Wander ABC Schweiz

Page 1

Peter Krebs

WANDERABC Schweiz

Von A wie Abenteuer bis Z wie Zahnradbahn




Wir danken Weitwandern und Victorinox für die Unterstützung.

www.weitwandern.ch

www.as-verlag.ch © AS Verlag & Buchkonzept AG, Zürich 2015 Gestaltung und Herstellung: AS Verlag, Urs Bolz, Zürich Korrektorat: Pablo Egger, Speicher Druck und Einband: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell ISBN 978-3-906055-36-7


WANDERABC Schweiz

Peter Krebs

AS Verlag



SECHSUNDZWANZIG WEGE INS GLÜCK

Gehen macht glücklich. Das erfahre ich selber oft. Und es war die Motivation zum Verfassen dieses Buchs: mit dem Ziel, eine breite und unterhaltsame Sammlung von Wissenswertem über das Wandern zu schaffen, über das Spazieren, das Gehen und die Gehilfen, über die Schweiz und alles, was sie mit dem Wandern verbindet. Die 26 Kapitel befassen sich mit je einem Haupt- und einem Nebenschauplatz des Wanderns. Zustände und Gegenstände wie Abenteuer, Cervelat, Lieder, Hüte, Edelweiss, Absinth, Schulreisen oder Ortsnamen werden behandelt. Die Leser erfahren, wie Guillaume-Henri Dufour die Schweiz rettete und gleichzeitig ein Kartenwerk schuf, das weltweit Massstäbe setzte – oder wie der Wanderstock ausser Mode kam und Jahre später als Doppelstock wieder auferstand. Zu jedem Buchstaben gibt es einen Wandervorschlag. Es sind 26 teils wenig begangene Routen aus allen Regionen der Schweiz. Sie sind technisch meist wenig anspruchsvoll. Einzelne erstrecken sich über mehrere Tagesetappen. Ich habe sie in meiner Tätigkeit als Reisejournalist oder auch privat geplant, erkundet und als besonders schön, lohnend und attraktiv befunden. Übersichtliche Karten sowie nützliche Informationen helfen den Wanderlustigen, die die Routen selber erleben wollen, auf die Sprünge. So ist das ABC ein Nachschlagwerk voller Vorschläge, ein Buch zum Schmökern, Vorlesen, Schenken, zum Nachdenken und Schmunzeln. Wer es gelesen hat, sieht das Wandern vielleicht mit anderen Augen. Es ist mehr als eine sympathische und beliebte Freizeitbeschäftigung. Wandern kann das Leben bereichern und ist ein Kulturgut mit grosser Vergangenheit und Zukunft. Diese Zukunft ist aber getrübt. Die fortschreitende Asphaltierung hat viele Kilometer schönster Wanderwege entwertet und zerstört. Auch auf diesen Zusammenhang geht das Buch ein – und es gibt Rezepte für eine Besserung der Situation. Das Wander-ABC lädt zum Mitgehen ein. Es richtet sich an alle einheimischen und fremden Wandersleute, die gerne Unbekanntes entdecken und den Horizont erweitern wollen. Denn Gehen, man weiss es seit der Antike, macht nebst glücklich auch ein wenig klug.

