Freiwilligunterwegs

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Freiwilligenprojekte mit EIRENE und Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

DEIN JAHR IM AUSLAND

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checkliste Wäre das was für dich?/// vor ort Erfahrungsberichte aus fünf K o n t inen t en / / / kontakt Termine , A dressen, wei tere in f os / / /

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CHECKLISTE///

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Ein Freiwillig endiens t im Ausland – wäre das was für dich?

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? Möchtest du ein Jahr lang etwas Sinnvolles tun?

Dich für Frieden , Gere ch ti gkei t und die Wahrung von M ens chenre ch ten engagieren?

? Interessieren dich andere  L änder und Kulturen ? ? Gehst du  of f en und unvorein genommen

auf andere zu?

? Reizt es dich, für dein Leben und für deine Projekt-

aufgabe  Veran tw or tung zu übernehmen?

? Möchtest du gerne  eine neue Sprache lernen

oder deine Sprachkenntnisse in einer Sprache vertiefen?

?

Sind freie  U n ter kunf t, Ver pf le gung, Versicherun g und ein Tas chen geld eine faire Arbeitsgrundlage für dich?

?

Bist du  anderen W er ten und Glaubens rich tungen gegenüber tolerant?

? Kannst du dir vorstellen, Personen anzusprechen,

die dich  in deinem f reiwilligenjahr be glei ten und f inan ziell unters tü tze N ?

?

Kurzum: Bist du bereit für  ein J ahr voller s pannender Er fahrun gen, die dich ein Leben lang begleiten werden?

Wenn du bei den meisten Fragen › ja ‹ oder zumindest › warum ei gentlich ni ch t? ‹ gedacht hast, solltest du unbedingt weiter lesen. In dieser Broschüre findest du die wichtigsten Informationen über Freiwilligendienste mit Aktion Sühnzeichen Friedensdienste und EIRENE – Internationaler Christlicher Friedensdienst und jede Menge Erfahrungsberichte aus erster Hand.

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n ord- / wes teur opa / / / Belgien_Seite 42 NO R D A M E R I K A / / / Frankreich_Seite 43 Kanada_Seite 31 GroĂ&#x;britannien USA_Seite 32

Irland Niederlande Nordirland_Seite 44 Norwegen_Seite 45

lat ein A M E R I K A / / / Bolivien

AF RI K A/ / /

Brasilien_Seite 10

Burkina Faso

Costa Rica

Mali

Nicaragua_Seite 13

Marokko Niger_Seite 36 Tansania

4

Tschad_Seite 35 Uganda


I N H A LT / / /

nah o s t / / /

2 C HE CK LIS T E

W Ä RE DAS WAS FÜ R DI C H ?

Israel_Seite 27

6 FR EI WI LLI G UNTER WEGS B I ST V I EL L EI C H T AU C H DU DEM N ÄCH ST ! Berichte aus

8 lateinA M ER I KA

B RASI L I EN _10/ / / N I C ARAG U A_13 Berichte aus

1 4 MITTEL-/ost-/SÜDeuropa U K RAI N E_16/ / / polen _18/ / / russland _21 / / / RU M Ä N I EN _22/ / / DEU T SC H L AN D_24 Berichte aus

mi t t el- / o s t- / s ü deur o pa///

2 6 naho st I SRAEL _27

Bosnien-Herzegowina Deutschland_Seite 24

Berichte aus

3 0 no rdamerik a kanada _31/ / / usa_32

Polen_Seite 18 Rumänien_Seite 22

Berichte aus

3 4 afrik a

ts chad_35/ / / ni ger _36

Russland_Seite 21 Serbien Tschechien Ukraine_Seite 16 Weißrussland

Berichte aus

4 0 no rd-/ westeuro pa bel gien _42/ / / f rankrei ch _43/ / / N ordirland _44/ / / n orwe gen_45

48 ASF

aktion sühnezeichen friedensdienste: mit unseren h änden e twas gu tes tun

5 0 EI R ENE

I N Ternati onaler C H RI ST L I C H ER F RI EDEN SDI EN ST: G EREC H T I GKEI T U N D F RI EDEN G EH ÖREN Z U SAM M EN

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FREIWILLIG UNTERWEGS/// Daniel in Kanada ist Malgorzata in Brasilien ist Pelin in Polen ist Pia im Niger ist Robert in Israel ist Wladimir in der Ukraine bist vielleicht auch du demnächst ! ist

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I n die Sc huhe des Anderen t re t en. . .

–––––––––––––––––––––––––––––––––– ...ist der bildhafte Ausdruck indianischer Völker für ›Solida­ rität‹. In die Schuhe von Notleidenden und Benachteiligten zu treten, bringt jungen wie älteren Freiwilligen und Fachkräften neue Erfahrungen und neue Sichtweisen.

Hier erfährst du, wie und worum es geht.

Angela König Geschäftsführerin EIRENE – International

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Dein S chwun g , deine Einzigartigkeit und deine Off enheit. . .

–––––––––––––––––––––––––––––––––– ... stehen für uns im Vordergrund. Deine Herkunft, Weltanschauung oder dein Schulabschluss spielen für den Freiwil­ ligendienst keine Rolle. Im Gegenteil: Wir freuen uns über Bewerberinnen und Bewerber mit möglichst unterschied­ lichem Hintergrund. Denn auch in unseren Freiwilligendiens­ ten geht es darum, verschiedene Sichtweisen, zum Beispiel zur Bedeutung der Geschichte für heute, auszutauschen. Dr. Christian Staffa Geschäftsführer Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

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Ein Freiwilli gendiens t – was ist das ei gentlich ? Freiwilligendienste sind befristete Arbeitseinsätze in Projek­ ten, die unsere Welt gerechter, friedlicher und solidarischer machen. Über EIRENE kannst du zum Beispiel mit Straßenkindern in Brasilien arbeiten oder ein internationales Klima­ schutzbündnis in Belgien unterstützen. Mit Aktion Sühnezei­ chen Friedensdienste (kurz ASF) kannst du dich in Moskau um Flüchtlingskinder aus Tschetschenien kümmern oder in einem Projekt für Holocaust-Überlebende in Israel engagieren. Egal, wofür du dich entscheidest: Du tust ein bis zwei Jahre etwas wirklich Sinnvolles und bekommst im Gegenzug jede Menge Lebenserfahrung, Sprachkenntnisse, Einblick in fremde Welten und Austausch mit anderen Menschen, die genau so engagiert sind wie du.

U nsere Freiwilli gen passen in keine Schublade Mit ASF und EIRENE gehen jedes Jahr knapp 300 junge Menschen (ab 18) in alle Welt. Sie sind so unterschiedlich wie die Projekte, in denen sie arbeiten. Sie gönnen sich ein ganz besonderes Jahr nach Schule, Lehre oder Studium. Oder sie haben gerade keinen Job und suchen eine Aufgabe, für die sie sich mit Begeisterung einsetzen können. Sie wollen ihren Zivildienst im Ausland ableisten. Oder sie sind einfach neugierig auf andere Länder, Menschen und Sprachen.


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Zwei Org anisat i o nen, eine Üb er z eug un g In dieser Broschüre erfährst du mehr über zwei Organisationen, die Freiwilligendienste anbieten: ASF und EIRENE. Unsere Projektländer ergänzen sich sehr gut, unsere Arbeits­ felder sind ähnlich. Und vor allem verbindet uns die Überzeugung, dass jede und jeder Einzelne einen wertvollen Beitrag zu Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung leisten kann.

D as t un wir – auc h fü r dic h Wir vermitteln geeignete Bewerberinnen und Bewerber an unsere Partnerprojekte, kümmern uns um Versicherung und Unterkunft, bereiten die Freiwilligen auf ihren Auslandseinsatz vor und werten den Dienst gemeinsam aus. Zudem sind wir auch während der Auslandszeit ständig zu erreichen. Und natürlich erhalten alle Freiwilligen von uns Verpflegung und ein Taschengeld.

I n f o rmat i o nen aus erst er H and Auf den folgenden Seiten kannst du dich aus erster Hand informieren. Denn unsere Freiwilligen berichten direkt aus ihren Projekten, von ihren persönlichen Erfahrungen. Außerdem findest du viele grundlegende Informationen rund um den Freiwilligendienst. Bei allen auftretenden Fragen stehen wir dir im Internet, per Telefon oder in einem persönlichen Gespräch gerne zur Verfügung.

W O RAN ERK EN N E I C H EI N EN G U T EN F REI W I L L I G EN DI EN ST ? › Bewerbungsgespräche sind Voraussetzung für den Freiwilligendienst › die Organisation bietet Seminare zur Vorbereitung, Zwischenauswertungen im Gastland und Abschlussreflexion in Deutschland › sie versichert ihre Freiwilligen › sie garantiert Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld › Entsendeorganisation und Projekte stehen in regel mäßigem Austausch › die Freiwilligen können jederzeit einen Ansprechpartner erreichen › Interessenten können Berichte von Freiwilligen einsehen › die Entsendeorganisation unterzieht sich einem Zertifizierungsverfahren ASF und EIRENE tragen übrigens das QuiFD-Gütesiegel, das unseren Freiwilligendiensten höchste Qualität bescheinigt und dir Sicherheit für deine Entscheidung gibt.

