ob-
unter Drogen stehende oder psychisch kranke Obdachlose aus. Um ein
dachlosen, die auf der Straße leben 39,7 Jahre und jener Obdachlosen,
sozial-wirtschaftliches Profil der Obdachlosen im Zentrum São Paulos
die in Herbergen unterkommen, 42,7 Jahre. Die ältesten Menschen, die
zu erstellen, beschäftigt sich die Analyse des FIPE unter anderem mit
ohne Obdach leben, sind 86 Jahre (Straße) und 94 Jahre (Herberge) alt
Fragen zu Familie, Arbeit, Einkommen und Gesundheit. Im folgenden
(FIPE 2015).
nehme ich Bezug auf die wichtigsten Resultate dieser Analyse und unterteile sie in einzelne Themenbereiche.
Im Bezug auf die Hautfarbe ist die Mehrheit der Obdachlosen "NichtWeiß". Das bedeutet, dass Schwarze (21%) und Dunkelhäutige (17%) einen Anteil von 38% ausmachen. Die Anzahl der weißen Obdachlosen beläuft sich hingegen auf 25% (FIPE 2011).
Anzahl der obdachlosen Personen in São Paulo Zensus 2000 [FIPE]
8.706 Zensus 2011 [FIPE]
14.478
39,8%
15.905
9,1%
Zensus 2015 [FIPE]
Durchschnittsalter
0 39,7 Jahre Geschlecht | Generation
82% 18
14,6%
0,6%
2,5%
Familie Bei 66,9% zu 33,1% stellt sich heraus, dass die Mehrheit der Obdachlosen alleine auf der Straße lebt. Im Falle des Zusammenlebens handelt es sich in den meisten Fällen um eine Partnerschaft. Es fällt auf, dass im fortgeschrittenen Alter mehr Obdachlose alleine leben. Über die Hälfte der Befragten hat Kinder (59,1%), allerdings leben nur wenige mit ihnen zusammen auf der Straße. 40,5% gaben an, keine Kinder zu haben. Bei den meisten ist der Kontakt zur Familie nicht abgebrochen. Immerhin 61,2% haben Verwandte in São Paulo, von denen 31,2% bis zu einmal monatlich Kontakt haben und 62,7% bis zu einem Mal im Jahr. Bildung und Arbeit Mit 45,4% hat fast die Hälfte der Befragten Angaben zu einer unvollständigen bzw. abgebrochenen Schulausbildung gemacht. 21,3% haben bereits die Grundschulausbildung und 24,1% die weiterführende Schule abgebrochen. Lediglich 8,2% haben einen Schulabschluss, der ihnen den Zugang zu einer Universität erlaubt. Acht Prozent haben niemals eine Schule besucht. Mit einem Anteil von 9,5% an Analphabeten ist die Zahl höher als im gesamten Stadtbezirk. Die Mehrheit der Obdachlosen ist vor der Obdachlosigkeit einer formellen Beschäftigung nachgegangen. Diese Beschäftigungen reichen von einfacher fachlicher Qualifikation bis hin zu technisch und administrativ anspruchsvollen Leistungen. Der höchste Prozentsatz ist im Bauwesen festzustellen (27,8%), gefolgt von Reinigungskräften (13,5%) und dem Technik- und Verwaltungsbereich (12,8%). Nur 3,5% sind
noch nie einer festen Beschäftigung nachgegangen. Bei einer formellen Tätigkeit besitzt der Arbeitnehmer ein "registro em carteira" (z.dt. Lohnsteuerkarte) und somit auch Arbeitnehmerrechte sowie Anspruch auf Sozialleistungen. Diese Situation ist bei den Obdachlosen jedoch so gut wie inexistent, da die Mehrheit im informellen Sektor arbeitet. Die gängigsten Beschäftigungen sind das Sammeln von recyclebaren Materialien, der Verkauf von kleinen, günstigen Produkten, das Be- und Entladen von Lastwagen und die des Parkplatzwächters bzw. -einweisers. Informelle Beschäftigungen Materialsammler Materialsammler
268
Autoscheibenwischer Autoscheibenwischer
Bürgerrechte Fast die Hälfte der Befragten besitzt keine persönlichen Dokumente, was einen Ausschluss der Betroffenen vom zivilen Leben, Rechten und Anerkennung als Bürger zur Folge hat. Bei den Dokumenten handelt es sich unter anderem um Personalausweis, CPF - Cadastro de Pessoas Físicas (Steuernummer), Wählertitel und die Arbeitsbefugnis. Die Befragten gaben an, nicht unter Diskriminierung zu Alter, Geschlecht oder Hautfarbe zu leiden, jedoch einer kompletten Exklusion der Gesellschaft ausgeliefert zu sein. Nur 24% kennen die Bewegung Movimento Nacional da Populaçã da Rua (siehe S. 20) und wenige nehmen an ihren Aktivitäten teil.
56
Be- Entladen und Entladen Be- und
47
Straßenverkäufer Straßenverkäufer
37
Bauwesen - Maurer Bauwesen - Maurer
30
Reinigungskraft Reinigungskraft
7
Flugblätter Flugblätterverteilen verteilen
4
Befragte Befragte (Gesamt)
449
Quelle: FIPE 2010
0
100
200
300
400
500
Es existieren Personen, die bereits seit mehr als zehn Jahren informellen Tätigkeiten nachgehen undDatenreihen1 denen somit jegliche Rechte verwehrt bleiben. Im Durchschnitt verdient ein obdachloser Arbeiter R$ 19,30 am Tag (ca. 5,40€/Tag). Die Obdachlosen gaben im Zuge der Befragung an, das verdiente Geld für Mahlzeiten, Zigaretten, Alkohol oder Drogen auszugeben14.
Gesundheit und soziale Einrichtungen Die Mehrheit der Befragten gab an, nicht unter gesundheitlichen Probleme zu leiden. Im Falle von Beschwerden gaben sie jedoch Unfälle wie Stürze oder Kollisionen mit Fahrzeugen sowie Streit und Prügeleien als Hauptgründe an. Ihre erste Anlaufstelle für eine Behandlung ist entweder eine Erste-Hilfe-Station, ein öffentliches Krankenhaus (kostenlose Behandlung) oder ein Gesundheitszentrum. Folgende soziale Einrichtungen werden von den Obdachlosen am häu-
Letzter Wohnort15 und Dauer auf der Straße Der Verlust der Wohnung kann viele Gründe haben, darunter Arbeitslosigkeit, Streit in der Familie, Alkohol- oder Drogensucht. Die Mehrheit der Menschen, die ihren letzten Wohnort verlor, musste sofort auf die Straße ausweichen, da sie kein Vertrauen in Familie oder Freunde sowie keine Konditionen hatte, eine Pension zu bezahlen. Mehr als die Hälfte war Eigentümer und verlor den Wohnort in in der Peripherie von São Paulo. Die meisten lebten vorher außerhalb einer Favela, allerdings ist die Zahl der aus Favelas stammenden Obdachlosen relativ hoch. Die Befragten lebten am letzten Wohnort selten alleine. 69,8% wohnten mit ihrer Familie zusammen. Nach dem Verlust des Wohnortes blieben als einzige Möglichkeiten der Übernachtung die Straße oder eine Herberge, wobei 79,1% bereits in Herbergen übernachtet haben. Die Dauer des Aufenthaltes auf der Straße ändert das Verhalten der Personen, ihre Wahrnehmung und Empfindungen sowie die Einstellung zu sozialen Projekte und Auswegmöglichkeiten. Im Durchschnitt lebt ein Obdachloser 5,8 Jahre auf der Straße. Dieser Wert setzt sich zusammen aus 25%, die bis zu einem Jahr, 25% über zehn Jahre und 50% zwischen einem und neun Jahren auf den Straßen der Metropole leben (FIPE 2010). 15 Mit Wohnort ist hier die letzte Unterkunft gemeint wie Eigentums-/ Mietshäuser oder -wohnungen.
figsten aufgesucht: Suppenküche (44%), Aufenthaltszentrum (28%), Herberge (23%) und Tendas (19%). Ein Drittel und somit ein relativ ho-
Übernachten
her Teil der Obdachlosen nutzt keine dieser sozialen Einrichtungen.
Gewalt und Drogen 66,5% gaben an, schon einmal Opfer von Gewalt auf der Straße geworden zu sein. Dabei wurde die Gewaltanwendung untereinander am häufigsten genannt (46,3%), gefolgt von Gewalteinwirkungen durch die Polizei (27,9%). Der Konsum von Drogen war unter den Befragten sehr hoch. Immerhin 74% konsumieren Alkohol, Drogen oder beides. Dabei ließ sich feststellen, dass der Konsum auf der Straße höher ist als in Herbergen. Die institutionelle Vorgeschichte der Obdachlosen ist von großer Bedeutung, da mehr als die Hälfte schon einmal eingeliefert wurde. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Gefängnisse, Suchtkliniken oder FEBEM - Fundação Estadual do Bem Estar para Menores (Einrichtung für Kinder von 0-18 Jahren). Von den befragten Jugendlichen befanden sich bereits 70% in einer dieser Einrichtungen.
8.570 Herberge
7.335 Straße
Personengruppen
14 Die Zahl der Befragten beläuft sich lediglich auf 336 Personen und kann daher schlecht den wahren Zustand wiedergeben, da in der zentralen Region mehrere Tausend Obdachlose leben
19
2. STADT DER OBDACHLOSEN Warum?
Wo?
Die Gründe für ein Leben auf der Straße sind sehr unterschiedlicher
In São Paulo leben laut aktuellem Zenus (2015) 15.905 Obdachlose. Im
Natur. Laut der Pesquisa Nacional sobre a População em Situação de Rua
Vergleich zu 2011 (14.478 Obdachlose) ist die Zahl um 9% gestiegen.
(dt. Nationale Befragung der Obdachlosen) aus dem Jahr 2008, die in 71
Wie bereits erwähnt, unterscheidet der Zensus Obdachlose, die auf der
brasilianischen Städten stattfand, gaben 35,5% an, Alkohol- und/oder
Straße leben und diejenigen, die in einer Herberge übernachten. Es
Drogenabhängigkeit seien die Ursache ihrer Obdachlosigkeit. 29,8%
wird deutlich, dass mehr Menschen die Übernachtungsmöglichkeiten
hingegen leben auf der Straße durch Arbeitsverlust bzw. Arbeitslosig-
in Herbergen (8.570 Individuen) als die Straße (7.335 Individuen) nut-
keit und 29,1% durch Probleme in der Familie (Streit, Missbrauch, etc.).
zen. Das entspricht einem Verhältnis von 54 zu 46 Prozent. Seit 2011
71,3% der Befragten gaben mindestens einen dieser Gründe an. Wei-
haben sich diese Zahlen lediglich um einen Prozent zugunsten der
tere Ursachen können psychische Probleme, mentale Behinderungen,
Herbergen verändert (Herbergen 53% und Straße 47%). Die Situation
Krankheiten oder die Flucht vor der Polizei sein.
hat sich daher nur gering verbessert.
Die angegebenen Motive können dabei Auswirkungen eines der vor-
Da der detaillierte Bericht des Zensus 2015 noch nicht vorliegt, werden
angegangenen sein. Beispielsweise kann die Alkoholsucht einen Ar-
im Folgenden die Daten des Zensus aus dem Jahr 2011 wiedergege-
beitsverlust zur Folge haben. Die darauf folgende Arbeitslosigkeit und
ben. Ein Hauptaugenmerk wurde dort auf die zentrale Region von São
bestehende Abhängigkeit führen zu finanziellen Problemen und im
Paulo gelegt. In den folgenden 10 Stadtteilen befinden sich 64% der
schlimmsten Fall zum Verlust des Wohnortes.
Obdachlosen der Stadt, was bei einer Gesamtanzahl von 14.478 Individuen einem Anteil von 9.266 Obdachlosen in dieser Region entspricht.
Zusätzlich wird unterschieden zwischen jenen Obdachlosen, die ge-
Zu diesen Stadtteilen gehören República, Sé, Pari, Brás, Cambuci, Liber-
zwungen sind auf der Straße zu leben und denen, die die Straße als
dade, Consolação, Bela Vista, Santa Cecília und Bom Retiro. Die meis-
Lebensraum wählen. Während die erstgenannte Gruppe einen Ausweg
ten Obdachlosen leben im Stadtteil Santa Cecilia (27,7%), dicht gefolgt
aus der Situation der Obdachlosigkeit sucht, d.h. sie würde nicht auf
von Sé (27,1%). Darauf folgen die Stadtteile República (16,6%) und Brás
der Straße leben, wenn es andere Möglichkeiten gäbe, strebt die ande-
(11,5%). Im Vergleich zum Zensus von 2009 stechen die Veränderun-
re Gruppe keine Veränderungen an (QUINTÃO, 2012).
gen in zwei dieser Stadtteile besonders hervor. Zum einen ist die Zahl der Obdachlosen im Viertel Santa Cecilia von 309 auf 1.197 Obdachlosen gestiegen. Das ist ein Zuwachs von 287,4% im Vergleich zu 2009. Andererseits ist die Anzahl in República um ein Vielfaches gesunken. Dort befanden sich 2009 noch 1.570 Obdachlose, wohingegen 2011
Hauptgründe für Obdachlosigkeit
nur noch 719 Personen angetroffen wurden. Unter den Obdachlosen in Herbergen befinden sich 5.694 bzw. 73,8% im Zentrum, bei einer Gesamtanzahl von 7.713 Menschen. Der Stadtteil Brás zählt mit 32,3% am meisten Obdachlose (1.833 Personen). Bom Retiro und Sé beherbergen mit 2% (146 Personen) und 1,2% (68 Personen) am wenigsten Obdachlose (FIPE 2011).
Alkohol-/Drogensucht
35,5%
Arbeitsverlust/-losigkeit
29,9% Familiäre Konflikte
29,1% 20
Verteilung der Obdachlosen in zentraler Region São Paulos [CENSO 2003]
Herausforderungen Einflussfaktoren der Umwelt Obdachlose müssen sich täglich verschiedenen Herausforderungen
ran Fahrzeuge, Lärm, Schmutz, Ungeziefer und Veränderungen in der
stellen, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen oder ihn bewoh-
urbanen Landschaft (Abriss von Gebäuden, Brücken, Schließungen von
nen. Es heben sich drei Arten von Veränderungen des Lebensraumes
Parks, etc.), die zum Verlust der gewohnten Umgebung führen können.
hervor, mit denen die Schwierigkeiten einhergehen. Die dritte Herausforderung stellt die Gesellschaft selbst dar. ObdachZum einen handelt es sich um wetterabhängige Veränderungen wie
lose leiden besonders unter sozialer Exklusion, psychischer und physi-
Hitze, Kälte, Regen, Sturm, etc. Da sich São Paulo in der subtropischen
scher Verletzlichkeit, Marginalisierung und Diskriminierung. Vorurteile
Klimazone befindet, werden keine Minusgrade erreicht. Generell wer-
sind eine besonders häufige Ursache der Inakzeptanz gegenüber Ob-
den im Winter Tiefsttemperaturen zwischen 13 und 18°C gemessen,
dachlosen.
allerdings wurden auch bereits tiefere Temperaturen gemeldet. Die Anzahl der Niederschläge ist dennoch sehr hoch. Besonders in den Sommermonaten ist mit viel Regen zu rechnen. Bei starken Regen-
Soziale Exklusion
fällen kommt es dabei teilweise zu Überschwemmungen von Straßen.
Diskriminierung Ein anderer Faktor sind die umliegenden urbanen Einflüssen, allen vo-
Inakzeptanz Verhalten der Gesellschaft
Einflussfaktoren der Umwelt auf den Obdachlosen
"Es ist leicht über mich zu reden, schwierig ist es "ICH" zu sein" Aparicio
Abb. 6
21
2. STADT DER OBDACHLOSEN SOZIALE BEWEGUNGEN Kampf für Rechte und Menschenwürde der Obdachlosen in Brasilien
MOVIMENTO NACIONAL DA POPULAÇÃO DE RUA - SÃO PAULO Am 19. August 2004 fand auf dem Praça da Sé, im Zentrum von São
ven angeboten:
Paulo, ein brutales Massaker statt. Zehn Obdachlose wurden während
•
Ausbildungsvorbereitungen
sie schliefen von mehreren Personen angegriffen, Zwei starben sofort,
•
Inklusion in den Arbeitsmarkt
vier weitere erlagen ihren Verletzungen im Krankenhaus, die übrigen
•
Inklusion in Wohnprogramme
vier überlebten. Drei Tage später, am 22. August, wiederholte sich das
•
psychologische Betreuung
Ereignis am selben Ort und kostete einen weiteren Obdachlosen das
•
Aufnahme von Anzeigen, die die Menschenrechte verletzen
Leben. Die Aggressionen gingen angeblich von zivilen Militärpolizis-
•
u.a.
ten und Händlern der angrenzenden Kaufläden aus. Ausgeführt wurden die Angriffe mit Eisenstangen und Holzbrettern, wobei gezielt
Durch Versammlungen auf öffentlichen Plätzen, kleine Flugblätter
auf schlafende Obdachlose eingeschlagen wurde. Bis heute ist das
oder ähnliches, treten sie mit obdachlosen Menschen in Kontakt und
grausame Ereignis unter dem Namen "Massacre da Sé" oder "Massacre
versuchen sie so über ihre Rechte als Bürger zu informieren.
do Centro" bekannt. Selbst nach über zehn Jahren wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen und weitere Aggressionen
Die sozialen Einrichtungen der Stadtverwaltung wie Obdachlosen-
gegenüber Obdachlosen verzeichnet.
heime und Aufenthaltszentren (Tendas) werden von der Bewegung stark kritisiert, da sie prekäre Dienste und kaum Aktivitäten anbieten
Nach den unfassbaren Geschehnissen vom August 2004 entstand in
würden. Laut Koordinator Anderson Lopes Miranda funktionieren
São Paulo und anderen Städten Brasiliens die politisch neutrale und
die Tendas nicht und würden deshalb schnell in einen misslichen Zu-
soziale Bewegung "Movimento Nacional da População de Rua". Diverse
stand verfallen (siehe Seite 75, Aufenthaltszentrum Viadukt Alcântara
soziale Bewegungen und Organisationen hoben die Notwendigkeit
Machado). Lobend hervorgehoben wird jedoch das Obdachlosenheim
des Zusammenschlusses einer Obdachlosenbewegung hervor, die als
Oficina Boracea (siehe Seite 27), das sehr gut funktioniere, da es ein
schützendes Organ funktioniert, indem sie für die Rechte der Obdach-
breites Angebot an Aktivitäten gebe und auf die Bedürfnisse der Ob-
losen kämpft und eine Stimme in den politischen Entscheidungspro-
dachlosen eingegangen würde. Regierungwechsel und Streichungen
zessen fordert (SILVA, 2014).
von wichtigen Angeboten wie bspw. die Parkplätze für die Carroças17, der Veterinär, der Zugang mit Haustieren und verschiedene Aktivitä-
In einem Interview, das von mir am 23. Juni 2015 im Sindicato dos Co-
ten hätten allerdings dafür gesorgt, dass das Zentrum heute in einem
merciários mit Anderson Lopes Miranda (Koordinator der Bewegung
schlechten Zustand sei.
in São Paulo) und seinem Team geführt wurde, hatte ich die Möglichkeit, allgemeine und projektbezogene Fragen zu klären. Von beson-
Laut Anderson sei das größte Problem an der Obdachlosigkeit die Si-
derem Interesse war, herauszufinden, wie die Bewegung funktioniert
cherung der eigenen Existenz. Solange kein regelmäßiges Einkommen
und wofür sie kämpft. Darüber hinaus aber auch, welche Meinung sie
nachgewiesen werden könne, das heißt, einer formellen Arbeit nach-
im Bezug auf soziale Einrichtungen der Stadtverwaltung und Obdach-
gegangen wird, sei die Aussicht auf eine Wohnung fast unmöglich.
losenbesetzungen vertritt.
Das Gleiche gelte für den umgekehrten Fall. Dabei hebt er hervor, dass
16
der Staat für beides garantieren müsse. Es fehle also an einem soziaDie Bewegung in São Paulo setzt sich zusammen aus dem selbst zwan-
len System, das Menschen in Notsituationen auffangen könne, um ein
zig Jahre obdachlos gewesenen Koordinator, zwei Sekretärinnen,
menschenrechtlich würdevolles Leben zu sichern.
Streetworkern und Obdachlosen. Ihr Ziel ist es, einen offenen Dialog mit zivilen und Regierungseinrichtungen zu führen, um die Rechte der
"Keiner möchte auf der Straße leben", behauptet Anderson. Seiner
Obdachlosen zu wahren und zu erweitern. Das bedeutet vor allem, das
Meinung nach müssten die scheinbar unüberwindbaren Vorurteile der
Recht auf Wohnen einzufordern und die Problematik der Obdachlo-
Gesellschaft gegenüber Obdachlosen abgebaut werden, um den Weg
sigkeit in der Sozial- und Nationalpolitik weiter zu verankern. Zudem
für eine soziale Reintegration zu öffnen. Es ginge nicht darum, weiter-
koordinieren sie das Netzwerk der Bewegung und sind für dessen Auf-
hin Obdachlose in Herbergen oder anderen reinen Hilfseinrichtungen
bau und Überwachung zuständig. Um eine Integration der Obdachlo-
unterzubringen, sondern um die Kombination von verschiedenen
sen in die Öffentlichkeitspolitik zu fördern, werden folgende Initiati-
Nutzungen für verschiedene gesellschaftliche Klassen. Der Nachteil
16 Aneignung von öffentlichem oder privatem Raum durch mehrere obdachlose Menschen. Nähere Erklärungen siehe ab Seite 25.