VORWORT l 7


INHALT

18 A – Kein schnelles Abenteuer Viel Eisen am Berg . 23 Wanderung: Diavolezza – Alp Grüm . 24 26 B – Barfuss, die Schuhe um den Hals Die «Königsdisziplin im Mentalbereich» . 30 Wanderung: Krummenau – Speer – Ebnat-Kappel . 31 34 C – Cervelat, des Schweizers liebste Wurst Einfache und festliche Menüs . 39 Wanderung: Olten – Belchenfluh – Hägendorf . 40 42 D - Dichten und Wandern Lachend auf euch niederschauen . 46 Wanderung: Innereriz – Niederhorn . 47 50 E – Ein Edelweiss für die Liebe und den Magen Eine vielseitige Blume . 53 Wanderung: Durch das Maderanertal . 54 56 F – Die Feldflasche ist politisch neutral Gefährlicher Schnaps macht Karriere . 60 Wanderung: Poëtta Raisse – Chasseron . 61 64 G – Gehen macht glücklich Rennen statt gehen in den Bergen . 69 Wanderung: Pilatus – Schimbrig – Flühli . 70 72 H – Die Schirmherrschaft des Huts Der gute Wanderhut . 77 Wanderung: Altdorf – Kinzigpass – Bisistal . 78 80 I – Die besten Ideen Leben statt parkieren . 83 Wanderung: Hoher Kasten – Wildhaus . 84 86 J – Richtiger Weg zum falschen Jakob Die Schweizer Jakobswege 90 Wanderung: Guarda – Scalettapass – Davos . 91 94 K – Die vorzüglichste Karte der Welt Die Landeskarte in digitaler Zeit . 98 Wanderung: Murten – Cudrefin . 99 102 L – Landjäger treten immer paarweise auf Der Landjäger in der Küche . 106 Wanderung: Escholzmatt – Napf – Eriswil . 107 110 M – Marschieren im Klassenverband Wandern mit Kindern geht – anders . 114 Wanderung: Sihlwald – Albis – Uetliberg . 115 8 l INHALT


118 N – Harte Zeiten für Naturwege Ein Denkmal für Docteur Goudron . 123 Wanderung: Gabi – Gattascosa – Domodossola . 124 126 O – Outdoor zu Hause Wanderlust, help us to be free . 130 Wanderung: Über den Surenenpass . 131 134 P – Spaziergänger und Promenadologen Die Gesundheit ist ein Spaziergang . 138 Wanderung: Zihlkanal – Petersinsel – Biel . 139 142 Q – Eine neue Qualität des Wanderns So retten wir die Wanderwege . 147 Wanderung: Grellingen – Kleinlützel . 148 150 R – Ein Rucksack voller Geschichten Schwere Lasten . 154 Wanderung: Monte Lema – Monte Tamaro . 155 158 S – Das Klappern der Stöcke Die Vor- und Nachteile der Gehhilfen . 162 Wanderung: Morgetepass – Stockhorn . 163 166 T – So kam das Taschenmesser in die Schweiz Ein Gerät mit vielen Funktionen . 169 Wanderung: Euthal – Mythen – Schwyz . 170 172 U – Unser Leben gleicht der Reise Alkoholfreie Jugendwanderungen . 176 Wanderung: Fellital – Oberalp – Acquacalda . 177 180 V – Vergessene Wörter und Gangarten Zeiten und Strecken . 184 Wanderung: Sunnbüel – Engstligenalp . 186 188 W – Wildromantische Täler hautnah Das Wandermotiv und die blaue Blume . 192 Wanderung: La Ferrière – Goumois . 193 196 X – Die Suche nach dem Faktor X Freier Zutritt in den Wald . 199 Wanderung: Les Brenets – Biaufond . 200 202 Y – Zwischen Yverdon und Iferten Die alten Namen noch . 206 Wanderung: Durch das Galterntal . 208 210 Z – Zahnradbahnen erobern die Vertikale Freies Wandern mit den Bergbahnen . 216 Wanderung: Urmiberg – Rigi Kulm . 217 INHALT l 9