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KONTA KT / / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– a kti on s ü hnezei chen f riedensdiens te Telefon 030 28395-184 asf@asf-ev.de | www.asf-ev.de EI REN E Telefon 02631 8379-0 eirene-int@eirene.org | www.eirene.org

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lat ein ameri k a

b rasilien / / / NI c ara g ua / / / B olivien / / / C os ta Ri ca / / /


b R A S I LI EN/ / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– M AL goRzAtA koScH oL kE aus Berlin, 21 Jahre mit EIRENE in Recife Projekt: Comunidade dos Pequenos Profetas (Straßenkinderprojekt)

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SEI t SEcH S M oN AtEN L EbE I cH N U N ScH oN I N bRASI L I EN Vor über einem Jahr habe ich mich für einen Freiwilligendienst entschieden. Bewerbungen, Gespräche, KennenlernWochenenden und zwei Wochen Vorbereitungsseminar haben mich schließlich nach Recife, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Pernambuco, gebracht. Hier werde ich insgesamt 18 Monate lang im Straßenkinderprojekt Comunidade dos Pequenos Profetas – die ›Gemeinschaft der kleinen Propheten‹ – aktiv sein. EI N M oRgEN bEI DEN › kL EI N EN pRopH EtEN ‹ Um acht Uhr morgens öffnet unser Projekthaus die Türen und heißt alle Kinder und Jugendlichen im Alter von sieben bis 21 Jahren willkommen. Zwischen 40 und 50 Betreute gehen bei uns täglich ein und aus. Das Durchschnittsalter liegt bei 16 Jahren, zum Großteil sind es Jungen bzw. junge Männer. Die meisten Kinder und Jugendlichen kommen lediglich mit dem, was sie am Leibe tragen. Einige bringen einen Rucksack mit oder eine Einkaufstüte mit einigen für sie wertvollen Dingen. Die müssen wir auf potenzielle Waffen oder Drogen untersuchen. Klebstoff zum Schnüffeln hineinzuschmuggeln, wird des Öfteren versucht, aber ansonsten ist das Durchsuchen nur eine Vorsichtsmaßnahme.

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WIR k Ö N N E N U N S v o N I HR E R LE b E N S f R E U D E v I E L AbgUckEN

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Um 9 Uhr gibt es Frühstück. Das beginnt immer mit einem Riesendurcheinander. Eine der vier Tischreihen ist für die Mädchen reserviert, denn es wird getrennt gespeist. Das rege Durcheinander von Gesprächen und das Herumgetobe beruhigt sich selten ohne Mitwirkung von uns Betreuern. Im Idealfall wird aus der Menge herumtobender, mitunter übermüdet wegnickender Kids eine aufmerksame Gruppe von Heranwachsenden. Anschließend können die kleinen Arbeiten wie Teller waschen oder Badezimmer putzen an die Jugendlichen verteilt werden – die Kinder müssen sich nicht beteiligen. Nach den Arbeiten geht es vormittags zum Fußball, zur Percussion oder in den Kunstraum, wo momentan aus Kokosnüssen Kraken und Fische hergestellt werden, die in den fairen Verkauf gehen. Die Mädchen widmen sich im ersten Stock, in einer männer- und vor allem machofreien Zone, künstlerischen Aufgaben.

WAS I St W ü RDE? »Diese Kinder haben nichts« ist kurz, prägnant und Mitleid erregend. Es ist ein Satz, mit dem unsere Betreuten oft beschrieben und vorgestellt werden. Es ist nichts anderes als die Instrumentalisierung ihres Leids zum Zwecke des kurzfristigen Geldgewinnens. Dieses Geld fließt zwar in sinnvolle Projekte, doch aus den falschen Beweggründen. Einen Menschen im Augenblick seines Leids abzulichten – ein Kind mit einer Klebstoffflasche zum Beispiel oder eine Mutter mit ihren ersichtlich hungernden Kindern – wirkt sofort: man ist betroffen, man möchte helfen. Doch wie nimmt der Mensch es auf, der gerade unter Hunger oder anderen Qualen leidet und in diesem Zustand fotografiert wird? Er fühlt sich übergangen, bloßgestellt, entwürdigt.

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DIE StRASSENkINDER HAbEN HUMoR, EINfALLSREIcHtUM, kAM p f g E I S t – UND E IN E E N o R M E S t ä R k E

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Materiell gesehen besitzen die meisten unserer Betreuten nicht viel von Wert. Doch davon abgesehen haben sie eine Freude am Leben, von der wir uns ein Riesenstück abgucken können. Sie haben einen Sinn für Gemeinschaft, Humor, Einfallsreichtum, Überlebens- und Kampfgeist und eine enorme Stärke. Denn wenn sie zu uns ins Projekt kommen, haben sie den Willen, an ihrem Leben etwas zu ändern. Deshalb liebe ich diese Arbeit so sehr und freue mich, dass ich schon lange nicht mehr mit ›hey gringa‹ angesprochen werde, sondern mit Malgo, meinem Spitznamen. ––––––––––––––––––––––––––––––––––

IcH WERDE NIcHt MEHR MIt ›gR IN gA ‹ A N g E S p R o c H E N , SoND E RN M I t › M A L g o ‹

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NIc A RA gU A / / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– J ANA L E N A W ü L L N E R aus Billerbeck, 23 Jahre mit EIRENE in Estelí Projekt: Los Pipitos (Arbeit mit behinderten Kindern und Jugendlichen)

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ER S t E I N M A L : M E I N p R o JE k t Ich arbeite bei ›Los Pipitos‹. Das ist ein Verband, der sich für die Förderung von körper- und geistig behinderten Kindern und Jugendlichen einsetzt. Projekte von Los Pipitos gibt es in fast 80 Orten in Nicaragua, mich hat es nach Estelí verschlagen. All unsere Kinder und Jugendlichen haben sehr unterschiedliche Behinderungen. Jeder ist eben auf seine Art sehr speziell, aber wir haben immer super viel Spaß bei unserer Arbeit. ty p I S c H J o S É José ist ein Junge mit Down-Syndrom. Er ist sehr aufgeweckt. Zwar spricht er nicht, doch verständigt er sich immer mit Lauten, Mimik und Gestik. Er ist der Clown der Gruppe. Wenn er morgens in die Werkstatt kommt, werden erst einmal die Professoren erschreckt. Er schleicht sich dann von hinten an einen von uns heran – und wenn einer ihn schon vorher bemerkt, dann legt er immer den Finger auf den Mund, damit wir ihn nicht verraten. Ein schlaues Kerlchen, was? ME I NE t H E At E R g R Up p E Auf meine Theatergruppe bin ich besonders stolz. Nach ungefähr sechs Monaten haben wir angefangen, ein Theaterstück einzuüben: El Rey Midas – Der König Midas. Nach einiger Zeit saß das Stück richtig gut, und meine Schauspieler fanden es dann langweilig, immer das gleiche zu üben. Also war es wohl so weit, das Stück vorzuführen. Nur wo? Wir fragten bei einigen Schulen nach. Zum Schluss sagten drei Schulen zu. Wir waren alle super aufgeregt, und das gab den Jugendlichen dann noch mal einen richtigen Kick, ans Werk zu gehen. URL A U b A N D E R At LA N t Ik k ü S t E Gegen Ende der Trockenzeit ist es unwahrscheinlich heiß. Also bin ich mit einem deutschen Kollegen zu einem Kurzurlaub ans Meer aufgebrochen. Auf einem kleinen Lastwagen ging es ungefähr 18 Stunden quer durchs Land: die ganze Zeit auf der Ladefläche und dann stundenlang über durchlöcherte Straßen, so dass mir nachher alles weh tat. Aber zur Belohnung gab es viele Eindrücke und schließlich – den Atlantik.

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voR DER AUffüHRUNg WAREN ALLE AUfgEREgt – DAS gAb DEN JUgENDLIcHEN EINEN kIck

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mittel- / ost- / S D E U R OPA uk raine/ / / p o len / / / russland/ / / rum채 nien/ / / deutsc hland / / / weissrussland / //

bosnien-herzegowina///SERBIEN///tschechien///


Uk R A I NE/ / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– W L ADI M I R RooR aus Dortmund, 25 Jahre mit ASF in Kiew Projekt: Ukrainischer Verband ehemaliger NS-Opfer

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EI N › vI ERtEL DEU tScH kI N D‹ I N DER ALtEN H EI MAt Meine Familie zog 1993 von Kasachstan nach Deutschland – ins Land unserer Urahnen. Ich bin streng genommen nur ein Vierteldeutschkind, denn außer einem wolgadeutschen Großvater habe ich eine ukrainische Großmutter und eine polnische Mutter. Trotzdem wurden wir in Kasachstan als Deutsche angesehen und waren deutscher Nationalität. Wir haben nicht daran gedacht, dass man uns in Deutschland fragen würde: »Wer seid ihr und was macht ihr hier?« Als es dann so weit war, hörte ich Begriffe wie ›Russlanddeutscher‹, ›Spätaussiedler‹ und ›Einwanderer‹ zum ersten Mal. Ich war 13 Jahre alt und wurde ohne Deutschkenntnisse in die siebte Klasse einer Hauptschule geschickt. Gelebt haben wir am Rand eines Übersiedlerghettos. Ich gab mir Mühe und erreichte einen Realschulabschluss, absolvierte die Höhere Handelsschule, schloss eine Ausbildung zum Speditionskaufmann ab und startete erfolgreich meine Berufskarriere. Doch blieb ich von einer Kündigung nicht verschont und machte mich auf die Suche nach einem Neustart.

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A S f S tAt t A R b E I t SLo S Ich stieß auf Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, die mir eine Freiwilligenstelle in Kiew anboten. Das Projekt klang sehr interessant: ›psychosoziale Betreuung von NS-Opfern‹. Noch dazu war die Ukraine das Land meiner Kindheitsträume. Meine Großeltern mütterlicherseits wurden 1936 von dort nach Kasachstan verbannt. Mit der Sprache und den Erzählungen aus der alten Heimat bin ich groß geworden. Nun nahm ich das Angebot von ASF an und durfte als Quereinsteiger den Freiwilligendienst beim ›Verband der ehemaligen NS-Opfer‹ in Kiew antreten. Ohne Vorstellung über die Arbeit und die Strukturen von ASF, ohne Wissen was ›Sühne‹ ist, und mit noch weniger Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, erledigte ich schnell alles Nötige für die Ausreise nach Kiew. › DEUt S c H E R o D E R LA N D S MA N N ?‹ Wenn Menschen in der Ukraine erfuhren, dass ich in Kasachstan geboren wurde und jetzt aus Deutschland komme, wo auch mein Zuhause ist, dann sagten sie oft: »Ah, du bist unser Landsmann?!« Ich begann, mir intensiv darüber Gedanken zu machen, zu welchem ›Volk‹ ich denn nun gehöre. Welche Identität habe ich? Als ich in die Ukraine kam, fühlte ich mich eher deutsch. Die ukrainische Umgebung überzeugte mich aber vom Gegenteil: Ich integrierte mich schnell in die Gesellschaft und fühlte mich in der Ukraine wie ein Fisch im Wasser. Andererseits kann ich mir mein Leben ohne Deutschland nicht vorstellen, es ist ein fester Bestandteil von mir. Hier ist meine Familie, hier sind meine Freunde, ich bin hier herangewachsen, außerdem sehe und fühle ich manche Dinge ›deutsch‹, weil ich sie so gelernt habe und nur so kenne.

