E B O R P E S LE
KURT DIEMBERGE R Unterwegs zwischen Null und Achttausend Bilder aus meinem Leben
KURT DIEMBERGE R Unterwegs zwischen Null und Achttausend Bilder aus meinem Leben
AS Verlag
für Erik und Lucia für Igor und Georg für Karen und Hildegard für Ruby, Yancen, Jana . . . und alle, die da noch kommen!
Legende Frontispiz: Warum nur? Kurt auf dem Gipfel der Dent d’Hérens nach der Durchsteigung der Nordwand.
www.as-verlag.ch © AS Verlag & Buchkonzept AG, Zürich 2012 Gestaltung: Heinz von Arx, Urs Bolz, www.vonarxgrafik.ch, Zürich Lektorat: Karin Steinbach Tarnutzer, St. Gallen Druck: B & K Offsetdruck GmbH, Ottersweier Einband: Grossbuchbinderei Josef Spinner GmbH, Ottersweier ISBN 978-3-909111-92-3
Inhalt 6 7 12 18 26 32 40 56 66 86 91 96 100 104 112 122 126 134 144
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Die Seite Null Vorwort Die Alpen – extrem Auf geht’s! Großvaters Fahrrad, eine Krabbe im Wald und das Matterhorn Eine Schwäche für Nordwände Geschichten vom Mont Blanc Der Große Grat – und ein Salto mortale des Glücks Zu den höchsten Bergen der Welt Broad Peak – der Meilenstein mit Hermann Buhl Chogolisa – Erfüllung und Ende Tagebuchseiten vom Dhaulagiri Höher als der Adler fliegt – Neuland im Hindukusch Zwei Mann und neunzehn Lager – ein «Schubs» dem Alpinstil . . . Tirich West IV – im Irrgarten der Nordwand «Gnade der Götter»? – Masaaki und die Sonne Japans Was ein Stein erzählen kann Als Komet nach dem Westen Grand Canyon – Blättern im Buch der Zeit Meilensteine in Kalifornien Death Valley und White Mountains – im Reich der Überlebenskünstler Filmabenteuer am Orinoko Im Himmel über Tibet Shartse, der Zukunftstraum vom großen Grat Everest und Makalu – Geschenk der Götter im Zauberwald des Barun – das Spitzenjahr Ein neuer Aufbruch ins Ungewisse Gasherbrum, 8035 Meter – die Wende Shaksgam – die Bergwüste K2, der große Kristall – gefährlich, hypnotisch, tödlich Niemals aufgeben! Als Kameramann für die Wissenschaft Meine Berufe: ein Kaleidoskop Grönland – die Weisheit des Eisbergs «Nur die Geister der Luft wissen . . .» Begegnungen hinter den Bergen
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Wo bin ich daheim? Zu Hause zwischen nah und fern Berge unter den Sternen Epilog am Tupungato: Wie weiter? – die Formkraft
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Literatur- und Filmverzeichnis Dank, Bildnachweis
Broad Peak – der Meilenstein mit Hermann Buhl
Ein kleines Team für einen großen Berg – wird das Konzept sich bewähren? Im Uhrzeigersinn: Marcus Schmuck (Expeditionsleiter), Kurt Diemberger, Fritz Wintersteller, Hermann Buhl (bergsteigerischer Leiter – am Berg allen übergeordnet). Rechte Seite oben: Von jeder Seite sieht der Broad Peak anders aus. Vom K2 her gesehen gleicht er einem dreifach gezackten Drachenrücken (Broad Peak mit Nord-, Mittel- und Hauptgipfel). Rechte Seite unten: Der Broad Peak, der «breite Berg», gesehen vom Baltorogletscher; rechts der Hauptgipfel (8047 m) mit der scheinbar horizontalen Schneide, die den höchsten Punkt trägt. Über die schattige Westflanke führte unser Aufstieg.
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Hermann Buhl hat den Westalpenstil in den Himalaja verpflanzt. Reinhold Messner, 1976 Die Erstbesteigung des Broad Peak, so wie Buhl sie erdacht hatte – ohne Sauerstoffgeräte und Hochträgerhilfe, eben «wie in den Westalpen» –, sollte zum Markstein in der bergsteigerischen Geschichte des Himalaja werden. Nur vier Mann, die ohne Mitwirkung der Einheimischen selbst ihre Lasten den Berg emporschleppten und schließlich ohne Rückendeckung aus einem Basislager den Gipfel eines Achttausenders angingen, das war seit 1957 die Quintessenz eines neuen Stils, der am Broad Peak zum Erfolg geführt hatte. «Trage dich gesund und akklimatisiere dich dabei. Mit anderen Worten: Gewöhne dich an die Höhe, indem du deinen Rucksack so lang und so oft voll gefüllt den Berg hinaufschleppst, bis er dich nicht mehr drückt, du kein Kopfweh mehr hast und nicht mehr nach Luft schnappst. Dann bist du sicher in Bombenform!
