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Monika Schwärzler, Vom Vergnügen und Ungenügen an Oberflächen

Monika Schwärzler

Die Suchsysteme des „Ewigen Archivs“ schlagen hauptsächlich bei Bildern und Textstücken aus der Medienwelt an und auch da sind sie selektiv. Taucht aber der Fund auf, so schließen sich die Archivtore unerbittlich über ihm. Es liegt Gefräßigkeit in diesem Mechanismus und auch Schonungslosigkeit. Siehe das Schlussdokument: Ein Freund des Archivars antizipiert die Situation, dass seine sehr persönliche Mitteilung im Archiv verschwinden wird.

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Als Bild des Archivs könnte der Raketensilo dienen, der sich zweimal in verzerrter Form unter dem Archivmaterial befindet. Er ist riesiges Loch, Öffnung, Stauraum in der Tiefe, kolossales Magazin, niemals von Hand ausgehobene Grube, tausend Meter unter dem Meeresspiegel angesiedelter Speicher. Für irdisches Kopulationsvermögen – siehe die dazu montierten Bilder von sexueller Penetration – ist dieses Gefäß eine Spur zu groß. Das würde Technik erfordern, „High Tech“.

Schlünde und Löcher – und Mundhöhlen. Plastikklammern, die Mundhöhlen auseinanderspannen. Durch diese Einwirkung gewaltsam freigegeben, ist ein erschreckendes Kiefer, in dem die von Paradontose befallenen Zähne wie aufgescheuchte Tiere liegen. Kiefer sind normalerweise nur partiell sichtbar, nie in dieser Weise visuell verfügbar. Der/die voyeuristische Betrachter/in hat sozusagen einen Plastikfuß in der Mundöffnung, kann seinen/ihren unsentimentalen Blick erproben, sich das Grauen und den Ekel abgewöhnen und in ein Inneres starren, dessen Schließmuskulatur wie in einer Versuchsanordnung gelähmt ist.

Mundhöhlen – und Brustkörbe. Brustkörbe leben davon, geschlossen zu sein und die Andeutung einer Höhle darunter genügt uns normalerweise vollkommen. Das Foto, auf das sich der Akquisiteur des Archivs versteift hat, wölbt dem/der Betrachter/in die geöffnete Brusthöhle entgegen. Man kann hineinschauen, sich sattsehen und seine Augen an das verbotene Dunkel dieser Höhle gewöhnen.

Mund, Auge, Nase, Sexualöffnungen fungieren in den Bildern des „Ewigen Archivs“ als Einstiegs- und Abstiegsmöglichkeiten. Von hier beginnt man seine Reise unter Tag, von hier seilt man sich ab. Der Meister des Archivs wird umgetrieben von der Sucht, dahinter zu kommen, unter die Oberfläche zu gelangen, in Schichten vorzustoßen, die sich der restlosen Symbolisierung durch Bilder und Worte vielleicht entziehen. Wie sieht es unter der Haut aus? Was kommt zum Vorschein, wenn Ekzeme und Geschwüre die Oberfläche zerfressen? Wann stößt man an Grenzen? – Das Archiv bedauert mitteilen zu müssen, dass es bei diesem unter die Haut gehenden Verfahren leider nur weitere Bilder, neue Oberflächen sicherstellen konnte.

In einem Text, den der Archivar an einen Baum in der Kärntnerstraße geheftet gefunden hat, spricht die unbekannte Autorin davon, daß sie wieder nicht „gelebt“, zum „Leben“ keine Kraft habe und nur das Notwendigste schaffe. Wie komme sie da raus? Die unter Anführungszeichen gesetzten Worte möchten aus dem Gefüge des Satzes herausfallen. Um das zu erleben, was die Anführungszeichen in eiserner Umklammerung halten, müsste man raus, nach oben, außen, auf und davon. Auf derselben Seite findet sich das Porträt von jemandem, der sein Gesicht direkt auf den Fotokopierer gelegt hat, um einen unverstellten Abdruck des Lebens zu erhalten. Mit Mühe entzifferbar ist das Fragment einer stark überbelichteten Nase. In viele der Fotos sind Inserts, d.h. kleine, meist runde Bildelemente eingelassen. Es ist dies ein Montageverfahren, das Tiefe suggeriert. Hinter der „vordergründigen“ Bildebene existiert noch eine zweite, die vielleicht den Einstieg zu einer dritten offenhält. Die entsprechenden Fotos scheinen von kunstvoll arrangierten Ausschlägen befallen, einer Art Immunschwäche der Oberfläche. Teilweise wirken die Inserts wie Brennpunkte, fokussieren das Geschehen, bringen es auf den Punkt, sind Kommentare aus dem Off einer dahinter- oder davorliegenden Ebene. So etwa sind in die Bilder von einer Brustuntersuchung Makroaufnahmen einer Gebärmutter eingelassen. Aus einer Warenanordnung von Beate-Uhse-Artikeln springen wie Inseln Inserts von Kussszenen vor.

Sind die Inserts einfärbig, wie in den Aufnahmen von den Bosnienkämpfern, so tritt der dünne Firnis-Charakter der Bilder überdeutlich hervor. Medienbilder sind hauchdünner Pixelauftrag auf einer Fläche und verdanken sich einem bloßen Anflug von Repräsentationswillen.

Mit den Inserts, die weite Teile des Bildmaterials mitstrukturieren, ist so etwas wie das Ungenügen an der Oberfläche zum Programm erhoben. Eine Parallele zur Wut und dem Frust Lucio Fontanas bietet sich an, der die Leinwände seiner Bilder deshalb perforierte und aufschlitzte, weil er sich einfach nicht mit der Zweidimensionalität der Fläche abfinden wollte.

„Pixelstorm über Asien“ – Breshnews Porträt zerstiebt in einem Wirbel von Bildpartikeln, der zugeordnete Text spricht von Verewigungspraktiken. Wenn sich Bilder rückwärts entwickeln und ihre imaginären Höhenlinien aufgeben, bleibt grenzenlose Flachheit zurück, keine Erhebung im Bildfeld, nichts, aus dem sich Monumente formen ließen.

Die im „Ewigen Archiv“ aufbereiteten Bilder sind schön, gleichzeitig aber wird Schönheit dort als Oberflächenphänomen und Inszenierungsform abgelegt. ARTE und das Gesicht von Miss Sarajewo könnten zusammenpassen. Auf der Seite, die ironisch mit ”form follows function“ kommentiert ist, sieht man von der Polizei sichergestellte Waffen, die in kunstvolle Anordnung gebracht wurden. Die Seite mit den Nachtaufnahmen von Bomberangriffen auf Bagdad und der dazumontierten Küchenmesserreklame ist schön. Hier ist ästhetische Wirkung sozusagen messerscharf kalkuliert. In Beispielen wie diesem ist man in den Zentralen des Archivs durchaus in Einklang mit der Oberflächlichkeit des schönen Scheins und praktiziert große Kunstfertigkeit in der Bilderzeugung.

Virtual Reality, ersehnter Zuwachs an Realität, fingerloses Drehen am Glücksrad, wird sicher eine mit unglaublichem Möglichkeitssinn begabte Virtual Triviality protegieren. Die Bildmembran über den Dingen schließt dann ihre Poren und Stiche ins Herz der Dinge fördern wunderschöne Gewebeproben in High Definition Colours zutage: weiteres Material für das „Ewige Archiv“.

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