EI N SAtz M I t H EI M voRtEI L Doch schon bald habe ich gespürt, dass ich mich in der Ukraine assimiliert hatte und von den Menschen nicht als Fremder erkannt und empfunden wurde. Ich verlor bald die Besucherrolle und mir wurden Aufgaben, Probleme und Sorgen anvertraut.

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AM ENDE MEINES DIENStES HAttE I c H D A S g EfüHL, DIE HEIMAt zU vERLASSEN ––––––––––––––––––––––––––––––––––

M EI N E zW EI tE AU SREI SE Als ich mit meinem Dienst in Kiew fertig war, erinnerte mich die Rückkehr nach Deutschland sehr stark an die Ausreise aus Kasachstan. Ich hatte das Gefühl, noch einmal die Heimat zu verlassen, ohne Gewissheit darüber, was mich im weiten und ›fremden‹ Deutschland erwarten würde. Diesmal konnte ich mich recht schnell an die Lebensumstände gewöhnen, hatte keine Verständigungsprobleme. Und trotzdem fällt es mir schwer, mich wieder einzuleben. Ich bin dabei, den Weg zu gehen, den ich schon einmal überwunden hatte. Ob Deutschland mir noch eine Chance gibt, sein vollständiger Bürger zu werden?

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poL E N///

––––––––––––––––––––––––––––––––––– p EL I N y I L D I z aus Heidelberg, 20 Jahre mit ASF in Kraków Projekt: pro vita et spe (Arbeit mit Holocaust-Überlebenden)

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D EUt S c H E ? t ü R k I N? IN E R S t E R LIN IE ME N S c H Die Diskussion begann schon im Zug. Auf der Reise von Berlin nach Polen hatte sich zu unserer frisch gebackenen Freiwilligengruppe ein junger Mann aus Großbritannien gesellt, mit dem ich ins Gespräch kam. Er lebte in Berlin und fuhr nach Polen, um eine Bekannte zu besuchen. Ich erzählte ihm, warum wir alle ein Jahr lang als Freiwillige arbeiten wollen. So kam es, dass wir uns auf der Fahrt noch lange über

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MIcH WUNDERt NIcHt, DASS IcH IN poLEN ALS DEUtScHE bEt RA cH t E t W U R D E

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Schuld und Verantwortung der Deutschen unterhielten. Es war das erste Gespräch von mehreren dieser Art, die im Laufe meiner Freiwilligenzeit und danach noch folgen sollten. Ich habe sie alle als Deutsche geführt, obwohl mein Vater Türke ist, was mich sozusagen zur Halbtürkin macht. Aber ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und spreche wenig türkisch. Ich bin Deutsche – und gleichzeitig bin ich auch ein bisschen Türkin. Das schließt sich keineswegs gegenseitig aus, gerade in einem Einwandererland wie Deutschland, wo die vielen Minderheiten zu einem Teil dessen geworden sind, was die nationale Identität ausmacht.

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WAS k A N N S t D U D A fü R , p E LIN ? Deshalb wundert es auch nicht, dass ich in Polen als Deutsche betrachtet wurde. Und das war gut so. Denn so konnte ich eine Art Botschafterin des Landes sein, von dem im Zweiten Weltkrieg die grausame Unterdrückung Polens und anderer Länder ausging. So konnte ich in Polen die übernächste Generation der Deutschen vertreten, bei der sich viel geändert hat. Ich wollte Freunde gewinnen und zusammen mit ihnen beweisen, dass weder die Geschichte noch unterschiedliche Nationalitäten unserer gegenseitigen Wertschätzung und Zuneigung im Wege zu stehen brauchten. Und tatsächlich: Ganz abgesehen davon, dass zumindest meine Großeltern väterlicherseits als Täter ausgeschlossen waren, wären meine polnischen Freunde ohnehin nicht auf die Idee gekommen, mir – als Deutscher – Schuld zuzuweisen. Auch von den Überlebenden, denen ich in meiner Projektarbeit begegnet bin, hat das keiner je getan. Alina G., eine polnische Patriotin, die zwei Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück überlebt hat und die ich im Rahmen meiner Arbeit als Freiwillige betreute, hat einmal zu mir gesagt: »Was kannst du dafür? Du bist mir nichts schuldig.« Eine große, wunderbare Geste frei von Hass und Zorn, die sie mir nicht erbracht hat, weil mein Vater Türke ist. Sie hat sie mir als einer Deutschen erbracht.

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NI c Ht A US S c HULD , SoNDERN AUS v ER A NtWo R tUNg HAttE M EI N D I ENS t S I NN

–––––––––––––––––––––––––––––––––– vERAN tW oRtU N g tRAgEN W I R AL L E Wenn ich nun also Deutsche bin und trotzdem keine Schuld habe – welchen Sinn hatte dann der Freiwilligendienst mit Aktion Sühnezeichen? Er hatte Sinn, aber aus keiner Schuld, sondern aus Verantwortung heraus. Verantwortung haben wir heute den Opfern gegenüber, solange sie noch leben – und das vielleicht sogar wirklich als Deutsche, weil wir für die Opfer Enkel der Generation sind, der ihre Täter angehörten. Vor allem aber tragen wir Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft. Es liegt an uns, zu verhindern, dass es zu Krieg und Gewalt kommt, ob in Deutschland oder sonst irgendwo. Diese Verantwortung trägt jeder, überall, egal, welcher Nationalität. Auch wir Deutschen tragen sie, ob nun unsere Großeltern Nazis waren oder ob sie nie in Deutschland gelebt haben. Denn verantwortlich sind wir in erster Linie gar nicht als Deutsche, sondern als Menschen. So habe ich damals auch dem jungen Briten erklärt, warum ich – Türkin und Deutsche – im Zug nach Polen sitze.


RUSS L AN D/ / /

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JA NA WAHRHEIt aus Berlin, 21 Jahre mit ASF in Sankt Petersburg Projekt: Memorial (offene Arbeit mit ehemaligen NS-Verfolgten und Gulag-Opfern)

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D I E W E Lt H I N t E R ME IN E M t E LLE R R A N D Es ist schwierig, in Worte zu fassen, warum mir der Friedensdienst so großen Spaß gemacht hat. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich wirklich einmal über den eigenen Tellerrand geschaut habe. Und was ich gesehen habe, hat mich überwältigt. Wahrscheinlich wäre es mir in jedem anderen Land ähnlich gegangen, es hängt nicht vom Land und auch nicht von den Menschen ab, die man kennen lernt, sondern von einem selbst. Man springt über seinen eigenen Schatten, man stößt an seine Grenzen und man versteht, dass man bisher nur eine Möglichkeit von unzähligen gelebt hat, in einem Land von vielen, in einer Stadt von tausenden und so weiter.

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MA N v E R S t E H t, D A S S M AN bIS HE R N U R E I N E MÖ g L I c H k E I t v o N UNz ä H L I g E N g E L E b t H At

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Dieser Blick über den Tellerrand hat mir vieles erklärt und mir selbst geholfen, weiterzukommen. Besonders in der Anfangszeit habe ich mich viel mit mir selbst auseinandersetzen müssen, denn ich habe mich immer wieder mir unbekannten Menschen erklären müssen und dazu muss man wissen, wer man ist. Das fragte ich mich selbst. Ich fragte mich auch: »Was will ich? Wie will ich meine Ziele erreichen?« I cH bRI N gE f REU DE – So EI N fAcH I St DAS Über meine Arbeit kann ich sagen: Ich bin sehr froh, einmal mit alten Menschen gearbeitet zu haben. Ich habe mich in der Arbeit mit meinen Patienten immer gebraucht und nützlich gefühlt, das war eine sehr wichtige Erfahrung! Schon allein durch meine Anwesenheit konnte ich den meist einsamen Menschen eine Freude machen. Durch die Arbeit habe ich auch mehr Respekt vor dem Alter erhalten. Und ich habe verstanden, wie schön es ist, dass ich noch so jung bin und alles noch vor mir habe. Das weiß ich jetzt wirklich zu schätzen!

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RUMäN IE N/ / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– v I cto R H A N E R aus Schwäbisch-Gmünd, 20 Jahre mit EIRENE in Lupeni Projekt: Impact-Camp und Impact-Club für Kinder und Jugendliche

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WI L L k o M M E N zU EIN E R N E U E N f o Lg E v o N ›v Ic t o R S WE Lt ‹ Ja, mir geht es gut hier unten. Habe mich an die Sprache und an die Leute gut angepasst. Und nun zu meiner Arbeit: I cH – E I N p ä D A g o g E ? Die Arbeit mit den Kindern ist unheimlich schön und unheimlich anstrengend zugleich. Denn wir haben auch ein paar echte Härtefälle. Als erstes ging mir dabei durch den Kopf, ob ich denn als Kind genauso war. Und zum ersten Mal kann ich meine Eltern und Lehrer wirklich verstehen. Es ist so krass, wie sehr sich Jugendliche daneben benehmen können. Aber ich war von mir selbst überrascht, wie natürlich mein Umgang mit den Kids und der Gruppe war, obwohl das ja alles Neuland für mich ist.