R채misgummen im Emmental. Legende



A KEIN SCHNELLES ABENTEUER


Das Wort Abenteuer geht auf das Lateinische ad-venire zurück: das was sich ereignen wird. Das weiss man nicht im Voraus. Wahre Abenteuer sind ein Risiko. Sie können schief gehen. Neben Mut erfordern sie Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit. «Wer Abenteuer sucht, findet nicht immer das Angenehme», schrieb Miguel de Cervantes (1547–1616), der Verfasser des Don Quijote. Dieser ebenso törichte wie liebenswürdige Romanheld, der «Ritter von der traurigen Gestalt», fühlte sich nach der Lektüre von Ritterliteratur zu Abenteuern und edlen Unternehmungen im Dienst seiner Dulcinea berufen. Weil die Welt allerdings nur selten die Gelegenheit zu Heldentaten bietet, bildete er sie sich der Einfachheit halber ein. Er kämpfte gegen Windmühlen und hielt sie für ein Heer von Riesen. Cervantes führte selber ein abenteuerliches Leben. Er studierte Theologie, diente in der spanischen Marine, wurde 1575 gefangen genommen und als Sklave nach Algier verschleppt. Später war er Steuereintrei- Wer Abenteuer sucht, ber und soll Gelder veruntreut haben. Der findet nicht immer das 1605 veröffentlichte Don Quijote gilt als Angenehme. erster moderner Roman der Weltliteratur. Cervantes schrieb ihn teils im Gefängnis. Er brachte ihm Erfolg und Wohlstand. Aber der Autor verlor das Geld wieder und starb als armer Mann in Madrid. «Das Abenteuer hat im Unterschied zu den anderen Lebensinhalten Anfang und Ende», schrieb der deutsche Philosoph Georg Simmel (1858–1918). Reisen und Abenteuer (laut Duden ein «prickelndes Erlebnis; gewagtes Unternehmen») hängen von alters her eng zusammen. Auf Reisen verliess man das sichere Zuhause, die gewohnte Umgebung und wählte das Ungewisse, die Gefahr, aber auch die Freiheit, die Aussicht, dem Alltagstrott zu entkommen, Neues zu entdecken, ein ereignisreiches Leben zu führen. Viele grosse Abenteurer waren grosse Reisende. Das trifft auf die fiktiven Helden der Literatur wie Odysseus, Don Quijote, Simplicius Simplicissimus und Robinson Crusoe ebenso zu wie auf die Seefahrer, die neue Kontinente entdeckten, oder auf Forschungsreisende wie Alexander von Humboldt und Horace Bénédict de Saussure, denen die Menschheit die Kenntnis von zuvor unbekannten Weltgegenden, Naturgesetzen, Pflanzenarten und Tieren verdankt. A – ABENTEUER l 19


Im Zeitalter der Billigflüge und der Pauschalarrangements ist das Reisen kein Abenteuer mehr, auch wenn es ans andere Ende der Welt führt. Denn dort wartet im Allgemeinen kein fesselnder und gefahrenreicher Ort, sondern das Resort. Wer in der Freizeit auf ein Abenteuer aus ist, hat dennoch die Qual der Wahl. Abenteuer aller Art sind im Reisebüro zu haben und online buchbar. Eine ganze Industrie erfüllt die Wünsche abenteuerlustiger Gäste und macht damit gute Geschäfte. Reisen, Wanderungen, Bungee-Jumping, Gleitschirmflüge, Riverrafting oder Paintball (für 65 Franken die Stunde) werden als Abenteuer angepriesen. Man kann sie teils in eigens eingerichteten Abenteuerparks betreiben. Der Fun Forest Park in Crans-Montana etwa verspricht «Abenteuer in den Bäumen für die ganze Familie», wobei man zwischen fünf Seilparcours mit lustigen Namen wählen darf: Bibi, Junior, Discovery, Fun und Diabolo. Eine besondere Sparte sind die Liebesabenteuer. Auch sie, so stellen die spezialisierten Dienste in Aussicht, lassen sich, wenn auch nicht gratis, per Mausklick organisieren. Man muss dazu bloss die richtige Rubrik anklicken: Auf der Skala der Partneragenturen liegt das Abenteuer zwischen der ernsthaften Beziehung und dem Flirt. Wie hoch im Kurs Abenteuer sind, zeigt sich an der grosszügigen Verwendung des Begriffs. Er soll die Beschäftigung mit Dingen als spannend erscheinen lassen, die sonst nicht unbedingt ein übertrieben prickelndes Gefühl hervorrufen. So findet man in Druckerzeugnissen und im Internet Wortkombinationen wie Abenteuer Garten, Abenteuer Diagnose, Abenteuer Turnhalle, Abenteuer Markusevangelium. Der Umgang mit der Vokabel ist manchmal abenteuerlich. In einer Welt, in der die Sicherheit grossgeschrieben wird und durch zahlreiche Vorschriften geregelt ist, scheint die Lust auf Abenteuer zu wachsen. Allerdings, so geben Fachleute zu bedenken, handelt es sich bei den kommerziellen Angeboten meist um Scheinabenteuer, denen die wichtigsten Ingredienzen eines wirklichen Abenteuers abgehen. Die Veranstalter sorgen für eine sichere Abwicklung ihrer von A bis Z durchgeplanten Programme. Die Teilnehmer spielen eine passive Konsumentenrolle mit wenig Eigenverantwortung und Einfluss auf den Gang der Dinge; gegen Risiken können sie sich versichern lassen Klettersteig La Resgia bei Pontresina. 20 l A – ABENTEUER



