nevertheless a magazine for places / spaces / art / work people / projects / reading / writing / fashion design / photo / graphic / illustration
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Impressum
nevertheless 01 Erscheinungsdatum: Dezember 2010 Auflage: 1.000 Erscheinungsweise: halbjährlich Herausgeber und Medieninhaber atelier olschinsky Grafik und Design GmbH Gonzagagasse 12, 1010 Wien T. +43 1 535 67 62 / office@olschinsky.at / www.olschinsky.at Für den Inhalt verantwortlich Peter Olschinsky / Verena Weiss Geschäftsführer der atelier olschinsky Grafik und Design GmbH Redaktion Peter Olschinsky / Verena Weiss / Gerhard Weiß Artdirektion & Grafik/Design atelier olschinsky Grafik und Design GmbH Lektorat Sandra Broeske Druck Gugler Cross Media Erscheinungsort Wien Copyright atelier olschinsky Grafik und Design GmbH 2010 Artikelübernahme nur nach Vereinbarung mit dem Herausgeber. ISSN ISSN 2219-7559 nevertheless 02 Redaktionsschluss: 29. April 2011 Erscheinungsdatum: Juni 2011 www.nevertheless.at
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Editorial
Nevertheless. Man kann es ja auch anders machen, meinen wir und leisten uns den Luxus, das Magazin, nach dem wir immer schon gesucht haben, einfach selbst zu produzieren. Mit einem alles entscheidenden Vorteil: Wir schreiben und vermitteln über Bilder ausschließlich das, was wir selber gerne lesen würden. Im dichten und verwirrenden Informationsdschungel schlagen wir für uns eine Lichtung, einen Pfad, den wir gehen können, der uns freie, klare Sicht gibt auf all das, was wir wichtig finden, was uns interessiert und worauf wir gerne Ihre Aufmerksamkeit lenken wollen. Wir beachten, beschreiben, zitieren und zeigen – aber wir interpretieren nicht. Weil wir meinen, dass Geschichten, Daten und Fakten für sich selbst sprechen und auch Persönlichkeiten sich bestens selber darzustellen vermögen. Nevertheless-Themen sind grenzenlos. Literatur, Bildende Kunst, Musik, Architektur, gesellschaftliche Phänomene und Projekte, urban lifestyle, Historisches oder neue, besondere Entwicklungen in allen Lebensbereichen – regional oder international: thematisch wie inhaltlich möchten wir uns nicht einschränken. Wir interessieren uns für Menschen und Projekte, für Städte und Plätze, für Schicksale, besondere Lebensformen, Ideen und Leistungen – unabhängig davon, ob sich der Zeitgeist gerade darum kümmert. Es muss nur etwas sein, was uns anrührt, was uns staunen macht, unterhält und womit wir uns gerne beschäftigen. Wir reisen, schauen, sammeln Eindrücke und geben sie weiter. Wir mögen das Entdecken der großen und kleinen Wunder des Lebens und den Thrill der Überraschung, den wir immer wieder bei der Recherche und der Aufbereitung erleben. Nevertheless – das war und ist unsere Vorgabe – sollte uns jedes Mal, wenn wir es zur Hand nehmen, Freude machen. Und es sollte uns umso mehr freuen, wenn wir eine große Zahl Gleichgesinnter finden, die diese Ambition goutieren.
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Inhalt
Places / Spaces .
Berggeschichten / 6
Mountain Views. reading / Writing .
Vom Fehlen des Meeres auf dem Lande / 22 Kurzgeschichte von Magda Woitzuck.
people / Projects .
Die Sammler / 28
Passion mit System. Art / work .
Texturen / 40
Tafelbilder. Art / work .
Die Geschöpfe der Gundi Dietz / 50 Frauenbilder – Menschenbilder.
reading / Writing .
Aussichten / 68
Kurzgeschichte von Verena Weiss. Places / Spaces .
Kopenhagen / 72
Neue Ansichten. Places / Spaces .
Christiania / 80
Das Paradies der Verlierer. Places / Spaces .
Mauritius / 94
Island Views. people / Projects .