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zUR AbWEcHSELUNg EIN EIRENE-zWIScHENSEMINAR Wir waren alle sehr gespannt, wie das Seminar wohl werden würde. Für mich war es schließlich das erste Treffen mit den anderen Freiwilligen. Ich war so etwas von positiv überrascht. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass es so gut tun würde, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Das schöne an diesen Seminaren ist, dass man innerhalb kürzester Zeit die Menschen um sich herum recht gut kennen lernt und mit einem Haufen Lebenserfahrung nach Hause zurück kehrt. Das Schlechte daran ist, dass man sich so schnell, wie man sich kennen gelernt hat, wieder trennt. SoM M ER: DAS cAM p AU f DEM bERg Knappe zwei Monate waren wir nun hier oben auf dem Berg. Alles fühlt sich stärker an als unten, alles ist intensiver. Das Programm mit den Kindern geht von morgens bis abends. Momente, um dem Geist die nötige Ruhe zu verschaffen und zu verschnaufen, gibt es dabei eher selten, und der Stress mit den Kindern ist ziemlich groß. Ich will damit nicht sagen, dass mein Job nicht schön sei, sondern dass man sehr viel Verantwortung für die Kinder trägt. Dabei ist es nicht all zu lange her, da war ich es, der im Schullandheim die Dummheiten machte und nur Streiche im Kopf hatte...


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IcH bIN DIESEN SoMMER So gEREIft WIE NocH NIE

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Im Camp geht es darum, die Kinder so schnell wie möglich mit unseren Regeln und Prinzipien vertraut zu machen. Sie lernen hier, was Vertrauen, Respekt und Mut bedeuten. Wir fangen mit leichten Vertrauensübungen an und gehen immer weiter, bis die Gruppe spürt, dass sich jeder auf jeden verlassen kann. Oftmals ist das schon ziemlich schwer, da wir häufig mit Problemkindern zu tun haben. Die Stimmung bleibt aber witzig und ausgelassen, da man ja schließlich ins Abenteuercamp fährt. Entsprechend schwer fällt allen der Abschied. Mein persönliches Kind der Woche hat mir ihr erstes gut gezeichnetes Bild geschenkt. Viele haben geweint, und auch mir war zum Heulen zumute. ––––––––––––––––––––––––––––––––––

I cH Hä t t E M I R N I c H t tRä U M E N L A S S E N , D A S S DER AUStAUScH MIt DEN fRE IWIL L Ig E N S o g U t t U t

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H ERbSt: M EI N AL LtAg I M tAL Die Zeit im Camp ging schnell vorbei, ich bin jetzt wieder in Lupeni. Im Gegensatz zum Frühling fühle ich mich in Rumänien heimisch. Obwohl ich mich als gebürtiger Rumäne von Anfang an gut verständigen konnte, lese ich inzwischen auch rumänische Bücher und schreibe viel besser als zuvor. Die Arbeit in den Impact-Clubs geht nun weiter. Ich sitze wieder einige Stunden vor dem PC und springe ein, wenn man mal wieder einen Fahrer braucht, da zur Zeit niemand außer mir einen Führerschein besitzt. Aber mehr davon in einer neuen Folge von ›Victors Welt‹. Ich grüße euch aus dem Herzen Rumäniens. Victor

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DEU t Sc HLA N D / / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– NAD J A p o p o N I N A aus Perm / Russland, 19 Jahre mit ASF in Hamburg Projekt: Gedenkstätte Neuengamme

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MI t D E U t S c H E N I NS g E S p R ä c H k o MME N Ich komme aus Russland, genauer gesagt aus der Stadt Perm. Vielen sagt das überhaupt nichts, obwohl Perm eine Millionenstadt ist. Vor meinem Dienst in Deutschland habe ich in Perm an der ›Fakultät für moderne Literatur und Fremdsprachen‹ Germanistik studiert. Deutsch lerne ich eigentlich schon seit der fünften Klasse, aber mit einem Deutschen ins Gespräch zu kommen, gelang mir erst nach Abschluss der Schule. Das liegt einfach daran, dass wir in unserer Stadt wenige Ausländer haben, besonders aus europäischen Ländern.

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I c H Wo LLtE NEUE fER tI g k EI tEN ER WER b EN UND M EI N LEb EN M I t A ND ER EN A Ug EN S EHEN

–––––––––––––––––––––––––––––––––– L U St AU f N EU E ERfAH RU N gEN Nach der Schule habe ich an einem ASF-Sommerlager teilgenommen, bei dem wir Wohnungen ehemaliger Opfer des stalinistischen Terrors renovierten. Auf diese Weise habe ich erfahren, dass ASF neben den Sommerlagern auch langfristige Projekte anbietet. Und da habe ich Interesse bekommen, an einem von diesen Programmen teilzunehmen. Ich wollte was Neues erfahren, neue Fertigkeiten erwerben und auch mein vorheriges Leben mit anderen Augen sehen.

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f ü R EI N J AH R I N DER ScH ÖN StEN StADt DER W ELt Danach war es wie im Traum: fabelhaft, wunderschön, umwerfend – Hamburg! Die Stadt, in die ich mich auf den ersten Blick verliebt habe und es immer noch bin. Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl, als ich das erste Mal unsere Wohnung gesehen habe mit dem Blick auf den Wald.


gä N S E H A U t A M A R b E It S p LAt z Bei unserem ersten Besuch in der Gedenkstätte Neuengamme – Baracken, Klinkerwerk, Kommandantenhaus, FundamentBetonplatte am Ort des Krematoriums – überlief mich eine Gänsehaut. Inzwischen habe ich mich schon daran gewöhnt, in einer der Baracken zu arbeiten, wo Leute gequält wurden, wo sie weinten und starben, wo sie die schlimmsten und oftmals die letzten Jahre ihres Lebens hatten. Meine Arbeit besteht darin, die Briefe von ehemaligen Häftlingen aus Ländern der früheren Sowjetunion zu übersetzen. Die Leute aus der ehemaligen Sowjetunion haben es nicht leicht jetzt, aber sie hatten es eigentlich nie leicht. Als Zwangsarbeiter, die nach kleinen Vergehen ins KZ geschickt werden konnten, oder als Kriegsgefangene mussten sie im KZ schwere körperliche Arbeit leisten – unterernährt, gefoltert, gequält, erniedrigt, entrechtet. Nach dem Krieg wurden sie zu Hause wie Verräter behandelt und als Vaterlandsverräter bezeichnet, weil sie in Deutschland gearbeitet und damit angeblich Hitler geholfen hatten. Stalin und seine Umgebung hat natürlich nicht interessiert, dass sie nicht freiwillig ins Dritte Reich gefahren sind (obwohl es auch einzelne gab, die auf die Propaganda hereingefallen sind, aber in den meisten Fällen wurden sie zwangsweise verschleppt). Viele von diesen Leuten haben sich dann nach der Rückkehr in die Heimat weiter plagen müssen – in den GULag-Lagern. Heute leben sie oftmals unter der Armutsgrenze, wenn sie überhaupt noch leben.

AL LtAg M I t ü bERL EbEN DEN Das zweite Projekt, bei dem ich eingesetzt bin, heißt ›Solidarische Hilfe im Alter‹. Ich besuche einmal pro Woche Peggy P. und helfe ihr beim Sortieren der Post, beim Einkaufen oder begleite sie zum Arzt. Oftmals gehen wir zusammen ins Theater oder ins Kino. Sie ist eine deutsche Jüdin und hat die Judenverfolgung nur überlebt, weil sie noch vor dem Krieg mit ihrem Bruder als kleines Kind mit dem Kindertransport nach Schweden gebracht wurde. Dann war sie sechs Jahre bei zwölf Pflegefamilien, die natürlich auch eigene Kinder hatten. Ihre Eltern hat sie nie mehr gesehen, sie starben in Treblinka.

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NAHOST israel///


ISR A E L ///

––––––––––––––––––––––––––––––––––– R o b ER t v I tA Ly o S aus Siegen, 22 Jahre mit ASF in Jerusalem Projekt: Kindergarten Gan HaSchikumi und offene Arbeit mit Holocaust-Überlebenden

––––––––––––––––––––––––––––––––––– Und? Robert, du warst mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Israel und hast dort alte Menschen betreut, die unter dem Naziregime verfolgt wurden. Keine leichte Aufgabe für einen 22-Jährigen, oder?

Das habe ich auch gedacht und mich vor dem ersten Kontakt ein wenig gefürchtet. Ich war mir z.B. nicht sicher, welche Fragen ich stellen konnte, ohne allzu schmerzhafte Erinnerungen wach zu rufen. ––––––––––––––––––––––––––––––––––

HERR f. WI t z E Lt E I M M E R übER SE IN H o H E S A Lt E R , SEI N E › E R S t E N H U N D E R t JAH RE ‹

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Meine Arbeit hat mich eines Besseren belehrt. Die alten Menschen waren sehr froh, dass jemand zum Spazierengehen oder zum Essen vorbeischaute. Ihre Geschichten sickerten nach und nach durch, beim einen mehr, beim anderen weniger. Es war nicht schwer zu erkennen, was sie preisgeben wollten und was nicht. Du wirst in einem Jahr etliche Geschichten gehört haben. Erzähle kurz eine.

Ich betreute unter anderem Herrn F., einen sehr offenen und freundlichen Menschen, der im Geiste trotz seiner knapp 100 Jahre sehr frisch geblieben ist. Er wurde in Breslau geboren. Nach der Reichsprogromnacht 1938 musste er seinen Textilgroßhandel für einen Spottpreis verkaufen und schaffte es 1940 gerade noch, mit seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter nach Palästina zu flüchten. Für seine Schwester und Mutter aber erhielt er kein Ausreisevisum mehr. Beide kamen im Konzentrationslager um.