und schlimmstenfalls Schadenersatz fordern. Der deutsche Pädagoge und Wagnisforscher Siegbert A. Warwitz spricht von «Be-abenteuerten». Im Unterschied dazu nehmen echte Abenteurer das Heft des Handelns selber in die Hand, es kann ihnen aber auch entgleiten. Doch wie steht es mit dem Verhältnis zwischen dem Wandern und dem Abenteuer? Wandern ist im Vergleich zu den Risikosportarten eher eine kontemplative Tätigkeit, und die Wandersleute gelten nicht als Inbegriff von Abenteurern. Jedoch kann eine Wanderung durchaus zu einem gewagten Unternehmen werden: wenn man den Weg verpasst, sich zu viel vorgenommen hat, das Wetter umschlägt, der Tee in der Flasche an einem heissen Tag in einer trockenen Gegend ausgeht, wenn die Unterkunft, die man anpeilte, geschlossen ist. Die Wahrscheinlichkeit, mit der so etwas eintrifft, hängt davon ab, wie man die Wanderung gestaltet, welche Gegend und welchen Schwierigkeitsgrad man wählt, ob man die Tour peinlich genau durchorganisiert oder einfach mal loszieht, ohne schon zu wissen, wo man am Abend landen wird. Man kann Ungewissheit und Risiko auch einkalkulieren. Aber eine Wanderung muss kein Abenteuer sein, damit sie sich lohnt. Es reicht aus, wenn sie ein intensives, schönes Erlebnis ist. Der Reiz hat dann weniger mit dem Bestehen von Gefahren zu tun und mehr mit dem Genuss der Natur, des sich Bewegens an der frischen Luft, mit dem Kennenlernen von Bergen, Burgen und Beizen, mit dem Unterwegssein in einer Gruppe oder allein, mit der wohligen Müdigkeit am Abend. Wandern hat eine Metaebene. Sie erschliesst sich erst mit der Zeit und wenn man es intensiver betreibt. Man stellt dann fest, wie das Erwandern der Welt zu einer Reise nach innen wird. Wandern schafft bleibende Eindrücke und sorgt für Erlebnisse, die zu Erinnerungen reifen wie guter Wein. Es bereichert das Leben und wird selber Teil davon. Auf der Skala der Freizeitaktivitäten ist Wandern kein schnelles Abenteuer, sondern eine lange, ernsthafte und intensive Beziehung. Es kann sein, dass man ihr hin und wieder untreu wird, indem man sich auf eine hübsche Velotour einlässt, aber man kehrt immer zurück, weil man das langsame Gehen schnell vermisst. «Drum wandre ich, so lang ich kann, und schwenke meinen Hut», wie es in einem bekannten Wanderlied heisst. 22 l A – ABENTEUER


VIEL EISEN AM BERG Echte Alpinisten belächeln die Klettersteige, die mit viel Eisen und Drahtseilen gesichert sind (weshalb sie auch Vie Ferrate genannt werden). Doch erlauben sie alpinistisch weniger Versierten ein Klettererlebnis samt Schwindelgefühl. Einige Steige lassen sich in eine Wanderung einbauen; die einfacheren sind mit Kindern begehbar. Sie sind jedoch nicht bloss harmloser «Fun», sondern eine wirkliche Herausforderung mit echten Gefahren. Es gibt sie in allen Schwierigkeitsgraden. Die Anspruchsvolleren sind nur für sehr erfahrene Berggänger geeignet. In der Schweiz wurde die erste Via Ferrata 1993 am Tällistock im Berner Oberland eröffnet. Die rund 600 m lange Strecke zeigt, mit wie viel Aufwand die Konstruktion verbunden ist. Am Tällistock hat man 550 Stifte einbetoniert, 78 Meter Leitern und viele Fixseile sorgen für einen sicheren Aufstieg. Dazu braucht es die entsprechende Ausrüstung. Neben dem Steinschlaghelm gehört ein spezieller Klettergurt mit Bandschlaufen und Karabiner dazu, die sich in die Seile einhängen lassen. Seit 1993 schiessen die Eisenwege wie Pilze aus dem Fels. Sie werden mit stetig neuen und auffälligen Elementen wie Hängebrücken und Tyroliennes ausgestattet. Das hat für Kritik gesorgt, weil sie mit dazu beitrugen, die Alpen zur Sportarena umzufunktionieren.