22
der Entwicklung eines Entwurfs und Konzepts mit der ausschließli17 Als Carroças werden die Karren der Materialsammler bezeichnet
Abb. 7: Manifestation - "19/08 Nationaler Tag des Kampfes der obdachlosen Bevölkerung"
chen Nutzung von Obdachlosen würde zu einer weiteren Segregation statt Integration führen. Sogar das Risiko der Entstehung von Ghettos sei dadurch sehr viel wahrscheinlicher. Am Ende des Interviews unterstreicht Anderson noch einmal, dass Arbeitsplätze und Wohnräume sowie ein vielfältigeres Angebot an kulturellen Aktivitäten geschaffen werden müssten. Viele der Obdachlosen lebten schon seit einem sehr langen Zeitraum auf der Straße, sodass ihr Wunsch gar nicht mehr der einer eigenen Wohnung sei, sondern eher nach einem flexiblen und schützenden Raum. Darüber hinaus sei die Obdachlosenherberge für viele keine Option mehr und neue, innovativere Lösungsansätze müssten erarbeitet werden. Vor allem aber sprach er sich gegen die Konstruktion von Herbergen unter Viadukten aus und verwies auf das Gesetz Lei 12.316 de 97, Decreto 40.232, das Herbergen unter Viadukten verbieten würde. Das Gespräch mit der Bewegung zeigt, dass Architektur beziehungsweise architektonische oder städtebauliche Interventionen alleine nicht im Stande sein können, eine Lösung zu erarbeiten. Besonders politische und wirtschaftliche Faktoren spielen im Prozess zur Verbesserung der Situation von Obdachlosen eine entscheidende Rolle. Was aber in jenem Fall wichtig ist, ist die Problematik sichtbar zu machen. 23
2. STADT DER OBDACHLOSEN Soziale Einrichtungen der Stadtverwaltung Die Abteilung der Stadtverwaltung Secretaria Municipal de Assistência e Desenvolvimento Social bietet verschiedene Einrichtungen an, die von den Obdachlosen aufgesucht werden können. Es unterscheiden sich zwei Arten von Einrichtungen. In den CREAS, CAPE, CENTRO POP und Espaços de Convivência/Tendas werden soziale Beratungen und Betreuungen angeboten, wohingegen Obdachlosenheime bzw. Herbergen Räume zur Übernachtung zur Verfügung stellen. Das Ziel der Analyse der Einrichtungen ist festzustellen, welche sozialen Reintegrationsprogramme, Nutzungen und Aktivitäten angeboten werden und darüber hinaus zu beobachten, wo und in welchem Zustand sich die Räumlichkeiten befinden. In der zentralen Region São Paulos befinden sich insgesamt 20 Obdachlosenheime des Typ I und II und acht Aufenthaltszentren, bei denen sich eine unmittelbare Nähe zu Viadukten feststellen lässt. Die Anzahl der sozialen Beratungsein-
Abb. 8: Aufenthaltszentrum Viadukt Alcântara Machado
richtungen ist mit jeweils einem CREAS und einem CENTRO POP dem-
Charakteristische Merkmale der sozialen Einrichtungen
gegenüber sehr gering.
Farben und Materialität
Im Folgenden werden die Funktionen der verschiedenen Sozialeinrichtungen näher beschrieben.
Einrichtungen für Obdachlose im Zentrum von São Paulo Legende Bahnnetz Fluss Viadukte relevant für Projekt Viadukte irrelevant für Projekt Brücken Obdachlosenheim I Obdachlosenheim II Obdachlosenheim Spezial Aufenthaltszentrum erwachsene Obdachlose Gemeinschaftsunterkunft CREAS CENTRO POP Verteilung der Obdachlosen (CENSO 2003)
24
Schild
Obdachlosenheime Obdachlosenheim I Die Herberge ist begrenzt auf die Unterbringung von 17h bis 8h morgens und richtet sich an erwachsene Männer und Frauen. Außerhalb dieser Zeiten bleibt sie geschlossen, das heißt es gibt keine permanenten Plätze. Vielmehr muss der Obdachlose sich in eine Warteschlange einreihen, bevor das Zentrum öffnet. Danach werden so viele Obdachlose angenommen, bis alle Betten vergeben sind. Neben der Übernachtung stehen den Obdachlosen Waschräume, Toiletten, Mahlzeiten, Umkleiden und Schränke zur Verfügung. Zusätzlich gibt es ein Beratungsangebot zu persönlichen Anliegen, zum Beispiel offizielle
Abb. 9: Centro de Acolhida Zaki Narchi
Dokumente, etc.
Obdachlosenheim II Wie das Obdachlosenheim I ist auch das Obdachlosenheim II für beide Geschlechter zugänglich. Der Unterschied besteht in den Öffnungszeiten und Aktivitäten. Der Obdachlose kann sich hier während eines halben Jahres rund um die Uhr aufhalten. Es stehen ihm Waschräume, Toiletten, Mahlzeiten, Waschmaschinen und Trockner, Schränke sowie soziale und bildende Aktivitäten zur Verfügung. Darüber hinausgehend besteht auch hier die Möglichkeit eines sozialen Beratungsangebotes.
Abb. 10: Casa São Lázaro, Brás
Obdachlosenheim Spezial Das spezielle Obdachlosenheim funktioniert in der gleichen Weise wie das Obdachlosenheim II und ist ebenso 24 Stunden geöffnet. Es unterscheidet sich nur wesentlich darin, welche Art von Personen angenommen werden. Es gibt spezielle Herbergen für Personen in ärztlicher Behandlung, arbeitslose Immigranten, Senioren, Frauen, die Opfer von Gewalt sind und Frauen mit Kind(ern).
Abb. 11: Zaki Narchi, Santana
Aufenthaltszentrum Es gibt zwei verschiedene Arten von Aufenthaltszentren. Beide sind hauptsächlich für die Benutzung durch erwachsene Obdachlose vorgesehen. Das erste ist das Núcleo de Convivência. Nutzer sind Frauen und Männer mit oder ohne Kinder. Das Zentrum bietet Betreuung und Aktivitäten für die soziale Reintegration und Hilfe zum Aufbau von zwischenmenschlichen und familiären Bindungen, die unterstützen sollen, die Straße als Aufenthalts bzw. Wohnort zu verlassen. Es ist jeden Tag für 8 Stunden geöffnet. Ferner besteht je nach Notwendigkeit die Möglichkeit einer Erweiterung der Öffnungszeit. Die Zugangsformen
Abb. 12: Aufenthaltszentrum Viadukt Gov. Abreu Sodré, Brás
zum Zentrum erfolgen spontan oder über die Weiterleitung einer der folgenden sozialen Beratungsstellen CAPE, CREAS, CRAS, CENTRO POP. 25
2. STADT DER OBDACHLOSEN Das zweite Zentrum ist der Espaço de Convivência bzw. Tenda. In der Art der Betreuung und den Aktivitäten unterscheidet es sich nicht vom ersten Aufenthaltszentrum. Jedoch kann sich die Einrichtung an einem alternativen Ort befinden, beispielsweise in einem Zelt oder unter einem Viadukt. Außerdem befindet es sich an einem Standort im öffentlichen Raum. Die Betreuungszeit findet von 8-22 Uhr an jedem Tag der Woche statt.
Soziale Beratungseinrichtungen CAPE – Coordenadoria de atendimento permanente e de emergência Das CAPE ist ein Zentrum für soziale Betreuung. Es ist der Knotenpunkt zur Verwaltung von Personen in permanent schwierigen Situationen und Notlagen. Die Einrichtung bietet Sprechstunden und Betreuung rund um die Uhr, d.h. sie ist 24h geöffnet. Die Mitarbeiter des CAPE sind für die Überweisung von Obdachlosen jeden Alters an die umliegenden bzw. nächstgelegegen Obdachlosenheime verantwortlich Es funktioniert als Zentrale und Koordinationszentrum für die Zuweisung von Plätzen in Obdachlosenheimen. Das Zentrum befindet sich meist in angemieteten Räumen.
CREAS - Centro de Referência Especializado de Assistência Social Das CREAS ist eine öffentliche Einrichtung, die die spezialisierte Betreuung für Familien und Individuen anbietet, deren Rechte verletzt wurden. Menschen, die dieser Gruppe angehören, leiden z.B. unter physicher, psychischer oder sexueller Gewalt, Obdachlosigkeit, etc. Das Zentrum bietet eine schützende Funktion und arbeitet mit spezialisierten Sozialarbeitern. Die Methoden wurden von einem multiprofessionellen Team entwickelt, um den Schutz der Familien zu ermöglichen und die erlebte Gewalt zu verarbeiten. Die Sozialarbeiter verfügen im Zeitraum der Beratung und Betreuung über die Krankenakte und ein-
Abb. 13: CREAS Sé
zelne Fallberichte der Individuen. Der Zugang zum CREAS findet entweder über eine andere soziale Einrichtung oder spontan statt. Geöffnet ist es von Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr.
CENTRO POP – Centro de referência especializado de assistência social para a população em situação de rua Das öffentlich zugängliche Centro POP bietet keine Übernachtung an, sondern lediglich die Betreuung von Familien und Individuen. Sie sorgen für sozialen Schutz und bestehen speziell für Personen, die Gewalt ausgesetzt oder obdachlos sind. Für letztere wird eine Betreuung wie in den CREAS angeboten. In São Paulo existieren drei dieser Zentren. Abb. 14: Centro Pop Vila Maria
26
Oficina Boracea Das Zentrum Oficina Boracea im Stadtteil Bom Retiro/Barra Funda wur-
Während meines Aufenthalts in São Paulo bekam ich die Möglichkeit,
de 2003 in der Amtszeit der damaligen Bürgermeisterin Marta Suplicy
das Zentrum zu besuchen (25. Juni 2015). Der dort zuständige Psycho-
(PT - Partido dos Trabalhadores, dt. Arbeiterpartei) eröffnet. Es handelt
loge Auro Tanamati zeigte mir das Gelände und berichtete über die
sich um eine Initiative der Stadtverwaltung von São Paulo, die mit Hilfe
Konzeption, Probleme und Aktivitäten des Zentrums.
des Programmes "Acolher - Reconstruindo Vidas" (dt. Beherbergen - Leben rekonstruieren) eine Unterkunft für Obdachlose schaffen wollte.
Der 17.000m² große Komplex besteht aus fünf unterschiedlichen so-
Das innovative Konzept wurde von einer interdisziplinären Gruppe
zialen Einrichtungen mit eigenen Verwaltungsbereichen, die verschie-
aus verschiedenen Fachrichtungen entwickelt und durch einen Ar-
dene obdachlose Personengruppen aufnehmen. So gibt es jeweils ein
chitekten realisiert. Das Zentrum befindet sich auf einem ehemaligen
Obdachlosenheim I und II sowie spezielle Obdachlosenheime für Se-
Fabrikgelände. Die sich dort befindlichen Hallen wurden im Sinne des
nioren und psychisch kranke Menschen (Erklärung siehe Seite 25-26).
Projekts zu Schlafsälen, Restaurants und Multifunktionsräumen umge-
Die Unterkünfte sind in den umgebauten Fabrikhallen untergebracht
baut.
und über einen gemeinsam nutzbaren Hof miteinander verbunden.
Grundriss des Projekts 2002 [Quelle: Quintão]. Markierungen der Nutzungen durch die Autorin nach einem Besuch in der Einrichtung
Legende Tenda/Aufenthaltszentrum Schlafsäale Restaurant und Küche Sanitärräume Multifunktionsraum/Aktivitäten Waschraum Psychologe, Sozialarbeiter, interne Medikamentenausgabe
27
2. STADT DER OBDACHLOSEN Darüber hinaus verfügt das Zentrum über eine Suppenküche mit zwei
Der maximale Zeitraum des Aufenthalts im Zentrum sind sechs Mona-
Sälen, eine Industrieküche, Sanitärräume zur gemeinschaftlichen Nut-
te. Laut Tanamati gibt es jedoch Bewohner, die dort, mit Unterbrechun-
zung, psychologische Betreuung, eine interne Medikamentenausgabe,
gen, schon seit mehreren Jahren untergebracht sind. "Die Menschen
eine Wäscherei, Stauraum für Gepäck, eine kleine Kapelle, Seminarräu-
kommen immer zurück", sagt er, "sie schaffen es nicht, ihr Leben zu
me und einen großen Freibereich. Im Eingangsbereich ist dem Kom-
organisieren".
plex ein Aufenthaltszentrum (Tenda) vorgeschaltet, das getrennt funktioniert und auch von Obdachlosen genutzt werden kann, die keinen
Durch Gespräche, die mir Tanamati unter Aufsicht mit einigen Bewoh-
Platz in einer der Einrichtungen haben.
nern der Herberge ermöglichte, fand ich heraus, dass das Zentrum sehr gut angenommen wurde. Die Mahlzeiten, Aktivitäten und die Betreu-
Das Zentrum nimmt nur männliche Obdachlose bei sich auf, bietet
ung wurden lobend hervorgehoben.
aber im separaten Bereich der Seniorenunterkunft etwa 30 Plätze für Frauen an. Die Trennung der Geschlechter in Obdachlosenheimen sei
Mein eigener Eindruck vom baulichen und räumlich angeordneten
sehr wichtig, da sonst das Risiko von Missbräuchen an Frauen bestün-
Zustand der Einrichtung fällt hingegen eher negativ aus. Die Schlaf-
de. Ob man einen festen Platz bekommt, hänge vor allem von dem
säle durfte ich nicht betreten, hatte aber die Möglichkeit durch offen-
Benehmen des einzelnen Obdachlosen ab. Gewaltbereite oder streit-
stehende Tore zu schauen. So konnte ich mir ein Bild davon machen,
suchende Menschen würden vom Grundstück verwiesen und nicht
dass etwa 200 Betten ohne Trennwände in einer großen Halle standen,
mehr aufgenommen werden. Auch eine längere Abwesenheit kann zur
die keinerlei Privatsphäre bot. Auch die Bausubstanz in den Gemein-
Neuvergabe des Platzes führen.
schaftsräumen sowie das räumliche Klima wiesen diverse Mängel auf. Positiv ist meiner Meinung nach der Hof, der alle Einrichtungen mitei-
Viele der dort untergebrachten Menschen befinden sich in sehr pro-
nander verbindet und über Sitzbänke und Bäume verfügt. Nichtsdes-
blematischen Situationen. Entweder sie sind alkohol- oder drogen-
totrotz fiel auf, dass sich die meisten Heimbewohner alleine auf dem
abhängig, können keine sozialen Beziehungen aufbauen, haben eine
Platz aufhielten und keinen Dialog mit anderen Menschen suchten.
mentale/körperliche Erkrankung oder wurden aus der Haft entlassen.
Der Psychologe hingegen war allen bekannt und wurde oft gegrüßt.
Laut Tanamati sind diese Faktoren besondere Herausforderungen im alltäglichen Umgang mit den Obdachlosen in der Herberge, da sie nicht ausreichend darauf vorbereitet seien. Seit der Abschaffung der psychiatrischen Kliniken vor einigen Jahren, müssten sich Obdachlosenheime darauf spezialisieren, vermehrt Menschen mit psychischen Erkrankungen aufzunehmen, da diese, wenn sie zudem von ihrer Familie aufgegeben wurden, keinen Anlaufpunkt mehr haben und auf der Straße enden. Das breite Angebot an Aktivitäten schließt externe Exkursionen wie zum Beispiel einen Ausflug ins Fußballmuseum, genauso wie interne Funktionen mit ein. Letztere bestehen aus Physiotherapie, Drogenpräventionen, Alphabetisierungsunterricht, religiöse Aktivitäten, Spiele, Fernsehen, Kino, u.a. und von den Bewohnern der Herberge oft wahrgenommen werden würden.
Abb. 15: Schlafsäle - Betten für bis zu 400 Obdachlose
28
Negative Reaktionen der Stadt São Paulo auf Obdachlose Neben den zahlreichen sozialen Einrichtungen der Secretaria Municipal de Assistência e Desenvolvimento Social für die Obdachlosen wurden dennoch negative Reaktionen der Stadt São Paulo festgestellt. Das Phänomen existiert nicht nur in Brasilien. Weltweit werden unterschiedlichste urbane Interventionen durchgeführt, um den Obdachlosen die Aneignung des öffentlichen Stadtraumes zu erschweren. In São Paulo wurden 2014 unter dem Viadukt der blauen Metrolinie im Stadtteil Santana die Flächen um 45 Stützpfeiler mit Pflastersteinen verschiedener Höhen ausgestattet. Die Stadtverwaltung streitet ab, es habe sich dabei um eine Intervention gehandelt, die Präsenz von Obdachlosen zu vermeiden. Ein Sprecher gab an, mit der Aktion die Graffitis, Teil einer Ausstellung des Museums Museu Aberto de Arte Urbana,
Abb. 16: Intervention unter dem Viadukt der blauen Metrolinie, Santana, SP
schützen zu wollen. Allerdings war der Ort bereits bekannt für die Anwesenheit von Obdachlosen, die die Stützen zur Errichtung ihrer Hütten nutzten. Wie man Abbildung 17 entnehmen kann, wird der Raum dennoch genutzt. Ihnen wurde von Gemeindeaufsehern empfohlen, sich von den Flächen zu entfernen. Das Projekt kostete die Stadt R$ 1,02 Millionen, das sind etwa 240.000 Euro (ROMERO, 2014). Eine weitere urbane Intervention ist das Demontieren von Parkbänken. Teilweise leiden Plätze unter einer kompletten Abwesenheit selbiger, andernorts werden sie durch Bänke ersetzt, auf denen es unmöglich ist, zu liegen (Abb. 18). Es soll verhindern, dass sich Obdachlose in den öffentlichen Parks und Plätzen aufhalten bzw. übernachten.
Abb. 17: Intervention unter dem Viadukt der blauen Metrolinie, Santana, SP
Die "Rampa antimendigo" (dt. Antipenner-Rampe) wurde von Andrea Matarazzo18 entworfen und die erste Rampe 2005 an der Ausfahrt des Tunnels errichtet, der die Avenida Paulista mit der Avenida Dr. Arnaldo verbindet. Das Projekt wurde von der Bank BID - Banco Interamericano de Desenvolvimento im Rahmen der Rehabilitierung des Zentrums finanziert. Es gilt als extreme Antwort auf das Problem des Wohnungsmangels und ist keine Lösung für die sehr kritische Angelegenheit. Vielmehr versucht es die Anwesenheit von Obdachlosen im Zentrum zu verhindern und sie in die Peripherien der Stadt zu vertreiben (KUNSCH, 2005). Eine andere Art der Obdachlosenvertreibung aus dem öffentlichen Raum ist die Aktion "Tolerância Zero" (dt. Null Toleranz). Der Begriff wur-
Abb. 18: Parkbänke Praça da República, SP
de ursprünglich vom ehemaligen New Yorker Bürgermeister R. Giuliani benutzt, um den Kampf gegen Kriminalität und Abfall in der Stadt zu beschreiben. In São Paulo fand diese Aktion in den Stadtteilen Brás und Mooca statt, bei der nicht nur Abfälle entsorgt, sondern auch improvisierte Hütten und persönliche Gegenstände wie Dokumente und Fotos von Obdachlosen entfernt wurden. Verantwortlich für die "urbane Säuberung" war die Militärpolizei. Es wurden Lastwagen eingesetzt, die die Gegenstände beseitigten (MANSO, 2013).
18 ehemaliger Dienstleistungssekretär von São Paulo (Secretário Municipal de Serviços)
Abb. 19: "Rampa antimendigo" Avenida Paulista, SP
29
2. STADT DER OBDACHLOSEN Situationen - Tag und Nachtvergleich Vergleich der Aktivitäten und Aufenthaltsorte am Tag und in der Nacht Bei der Betrachtung der Situationen handelt es sich um Zustände, die häufig von mir beobachtet wurden bzw. Kombinationen von Möglichkeiten, die dem Obdachlosen zur Verfügung stehen. Dabei muss es sich nicht um konstante Situationen handeln. Es ist vorstellbar, dass sich die Zustände täglich ändern. Zudem gehen die Darstellungen von Häufigkeiten aus und schließen nicht aus, dass der Obdachlose auch anderen Aktivitäten nachgeht. [1] In der hier dargestellten Situation wird deutlich, dass der Obdachlose die Straße sowohl tagsüber als auch nachts bewohnt. Dabei wurden verschiedene Zustände beobachtet. Zum einen bewegt er sich kaum fort und verändert seinen Schlafplatz nicht. Zum anderen halten sich Obdachlose an einem bestimmten Ort auf der Straße auf, schlafen aber an einem geschützteren Ort (Beispiel: unter einer Brücke).
Inaktiv auf der Straße
Übernachten auf der Straße
Aktiv auf der Straße
Übernachten auf der Straße
Aktiv auf der Straße
Übernachten in Herberge
Aktiv in Herberge/Aufenthaltszentrum
Übernachten in Herberge
[2] Auch in dieser Abbildung wird klar, dass der Obdachlose in beiden Situationen die Straße als Aktionsraum nutzt. Tagsüber geht er einer Tätigkeit nach wie zum Beispiel dem Sammeln von wiederverwertbaren Materialien oder dem Verkauf von kleinen Produkten. Nachts bleibt er auf der Straße und kehrt entweder zu seinem permanenten Schlafplatz zurück oder übernachtet spontan an dem Ort, an dem er sich gerade befindet.
[3] Es wurde allerdings auch eine markante Standortveränderung festgestellt. Während der Obdachlose tagsüber aktiv einer Tätigkeit im öffentlichen Raum nachgeht, übernachtet er nachts in einer Herberge. Meist handelt es sich dabei um Obdachlosenheime I, die nur zur Übernachtung vorgesehen sind und tagsüber keine bildenden oder freizeitlichen Aktivitäten anbieten. Der Obdachlose nutzt somit zwangsweise die Straße.
[4] Darüber hinaus existiert zudem die Situation des permanenten Aufenthalts in Institutionen der Stadtverwaltung. Dies muss aber nicht täglich der Fall sein. Zum einen kann es sein, dass der Obdachlose einen Platz in einem Obdachlosenheim II hat und dort an Reintegrationsprogrammen teilnimmt oder er nutzt tagsüber Angebote der Aufenthaltszentren und nächtigt in einem Obdachlosenheim des Typ I. 30
INFORMELLE AKTIVITÄTEN
Abb. 20
Wie bereits das sozial-wirtschaftliche Profil der Befragungen des FIPE zeigt, gehen die meisten Obdachlosen einer informellen Beschäftigung nach. Im Folgenden werden diese anhand von Fotos dargestellt und analysiert. Es handelt sich um eigene Beobachtungen, die während meiner Aufenthalte in São Paulo 2014 und 2015 gemacht wurden. Zusätzlich verwende ich Bildmaterial aus Google Earth Streetview (2014). Die Analyse soll zu einem besseren Verständnis der Tätigkeiten der Obdachlosen verhelfen. Es wird dargestellt, wie sie dieser Tätigkeit nachgehen und welche Hilfsmittel benutzen werden. Neben den Arbeitstätigkeiten werden auch andere beobachtete Aktivitäten festgehalten, die normalerweise nicht im öffentlichen Raum stattfinden. Die Ergebnisse der Beobachtungen sollen zur Entwicklung des Raum- und Nutzungsprogrammes beitragen. 31
2. STADT DER OBDACHLOSEN Sammler recyclebarer Materialien Das Phänomen des Materialsammlers ist besonders in Lateinamerika zu beobachten. Arbeitslose und in Armut lebende Menschen sammeln mit Hilfe eines Wagens wiederverwertbare Materialien wie Pappe, Aluminium und Plastik, die sie an Unternehmen verkaufen und es dem Recycling zuführen. Die Tätigkeit ist von großer Betdeutung für die brasilianischen Großstädte, da immernoch Probleme der Abfallentsorgung bestehen. Mülltrennung existiert in den Haushalten nicht. Die Materialsammler sind somit die Einzigen, die den Müll trennen, ihn recyceln lassen und somit zu einer Verbesserung der Umweltverschmutzung beitragen. Dennoch wird die Tätigkeit nicht in das formale Arbeitssystem aufgenommen, was ihnen jegliche Arbeitnehmerrechte verwehrt. Die am Existenzminimum lebenden Menschen brauchen diese Arbeit allerdings, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dabei verdienen sie weit unter dem monatlichen Mindestlohn von R$ 900 (ca.