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Schaute z.B. ein Junge aus dem Fenster, lenkte ich seinen Blick wieder auf das Spiel zurück. Aber sobald ich das geschafft hatte, schaute er erneut aus dem Fenster. Und schon war ein neues Spiel entstanden, an dem der Junge mehr Spaß hatte als an dem ursprünglich gewählten. Wenn ich seine Aufmerksamkeit endlich wieder eingefangen hatte, fand er meist den Faden nicht, und wir mussten von vorn anfangen. Auf den Fotos sieht man die Kinder eher in Aktion.

Was konntest du für Herrn F. konkret tun?

Ich besuchte Herrn F. jeden Montag. Meine Aufgabe war die Erledigung seiner Korrespondenz. Bald war ich über seinen weit verzweigten Freundeskreis aufgeklärt und wusste von selbst, wem wir als nächstes einen Brief schreiben mussten. Beim Diktat hielt er oft inne, um mir Näheres über die Leute zu erzählen (»Nur, damit Sie es besser verstehen.«), und ich musst mir Mühe geben, in dem buddenbrookartigen Gewirr die Verwandtschaftsverhältnisse und die Chronologie beizubehalten. Hat dich die Arbeit bedrückt?

Bei Herrn F. überwogen nicht seine schrecklichen Erlebnisse, sondern sein Humor und seine positive Lebenseinstellung. Er witzelte z.B. immer über sein hohes Alter, seine ›ersten 100 Jahre‹, als könne ihm die Zeit nichts anhaben. Ich bin sicher, dass bei seiner Lebenshaltung noch einige Freiwillige nach mir die Gelegenheit zu so einer wunderbaren Begegnung mit ihm haben werden. Die Arbeit mit alten Menschen war nur ein Teil deines Freiwilligendienstes. Was hast du sonst getan?

Die meiste Zeit habe ich im ›Gan HaSchikumi‹, einem therapeutischen Kindergarten, gearbeitet. Dorthin kommen Kinder zwischen drei und sechs Jahren, die unterschiedlichste Störungen des Hirn- und Nervensystems haben. Die Fähigkeiten der Kinder liegen sehr weit auseinander: Manche von ihnen sind nicht in der Lage, selbstständig zu stehen oder eine Gabel in der Hand zu halten. Andere sind körperlich überdurchschnittlich entwickelt und leiden an Hyperaktivität. Fast alle haben Artikulationsschwierigkeiten. Wie sah ein typischer Tag im Kindergarten aus?

Um acht Uhr morgens begann meine Arbeit. Die Kinder konnten sich frei ein Spiel aussuchen und für eine halbe Stunde damit spielen. Ich sollte in dieser Zeit darauf achten, dass ein begonnenes Spiel zu Ende gespielt und dann auch wieder weggeräumt wurde. Ganz konkret musste ich also aufpassen, dass sich keiner ablenken ließ, was nicht selten groteske Züge annahm. 22

Klar. Nach dem Frühstück gingen wir meistens raus auf den Hof. Hier ließ ich mich jagen oder passte auf, dass die Kleinen sich nicht verletzten. Schon bald brachte es mich nicht mehr aus der Fassung, wenn ein Junge sich aus vollem Lauf auf die Nase legte. Das passierte jedem etwa vier mal am Tag, die Schürfwunden gehörten einfach dazu. ––––––––––––––––––––––––––––––––––

ES bRAcHtE MIcH NIcHt M EHR A US D ER fA S S UNg , WENN EIN JUNgE SIcH voLL AUf DIE NASE LEgtE

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Und wann hattest du Feierabend?

Gegen zwei Uhr. Erst gab es noch Mittagessen, da waren die Kinder meistens recht müde und nicht mehr so laut wie am Morgen. Ich musste zwei der Kinder über eine Magensonde ernähren. Gegen eins, kurz nach dem Mittagessen, ging die israelische Erzieherin heim und ließ mir freie Hand bei der Programmgestaltung für die Kinder, die dann bis zwei Uhr dauerte. An einigen Nachmittagen machte ich nach dem Kindergarten noch meine Besuche bei alten Menschen. Manchmal erschien mir der fast 100-jährige Herr F. dann frischer als ich selbst…


Soviel zum Alltag. An welche außergewöhnlichen Ereignisse erinnerst du dich gerne?

Während meiner Zeit in Israel besuchte Johannes Rau, der damalige Bundespräsident, die ASF-Zentrale Beit Ben Yehuda in Jerusalem. Seit der Gründung von ASF war Johannes Rau ein enger Freund der Organisation. Er war sehr interessiert an den Berichten der Freiwilligen. Aus dem berühmten Mann, den man aus dem Fernsehen kennt, wurde schnell ein unkomplizierter Zuhörer. In seinen Augen leistet die Arbeit von ASF einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschen und Israelis, sagte er uns. Das hat mir natürlich gut getan. Auch deine Geschichte hat viel mit Interkulturalität zu tun...

Stimmt. Ich bin in Rumänien geboren und auf der Flucht vor dem Ceausescu-Regime mit meiner Familie nach Deutschland gekommen. Da ich damals noch ziemlich klein war, habe ich den Wechsel in eine neue Kultur nicht so sehr als ›Bruch‹ wahrgenommen wie z.B. meine Freunde, die nach der Wende nach Deutschland kamen. Erst während meiner Zeit in Israel habe ich öfter über unsere Flucht und unsere zwei Identitäten nachgedacht. Am besten gefällt mir in diesem Kontext der Begriff ›Bindestrich-Identität‹. Wenn ich sage, ich bin deutsch-rumänisch, dann betont der Bindestrich, dass beide Identitäten gleichwertig nebeneinander stehen. Dieser Perspektivwechsel hat eine ganze Menge Vorteile.

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NORDAMERIK A/// KANA DA ///U S A / / /


kANA DA ///

––––––––––––––––––––––––––––––––––– D A NI E L J A R z A b k o W S k I aus Bergisch-Gladbach, 21 Jahre mit EIRENE in Toronto Projekt: verschiedene Einrichtungen der Danforth Mennonite Church

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ME I N z I v I L D I E N S t I N E IN E R A N D E R E N WE Lt Ein Jahr lang werde ich für die Mennonitische Kirche in Toronto arbeiten – mein Freiwilligendienst als Kriegsdienstverweigerer in einer anderen Welt. Hauptsächlich bin ich dem ›Global Closet Thrift Shop‹ zugeteilt. Das ist ein gemeinnütziger Second-Hand-Shop, in dem Bedürftige aus der Nachbarschaft gespendete Möbel, Kleider, Bücher und allerhand Alltagsutensilien preisgünstig einkaufen können. Für viele Stammkunden ist der Shop eine Art Familie, zu der nun auch ich gehöre. Mit Mr. Kuma, einem vor fünf Jahren eingewanderten älteren, netten Südkoreaner, unterhalte ich mich über die Aussprache im Englischen, mit Mita aus den Philippinen über die schnell wachsenden Städte Toronto und Manila und mit der aus Somalia stammenden Habam über unsere Ursprünge – ihre afrikanischen und meine polnischen. Solche Gespräche prägen mich sehr. Ich spüre, wie meine Toleranz und Hilfsbereitschaft gegenüber Menschen aus allen Kontinenten unserer Welt, gegenüber Flüchtlingen, von Tag zu Tag steigt.

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vERgISS ALLES, WAS DU übER DEU t S c H E W E I S S t: D A S ISt E INE N E U E gENERAtIoN ––––––––––––––––––––––––––––––––––

p L Ö tz L I c H b I N I c H MÖ b E LpA c k E R Mit meinem Kollegen George bin ich montags und mittwochs auf dem Truck unterwegs, um Möbel abzuholen. Dabei lerne ich nicht nur ihn gut kennen, sondern auch Toronto und seine Nachbarstädte. Ausgestattet mit professionellen Stahlschuhen und einer ›gesunden‹ und effizienten Hebetechnik bearbeiten wir täglich vier bis sechs Aufträge, ›Pick-ups‹ genannt. Zuerst habe ich ziemlich geschluckt, als ich erfuhr, dass drei meiner Kollegen ehemalige Sexualverbrecher sind und nun im Rahmen eines Resozialisierungsprogrammes im Global Closet Thrift Shop arbeiten. Heute bin ich ganz sicher, dass es richtig ist, auch solchen Leuten eine zweite Chance zu geben.

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USA///

––––––––––––––––––––––––––––––––––– A NE S S yA c o U b I aus Wolfsburg, 20 Jahre mit ASF in Washington D.C. Projekt: United States Holocaust Memorial Museum

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ME I N W U N S c H p R o J E k t Das Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. ist mein Wunschprojekt: Hier führe ich Gruppen durch die Ausstellung, arbeite mit einer riesigen Datenbank, die 135.000 Holocaust-Überlebende erfasst, und helfe Leuten bei der Spurensuche in ihrer Familiengeschichte. Viele der Überlebenden reagieren überrascht und schockiert, wenn sie erfahren, dass ich aus Deutschland komme. Sie sind aber neugierig und fragen mich, wie die Situation in Deutschland heutzutage ist. Wir kommen dann ins Gespräch und tauschen unsere Erfahrungen aus.

AL S DEU tScH - tU N ESI ER I N AM ERI kA Ich bin in Wolfsburg geboren und multikulturell aufgewachsen. Ich lege viel Wert auf meine tunesischen und islamischen Wurzeln und fühle mich gleichzeitig in der deutschen Kultur zu Hause. Hinzu kommen meine sprachlichen Interessen. Ich liebe es, mit Menschen in unterschiedlichen Sprachen zu kommunizieren. H ASt DU kEI N E AN gSt AL S M oSL EM I N EI N ER J ü DI ScH EN EI N RI cH tU N g? In meinem Umfeld in Deutschland war die Reaktion immer folgende: »Hast du keine Angst, als Moslem in Amerika im Holocaust-Museum zu arbeiten?«. Ich hatte keine Angst. Wovor denn? Im Gegenteil. Die Menschen hier sind sehr offen und tolerant. Selbst nach dem 11. September gibt es hier keine Probleme zwischen Juden und Moslems. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen: Meine Arbeitskollegen und mein Chef sind alle jüdisch, und ich arbeite sehr, sehr gerne mit ihnen zusammen.