Und die Lager stehen auch», so charakterisierte ich 1970 beim Schreiben meines ersten Buches unsere Unternehmung, bei der Hermann Buhl, Marcus Schmuck, Fritz Wintersteller und mir nach harter Arbeit und zweimaligem Anlauf die Erstbesteigung des Berges glückte. Viele junge Bergsteiger, die von einem Achttausendergipfel träumen, geringe finanzielle Mittel, großen Opfermut und Einsatzfreudigkeit haben, wählen auch heute noch diese Form einer Kleinexpedition. Nur wenige hingegen wagen den sogenannten «reinen Alpinstil», bei dem an die Stelle fixer Hochlager auch noch geplante Biwaks treten oder ein einziges mobiles Lager, das manchmal, je nach Auffassung des Zeltinsassen, ebenfalls als «Biwak» bezeichnet wird. Hermann Buhl und ich haben jedenfalls diese Technik bereits bei unserem Besteigungsversuch an der Chogolisa angewandt, und Messner/Habeler haben 1975 am Hidden Peak mehr als zwei Jahrzehnte später nichts anderes getan als wir. Freilich ersparte ihnen ein guter Stern den Wettersturz, der Hermann Buhl am Wechtengrat den Tod brachte. Es ist jedoch unsinnig, deshalb Hermann Buhls innovative Idee jemand anderem als ihm selbst zuzuschreiben! Auch der Erfolg am Broad Peak sollte uns nicht einfach in den Schoß fallen – abgesehen von wenigen Höhenmetern haben wir den Achttausender praktisch zweimal bestiegen! Ursache war die lang gezogene Gipfelschneide des «Breiten Berges», die von unten völlig waagrecht aussah. Welch ein Irrtum! Nachdem wir zu viert in harter Plackerei während gut zwei Wochen erst am steilen Westsporn, dann in einer mühsam erweiterten Wechtenhöhlung am Rande eines Hochplateaus und schliesslich auf einer Art «Adlerhorst» in der 3000 Meter hohen Flanke des Berges drei Hochlager eingerichtet haben, geht es am 29. Mai endlich dem vermeintlichen «Gipfel» entgegen. Von einer Scharte in 7800 Meter Höhe aus fehlen uns gerade noch etwa 200 Meter bis dorthin. Schneegirlanden, ein scharfkantiger, weißer Sporn, darüber nur noch der Himmel. Los! Hinauf! «Doch jeder Schritt fordert hier vier bis fünf Atemzüge, ein paar Kletterstellen verlangen das Letzte an Kraft, Meter um Meter zwingt der Wille
Lager 2 auf 6400 Metern in der Plateauwechte. Zwar ist es windgeschützt, doch Hermann flucht: ein Eisloch! Und allmählich senkt sich die Decke auf die Zelte herab. Lager 3, 6950 Meter, am «Adlerhorst» – mit Buhl, Schmuck und, am Horizont, dem Masherbrum. Unser Sturmlager war zweimal Ausgangspunkt für den Gipfelangriff.
