CE R V E LAT Die Schweizer Nationalwurst
CE R V E LAT Die Schweizer Nationalwurst
Herausgeber Heinz von Arx Rezepte Beat Caduff Fotos Roth + Schmid Texte Peter Krebs
AS Verlag
www.as-verlag.ch © AS Verlag & Buchkonzept AG, Zürich 2015 Konzept, Gestaltung und Herstellung: AS Verlag, Heinz von Arx, Urs Bolz, Zürich Korrektorat: Pablo Egger, Speicher Druck: B & K Offsetdruck GmbH, Ottersweier Einband: Josef Spinner Großbuchbinderei GmbH, Ottersweier ISBN 978-3-906055-38-1
Inhalt
9 Der Cervelat – die Volkswurst Cervelats oder Sprengstoff? . 10 Am liebsten vom Grill . 12 Keine Messe ohne Wurst und Brot . 14 Nach dem Fest beginnt die Grillparty . 16 Das Schweizer Wurstkreuz . 18 Die sportliche Wurst . 20 Das Büezerkotelett . 22 25 Der Cervelat, des Schweizers liebste Wurst Eine kurze Dicke macht Karriere . 26 Die Visitenkarte der Metzger . 27 Eine historische Wurst . 27 Der Wandel zur Alltagswurst . 33 Zwischen Nationalsymbol und Cervelatprominenz . 34 Cervelatkunst mit und ohne Räder . 35 Ein bierernstes Politikum . 36 Die Leichtigkeit des Lächelns . 38 Die Lust am Fleisch, an den Tafelfreuden und am Malen . 40 Madame Tricot oder das Zen des Strickens . 46 53 Was alles in der Wurst steckt Der lukullische Ritterschlag für die Nationalwurst . 54 Jägersuppe auf der Hochwildjagd . 58 Cervelat Jägersuppe . 60 Mit Blasrohr, Feuerzange, Eisen- und Kupferpfannen . 62 Kesselgulasch mit Cervelats . 64 Bergindianerbohnen mit Cervelats . 66 Cervelat Cordon bleu . 68 Müscheliauflauf mit Cervelats . 70 Tessiner Polenta mit Cervelats und schwarzem Trüffel . 72 Cervelat Rösti . 76 Spargel Cervelats Saltimbocca . 78 Cervelat Bärlauchrisotto mit Peperoni . 80 Cervelat Eintopf mit Gemüse und Morcheln . 84 Cervelat Stroganoff . 86
Stampfkartoffeln mit Cervelatwürfeln . 88 Cervelat Fondue . 90 Arbeiter-Koteletts . 92 Cervelat im Blätterteigmantel . 94 Cervelat Curry . 96 Minestrone mit Cervelat-Pesto . 98 Cervelat Crostini . 100 Cervelat Kartoffelsalat mit Joghurt-Dressing . 102 Wurst-Käsesalat . 104 Cervelat-Spiess . 106 Cervelat-Salat . 110 Zitronenlimetten-Salatsauce . 110 Zum Grillieren braucht es nur heisse Luft . 111 115 Was steckt unter der Wursthaut? Der Cervelat . 116 Er wollte viel lieber ein Fleischkäse sein . 117 Cervelattest mit Peach Weber . 118 Servilaaa . 120 Unterschiedlicher können Cervelats nicht sein . 122 Der Naturdarm ist das Kleid der Wurst . 126 In der Küche des guten Geschmacks . 132 Der richtige Cervelat muss al dente sein . 138 Weniger Salz und mehr Würze . 146 Ein St. Galler in der Trockenwurstregion . 150 Traditionelles Handwerk von A bis Z . 154 Wenn die Metzgerei zur Markthalle wird . 158 Dank der Bierkälber sind Hopfen und Malz nicht verloren . 162 Die Wurst ohne Bschiss . 166 Die Tafelwartin . 170 173 Cervelats im Kopf Sponsoren Autorenbiografien Nachwort und Dank des Herausgebers
Der Cervelat – die Volkswurst Mehr noch als Fondue und Rösti ist der Cervelat ein Synonym für die Heimat. Er ist ein Volksnahrungsmittel im besten Sinn. Jung und Alt geniessen ihn mit oder ohne Senf, in der Stadt ebenso wie auf dem Land, in der Deutschschweiz wie in der Westschweiz. Manche nehmen die Brühwurst roh als Zwischenmahlzeit ein: auf dem Bau, in der Werkstatt oder auf dem Feld. Gegrillt bereichert der Cervelat zusammen mit der Bratwurst Anlässe aller Art. Am Spiess über der Glut erhitzt bildet die Nationalwurst den Höhepunkt mancher Schulreise und mancher Feste. So sind fast alle Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz durch persönliche Erinnerungen und Erlebnisse innig mit der Wurst verbunden.