Abb. 21 Wagen eines Materialsammlers
211€). Unter Obdachlosen ist die Beschäftigung besonders häufig vertreten.
Abb. 22 Wagen eines Materialsammlers
Schematische Darstellung des Alltags eines Materialsammlers
Straßenverkäufer
selbstgebauter Tisch selbstgebauter Tisch
Abb. 23+24 : Verkauf diverser Kleinteile, Spielzeug, Kleidung
32
Abb. 25: Verkauf von Lebensmitteln (Süßigkeiten, Snacks, etc.)
Haustier
Produkte auf Decke
selbstgebastelte „Verkaufsfläche“ für Produkte
Abb. 26: Verkauf diverser Kleinteile
Straßenmusiker | Künstler
Produkte auf altem Pappkarton
Produkte auf Decke
Abb. 27: Verkauf von Elektrogeräten und Kleidung
Informalität drückt sich nicht nur durch Arbeit aus, sondern auch durch alltägliche Aktivitäten, die normalerweise nicht im öffentlichen Raum stattfinden. Die hier abgebildeten Fotos dienen nur als Beispiele einiger dieser Tätigkeiten und umfassen längst nicht das gesamte Spektrum. Neben Materialsammlern, Straßenverkäufern, Schuhputzern, Parkeinweisern, Musikern und Künstlern wurden Menschen bei der täglichen Nahrungsaufnahme und Körperhygiene beobachtet. Obdachlose nutzten das Wasser aus Brunnen oder Kanälen, um sich oder ihre Wäsche zu waschen. Die Kleidung wurde hinterher zum Trocknen über Zäune und Mauern gehängt.
Abb. 28: Einnahmen durch Musik oder Darbietungen
Abb. 29: Menschen waschen Kleidung in einem öffentlichen Brunnen
Abb. 30: Mann wäscht sich mit Wasser aus öffentlichem Brunnen
Abb. 31: Mönche rasieren Obdachlosen die Bärte
33
2. STADT DER OBDACHLOSEN
RAUM PRODUKTION. A n e i g n u n g
v o n
R a u m
[ÜBER]Leben auf der Straße
A
34
Einfache Wohnräume
B
Einzelne gebaute Wohnräume aus verschiedenen Materialien
In der Analyse der Wohnraumproduktion der Obdachlosen in São Paulo lag der Schwerpunkt darin, herauszufinden wie die Obdachlosen sich den vorhandenen Raum aneignen und welche Elemente sie hinzufügen, um ihn bewohnbar zu machen. Die Ergebnisse stammen aus eigenen Beobachtungen während Spaziergängen durch das Zentrum São Paulos und von Fotos aus Google Earth Streetview. Die digitale Quelle ist besonders wichtig, da es teilweise nicht möglich war, selbst Bilder einer Situation zu machen oder sich Besetzungen an unzugänglichen, gefährlichen Orten befanden. Besonderer Wert wurde bei der Analyse auf die Materialität und Formen der Konstruktion gelegt. Dabei fielen drei Arten des "Bewohnens" des öffentlichen Raumes besonders auf, die im Folgenden näher erklärt werden. Die Skizzen dienen dem Verständnis, welche
A B C
Aktivitäten besonders häufig ausgeführt wurden und welche Personen (Individuen, Familien) sich in den verschiedenen Wohnräumen befanden.
Bei den einfachen Wohnräumen handelt es sich um dürftig ausgestattete Schlafplätze. Die Zahl der Materialien beschränkt sich auf ein Minimum. Im Extremfall benutzt der Obdachlose nur eine Unterlage für den Kopf, während sich der Körper ungeschützt auf dem Gehweg befindet. Zu den am häufigsten verwendeten Unterlagen gehören Matratzen, alte Pappereste und Decken. Es wurden nur sehr wenig persönliche Gegenstände in den einfachen Wohnräumen beobachtet. Orte, an denen sich diese Schlafplätze befanden, waren Gehwege, Grünflächen, Hauseingänge, große Blumenkübel, Verkehrsinseln, unter Brücken und Viadukten, etc.
Die einzelnen gebauten Wohnräume sind komplexer als die einfachen Wohnräume und ähneln dem Typus einer Hütte. Sie werden vom Obdachlosen selbst gebaut und dienen meist ein bis zwei Personen. Dabei werden verschiedene Materialien verwendet wie beispielsweise Holzelemente, Decken, Matratzen, Plastikplanen, Wellblechplatten, usw. Aber auch handelsübliche Zelte wurden beobachtet und in diese Gruppe mit einbezogen. Die selbstgebauten Hütten befinden sich zumeist an Hauswänden, Mauern oder Zäunen, die wiederum als Befestigung dienen. Dafür werden Seile, Schnüre und auch Steine verwendet (siehe Abbildung B).
Die dritte Art der Wohnraumproduktion sind ganze Wohneinheiten bzw. Raumbesetzungen. An einzelnen Orten sind es sogar kleine Favelas. Es handelt sich dabei um eine Besetzung aus vielen Wohnräumen des Typ A und B. Darüber hinaus wurden dort alte Möbel wie Sofas, Kühlschränke, Schränke, Tische und alte Autos beobdachtet, die zu Wohnräumen umfunktioniert wurden. Diese Wohneinheiten werden sowohl von Individuen, Paaren und Familien genutzt. Es wurden viele persönliche Gegenstände und verschiedene kommerzielle informelle Aktivitäten gesichtet. Die Strukturen sind sehr komplex und man kann kaum eine Wohneinheit von der anderen unterscheiden. 35
A
Einfache Wohnräume
Decke
Hund
Decke
Obdachloser
Unterlage Schlafplatz
Abb. 32: Schlafplatz
Schlafplatz (innen)
Pappkarton
Abb. 33: Schlafplatz aus Pappkartons
Decken
Besen
Plane Schlafplatz
Abb. 34: Schlafplatz + persönliche Gegenstände
Plane/Müllsäcke
Obdachloser
Karre
Pappkarton Schlafplatz
Abb. 35: Schlafplatz aus Pappkartons
36
Decke Schlafplatz
B
Einzelne gebaute Wohnräume aus verschiedenen Materialien
Regenschirm Besen
Müllsack Pappkarton Pappkarton
Behälter
Wohnraum
Decke
Abb. 36: Hütte an Mauer Decke
Pappkartons
Plane
Wohnraum (innen)
Abb. 37: Hütte an Mauer/Zaun
Decken
Plane Einkaufwagen
Zelt
Befestigung an Zaun
Schuhe
Decke/Tuch
Wohnraum (innen)
Abb 38: Zelt an Mauer
Decken
Besen
Holzpalette
Wohnraum (innen)
Topf mit Pflanze
Plastikstuhl
Holzplatten
Abb. 39: Hütte an Mauer/Zaun
37
C
Wohneinheiten (Raumbesetzungen) aus verschiedenen Materialien
Abb. 40: Hütte einer Familie - Viadukt Glicério Kleidung
Decken
Kuscheltier
Sofa
Befestigung an Zaun
Obdachlose obdachloses Kind Schlafplatz
obdachloses Kinderzimmer Kind
Abb. 41: Einheit individueller Schlafplätze - Viadukt Glicério Schlafplatz Plastiktüte Obdachloser
persönliche Gegenstände
Schlafplatz Schlafplatz
38
persönliche Gegenstände
C
Wohneinheiten (Raumbesetzungen) aus verschiedenen Materialien
Abb. 42: Einheit einzelner Hütten verschiedener Familien/Individuen - V. Alcântara Machado
persönliche Gegenstände (Flaggen/T-shirts)
Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Flaschen
Befestigung mit Steinen
Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Bar/Kochstelle?
Zelt (Wohnen/ Schlafen)
Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Müllsack „Über mich reden ist einfach, schwierig ist es „ICH“ zu sein“
39
C
Wohneinheiten (Raumbesetzungen) aus verschiedenen Materialien
Abb. 43: Einheit einzelner Hütten verschiedener Familien/Individuen - V. Alcântara Machado
Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Abdeckplane
Regenschirm
Plastikflaschen
Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Bürostuhl Obdachloser Jugendlicher Obdachlose mit Kind
3 Obdachlose
Holzpalette Hütte (Wohnen/ Schlafen) Kanister
verschiedene Holzelemente
Autoreifen Kanister
40
C
Wohneinheiten (Raumbesetzungen) aus verschiedenen Materialien
Abb. 44: Einheit einzelner Hütten verschiedener Familien/Individuen - V. Alcântara Machado
Hütte (Wohnen/ Schlafen) Decke
Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Matratze Holz Obdachlose beim Essen
Zelt (Wohnen/ Schlafen)
Schild
2 Obdachlose
Straßenverkäuferin
Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Bürostuhl Verkaufsstand Holzbox
Obdachloser
41
C
Wohneinheiten (Raumbesetzungen) aus verschiedenen Materialien
Abb. 45: Einheit einzelner Hütten verschiedener Familien/Individuen - V. Alcântara Machado
Hütte (Wohnen/ Schlafen) Holzplatten Hütte (Wohnen/ Schlafen)
Decken Decken
Sofa
Holzplatten
Schlafplatz Sofa
Müllsack
42
2. STADT DER OBDACHLOSEN
MATERIAL *
* ter ist der portugiesische Infinitiv für das Verb "haben, besitzen"
Abb. 46
Die Analyse der von den Obdachlosen zur Raumproduktion benutzen Materialien ist von großer Bedeutung, da daraus abgeleitet werden kann, welche Materialien für den Entwurf eventuell schon zur Verfügung stehen, bzw. welche die Obdachlosen gegebenenfalls selbst beschaffen können. Im Folgenden werden zwei Materialkataloge dargestellt. Der erste listet die zur Hüttenkonstruktion verwendeten Materialien auf, während der zweite persönliche Gegenstände katalogisiert. Diese beiden Arten von Materialverwendung wurden am häufigsten beobachtet. Die im Katalog dargestellten Fotos stammen aus anderen Quellen und zeigen nur generell, um welche Materialien es sich handelt. Das bedeutet, diese Materialien wurden an den verschiedenen Wohnräumen beobachtet, haben aber eine andere Form, Farbe, etc. und entsprechen nicht den gesichteten Originalgegenständen. 43
2. STADT DER OBDACHLOSEN KONSTRUKTION | Material zum Bau von Hütten, Zelten, Schlafplätzen, etc.
Holzpalette
Holzbretter
Holzpalette
verschiedene Holzelemente
alte Pappe
Pappkarton
Einkaufswagen
Zelt
Bettdecken
Wolldecken
Holzelement
Müllsack
Müllsack
Matratze
Alte Möbel
Wellblech
Wellblech
Regenschirm
Abdeckplane
Autoreifen
Seil
Stein
Fahrradfelgen
OSB-Platten
44
SONSTIGE GEGENSTÄNDE | Persönliche Gegenstände, Möbel, Dekoration
Plastikstuhl
Kanister
PET-Flasche
Besen
Feudel
Bücher
Kuscheltier
Koffer
Kleidung
Eimer
Handtücher
Bilderrahmen
Dokumente
Kinderwagen
Plastikkisten
Farbbehälter
Elektrogeräte
Flaschenkasten
45
3. VIADUKTE IM ZENTRUM VON SAO PAULO
VIADUKTE
[Viadukt] der oder das Bedeutung: über ein Tal, eine Schlucht führende Brücke, deren Tragwerk meist aus mehreren Bögen besteht; Überführung Synonyme: Brücke, Überführung, Übergang, Überweg Herkunft: zu lateinisch via = Straße, Weg und ductum, 2. Partizip von: ducere = führen (Duden, 2015) 46
Abb. 47
Durch den Ausbau des Verkehrsnetzes während der Militärdiktatur in den 1960er und 1970er Jahren wurde in São Paulo eine Vielzahl an Schnellstraßen gebaut. Die Hochstraße Elevado Presidente Costa e Silva, besser bekannt unter dem Namen Minhocão, und die Verbindungsstraße Leste-Oeste (dt. Ost-West) sind wichtige Beispiel für die Entstehung der Viadukte im Zentrum der Stadt. Dabei war und ist ihre einzige Funktion die Leitung des Verkehrs von Ost nach West. In die Planung wurden die Flächen unterhalb der
Viadukte nicht mit einbezogen. Entstanden sind dunkle und meist ungenutzte Zwischenräume, die die Verbindung von innerstädtischen Stadtteilen massiv beeinflussen. Der Mangel an Nutzungen, Funktionen und fußgängerfreundlicher Passagen sorgt für die Entstehung eines gefährlichen Ortes. Durch die Fehlentscheidungen in der Planung des Verkehrsnetzes wurde nicht nur ein sichtbarer Verfall der betroffenen Stadtteile provoziert, sondern auch die Aufwertung wertvoller Flächen im zentralen Kontext der Stadt São Paulo versäumt. Besonders betroffen sind die Räume unter den Viadukten Glicério und Júlio de Mesquita Filho in den Stadtteilen Liberdade und Bixiga (siehe Kapitel 1 " Viadukte). 47
3. VIADUKTE IM ZENTRUM VON SAO PAULO Standorte und Typologien
Viadukte und Brücken Legende Bahnnetz Fluss Viadukte relevant für Projekt Viadukte irrelevant für Projekt Brücken
Um einen Überblick über die Viadukte im Zentrum von São Paulo zu
Viadukte mehr potenzielle Flächen unterhalb der Konstruktion boten
erhalten, wurde im ersten Schritt eine Analyse der Standorte erarbei-
als die Brücken. Um zusätzlich noch die Typologie der Viadukte einzu-
tet. Insgesamt befinden sich 35 Viadukte bzw. Brücken in der zentralen
grenzen, wurden sie in zwei Kategorien unterteilt. Die relevanten und
Region. Die größte Konzentration ist im östlichen Teil des Stadtteils Sé
die irrelevanten Viadukte. Letztere besitzen zwar alle Eigenschaften
und im Stadtteil Brás vorhanden. In Bom Retiro und Pari existieren kei-
eines Viadukts, bieten aber keinerlei oder nur sehr geringe, nicht nen-
ne Viadukte.
nenswerte potenzielle Flächen und sind somit unbrauchbar für den Entwurf. Da es die Intention des Projekts ist, den Entwurf auch unter
Um die für den Entwurf interessanten Viadukte herauszufiltern, wurde
anderen Viadukten zu "wiederholen", wurde ein besonderer Wert dar-
im nächsten Schritt eine Typologie entwickelt, die Gemeinsamkeiten
auf gelegt, die Viadukte zu typologisieren.
der Viadukte hervorhebt. Sie wurden in Brücken und Viadukte unterschieden. Um Brücken handelt es sich, wenn auf einer geraden Strecke
Die 15 relevanten Viadukte befinden sich in den verschiedensten Stadt-
Täler, Autobahnen, Flüsse oder Eisenbahnen auf dem kürzesten Weg
teilen des Zentrums. Während die Viadukte Dr. Plínios de Queirós, Julio
überbrückt werden. Das Viadukt hingegen ist ein urbanes Element, das
de Mesquita Filho und Armando Puglisi in Wohngebieten im Stadtteil
sich über einem anderen urbanen Raum erhebt (Straße, Grünflächen,
Bela Vista liegen, deren Erdgeschoss von kommerzieller Nutzung ge-
Privatgrundstücke, öffentliche Flächen, Fluss, Eisenbahn) und an sei-
prägt ist, so sind die Viadukte im Stadtteil Brás in industriellen oder ver-
nen Zufahrten eine Steigung hat. Es war deutlich zu sehen, dass die
lassenen Stadtteilen mit geringem Anteil an Wohnnutzung vorhanden.
48
35 Viadukte & Brücken Charakteristiken
15
Viadukte relevant für Projekt
- hoher Anteil an ungenutzen oder potenziellen Flächen - Standort (Zugang) - ähnliche Struktur
04
Viadukte irrelevant für Projekt
- geringer oder kein Anteil an ungenutzern oder potenziellen Flächen
16
Brücken
- vorhandene Fläche unter Brücke lediglich (Schnell)Straßen = ungeeignet für Projekt
Abb. 48: Brücke Conselheiro Furtado
Abb. 49: Viadukt Minhocão (Kategorie: irrelevant)
49
3. VIADUKTE IM ZENTRUM VON SAO PAULO
ANALYSE DER VIADUKTE
STECKBRIEFE Nach der Darstellung der Ergebnisse der Flächenermittlung (siehe Anhang) wird auf den darauf folgenden Seiten die detaillierte Analyse jedes einzelnen der 15 relevanten Viadukte in Form von Steckbriefen gezeigt. Dabei werden allgemeine Angaben zu Standort, Länge, Breite, und Höhe gemacht und darüber hinaus wichtige Beobachtungen festgehalten. Im Fokus der Analyse liegt die Berechnung der unmittelbar und potenziell nutzbaren Flächen unter dem Viadukt. Anhand von Fotos werden die wichtigsten Merkmale der Viadukte wiedergegeben. Die Darstellung des Querschnitts dient der Typologisierung und enthält weitere Details wie Form, Materialität, Stützen, geometrische Verhältnisse, Beleuchtung, etc. Dabei wurden lediglich jene mit signifikanten Unterschieden dargestellt. Die Bilddaten stammen entweder aus Google Earth Streetview, das mit sehr aktuellen Bildern aus dem Jahr 2014 arbeitet und aus dem eigenen Archiv. Die Querschnitte wurden durch meine eigene Abschätzung der Höhen und Proportionen angefertigt. 50
Flächenermittlung Während der Recherchen haben sich 15 Via-
08 Eng. Orlando Murgel 09 Gasômetro
dukte als projektrelevant herausgestellt. Die
06 Diário Popular Rio Tietê
03 Antônio Nakashima
13 Maestro Alberto Marino
Mehrheit befindet sich im östlichen Teil des Zentrums, in Stadtteilen wie Sé, Brás, Cambu-
01 25 de Março
ci und Liberdade. In den Stadtteilen Pari und Bom Retiro befinden sich keine Viadukte. 05 Bresser
Im Vordergrund dieser Analyse lag die Berechnung der potenziell nutzbaren Flächen
Mi
nh
für das Projekt. Es wurden drei verschiedene
oc
ão
Arten von Flächen unterschieden. 1. unmittelbar nutzbare Flächen 2. potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten 02 Alcântara Machado 15 Alberto Mesquita de Camargo
3. unnutzbare Flächen (siehe Definition weiter unten).
Bei den Viadukten handelt es sich oft um sehr individuelle Strukturen, die jedoch einige gemeinsame Merkmale aufweisen. Insgesamt
11 Gov. Abreu Sodré 07 Dr. Plinios de Queirós
14 Pref. Passos
wurde eine Fläche von 229.997m² unter den Viadukten errechnet. Der größte Teil davon
04 Dr. Plinios de Queirós
ist mit 126.272m² (55%) unbenutzbar, was
12 Julio de Mesquita Filho 10 Glicério
damit zusammenhängt, dass die an- und absteigenden Auffahrten in die Rechnung mit eingeflossen sind. 36.292m² (16%) sind un-
Legende Bahnnetz
mittelbar nutzbar und 67.433m² (29%) be-
Fluss
sitzen bereits eine Nutzung, gehören aber zu
Viadukte relevant für Projekt
den potenziell nutzbaren Flächen.
Viadukte irrelevant für Projekt Brücken
Insgesamt stehen somit 45% potenzieller Flächen zur Verfügung.