1:72 / 110
Die Dioramen des Erik Trauner. Art / work .
Mit Nadel & Faden / 124 Edith Platzl.
fashion / design .
V & V / 138
Veronika Schwarzinger. fashion / design .
Zwetelina Alexieva / 142
Silber – Paar – Balance. fashion / design .
Ursi Fürtler / 148
Die Bewahrung der Ästhetik.
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nevertheless 01
Joanna Syvänoja / 158
fashion / design .
Kostbare Gehäuse. fashion / design .
Sabina Feroci / 166
Kleines Figurentheater.
Wien/Paris/NY / 170
fashion / design .
Conny Schmeller über Helmut Lang. people / Projects .
Liu Yong / 186
Bleib mutig.
Strukturen / 204
Art / work .
Illustrationen. people / Projects .
Die Leiden der Neuen Musik / 216 Morgana Petrik.
Art / work .
Out of Africa / 226 Peter Weihs.
people / Projects .
Literarischer Nahversorger / 250
Richard Pils und seine Bibliothek der Provinz. reading / Writing .
Bäume / 256
Weltwunder der Natur. reading / Writing .
Friedrich Gulda / 266
Ein Leben für die Musik. Art / work .
Action Painting / 278 Mike Shane.
Photo / graphic .
Cars / 290
We love them. people / Projects .
Terminal Cases / 302
Unheilbar krank ...
Appendix / 314
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PLACES / SPACES
Berggeschichten
Mountain Views. Fotos: Verena Weiss, Peter Olschinsky.
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PEOPLE / PROJECTS
Die Sammler
Passion mit System. Text: Gerhard Weiß / Fotos: Peter Olschinsky.
„Aufgewachsen bin ich im Höllental, im Rax-Schneeberg-Gebiet. Zwischendurch im zerbombten Wien und in Schwechat. Dann wurden wir evakuiert nach Vorarlberg. Wir hatten nichts. Nicht einmal einen Vater. Der ist im Krieg geblieben. Den hab ich nie gesehen.“ Das Leben hat Horst O., Jahrgang 1942, anfänglich nicht gerade verwöhnt. Vielleicht war es gerade die Erfahrung von Dürftigkeit und Mangel, die ihm den Blick für die kleinen, erfreulichen Dinge schärfte. Den „Sammelvogel“ – so nennt er seine Passion – hat er seit der Kindheit. „Als Bub hab ich was gesehen, das hat mir gefallen und ich hab es eingesteckt. Mein Hosensack war immer voll. Ein Taschenfeitel und eine Steinschleuder waren dabei und siebzehn andere Dinge. Ein schöner Stein, ein besonders geformtes Holz, alles, was irgendwie außergewöhnlich war.“ Als Horst O. 1962 zu Ingrid zog, kam zusehends System in die Sammlerei. Gemeinsam wurde gezielt nach raren, bewahrenswerten Objekten gesucht. „Er ist zu mir gekommen mit einer Kiste Halbedelsteine, einem Aquarium ohne Fische, aber voll mit Kakteen. Und einer Gitarre. Ich war überzeugt.“
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ART / WORK
Texturen Tafelbilder. Peter Olschinsky.
Die Bilder entstehen schnell, spontan. Olschinsky will nicht, dass es „Malen“ ist und heisst, was er macht – der Pinsel ist sein Feindbild. Wenn Malerei geplant, planbar ist, wenn Pinselstriche erkennbar werden, wird es konkret, gegenständlich für ihn. Und damit ist es Handwerk, berechnendes Handwerk. Und uninteressant. Der aufregendste Moment ist der vor der leeren Leinwand. Wenn ihm dann die Farbe, die Strukturen, die Verletzungen, die Schichten und Texturen einfach passieren, ist das Ergebnis gültig. Dann ist es pures Malen und öffnet ein Stück der Welt, die er sucht.
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ART / WORK
Die Geschรถpfe der Gundi Dietz
Frauenbilder - Menschenbilder Text: Gerhard Weiร / Fotos: Peter Olschinsky
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PLACES / SPACES
Kopenhagen
Neue Ansichten. Text & Fotos: Gerhard Weiß.