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Das Schweizer Wurstkreuz Das Grillieren ist die schÜnste Zubereitungsart. Man hält die Wurst dicht ßber die Glut. Bald bilden sich auf der Haut kleine Blasen, sie wird braun und brauner, das Fleisch brutzelt und zischt, Fett beginnt zu tropfen, kleine Flammen schiessen hoch, die Luft duftet nach Rauch und Wurst. Die je vier eingeschnittenen Enden spreizen auseinander. Es ist ein sinnliches Erlebnis. Wenn der Cervelat rundum braun und knusprig ist, hat er die richtige Stufe erreicht und kann genossen werden.
mit Wasser und Gelatine oder Fett und Gewürzen in Wursthaut», lautet die trockene Werkangabe im Katalog. Zu lesen braucht man die Wurstliteratur nicht, und essbar ist sie ebenso wenig. Sie hat keinen Nutzen, regt höchstens ein wenig zum Staunen und Denken an. Würste und Fleischwaren haben auch Künstler ohne akademische Ausbildung inspiriert. Bekannt und durchaus anerkannt ist der Freiburger Metzger, Koch und Maler Jean-Pierre Corpataux, der sich Le Boucher Corpaato nennt. Er malt farbenfroh und expressiv im Stil der Neuen Wilden, was er am besten kennt und was ihn umtreibt: das Fleisch von geschlachteten Tieren. Er schuf sich damit in den 1980erJahren einen Namen und begeisterte die Kunstwelt. Die Zeitschrift «Art» widmete Corpaato 1986 einen bedeutenden Artikel. Seine Werke wurden in zahlreichen Museen und Galerien in der Schweiz, in Frankreich, Deutschland und den USA und anderswo ausgestellt. Eine ganz andere Technik und andere Materialien wendet die gebürtige FranzöAuch auf dem Gotthardpass, dem Pass der Pässe, gibt es in einem Container Cervelats zu kaufen – unter dem Schutz der heiligen Fatima.
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sin Dominique Kähler Schweizer an. Die Naturheilärztin mit einer Praxis in der Ostschweiz machte ihr Hobby zur Kunst, als sie vor einigen Jahren statt Gebrauchswaren Lebensmittel und insbesondere Fleisch und Würste zu stricken begann. Ein bierernstes Politikum Nicht immer ist der Umgang mit dem Cervelat so spielerisch und kreativ wie in der Wurstkunst. In den Jahren 2007 bis 2012 wurde er noch einmal zum bierernsten Politikum, nachdem die Europäische Union EU die Einfuhr von brasilianischen Rinderdärmen untersagt hatte, um dem Rinderwahnsinn (BSE) vorzubeugen. Wegen der bilateralen Verträge vollzog die Schweiz das Verbot autonom nach. Dann ging es wirklich um die Wurst. «Baldiges Aus für die Schweizer Nationalwurst?», titelte 2007 die seriöse Neue Zürcher Zeitung, die auf einen drohenden Engpass bei den Wursthäuten im Jahr 2008 aufmerksam machte, jenem Jahr, in welchem die Schweiz und Österreich in der Grillzeit die FussballEuropameisterschaft durchführten.
Während des Importstopps für Rinderdärme aus Brasilien in den Jahren 2006 bis 2012 schien die Zukunft des Cervelats auf der Kippe. Die Wurst wurde zum Symbol einer Nation, die sich infrage gestellt sah. Der Cervelat als Objekt der Kunst: Hano Stäubli «Der Rütlischwur» 1998.