Name Viadukt
Unmittelbar nutzbare Fläche
Potenziell nutzbare Fläche mit Schwierigkeiten
01 - 25 de Março
5.885m²
0m²
02 - Alcântara Machado
1.472m²
12.577m²
03 - Antônio Nakashima
1.496m²
0m²
04 - Armando Puglisi 05 - Bresser
257m²
1.117m²
37m²
2.722m²
06 - Diário Popular
1.021m²
612m²
07 - Dr. Plinios de Queirós
3.550m²
3.905m²
08 - Eng. Orlando Murgel
0m²
8.026m²
09 - Gasômetro
0m²
1.620m²
10 - Glicério
8.510m²
17.592m²
11 - Gov. Abreu Sodré
3.313m²
7.602m²
12 - Julio de Mesquita Filho
9.252m²
2.600m²
13 - Maestro Alberto Marino
755m²
1.759m²
14 - Pref. Passos
564m²
5.153m²
15 - Prof. Alberto Mesquita de Camargo
180m²
1.687m²
Unmittelbar nutzbare Flächen sind alle Grünflächen bzw. betonierte Flächen ohne Nutzung und Funktion. Die meisten der einbezogenen Flächen befinden sich in einem schlechten Zustand. Die potenziell nutzbaren Flächen mit Schwierigkeiten setzen sich zusammen aus allen Flächen, die breits über eine Nutzung verfügen (z.B. Parkplätze, Besetzungen durch Obdachlose, Lager, suboptimal genutzte Gebäude, etc.) und die nach meiner Einschätzung Potenzial einer Umnutzung bieten bzw. unangemessen genutzt werden. 51
3. VIADUKTE IM ZENTRUM VON SAO PAULO Ergebnisse der Analyse Legende Unbenutzbare Fläche
43% 57%
Potenziell nutzbare Fläche mit Schwierigkeiten
Gasômetro
unmittelbares Potenzial (m²)
Eng. Orlando Murgel
Unmittelbar nutzbare Fläche
überquert eine Favela und Bahnschienen; ECOPONTO; starke Besetzung durch Obdachlose (Hütten von Familien und IndividuUnbenutzbare Fläche en); potenzielle Flächen sind Gebäudestrukturen unterhalb des Viadukts unmittelbares Potenzial (m²)
50%
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
50%
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
kurzes Viadukt; verliert viel Fläche unter den Steigungen; überquert Bahnschienen = Barriere für Fußgänger; potenzielle Flächen sind Gebäudestrukturen; keine Kenntnis über Besitzer/Betreiber
Unbenutzbare Fläche
Bresser
Prof. Alb. Mesq. de Camargo
4% 35% 61%
15%
1
befindet sich in Industriegebiet mit teilweise kommerzieller Nutzung; ECOPONTO; potenzielle Fläche sind hauptsächlich Gebäudestrukturen
2 3
überquert fast ausschließlich Privatgrundstücke; ECOPONTO (2x), Aufenthaltszentrum für Obdachlose inkl. Besetzung der Bürgersteige (Hütten, Zelte, etc.); nur wenig potenziell nutzbare Fläche (kleine Gebäudestruktur)
85%
Mae. Alberto Marino
15% unmittelbares Potenzial (m²)
51%
Verbindet zwei kommerzielle dynamische Bezirke; überquert Bahnschienen, verfügt jedoch über Füßgängerbrücke; zwei sehr interessante potenzielle Flächen (Parkplätze und eingezäunte Fläche „Anti-Obdachlose“
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
34%
Unbenutzbare Fläche
Armando Puglisi
4% 20%
2
3
Gov. Abreu Sodré überquert breite Autobahn der Hauptverbindung Nord-Süd; verbindet IndustriePotenziellegebiet Flächen mit mit suboptimal genutzer Region; Schwierigkeiten unmittelbar nutzbare Fläche besteht aus Unbenutzbare Fläche großer Grünfläche; Existenz eines Aufenthaltszentrums für Obdachlose inkl. Besetzung der Bürgersteige
16%
unmittelbares Potenzial (m²)
47%
unmittelbares Potenzial (m²)
befindet sich in einem Wohngebiet mit starker kommerzieller Nutzung im Erdgeschoss; Supermarkt „Hortifruti“; potenzielle Flächen hauptsächlich Parkplätze
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten Unbenutzbare Fläche
76%
1
37%
Antônio Nakashima 25%
unmittelbares Potenzial (m²) Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten Unbenutzbare Fläche
75%
Diário Popular
11% 12% 77%
Júlio de Mesquita Filho
befindet sich oberhalb des Parque Dom Pedro II, ausgegrenzt; unmittelbar nutzbare Fläche ist Park; besitzt viele schwierige Flächen: verschmutzer Fluss, Bahnlinie, Expresslinie Bus = Barriere
Megastruktur (ca. 35m breit, ca. 650m Länge); Hauptverbindung zwischen West und 1 Ostbezierken der Stadt; potenziell nutzbare 2Flächen sind Parkplätze und kleinere 3 Gebäudestrukturen; unmittelbar nutzbare Fläche ist verlassener, ungenutzer Parkplatz; existiert viel nutzbare angrenzende Fläche, CREAS
32%
59% 9%
befindet sich hauptsächlich über Privat2 grundstücken; besitzt viele schwierige 3 Flächen: verschmutzer Fluss, Bahnlinie, Expresslinie Bus = Barriere; auf unmittelbar nutzbaren Flächen befinden sich Betonstützen 1
Alcântara Machado 5%
Pref. Passos 5%
52%
43%
befindet sich in einem Industriegebiet, teil1 weise verbunden mit dem Viadukt Glicério, 2 3 zwei Auffahrten, überquert mehrspurige Autobahnen, Ecoponto
55%
40%
Megastruktur (ca. 50m breit, ca. 850m Länge); Hauptverbindung zwischen West und Ostbezirken der Stadt; befindet sich im In1 dustriegebiet; potenzielle Flächen setzen sich zusammen aus Sportplätzen, kultu2 rellen und3 sozialen Angeboten; starke Präsenz von Obdachlosenbesetzung (Familien, Individuen in Hütten); Existenz von Aufenthaltszentrum für Obdachlose
25 de Março 48% 52%
befindet sich oberhalb des Parque Dom Pedro II, ausgegrenzt; unmittelbar nutzbare Fläche ist Park; besitzt viele schwierige Flächen: Unbenutzbare Fläche verschmutzer Fluss, Bahnlinie, Expresslinie Bus = Barriere, verstärkte Besetzung von Obdachlosen unmittelbares Potenzial (m²)
Glicério
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
20%
Dr. Plínio de Queirós 25% 48% 27%
52
befindet sich in einem Hauptverbindungspunkt verschiedener Stadtteile; WohngebiePotenzielle Flächen mit te, kommerzielle Nutzung im Erdgeschoss; Schwierigkeiten Fläche Unbenutzbare Flächeunter Viadukt besitzt bereits einen Park (eingezäunt); interessante Struktur unterhalb Bushaltestelle; große nutzbare Fläche unmittelbares Potenzial (m²)
62%
18%
Megastruktur (ca. 30m breit, ca. 1km Länge); Hauptverbindung zwischen West und Ostbezirken der Stadt; überquert viele Flächen unmittelbares Potenzial (m²) verschiedener Nutzung, von sehr urbanen Wohngebieten bis hinmitzu Industriegebieten; Potenzielle Flächen sehrSchwierigkeiten komplexes Viadukt; überquert andere Viadukte (Pref. Passos); potenzielle Flächen Unbenutzbare Fläche setzen sich zusammen aus Sportplätzen, kulturellen und sozialen Angeboten
01
| 25 DE MARÇO
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Sé
Parque Dom Pedro II, viel grüne Fläche, Bäu-
Länge: ca. 420m; 475m
me; eingezäunte, ungenutzte Flächen
Breite: ca. 20m
unmittelbares Potenzia (m²)
48%
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
52%
Höhe NP|HP: 4,5m | 9m Unterkante
Unbenutzbare Fläche
AUFSICHT
Parque Dom Pedro II
Viadukt Antônio Nakashima
Rio í ate
du
an
Tam
Parque Dom Pedro II
teilweise Besetzung Obdachlose
FOTOS
Avenida do Estado
Avenida do Estado
Abb. 50
Viadukt Antônio Nakashima
Viadukt Antônio Nakashima
SCHNITT
0
5
15
53
02
| ALCÂNTARA MACHADO 5%
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Brás
Multifunktionssportplätze, Skaterampe, Fit-
Länge: ca. 850m
nessstudio, starke Obdachlosenbesetzung,
Breite: ca. 50m
Boxschule, Bibliothek
1
55%
40%
3
Höhe NP|HP: 5m | 7m Unterkante AUFSICHT
Bibliothek Garrido
dichte Besetzung durch obdachlose Familien
Multifunktionssportplätze | Skaterampe
Boxschule Garrido*
Boxschule Garrido*
FOTOS
Avenida Alcântara Machado - Besetzung
Abb. 51
SCHNITT
0
54
5
15
Avenida Alcântara Machado - Sportplatz, Skatepiste
Av. Alcântara Machado - Garrido Boxe
2
Rua Palmorino Mônaco - Garrido Boxe
*Boxschule Garrido:
"Zwischen Himmel und Hölle" Wenn man sich dem Viadukt Alcântara Machado durch die Rua Piratininga nähert ,fällt einem besonders eins ins Auge: das unübersichtliche Gefüge aus improvisierten Hütten, alten Möbeln und Müll, das wie eine kleine Festung unter dem Viadukt wirkt. Man erkennt kaum einzelne Wohneinheiten, sondern eher eine Verschmelzung aus Holzelementen, Decken, Pappkartons und Plastikplanen. Mittendrin ein Kinderwagen. Weiter links ein Teddybär. Neben, unter und über dem Viadukt zischen, dampfen, hupen Autos, Busse, LKWs und Mofas, sodass ein unerträglicher Lärm entsteht. Man versteht kaum sein eigenes Wort. Die Gehwege unter dem monströs
Abb. 54: Nilson Garrido
wirkenden Viadukt sind zugebaut. Das 2012 hier eröffnete Aufent-
Zeitungsartikel, erschienen in Folha de São Paulo, könne hier nicht
haltszentrum für Obdachlose wurde nach und nach in Beschlag ge-
mehr jeder einfach seine Hütte bauen. Heute würden dort bestimmte
nommen. Die zwei Flächen, voneinander getrennt durch eine vielbe-
Bedingungen gelten. Willst du dort "wohnen", musst du bezahlen - mit
fahrene Straße, boten Platz für sportliche und bildende Aktivitäten.
Drogen, Handys oder Geld (APPLE, 2013).
Zudem erhielt der Obdachlose dort die Möglichkeit, Sanitärräume zu nutzen und ein Beratungsangebot wahrzunehmen. Beiden Flächen
Tagsüber scheint jeder jeden zu respektieren. An einem schattigen
sind von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben, an dem heute
Platz unter dem Viadukt verkauft eine ältere Dame Süßigkeiten und
Wäsche zum trocknen hängt oder dessen Existenz genutzt wird, um
Knabbereien. Doch nachts sei die Realität eine andere. Der scheinbar
die instabilen wirkenden Hütten zu befestigen. Bei genauerem Hin-
unkontrollierbare Ort sei zu einem Drogenumschlagspunkt geworden
schauen wird deutlich, dass die komplette Fläche des von der Stadt-
(APPLE, 2013). Ein unübersehbarer Konflikt ist hier zwischen Obdach-
verwaltung errichteten Aufenthaltszentrums besetzt ist. Laut einem
losen und dem Quartier entstanden. Etwa 200 Meter weiter scheint man allerdings in eine andere Welt zu schreiten. Der Lärm ist geblieben, ebenso der Geruch nach Abgasen, jedoch spürt man die Veränderung der Atmosphäre. Auf einer riesigen Fläche zwischen parkenden Autos und Lastwagen befindet sich das Boxstudio Garrido. Etwa 500 Sportler, Amateure und Profis aller sozialer Klassen, nutzen täglich die verschiedenen Fitnessgeräte und den Boxring. Es ist kein Boxstudio wie jedes andere. Zwar steht der Sport im Vordergrund, jedoch handelt es sich um ein soziales Projekt, das besonders Menschen in schwierigen sozialen Situationen (Obdachlose, Drogenabhängige, etc.) ansprechen soll. Die Nutzung ist kostenlos. Wer kann, steuert monatlich R$ 20 bei. Es ist aber keine Voraussetzung. Die hier herrschenden Regeln sind klar und deutlich: Keine Drogen, Alkohol oder Zigaretten und ein respektvoller Umgang miteinander.
Abb. 52: Boxstudio mit Geräten und Boxring
Im vorderen Bereich stehen neuere Geräte aus einer Spende eines größeren Fitnesskonzerns, in einem anderen befinden sich noch die alten, improvisierten Apparate. Hier wurde 2003 noch auf alte Kühlschränke und Autoreifen eingeschlagen. Gewichte wurden mit Alteisen gestemmt. Daneben eine Wand, übersät mit Fotos von Boxwettkämpfen und Sportlern. Nilson Garrido ist etwa Ende Fünfzig, dunkelhäutig und trägt graue Rastazöpfe. Ihm fehlen ein paar Schneide- und Backenzähne. Das fällt auf wenn er auf enthusiastische Art und Weise eine seiner vielen Geschichten und Erlebnisse erzählt. Früher lebte der ehemalige Amateurboxer und heutige Boxlehrer in einer Wohnung. Heute hingegen in einem kleinen Raum unter dem Viadukt neben seinem Boxstudio. Zeitweise war er obdachlos. Er kümmerte sich um seinen Sohn, den Boxer Fábio Garrido, der 2004 bei einem Boxkampf schwer verletzt Abb. 53: Im Gespräch mit Nilson Garrido
wurde und einige Tage ins Koma fiel. 55
Garrido scheint ein bescheidener, toleranter und offenherziger Mann zu sein. Wer etwas zu seinem als gemeinnützige Organisation eingetragenen Projekt beitragen will, solle dies in Materialspenden tun - Geld nehme er nicht an. Die symbolischen R$ 20 für die Nutzung des Boxstudios haben sich seit Beginn des Projekts nicht erhöht und Garrido sagt bestimmt, dass dies auch immer so bleiben werde. Seiner Meinung nach führt die Bestechlichkeit mit Geld zu Korruption und Korruption zu einem Scheitern der Intention seines Projekts. Die Leute nennen ihn oft "Robin Hood", doch Garrido stimmt dieser Bezeichnung nicht zu. "Robin Hood half den Armen, indem er die Reichen beraubte. Das tue ich nicht. Ich stehle nicht. Ich nehme lediglich Spenden entgegen", sagt er, während er einem der streunenden Hunde auf den Rücken klopft. Die Straßenhunde sind unter dem Viadukt genauso willkommen wie jeder andere und können sich dort frei bewegen.
Abb. 56: Alte improvisierte Fitnessgeräte
Garrido ist ein Visionär. Neben dem Boxstudio und einer bereits bestehenden Bibliothek aus 30.000 Büchern will er noch ein Kino und ein Theater einrichten. Ein Klavier hat er bereits. Sein Boxstudio beschreibt er als einen Ort, an dem alle Menschen, egal aus welchem Milieu sie kommen, aufeinandertreffen, um gemeinsam zu trainieren. Es ist ein Ort, an dem der Einzelne über sein Leben reflektieren kann und an dem man gemeinsam Ideologien austauscht. Das Projekt ist der Stadtverwaltung bekannt und wird teilweise durch sie gefördert, da sie somit eine indirekte Kontrolle über den Raum unter dem Viadukt bekommt. Allerdings ist die Fläche nicht legalisiert, das heißt weder im Besitz von Garrido noch an ihn vermietet. Seine Intention ist es, einen Gesetzesentwurf anzukurbeln, der die Flächen unter Viadukten für sportliche, kulturelle und bildende Aktivitäten nutzt. Seine Meinung zu den Aufenthaltszentren der Stadtverwaltung ist deutlich: "Diese Projekte sind von Natur aus zum Scheitern verurteilt." Er glaube nicht daran, dass man durch diese Einrichtungen das Leben der Obdachlosen verändern könne. An den Menschen aus der Besetzung lässt er kein gutes Haar, erklärt sogar, dass er keine Spenden an sie weitergibt, da der Ort von Drogen regiert werden würde. Es sei dort gefährlich und Garrido vergleicht die beiden Orte mit Himmel und Hölle. (Die Informationen stammen von meinem Besuch des Projektes und einem Interview mit Nilson Garrido am 05. Juni 2015)
Abb. 55: Parkplatz und Skaterampen, Bibliothek im Hintergrund
56
Abb. 57: Alte improvisierte Fitnessgeräte
03
| ANTÔNIO NAKASHIMA
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Sé
Überquert Parque Dom Pedro II
Länge: ca. 345m Breite: ca. 20m
unmittelbares Potenzial (m²)
25%
Höhe NP|HP: 4,5m| 6m Unterkante
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten Unbenutzbare Fläche
75%
AUFSICHT
Parque Dom Pedro II
Rio eí uat and Tam Viadukt 25 de Março
FOTOS
Avenida do Estado
Avenida do Estado
Avenida do Estado
Avenida do Estado
Abb. 58
SCHNITT
57
04
| ARMANDO PUGLISI
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Bela Vista
Supermarkt "Hortifrutigranjeiro": Obst, Ge-
Länge: ca. 385m
müse, Eier, Hühnchen
Breite: ca. 16m
4% 20%
Höhe NP|HP: 6m | 7m Unterkante
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
76%
AUFSICHT
Hortifrutti | Markt
Parkplatz (offen)
FOTOS
Rua Treze de Maio - Hortifrutti - Obst und Gemüseladen
Abb. 59
SCHNITT
58
unmittelbares Potenzial (m²)
Avenida Brigadeiro Luís Antônio
Rua Treze de Maio - Parkplatz
Avenida Brigadeiro Luís Antônio - Parkplatz
Unbenutzbare Fläche
05
| BRESSER
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Brás
2x Ecoponto; starke Obdachlosen Besetzung
Länge: ca.
um Aufenthaltszentrum; GRES Mocidade
Breite: ca.
Unidade Mooca, großes Industriegelände/
Höhe NP|HP: 4,2m | 4,3m Unterkante
Unternehmen, das Parkplätze unter Viadukt
15%
85%
unterbringt
AUFSICHT
1
Ecoponto*
Ecoponto*
2
3
G.R.E.S Mocidade Unidade Mooca(Carnaval)
Aufenthaltszentrum Obdachlose "Espaço de Convivência"
FOTOS
Praça Giuseppe Cesari - Ecoponto
Rua Bresser
Rua Bresser - Aufenthaltszentrum für Obdachlose
Rua Píres do Rio - Ecoponto
Abb. 58
SCHNITT
59
*ECOPONTOS Recyclinghöfe der Stadtverwaltung Ecopontos sind Recyclinghöfe, die von der Stadtverwaltung São Paulos betrieben werden. Seit jeher wird Schutt illegal von Baustellen, Gebäudeabrissen und Gebäudesanierungen auf den Straßen und Plätzen von São Paulo abgeladen, was ernste Umweltprobleme für die Stadt zur Folge hat. Darüber hinaus verlieren die Bürger wertvolle Flächen, die Freizeit und Erholungsaktivitäten bieten. Um dieser Art von Ordnungswidrigkeit entgegenzuwirken, hat die Stadtverwaltung (Secretaria Municipal de Serviços - SES) die Ecopontos errichtet. Dort können Schutt und größere Objekte legal und freiwillig abgegeben werden. Es werden kleinere Gegenstände bis zu einem Kubikmeter, große Gegenstände (Möbel, Äste, Baumstämme, etc.) und recyclebarer Müll angenommen. Der Bürger kann diese Abfälle kostenlos in die dafür vorgesehenen Container sortieren. Ferner wird auf diese Weise das Recycling der Materialien erleichtert und gefördert. Die Stadtverwaltung hat die Absicht, das Angebot an Ecopontos zu erweitern. Alle Ecopontos sind von Montag bis Samstag, 6h bis 22h geöffnet und Sonntag und an Feiertagen von 6h bis 18h (PREFEITURA DE SÃO PAULO Amlurb).
Abb. 61
60
06
| DIÁRIO POPULAR
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Sé
Park Dom Pedro II, Terminal Turístico, Fluss
Länge: ca. 570m
Tamanduateí, Área técnica Prefeitura
11%
Breite: ca. 15m
12%
3
77%
AUFSICHT große Stützen große Stützen
große Stützen Busterminal für "Mercado Municipal"
teilweise Obdachlosenbesetzung
Stadtreinigung (Prefeitura SP)
FOTOS
Rua Cavalheiro Basílio Jafet - Stadtreinigung
Avenida do Estado - Obdachlose
Avenida do Estado
Praça São Vito - Busterminal für Mercado Municipal
Abb. 62
SCHNITT
0
5
1 2
Höhe NP|HP: 4m | 7m Unterkante
15
61
07
| DR. PLÍNIUS DE QUEIRÓS
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Bela Vista
In Planung: gelbe Linie der Metro, Bushalte-
Länge: ca. 800m
stelle Vai Vai, Park (eingezäunt)
25%
Breite: ca. 17m
Unbenutzbare Fläche
27%
AUFSICHT
Park (eingezäunt | 1 Eingang)
ungenutzt | eingezäunt
Park Spielplatz
teilweise Besetzung Obdachlose
ungenutzt | eingezäunt
FOTOS
Rua Dr. Plínio Barreto - Eingang Park
Praça Quatorze Bis - Bushaltestelle Vai Vai
Abb. 63
SCHNITT
62
5
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
48%
Höhe NP|HP: 4m | 7m Unterkante
0
unmittelbares Potenzial (m²)
15
Praça Quatorze Bis - unterhalb Bushaltestelle Vai Vai
Praça Quatorze Bis - ungenutzte Fläche
08
| ENG. ORLANDO MURGEL
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Bom Retiro
überquert die Favela Moinho, Besetzung von
Länge: ca. 500m
Obdachlosen in kleinen Hütten
unmittelbares Poten (m²)
Breite: ca. 30m
50%
Potenzielle Flächen m Schwierigkeiten
50%
Unbenutzbare Fläche
Höhe NP|HP: 4,5m | 7m Unterkante AUFSICHT
Parkplatz (eingemauert)
Lager Karneval
Favela do Moínho
Obdachlosenbesetzung
Nutzung unklar
FOTOS
Avenida Rudge - Parkplatz
Avenida Rudge - Lager Karneval
Avenida Rio Branco - Obdahclosenbesetzung
Rua Dr. Elias Chaves
Abb. 64
SCHNITT
0
5
15
63
09
| GASÔMETRO
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Brás
Nutzung der potenziellen Flächen unklar, da
Länge: ca. 250m
eingemauert.
Breite: ca. 15m HöheNP|HP: 4,5m | 5m Unterkante
43% 57%
AUFSICHT
Nutzung unklar | eingemauert
Nutzung unklar | eingemauert
FOTOS
Rua do Gasômetro
Abb. 65
SCHNITT
64
Rua Cel. Francisco Amaro
Largo da Concórdia
Largo da Concórdia
unmittelbares Potenzial (m²) Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten Unbenutzbare Fläche
10
| GLICÉRIO 20%
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Liberdade
Projekt Cora Garrido (Boxstudio, Fitnessstudio,
Länge: ca. 950m
Bildungsprojekte, Tanz, Bibliothek - Reintegra-
Breite: ca. 24m
tion Obdachlose); Cooperativa Catadores de
Höhe NP|HP: 10m |15m Unterkante
Materiais Recicláveis; "Minha casa, minha rua";
unmittelba (m²)
Potenziell Schwierigk 62%
18%
Unbenutzb
Besetzung durch obdachlose Familien
AUFSICHT
Recyclinghof Cooper Glicério* Associação Minha rua, minha casa* Besetzung obdachlose Familien
Ecoponto
Boxstudio Garrido
Multifunktionssportplätze
Recyclinghof | Müllhalde Glicério
FOTOS
Rua Glicério - Garrido Boxe
Rua Teixeira Leite - Cooper Glicério
Rua Dr. Lund - Associação Minha rua minha casa
Rua Alm. Mauriti
Abb. 66
SCHNITT
0
5
15
65
*ASSOCIAÇÃO - MINHA RUA, MINHA CASA Verein - Meine Straße, mein Zuhause
*COOPER GLICÉRIO
Kooperative der Materialsammler Die Cooper Glicério ist eine Kooperative aus Sammlern recyclebarer Materialien (Catadores), die 2006 gegründet wurde und sich unter dem Viadukt Glicério befindet. Ihr Ziel ist die Verbesserung der Mülltrennung und die Umweltschutzerziehung. Dabei wollen sie auf die Tätigkeiten im Materialrecycling, seine Relevanz und die Auswirkung auf die Umwelt aufmerksam machen. Cooper Glicério besteht aus 45 Mitgliedern und verhilft circa 300 Familien zu mehr Lebensqualität und Würde. Die Kooperative ermöglicht männlichen und weiblichen "Catadores" eine soziale Reintegration in die Gesellschaft. Durch Aufklärung über ihre Arbeit und inwiefern sich
Abb. 67
diese positiv auf die Umwelt auswirkt, wird ihr Stellenwert in der Gesellschaft aufgewertet und hervorgehoben.
