Klassisches Indisches Bogenschießen nach dem
„Ein Schütze, der denkt, seine Pfeile seien leicht wie Gras, sein Bogen wie brennendes Öl und seine Sehne schön wie sein Leben, wird der beste aller Schützen.“ Aus der alten, von mir ins Deutsche übersetzten Schrift „Dhanurveda“, habe ich all jene Anteile in das KIB übernommen, die ich für zeitlos gültig und mit der heutigen Wirklichkeit vereinbar halte. Zudem habe ich die hinduistischen Elemente durch religionsunspezifische ersetzt. Somit ist KIB eine Erfindung von mir, die ich jedoch bereits seit Jahren auch in Indien lehre, wo das Bogenschießen als eine der einst sieben Waffenkünste des Kalari, fester Bestandteil der Kultur Südindiens war. Allerdings haben die Engländer das Bogenschießen aus verständlichen Gründen verboten. „Ein Schütze, der beginnt, mit der linken Hand zu schießen, wird in kürzester Zeit in der Kunst des Schießens erfolgreich sein. Ist er mit der Linken Hand erfolgreich, kann er es mit der rechten Hand versuchen. Im Lauf der Zeit soll der Schütze lernen, Pfeile und Kugeln mit beiden Händen zu schießen.“ Das KIB unterscheidet sich von Kyudo hauptsächlich durch seine Vielfalt in der Wahl der Bogen, der Pfeile, der Stellungen und der Ziele. Zu dem Umstand, dass jede Komponente logisch und sinnvoll erscheint, kommt die Besonderheit, dass neben dem Erlernen aller Schießweisen des KIB der Schüler ermutigt wird, entsprechend seiner persönlichen Fähigkeiten, in einer Schießweise meisterhaft zu werden. So wird der Schüler im Laufe der Zeit durch das Erlernen der verschiedensten Techniken, seinen persönlichen Königsweg der Bogenkunst finden. Er wird durch sein fundiertes Material- und Technikwissen in seiner Urteilskraft und Persönlichkeit gestärkt. Zudem kommt das ständige Üben mit der „falschen“ Hand. Wir schießen also immer links und rechts, da wir ohnehin immer aus unserer Mitte heraus schießen. Wenngleich ich bis vor etlichen Jahren im Video „Das Schießen mit dem einfachen Bogen“ vom „dominanten Auge“ gesprochen habe, weiß ich heute aus langjähriger Erfahrung, dass das ein Unsinn ist, den ich wider besseren Wissens kritiklos übernommen habe. Nach dem Dhanurveda übt der Schüler so lange mit der „falschen“ Hand, bis er passabel trifft und schießt erst dann mit der „richtigen“ Hand. Geschossen wird auf große (sechzig Bogenlängen), mittlere (vierzig Bogenlängen) und kurze (zwanzig Bogenlängen) Entfernung.
„Während er schießt, soll sich sein Haarknoten nicht bewegen. Im Schuss sollen seine beiden Schultern sich nicht bewegen. Während des Schusses sollen sich die Augen des Schützen nicht bewegen. Sein Blick soll fest auf das Ziel gerichtet sein. Das Ziel ist von seiner Faust verdeckt, sein Blick eilt dem Pfeil voraus. Wissend, dass der Geist dem Blick folgt, soll der Pfeil zu dem Punkt fliegen, auf den sich der Geist konzentriert. Ein Schütze, der regelmäßig und hart trainiert, verfehlt nie sein Ziel“
Der ideale Ablauf des „schönen Schießens“ beim KIB sieht so aus: Der Zeitpunkt ist gut gewählt und von Irritationen frei. Ebenso der Ort und die Menschen, die dabei sind, sei es als Schützen oder als Zuschauer. Die Kleidung entspricht dem Tun und der Witterung. Mit Hilfe einer Meditation bereitet man sich mental auf das Schießen vor. Man wählt den Bogen und die dazu passenden Pfeile entsprechend der Entfernung und dem Ziel. Man weiß, wie man schießen wird. Man spannt den Bogen richtig und ohne Mühe. Man nimmt die Pfeile, die man schießen wird, an sich. Man zeigt sich dem Ziel gegenüber demütig. Man begibt sich, entsprechend der zu schießenden Form, in Grundstellung. Man wählt den ersten Pfeil und legt ihn auf die Sehne. Man bewegt sich bis hin zur Position, aus der heraus der Schuss erfolgt. Man lässt ab. Man geht zurück in die Ausgangsposition und wiederholt den Ablauf, bis kein Pfeil mehr im Gürtel steckt. Man zeigt sich demutsvoll gegenüber dem Ziel. Man holt seine Pfeile. Die sechs Teile des eigentlichen Schussablaufes laufen absolut harmonisch, ohne sichtbare Anstrengung und in großer Gelassenheit ab. Gespannt wird der Bogen mit der Kraft sparenden push and pull- Methode Während der Bogenarm sich streckt (push) zieht (pull) der Schussarm. Derart kann der Schütze hintereinander viele Hundert Schüsse machen. Wichtig ist, dass beide Arme exakt im selben Moment ihren Endpunkt erreichen Der Weg dahin kann lang sein. Es wird mit Pfeilen geschossen, die keine Snap-on-nocken haben (zu großer Kräfteverlust), ohne Einnockhilfe (unnötig für einen guten Schützen) und ohne Fingerschutz (nur ein Tab bei mediterranem Ablass würde für genaues Schießen taugen). Einen Armschutz braucht ein guter Schütze ohnehin nicht, weil ein Schuss, bei dem die Sehne den Arm trifft, ohnehin zu einem Zufallstreffer führt. Somit behaupte ich, dass beim KIB mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel erreicht werden kann.
