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Technikvorschau

Technikvorschau Rallye-WM 2022 Hybridfahrzeuge – Fluch oder Segen?

Unmittelbar vor der Rallye Monte Carlo brennt die Luft. Die FIA verabschiedete für die WM ein neues Reglement – mit Hybridtechnik. Die Hersteller entwickeln auf Hochtouren und die finalen Testfahrten sind im vollen Gange.

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Finnland, Spanien, Italien, Großbritannien – die Testteams von Ford, Hyundai und Toyota haben in den vergangenen Wochen einiges gesehen, trotz Pandemie. Nun geben sie sich in den Seealpen die Türklinken in die Hand. Verständlich, muss doch die finale Konfiguration der künftigen Boliden feststehen, will man bis Mitte Jänner für den Saisonauftakt bei der „Monte“ die drei vorgesehenen Einsatzautos fertig haben. Zu tun gibt es reichlich. Denn vom World Rally Car zum Rally1 wurde nicht nur der Name gewechselt, es wird auch der Wechsel hin zu Hybridfahrzeugen vollzogen. Der macht Sinn, denn in Amerika, Asien oder Afrika wird sich das hierzulande kräftig protegierte Elektroauto auch künftig deutlich schwerer tun, als die Kombination aus effizientem Verbrennungsmotor mit zusätzlichem Elektroantrieb.

Die Plug-In-Hybride werden außerdem erstmals auf einem von der FIA vorgegebenen Rohrrahmenchassis aufgebaut, behalten zwar ihre spektakuläre Optik

„Das von den Fahrern geschätzte elektronische Mitteldifferential ist ebenso Vergangenheit, wie die Schaltwippen am Lenkrad und sechs Fahrstufen.“

bei, werden im Detail jedoch gravierend verändert. Das reicht vom Verbot von luftleitenden „Flaps“ bis hin zum hinteren Diffusor, der deutlich höher montiert werden muss. Schon am 1. Juli wurde die bisherige Verbrenner-Technik bis auf wenige Details ab dem Saisonstart 2022 für fünf Jahre eingefroren.

Schalthebel statt Wippen Unter dem Karbonkleid setzt man vermehrt auf die simplere und günstigere Rally2-Technik, angefangen beim starren Durchtrieb zwischen Vorder- und Hinterachse. Das von den Fahrern geschätzte elektronische Mitteldifferential ist ebenso Geschichte wie Schaltwippen am Lenkrad oder sechs Fahrstufen. Künftig muss das Fünfgang-Getriebe wieder über einen sequenziellen Schaltstock bedient werden. Auch sonst werden die Hightech-Renner ordentlich kastriert. So müssen die Fahrer mit maximal 270 Millimeter Federwegen auskommen – bisher waren es gut 50 Millimeter mehr. Dem nicht genug, wird es keine Auswahl mehr beim vorderen oder hinteren Differenzial, geben. Heißt, der Rally1-Bolide für den Schotterritt auf Sardinien wird sich nur marginal von jenem bei der Asphalthatz in Spanien unterscheiden.

„Bestimmte Passagen in Ortschaften oder im Servicepark werden künftig vollelektrisch und nahezu lautlos zurückgelegt.“

M-Sport-Technikchef Chris Williams

Im Frühjahr erhielt jeder Hersteller eine erste Hybrid-Einheit des deutschen Exklusivlieferanten. Diese soll den bisherigen, gut 400 PS starken 1,6l-Vierzylinder-Turbomotor mit 100 kW/136 PS unterstützen. In nur acht Monaten entwickelte die Compact Dynamics GmbH gemeinsam mit den österreichischen Batteriespezialisten Kreisel Electric den 80 Kilo schweren Hybridblock aus Batterie, Inverter, Kupplung sowie Leistungselektronik. Dass M-Sport seine erste Einheit direkt nach Nordamerika ins Ford-Entwicklungszentrum liefern ließ, zeigt, wie komplex die Aufgabenstellung sein wird.

136 PS Power+ für 10 Sekunden „Bestimmte Passagen werden künftig vollelektrisch und nahezu lautlos zurückgelegt“, weiß M-Sport-Technikchef Chris Williams, unter dessen Regie der Ford Puma Rally1 entsteht. „Damit die Teams bei der folgenden Wertungsprüfung auf die volle Elektro-Power zurückgreifen können, dient der Verbrennungsmotor auf den Verbindungsetappen dazu, die Batterie aufzuladen“, ergänzt Toyota-Cheftechniker Tom Fowler. Beide sind sich einig: Die größte Herausforderung liegt bei der optimalen Nutzung des Extra-Boosts. Im Reglement wurde festgeschrieben, dass die zusätzlichen 136 PS beim Start jeder Wertungsprüfung für maximal zehn Sekunden bereitstehen. Um die Extrapower auf der Prüfung erneut abrufen zu können, muss zuvor durch Bremsen rekuperiert werden. Die dafür benötigte Bremsleistung ist ebenfalls im Reglement definiert“, ergänzt Julien Moncent, bei Hyundai für den Antrieb zuständig. Dem nicht genug, müssen die Teams vor jeder Prüfung entscheiden, in welchem der drei möglichen Steuerprogramme sie die Zusatzleistung nutzen wollen. Wichtig: jene Leistung, die im jeweiligen Zeitfenster nicht genutzt wird, verfällt. „Die Strategie wird künftig eine entscheidende Rolle spielen“, verrät Moncent.

Die Fahrer sind – anders als in früheren Tagen – von ihren neuen Boliden wenig begeistert: „Künftig werden Fahrer im Simulator das perfekte Bremsen üben müssen. Günstiger wird das kaum“, warnt Hyundai-Speerspitze Thierry Neuville. Teamkollege Ott Tänak hadert ebenfalls: „So verständlich der Wechsel zum Hybridantrieb ist, die neuen Autos werden schwerer und behäbiger.“ Selbst Edel-Privatier und Prada-Erbe Lorenzo

Große Show: Mit viel Pomp wurden die 2022er-Boliden der drei Hersteller Toyota, Hyundai und Ford (v.r.n.l.) im Hangar-7 von Red Bull in deren Kriegsbemalung präsentiert.

„530 PS hören sich zwar toll an, aber wir reden hier meist nur von ein paar Sekunden. Leider spürt man immer das hohe Gewicht.“

Lorenzo Bertelli im Ford Puma Rally1

Bertelli ist nach einer Testfahrt im Ford Puma Rally1 ernüchtert: „530 PS hören sich toll an, aber wir reden nur von ein paar Sekunden. Und leider spürt man das hohe Gewicht. Kein Vergleich mit dem aktuellen WRC.“ Kurios: der erste Test des achtmaligen Weltmeisters Sébastien Ogier steht noch aus, weil Toyota-Teamkollege Elfyn Evans das Testauto schrottete. Doch just von diesen ersten Fahreindrücken wird abhängen, wie oft er der 37-jährige im Jahr 2022 einsteigt. Fix ist bislang lediglich sein Start bei der 90. Rallye Monte Carlo. Beim Saison-Auftakt im Jänner soll es noch einmal zum großen Duell mit seinem Landsmann Sébastien Loeb kommen. Der Vorteil des zehn Jahre älteren Rekord-Weltmeisters: er absolvierte schon zwei Testtage im Ford Puma Rally1.

rk

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