Als Ergebnis aus einer Partnerschaft der gemeinnützigen Organisationen PNBE - Pensamento Nacional das Bases Empresariais und OAF - Orga-
Auf dem Grundstück der Kooperative unter dem Viadukt befinden sich
nização de Auxílio Fraterno entstand 1994 das Projekt Minha Rua Minha
verschiedene wiederverwertbare Materialien wie beispielsweise Plas-
Casa. Das vom Verein betriebene Aufenthaltszentrum unter dem Via-
tiktüten, Aluminium und Pappe, die von den Catadores sortiert und an
dukt Glicério bietet obdachlosen Menschen Betreuung sowie diverse
Recycling-Unternehmen verkauft werden. Die Materialien gelangen
Aktivitäten und hat eine Kapazität für 350 Personen. Über die Jahre
auf unterschiedlichen Wegen zur Cooper Glicério. Zum einen ziehen die
wurde das Netzwerk aus Partnerschaften erweitert und das Programm
Catadores mit ihren Carroças (Wagen) durch die Straßen der Stadt auf
der Aktivitäten vervielfältigt. Hinzu kamen Kultur- und Freizeitangebo-
der Suche nach recyclebaren Abfällen. Andererseits existieren Organi-
te, Arbeit, Behandlung persönlicher Belange, psychologische Betreu-
sationen, die Materialien spenden.
ung und Drogenpreväntionsprogramme. Die Krise der USA hat die Preise der Materialien jedoch negativ beeinDas Zentrum, in dem die Obdachlosen von Mitarbeitern und Freiwil-
flusst. So ist zum Beispiel der Preis für ein Kilo Pappe von R$ 0,35 auf R$
ligen betreut werden, ist täglich geöffnet. Es werden Mahlzeiten zu-
0,13 gesunken [1BRL=0,23€, Stand: 07.09.2015]. Aus diesem Grund sind
bereitet, Karten geschrieben, kaputte Kleidung behandelt und Haare
die Spenden der Materialien sehr wichtig. Obwohl der Catador eine
bzw. Bärte geschnitten. Es sollen zwischenmenschliche Beziehungen
wichtige Arbeit verrichtet, verdient er maximal R$ 600 im Monat [ca.
hergestellt und an einer körperlichen Erholung des Obdachlosen ge-
140€]. Der brasilianische Mindestlohn bei einer legalen Tätigkeit liegt
arbeitet werden. Finanziert wird der Verein durch Spenden, Beiträge,
jedoch bei R$ 905 [ca. 211€) (Lei Estadual nº 15.624/14, de 19.12.2014)
Partnerschaften mit Firmen und Vereinbarungen mit öffentlichen und
(CORPORE BRASIL).
privaten Einrichtungen. Des Weiteren besitzt der Verein eine Wohngemeinschaft mit der Möglichkeit des Wohnens für die Obdachlosen, die bereits arbeiten und so in den ersten Monaten in einen geregelten sozialen Ablauf zurückfinden können. Zudem wurden Bildungsworkshops geschaffen. Eine Gruppe Freiwilliger engagiert sich in dem Verein und organisiert Veranstaltungen für die Veröffentlichung der Arbeit und Mission. Dies geschieht durch institutionelle Veranstaltungen, Vorträge und Seminare (AMRMC). Abb. 69
Abb. 68
66
Abb. 70
11
| GOV. ABREU SODRÉ
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Sé
Aufenthaltszentrum für Obdachlose "Tenda"
Länge: ca. 280m
mit starker Besetzung Obdachloser auf den
Breite: ca. 12m
angrenzenden Straßen und Gehwegen; ein-
Höhe NP| HP: 6m | 8m Unterkante
gezäunte Freiflächen "Anti-Obdachlose"
16%
unmittelbares Po (m²)
Potenzielle Fläch Schwierigkeiten
47%
Unbenutzbare Fl
37%
AUFSICHT
Aufenthaltszentrum Obdachlose "Espaço de Convivência"
eingezäunte Freiflächen
FOTOS
Rua Antônio de Sá - eingezäunte Freifläche
Rua Antônio de Sá - eingezäunte Freifläche
Rua da Mooca - Aufenthaltszentrum für Obdachlose
Rua da Mooca - Aufenthaltszentrum für Obdachlose
Abb. 71
SCHNITT
67
12
| JÚLIO DE MESQUITA FILHO
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: República
CREAS (Av. Nove de Julho); eingezäunte Frei-
Länge: ca. 630m
flächen, genutzt von Obdachlosen (Hütten);
Breite: ca. 29m
zwei große verlassene Parkplätze; Markt
Höhe NP|HP: 5,5m | 10m Unterkante
"Hortifrutti"
32% 1 2
59%
3
9%
AUFSICHT kleiner Supermarkt Blumenladen
CREAS | Stelle für Obdachlose
eingezäunte Freiflächen
eingezäunte Freifläche (alter Parkplatz)
Markt (Obst, Gemüse, etc.)
FOTOS
Avenida Nove de Julho - CREAS
Rua João Pessoalaqua
Abb. 72
SCHNITT
0
68
5
15
Rua Maj. Diógo - alter Parkplatz - aktuell ungenutzt
Rua Maj. Diógo - alter Parkplatz - aktuell ungenutzt
13
| Maestro Alberto Marino
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Brás Länge: ca. 330m Breite: ca. 16m
15% unmittelbares Potenzial (m²)
Höhe NP|HP: 3m | 5m Unterkante
51%
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
34%
AUFSICHT
eingezäunte Freifläche
Parkplatz Stadtreinigung
FOTOS
Avenida Rangel Pestana - Parkplatz
Avenida Rangel Pestana - Parkplatz + Stadtreinigung
Rua Dr. Almeida Lima - eingezäunte Freiflächen
Rua Dr. Almeida Lima - eingezäunte Freiflächen
Abb. 73
SCHNITT
69
Unbenutzbare Fläche
14
| PREF. PASSOS
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Sé
Fluss Tamanduateí, 2 Auffahrten; Ecoponto 5%
Länge: ca. 520m Breite: ca. 20m
1
52%
Höhe NP|HP: 3m | 5m Unterkante AUFSICHT
CREAS | Stelle für Obdachlose
FOTOS
Avenida Pref. Passos
Abb. 74
SCHNITT
70
Avenida Pref. Passos - Ecoponto
Avenida Pref. Passos - Ecoponto
Avenida do Estado
43%
2 3
15
| Prof. Alberto Mesquita de Camargo
DATEN
BEOBACHTUNGEN
Standort: Brás
ECOPONTO; eingezäunte Freiflächen "Anti-
Länge: ca. 440m
Obdachlose"
Breite: ca. 11m
4%
HöheNP|HP: 4m | 7m Unterkante
35% 61%
Ecoponto "Bras" eingezäunte Freifläche
Parkplatz
FOTOS
Avenida Presidente Wilson - eingezäunte Freifläche
Rua da Mooca - eingezäunte Freifläche
Rua da Mooca
2 3
AUFSICHT
Parkplatz
1
Avenida Presidente Wilson - Ecoponto
Abb. 75
SCHNITT
71
3. VIADUKTE IM ZENTRUM VON SAO PAULO
RAUM TRANSFORMATION
Während der Analyse der Nutzungen unter den einzelnen Viadukten
für obdachlose Menschen konzipierte Betreuung sowie Mahlzeiten,
wurde eine besonders hohe Anzahl an Raumbesetzungen von Ob-
Sanitärräume und Freizeitaktivitäten. Die in Kapitel 2 durchgeführte
dachlosen in der Nähe von Ecopontos und Aufenthaltszentren beob-
Analyse zum Thema Obdachlosikeit bietet Grund zur Annahme, dass
achtet. Die Feststellung dieser Tatsache führte zu einer Studie, die die
sich die Obdachlosen den Raum aneignen, um die Einrichtungen un-
genaue Ursache dieser Raumaneignung hinterfragt.
mittelbar nutzen zu können. Materialsammler beispielsweise profitieren von den sich in den Ecopontos befindlichen Abfällen und tragen
In der rechten unteren Abbildung auf Seite 73 werden die Zusam-
so zur Existenzsicherung der betroffenen Personen bei. Es bleibt al-
menhänge besonders deutlich. Insgesamt wurden sieben Besetzun-
lerdings ungeklärt, warum die obdachlosen Menschen das Ansiedeln
gen registriert, von denen sich alle in der Nähe zu Ecopontos, Aufent-
auf der Straße bevorzugen und auf eine Unterkunft in einem Obdach-
haltszentren oder beiden befinden. Es stellte sich die Frage, wann der
losenheim verzichten. Dabei sollte hervorgehoben werden, dass sich
Ansiedlungsprozess begann und ob er in einem direkten Zusammen-
an den betroffenen Orten nicht nur Individuen niedergelassen haben,
hang mit den angebotenen Nutzungen und Funktionen der Ecopontos
sondern auch viele Familien mit Kindern.
und Aufenthaltszentren steht. Während die Recyclinghöfe nicht mehr brauchbare bzw. wiederverwertbare Gegenstände entgegennehmen, bieten die Tendas speziell 72
In den Aufnahmen von Google Street View lassen sich die Zustände unter den Viadukten zu unterschiedlichen Zeitpunkten feststellen. Dabei wurden drei verschiedene Situationen beobachtet. ESPAÇO DE CONVIVÊNCIA
1. vor der Errichtung eines Aufenthaltszentrums/Ecopontos 2. kurz nach Eröffnung des Aufenthaltszentrums /Ecopontos 3. Monate oder Jahre nach der Eröffnung Der zweite Punkt muss jedoch insofern relativiert werden, als dass es an Bildmaterial im Eröffnungsjahr einiger Viadukte mangelt.
Besetzungen durch Obdachlose der angrenzenden Flächen von Aufenthaltszentren
Auf den folgenden Seiten wurden die Zustände von vier Aufenthaltszentren genauer untersucht und ihre Veränderungen anhand von Fotos verdeutlicht. Es fiel auf, dass die Errichtung der Aufenthaltszentren großen Einfluss auf ihre Umgebung und das Verhalten der Nutzer hat. Die Beobachtungen der räumlichen Veränderungen nach bestimmten Geschehnissen machen den Zusammenhang der Raumaneignung
ESPAÇO DE CONVIVÊNCIA
ECOPONTO
durch Obdachlose an Ecopontos und Aufenthaltszentren besonders deutlich. Es wird angenommen werden, dass sie aus den Eröffnung der Einrichtungen resultieren. Die provozierten Transformationen sorgen für einen sozialen Konflikt zwischen den Besetzungen und dem
Besetzungen durch Obdachlose der angrenzenden Flächen von Ecopontos
Quartier. Wie sich bereits in dem Interview mit Nilson Garrido (siehe Seite 55) herausstellte, werden die Menschen aus der Besetzung des Viadukts Alcântara Machado gemieden und die Initiative des Aufenthaltszentrums der Stadtverwaltung hat versagt.
Legende Bahnnetz Fluss Besetzung durch Obdachlose Aufenthaltszentrum Ecopontos
73
3. VIADUKTE IM ZENTRUM VON SAO PAULO Raumbesetzung | Aufenthaltszentren und Ecopontos VIADUKT GOV. ABREU SODRÉ
Der Zustand vor der Errichtung des Aufenthaltszentrums ist in Google Street View leider nicht verfügbar. Doch ist eine bedeutende Transformation des Ortes zwischen 2010 und 2014 festzustellen, eventuell auch schon früher. Während im Jahr 2010 noch ein sehr guter Zustand der Gehwege und Rasenflächen feststellbar ist, befinden sie sich 2014 und 2015 in einer verwahrlosten Situation. Die Begrünung versteckt das Aufenthaltszentrum und macht seine Existenz schwer erkennbar.
1
Januar 2010
Sanitäranlagen und Sitzgelegenheiten, eingezäunt
2
April 2014
eingezäunte Fläche stark begrünt, sehr hohe Obdachlosenbesetzung
3
Wagen von Catadores, viele Schlafplätze von Obdachlosen, starke Begrünung
Februar 2015
Besetzung und kleine Verkaufsstände
74
"Tenda" mit Aufenthaltsmöglichkeiten, teilweise Präsenz auf Gehweg von Obdachlosen
"Tenda", stark zugewachsen
Raumbesetzung | Aufenthaltszentren und Ecopontos VIADUKT ALCÂNTARA MACHADO
Unter dem Viadukt Alcântara Machado wurde vor der Eröffnung des Aufenthaltszentrums nur eine geringe Anwesenheit von Obdachlosen beobachtet. Die aktuell drei besetzen Flächen befanden sich in einem ungenutzten leeren Zustand, wobei auf äußeren im Jahr 2012 das von der Stadtverwaltung eröffnete Aufenthaltszentrum mit Angeboten für obdachlose Menschen entstand. Die Einrichtung wurde komplett eingezäunt. In den Jahren 2014 und 2015 ist eine starke Obdachlosenbesetzung festzustellen.
1
Januar 2010
unbesetze leere Flächen
2
Februar 2014
Teil des Aufenthaltszentrums, Fitnessfläche, eingezäunt, starke Präsenz von Obdachlosen
3
teilweise Präsenz von Obdachlosen in der eingezäunten Fläche
im Hintergrund eingezäunte Fläche des Aufenthaltszentrums, mit Sanitäranlagen und Raum für Aktivitäten, außerhalb starke Besetzung
Februar 2015
Besetzung der gesamten Fläche, Abwesenheit der Funktion des Fitnessraumes der Stadtverwaltung, "kleine Favela"
mehr Hütten als im Vorjahr, Zweifel an aktueller Funktion des Zentrums, Übernahme?
75
3. VIADUKTE IM ZENTRUM VON SAO PAULO Raumbesetzung | Aufenthaltszentren und Ecopontos VIADUKT BRESSER
Bei dem Vorher-Nachher-Vergleich unter dem Viadukt Bresser wird deutlich, welche Transformation die Errichtung des Aufenthaltszentrums zur Folge hat. Stellt man 2010 noch eine Abwesenheit der Obdachlosen fest, ist die Präsenz 2014 auf dem Gehweg um das Zentrum herum sehr deutlich. Darüber hinaus wurde auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Ecoponto errichtet, der zum Wachstum der Obdachlosenbesetzung beiträgt.
1
Januar 2010
leere, ungenutze Flächen, links Erdhaufen unter dem Viadukt
2
März 2014
Aufenthaltszentrum, eingezäunt, Besetzung auf Gehwegen, links: Ecoponto, Entfernen von Erde zur Errichtung des Häuschens
3
Sanitäranlagen, markante blaue Farbe, Besetzung durch Hütten, Zelte, alte Möbel, etc., Haus besitzt keine Verbindung zum Viadukt
September 2014
verstärkte Besetzung, besonders auf Gehweg am Ecoponto
76
ungenutzer Raum, sehr geringe Anwesenheit von Obdachlosen
Besetzungen durch Obdachlose
Raumbesetzung | Aufenthaltszentren und Ecopontos VIADUKT GLICÉRIO
Unter dem Viadukt befindet sich der Verein Associação Minha Rua Min-
meinde Sé eingereicht, allerdings erhielt er nie eine Antwort (COSTA,
ha Casa (siehe Seite 66), der Betreuung sowie Aktivitäten für Obdachlo-
2010). Im Jahr 2014 ist die Existenz von Hütten zu beobachten.
se anbietet. Er existiert seit 1994, dabei ist jedoch unklar, seit wann die durch ihn die Fläche unterhalb der Hochstraße genutzt wird. Deutlich zu sehen ist der Bau einer Mauer auf der gegenüberliegenden Seite. Dort lebten 2010 etwa 30 Obdachlose, die ihren Platz räumen mussten. Die Art der Flächennutzung ist nicht eindeutig erkennbar. Der Verein hatte einen Antrag auf Errichtung von Sportplätzen bei der Stadtge-
1
Januar 2010
kaum Obdachlose auf Gehwegen, professionelles Graffiti an Hauswand
2
Januar 2011
höhere Präsenz von Obdachlosen
3
Beginn des Baus einer Mauer, Nutzung der Fläche unbekannt
fertige Mauer und geschlossenes Tor
Oktober 2014
Präsenz kleiner Hütten von Obdachlosen, Logo der Associação Minha rua minha casa und Graffiti fehlen
Wand mit Graffiti beschmiert, Tor geschlossen, Nutzung unbekannt
77
4. LEITLINIEN
Beziehung Projekt und Quartier Strategie
Gemeinschaftsprojekt
LEITLINIEN
Nachhaltigkeit
Materialien Toolbox
Integration in vorhandenen Stadtraum
Nutzungsprogramm Toolbox Selbstorganisation
[1] Strategie - urbane Interventionen unter Viadukten
für mehr Sicherheit in den öffentlichen Räumen gesorgt. Ferner könnte
Da der Entwurf konzeptionell unter diversen Viadukten montierbar
darüber nachgedacht werden, Kennzeichnungen (z.B. Schilder, Boden-
sein soll, definiert die erste Leitlinie einen strategischen Auswahlpro-
markierungen) in den Straßen anzubringen, die Obdachlosen, Stra-
zess. Nachdem die Hochstraßen in einer detaillierten Analyse unter-
ßenhändlern und Materialsammlern den kürzesten Weg zum nächsten
sucht wurden, kann eine Beurteilung darüber abgegeben werden,
Viadukt weisen.
welche gemeinsame Merkmale aufweisen und sich in ähnlichen Stadtgebieten befinden. Vor allem Letzteres ist von Bedeutung und hebt
[2] Beziehung zwischen Projekt und Quartier
das besondere Interesse von Mischgebieten, das bedeutet Wohn- und
Um eine negative Transformationen, wie sie bereits an vielen Aufent-
Gewerbegebieten, hervor. Sie besitzen bereits Eigenschaften, die den
haltszentren beobachtet wurde, (siehe Kapitel 4 "Raumtransforma-
Dialog zwischen Projekt und Quartier fördern und somit eine soziale
tionen") zu verhindern, ist nicht nur eine übergeordnete Strategie
Reintegration von Obdachlosen vorbereiten. Neben den Beobachtun-
gefragt, sondern vor allem die Herstellung einer Beziehung zwischen
gen des Verkehrsnetzes, auf denen sich die Hochstraßen befinden, soll-
dem Projekt und dem Quartier, in dem die Intervention stattfinden soll.
ten folgende Fragen behandelt werden: Da sich die Viadukte an verschiedenen Standorten befinden, wird im •
Welchen Einfluss hat das Viadukt auf das umliegende Gebiet?
ersten Schritt eine Quartiersanalyse gemacht. Es sollte untersucht
•
Wie ist das Verhältnis der potenziell nutzbaren Flächen und wo
werden, ob es sich bei dem um das Viadukt liegenden Gebiet um ein
befinden sie sich?
zusammenhängendes Quartier handelt oder Nutzungen und Stadt-
In welchem Zustand befinden sich die ungenutzten bzw. potenzi-
morphologie große Unterschiede aufweisen. Neben der Anfertigung
ell nutzbaren Flächen?
diverser Pläne kann zusätzlich in Betracht gezogen werden, Befragun-
•
gen der Anwohner durchzuführen, um die Probleme und Mängel zu Die Verteilung des Projekts auf mehrere Standorte verhindert, dass sich
erörtern. Die gewonnenen Erkenntnisse über Ausgangssituation und
Obdachlose an nur einem Ort konzentrieren. Darüber hinaus sorgen
Bedarf dienen dazu, das Nutzungsprogramm zu definieren, damit die
die Interventionen dafür, die meist sozial schwachen Stadtquartiere
Thematiken Obdachlosigkeit und Quartier gleichermaßen in den Ent-
aufzuwerten . Durch neue Nutzungen und Aktivitäten wird zusätzlich
wurf eingebunden werden.
78
Die gemeinsame Nutzung des Projekts soll unterstützen, Vorurteile der
ture". Mit dieser Aussage beschreibt der afrikanische Architekt Francis
Gesellschaft gegenüber obdachlosen Menschen abzubauen. Gleich-
Kére sehr deutlich, welchen Einfluss die Selbstorganisation auf seine
zeitig soll die Möglichkeit der Kommunikation geschaffen werden
Nutzer hat. Vor allem das komplexe Thema Obdachlosigkeit, das in ers-
sowie ein Ort, an dem sich die Wege der unterschiedlichen Personen
ter Linie von politischen und wirtschaftlichen Veränderungen abhängt,
kreuzen. Durch die Nutzungsmischung soll die absehrbare Segregati-
sollte nicht von einer übergeordneten Institution verwaltet werden.
on der Obdachlosen verhindert werden.
Bereits die Analyse hat gezeigt, dass sich hier zahlreiche Probleme offenbaren. Vielmehr sollten zwanglose, schützende Räume geschaffen
[3] Gemeinschaftsprojekt
werden, die Möglichkeiten der Nutzung bieten und sich flexibel sowie
Die aktuelle abweisende Haltung der Gesellschaft gegenüber Obdach-
individuell gestalten lassen. Im Idealfall sollte die Stadt lediglich die
losen hat starke psychische Belastungen der betroffenen Individuen
Flächen unter den Viadukten zur Verfügung stellen und die Kontrolle
zur Folge. Zwecks einer sozialen Integration sollte der Aufbau des Pro-
über die Entwicklung den Nutzern überlassen. Intention des Projekts
jekt deshalb in kollektiver Zusammenarbeit zwischen Obdachlosen,
ist es, eine spontane Architektur zu ermöglichen, die sich durch ihre
Quartiersbewohnern und anderen Menschen stattfinden. Dabei geht
Nutzer entwickelt und mit ihnen wächst.
es nicht darum, Zwänge zu schaffen, sondern durch spontane Begegnungen die Möglichkeit zu geben, gemeinsam einen Raum zu gestal-
[7] Lokale Materialien und Techniken verwenden - Toolbox
ten.