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Besonders positiv finde ich, dass mich die Amerikaner – im Gegensatz zu den Deutschen – als Deutschen ansehen. In Deutschland werde ich immer als Tunesier angesehen. Zwar ist die tunesische Kultur für mich sehr wichtig, aber ich bin kein Tunesier. Das stört mich eben an Deutschland. Ich kann machen, was ich will, ich bin und bleibe ein Tunesier. Die Amerikaner stellen im Allgemeinen gar keine Fragen, woher meine Vorfahren kommen. Wenn sie mich fragen, woher ich komme, dann sage ich ›aus Deutschland‹, und sie geben sich damit zufrieden. Es ist ja nicht so, dass ich meine Wurzeln verleugne, aber ich fühle mich eben nicht wie ein Tunesier, sondern als Deutscher, als deutscher Moslem. ––––––––––––––––––––––––––––––––––

DIE AMERIkANER bEtRAcHtEN MIcH – IM gEgENSAtz zU DEN DEUtScHEN – ALS DEU t S c H E N

I cH W I L L zU R vERStäN DI gU N g zW I ScH EN J U DEN U N D M oSL EM S bEI tRAgEN ! Die Zeit meines Freiwilligendienstes sehe ich als Chance, mehr zur Verständigung zwischen Moslems und Juden und zwischen Deutschen und Amerikanern beizutragen. Als Einzelner ist das natürlich schwer. Aber vielleicht kann ich einfach ein Beispiel sein. Wir müssen anfangen, gemeinsam für das Wohlergehen aller zu arbeiten, unabhängig von der Nationalität und der Religion. Mit meinem Freiwilligendienst will ich zumindest zeigen, dass es klappt.

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AFRIK A/// NIG E R ///T SC H A D / / / BU R KIN A FA S O / / / MAL I / / / M A R OKKO / / / TA N S A N IA ///U GA N D A ///


TSC HA D///

––––––––––––––––––––––––––––––––––– Marc Fey era b end aus Günzburg, 31 Jahre mit EIRENE in N‘Djaména Projekt: École de la Non-Violence (Schulprojekt)

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Zu spüren und zu sehen, dass die Arbeit fruchtet, hat mi ch ung emein mo t i vier t

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I ch gehe als o wieder zur Schule Die ›École de la Non-Violence‹ ist ziemlich klein und fasst doch sechs Grundschulklassen und einen Kindergarten. Ich unterrichte vormittags ›gewaltfreie Erziehung /Mediation‹ und Musik. Nachmittags kümmere ich mich um die Gruppenarbeit und um Nachhilfestunden, d.h.vor allem um Alphabetisierung – auch für die höheren Jahrgänge! Ein paar W or te zu unserer Ausr ü s tung Wir arbeiten mit Kugelschreibern, die ich eher als ›Krankheit‹ bezeichnen würde, mit Schultafeln, auf die man kaum mehr schreiben kann, an wackeligen Tischen, kaputten Bänken und Stühlen, in unglaublicher Enge und ohne Kopierer – aber was will man ohne Strom mit einem Kopierer? Das gan z n ormale L e ben Das Leben in N’Djaména ist für mich definitiv eine Herausforderung. Für andere aber ist es ein täglicher Kampf ums Überleben. Erstaunlich ist immer wieder, wo die Menschen ihr Geld zum Feiern auftreiben – denn im Feiern sind sie wirklich erstklassig. Für den Alltag bleibt für viele meiner Freunde dann praktisch nichts mehr übrig. Dann heißt es: Schulden machen oder den Nazara (Europäer) anhauen.

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NI g ER / / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– pI A ScH I EvI N k aus Köln, 27 Jahre mit EIRENE in Agadez Projekt: Kleinkreditprogramm für Existenzgründungen

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Agadez im August M EI N E ARbEI t

Das Projekt, für das ich hier im Niger arbeite, vergibt Kleinkredite an Bäuerinnen und Bauern, damit sie aus dem Teufelskreis der Verarmung ausbrechen können. Eine Projekt, bei dem sich der uns so vertraute Unterschied zwischen ›Arbeitsleben‹ und ›Privatleben‹ nicht machen lässt. So kommt es, dass wie selbstverständlich auch am Wochenende Versammlungen oder Dienstreisen unternommen werden. Andererseits wird man bei Familienfesten wie Taufen oder Hochzeiten ohne große Komplikationen freigestellt. Und findet eine solche Festivität bei einem Kollegen statt, nimmt natürlich das ganze Team teil.

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Agadez im März

EI N E REI SEgEScH I cH tE Nach einem wirklich richtig schönen Wochenende in Zinder ging es also am Montag Morgen um sechs Uhr los in Richtung Agadez. Eigentlich benötigt man für diese Strecke so etwa sechs Stunden; doch 100 km der Strecke sind nicht geteert. Und da gerade die Zeit des Windes ist, war die Piste total versandet – es war, als würde man mitten durch Sanddünen fahren.

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Niamey im Dezember WE I HN A c H t E N A U f N Ig R IS c H – MAL WA S g A N z A N D E R E S

Vor ein paar Tagen war Heilig Abend, allerdings ohne Schnee, Kerzenschein, Weihnachtsgebäck, Orgel- und Blockflötenmusik oder Christbaum – und es war wunderschön! ––––––––––––––––––––––––––––––––––

ES WU RD E g E tA N z t, gEt R o M M E Lt, g E S U N g E N UND M I t W U N D E R k E R z E N HANt IE R t

–––––––––––––––––––––––––––––––––– ›Stille Nacht‹ auf Französisch und mit Trommelbegleitung zu singen, war einfach zu herrlich! Im Anschluss an die Messe verweilten wir noch ein wenig in der Kirche. Es wurde getanzt, getrommelt, gesungen und mit Wunderkerzen hantiert – ein wunderschöner Augenblick. Schließlich und endlich landeten wir dann in einer Disco und ließen den Abend bzw. die Nacht mit ausgiebigem Tanzen ausklingen.

DRAUSSEN HERRScHtE SANDStURM – IcH kANN EUc H S A g EN, D A S I S t S o R I c HtI g UNA Ng ENEHM

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Dementsprechend oft blieb der Bus auch im Sand stecken, und alle Männer mussten raus, schaufeln und schieben. Wir Frauen und die Kinder durften im Bus sitzen bleiben – zum Glück! Schließlich war der Bus allerdings sooo eingegraben, dass auch wir alle raus mussten. Draußen herrschte Sandsturm – ich kann euch sagen, das ist so richtig unangenehm. Irgendwann kam ein Lastwagen mit einer Ladung Ziegen vorbei und nach kurzem Gespräch mit dem Busfahrer war entschieden: Alle Frauen und Kinder auf die Ladefläche, er würde uns bis ins nächste Dorf mitnehmen, damit wir dort auf den Bus warteten. Gesagt – getan.

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Im Dorf angekommen machte ich mich erst mal auf die Suche nach Wasser. Naiv wie ich bin, hatte ich nämlich keines mitgenommen. Bereits kurz nach unserer Ankunft kam dann auch der Bus an. Alle versorgten sich ebenfalls mit Wasser und etwas Essbarem, und wir setzten unsere Reise fort – so gegen 16 Uhr, also 10 Stunden nach unserem Aufbruch in Zinder. Doch schon nach acht km blieben wir erneut stecken. Wieder hieß es schaufeln und schieben. Diesmal nur leider ohne Erfolg, eher im Gegenteil: Eines der Sandbleche riss den Tank des Busses auf. ––––––––––––––––––––––––––––––––––

g o tt, WI E WA R I c H D A Nk b A R , UNtER NI g R ER N zU S EI N!

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Unsere Reise mit diesem Bus war also definitiv beendet. So standen wir also dort, mitten in der Wüste, keine Möglichkeit, irgendwen zu informieren geschweige denn diesen Bus zu reparieren. Gott, wie war ich dankbar, unter Nigrern zu sein! Trotz der doch besorgniserregenden Situation blieben alle völlig ruhig, und auf meine Frage: »Was machen wir jetzt?« kam nur zur Antwort: »Keine Sorge Pia, irgendwas wird schon passieren.« Und recht hatten sie... So, das war es von mir für heute. Liebste Grüße aus der Wüste Pia

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N O R D- / W ESTEU R OPA Belg ien/ / / Frank reic h/ / / No rdirland / / / No rweg eN/// GroSSbritannien / / / irland / / / N iederlande / / /


bEL g IE N///

––––––––––––––––––––––––––––––––––– L ENA A M A L I A H E R R E R A p IE k A R S k I aus Berlin, 20 Jahre mit EIRENE in Brüssel Projekt: Climate Action Network Europe (Klimanetzwerk)

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NAc H D E R S c H U L E g E H t ’ S R A U S IN D IE WE Lt ! Ich weiß gar nicht mehr, warum ich mich dazu entschlossen habe, ein freiwilliges soziales Jahr außerhalb Deutschlands zu machen. Vielleicht weil schon meine Mutter als Freiwillige nach Chile ging und dort unsere schöne Familiengeschichte begann. Irgendwie war es für mich wohl immer schon klar: nach der Schule geht’s raus in die Welt... A b ER W I E ? Im ganzen Abi-Stress war ich mir dann doch nicht mehr so sicher: ein Jahr weggehen – oder doch lieber gleich studieren? Aber beim Recherchieren fand ich dann EIRENE. Ich war Feuer und Flamme!