Für die Cervelat-Hülle waren die Metzger auf die Kranzdärme brasilianischer Zebu-Rinder angewiesen. Sie haben genau den richtigen Durchmesser (die Därme der Schweizer Rinder sind zu gross für die Nationalwurst). Ausserdem lassen sich die fettfreien brasilianischen Därme leicht von der kalten Wurst lösen, und sie sind essbar, was für die gebratene und die gegrillte Form der Wurstverkostung entscheidend ist. Alle getesteten Alternativen erwiesen sich als untauglich. Schweinedärme lassen sich schlecht schälen, Kunsthaut ist ungeniessbar. Das Schweizer Parlament und die Landesregierung befassten sich mit dem Notstand, eine Interpellation im Ständerat regte die Aufhebung des Importstopps an. Der Schweizerische Fleischfachverband leitete eine Task-Force, und die Medien überboten sich mit alarmierenden Schlagzeilen. «Cervelat-Notstand» oder «Metzger rüsten sich für den Cervelat-Supergau», lauteten sie. Der Brei wurde dann nicht so heiss gegessen, wie er hochgekocht wurde. Statt
aus Brasilien importierten die Darmhändler die Ware vorübergehend aus Uruguay, Argentinien und Paraguay, deren Kapazitäten aber auf lange Sicht nicht ausreichten. Erst nachdem die EU das BSE-Risiko aus Brasilien 2012 herabstufte und der Bundesrat das Importverbot aufhob, war das Hautproblem der Nationalwurst kuriert. Brasilien liefert heute wieder das Gros der Wursthäute. Aber ein gewisser politischer Schaden ist geblieben. Manche gaben den übereifrigen und regulierungssüchtigen Beamten der EU die Schuld an der CervelatKrise, was die EU-Skepsis im Alpenland verstärkte. Die Brühwurst wurde kurzfristig zum Symbol einer Nation, die ihre Identität durch einen Lieferengpass an Rinderdärmen infrage gestellt sah. Das sagt allerdings mehr aus über den Zustand der Schweiz als über jenen der Wurst. Diese versteht es, auch in einer Zeit des gestiegenen Wohlstands und der grösseren Auswahl an Lebensmitteln und Wurstwaren die Gemüter zu bewegen wie keine zweite.
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«Le boucher Corpaato» vor einem Wurst-Bild. Die Vorlage bilden Cervelats, die in Spiralen an einem Gestell zum Räuchern aufgehängt sind. Corpatoo setzt sich gerne in Szene: hier mit Zylinderhut, Fliege, Metzgerkittel und dem aktuellen Kalenderblatt, das er mit Wäscheklammern am weissen Hemd befestigt.
deutsche Kunstzeitschrift «Art» einen längeren Artikel. Der Erfolg stellte sich ein. Es gab einen Corpaato-Hype. Er stellte seine Bilder in Paris, in Deutschland, in den USA, in Buenos Aires und China aus und verkaufte sie zu guten Preisen. Er konnte von der Kunst leben, schloss Bekanntschaften mit einflussreichen Leuten, auch mit Jean Tinguely, den er respektvoll als seinen «collègue supérieur», den höheren Kollegen bezeichnet. Mit dem Erfolg wuchs allerdings die Missgunst. In manchem Kreisen rümpfte man die Nase über den Metzger aus Freiburg, man kritisierte, bald hänge schon in jeder Schweizer Metzgerei ein Fleischbild von ihm. Corpaato nimmt es jedenfalls gegen aussen hin gelassen und zitiert ein Sprichwort: «Der Neid frisst nicht am schlechten Holz, drum sei auf deine Neider stolz.» Sicher sind nicht alle seine Werke von gleicher Qualität. Wie könnte es anders sein. Corpaato arbeitet schnell, sehr schnell auch heute noch, wo er schon im Pensionsalter ist. Er verliert sich nicht in Details, obschon einige Bilder voller Details stecken. Er sagt, er pinsle, spachtle und rolle ein Werk in weniger als fünf Minuten auf die Leinwand oder den Karton, die sehr unterschiedliche Formate haben. Das fertige Bild hat er im Kopf. Er vergleicht den Vorgang mit einer Operation im Spital, für die eine lange Vorbereitung nötig sei, die dann aber schnell ausgeführt werde. Ein Modell braucht er nicht. Er kennt seine Sujets aus dem Effeff. Seine Palette hat er erweitert. Er malt zwischendurch wirklich Landschaften, etwa für eine
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Mit Blasrohr, Feuerzange, Eisen- und Kupferpfannen
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Beat Caduff ist in seinem Element. Er kocht in der uralten Walserküche, dort, wo schon Generationen auf der offenen Feuerstelle hantierten und ihre Würste im Kamin räucherten. Im Eiltempo wird geschnetzelt, gehackt, Holz nachgelegt, gerührt, gewürzt, abgeschmeckt und mit Vergnügen gekostet.