Durch die Untersuchungen der Raumaneignung von Obdachlosen sowie der Erstellung eines Materialkatalogs hat sich gezeigt, dass bereits
[4] Integration des Projekts in den vorhandenen Stadtraum
eine Reihe von Konstruktionsmaterialien zur Verfügung stehen. Durch
Ziel des Entwurfs sollte es sein, den vorhandenen Raum zu nutzen und
die Unabhängigkeit des Projekts ist es besonders wichtig eine kos-
seine Potenziale zu erkennen. Große urbane Veränderungen im Quar-
tengünstige Gestaltung zuzulassen, die ohne den Aufwand von Ma-
tier stellten dabei keine Option dar, im Gegensatz zu dem Raum unter
schinen herstellbar ist. Dieser Idee folgend liegt der Schwerpunkt auf
dem Viadukt und seinen angrenzenden Flächen. Das Viadukt fungiert
der Verwendung von gefundenem Material. Der Architekt entwickelt
als "Dach" des Entwurfs und muss nicht unbedingt konzeptionell in die
simple Beispielelemente, die eine schnelle und von Hand ausführbare
Gestaltung mit einbezogen werden. Bei der Anordnung der Nutzun-
Montage ermöglichen. Er zeigt Wege und Methoden auf, überlässt die
gen und Räume sollte dies jedoch passieren, um bei besonders breiten
entgültige Gestaltung jedoch seinen Nutzern.
Strukturen für ausreichendes Tageslicht zu sorgen. Der städtebauliche Bezug des Projekts ist ein bedeutender Faktor. Gebäudestrukturen und
[8] Nachhaltigkeit
Freiräume sollten sich an den bereits vorhandenen urbanen Strukturen
Es ist in zweierlei Hinsicht notwendig, das Projekt nachhaltig zu gestal-
und Funktionen orientieren.
ten. Einerseits bezieht sich Nachhaltigkeit auf das Quartier und seine Entwicklung, andererseits sind damit umweltschonende Techniken
[5] Nutzungsprogramm - Toolbox
gemeint. Hierbei spielen recyclebare Materialien, Wiederverwendung
Durch die Kombination des Bedarfs von Obdachlosen und Quartiers-
von Regenwasser und alternative Stromquellen (Solarenergie, etc.)
bewohnern, entsteht ein spezifisches Nutzungsprogramm. Während
eine große Rolle. Das Projekt sollte zukunftsfähig, innovativ und unab-
durch die Analyse der Obdachlosen bereits offensichtlich ist, worin die
hängig von Krisen, wie zum Beispiel der aktuellen Wasserkrise, funkti-
Nachfrage besteht, muss an jedem Viadukt zuerst eine Untersuchung
onieren. Ferner besteht jedoch die Möglichkeit, etwaige Abwassersys-
des angrenzenden Stadtraumes Aufschluss über Probleme und Män-
teme und Stromnetze der Stadt zu nutzen.
gel geben. Ferner weisen die Flächen unter den diversen Viadukten unterschiedliche Eigenschaften auf wie Größe, Höhe der Hochstraße, angrenzende Flächen, etc. Auch die Tatsache, dass es sich bei den unmittelbar und potenziell nutzbaren Flächen um zusammenhängende Räume handelt, ist nicht immer gegeben. Deshalb sollte eine Nutzungs-Toolbox entwickelt werden, die die Basisnutzungen und Möglichkeiten hinzufügbarer Funktionen beschreibt. Das führt dazu, dass es nicht möglich ist, den Entwurf identisch an anderen Standorten zu reproduzieren, sondern es bedarf eines Konzepts, das ausreichend Spielraum in der Gestaltung lässt, jedoch seinen Wiedererkennungswert nicht verliert.
[6] Selbstorganisation Die Akteure des Projekts sind nicht nur Obdachlose und Quartiersbewohner, sondern jede sich ihm nähernde Person hat die Möglichkeit einen Teil zu seiner Entwicklung beizutragen. "People who participate in the building process feel conected to the struc79
PROJEKT Zentrum
Quartier
Grundst端ck
Entwurf
PROJEKT | STRATEGIE Strategie für urbane Interventionen unter Viadukten Im ersten Punkt der Leitlinien geht es um die Entwicklung einer Strategie, die Viadukte in kritischen Situationen mit Interventionsbedarf ausfindig macht. Die Intention des Projekts ist es, das Nutzungs- und Raumprogramm so flexibel zu gestalten, dass es auch unter anderen Viadukten montierbar ist. Dabei soll es wie schon erwähnt nicht identisch reproduzierbar, sondern konzeptionell in das jeweilige Stadtgefüge eingliederbar sein. Der Schwerpunkt bei der strategischen Auswahl der Viadukte sollte auf der Art des Quartiers liegen, das es umgibt. Wohngebiete sind dabei von besonders hohem Interesse, da ihre Bewohner mit dem Projekt interagieren können und dazu eine Reihe von Vorteilen für die Reinte-
Legende
gration von Obdachlosen in die Gesellschaft bieten.
Bahnnetz Fluss
Schnellstraße Ligação Leste-Oeste
Verteilung der Obdachlosen (CENSO 2003) Soziale Einrichtungen der Stadtverwaltung Einzugsgebiet von 1km des Viadukts
In Kapitel 1 "Viadukte" (siehe S.14) wurde bereits die Entstehung des Verkehrsnetzes im Zentrum São Paulos näher untersucht. Dabei stell-
Gesamtsituation: Viadukte mit Interventionspotenzial
te sich heraus, dass der Bau großer Schnellstraßen zu der Entstehung vieler Viadukte führte. Während sich auf der Verbindung Ligação LesteOeste selbst Viadukte befinden, ist die Avenida do Estado eher Ursache für den Bau von Hochstraßen mit dem Zweck, sie zu überbrücken. Auch über das Bahnnetz, das von Nord-West nach Süd-Ost verläuft, liegen kleinere Viadukte. Im strategischen Ansatz wurden die beiden genannten Schnellstraßen zum Anlass genommen, die umliegenden Gebiete in einem ersten Schritt grob zu betrachten. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse geben Aufschluss darüber, in welcher Art Stadtgebiet sich die Viadukte befinden. Zudem wurden die Ergebnisse der Flächenermittlung aus der Analyse (siehe Kapitel 3, S. 52) hinzugezogen. Die größten Viadukte Glicério, Alcântara Machado und Júlio de Mesquita Filho, mit einem extremen negativen Einfluss auf seine angrenzenden Quartiere, befinden sich auf der Ligação Leste-Oeste. Alle bieten mehr als 40% potenziell nutzbarer Flächen. Hinzu kommt, dass sie sehr ähnliche Merkmale besitzen und bereits eine teilweise starke Präsenz von Obdachlosen vorhanden ist sowie über ein Angebot sozialer Projekte verfügen. Die Viadukte, die die Avenida do Estado überqueren, befinden sich
Legende
Bahnnetz Fluss Viadukte Ligação Leste-Oeste (inoffizielle Bezeichnung) | Radial Leste Avenida do Estado
Hauptverkehrsadern im Zentrum von Sao Paulo
hingegen in städtischen Freiflächen, die für das Projekt nicht in Frage
rum verteilt. Viele von ihnen bieten sehr gute Voraussetzungen für das
kommen, da sie so keine Beziehung zum Quartier herstellen können.
Projekt, da sie sich in Wohn- und Gewerbequartieren befinden und sol-
Es schließt allerdings nicht aus, dass unter den Viadukten soziale Pro-
len daher von der strategischen Planung nicht ausgeschlossen werden.
jekte stattfinden können, diese bedürfen jedoch eventuellen Konzept-
Um das Gebiet für die Wahl des Viadukts für den Entwurf im Sinne die-
veränderungen, um ihren Erfolg zu gewährleisten.
ser Arbeit einzugrenzen, wird allerdings nur die Schnellstraße Ligação Leste-Oeste näher betrachtet, weil sich auf ihr oder in nächster Nähe
Die restlichen Viadukte befinden sich punktuell im städtischen Zent82
fast die Hälfte der im Zentrum gesichteten Viadukte befinden.
Mi
nh
ocã
o
Viadukte auf der Schnellstraße Ligação Leste-Oeste Legende Bahnnetz
A
Fluss Ligação Leste-Oeste
B
C
Standort Viadukte A
Viadukt Júlio de Mesquita Filho
B
Viadukt Glicério
C
Viadukt Alcântara Machado
Unmittelbar nutzbare Fläche Potenziell nutzbare Fläche mit Schwierigkeiten Unbenutzbare Fläche
Júlio de Mesquita Filho Das Viadukt befindet sich im westlichen Teil der Verbindungsstraße West-Ost (Ligação Leste-Oeste) und markiert die Grenze der beiden Stadtteile República und Bela Vista, die administrativ zur Stadtverwal-
32% 1
tung Subprefeitura Sé gehören. Das um das Viadukt liegende Quartier wird dominiert von Wohn- und
2
59%
3
Gewerbenutzungen. Besonders vertreten sind handwerkliche und gastronomische Betriebe. Zudem
9%
existieren kulturelle, bildende, religiöse und soziale Einrichtungen. Die Bewohner gehören zur geringverdienenden Schicht. Diese Situation zeichnet sich vor allem im Stadtbild ab und wird durch den schlechten baulichen Zustand der Gebäude und öffentlichen Räume deutlich (siehe Seite 68).
Alcântara Machado
5%
Die Flächen unter der Schnellstraße bieten bereits verschiedene Nutzungen und Aktivitäten. Dazu 1
55%
40%
2 3
gehören ein Aufenthaltszentrum für Obdachlose der Stadtverwaltung, das jedoch unter einer starken Besetzung obdachloser Menschen leidet (S.75), das Boxstudio Garrido (S.55) und Multifunktionssportplätze. Das sich um das Viadukt im Stadtteil Brás erstreckende Gebiet wird dominiert von gewerblichen sowie kommerziellen Nutzungen und einer flachen Bebauung. Es existieren immernoch viele Hallen aus der Zeit, in der die Industrie vorherrschte, die heute von kleinen, lokalen Unternehmen genutzt werden. Wohnnutzungen wurden in direkter Umgebung zum Viadukt kaum festgestellt (siehe Seite 54).
Glicério Glicério ist das längste und breiteste der analysierten Viadukte. Es bildet die Grenze der Stadtteile Sé, Liberdade, Brás und Cambuci. Administrativ gehören die beiden ersten zur Subprefeitura Sé und letz-
20%
62%
18%
unmittelbares Potenzial (m²)
tere zur Subprefeitura Mooca. Die Hochstraße erstreckt sich über knapp einen Kilometer und über-
Potenzielle Flächen mit Schwierigkeiten
quert ganz unterschiedliche urbane Nutzungsgefüge. Während im Westen das Wohnen von Gering-
Unbenutzbare Fläche
verdienern dominiert wird, befinden sich im östlichen Teil industrielle, kommerzielle und gewerbliche Nutzungen. Auch unter dem Glícerio befinden sich bereits verschiedene Aktivitäten wie Multifunktionsplätze, die Cooper Glicério (siehe S.66) der Materialsammler und der Verein Assossiação Minha Rua Minha Casa (siehe S.66), der ein Aufenthaltszentrum für Obdachlose betreibt (siehe Seite 65).
83
DAS QUARTIER Abb. 76
84
QUARTIER BIXIGA Viadukt Júlio de Mesquita Filho
32%
1 2
59%
3
9%
Unmittelbar nutzbare Fläche Potenziell nutzbare Fläche mit Schwierigkeiten Unbenutzbare Fläche
Begründung der Wahl des Viadukts Von den drei erläuterten Hochstraßen bietet das Viadukt Júlio de Mesquita Filho den höchsten Prozentsatz an unmittelbar nutzbaren Flächen. Der etwa 12.000m² große ehemalige Parkplatz im östlichen Teil wird schon seit einigen Jahren nicht mehr genutzt und befindet sich in einem verwahrlosten Zustand. Abgesehen von einer im Verlgleich zu den anderen beiden Viadukten eher geringen Anzahl an Obdachlosenbesetzung werden die Flächen unterhalb der Hochstraße nicht wertgeschätzt. Währenddessen fin-
Standort des Quartiers
den unter dem Glicério und Alcântara Machado bereits verschiedene Aktivitäten statt. Dazu gehören die Cooper Glicério für Materialsammler (S.66), das Aufenthaltszentrum des Vereins Assossiação Minha Rua Minha Casa (S. 66), das Boxstudio Garrido (S.55) sowie Multifunktionssportplätze. Diese Projekte haben alle zu einer Verbesserung der Situation von sozial benachteiligten Menschen beigetragen. Dabei geht es nicht ausschließlich um Obdachlose, sondern auch um die Bewohner in den umliegenden Gebieten der Viadukte. Unter dem Viadukt Júlio de Mesquita Filho existiert an
Konzentration der Obdachlosen [Censo 2003]
Standorte der Viadukte und Brücken
Soziale Einrichungen für Obdachlose der Stadtverwaltung
Einflussgebiete der Standorte unter Viadukten
der Avenida Nove de Julho zwar ein Aufenthaltszentrum für Obdachlose der Stadtverwaltung, jedoch wurde bereits in Kaptiel 2 festgestellt, dass sie nicht die gewünschte Wirkung auf Obdachlose haben. Soziale Projekte, iniziiert von ehemaligen Obdachlosen wie Nilson Garrido oder die Kooperative der Materialsammler, die beide durch Selbstorganisation funktionieren, demonstrieren deutlich, welchen positiven Einfluss sie auf die ausgegrenzten Individuen haben. Das Potenzial der Freifläche des Júlio de Mesquita Filho soll deshalb genutzt werden, um einen ähnlichen Effekt im Stadtteil Bixiga zu erzielen. Das Quartier zeichnet sich einerseits durch seine dynamischen, aktiven Bewohner aus, andererseits existieren jedoch starke Mängel und Probleme. In der folgenden Quartiersanalyse wird darauf detailliert eingegangen.
85
PROJEKT | QUARTIERSANALYSE Quartiersanalyse Punkt Zwei der Leitlininen setzt einen Schwerpunkt auf die Beziehung zwischen dem Entwurf und dem Stadtquartier. Vor allem der gesellschaftliche Dialog zwischen Obdachlosen und lokaler Bevölkerung soll durch das Projekt gefördert werden. Es ist daher besonders wichtig, die existierenden Gegebenheiten zu verstehen und Mängel sowie Probleme im Stadtteil zu analysieren. Dieser Schritt ist fundamental im Prozess zur Entwicklung des Nutzungs- und Raumprogrammes. In der Quartiersanalyse wurden folgende Pläne erarbeitet: •
Grünflächenplan
•
Verkehrsplan
•
Mobilitätsplan
•
Nutzungsplan
•
Gebäudehöhenplan
Zu den erstellten Plänen gehören Beschreibungen, die das Beobachtete näher erläutern. Um Informationen über die urbane Transformationen zu erhalten, die der Bau der Viadukts Júlio de Mesquita Filho provozierte, wurde das Quartier im historischen Kontext studiert. Satellitenaufnahmen aus dem Jahr 1958 belegen, dass es sich um einen Stadtteil handelte, den die Schnellstraße in zwei Hälften teilte. Bis heute fungiert das Viadukt als urbane Barriere und verhindert die Vereinigung des städtebaulichen Gefüges innerhalb des Quartiers. Fotos veranschaulichen die unterschiedliche Architektur der Gebäude. Die Vielfalt reicht von denkmalgeschützten Villen bis hin zu vielgeschossigen Hochhäuser der Moderne bzw. der heutigen Zeit. Alle Pläne bzw. Diagramme wurden von der Autorin erstellt und basieren auf eigenen Beobachtungen und Analysen vom Aufenthalt in São Paulo im Mai und Juni 2015. Die Quartiersanalyse schließt mit den Konzeptvorschlägen für das Projekt im urbanen Kontext. Sie dienen als Grundlage für die Entwicklung des Entwurfs und stellen die wichtigsten Parameter dar.
86
QUARTIER BIXIGA Schwarzplan M 1:5000
Legende Grundstück des Projekts
Beschreibung Das gewählte Grundstück befindet sich im östlichen Teil des Viadukts Júlio de Mesquita Filho, das mit einer Gesamtfläche von 29.237m² zu einem der größten zählt. Die
Fläche Quartier:
ca. 5,3 Hektar Fläche Projekt:
ca. 12.000m²
Grundstücksfläche beläuft sich auf etwa 12.000m² ,von der das Viadukt ungefähr 70% bedeckt. Ursprünglich wurde das von einer zweispurigen, vielbefahrenen Straße geteilte Gelände als Parkplatz genutzt, steht aber schon seit einigen Jahren leer. Beide Grundstücksteile werden von einem alten Maschendrahtzaun bzw. einer halbhohen Mauer umgeben, die an vielen Stellen beschädigt sind. Die Begrünung befindet sich in einem verwilderten Zustand, jedoch konnten zwei erhaltenswerte alte Bäume ausgemacht werden. Unter dem Viadukt wurden improvisierte Hütten von Obdachlosen beobachtet und im südlichen Teil sogar ein kleines Grab entdeckt, wobei nicht feststellbar ist, wem es gehört und warum es sich dort befindet. 87
PROJEKT | QUARTIERSANALYSE QUARTIER BIXIGA Satellitenaufnahme M 1:5000
da
ni Ave
e de Nov
Via d
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o ôni Ant
Jac
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í
Rua Joao Passalaqu
a
Rua
to San
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Julh
ida Br Aven
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Av en ida
Br
iga
Bela Vista
lio d
de
Rua Rui Barbosa
to J ú
Rua Maj. Diogo
Viad u
igade
Rua Maj. Diogo
iro
República
Beschreibung
Legende Begrenzung
Das Quartier befindet sich in den Stadtteilen República und Bela Vista, für deren administrative Belange die Stadtverwaltung Subprefeitura Sé zuständig ist. Das Viadukt
Quartiersbewohner (Mehrheit) Junge Familien mit Kindern
Júlio de Mesquita Filho marktiert die Grenze zwischen den beiden Teilen. Der Name Bixiga bezeichnet vor allem den südlichen Teil und wird nicht offiziell verwendet. Durch die zentrale Lage existiert eine gute Infrastruktur. Neben einer Vielzahl von
Jugendliche
Theatern befinden sich das Kulturzentrum Casa da Dona Yayá sowie Schulen und
Senioren
die Straßen temporär gesperrt werden. Besonders am Wochenende, wenn sich das
Kindergärten im Quartier. An verschieden Orten finden Wochenmärkte statt, für die Verkehrsaufkommen etwas beruhigt, aber auch unter der Woche wurde festgestellt, dass sich das Leben der Menschen auf der Straße abspielt. Bei den Bewohnern handelt es sich vor allem um geringverdienende Menschen.
88
QUARTIER BIXIGA Historische Aufnahmen 1958 M 1:5000
Legende Abbildung der Fläche des Viadukts Júlio de Mesquita Filho
Beschreibung Die Aufnahmen aus dem Jahr 1958 zeigen, welche urbanen Transformationen durch den Bau des Viadukts im Stadtteil stattgefunden haben. Es ist deutlich erkennbar, dass es sich um ein Quartier handelte, das durch die Schnellstraße in zwei Hälften geteilt wurde. Viele Gebäude wurden zerstört. Zudem sorgte das Viadukt für die Teilung einiger Straßen und beeinflusst so massiv die Verbindungswege des nördlichen und südlichen Teils (Bildquelle: http://www.geoportal.com.br/memoriapaulista/)
89
PROJEKT | QUARTIERSANALYSE QUARTIER BIXIGA Grünflächenplan M 1:5000
Legende
Beschreibung
Öffentliche Grünflächen
Im Grünflächenplan wird der Mangel an öffentlich zugänglichen Freiflächen beson-
ungenutzte öffentliche Flächen
ders deutlich. Lediglich drei Plätze existieren in den Randgebieten des Quartiers. Praça Miguel Emílio Abella und Praça General Craveiro Lopes befinden sich im Norden. Der Platz Praça Pérola Byington hingegen im Osten, über der Unterführung des Viadukts Júlio de Mesquita Filho. Alle werden umgeben von vielbefahrenen Straßen, die für Lärm und Verschmutzung sorgen. Ihre Ausstattung ist sehr dürftig und bietet kaum Sitzgelegenheiten oder andere Elemente mit Aufenthaltsqualitäten. Nur am Praça Miguel Emílio Abella befinden sich Sportgeräte und ein Zeitungskiosk. Die Präsenz von Obdachlosen wurde auf allen Plätzen beobachtet. Der Grünflächenplan demonstriert deutlich, dass sich die ungenutzten Freiflächen entlang des Viaduktes beziehungsweise unterhalb desselbigen befinden.
90
QUARTIER BIXIGA Verkehrsplan M 1:5000
Legende
Beschreibung
sehr stark befahren
Das Privatfahrzeug ist immernoch das dominierende Verkehrsmittel in São Paulo. Im
stark befahren
Quartier befinden sich hauptsächlich stark befahrene Straßen. Sehr stark frequien-
wenig befahren
tierte Straßen befinden sich, außer durch die Schnellstraße Júlio de Mesquita Filho
Privatstraße
selbst, nicht in unmittelbarer Nähe zum Grundstück. Die gelb und orange markierten Straßen sind in der Regel zwei- bis vierspurige Einbahnstraßen, wobei die äußeren Fahrbahnen als Parkplätze und die inneren für den fließenden Verkehr genutzt werden. Die Privatstraßen sind geschlossene, schmale Sackgassen und nur für die dort ansässigen Bewohner zugänglich. Im Verkehrsplan wird noch einmal besonders deutlich, welche Auswirkungen die Schnellstraße auf das Quartier hat und verdeutlicht seine Funktion als Barriere zwichen Norden und Süden. 91
PROJEKT | QUARTIERSANALYSE QUARTIER BIXIGA Mobilitätsplan M 1:5000
Legende
Beschreibung
Buslinie
Die Mobilitätsstudie hat ergeben, dass vier Buslinien das Quartier vor allem in den
Bushaltestelle
Randgebieten auf den großen Hauptstraßen passieren. Es existieren zwölf Bushaltestellen, von denen sich vier in der Nähe zum Grundstück befinden. Die nächstgelegene Metrostation ist Liberdade und liegt in einem Abstand von etwa 500m zum Grundstück. Die Gehwege weisen einen akzeptablen Zustand auf, allerdings wurden keine Fahrradwege gesichtet. Alle Straßen sind mit Parkplätzen ausgestattet, die ein bis zwei Fahrbahnen beanspruchen. Die Nutzung von Privatfahrzeugen ist sehr präsent und sorgt für ein hohes Lärmaufkommen.