Kopenhagen definiert sich neu / Nirgendwo in Nordeuropa wird derartig viel in die Entwicklung eines neuen Stadtbildes investiert, wie in der dänischen Hauptstadt. Kopenhagens Stadtregierung, finanzkräftige Investoren und Stiftungen unternehmen alles, um zur Hautevolee der Gegenwartsarchitektur aufzuschließen. Die weltweit beachteten, teils futuristischen Entwürfe heimischer und internationaler Architektenstars vermitteln immer neue Ansichten der Metropole am Øresund.
tragen sollen. Dass einige hundert Mitarbeiter der dänischen Radiostation (auch deren benachbarter Bürokomplex ist brandneu) durch die enorme Überschreitung der Baukosten ihren Job verloren, steht auf einem anderen Blatt. Über einen Glasgang verbunden – und getrennt durch einen Kanal, der die gesamte Ørestad durchzieht – sind die Verwaltungs- und Sendegebäude des öffentlich-rechtlichen dänischen Radios und Fernsehens (DR). Die an sich funktionellen und ansprechenden Neubauten haben auch ihre Tücken. Im Am Rand der Kopenhagener City, im Stadtteil Ørestad, ersten Winter froren die Mitarbeiter in den in offener hat der französische Stararchitekt Jean Nouvel mit dem Bauweise gestalteten Gebäuden. neuen Konzerthaus 2009 der dänischen Metropole einen futuristischen Riesenkubus verpasst, auf den Kreativraum Universität / Gleich hinter dieser „Radioersten Blick ein schnörkelloser, wuchtiger Klotz. Die stadt“ liegt Kopenhagens neue IT-Universität, außen doppelte Außenhaut des neuen Kulturtempels: ein eher kühle Stahl/Glas-Konstruktion, aber mit anspreblaues Metallnetz, dahinter, durch einen schmalen chendem, lebendig wirkendem Innenhof zwischen den Korridor getrennt, ein Glaskubus und als Hauptstück beiden 5-Stock-Gebäuden und viel Einblick in die Studiein „Meteorit“ aus Sichtbeton und Birkenholz, mit einem enräume, Hörsäle und Meetingrooms. Dieser „kreative weiten Foyer und großzügigen Wandelgängen. Opti- Studien- und Zukunfts-Freiraum“ entstand nach Plänen sches und akustisches Wunderwerk ist der riesige, des dänischen Architekten Henning Larsen, der auch arenaartige Konzertsaal (plus drei kleinere Konzert- Kopenhagens neue Oper am Hafen schuf. Studios) für 1.800 Zuhörer. Kommunikativer Rundbau / Schräg gegenüber das Leuchtender Würfel / Nachts leuchtet das Gebäude 2007 eröffnete Tietgenkollegiet, ein Ergebnis eines magisch in Kobalt, belebt von Licht-Projektionen, die – 2001 ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs – das später – das Geschehen im Inneren nach außen über- preisgekrönte „Studentenwohnheim der Zukunft“. Es
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Places / Spaces
Christiania Das Paradies der Verlierer. Text & Fotos: Gerhard WeiĂ&#x;.
PLACES / SPACES
Mauritius
Island Views. Fotos: Verena Weiss, Peter Olschinsky.
ART / WORK
Mit Nadel & Faden
Edith Platzl. Fotos: Gerhard Weiß.
„Ich zeichne mit der Nähmaschine, mit beiden Händen, auf Transparentpapier oder auf lichtdurchlässiges Gewebe. Die schwarzen Fadenenden ergänzen und dynamisieren meine Graphiken.“ „Malerei, Graphik, Zeichnung und textile Kunst haben sich letztendlich durch einen starken Faden vereinigt. Das war für mich schon immer Wunsch, Traum und Absicht.“
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FASHION / DESIGN
Zwetelina Alexieva
Silber - Paar - Balance. Fotos: Peter Olschinsky / Model: Franziska Rappl.