Cervelat Cordon bleu 4 Cervelats halbiert 120 g reifer Greyerzerkäse 4 Scheiben Kochschinken 12 Scheiben Bündner Rohschinken etwas Mehl 2 Eier 200 g Paniermehl 60 g Bratbutter 50 g Butter
Die Cervelats schälen und der Länge nach halbieren. Vier Scheiben Greyerzerkäse, etwas schmaler als die Cervelats zuschneiden. Die Käsescheiben mit dem Kochschinken umwickeln und zwischen die Cervelats legen. Jetzt die Cervelats mit den Rohschinkentranchen umwickeln und mit Mehl bestäuben. Danach durch das verquirlte Ei ziehen, im Paniermehl wenden und gut andrücken. Die Rohlinge in Bratbutter langsam beidseitig anbraten. Die Butter dazugeben und im Backofen bei 160° unter gelegentlichem Übergiessen etwa 15 Minuten fertig garen.
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Cervelat Eintopf mit Gemüse und Morcheln 4 Cervelats in Halbmonde geschnitten 1 Peperoni in Rauten geschnitten 1/2 Aubergine geschält und in Würfel geschnitten 1 Zucchetti gewürfelt 2 Schalotten gehackt 100 g Honigtomaten halbiert 120 g Erbsen 200 g frische Morcheln geputzt 1 Maiskolben, die Körner abgeschnitten 1/2 dl Olivenöl Extra vergine 30 g Butter 4 Rosmarinzweige 4 Lorbeerblätter Fleur de sel und schwarzer Pfeffer aus der Mühle
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Die Schalotten im Olivenöl glasieren. Peperoni, Aubergine, Zucchetti, Honigtomaten, Erbsen, Morcheln und Mais dazugeben. Mit Salz und Pfeffer würzen. Leicht anschwitzen, sodass das Gemüse noch knackig ist. Unterdessen die Cervelat-Halbmonde mit den Rosmarinzweigen und Lorbeerblättern in Butter gut anbraten, dann mit dem Gemüse vermischen, nochmals abschmecken und sofort servieren.
Der Cervelat Er war ein Cervelat. Und es schiss ihn an, ein Cervelat zu sein. Er wollte kein Cervelat sein, er wollte viel lieber eine Bratwurst sein, oder ein Fleischkäse oder eine Grillschnecke oder wenigstens ein Riesenchlöpfer. Aber er war kein Chlöpfer, er war ein Cervelat, und das schiss ihn göttlich an. Nein, Gott war nicht schuld daran, dass der Cervelat ein Cervelat war, schuld an dieser Sauerei war nur der Metzger, und wenn er gekonnt hätte, hätte der Cervelat den Metzger umgebracht und seinen dicken Metzgersbauch durch den genüsslich knetenden Fleischwolf geschoben und aus ihm den beschissensten Cervelat aller Zeiten gemacht, so wütend war der Cervelat auf den Metzger. Aber der Cervelat konnte seiner Verärgerung keinen Ausdruck geben, indem er dicke Metzgersbäuche durch den Fleischwolf schob, weil er war ja nur ein Cervelat, und er hatte keine Hände und er hatte keine Arme und er hatte keinen Brustkorb. Es schiss ihn an. Der Cervelat hatte keine Lust, wie viele andere Cervelats vor ihm, auf dem Grill an irgendeinem beschissenen Dorffest im Kanton AppenzellAusserrhoden liegen gelassen zu werden, nur weil alle Festbesucher eine Bratwurst wollten, aber niemand einen Cervelat, obwohl der Cervelat nur 4.50 Franken kostet und die Bratwurst einen ganzen Fünfliber.