92
QUARTIER BIXIGA Nutzungsplan M 1:5000
Legende
Beschreibung
Wohnen
Das Wohnen ist die dominierende Nutzung im Quartier. Am häufigsten wurden reine
Mischnutzung
Wohn- bzw. Gewerbenutzungen sowie Mischnutzungen beobachtet. Letztere setzen
Kommerzielle Nutzung, Dienstleistung
sich aus gewerblicher Nutzung im Erdgeschoss und Wohnen in den oberen Etagen
Institution
zusammen. Das Gewerbe besteht vor allem aus handwerklichen Dienstleistern und
Parkhaus, Parkplatz überdacht
Gastronomie. Die insitutionelle Nutzung wird dominiert von religiösen Organisatio-
Parkplatz (gebührenpflichtig)
nen ("evangelische Kirchen"). Zudem befinden sich Theater, Vereine, Schulen und kul-
Soziale Einrichtung Keine Nutzung, schlechter baulicher Zustand
turelle Einrichtungen im Quartier. Die sozialen Einrichtungen richten sich entweder an Obdachlose oder an Kinder. Die Herberge Lygia Jardim befindet sich im zentralen Teil des Quartiers. Ein CREAS und ein Aufenthaltszentrum befinden sich unter dem Viadukt im Nord-Westen des Gebiets. Deutlich erkennbar ist zudem die hohe Anzahl an Flächen privater Parkplätze, die stundenweise Stellplätze vermieten. 93
PROJEKT | QUARTIERSANALYSE WOHNEN
MISCHNUTZUNG
Abb. 77: Rua do Bixiga
Abb. 81: Rua Conselheiro Ramalho
Abb. 78: Rua Abolição - Rua Jardim Heloísa
Abb. 82: Rua Japurá
Abb. 79: Rua Abolição - Rua Jardim Heloísa
Abb. 83: Rua São Domingos - Rua Maj. Diogo
Abb. 80: Rua Abolição - Rua Jardim Francisco Marcos
Abb. 84: Rua Jaceguaí - Rua Humanitá
94
KOMMERZIELLE NUTZUNG | DIENSTLEISTUNG
Abb. 85: Reifendienst - Rua Quatorze de Julho - Rua Conselheiro Ramalho
Abb. 89: "Lanchonete" - Rua São Domingos - Rua Conselheiro Ramalho
Abb. 86: Bazar Möbel und Antiquitäten | Frisör
Abb. 90: Bank Bradesco - Rua Maj. Diogo
Abb. 87: Geschäft für Wandfarben und Lacke
Abb. 91: Kiosk - Rua São Domingos - Rua Maj. Diogo
Abb. 88: Tankstelle - Rua João Passalaqua - Rua Manoel Dutra
Abb. 92: Editora FTD S/A - Rua João Passalaqua - Rua Manoel Dutra
95
PROJEKT | QUARTIERSANALYSE INSTITUTIONEN
SOZIALE EINRICHTUNGEN
Abb. 93: Theater Sergio Cardoso - Rua Rui Barbosa
Abb. 97: Obdachlosenheim I - Lygia Jardim - Rua São Domingos
Abb. 94: Kirche Igreja Batista da Liberdade - Rua Santo Amaro
Abb. 98: Aufenthaltszentrum für Obdachlose - CREAS - Avenida Nove de Julho
Abb. 95: Schule - Rua Maj. Diogo - Rua São Domingos
Abb. 99: Novolhar - Rua Maria José
Abb. 96: Casa de Dona Yayá - USP - Kulturzentrum - Rua Maj. Diogo
Abb. 100: Kräutergarten des Novolhar - Rua Maria José
96
PARKHAUS
PARKPLÄTZE
Abb. 101: Rua Abolição
Abb. 104: Rua Maj. Diogo
Abb. 102: Rua Santo Antônio
Abb. 105: Rua Rui Barbosa
Abb. 103: Rua Santo Amaro
Abb. 106: Rua Santo Amaro
97
PROJEKT | QUARTIERSANALYSE SCHLECHTER BAULICHER ZUSTAND
GRÜNFLÄCHEN
Abb. 107: Rua Manoel Dutra
Abb. 111: Praça General Carveiro Lopes - Rua Santo Antônio - Viaduto Jacareí
Abb. 108: Rua Jaceguaí - Rua Adoniran Barbosa
Abb. 112: Praça Miguel Emílio Abella - Rua Santo Antônio - Viaduto Nove de Julho
Abb. 109: Cortiços - Rua São Domingos
Abb. 113: Praça Miguel Emílio Abella - Rua Santo Antônio - Viaduto Nove de Julho
Abb. 110: Rua São Domingos
Abb. 114: Praça Pérola Byington - Avenida Brigadeiro Luís Antônio
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QUARTIER BIXIGA Gebäudehöhen M 1:5000
Legende
Beschreibung
Erdgeschoss (EG)
Das Quartier weist eine Vielzahl von unterschiedlichen Gebäudehöhen auf. Die domi-
EG+1
nierenden Höhen reichen bis maximal ins fünfte Geschoss (EG+4). Höhere Gebäude
EG+2
sind meist nur punktuell zu beobachten. Dabei handelt es sich um Wohntürme mit
EG+3
kommerzieller Nutzung im Erdgeschoss. Die sehr unterschiedlichen Gebäudehöhen
EG+4
lassen eine chaotische urbane Morphologie entstehen. Teilweise ist die Vertikalisie-
5-9 Geschosse
rung jedoch ausgeschlossen, da es sich um denkmalgeschützte Gebäude handelt.
10-14 Geschosse mehr als 15 Geschosse
Während die Gebäudehöhen um das Grundstück herum sehr gleichmäßig sind, fallen die sehr hohen Bauwerke im Norden auf. Sie markieren den Beginn des Stadtkerns in dem die vertikale Bauweise dominiert. Dies fällt besonders an den großen Hauptstraßen auf. 99
PROJEKT | QUARTIERSANALYSE
Konzept im urbanen Kontext Die Analyse der urbanen und sozialen Situation im Quartier hat diverse
tuation führt. Auch für Jugendliche und Senioren gibt es keine Akti-
Mängel und Probleme aufgezeigt. Das Viadukt fungiert neben seiner
vitäten und Angebote im öffentlichen Raum. Bei Beobachtungen des
Hauptfunktion als Schnellstraße besonders als Barriere, die zur Teilung
urbanen Raumes und des Verhaltens der Quartiersbewohner fiel aller-
der Stadtteile führt. Lediglich zwei Unterführungen verbinden Repúbli-
dings positiv auf, dass die Straße als Aktionsort bereits genutzt wird.
ca und Bela Vista miteinander. Die ungenutzen Flächen unterhalb der
Tagsüber halten sich dort besonders viele Menschen auf, gehen zur
Hochstraße sind von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben und
Arbeit, auf den Wochenmarkt oder befinden sich vor ihren Geschäften.
nicht zugänglich. In diesem Zusammenhang ließ sich auch der Mangel an Grünflächen Ein weiterer Schwachpunkt ist das Angebot an öffentlichen Plätzen.
und Vegetation feststellen. Das unzugängliche Grundstück ist einer der
Das Quartier wird besonders von jungen Familien mit kleinen Kindern
wenigen Orte, der über Begrünung verfügt. Es konnten zwei große,
bewohnt, für die keine Spielmöglichkeiten im öffentlichen Raum exis-
alte schützenswerte Bäume gesichtet werden sowie zahlreiche kleine-
tieren. Oft wurden spielende Kinder auf der Straße beobachtet, was
re Bäume, die in den Entwurf miteinbezogen werden können.
durch das hohe Verkehrsaufkommen jedoch zu einer gefährlichen Si-
Beziehungen zwischen Projekt und Quartier schaffen
Verbindungen
Zentralität
Grünflächen
Um die problematische Situation des
Bereits die Form des Grundstücks
Besonders in der dicht besiedelten
Viadukts als Barriere im Quartier zu
stärkt den Gedanken, einen neuen
Metropole São Paulo, die auch als
verbessern, sieht das Konzept die
Mittelpunkt zu schaffen, der von den
"Stadt aus Beton" bekannt ist, ist die
Schaffung von Verbindungen unter-
Menschen als Ort der Begegnungen
Beziehung zur Natur sehr wichtig.
halb des selbigen vor. Das Grundstück
oder Treffpunkt genutzt werden kann.
Das Konzept sieht vor, die Vegetation
wird von Zäunen und Mauern befreit
Die Nord-Süd-Achse der Rua Maj. Di-
des Grundstücks weitestgehend zu
und bietet somit eine Vielzahl von We-
ogo wird bereits von Fußgängern als
erhalten und vor allem die zwei alten
gen an, um die Hochstraße zu unter-
Hauptverbindung genutzt. Die Öff-
Bäume zu schützen. Durch Flächen für
queren. Besonders für Fußgänger und
nung des Grundstücks zu allen Him-
Urban Gardening wird den Menschen
Radfahrer entstehen Möglichkeiten,
melsrichtungen soll den Zugang und
nicht nur der Anbau von eigenem
die neuen Nutzungen und Funktionen
das Überqueren der Flächen erleich-
Obst und Gemüse ermöglicht, son-
auf dem Grundstück zu erleben bzw.
tern. Darüber hinaus bietet das Nut-
dern sie werden auch sensibilisiert, die
auf schnellerem Wege von einem Teil
zungsprogramm diverse Funktionen
Natur und die Umwelt zu verstehen,
der Stadt in den anderen zu gelangen.
wie Spielplätze, Kioske, Wochenmärk-
respektieren und zu schützen. In Brasi-
te, Sportgeräte, Sitzmöglichkeiten,
lien herrschen besonders große Prob-
u.v.m. mit Aufenthaltsqualität, die das
leme der Umweltverschmutzung. Die
verlassene Grundstück in einen beleb-
Schaffung grüner Flächen in der Stadt
ten Ort verwandeln.
ist deshalb ein wichtiger Faktor.
100
DER ENTWURF Abb. 115
101
PROJEKT | ENTWURF Eindrücke des Grundstücks (eigenes Archiv)
Anwesenheit Obdachlose
Verlassener Parkplatz, eingezäunt
Anwesenheit Obdachlose
Zufahrt ehemaliger Parkplatz
eventuell ein Grab
betonierte Freifläche, Grünfläche und zerstörter Zaun
Straßenunterführung, Maschendrahtzaun, Grünflächen, Bäume
betonierte Freifläche, Grünfläche, Bäume
102
Eingang ehemaliger zweiter Parkplatz
Eingang ehemaliger zweiter Parkplatz
Anwesenheit Obdachlose, zweiter verlassener Parkplatz
Anwesenheit Obdachlose
verlassener Parkplatz, betoniert
außerhalb zweiter ehemaliger Parkplatz, Zaun, Höhenunterschied
außerhalb zweiter ehemaliger Parkplatz, Zaun, Höhenunterschied
Straßenunterführung - angrenzender Obst- und Gemüseladen
103
PROJEKT | ENTWURF Entwurfskonzept Herleitung des Nutzungsprogrammes Die ausführlichen Analysen der Obdachlosen, der Viadukte und des Quartiers führten zu wichtigen Erkenntnissen, die nun das Nutzungsprogramm des Entwurfs definieren. Tabelle A zeigt die positiven und negativen Faktoren der Ausgangssituation sowie den Bedarf der einzelnen Gruppen. Ein zentraler Schwerpunkt der Definition lag darin ein Konzept zu entwickeln, das sowohl Obdachlosen als auch Quartiersbewohnern die Nutzung des Projektes ermöglicht und im besten Fall einen Dialog zwischen ihnen herstellt. Legende Soziale Einrichtungen
Schule
Religiöse Einrichtung
Theater(schule)
Kultur
Grundstück
Netzwerk aus institutionellen, kulturellen und sozialen Einrichtungen
Ausgangssituation - Was gibt es bereits? Obdachlose
+ •
+ arbeitsfähige Menschen • Straßenverkäufer • Materialsammler • Künstler • "Lehrer" • Bauarbeiter • Gärtner • Putzkraft Kreativität [Lebens]Erfahrung
• •
Quartier • • • • • • •
•
• • • • •
Viadukt | Grundstück
+ Theater Schulen dynamische, aktive Quartiersbewohner stabiler Handel handwerkliche Dienstleister Nutzungsvielfalt zugängliche Preise von Dienstleistungen und Produkten
• • • • • •
-
Menschen mit verschiedenen sozialen oder persönlichen Problemen (bspw. Krankheiten, kriminelle Geschichte, psychische Störungen) heterogene Masse - viele unterschiedliche Bedürfnisse und Schicksale Ausschluss von der Gesellschaft - soziale Exklusion Einflussfaktoren der Umwelt Menschen ohne Existenzsicherung Leben in extremer Armut
• • • •
Struktur des Viadukts als "Dach" große ungenutze Flächen Stützen der Viadukte schützenswerte, alte Bäume Vegetation guter Zustand der Bausubstanz
armer Stadtteil - Geringverdiener Gebäude in schlechtem Zustand chaotische städtebauliche Situation hohes Verkehrsaufkommen
• • • • • • •
unsicherer/gefährlicher Ort dunkel ungenutzte Flächen verwahrlost Zaun und Mauer, die Grundstück umschließen Barriere im Quartier - Teilung des Quartiers in zwei Hälften asphaltierte Flächen
Bedarf - Was wird gebraucht? • • • • • • • •
Arbeitsplätze schützende Räume Stauraum Aktivitäten (Bildung, Kultur, Sport) professionelle Betreuung Hygiene Nahrung soziale Kontakte
Tabelle A: Ausgangssituation und Bedarf
104
• • • • • • •
Grünflächen (Parks, Plätze) Spielplatz sportliche Aktivitäten öffentlich flexibel nutzbare Bühne - Förderung der Aktivitäten der Theater Förderung bzw. Projekte für Bildung und Kultur zentraler Treffpunkt Einheit des geteilten Quartiers
• • • • • • • •
Aufwertung öffentlich zugänglich natürliche und künstliche Beleuchtung Aktivitäten und Nutzung durch verschiedene Personengruppen sorgt für mehr Sicherheit Durchgänge Ort beleben große, offene Flächen Vegetation
Nutzungsmöglichkeiten | Raumangebot und - abfolge Die entwickelten Nutzungen sind auf dem gesamten Grundstück für
zungen können sehr vielfältig sein. Von temporären Schlafplätzen über
Menschen jeder sozialen Schicht zugänglich. Teilweise sind sie durch
Arbeitsplätze von Künstlern, Verkaufsflächen von Straßenverkäufern
Bedürfnisse von Obdachlosen entstanden, schließen jedoch Funktio-
bis hin zu gemeinschaftlich nutzbaren Flächen für Capoeira (brasilia-
nen mit ein, die auch anderen Menschen von Nutzen sind.
nischer Tanz), Joga oder Seminare, sind den Funktionen keine Grenzen gesetzt.
Es wurden drei Kategorien definiert, die das Nutzungsprogramm beschreiben:
Die Freiräume sind öffentlich zugängliche Plätze sowie Gärten und
•
Kerne
bieten eine Vielzahl an freizeitlichen Aktivitäten. Neben leiseren Orten
•
Flexible Räume
zum Entspannen gibt es einen kleinen Skatepark und ein Lager, das
•
Freiräume
tagsüber verschiedene Elemente aufstellt wie bspw. Tischkicker, Tisch-
Tabelle B zeigt auf, welche Nutzungen sich in den jeweiligen Katego-
tennisplatten und Liegestühle.
rien befinden. Die Kerne sind feste Konstruktionen, die für einen bestimmten Zweck gebaut wurden. Sie sind nur punktuell erweiterbar
Die Raumanordnung basiert zum einen auf der Struktur des Viadukts,
und haben bereits ein festes Erscheinungsbild.
das mit bis zu 35 Metern sehr breit ist und eine natürlich Belichtung im inneren der Flächen erschwert. Deshalb wurde darauf geachtet,
Flexible Räume hingegen sind erweiterbare Strukturen, die durch den
viele Öffnungen und Durchgänge zwischen den Konstruktionen des
Einbau verschiedener Elemente je nach Bedarf und Situation des Ein-
Entwurfs zu schaffen, um das Maximum einer natürlichen Belichtung
zelnen wachsen. In den durch das Viadukt geschützen Räumen findet
zu garantieren. Andererseits wurde ein Schwerpunkt darauf gelegt,
ein ungezwungenes Raumangebot statt, dass die Möglichkeit von An-
welche Nutzungen in direkter Nähe zueinander angeordnet werden
eignung bietet und dem Individuum die Gestaltung überlässt. Die Nut-
sollten.
KERNE • • • •
FLEXIBLE RÄUME •
Beratungszentrum Werkstatt | Materiallager Sanitärräume | Waschhaus Boxstudio Garrido
• •
FREIRÄUME
Aneignungsraum - Stützen auf Streifenfundamenten Kioske Wandelemente
• • • • •
Skatepark Urban Gardening - Anbau von Obst und Gemüse Tribüne für spontane und geplante Veranstaltungen (Theater, Kino, Versammlungen, etc.) Parkplätze für Wagen der Materialsammler Fahrradständer
Tabelle B: Kategorien der Nutzungen und Funktionen
Legende Kerne Urban Gardening
Kiosk
Urban Gardening
Flexible Räume Freiräume
Boxstudio Garrido
Kiosk
Tribüne | Theater Kino Versammlungen
Werkstatt | Materiallager
Spielplatz
Wochenmarkt Materiallager
Flexible Strukturen Beratungszentrum
Skatepark
Kiosk
Wochen- Sanitär | markt Waschhaus
Flexible Strukturen
Flexible Strukturen
bestehender Obst- und Gemüsemarkt
Anordnung der Nutzungen auf dem Grundstück
105
PROJEKT | ENTWURF Materialität der Architektur Wie bereits in den Leitlininen definiert, soll die Architektur aus lokalen
ses sowie die daran beteiligten Akteure. Da es sich bei dem Grundstück
Materialien und mit einfachen Techniken ausführbar sein. Die Analyse
um eine öffentliche Fläche der Stadtverwaltung handelt, übernimmt
der Raumproduktion der Obdachlosen und die Erstellung des Materi-
sie im ersten Schritt die Bodenarbeiten und den Bau der Kerne. Dies
alkatalogs (siehe S. 43) haben gezeigt, wie auf der Straße gefundenes
kann durch simple Techniken und ohne Maschinenaufwand von Men-
Material bzw. Abfall weiterverwendet werden kann. Auf dieser Idee ba-
schen gebaut werden, die vorher in einem Workshop geschult wurden.
sierend entwickelt sich das Konzept der Materialität. Aus einer Toolbox,
In den Kernen ist Platz für Vereine, gemeinnützige Organisationen und
die aus den gefundenen Materialien und den zur Konstruktion benötig-
Kooperativen. Die Stadt stellt das Grundstück zur Verfügung, über-
ten Werkzeugen besteht, wurden Konstruktionselemente entwickelt,
nimmt jedoch keine administrativen Tätigkeiten. Durch soziale Projek-
die in einfacher Weise und lokal von den Menschen hergestellt werden
te und die Raumaneignung durch Menschen verschiedener sozialer
können. Der Bau der Konstruktionen findet in verschiedenen Etappen
Schichten soll das Projekt durch Selbstorganisation funktionieren und
und durch unterschiedliche Verantwortliche statt. Die Abbildung auf
sich spontan entwickeln bzw. erweitern, je nach Bedarf seiner Nutzer
Seite 107 zeigt den Ablauf des Konstruktions und Aneignungsprozes-
und ohne die Kontrolle einer übergeordneten Institution.
TOOLBOX Konstruktionsmaterialien
Holzpalette
Holzbretter
geschlossene Holzpalette
verschiedene Holzelemente
OSB-Platten
Wellblech
alte Pappe
Pappkarton
Abdeckplane
Regenschirm
Seil
Stein
Autoreifen
Fahrradfelgen
Autofelgen
Handsäge
Akkubohrer/-schrauber
Manueller Bohrer
Hammer
Nägel
Schrauben
Scharnier
Metallwinkel
Benötigte Werkzeuge
106
Ablauf des Konstruktions- und Aneignungsprozesses
Aktuelle Situation • • • • •
A
verwahrloste Flächen asphaltierter Boden abfallende Topografie keine Nutzung Zäune und Mauern umgeben das Grundstück
Vorarbeiten
Aufgabe der Stadtverwaltung • • • • • •
Bodenarbeiten Schaffung einer Grundstruktur für den Park Fundamente schütten Aufbau der KERNE: Werkstatt/ Lager, Beratungszentrum und Sanitärräume Aufstellen der Holzstützen Bau-Workshops für Obdachlose
Stützen der flexiblen Strukturen Beratungszentrum
Werkstatt | Materiallager
Sanitärräume | Waschhaus
Stützen der flexiblen Strukturen
B
Materialbeschaffung für die Raumaneignung
Aufgabe der Raumaneigner Selbstorganisation • • •
C
Materialsammler (Catadores) Materialspenden von Unternehmen Restmaterial von Baustellen
Raumaneignung
Aufgabe der Raumaneigner und der Gemeinschaft Selbstorganisation •
• •
Konstruktion der DO IT YOURSELF Boden- und Wandelemente aus den gesammelten Materialien Konstruktion des Kiosk und des Equipment-Lagers Aneignung durch diverse andere Elemente (z.B. Zelte, Flaggen, Planen, Decken, etc.) 107
PROJEKT | ENTWURF
B a
Ru
aí egu Jac
Urban Gardening Kiosk
Urban Gardening
Temporär nutzbare Fläche [Food Trucks]
Rua ogo
i j. D Ma
Kiosk
Wochenmarkt
Werkstatt| Materiallager Fläche für Kino|Theater| spontane Events
Boxstudio Garrido
A
Materiallager
Parken Carroças
Kiosk
Skatepark
Rua Pr of. Laé
rte Ra
Lager
mos d
e Carv alho
B
Grundriss
Längsschnitt A-A 108
Rua l Abo ição
Rua
Jac egu
aí
Spielplatz
Flexible Strukturen
Sanitär | Waschhaus
A
Flexible Strukturen
Beratungszentrum
Flexible Strukturen
Flexible Strukturen
Wochenmarkt
Rua Jaceguaí Rua Hum anitá
0m
10m
50m
100m
109
PROJEKT | ENTWURF
Querschnitt B-B
Der Entwurf im Detail Konzept der Nutzungsangebote
ARBEIT BILDUNG
KULTUR
FREIZEIT
110
Existenzsicherung Besch채ftigung Wertsch채tzung Lernen Weiterbilden Lehren Informieren Ausstellen Kommunizieren Kontakte Dialog Sport Aktivit채ten Entspannung
Der Entwurf im Detail | Freiräume
Urban Gardening
Urban Gardaning bezeichnet das Gärtnern im städtischen Raum. Der Entwurf sieht dafür feste Flächen im Norden des Grundstücks vor, lässt den Nutzern jedoch auch die Freiheit Beete innerhalb der flexiblen Strukturen anzulegen und die Kisten und Blumentöpfe der Fassaden von Werkstatt, Materiallager und Kiosk zu benutzen. Auf den vorhergesehenen großen Grünflächen kann der Anbau von Obst und Gemüse erfolgen. Die Nahrungsmittel könnten an lokale Restaurants oder die Kioske verkauft werden. Wie das gesamte Projekt wird auch das Urban Gardening durch die Selbstorganisation ausgeführt und überwacht.