„Schmuck ist wie eine kleine Skulptur, die du tragen kannst. Es sagt den anderen etwas über dich: über das, was du magst und wie du dich selbst siehst.“ „Ein einzelner Gegenstand wird als Statement aufgefasst. Zwei gleiche Gegenstände nebeneinander rufen Fragen hervor. Paar? Klon? Mutter und Kind? Durch den Verlust der Einzigartigkeit tritt die Beziehung in den Vordergrund. Ein Formenpaar in unterschiedlichen Phasen von Nähe und Verschmelzung bildet eine bewegliche und wechselnde Anordnung von Linien und Volumen. Immer neue Variationen entstehen beim Tragen, auf der Suche nach der persönlichen Balance und Harmonie.“ „Ich selbst mag Natur, Strukturen und Ordnung. Ich schätze Dinge, die lange halten und Wert bewahren.“ „Das unerwartete Ereignis, die Spannung, das Schöpferische fasziniert mich.“ „Aufmerksamkeit gegenüber Dingen offenbart ihre Schönheit auf den zweiten Blick.“
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FASHION / DESIGN
Ursi Fürtler Die Bewahrung der Ästhetik. Fotos: Peter Olschinsky / Models: Franziska Rappl, Victor Weiss.
„Ich fühle mich einer sinnlichen, optisch wie haptischen Ästhetik mit menschlichem Maß verpflichtet, die verloren zu gehen scheint und die ich versuche zu erhalten; ich habe nie Sachen gemacht, von denen ich nicht überzeugt war“. Die langjährige Beschäftigung mit Flächenkompositionen in der Malerei und beim Textilentwurf hat die Künstlerin zum Schablonendruck gebracht. Sämtliche Werkstücke werden im Handsiebdruckverfahren, einer traditionsreichen Schablonentechnik, hergestellt. Ursi Fürtler arbeitet nach einem strengen, selbst gewählten Musterraster: Mit nur fünf verschiedenen Siebdruckschablonen erzeugt sie einen Variantenreichtum aus Streifen, Zacken und Punkten, der neben der Eleganz der Farbkomposition und Materialstruktur, jede ihrer Arbeiten zum Unikat macht. Ihre Materialien sind Seide, Samt und Leder; der Arbeitsprozess ein Spiel mit Farbe, Form und Struktur. Gewellt, gekräuselt, plissiert oder gezackt, die Dominanz der Strukturen ihrer hochwertigen Materialien nimmt Ursi Fürtler jedoch bewusst durch das darüber Gedruckte wieder zurück. „Erst während des Druckvorganges verbinden sich Stoffstruktur und Siebmuster zu einer neuen kompositorischen Einheit, zu einer neuen Textur, zu einem neuen Design.“ So entstehen Schals, Tücher, Paravents, Wandobjekte, Panneaus und mehr, nuancenreich, unaufdringlich, harmonisch in Farbe und Struktur, geometrisch, grafisch streng, rhythmisch im Muster.
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FASHION / DESIGN
Joanna Syvänoja
Kostbare Gehäuse. Fotos: Peter Olschinsky / Model: Franziska Rappl.
„Auch wenn ich nach von mir bestimmten Regeln arbeite und meine Absicht klar ist – das Stück, das Objekt in meinen Händen entwickelt Eigenleben und findet seine eigene Form. Ein exakt gestaltetes Teil folgt dem anderen, in meinen Händen entwickelt sich ein Rhythmus und ermöglicht das Wunderbare. Es ist ein langsamer, meditativer und sehr natürlicher Prozess. Arbeit wird zum Spiel mit der Form.“ „Ich bewundere die Formen in der Natur, die animal architecture. Meine Objekte erinnern an Gehäuse, an Dome oder Kuppeln, an Muscheln, Puppenhüllen, Schneckenhäuser, Höhlen oder Nester. Sie könnten Unterschlupf oder Heim für jemanden sein.“ „Um meine Objekte aus Papier zu bauen, bevorzuge ich alltägliche, bereits existierende Materialien aus meinem Umfeld. Ich verwende bedrucktes Papier, Kartenwerke, Kataloge, Wörterbücher. Material, das selbst lange in Verwendung stand, Material mit reicher Vergangenheit. Dieses Material gibt den Objekten ihr individuelles Aussehen und den besonderen Dekor, ihre Ornamente. In den Mustern und Strukturen sehe ich Wald oder Steine, manche haben die Anmutung von Federn, Pelz oder Samt.“
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nevertheless / 158
FASHION / DESIGN
Sabina Feroci
Kleines Figurentheater. Fotos: Peter Olschinsky / Model: Victor Weiss.