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Der Cervelat wollte auch nicht hinten und vorne so kreuzweise aufgeschnitten werden, sodass dann auf jeder Seite vier solche Cervelatzipfel rausploppen würden, und er wollte nicht auf einer Schulreise von einem elfjährigen, übergewichtigen, rothaarigen, sommerbesprossten Buben gegessen werden, und er wollte auch kein Wurstsalatcervelat sein und im wirren Getümmel von Käse und Essiggurken und Senfsauce kläglich unter- und vergessen gehen. Der Cervelat war zwar unzufrieden, aber er wollte die Welt trotzdem nicht verändern. Er hatte keine Lust, auf die Strasse zu gehen, um für das Cervelatstimmrecht zu demonstrieren oder gegen Tierversuche, denn Tiere waren ihm ehrlich gesagt scheissegal. Er war ein apolitischer Cervelat, und er lag vakuumverpackt im Doppelpack mit einem anderen genauso apolitischen Cervelat zuunterst im Fleischkühlschrank des Migros-Marktes, im Wühltisch, während der Aufschnitt und der Salami und der Schinken über ihm thronten, an chromstählernen Haken, ordentlich aufgehängt und nach Verfallsdatum aufgereiht, und sich gemeinsam lustig machten über den beschissenen Cervelat im Wühltisch, den keine Sau essen wollte. Sein Verfallsdatum war der dritte August, und das schiss ihn auch an. Der Cervelat hatte genug vom Cervelatdasein und beschloss, jenem ein Ende zu setzen. Er machte sich auf und davon, hinaus aufs Trottoir und warf sich vor den nächsten Hund.
Die Cervelatschaukel, auf der der Dichter sitzt, steht vor der Metzgerei Jenzer Fleisch und Feinkost in Arlesheim BL. Die Schaukel wurde von Christoph Jenzer und Dieter Hoch entworfen. Die traditionsreiche Metzgerei mit 70 Mitarbeitern ist durch den Markennamen «Goldwurst» bekannt.
Er wollte viel lieber ein Fleischkäse sein Als «poetische Annäherung an den Cervelat» bezeichnet der Slam-Poet Gabriel Vetter seinen Text mit dem schlichten Titel «Der Cervelat». Es ist die tragische Geschichte eines lebensmüden Cervelats mit Identitätsproblemen. Der Slam-Poet Gabriel Vetter, geboren 1983 in Schaffhausen, ist Autor fürs Fernsehen, für das Radio, Zeitungen und Zeitschriften. Für seine Bühnenprogramme wurde er mehrfach ausgezeichnet. Sein Live-Programm mit dem Titel «Wo die Sau aufhört» widmete sich dem Wesen der Wurst.
«Sie können doch sicher den geschnitzten Holzcervelat vor ihrem Laden für das Foto hochheben», sagte der Fotograf zum Metzgermeister, nachdem dieser ein halbes Rind vom Lieferauto in die Metzgerei gewuchtet hatte – gesagt, getan.