Wenngleich der Dhanurveda zwei Griffe für starke Bogen und vier für weniger starke Bogen beschreibt, schießen wir hauptsächlich mit einem Griff, der je nach Zuggewicht mit einem oder zwei Fingern unterstützt wird. Dieser Griff (Pataka, Matsari, Simhakari) ist als Primitiver Ablass bekannt. Dabei wird die Sehne nur minimal gerollt (Etwa eine halbe Drehung. Beim Mediterranen Ablass können es zwei bis drei Drehungen sein) Mit diesem Griff schießt man nach etwas Übung Bogen bis 50lbs. Bald bildet sich eine Hornhaut und diese dient obendrein einem glatteren Ablass. Bis eine Reihe schöner Schüsse gelingt, lernt man, jeden einzelnen Schritt dort hin, ohne Hast oder Zögern fehlerfrei auszuführen und am Ende fügt sich jeder gelungene Teil wie eine Perlenkette zu einem harmonischen Ganzen, wie auch ansonsten im Leben eine Reihe richtiger Taten zu einem gelungenen Ganzen führen.
„Kunststücke“ Eingebettet in die Vorbereitungen und das allgemeine Verhalten lehrt KIB auch das Schießen mit dem Daumenring, aus der Bewegung, auf bewegte Ziele, nach Gehör, im Dunkeln, vom Pferd, auf unbewegliche und auf bewegliche Ziele, sowie vom Wagen aus. Der Wagen tritt an Stelle des Streitwagens, auf dem der Schütze vier Bogen und viele Hundert Pfeile mitführte. Was im Dhanurveda nicht erwähnt wird, aber Teil der Ausbildung beim KIB ist, ist das Schießen im Liegen. Hierbei bietet der Schütze die geringste Angriffsfläche. Und mit den drei Grundgriffen fällt garantiert kein Pfeil von der Bogenhand.
Von den Bogen Da man sich beim KIB jeder Handlungen bewusst ist, legt man auch großen Wert auf die Auswahl der Bogen. Seit jeher ist der Arabische, Türkische oder Koreanische Bogen durch seine Form der effektivste, weil leistungsstärkste Bogen. Je leichter das Material und je dünner die Wurfarme, desto mehr wird diese günstige Bauform durch geringen Luftwiderstand unterstützt. Ich bevorzuge eine Kombination aus Bambus mit Carbon. Solche Bogen bauen die Koreaner in der mittleren bis hohen Preisklasse. Billige Koreaner stacken ab 28 Zoll. Langbogen sollen auch schmal und leicht sein, damit die Physik nicht unnötige Kraft abverlangt. Mit den einfachen Bambuslangbogen , die ich aus Indien mitbringe, schießt man mit Fastflight Sehnen hervorragend. Solche Bogen sehen läppisch aus, sind aber ernst zu nehmende Waffen.
„Will einer ein erfolgreicher Bogenschütze werden, soll er seine Pfeile behutsam wie eine Blume behandeln...“ Wir schießen bis 30 Meter mit Bambuspfeilen, die zwischen 4,5 und 5 Gramm wiegen. (incl. Spitze) Wenn wir Kriegspfeile schießen, schießen wir stärkeren Bambus oder Pampagras. Auch Schilfrohr eignet sich. Und wenn wir Weit und schwer schießen, nehmen wir alles, was schwer und gerade ist. Da taugt dann die heimische Fichte, die Zeder, Haselnuss, Schneeball und auch die gute Eiche. Hier schießen wir mit Daumenring oder Schießbrett. Und um Kraft zu sparen mit einer halben Nocke. Die „obere Klasse“ schießt mit Bambuspfeilen ohne oder maximal einer Nodie. Die Befiederung ist so individuell wie der Schütze. Es ist ein besonderes Erlebnis, zu hören und zu spüren, wie solche Pfeile fliegen.