Sabina Ferocis Themen sind Menschen und deren Charaktere. Für ihre Schmuckkollektion verwendet sie ihr Lieblingsmaterial, dessen Verarbeitung sie in den Jahren nahezu perfektioniert hat: Papiermaché. Entstanden sind so Broschen und Anstecker in Collagetechnik, die an Comicfiguren erinnern; beklebt, übermalt, lackiert – witzig, bunt, dekorativ, ironisch.
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nevertheless / 166
FASHION / DESIGN
Wien/Paris/NY
Conny Schmeller über Helmut Lang. Text: Gerhard Weiß / Fotos: Peter Olschinsky / Model: Maria Braun.
PEOPLE / PROJECTS
Liu Yong 留勇
Bleib mutig. Text: Gerhard Weiß, Verena Weiss / Fotos: Peter Olschinsky.
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ART / WORK
Strukturen
Illustrationen. Peter Olschinsky.
Strukturen finden. Details entwerfen, entwickeln und zusammenfügen. In dieser Arbeit konsequent sein. Im Finden immer neuer Formmodelle, völlig frei gestaltet, nur einer ästhetischen Imagination verpflichtet.
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nevertheless / 204
PEOPLE / PROJECTS
Die Leiden der Neuen Musik
Morgana Petrik. Text: Verena Weiss / Fotos: Peter Olschinsky.
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ART / WORK
Out of Africa Peter Weihs. Text: Gerhard Weiß / Fotos: Paul Weihs, Peter Olschinsky.
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PEOPLE / PROJECTS
Literarischer Nahversorger
Richard Pils und seine Bibliothek der Provinz. Text: Gerhard WeiĂ&#x;, Verena Weiss / Fotos: Peter Olschinsky.
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READING / WRITING
Friedrich Gulda Ein Leben für die Musik. Biografie von Ursula Anders, erschienen im Verlag Bibliothek der Provinz.
Da ist es wieder: das Phänomen Friedrich Gulda, das Musikgenie. Unmittelbar, präsent, erlebbar in allen Phasen seines wunderbar bunten Lebens. Der Durch-unddurch-Musiker in seinen vielen Facetten, das Enfant terrible zwischen Klassik, Jazz und Avantgarde, dargestellt in den bewegendsten Momenten, mit seinen genialischen Eskapaden und gesellschaftspolitischen Ausbrüchen. Medium dieser Auferstehung ist ein opulenter Bildband im würdigen Großformat, 384 Seiten stark. Ursula Anders, von Friedrich Gulda testamentarisch zu seiner Nachlassverwalterin bestimmt, hat das Leben ihres Mannes in jahrelanger Kleinarbeit aufgearbeitet, zusammengefasst und in zahllosen Bildern dokumentiert. „Ich habe mich gefragt, was wirklich wichtig in seinem Leben war und danach das Buch aufgebaut. Gulda fand die größte Befriedigung in seiner Musik. Ich erinnere mich da an einen Winterabend in Weißenbach in meiner Wohnung. Er spielte einen Bach, himmlisch, überirdisch. Hinterher meinte er dann: Ach, und nun sitze ich wieder hier! Da war ich fast ein wenig beleidigt.“ Nachdem Anders bereits Guldas „Worte zur Musik“ und zusammen mit Thomas Kanehl eine vollständige Diskografie unter dem Titel „Wanderer zwischen den Welten“ (beides in der Bibliothek der Provinz) herausgebracht hatte, stürzte sie sich auf das im Nachlass reichlich vorhandene Bildmaterial, um es zu sichten, zu ordnen und zu ergänzen. Dabei entstand der Wunsch, den Bildband über sein gesamtes Leben zu gestalten. Sie schrieb die informierenden und verbindenden Worte zu den Fotos, dokumentierte alle Stationen seines Lebens und Wirkens. Gulda hat, so die Autorin, in der Musik jene Freiheit zum Erklingen gebracht, die seinem ureigensten Wesen entsprach: „In den großartigsten improvisatori-