Ein St. Galler in der Trockenwurstregion Das Geschäft von Maria und Sigi Riser liegt etwas zurückgesetzt an der Veia Granda, der Hauptgasse im bündnerischen Andeer. Auf dem gepflasterten Vorplatz plätschert aus vier Röhren das Wasser eines Brunnens in das grosse, oktogonale Steinbecken. Der mit Geranien geschmückte Brunnen sieht ein wenig aus wie jener im SchellenursliBuch von Selina Chönz und Alois Cariget, um den die Kinder zum Chalandamarz mit schwerem Schritt ihre Schellen tragen. Angeschrieben ist das Geschäft mit Metzga H. Joos. Metzga ist Rätoromanisch, und Joos hiess der Vorgänger von Sigi Riser. Sigi Riser musste sich zuerst einmal in die lokale Wurstkultur einarbeiten. Diese ist völlig anders aufgestellt als jene, aus der er stammt, obschon sie nicht allzu weit entfernt liegt: knapp 60 Kilometer Luftlinie. Riser kommt aus Werdenberg im Kanton St.Gallen, einer Hochburg der meist ungeräucherten Brühwurst in jeder Form. Hier ist er aufgewachsen, hier hat er seine Lehre gemacht und danach 15 Jahre lange «geschäftet», wie er sagt. Andeer hingegen gehört zum Salsizland, dazwischen liegt unsichtbar die wichtige Grenze zwischen Brühwurst und Trockenwurst, zwischen der germanisch und der lateinisch ausgerichteten Fleischwelt. Sein Vorgänger, der noch einige Jahre lang im Betrieb mitarbeitete, brachte ihm die nötigen Kenntnisse bei. Er sei in Andeer im Val Schons am Hinterrhein von Anfang an gut aufgenommen worden, sagt Sigi Riser. Einzig der
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Gemeindeaktuar habe ihm einmal halb im Spass gesagt: «Wer durch das Fravi-Tor zu uns kommt, hat zu gehorchen.» Das Fravi-Tor ist gewissermassen das Wahrzeichen der Gemeinde Andeer. Es bildet beim Kurhotel Fravi eine Art Stadttor aus dem 19. Jahrhundert. Durch den Rundbogen betritt man die gewundene Veia Granda, an der alle Geschäfte und alle Gastbetriebe des Dorfes liegen (es hat hier auch eine ausgezeichnete Käserei), sowie ein paar sehr schmucke Häuser. Früher rollte der ganze Verkehr Richtung Splügen und San Bernardino durch diese Gasse, heute rollt er über die Autostrasse A13 aussen rum.
Tatsächlich haben sich der Metzgermeister Sigi und die Metzgerei-Fachfrau Maria Riser-Theiler den lokalen Gepflogenheiten angepasst. Sie haben zwar nur wenig Rätoromanisch gelernt, weil die Einheimischen auch Deutsch verstehen. In ihrer reichen Auslage findet man aber mehr Trockenwürste als Brühwürste. Ihr Laden geniesst weit über Andeer hinaus den Ruf, ausgezeichneten Salsiz herzustellen, wobei die lokalen Bezüge nicht fehlen. So führen sie einen Bündnersalsiz im Angebot, einen Röteli-Salsiz, der mit dem einheimischen Kirschlikör veredelt wird. Salsiz ist bekanntlich eine Bündner Spezialität, die vornehmlich aus Schweinefleisch gefertigt wird. Es werden aber auch Rindfleisch und Schaffleisch verwendet. Im Unterschied zum Salami wird der Salsiz gepresst und ist meistens luftgetrocknet und nicht geräuchert. Auch Sigi Riser trocknet seine Würste auf diese langsame Art: «So bleibt der Fleischgeschmack besser erhalten und wird nicht vom Raucharoma überdeckt», erklärt er. Das merkt man besonders gut an seinen aus Wildfleisch hergestellten Salsizen, die er im Lauf der Jahre durch stetiges Probieren geschaffen hat. Der Hirschsalsiz und besonders der zarte Gemssalsiz schmecken intensiv nach Wild. Sie sind eine Spezialität für Liebhaber dieses Geschmacks und sichern ihm ein wichtiges Kundensegment. Den grössten Teil des Wildfleisches, das er auch als Pfeffer oder Rohfleisch zubereitet, rund 2,5 bis 3 Tonnen jährlich, bezieht er von der Jagdgesellschaft Werdenberg, der er selber angehört. Im Bündnerland sei es für Metzger nicht so
Der Cervelat ist den Schweizern näher als jede andere Wurst. Die Nationalwurst ist allgegenwärtig und gilt als Symbol und Synonym für Heimat. Erstmals wird unsere Nationalwurst in diesem Buch umfassend beschrieben, illustriert, fotografiert – klug und verspielt gezeigt.
ISBN 978-3-906055-38-1