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den Körper höher», erinnere ich mich. Hermann und Marcus sind zurückgeblieben, sie folgen Fritz und mir nur zögernd, haben nicht mehr die Überzeugung, dass der Gipfel so spät am Tag noch geht – es ist kurz vor 18 Uhr, und wir können uns kein Biwak auf 8000 Metern leisten! «Endlich! Im flachen Licht der Sonne sehen wir über einem steilen Schneehang dunkle Felsen gegen den Himmel stehen. Noch eine letzte Anstrengung – Fritz und ich stehen oben. Es geht wirklich nirgends mehr höher hinauf.» Gleich darauf wandelt sich das Gefühl der Erleichterung, es geschafft zu haben, in ungläubiges Staunen und Enttäuschung: «Vor uns senkt sich in sanften Schwüngen die Gipfelschneide des Broad Peak nach Süden, macht dann einen Bogen, und dort – dort steigt sie wieder an, wird höher
und höher. Weit draußen, wohl eine Stunde entfernt, taucht aus ziehenden Nebeln ein schimmerndes Dreieck heraus: der Gipfel! Er muss es sein. Er überragt uns vielleicht nur um 15 oder 20 Meter . . .» So enthüllen unberührte Gipfel manchmal die Wirklichkeit im letzten Augenblick. «Hinüber? Es ist zu spät! Aus der Tiefe steigt die Dämmerung. Wer jetzt da hinübergeht, kommt kaum mehr zurück.» Das war eine bittere Entdeckung – und in späteren Jahren hat so mancher an dieser Stelle beschlossen, auf den höchsten Punkt des Achttausenders zu verzichten. Auch wir diskutierten noch heftig im Basislager, ob es wert war, an diesem Berg ein zweites Mal höherzusteigen. «You have done it! 15 meters, that’s nothing . . . You have climbed the mountain!», ließ sich sogar Qader
Rechte Seite: Hermann Buhl zwischen den Riesenspalten des Kaberigletschers. «Gut in Form» und «alles mit Fahnen markiert» notierte
Nach dem Broad Peak lockten uns neue Ziele. Hermann Buhl wollte erst im Herbst in die Heimat zurückkehren. In Richtung zum fernen Baltoro Kangri (daneben der Kaberisattel) lagen nicht nur das «Himmelsdach» der Chogolisa, sondern auch der 7925 Meter hohe fantastische Gasherbrum IV, den Hermann für eine Expedition erkunden wollte. 58
Am nächsten Tag bleiben wir bis 10 Uhr im Schlafsack, dann kochen wir, bauen um 13 Uhr das Lager ab und ziehen weiter. Der Schnee ist knietief, und so lassen wir am Fuß des Firngrats – es ist der Südostgrat der Chogolisa – auf 6400 Metern ein Depot zurück. Dann geht es steil hinauf bis auf eine Gratschulter, hinter der wir auf 6700 Metern unser Zelt neuerlich aufstellen. Das Wetter ist schlecht, dafür funktioniert aber der Kocher gut. Also abwarten! Der nächste Tag bringt uns Sturm. Wir gehen trotzdem ein kurzes Stück in Richtung des namenlosen folgenden Gratgip-
er über diesen Aufstieg ins Notizbuch. Trotzdem wir unser «wanderndes Hochlager» auf dem Rücken trugen, bewältigten wir an diesem Tag 5 Kilometer und 1400 Höhenmeter.
fels, den schon der Herzog der Abruzzen und seine Führer bewältigten, aber der Sturm treibt uns bald zurück. Weiter abwarten. Doch gegen Abend reißt es plötzlich auf – durch den Zelteingang blicken wir hinüber auf den im Sonnenlicht leuchtenden Baltoro Kangri! Und schon hat Hermann eine neue Idee, für den Fall, dass uns nach der Chogolisa noch genügend Verpflegung bleibt . . . Wir beeilen uns, alles für den Gipfelgang zu packen, denn morgen gehört uns wohl die Chogolisa! Morgen, am 27. Juni . . .
Ernst Saxer und Emil Wick, unsere beiden Piloten, begutachten den Motor der Pilatus Porter. Im Nordostcol des Dhaulagiri (5750 m): Ernst Forrer, Georg Hajdukiewicz, Max Eiselin, Peter Diener und (stehend) Albin Schelbert, mehr als einen Monat nach der ersten Landung in der nun ausgebauten Hochbasis. Rechte Seite oben: Unser sehnlichst erwarteter «Gletschervogel» ist abgestürzt. Am 5. Mai ereilte ihn sein Schicksal beim Start vom Akklimatisierungslager. Rechte Seite unten: Lager für die Höhenanpassung im Schneesattel des Dambush (Dapa) Col (5200 m). Unweit davon liegen noch heute Wrackteile des «Yeti». Im Hintergrund die Gipfel der Nilgiri und der Annapurna.