In der 2007 vom SAC angeregten Charta von Engelberg erachten die interessierten Kreise «eine maximale Anzahl von rund 100 Klettersteigen» als angebracht. Sie sollen ausschliesslich in touristisch bereits erschlossenen Gebieten angelegt werden. Diese Anzahl dürfte nahezu erreicht sein. Als besonders originell gilt eine Anlage an der Pérolles-Brücke in der Stadt Freiburg. Zwei der mächtigen Pfeiler sind mit künstlichen Klettergriffen ausgerüstet. Es handelt sich also nicht um eine Via Ferrata, sondern um eine besonders hohe Kletterwand. Weitere Informationen: www. myswitzerland.com/klettersteige A – ABENTEUER l 23


HOCHALPINE AUSSICHTEN DIAVOLEZZA – ALP GRÜM Der Blick von der Diavolezza zur vergletscherten Bernina-Gruppe, den höchsten Gipfeln der Ostalpen, gilt als einer der schönsten weit und breit. Die Wanderung vom Engadin ins Puschlav baut dieses Panorama mitsamt einem Abenteuer ein: dem Klettersteig am Piz Trovat. Der Piz Trovat, der «gefundene Gipfel», steht südlich des verlorenen Bergs, des Munt Pers. Dazwischen thront die Diavolezza. Wir erreichen sie über einen schönen Aufstieg vom hohen Talboden aus. Der Klettersteig bietet weitere grossartige Ausblicke. Der Einstieg erfolgt von der Diavolezza aus, wohin man auch zurückkehrt, auf der Terrasse ein Sonnenbad nimmt oder auf den Munt Pers (3207 m, 1 ¼ h) alpin spaziert und wo man die Nacht verbringt. Der nächste Tag wartet tiefer unten mit landschaftlichen Höhepunkten auf. Am Ende steht der Blick von der Alp Grüm auf den Palügletscher und hinunter ins Puschlav. Ausblick von der Alp Grüm auf den Palügletscher.

24 l A – ABENTEUER


Bernina Diavolezza

Lej Nair Diavolezza

Ospizio Bernina Piz Trovat

Lago Bianco

Sassal Mason Piz Bernina Piz Palü

N

0

750 1500m

Start Bahnhof Bernina Diavolezza Ziel Bahnhof Alp Grüm Charakter Alpine Zweitageswanderung für geübte Wanderer und Alpinwanderer. Route 1. Tag: Reservieren des Klettersteigmaterials in der Talstation (Tel. 081 839 39 39), die es auf Wunsch nach oben schickt. Es wird in der Bergstation bezahlt und zurückgegeben. Aufstieg zu Fuss von der Talstation (2098 m) via Lej Diavolezza zur Diavolezza (2973 m), oder per Luftseilbahn. Einstieg in den Klettersteig mit zwei Schwierigkeitsgraden. Trovat I gilt als relativ einfach, setzt aber Bergerfahrung und Schwindelfreiheit voraus (K2-3); Trovat II ist sehr anspruchsvoll mit überhängenden Passagen (K5-6). Aufstieg auf den Piz Trovat (3146 m),

Lagh da Palü

Alp Grüm

Cavaglia

Rückkehr zur Diavolezza. Übernachten im Berghaus (www.diavolezza.ch). 2. Tag: Abstieg via Lej d’Arlas zum Lej Pitschen. Entlang des Lago Bianco (linke oder rechte Seite) zum Sassal Mason (Restaurant, schöne Aussicht) und zur Alp Grüm (www.alpgruem.ch). Evtl. weiterer Abstieg ins Puschlav bis zur Station Cavaglia. Karten LK 1:50 000, 268 T Julierpass; 269 T Berninapass Wanderzeit 1. Tag: Total 5 ½–6 h (Aufstieg 3 h; Klettersteig 2 ½–3 h); 2. Tag: 3 ¾ h bis Alp Grüm, plus 1 h bis Cavaglia. Anstieg 1. Tag: 1240 m inkl. Klettersteig (280 m); 2.Tag: 220 m. Beste Jahreszeit Ende Juni bis Ende September (Öffnungsdauer Klettersteig).

