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Zeitfalle Studium?
Wie die Zeit vergeht TEXT: SEBASTIAN MUNSCH „Ach, du studierst Kirchenmusik? Naja, die haben ja doch nie Zeit.“ So oder ähnlich höre ich das immer mal wieder. Durch die große Fülle an verschiedenen Fächern und Disziplinen ist es zum Teil schwierig, allen Bereichen des Studiums (und des Lebens) in der nötigen Weise gerecht zu werden. Früher oder später wird daher eine größer oder kleiner ausfallende Schwerpunktsetzung nach eigenem Ermessen vorgenommen. Hierfür haben die Dozierenden dann auch meistens Verständnis. Nicht umsonst wird im späteren Verlauf des Kirchenmusikstudiums zweimal auch offiziell eine schwerpunktverändernde Wahl vorgenommen, nach dem 6. Semester die Wahl zwischen Klavier und Gesang – und später, im Masterstudium, die Wahl zwischen instrumentalem und kantoralem Schwerpunkt. Dieses zeitintensive Studium dann noch mit dem Privatleben oder anderen, außer(hoch)schulischen Musikaktivitäten in Einklang zu bringen, erfordert ein hohes Maß an Disziplin, Organisationsvermögen und die Fähigkeit, sich die Zeit optimal einteilen zu können. Natürlich ist es manchmal beängstigend zu sehen, wie schnell alles geht – und vergeht. Aber solange man die innere Freude an dem, was man tut, vor lauter Organisieren, Üben und Von-einem-Unterricht-in-den-nächsten-Hetzen nicht verliert, ist man meines Erachtens gut gerüstet für den Alltag, sowohl für den Alltag des Studiums als auch den einer späteren Anstellung. → Sebastian Munsch, Student Kirchenmusik im 6. Semester
Auf der Überholspur zum Examen TEXT: PHILIPP SCHLOSSER Ein Lehramtsstudium im Fach Musik lässt sich individuell ganz unterschiedlich gestalten, jedoch ist klar: Wie man sich auch entscheidet – in Hessen muss man sich besonders beeilen, nirgendwo ist die Regelstudienzeit kürzer. Während SchleswigHolstein für das gymnasiale Lehramt zum Beispiel eine Regelstudienzeit von zwölf Semestern ansetzt, sind es in Hessen gerade einmal neun. Wie soll das gehen? Auf der Überholspur?
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Die Knappheit der Zeit ist allen bekannt, weshalb im Fach Musik Sonderregelungen entstanden sind, die Studierenden im gymnasialen Bereich erlauben, ihr zweites Fach auf kleine Fakultas zu studieren (Lehrbefähigung nur für die Unter- und Mittelstufe). Dennoch: Überfüllte Studienordnungen, die stellenweise auch starke rechtliche Grauzonen aufweisen, gehen letztlich immer zu Lasten der Studierenden. So kann ein Gymnasialstudium mit zwei Fächern und den Bildungswis senschaften schon mal zu Prüfungsleistungen in Form von neun Klausuren, 21 Hausarbeiten und 13 praktischen Prü fungen im musikalischen Bereich führen. Hinzu kommen, meist in der vorlesungsfreien Zeit: ein Orientierungspraktikum, ein Betriebspraktikum, zwei Schulpraktika (neuerdings: ein Praxissemester) – für die Berichte anzufertigen sind. Dann noch: zusätzliche Konzertabende, szenische Aufführungen, Dirigierwochenenden, außerplanmäßige Orchester-, Chor- und Bandproben sowie Klassenabende. CreditPoints werden nicht nur voll ausgeschöpft, sondern auch in fast allen Modulen teilweise stark überstrapaziert – Prüfungsvorbereitungen und Leistungen sind folglich zeitlich meist nicht einbezogen. Und das Üben für die künstlerischen Fächer? Da hat eine AStA-Umfrage bereits gezeigt, dass Studierende dafür oft mehr als drei Mal so viel Zeit aufbringen – als von der Studienordnung einberechnet.