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Vom Biwaklager bis hierher haben wir rund 4 Stunden gebraucht. Nun ist es Mittag. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Wir machen Gipfelbilder, legen uns zeitweise in die Sonne, strecken die Glieder auf unserem braungrauen Horst mitten in den Wolken, die nun erheblich in Bewegung geraten sind. Oft sehen wir nichts als uns selbst, das Weiß rundum und oben den blauen Himmel mit den hochschießenden Wolkenpilzen. Das Wetter ist angenehm, nicht kalt, man hat das Gefühl, hier ewig bleiben zu können. Und zu schauen . . . Denn immer wieder geben die Wolkenburgen den Blick frei auf Franzosenpass, Tukucha Peak, Nordostcol und auf den jenseitigen Teil unseres Gipfelkamms, auf viele Buckel hintereinander, dorthin wo irgendwo einst Gerhard Watzl und seine Gefährten von der Expedition der Argentinier sich dem Ziel bereits nahe wähnten und doch, über Nacht vom Schlechtwetter überrascht, zur Tiefe flüchten mussten. Apropos Rückweg, einige Tausend Meter unter uns grollt irgendwo ein Gewitter! 84
Als wir plötzlich ein schmerzhaftes Prickeln wie Hunderte von Nadelstichen auf der Kopfhaut spüren, begreifen wir, dass auch hier oben die Luft voller Elektrizität ist, und treten schleunigst den Abstieg an. Zehn Tage später erreichten auch Michel Vaucher und Hugo Weber den Gipfel. Sie brachen sogar vom vorletzten Lager auf, doch unser «Schnippchen-Lager» auf 7800 Metern, mit dem wir gedacht hatten, dem täglichen Wetterumschlag vor dem Erreichen des Gipfels zu entkommen, diente ihnen wenigstens für die folgende Nacht. Von unserem bunten «Yeti», der uns in das seltsame Abenteuer am Weißen Berg hineingetragen hat, ist heute nicht mehr viel zu sehen. Manchmal findet noch ein Trekker etwas von ihm am Rande des «Unbekannten Tals». Mir hat einmal jemand ein gelb-rot gestreiftes verblichenes Stück, nicht größer als ein Lesezeichen, von dort mitgebracht. Es hängt vor mir an der Wand, während ich schreibe.
13. Mai 1960: Der Gipfel des Dhaulagiri gehört uns! Kurt, Albin, Nawang und Nima, Ernst und Peter (die letzteren nicht im Bild) feiern zwischen Sonne und Wolken den großen Erfolg. Das «Hagen-Foto» in der Brusttasche hat mir bis zuletzt den Weg gewiesen. Zwei Sherpanis mit Kurt, immer zu Späßen aufgelegt!
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Dertona Peak
«Das tägliche Brot»: Hayat ud Din wartet auf seinen Tschapati.
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kam ein Auto. Ein Lkw, bedeckt mit Ornamenten in allen Farben, hielt an. Er erschien uns wie ein Retter aus Tausendundeiner Nacht. Sein Lenker nahm uns mit, und während unser «Murl» bei der brausenden Fahrt, die nun folgte, 300 Kilometer lang auf dem Lkw hin und her taumelte, verzog Herwig Mundwinkel samt Bart und rief, in Abwandlung seines beliebten Spruches: «Wir werden den Hindukusch erreichen!» Von der Heimat sagte er diesmal kein Wort.
Hayat ud Din war blond und blauäugig, ein Bergbauer aus Shagrom-Tirich, dem letzten Dorf auf unserem langen Weg durch Chitral. Er war hilfsbereit, freundlich, hatte einen offenen Charakter – mit einem Wort, er war uns sympathisch, und als er nach dem Anmarsch mit einer Handvoll Trägern, die uns aus seinem Dorf ins Basislager begleiteten, bereit war, noch zu bleiben, sagten wir mit Freuden Ja. Wir hatten unsere beiden Zelte in einem geräumigen Talkessel nördlich eines namenlosen Gipfels aufgestellt, der auf der primitiven Kartenskizze, die wir hatten, mit 7056 Metern angegeben war. Ein Siebentausender? Später stellte sich heraus, dass sich die indischen Geometer um rund 1000 Fuß geirrt hatten – nicht das einzige Mal im Hindukusch. Jedenfalls gehörte der hohe weiße Berg zum Massiv des Tirich Mir, und so tauften wir ihn nach der Erstbesteigung auf «Tirich Nord». Heute hat er die Quote 6732 Meter. Die steile und schwierige Route über den rund 1500 Meter hohen Granitpfeiler mit seinen Eisfeldern verlangte mir, Herwig und