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WAS ERWARtEt MIcH? WAS DAR f M E I N p R o J E k t v o N MIR vERLANgEN? WER HILft MI R IM z W E I f E L S fA L L ?

–––––––––––––––––––––––––––––––––– I cH W I L L E N D L I c H L o S ! Was für eine gute Wahl es war, mit EIRENE meinen Freiwilligendienst zu organisieren, hat sich beim Vorbereitungsseminar gezeigt. Ich hatte so viele Fragen: Was erwartet mich? Wie bin ich versichert? Was darf mein Projekt von mir verlangen? Wer hilft mir im Zweifelsfall? Wie löse ich Konflikte? Wie hat meine Fernbeziehung eine Überlebenschance? In den zwei Wochen Seminar habe ich eine Menge Antworten und gute Tipps von ehemaligen Freiwilligen erhalten.

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I N bR ü S S E L A N g E ko MME N Ich arbeite in Brüssel in der Zentrale von Climate Action Network Europe (CAN). Das ist ein Klimanetzwerk, an dem sich 365 Nicht-Regierungs-Organisationen beteiligen. CAN informiert über politische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Aspekte des Klimawandels und versucht, die Positionen der NGOs in aktuelle Debatten und Entscheidungen einzubringen. Insgesamt sind wir acht Leute im Büro und zig Mitglieder außerhalb. Jeder verbessert ein wenig die Welt.


fR A Nk R EI c H/ / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– f R A Nk R E I c H M I t D EN A U g E N EI NES f L ü c H t L I N g S Ich arbeite in einem Flüchtlingsheim für Asylsuchende, das hier in Frankreich Centre d’Accueil de Demandeurs d’Asile (kurz CADA) genannt wird. Anders als in Deutschland ist der Aufenthalt in einem französischen Asylbewerberheim nicht verpflichtend. Vielmehr ist es ein Privileg, einen Platz in einer CADA zu erhalten. Außer einer dauerhaften Unterkunft und Adresse, die für einen Asylantrag notwendig ist, bietet die CADA den Flüchtlingen Unterstützung bei der Antragsstellung und begleitet das Asylverfahren mit juristischer Beratung. Auch bei der medizinischen Versorgung, bei Schulfragen und der Gestaltung des Alltagslebens ist das CADATeam gerne behilflich.

J oH AN N ES RAU WAL D aus Hamburg, 21 Jahre mit ASF in St. Etienne Projekt: Centre d’Accueil de Demandeurs d’Asile (Flüchtlingsheim für Asylsuchende)

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D ER D E U t S c H E › A N IMAt E U R ‹ Für die ›Animation‹ der CADA an den beiden Standorten ›Foyer Clairvivre‹ und ›Montreynaud‹ sind meine Mitarbeiterin Lili und ich zuständig. Wir versuchen, die Bewohner zu einem autonomen Alltagsleben zu motivieren und ihnen die Integration in die Gesellschaft zu erleichtern. Da die meisten Asylsuchenden bei ihrer Ankunft kein Wort Französisch sprechen und eine Reihe von ihnen darüber hinaus nicht schreiben und nicht lesen kann (oder mit unseren Schriftzeichen nicht vertraut ist), bieten wir für die Erwachsenen Alphabetisierungs- und Französischkurse an. Den Kindern und Jugendlichen helfen wir bei ihren Hausaufgaben. Mit ihnen lernen wir lesen, üben schreiben und klären die Fragen, die sie im Unterricht nicht verstanden haben.

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IMMER WIEDER bIN IcH bEEINDRUckt, WIEvIEL zUvERSIcHt DIE MENScHEN HAbEN ––––––––––––––––––––––––––––––––––

Oft gehe ich einfach durch die Etagen der Häuser, in denen die Flüchtlinge untergebracht sind, und setze mich zu den Familien an den Tisch. Sie zeigen mir Familienfotos und erzählen mir ihre Lebensgeschichten. So lernen wir uns gegenseitig schnell kennen. Immer wieder bin ich überwältigt, wie viel Zuversicht die Menschen haben – trotz ihrer Schicksale und der Ungewissheit über ihre Zukunft. Es ist Hoffnung, die ihnen eine Perspektive gibt und Energien mobilisiert. Durch die Begegnungen und die Gemeinschaft mit den Menschen versuche ich jeden Tag diese Hoffnung nicht versiegen zu lassen. Kleine Zeichen verraten mir ab und zu, dass sich die Anstrengungen lohnen. In diesen Momenten verstehe ich, warum mir die Arbeit in der CADA so wertvoll ist.

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NoRD IRLA N D / / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– f L o R I A N H E R t E N S t E IN aus Weizen, 21 Jahre mit EIRENE in Belfast Projekt: Tools for Solidarity (Entwicklungshilfe)

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. .. U M DE N J U g E N D L I c H E N bESS E RE J o b - c H A N c E N z U ERMÖg L IcH E N

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n Florian Hertenstei e? us Ha zu Wo ist 07 16:48:26 MESZ 17. September 20 e.org eirene-int@eiren – – – – – –– – – – ––––––––––– –––––––––––

Von: Betreff: Datum: An: –

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Wo ist zu Hause? n aufwächst Ist es da, wo ma gerade arbeitet n ma wo , da oder milie wohnt Fa die Ist es da, wo t h neu verliebt ha sic oder da, wo man rd wi n he roc sp ch ge Ist es da, wo deuts prachen erlaubt oder sind Fremds Mama kocht Ist es da, wo die kt r besser schmec Bie s da oder da, wo ern Lit Ist es messbar in aber ich weiß, ich glaube nicht, ben kann ein zu Hause ha als hr dass man me im fühlt. he da h sic n ma wo Zu Hause ist da,

EN tW I ckL U N gSH I L f E I N bEL fASt Für 18 Monate arbeite ich als Freiwilliger in einer Entwicklungshilfe-Organisation, die Menschen und kleine Projekte in Afrika unterstützt. Ich lebe aber nicht etwa südlich der Sahara, sondern in Belfast. Denn hier sammelt, repariert und verschickt ›Tools for Solidarity‹ gespendete Werkzeuge und Nähmaschinen, die unsere afrikanischen Partnerorganisationen dringend brauchen. Klar, dass ich deshalb viel Zeit in der Werkstatt verbringe. Ich habe zum Beispiel gelernt, wie man eine alte schmutzige ›Singer‹-Nähmaschine wieder zum Nähen bringt. Für unsere letzten ›Verschiffungen‹ durfte ich zum ersten Mal ein Nähmaschinen-Kit mit drei Nähmaschinen vorbereiten. Insgesamt schickten wir in zwei Etappen zwei Schreinerei-Kits (jeweils etwa 100 Werkzeuge), sechs Industrie-Nähmaschinen, sechs fußbetriebene und drei handbetriebene Nähmaschinen nach Tansania und Uganda. voN SoL I DARI tät H AbEN AL L E WAS Die Arbeit von ›Tools for Solidarity‹ verändert nicht nur das Leben vieler Handwerker/innen und Näher/innen in Afrika. Sie gibt auch Jugendlichen in Belfast, die nie aus ihrem Stadtteil heraus kommen, einen Einblick in andere Kulturen und ›etwas zu tun‹. Zwei bis drei solcher Jugendlicher kommen einmal pro Woche zu uns in die Werkstatt zum Mithelfen. Sie haben die Prüfung nach der Grundschule (dauert sechs Jahre) nicht bestanden und dürfen somit keine weiterführende Schule besuchen. Um den oft vorprogrammierten Weg in die Kriminalität abzuwenden, gibt es Programme, die weniger theoretisches, aber mehr praktisches Wissen vermitteln sollen, um den Jugendlichen bessere Job-Chancen zu ermöglichen.


NoRWE g E N / / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– S Ev ER I N W o H L L E b E N aus Coburg, 19 Jahre mit ASF in Alta Projekt: Kindergarten und Tagesstätte für psychisch Kranke der Betania Stiftelsen

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DER NoRDEN RUft Mein Freiwilligendienst führte mich nach Norwegen. Temperatur bei der Ankunft mitten im September: 4 Grad Celsius. Projekt: eine Tagesstätte für psychisch Kranke. So war es zumindest geplant. Aber bei meiner Ankunft stellte sich heraus, dass ich im Betriebskindergarten der Stiftung arbeiten sollte. Was würden meine Aufgaben als ›Fredsarbeider‹ dort sein? S c HNE E M ä N N E R b AU E N U N D WIN D E LN WE c H S E L N Mir hat es im Kindergarten sofort gefallen, und ich fühlte mich sehr herzlich aufgenommen. In der ersten Zeit war ich hauptsächlich einfach nur da. Ich versuchte mich so gut wie möglich nützlich zu machen, mit den Kindern und meinen Kolleginnen warm zu werden und lernte zu verstehen und zu reden. Bei einigen der Kinder war relativ schnell ein gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut, bei anderen hat es sehr lange gedauert. Als jedoch Erik eines Nachmittags meinte »Severin soll mir beim Klogehn helfen«, war das schon ein gutes Gefühl.

H ERAU Sf oRDERU N g SpRAcH E Wie ich in der ersten Zeit meine Kolleginnen verstand, weiß ich nicht mehr so genau. Englisch gesprochen haben wir so gut wie gar nicht. Der Chef von Betania meinte dazu nur: »Wir sprechen kein Englisch mit Euch, ihr sollt Norwegisch lernen«. Irgendwie hat es dann gut geklappt – manchmal auch ohne Worte, zumindest bei den Kindern.

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tEMpERAtUR bEI DER A Nk UNft I M S Ep tEM b ER : v I ER g R A D c ELS I US

–––––––––––––––––––––––––––––––––– käLtE I St REI N E DEf I N I tI oN SSAcH E Wenn die Kinder einmal nicht im Schnee herumtoben, muss es schon arg kalt sein. Bis -10° und Windstille steht einem Ausflug nichts entgegen, denn alle sind warm angezogen. Dass die kleinen Kinder nachmittags im Wagen draußen schlafen, hat mich zu Beginn erst sehr verwundert und dann beeindruckt. Selbst bei -20° werden die dick eingepackten Kleinen in ihren Wagen gelegt und vor die Tür geschoben.