Dass einem angesichts all dieser Faktoren wenig Freizeit bleibt, nachhaltige Bildung zu kurz kommt, Ehrenämter leiden und die Vereinbarkeit von Berufsausbildung und Familienplanung schwer fällt, dürfte klar sein. Die logische Konsequenz: Fast niemand schafft das Lehramtsstudium im Fach Musik für die gymnasiale Oberstufe in der vorgegebenen Regelstudienzeit, viele kämpfen deshalb auch mit der Finanzierung. Denn ob BAföG oder Stipendium: Unterstützt werden Studierende in der Regel nur während der Regelstudienzeit.
Studierende versuchen natürlich, auf ihre besondere Lage und den besonderen Zeitdruck hinzuweisen. Viel Erfolg haben sie nicht: Der Präsident der Hessischen Lehrkräfteakademie (CDU) hat bereits deutlich gemacht, dass mit einer Anpassung der Regelstudienzeiten bei der geplanten Überarbeitung des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes nicht zu rechnen ist – wider alle Zeichen der Zeit.
Philipp Schlosser hat sein Gymnasiales Lehramtsstudium mit den Fächern Musik, Politik und Wirtschaft 2019 nach zwölf Semestern beendet. Derzeit ist er Referendar an der Max-Beckmann-Schule und an der IGS Nordend in Frankfurt.

Tausend Dinge zur gleichen Zeit TEXT: CLARA VALDERA Zwei Studiengänge gleichzeitig: Das erfüllt mich, das ist nicht immer einfach, aber ich komme heute gut damit klar. Ich studiere Tanz (Bachelor) an der HfMDK und mache parallel einen Abschluss in Psychologie an einer Fernuniversität in meiner Heimat Spanien. Wenn man mich fragt, wieso ich das tue, antworte ich entweder, dass es mir um einen Plan B geht, oder dass es mir so wirklich Spaß macht, oder dass ich glaube, Psychologiewissen kann für meine Karriere als Tänzerin nützlich sein. Natürlich: Der Verstand ist mit Tausend Dingen gleichzeitig beschäftigt, man bekommt weniger Schlaf, hat mehr Stress, doch die Anstrengung lohnt sich – sie bringt mich in meinem Leben wirklich weiter. Zum Glück kann ich auf so viele wunderbare Menschen zählen. Meine Familie und Freunde helfen mir, auch jene Tage zu überstehen, an denen die Erschöpfung alles dunkler erscheinen lässt. Und nicht zu vergessen meine Tanzlehrerinnen und -lehrer: Sie unterstützen mich, reden mit mir, geben mir Zeit und helfen mir sogar bei einigen Aufgaben. Das Tanzstudium geht in jedem Fall immer vor. Manchmal habe ich viel Zeit, manchmal ist es mir aufgrund von Müdigkeit oder Zeitmangel unmöglich, unter der Woche meine Psychologiebücher zu öffnen. Dann versuche ich, an den Wochenenden ein wenig zu lernen – aber nur so viel, dass mir auch noch Zeit für mich selbst bleibt. Sonst würde ich innerlich explodieren, diese Lektion habe ich gelernt. Ich weiß heute, dass ich und meine Gesundheit an erster Stelle stehen müssen, und dass es nicht tragisch ist, nicht in allem perfekt zu sein. Dazu: Nachtschlaf und gute Freunde, mit denen man aufrichtig reden und mit denen man sich amüsieren kann, sind wichtiger, als man denkt. → Clara Valdera, Studentin im Bachelorstudiengang
Tanz und Fernstudentin im Fach Psychologie
TEXT: SABINE ROSENBERGER Schauspiel-Studierende gehen nach Ende ihrer Regelstudienzeit ins Erstengagement, Studierende anderer Fächer sind meist noch länger hier, über ihre Regelstudienzeit hinaus. Warum das so ist, hat mehrere, dazu sehr verschiedene Gründe. Viele müssen zum Beispiel arbeiten, um sich Geld fürs Studium zu verdienen, was Konzentration und Zeit kostet. Teilweise, wenn auch selten, kommt es zudem vor, dass sich Studierende noch einmal umorientieren und ihr Fach wechseln. Man muss da also genau differenzieren, nach Studiengang und auch individuell. Zum Gesamtbild: Die HfMDK bildet in diesem Punkt unter den Kunsthochschulen keine Ausnahme. Laut Statistischem Bundesamt erreichten 2018 – neuere Zahlen gibt es noch nicht – rund ein Drittel aller Studierenden ihren künstlerischen Abschluss innerhalb der Regelstudienzeit (33,8 Prozent).