schen Höhenflügen, im Bemühen um das Aufbrechen alter, erstarrter Konventionen, in der Begegnung und Verschmelzung unterschiedlichster Kulturen“. Ursula Anders, Guldas Schülerin, Geliebte und Mitspielerin in unvergesslichen Darbietungen, nimmt sich selbst in dieser Dokumentation stark zurück. Sie lässt lieber die Bilder sprechen und stellt sich ganz hinter das musikalische Genie. In Rezensionen, Zeitungsartikeln, persönlichen Briefen, Aufsehen erregenden Reden und Erklärungen seiner musikalischen Mitstreiter erschließen sich Persönlichkeit und Wesen des Ausnahmemusikers. Auch die private Seite des Musikgenies wird einfühlend, mit viel Verständnis und vor allem authentisch vermittelt. Quelle sind sehr persönliche Zitate und Briefe von Gulda selbst, die Erinnerungen seiner Söhne etwa und jener Menschen, die in Guldas Leben eine Rolle spielten. Ich weiß und wir alle wissen im tiefsten Inneren, dass es das Gute, Wahre und Schöne gibt. Wenn es einem meiner Werke gelingt, etwas von dieser freudigen Gewissheit zu vermitteln, so hat es seinen Zweck erfüllt. (Friedrich Gulda) Am 16. Mai 2010 wäre der Pianist und Pionier der Grenzüberschreitung 80 Jahre alt geworden. Er starb am 27. Jänner 2000, just am 244. Geburtstag eines gewissen Wolfgang Amadeus Mozart, dessen Musik er besonders liebte. Das Buch würdigt einen, der schon zu Lebzeiten Mythos, Legende war.
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Friedrich Gulda / Ein Leben f端r die Musik
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ART / WORK
Action Painting Mike Shane. Text: Gerhard Weiß / Fotos: Thomas Karner.
Der Bodypainter Mike Shane bemalt nicht, verziert nicht und behübscht keine Körper. Auch die in der Szene weit verbreitete und sich immer üppiger entwickelnde Ausstattungsorgie mit phantastischen Details und Accessoires ist nicht unbedingt seines. Shane behandelt in seinen meist öffentlich zelebrierten Painting-Acts Körper eher wie perfekt geformte, bewegliche Gefäße. Oft streicht er sie vorerst an, grundiert sie sozusagen und sorgt dann in einer sorgfältig einstudierten Choreografie, einer gekonnten, rhythmischen Performance, für die „Glasur“. „Beschüttet sein“ hat dabei viel weniger Zufälliges, als man glauben könnte. Die gekonnten Bewegungen der Models (nahezu alle haben als Ballett- und Tanzprofis Bühnenerfahrung) sind wichtiger Teil des kreativen Akts. Ebenso unentbehrlich: ein äußerst kunstvoll agierender Fotograf. Ohne ihn gibt es keine brauchbare Dokumentation der oft nur Minuten dauernden Aktion. Die Bilder von Thomas „tompho“ Karner sind denn auch die verwertbaren, unwiederbringlichen Momentaufnahmen von Michael Shanes bodypainting-artwork. Interessenten schätzen an den Fotos natürlich auch den sinnlichen Aspekt, so Mike Shane. Allerdings beziehen die Arbeiten ihre erotische Wirkung vor allem durch die „Verpackung“, durch das „Bekleiden“ mit Farben, nicht durch Entblößung. Uns scheint besonders interessant, wohin sich letzte Arbeiten des Bodypainters, der eine gediegene künstlerische Ausbildung aufzuweisen hat, entwickeln. „Im Moment arbeite ich mit meinem Team an einer neuen Linie, die vielleicht am besten im ersten Bild erkennbar wird. Jetzt geht es auch um Inszenierungen, um das Gestalten von sorgfältig gebauten Bildern, die in der Entstehung viel mehr Zeit geben für die Entwicklung von Situationen und Details und die Vermittlung einer Aussage.“
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PHOTO / GRAPHIC
Cars
We love them. Fotos: Peter Olschinsky.