Franz in harten zehn Tagen alles ab. Mit Tona waren wir in dieser Zeit nur über Blinkzeichen mit der Taschenlampe in Verbindung. Apropos – wo kam plötzlich Franz her? Er war uns bis Peshawar nachgeflogen und hatte sich dann auf den Weg nach Norden gemacht. Der Treffpunkt lautete schlicht: Oberer Tirichgletscher und dann laut schreien! Franz war ziemlich heiser, als er uns endlich gefunden hatte. Aber – was wir ihm hoch anrechneten – die riesige Cognacflasche, die er versprochen hatte mitzubringen, war noch unberührt. Vier zum Tirich Mir – so hatte sich das Kleeblatt endlich gefunden. Doch ich will nun vom weißen Gipfelkranz des Ghul Lasht Zom erzählen! Was dieser einheimische Name aussagt, haben wir nie erfahren, sicher ist nur, dass «Zom» Gipfel bedeutet. Vor uns hatte nur Reginald Schomberg in den Dreißigerjahren das Gebiet geografisch erkundet, und bergsteigerisch gesehen waren wir gewiss Pioniere. Mit Ausnahme weniger Berge mit einheimischen Namen, wie etwa auch des Istor-o-Nal (in dem das Wort Hufeisen steckt), konnte man erreichte Gipfel also
Tona auf dem Gipfel ihres Berges, 6100 Meter hoch. Kurt, Franz, Herwig im Basislager der ersten Hindukusch-Kundfahrt. Rund herum unbestiegene Gipfel! Franz war Kurts Gefährte am Peutereygrat des Mont Blanc. Jetzt geht es hÜher hinauf. Einzige Verbindung vom Basecamp nach oben zum Berg: Lichtsignale mit der Taschenlampe!
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Linke Seite: Zwei Mann und neunzehn Lager – unser Hindukusch-Stil bewährt sich! Dietmar Proske – «Didi» – beim Umsiedeln für das nächste Lager. Büßereis und Siebentausender. Mehrere Wochen Schönwetter haben ihre Wirkung gezeigt. Die einzige Skiabfahrt wird schwierig, auch der Übergang nach Gazikistan. Hinter Didi der Nobaisum Zom alias P. 6999 und der Istor-o-Nal (7403 m). Im ganzen Bereich des Oberen Tirichgletschers hatten wir nach und nach unsere Stützpunkte angelegt.
kompletten Umrundung des Tirich Mir, waren wir betroffen, dort im afghanischen Grenzgebiet keinem Menschen zu begegnen. Ein kaum erkennbarer Jäger- oder Schmugglerpfad (wie wir später erfuhren: für Lapislazuli) war alles. Damit hatten wir nicht gerechnet – und fürchterlicher Hunger begann uns zu quälen! Ein paar wilde Beeren und Wasser war alles, was wir schließlich hatten. Halb benommen tappten wir den Pfad entlang. Dann plötzlich . . . Ich werde den Augenblick nie vergessen und habe die Begegnung in meinem alten Buch «Gipfel und Geheimnisse» beschrieben: Es war wie die Rückkehr zur Mutter Erde – und wie ein Märchen: Zuerst standen auf dem Pfad nur ein Bub und ein Mädchen und staunten uns aus großen Augen an, dann eilte ein bärtiger Mann herbei, deutete fragend dahin, woher wir gekommen waren,
und schüttelte den Kopf, aber seine Verwunderung über unser «bisi Tirich Mir» wich rascher Herzlichkeit, als wir «Tschapati» sagten; er schlug uns auf die Schultern und brachte uns eilends zu seiner Hütte. Wir saßen im Gras unter ein paar hohen Bäumen, deren Zweige sich bogen und durch deren Blätter der Wind rauschte. Ein Alter tauchte auf, und eine Frau mit einem kleinen Kind kam und sah uns aus wundervoll klaren Augen an, ehe sie verschwand, wohl um uns die Tschapatis zu bereiten. Wir waren wie verzaubert, es erschien uns alles als ein Wunder. Und der Alte nahm einen uralten Vorderlader mit Lunte vom Baum und erklärte uns mit vielen Worten und Gesten, wie er damit in Gazikistan einen Steinbock zur Strecke brächte. Am nächsten Tag kam er als Träger mit uns. Doch nun will ich vom «Bisi Tirich Mir» erzählen, einem unserer Abenteuer in dieser Bergwelt.
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Begegnung im Arkarital nach dem Abstieg ins Gazikistan: Die ersten Menschen erscheinen uns wie die Rückkehr zur Mutter Erde! Der Steinbockjäger
erklärt Didi seinen Vorderlader mit Lunte, ein Felsblock reicht als Tisch für den Tschapati-Teig . . . Wir sind glücklich und werden gastfreundlich gefüttert.