A – ABENTEUER l 25


R EIN RUCKSACK VOLLER GESCHICHTEN

150 l 0 – KAPITEL


Um 2800 v.Chr. beging ein Jäger das Schnidejoch, einen 2756 m hohen Übergang zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis. Kurz vor der Passhöhe muss er verunfallt oder angegriffen worden sein. Was geschah, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Der Mann selber ist verschwunden, nur seine Ausrüstung blieb zurück. Der Gletscher hat sie verschluckt und konserviert. Kelten, Römer, das Mittelalter, die Aufklärung zogen seither ins Land und verliessen es wieder. Im Hitzesommer 2003, nach nahezu 5000 Jahren, gab das Eis die Gegenstände frei: im Erdölzeitalter, das die Gletscher angreift und dessen Ende noch bevorsteht. Für die Archäologen war der Fund eine Sensation. Der Steinzeitmensch trug Schuhe und Beinkleider aus Ziegenleder und auf dem Rücken ein langes, schlankes Futteral aus Birkenrinde, die er kunstfertig um einen In dichten Wäldern und Holzrahmen gewickelt hatte. Darin ver- im kupierten Gelände ist es sorgte er seine Pfeile und den Bogen. Das von Vorteil, die Lasten Futteral illustriert, wie früh die Menschen auf Schultern und Rücken in den Alpen Behälter nutzten, die sie auf zu legen. dem Rücken trugen. Der Fund am Schnidejoch ist nicht das älteste Zeugnis dieser Methode. Der berühmte Ötzi, der 500 Jahre zuvor in den Ostalpen unterwegs war, besass ein Holztraggerüst, an dem er wahrscheinlich einen Fellsack befestigt hatte. Das Tragen von Waren auf dem Kopf ist elegant und fördert den aufrechten Gang, eignet sich jedoch nur für ebene und freie Landstriche. In dichten Wäldern und im kupierten Gelände ist es von Vorteil, die Lasten auf Schultern und Rücken zu legen. Dadurch bleibt der Naturmensch beweglich. Er kann sich an die Beute oder den Feind heranpirschen und hat die Hände frei zum Gebrauch der Waffen, des Hirtenstocks oder zum Klettern in den Felsen. Denn die Berge, so schreibt der Archäologische Dienst des Kantons Bern, waren «weder Barriere noch no man’s land, sondern Nutzungsraum für Jäger und Hirten». Seit der Jungsteinzeit, in deren Verlauf die Menschen vom nomadischen zum sesshaften Leben übergingen (Fachleute nennen diesen Vorgang neolithische Revolution), gerieten die Traggeräte wohl nie in Vergessenheit. Bauern und Händler fertigten Rahmen aus Holz an, um ihr Gut ans Ziel zu bringen. Im Alpenraum dienten Räfs, Hutten und Chräzen zum Befördern von Butter, Käse und Hühnern. Wann R – RUCKSACK l 151


Die Expedition von de Saussure: mit Hutten und Räfs auf den Montblanc.

der Rucksack erfunden wurde, ist unklar. Das Wort «Ruggsack» ist 1551 erstmals in einem schweizerischen Wörterbuch festgehalten. Laut dem Duden erlangte es aber «erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Alpenländern ausgehend gemeinsprachliche Geltung». Der Tornister, auch Ranzen genannt, ist ein Zwitter zwischen Räf und Rucksack. Er war bis Mitte des letzten Jahrhunderts in vielen Armeen in Gebrauch, auch in der Schweizer Armee. Er bestand aus einem mit Kuhfell bespannten und mit Tragriemen bestückten Holzgerüst. Im Volksmund hiess der rechteckige Behälter wegen des meist braunen Fells «Affe». Das Marschieren über weite Strecken war eine unfreiwillige Hauptbeschäftigung vieler Soldaten. Im Tornister verstauten sie die persönliche Ausrüstung und die Patronen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lösten aus Stoff gefertigte Rucksäcke den steifen Affen ab. Gestell und Sack bildeten nunmehr eine Einheit. Dieses Prinzip gilt auch für moderne Rucksäcke, in denen viel Technik steckt. Neuartige Materialien sorgen für ein geringes Eigengewicht. Verstellbare anatomische Rückensysteme, Belüftungen und Polsterschaum erhöhen Komfort und Stabilität. In Deckel-, Seiten- und elastischen Netztaschen lassen sich Flaschen, Handy und Sonnencrème griffbereit versorgen. Hüftgurte und Brustriemen geben dem Gepäck 152 l R – RUCKSACK