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PEOPLE / LIFE
Terminal Cases
Unheilbar krank … Text & Fotos: Peter Landrichter.
Zündholzschachtel … Matchbox … so fing alles an / „Brrrm, Brrrm, Brrrm“ in jüngsten Jahren – Autos – Motoren – 1:43 – Gummireifen, die sich von den Felgen wuzeln lassen – Aston Martin mit Schleudersitz – James Bond - laut – schnell – Slot Car – Tretroller aber ohne Luftreifen – Fahrrad – Rausch der Geschwindigkeit – bergab volles Rohr – Rücktrittsbremse für U-turn missbraucht – Dampfmaschine – Kraft, die bewegt – nicht nur sich – Fesselflugzeug – Paradoxon – die Freiheit über den Wolken gefesselt – aber laut – Glühzündermotor – der Propeller schlägt zurück – die Maschine wehrt sich – Großvaters Erzählungen von Horch und Wanderer Automobilen im ersten Weltkrieg – 14 Jahre – irgendjemand hat ein Moped – toll – HMW Conny – Halleiner MotorenWerke – Schalten muss man mit dem Zeigefinger, da das Schaltseil längst abgerissen ist – aber es fährt – natürlich für mich unmöglich – von den Eltern streng verboten – die ersten Fahrversuche mit einem Auto unter Vaters prüfenden Blicken auf einem Feldweg – heimlich um 50 Schilling ein Moped gekauft – nur fürs Wochenende am Land – auffrisiert – Puch MS 50 – Postlermoped – aber mit 17-er Bing Vergaser – Wuiiii – und einem Frankfurter Auspuff – kleine Sitzbank – auf Fußschaltung umgebaut – nicht angemeldet auf Feldwegen unterwegs – hier wird der Grundstein für die Liebe zu Schotterstraßen gelegt – Kaufvertrag fällt aus der Hose – Moped weg – Scheiße – ein Bauer hat unter Stroh noch eine uralte Puch 250 TF – Güte schenkt sie uns – der erste Scheunenfund
– 12 PS und 140 kg – ideal zum Moto-Cross-Üben auf einer Schlackenhalde – zum Starten braucht man drei Freunde, da keine Batterie – nur anrennen – aber dann, mei Liaba – Badehose, Flip-Flops und kein Helm war damals selbstverständlich am Motorrad – na ja, da wieder nicht angemeldet wieder nur auf leeren Straßen, die hinten hinaus ins Unendliche führen – Blick, wie ParisTexas – war aber nur … – irgendwann ist das Motorrad, das Allgemeingut der dörflichen Jugend ist, weg – wahrscheinlich den Weg aller Motorräder gegangen – Schade drum – jetzt hätte ich es gerne … der legale Teil beginnt … so ging es weiter / Die Reife oder was man so nennt, naht – mit 18 Jahren gibt es nur noch ein Ziel – nein, nicht die Matura – der Führerschein muß her – Fahrschule mit sechs Fahrstunden absolviert (zwei Motorrad, vier Auto) – nach anfänglich gemeinsamen Ausfahrten, oh Graus – ab und zu Vaters Auto ausborgen dürfen – Ausrede war immer, man müsste ein Mädchen heimbringen – wohnt sehr weit draussen und kein Bus – ob’s gestimmt hat oder nicht – Volvo 122 S – kräftiger Doppelvergasermotor mit 100 PS – Schwedenstahlpanzer – aber alles geht gut – Bundesheer und erstes eigenes Auto – Opel Kadett „A“ Kombi, Bj 1963 – ca. 40 PS – Deutschlandimport – 60% werden in der Firma des Vaters abgearbeitet, 40% Eigenmittel waren vorhanden – Kaufpreis 6.000 Schilling (heute nicht mal 500 Euro) – muss viel aushalten – erste Reisen – Schaumgum-
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www.nevertheless.at
ISSN 2219-7559 nevertheless 01 / 12,00 â‚Ź