Die Alternativen? Wir vom Prüfungsamt raten dazu, die Angebote zur Berufsfeldorientierung und die Studienberatung zu nutzen, und sich in jedem Fall frühzeitig mit der eigenen Studien- und Prüfungsordnung zu beschäftigen – möglichst schon direkt zu Beginn des Studiums. Wer mit einzelnen Regularien unsicher ist, sollte nicht lange warten, sondern besser gleich nachfragen, im Fachbereich und/oder bei uns. Dadurch lässt sich vieles abkürzen.
Sabine Rosenberger, Mitarbeiterin im Studienservice/Prüfungsamt

Die Gefahren des Nichtabwartenwollens TEXT: THILO DAHLMANN Zu früh, zu spät: Mit diesen beiden Begriffen versieht Franziska Martienßen-Lohmann, eine der prominentesten Gesangspädagoginnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Gefahren des „Nichtabwartenwollens“ bei der Ausbildung der klassischen Gesangsstimme. Sie versteht darunter das „Zu-frühe“-Beginnen und das „Zu-spät“ bei der Behebung der daraus resultierenden stimmlichen Fehlbildungen und Schwierigkeiten.
Ist die Lösung also eine möglichst große Geduld und Zurückhaltung bei öffentlichen Konzerten und Engagements während des Gesangsstudiums? Gar eine möglichst lange und beschützte Ausbildung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, bis Technik und Persönlichkeit des Studierenden so gefestigt sind, dass jede passende sängerische Herausforderung stabil gemeistert werden kann?
Die Antwort auf diese Frage ist leider nicht so einfach wie die Frage suggeriert. Dass ein Studierender in der Ausbildung keine Partien übernehmen soll, die sie oder ihn überfordern, oder technische Grenzen überschreiten, versteht sich von selbst. Sollte ein Studierender aber über sechs Jahre (was traditionell in der italienischen Gesangsschule als Dauer der professionellen Stimmentwicklung angesehen wird) hinter den Mauern des Instituts Stimme und Persönlichkeit entwickeln, um dann als „fertiger“ Sänger ins Leben entlassen zu werden? Das würde voraussetzen, dass es so etwas wie „fertig“ gibt – doch Sängerinnen und Sänger sind nie „fertig“.
Hier beginnt die Verantwortung von Lehrenden und Studierenden. Das „wahre Leben“ ist nicht die Hochschule. Und der Übergang in die Berufswelt ist fließend. Gerade der Sängerberuf hat zahlreiche Facetten, bei denen Studierende schon früh ins Berufsleben einsteigen und Fuß fassen können. Dies beginnt bei Chorengagements, kleinen Konzerten, großen Oratorienund Opernpartien, die im professionellen und semiprofessionellen Rahmen nachgefragt werden. Jungen Sängerinnen und Sängern werden häufig bereits früh große und attraktive Partien angeboten, da sie bereit sind, diese für ein deutlich geringeres Honorar zu übernehmen als Sänger mit abgeschlossener Berufsausbildung.
Im größeren Kontext ist der Markt ständig auf der Suche nach neuen Stimmen und neuen Gesichtern, um die Aufmerksamkeit der Käufer und Konzertbesucher zu gewinnen. Dass die meisten dieser Newcomer schnell wieder verschwunden sind, ist dabei keine Überraschung. Insbesondere wird ihnen selten die Zeit gegeben, in die Anforderungen einer anspruchsvolleren Partie hineinzuwachsen.
All dies ist nicht neu und wurde schon in Gesangsschulen des 19. Jahrhunderts beklagt. Ziel im Studium ist es heute, eine Balance aus Anforderung, Schutz und Ermutigung zu finden. Eine zugegeben nicht immer einfache Aufgabe, die auch falsche Entscheidungen nicht verhindert. Dennoch findet das wahre Leben nicht hinter verschlossenen Mauern einer Bildungsinstitution statt. Für Sängerinnen und Sänger ist es wichtig, Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, Grenzen auszuloten und Kontakte zu knüpfen. Dabei sollten Studierende und Lehrende Partner sein, um den individuell richtigen Weg eines jeden Studierenden zu finden und zu fördern.