Moderne Rucksäcke sind wie ihre Träger vor Regen geschützt.

Halt und verteilen den Druck auf mehrere Körperpartien, was die Schultern entlastet. Die Kilos trägt man aber immer noch selber. Hat man zu schwer geladen, hilft das raffinierteste Hightech-Produkt wenig. Früher oder später drücken die Riemen und ächzt der Träger. Der Rucksack, eigentlich ein Symbol für Wanderlust und Ungebundenheit, wird dann zur Last. Ab etwa 1960 begann der moderne Mensch wieder eine halbnomadische Lebensweise zwischen Heim und Arbeit, Supermarkt und Kinderkrippe zu führen. Dabei nimmt er viele Gebrauchsgüter mit, vom Laptop bis zur Mahlzeit. Ausserdem steigt er gerne aufs Rad und kauft unterwegs ein. So hielt der Rucksack, der diesem Stil entgegenkommt, im städtischen Alltag Einzug, wo er allerdings umstritten ist. Während Modebewusste ihn als hässlich ablehnen und aus Prinzip nur Taschen tragen, steht für andere das Praktische im Vordergrund. Beim Surfen im Internet stösst man auf eine riesige Auswahl an Rucksäcken aller Art, auch auf solche, die mit immateriellen Gütern gefüllt sind: Rucksäcke voller Wissen, Liebe, Probleme, Ärger, Glück, Erinnerungen und Träume. Obschon in keiner Packliste aufgeführt, sind diese Dinge auf vielen Wandertouren mit dabei.

R – RUCKSACK l 153


SCHWERE LASTEN Während die Wanderer mit Vorteil darauf achten, dass ihr Rucksack nicht zu schwer wiegt, schulterten einst die traditionellen Schmuggler so viel Gewicht wie möglich. Ihre Säcke und Pakete wogen 20, 30, manchmal 40 Kilos. Bis in die 1970er-Jahre war das Schmugglerhandwerk in den Alpen und dem Jura verbreitet. Es blühte vor allem an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien und lebte von den Preisunterschieden sowie den hohen staatlichen Zöllen, die heute kaum noch existieren. Je nach politischen und wirtschaftlichen Umständen führten die Träger Lebensmittel, Konsumgüter, Tiere und Menschen (vor allem im Krieg) nach Italien oder brachten sie von dort in die Schweiz. Ein bekanntes Beispiel war der Kaffeeschmuggel. Er florierte nach dem Zweiten Weltkrieg. Das süd-

154 l R – RUCKSACK

liche Puschlav war vom Duft vieler Kaffeeröstereien erfüllt, die die Schmuggler belieferten und die sich nicht zu verstecken brauchten. Die Ausfuhr des Kaffees war erlaubt, die Schweizer Zollverwaltung erfasste die Ware ganz offiziell unter dem Titel «Export II»; verboten war das Geschäft nur auf der italienischen Seite. Jeeps, Tragtiere und Seilbahnen brachten die Säcke zu den Umschlagstellen nahe der Grenze, von wo italienische Träger sie zu Fuss durch oft unwegsames Gelände ins Veltlin schulterten. Im Rekordjahr 1970 trugen sie so 8400 Tonnen Kaffee über die Grenze. Der Schmuggel war eine regional verankerte Tätigkeit. Er bot der Bevölkerung die Möglichkeit, das bescheidene Einkommen aufzubessern. Auch Frauen und sogar Kinder waren beteiligt. Das zur Gewalt neigende organisierte Verbrechen, das den heutigen Schmuggel von Menschen, Drogen, Waffen und Kapital beherrscht, spielte noch eine untergeordnete Rolle. Trotzdem war das Handwerk riskant. Die Grenzwächter schreckten vor dem Gebrauch der Waffen nicht zurück. Meist zielten sie auf die Beine. Aus Versehen wurden die Schmuggler manchmal aber tödlich getroffen. Ein Gedenkstein oberhalb von Tirano erinnert an die Schmugglerin Irma Rinaldi, die 1964 von einem italienischen Zöllner erschossen wurde.