Der „Köcher“ Da KIB nicht im Unterholz oder auf 3-D Parcours geübt wird, lag es für mich auf der Hand, die Frage nach Sinn und Unsinn eines Köchers neu zu stellen. Da in jeder Art von Köcher die Pfeile herum klappern oder relativ umständlich zu erreichen sind, kam ich auf die Idee, meine Pfeile in den Gürtel zu stecken. Das Resultat mehrerer Prototypen war ein Gürtelköcher. Dabei stecken die Spitzen in einer in die Innenseite des Gürtels gearbeiteten Tasche, um sich vor den Spitzen zu schützen. Die Pfeilenden weisen von der Körpermitte weg, der Gürtel wird fest um den Leib geschlungen und somit kann man sie sehr gut in der Pfeilmitte fassen, um sie ohne Korrektur mit einer Bewegung auf die Sehne zu setzen. Dieser Gürtelköcher oder Pfeilgürtel behindert den Schuss in keiner Weise und je nach Schusshand können die Pfeile links oder rechts eingesteckt werden. Beim Schießen im Liegen auf dem Bauch und beim Padmasthana liegen die Pfeile neben oder vor dem Schützen.
Die Kleidung Bei warmen Temperaturen ist der Lungi, ein einfaches Stück Tuch, eine sehr praktische Hommage an die Herkunft des Dhanurveda. Bei kühleren Temperaturen, was bei uns die Regel ist, kann man dazu ein T-Shirt tragen oder den einteiligen Bogenmantel, der bei Schülern aus einem festen Stoff gearbeitet ist. Bequem kann man den Bogenarm aus dem Ärmel nehmen. Üben kann man aber in jeder Kleidung, vorausgesetzt, am Bogenarm hängt nichts herum, was die Aufmerksamkeit und somit den Schuss stört.
„Ein Schütze, der erfolgreich seil will, soll die Prâòâyâma Atmung beherrschen und üben.“ Diese Atmung wird als spezieller Yoga bezeichnet. Davon wiederum gibt es verschiedene Arten, die von verschiedenen Autoren beschrieben wurden, das erste mal taucht diese Atmung im Rigveda vor ca. 5000 Jahren auf. Kurz beschrieben handelt es sich um eine kontrollierte Atmung, bei der keine Verwirbelungen der Luft in den Bronchien entstehen, was zu besserer Sauerstoffversorgung niedrigerem Blutdruck und besserer Hirnleistung führt. Der Ausatem wird oft mit einem sehr gleichmäßigen „Om“ begleitet. Ziel der Atmung während des Schussablaufes ist es, in Prâòâyâma zu atmen und nicht mehr darauf zu achten. Eine etwas einfachere aber auch gute Übung ist es, den Schuss im Zwischenatem zu lösen, also in jenem Moment, der zwischen dem vollzogenen Ausatem und dem Einatem liegt. Im Einklang mit seinem Atem zu sein ist ein hohes Ziel, das dazu führt, dass man selbst sehr starke Bogen mit überraschender Leichtigkeit schießen kann. Dieses schwierig erreichbare Ziel soll möglichst niemanden davon abhalten, sich dem KIB zu widmen. Wenn wir vor einem Ziel zurückschrecken, sollen wir dann Bogenschießen?
Nur Stellungen und verschiedenes Material? Der Dhanurveda beschreibt neben den Stellungen und der Ausrüstung noch folgende Bereiche: Vorbereitung, Merkmale des Bogens, der sehne, der Pfeile und der Pfeilspitzen, das Härten der Spitzen, Methoden des Zielens, Beschreibung der Treffer, verschiedene Ziele, Unterbrechung des Unterrichts, Schwierige Übungen, Abweichung des Pfeils, die Eigenschaften des Bogenschützen, das Schießen auf bewegte Ziele und die Regeln für den Krieg.
Bradjalidam
Geduld... „Die Grifftechnik kann durch Üben innerhalb sechs Monaten gelernt werden. Die Technik des erfolgreichen Zielens erlernt man in einem Jahr.“ So ist es. Spaß kann man schneller haben. Freude dauert länger, ist aber um so nachhaltiger.
Padmasthana
Hendrik Wiethase Zentrum für Klassisches Indisches Bogenschießen nach dem Dhanurveda Wesseslinden 1 94107 Untergriesbach wiethase@t-online.de 08593-920062
Bradjalidam
Visakakhasthana