Skatepark und Spielplatz
Der Skatepark im Süden sowie der Spielplatz im Norden des Grundstücks bilden die Hauptfreizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche. Letzterer bietet aus wiederverwertbaren Materialien hergestellte Spielgeräte an. Zusätzlichen können Schaukeln aus Autoreifen sowie Akrobatikseile am Viadukt befestigt werden. Die Pfeiler werden mit Klettersteinen ausgestattet und ermöglichen so die Hochstraße direkt in die Aktivitäten mit einzubeziehen. Im Skatepark befinden sich in den Boden eingelassene Rampen. Zudem bietet ein kleines Lagerhäuschen die Ausleihe von Tischtennisplatten, Tischkickern, Liegen, Stühlen, etc. an.
Bühne | Theater - Kino - Versammlungen Fläche: 400m²
Im zweiten Abschnitt des westlichen Grundstückteils unterhalb des Viadukts befindet sich ein großer Platz. Die Raumhöhe beträgt dort etwa zwischen 4,5 und 5,5 Metern. Die abfallende Topografie wird genutzt um eine Tribüne zu integrieren mit Blick auf den langen inneren Korridor. Der Platz kann für verschiedene Zwecke genutzt werden wie beispielsweise als Theaterbühne, Kino und Ausstellungsraum sowie für Versammlungen und Kundgebungen. Da sich besonders viele Theater und eine Theaterschule in der Umgebung befinden wurde Wert darauf gelegt einen für die Schauspieler zugänglichen Außenraum zu schaffen, an dem spontan oder geplant Stücke aufgeführt werden können.
Boxstudio Garrido Fläche: 860m²
In der Analyse wurde bereits ausführlich über das soziale Projekt des Boxstudios von Nilson Garrido berichtet (siehe Seite 55). Besonders offensichtlich war, dass Sport eine wichtige Aktivität darstellt, die nicht nur körperliche Fitness fördert, sondern auch dazu beiträgt soziale Kontakte zu knüpfen. Der Entwurf schlägt einen weiteren Standort von Garridos Studio auf dem Grundstück vor. Im westliche Raum unterhalb des Viadukts können durch niedrige Raumhöhen und den Mangel an Anlieferungszugängen kaum andere Nutzungen untergebracht werden. Flexible Strukturen kommen nicht in Frage, da die Gefahr einer Abschottung und der Ansiedlung von Kriminellen bestünde. Für die tägliche Öffnung der großen Fläche als Sportstätte ist sie jedoch sehr gut geeignet. 111
PROJEKT | ENTWURF Der Entwurf im Detail | KERNE Werkstatt und Materiallager Fläche: 520m²
Grundriss 1:200
Werkstatt und Materiallager
Stellplätze Wagen
Materiallager
Stellplätze Wagen
112
Das Materiallager und die Werkstatt bilden den Mittelpunkt bzw. das
Um die wichtige Thematik des Umweltschutzes aufzugreifen, sollen
"Herz" des Projekts. Dort besteht die Möglichkeit gefundene Materiali-
Materialsammler die Möglichkeit bekommen Workshops und Semina-
en einzulagern, die von den Mitarbeitern der Werkstatt bei Bedarf noch
re anzubieten, in denen sie über ihre Arbeit aufklären und informie-
zusätzlich bearbeitet werden können und zum Bau der Aneigungsräu-
ren. Besonders in der heutigen Konsumgesellschaft ist es wichtig die
me genutzt werden. Bei den Beschäftigten kann es sich sowohl um ge-
Menschen auf die Wiederverwertung von Abfall hinzuweisen und sie
schulte wohnungslose Menschen, als auch um Fachkräfte handeln. Die
aktiv an diesem Prozess zu beteiligen. Beispielsweise können Kinder,
Zugänge befinden sich direkt an der Haupt- und Unterführungsstraße
Jugendliche oder Erwachsene zusammen mit Materialsammlern und
des Viadukts Rua Maj. Diogo sowie an den Nord- und Südseiten.
Straßenkünstlern aus scheinbar nicht mehr verwendbaren Materialien Kunstobjekte herstellen. Anschließend können auf der angrenzenden
Der kollektive oder auch individuelle Bauprozess in den Aneigungs-
Fläche unter dem Viadukt kleine Ausstellungen organisiert werden.
bzw. flexiblen Räumen entsteht durch das Sammeln von Materialien durch unterschiedliche Menschen, die mittels eines Tauschkonzeptes
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Thema Bildung. Um sie für je-
andere im Lager bereitgestellte Gegenstände nutzen können. Die Idee
den zugänglich zu machen wurde die gesamte Fassade der Werkstatt
dieser Konzeption besteht darin, etwas zum Projekt beisteuern zu
und des Materiallagers als "Bibliothek" konzipiert. Wie auch das Wie-
müssen, bevor andere Gegenstände benutzt werden können.
derverwendungskonzept von Abfall ist hier ein spontaner Wachstum des Bestandes durch Bücher vorgesehen, die jeder dort platzieren und
Die "Überwachung" des Bauprozesses der wachsenden Strukturen
lesen kann. In der Fassade befinden sich feste sowie herausnehmba-
kann durch die Mitarbeiter der Werkstatt übernommen werden, die
re Sitzgelegeheiten, Pflanzenkübel, Kreidetafeln, u.v.m. Innerhalb der
den Menschen in der Konstruktion der Elemente beratend zur Seite
Werkstatt kann die Fassade zur Aufhängung und Unterbringung von
stehen. Eine vorher ausgearbeitete detaillierte und leicht verständliche
Werkzeugen genutzt werden. Öffnungen gestatten Einblicke in das In-
Montageanleitung soll bereits dazu dienen, die Techniken und Materi-
nere der Werkstatt bzw. des Materiallagers. Fahrrad- und Autofelgen,
alverwendungen der Elemente zu vermitteln. Zudem findet die Auslei-
sowie kleinere Holzelemente werden als Einbruchssicherheit verwen-
he von Werkzeugen durch die Arbeiter statt.
det.
113
PROJEKT | ENTWURF Der Entwurf im Detail | KERNE Beratungszentrum Fläche: 360m²
Grundriss EG 1:200
Jobvermittlung WC D
Wartebereich
Multifunktionsraum
Rezeption Abstellraum
WC H
Postfächer
Grundriss 1. OG 1:200
Das Beratungszentrum befindet sich im östlichen Teil des Grundstücks, in nächster Nähe zu den flexiblen Räumen und Sanitäranlagen. Durch die Höhe des Viadukts an dieser Stelle, erstreckt es sich über drei Etagen. Der CREAS
Teeküche
MNPR
Warten
Multifunktionsraum
Abstellraum
Eingangsbereich ist gleichzeitig ein Durchgang, sodass das Gebäude von zwei Seiten erschlossen werden kann. Seine Konzeption basiert auf dem Bedarf der Obdachlosen nach professioneller Betreuung und bietet Angebote der Einrichtung CREAS (Definition siehe Seite 26) sowie den Sitz der sozialen Bewegung des "Movimento Nacional da População de Rua" (siehe Seite 22). In drei Multifunktionsräumen können unterschiedliche Nut-
Grundriss 2. OG 1:200
zungen stattfinden wie beispielsweise Drogen- und Alkoholpreväntion, Alphabetisierungsunterricht, Schulungen, Seminare, Workshops und viele mehr, die sich nicht ausschließlich an Obdachlose richten. Von außerhalb CREAS
Multifunktionsraum
Warten
Multifunktionsraum
des Gebäudes zugängliche Postfächer bieten den wohnungslosen Menschen die Möglichkeit der Erstellung einer Adresse, um ihnen den Einstieg in den formalen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Denn wie bereits erörtert ist die Arbeitsaufnahme ohne Angaben des Wohnsitzes fast aussichtslos.
114
Der Entwurf im Detail | KERNE Sanitärräume und Waschhaus Fläche: 96m²
Toiletten D
Waschhaus
Duschen D
Toiletten H
Duschen H
Grundriss 1:200
Hygiene ist ein fundamentales menschliches Grundbedürfnis. Die Sanitärräume bieten öffentlich zugängliche Toiletten und Duschen mit kleinen Umkleidekabinen an. Seine Zugänge erschließen sich gut sichtbar von der großen vorgeschalteten Freifläche, auf der temporäre Wochenmärkte stattfinden. Darüber hinaus verfügt die Konstruktion über ein Waschhaus. Hierbei handelt es sich lediglich um die Grundausstattung von Waschbecken, zur Säuberung von Kleidung sowie die kostelose Nutzung von Wasser. Es bestünde die Möglichkeit Regenwasser direkt aufzufangen und durch einen Filter nutzbar zu machen. Der Wassertank könnte sich über dem Raum des Sanitär- und Waschhauses befinden und seine Auffangbereiche direkt an der Konstruktion des Viadukts. Das Konzept bedarf allerdings noch einer weiteren Studie und Ausarbeitung. Grundidee bleibt jedoch, dass Möglichkeiten entwickelt werden, die dem Projekt erlauben unabhängig von anderen Einrichtungen bzw. der Stadt zu funktionieren. 115
PROJEKT | ENTWURF Der Entwurf im Detail | Flexible Räume Flexible Strukturen Fläche: 720m²
Grundriss 1:200
Die flexiblen Strukturen werden in erster Linie als Aneignungsraum zur Verfügung gestellt. Sie besitzen keine spezielle Nutzung oder Funktion. Wie im Konstruktions- und Aneignungsprozess auf Seite 107 abgebildet, stellt die Stadt Stützen auf, die durch unterschiedliche Elemente ergänzt werden können. Im Rohzustand existieren lediglich das Streifenfundament und die Holzstützen. Der Erdboden kann dann mit gefundenen Holzpaletten oder einer simplen Konstruktion aus Latten und OSB-Platten ausgestattet werden. Zudem ist es möglich Flächen frei zu lassen und kleine Gärten anzulegen. Für den Einzug weiterer Etagen wurde ein aus Holz herstellbares Bodenelement entwickelt. Die Nutzung durch die Menschen ist vollkommen offen und definiert sich je nach Bedarf. Die Perspektiven 1 und 3 auf den Seiten 118 und 122 veranschaulichen, welche Ereignisse in den Räumen stattfinden können. Um einige von ihnen zu nennen: Schlafplätze durch Zelte oder Hängematten, Arbeitsplätze von Künstlern oder Straßenverkäufern, Verkaufsflächen, Workshops, Tanz, Joga, etc. 116
Der Entwurf im Detail | Flexible Räume Kiosk
Das Kiosk kann je nach Bedarf schnell und einfach errichtet werden. Durch die simple Struktur kann seine Funktion sehr leicht verändert werden und als kleines Lager für Stühle, Tische, Tischtennisplatten, usw dienen. In den Entwurf wurden drei Kioske und zwei Lager integriert, die sich in nächster Nähe zu den Freiräumen des Urban Gardenings, Spielplatzes und Skateparks befinden. Wie bereits die Fassade der Werkstatt und des Materiallagers besteht auch hier die Hülle aus einer "aktiven Wand", die als Bibliothek genutzt werden kann. Das topographische Problem wird mit kleinen Terrassen aus Holzpaletten gelöst. Möbel werden direkt vor Ort in Workshops der Werkstatt mit den Bewohnern und Obdachlosen hergestellt. Das Konzept sieht ein begrüntes Dach vor, unter dem sich ein Wasserauffangbecken befindet, dass die Ver-
Begrüntes Dach und Regenwasserauffangbecken
wendung von Regenwasser ermöglicht. Es steht dem Kiosk sowie anderen Nutzern zur Verfügung. Ein detaillierteres Konzept muss allerdings noch ausgearbeitet werden.
117
PROJEKT | ENTWURF Perspektive 1 | Blick von Osten auf Flexible Strukturen, Spielplatz und Kiosk
118
119
PROJEKT | ENTWURF Perspektive 2 | Blick von Westen auf die "B端hne" und die Fassade der Werkstatt bzw. des Materiallagers
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PROJEKT | ENTWURF Perspektive 3 | Blick von Osten in den inneren Korridor. Rechts das Beratungszentrum und links die flexiblen Strukturen
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PROJEKT | ENTWURF Perspektive 4 | Blick von S체dosten auf Skatepark, Kiosk, Materiallager, Wochenmarkt und Sanit채rr채ume
124
125
126
APPENDIX
127
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130
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Cover
eigenes Archiv
Abb. 1
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f8/Centro_de_Sao_Paulo,_Brazil_aerial.jpg (09.09.2015)
Abb. 2
Satellitenaufnahme Google Earth (26.06.2015)
Abb. 3
http://4.bp.blogspot.com/-LzfE6ZMAG6I/TotiY47x2rI/AAAAAAAABTA/97t7NNaEBTY/s1600/rosto%2Btriste%2Bmora
dor%2Bde%2Brua.jpg (09.09.2015) Abb. 4
http://www.vitruvius.com.br/revistas/read/arquitextos/ (08.09.2015)
Abb. 5
http://quandocidade.wordpress.com (26.05.2015)
Abb. 6
eigenes Archiv
Abb. 7
http://www.unicap.br/assecom1/wp-content/uploads/2015/08/MG_4611_.jpg (09.09.2015)
Abb. 8
http://www.prefeitura.sp.gov.br/cidade/secretarias/subprefeituras/upload/mooca/imagens/espaco_convivencia1.
jpg (26.06.2015) Abb. 9
http://s.glbimg.com/jo/g1/f/original/2014/10/16/quarto-1.jpg (08.09.2015)
Abb. 10
http://www.reciclazaro.org.br/wp-content/uploads/2013/01/casa_lazaro.jpg (26.06.2015)
Abb. 11
http://www.capital.sp.gov.br/static/2014/10/k7nUj8zdyaf8k1wnA9PLuA.jpg (26.06.2015)
Abb. 12
Google Earth Streetview (09.07.2015)
Abb. 13
http://ww2.prefeitura.sp.gov.br/videos/img/2011_06_03_crasse5.jpg (08.09.2015)
Abb. 14
http://www.prefeitura.sp.gov.br/cidade/secretarias/upload/Fotos%20Site/image5.jpeg (08.09.2015)
Abb. 15
http://4.bp.blogspot.com/_VMv1PiBz9kE/TBVidvlisqI/AAAAAAAAKuo/MHqJry-Lde8/s1600/ACOLHIDA3.jpg
(08.09.2015) Abb. 16
http://fotos.estadao.com.br/galerias/cidades,administracao-nega-intencao-de-espantar-moradores-de-rua-na-
avenida-cruzeiro-dosul-em-sp,6790,165727 (08.09.2015) Abb. 17
http://static1.jornalmetro.com.br/wp-content/uploads/2014/02/blocos-anti-mendigos-andre-porto-metro620.jpg
Abb. 18
https://farias.files.wordpress.com/2007/02/banco-anti-mendigos.jpg (08.09.2015)
Abb. 19
http://www.naocaber.org/wp-content/uploads/2005/11/rampa-antimoradores01-480x320.jpg (08.09.2015)
Abb. 20
eigenes Archiv
Abb. 21
eigenes Archiv
Abb. 22
eigenes Archiv
Abb. 23
Google Earth Streetview Glicério (15.06.2015)
Abb. 24
Google Earth Streetview Glicério (15.06.2015)
Abb. 25
Google Earth Streetview Glicério (15.06.2015)
Abb. 26
Google Earth Streetview Glicério (15.06.2015)
Abb. 27
Google Earth Streetview Glicério (15.06.2015)
Abb. 28
eigenes Archiv
Abb. 29
http://s2.glbimg.com/IkX91rVgBe6o_ClVhArG-Z5OmQ0=/620x465/s.glbimg.com/jo/g1/f/original/2015/02/25/
dsc02597.jpg (09.09.2015) Abb. 30
http://noticias.uol.com.br/album/2014/02/12/calor-recorde-faz-populacao-mudar-de-habitos.htm#fotoNav=2
(09.09.2015) Abb. 31
https://helvioromero.files.wordpress.com/2010/02/fazendo-a-barba1.jpg (09.09.2015)
Abb. 32
eigenes Archiv
Abb. 33
eigenes Archiv
Abb. 34
eigenes Archiv
Abb. 35
eigenes Archiv
Abb. 36
eigenes Archiv
Abb. 37
Google Earth Streetview Glicério (08.09.2015)
Abb. 38
eigenes Archiv 131
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 39
Google Earth Streetview Alcântara Machado (08.09.2015)
Abb. 40
Google Earth Streetview Glicério (08.09.2015)
Abb. 41
Google Earth Streetview Glicério (08.09.2015)
Abb. 42
Google Earth Streetview Alcântara Machado (08.09.2015)
Abb. 43
Google Earth Streetview Alcântara Machado (08.09.2015)
Abb. 44
Google Earth Streetview Alcântara Machado (08.09.2015)
Abb. 45
Google Earth Streetview Alcântara Machado (08.09.2015)
Abb. 46
eigenes Archiv
Abb. 47
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9a/Viaduto_S%C3%A3o_Paulo_-_estrutura.JPG
Abb. 48
Google Earth Streetview Brücke Conselheiro Furtado (04.07.2015)
Abb. 49
http://g1.globo.com/sao-paulo/noticia/2013/10/timelapse-mostra-colagem-de-retrato-gigante-que-ocupa-minho
cao-em-sp.html (04.07.2015) Abb. 50
Google Earth Streetview 25 de Março (12.05.2015)
Abb. 51
Google Earth Streetview Alcântara Machado (12.05.2015)
Abb. 52
eigenes Archiv
Abb. 53
eigenes Archiv
Abb. 54
eigenes Archiv
Abb. 55
eigenes Archiv
Abb. 56
eigenes Archiv
Abb. 57
eigenes Archiv
Abb. 58
Google Earth Streetview Antônio Nakashima (12.05.2015)
Abb. 59
Google Earth Streetview Armando Puglisi (12.05.2015)
Abb. 60
Google Earth Streetview Bresser (12.05.2015)
Abb. 61
http://www.prefeitura.sp.gov.br/cidade/secretarias/subprefeituras/upload/chamadas/_mg_4901_1363122379.jpg
(08.09.2015 Abb. 62
Google Earth Streetview Diário Popular (12.05.2015)
Abb. 63
Google Earth Streetview Dr. Plínius de Queiros (12.05.2015)
Abb. 64
Google Earth Streetview Eng. Orlando Murgel (12.05.2015)
Abb. 65
Google Earth Streetview Gasômetro (12.05.2015)
Abb. 66
Google Earth Streetview Glicério (12.05.2015)
Abb. 67
Google Earth Streetview Glicério (12.05.2015)
Abb. 68
http://amrmc.blogspot.de/ (08.09.2015)
Abb. 69
https://www.facebook.com/CooperGlicerio (08.09.2015)
Abb. 70
https://www.facebook.com/CooperGlicerio (08.09.2015)
Abb. 71
Google Earth Streetview Gov. Abreu Sodré (12.05.2015)
Abb. 72
Google Earth Streetview Júlio de Mesquita Filho (12.05.2015)
Abb. 73
Google Earth Streetview Maestro Alberto Marino (12.05.2015)
Abb. 74
Google Earth Streetview Pref. Passos (12.05.2015)
Abb. 75
Google Earth Streetview Prof. Alberto Mesquita de Camargo (12.05.2015)
Abb. 76
eigenes Archiv
Abb. 77
Google Earth Streetview Rua do Bixiga (22.06.2015)
Abb. 78
eigenes Archiv
Abb. 79
Google Earth Streetview Rua Abolição (22.06.2015)
Abb. 80
eigenes Archiv
Abb. 81
Google Earth Streetview Rua Conselheiro Ramalho (22.06.2015)
132
Abb. 82
Google Earth Streetview Rua Japurá (22.06.2015)
Abb. 83
eigenes Archiv
Abb. 84
Google Earth Streetview Rua Jaceguaí (22.06.2015)
Abb. 85
Google Earth Streetview Rua Quatorze de Julho (22.06.2015)
Abb. 86
Google Earth Streetview (22.06.2015)
Abb. 87
Google Earth Streetview (22.06.2015)
Abb. 88
eigenes Archiv
Abb. 89
eigenes Archiv
Abb. 90
Google Earth Streetview Rua Maj. Diogo (22.06.2015)
Abb. 91
Google Earth Streetview Rua Maj. Diogo (22.06.2015)
Abb. 92
eigenes Archiv
Abb. 93
Google Earth Streetview Rua Rui Barbosa (22.06.2015)
Abb. 94
Google Earth Streetview Rua Santo Amaro (22.06.2015)
Abb. 95
eigenes Archiv
Abb. 96
eigenes Archiv
Abb. 97
Google Earth Streetview Lygia Jardim (22.06.2015)
Abb. 98
Google Earth Streetview Avenida Nove de Julho (22.06.2015)
Abb. 99
Google Earth Streetview Rua Maria José (22.06.2015)
Abb. 100
Google Earth Streetview Rua Maria José (22.06.2015)
Abb. 101
Google Earth Streetview Rua Abolição (22.06.2015)
Abb. 102
Google Earth Streetview Rua Santo Antônio (22.06.2015)
Abb. 103
Google Earth Streetview Rua Santo Amaro (22.06.2015)
Abb. 104
eigenes Archiv
Abb. 105
Google Earth Streetview Rua Rui Barbosa (22.06.2015)
Abb. 106
Google Earth Streetview Rua Santo Amaro (22.06.2015)
Abb. 107
eigenes Archiv
Abb. 108
Google Earth Streetview Rua Jaceguaí (22.06.2015)
Abb. 109
Google Earth Streetview Rua São Domingos (22.06.2015)
Abb. 110
Google Earth Streetview Rua São Domingos (22.06.2015)
Abb. 111
eigenes Archiv
Abb. 112
eigenes Archiv
Abb. 113
eigenes Archiv
Abb. 114
Google Earth Streetview Avenida Brigadeiro Luís Antônio (22.06.2015)
Abb. 115
eigenes Archiv
Beob: Alle weiteren Abbildungen dieser Arbeit wurden von der Autorin angefertigt!
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ANHANG Fl채chenberechnung unterhalb der Viadukte
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