DAS ABGELEGENE GRENZGEBIET MONTE LEMA – MONTE TAMARO Wir begeben uns in den Kanton Tessin, an die Grenze zu Italien. Im Malcantone gab es einst wunderschöne Kastanienhaine, von denen einige wieder gepflegt werden. Es gab aber auch viele Hammerschmieden, magli, die der Hauptfluss, die Magliasina, antrieb. Sie sollen dem Gebiet den Namen gegeben haben. Mit einem «schlechten Kanton» hat er wohl nichts zu tun. Geschmuggelt wurde in dieser abgelegenen Gegend mit den grossen Wäldern, schönen Dörfern und kräftigen Höhenunterschieden aber schon. Man erzählt sich sogar, Schmuggler hätten die erste Seilbahn auf den Monte Lema gebaut, damit sie ihre Ware bequemer nach Italien bringen konnten. Die abwechslungsreiche Höhenwanderung besucht die höchsten Gipfel und Grate, von denen sich abenteuerlich schöne Ausblicke in die Gipfelwelt der Südalpen bieten, sowie natürlich auf die Seen: Im Westen glitzert der Lago Maggiore, im Osten der Luganersee. Als Übernachtungsmöglichkeit für die Zweitageswanderung eignet sich die kleine Capanna Tamaro hoch über der Alpe Foppa mit der bekannten Kirche Santa Maria degli Angeli von Mario Botta. Wer noch mag, kann zu ihr hinuntersteigen. Blick vom Monte Lema in die Berge des Piemont.

R – RUCKSACK l 155


Magadino

Vira Gambarogno

Ascona

Poncino della Croce

Lago Maggiore S

C

H

W

E

I

Z

Cap. Tamaro Monte Tamaro I

T

A

L

I

E

N

Monte Gradiccioli

Monte Lema

N

Astano

Start Astano, erreichbar mit S-Bahn und Postauto ab Lugano Ziel Magadino (Fähre nach Locarno bzw. Bus/Zug nach Locarno und Bellinzona) Charakter Mittelschwere Wanderung. Kurze ausgesetzte Stellen. Route 1. Tag: Astano, Aufstieg auf Monte Lema (1621 m) via Passo di Monte Faëta. Weiter nach Norden: Zottone, Monte Magno, Gradiccioli (1931 m), Bassa di Indemini, Capanna Tamaro UTOE (1867 m; Hütte zum Übernachten; www.utoe.ch)

0 1000 2000 m

2. Tag: Aufstieg auf Monte Tamaro (1962 m), Abstieg via Poncione del Macello, Cimetto, Uomo del Sasso, Monti di Vira, Orgnana, Magadino. Hinweis Den Aufstieg am 1. Tag kann man von Miglieglia mit der Seilbahn unternehmen, die Wanderzeit beträgt dann 3 ½ h. Karte LK 1:50 000, 286 T Malcantone Wanderzeit 1. Tag: 6 ½ h; 2. Tag: 4 ½ h Anstieg 1. Tag: 1700 m; 2. Tag: 300 m Beste Jahreszeit Juni bis Oktober

Oben: Blick von oben auf das Berghaus und die Bergstation Monte Lema. Unten: Die Kirche Santa Maria degli Angeli von Mario Botta. 156 l R – RUCKSACK





Gehen kann glücklich machen. Dieses aussergewöhnliche Wanderbuch sagt, wie das geht. In der Form eines ABC beleuchtet es das Wandern als Lebensweise, die man ernst nehmen soll, weil sie Spass macht. Fremde und Einheimische entdecken das Gehen und die Schweiz mit jedem Buchstaben neu: vom Abenteuer über den Landjäger bis zur Zahnradbahn. 26 wunderbare, wenig bekannte Wanderungen laden zum Mitgehen ein.

ISBN 978-3-906055-36-7


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.