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v ER ä N D E R U N g I S t MÖ g LIc H Obwohl ich mich ganz gut eingelebt hatte, war ich mit der Zeit etwas unzufrieden. Im Dezember kam dann unsere Landesbeauftragte zum Gespräch, und ich erklärte, dass ich eigentlich nicht nur zum Windeln wechseln da sein wollte.

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IN D I E S E R z E I t M U S S t E IcH v IE L vE R A N t W o R t U N g übE R N E H M E N U N D L E R N t E AUcH DIE S c H WA c H S t E L LEN DES pRoJEktS kENNEN

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Meine Chefin Reidun war mehr als verständnisvoll und voller Tatendrang, die Sachen zu verändern. Im Laufe des Frühjahrs passierte dann auch einiges. Die Arbeit im Kindergarten klappte immer besser. Etwas schwierig wurde es noch einmal, als mehrere meiner Kolleginnen über Wochen krankheitsbedingt ausfielen. In dieser Zeit musste ich viel Verantwortung übernehmen und lernte auch die Schwachstellen des Projekts kennen. Die letzten Wochen im Kindergarten genoss ich umso mehr. Am Ende wurde ich sogar noch ›Kindergartenpapa‹. Das sagte zumindest Tilde, unsere Größte, zu mir. WE c H S E L I N S › D A g S E N t E R ‹ Da ich unbedingt noch Erfahrungen in meinem ursprünglich geplanten Projekt sammeln wollte, wechselte ich im Juni dann ins ›Dagsenter‹. Die Tagesstätte soll Menschen mit psychischer Erkrankung eine Art ›Zuhause‹ bieten. Dort sorgte ich für den Cafébetrieb, unternahm Ausflüge oder war einfach nur da: zum Reden, zum gemeinsamen Zeitungslesen oder für ein Gesellschaftsspiel. Ich arbeitete mich schnell ein, und es machte richtig Spaß. Am Ende meines Dienstes fuhren wir mit fünf Klienten sogar noch auf eine Ferientour – was zum Abschluss noch einmal ein echtes Highlight war.

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ASF/// A KT I ON S ÜHNEZEI CHEN FR I ED ENS D I ENS TE

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M it unseren H ä nden etwas Gu t es t un

–––––––––––––––––––––––––––––––––– In einem Satz: Was ist Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, kurz ASF?

ASF ist eine christlich geprägte – und gleichzeitig weltanschaulich offene – Organisation, die sich seit 1958 durch praktische Arbeit für Frieden und Verständigung einsetzt.

Und warum wurde ASF gegründet?

Den Gründern ging es gut zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg um die Versöhnung mit den früheren Kriegsgegnern. Dabei waren ihnen zwei Punkte wichtig: Zum einen die Anerkennung der historischen Schuld für die nationalsozialis­ tischen Verbrechen durch Deutsche. Und zum anderen die zeichenhafte Bitte um Vergebung und Frieden durch ganz konkrete Taten. Seitdem haben unzählige – überwiegend junge – Deutsche und seit 1996 auch Freiwillige aus dem Ausland mit ihren Händen ›Gutes getan‹ und viele Zeichen gesetzt: + für Frieden, Verständigung und Menschenrechte + gegen Ausgrenzung, Hass und Gleichgültigkeit + gegen das Vergessen – für eine menschliche Zukunft.

Was macht ASF konkret?

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ASF bietet Freiwilligendienste unterschiedlicher Dauer an und mischt sich in öffentliche Debatten ein, wenn es um Frieden, Rechtsextremismus oder die Auswirkung der Geschichte auf die Gegenwart geht. In dieser Broschüre stehen die lan g f ris t i g en Freiwillig endiens t e im Mittelpunkt. Daneben organisiert ASF 14-tägige internationale Workcamps, die so genannten Sommerlager, und drei- bis sechsmonatige Diens­te für ältere Menschen.

Ein unver gessli ches J ahr Jedes Jahr sind rund 180 Freiwillige mit ASF in 13 Ländern aktiv. Sie arbeiten für ein Jahr in ganz unterschiedlichen sozialen und politischen Organisationen mit: in Gedenkstätten zum Nationalsozialismus, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen oder psychisch Kranke, mit Obdachlosen oder Flüchtlingen, Kindern und alten Menschen. Ganz automatisch tauchen sie in eine andere Kultur ein und leisten ihren Beitrag zur Völkerverständigung. In unseren Begleitseminaren setzen sie sich mit ihre/n eigenen Identität/en, mit kollektiver Erinnerung und dem Fortwirken von Geschichte in der Gegenwart auseinander. Deshalb sollten unsere Freiwilligen auch geschichtlich interessiert sein und bereit, sich mit Herz und Verstand für eine gute Sache einzusetzen. Ein Friedensdienst kann übrigens auch anstelle eines Zivildienstes geleistet werden.

Wo engagieren sich die Freiwilligen? Und welche Arbeiten erwarten sie vor Ort?

Durch unser Gründungsanliegen sind wir vor allem in Ländern aktiv, die besonders unter dem Nationalsozialismus gelitten haben. Heute gibt es Projekte in: Bel gien , Deuts chland , Frankrei ch , GroSSb� britannien , I srael, N iederlande , N orwe gen, P olen, Russland , Ts chechien, U kraine , U SA , W ei SSrussland .


Dort sind unsere Freiwilligen in vier Bereichen tätig: A r b ei t mi t s o z ial Bena c ht eili g t en z.B. Flüchtlingen, Drogenabhängigen, psychisch kranken Menschen, ethnischen Minderheiten. Beispiele: Flüchtlings­ heim in Frankreich, Stadtteilarbeit mit Roma-Kindern in Tschechien, Obdachlosenprojekte in den USA A r b ei t mi t ä lt eren Mensc hen vor allem Holocaust-Überlebenden. Beispiele: offene Altenarbeit in Israel, Betreuung ehemaliger Zwangsarbeiter in der Ukraine A r b ei t mi t M ens c hen mit Behinderung en Beispiele: Integrationsschule in Norwegen, Kinderheim in Weißrussland, integrativer Abenteuerspielplatz in England his to ris c he und p o li t isc he Bildun g Gedenkstätten- und Erinnerungsprojekte, Initiativen, die sich für Frieden und gegen Rassismus engagieren. Beispiele: Internationale Jugendbegegnungsstätte Auschwitz/Oświęcim in Polen, Anne-Frank-Haus in den Niederlanden

Wie und wann bewerbe ich mich für einen Freiwilligendienst mit ASF? Unter www.asf-ev.de findest du ausf ü hrli che I n f ormati onen ü ber die ASF - Ar bei t und alles , was mit einem Freiwilli gendiens t zusammen h än gt. Für Informationen aus erster Hand kannst du dich

außerdem an eine unserer 16 Regionalgruppen im gesamten Bundesgebiet wenden. Dort haben sich ehemalige Freiwillige zusammengeschlossen, die dir von ihren Erfahrungen berichten können. Eine Übersicht der Gruppen gibt es unter www.asf-ev.de/engagement/regionalgruppen/. Wenn du in deiner Nähe keine Regionalgruppe findest, kannst du dich natürlich auch direkt in unserem Infobüro unter 030 28395184 beraten lassen. deine Bewer bung sollte bis zum 1. November eines Jahres für einen Freiwilligendienst im darauf folgenden Jahr (Start in der Regel im September) bei ASF eingehen.

KONTA KT / / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ges ch äf tsstelle Akti on Sü hnezei chen Friedensdiens te e . V. Auguststraße 80 | 10117 Berlin Telefon 030 28395-184 asf@asf-ev.de | www.asf-ev.de

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EI REN E /// INT E R NAT IO N A L E R CHRIS T L IC H E R FRIEDENSDIENST

In einem Satz: Was ist EIRENE? EIRENE (Griechisch für Frieden) ist ein ökumenischer Frie-

dens- und Entwicklungsdienst, der seit 1957 tätig ist.

Und warum wurde EIRENE gegründet?

Auslöser war das Leid der Algerier im äußerst blutigen Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht Frankreich. EIRENE wurde gegründet, um zu verdeutlichen, dass es Christinnen und Christen gibt, die ein militärisches Vorgehen nicht akzeptieren und tatenlos hinnehmen wollen und sich deshalb aktiv für eine Verbesserung der Lebensumstände der muslimischen Bevölkerung einsetzen. ––––––––––––––––––––––––––––––––––

Gerechtigkeit und Frieden gehören z usammen

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Seit dieser Zeit sind Frieden und Gerechtigkeit das Hauptthema EIRENEs: › Einsatz für die Schwachen und Unterdrückten › Bearbeitung von Konflikten, › Begegnung zwischen Menschen verschiedener Religionen und Kulturen. Bei EIRENE arbeiten Christen und Muslima, Buddhistinnen und Yezidi und Angehörige anderer oder keiner Religion mit.

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Was macht EIRENE konkret? Die Arbeit von EIRENE teilt sich heute in ein Fachkräftepro-

gramm und ein Freiwilligenprogramm. Das Fa ch kr äf te pr ogramm : Prof essi onelle Friedens - und En twicklun gsar bei t Das Fachkräfteprogramm unterstützt nachhaltige Entwicklungsprojekte in Afrika und Lateinamerika. Menschen­ rechtsinitiativen, Selbsthilfegruppen und ländliche Entwick­ lungsprojekte stehen im Mittelpunkt der Arbeit. Im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) fördert EIRENE den gewaltfreien Umgang mit Konflikten und unterstützt vorbeugende Maßnahmen zur gewaltfreien Konfliktlösung. In diesen Projekten arbeiten Fachkräfte der Entwicklungs­ zusammenarbeit.

Das Freiwilli genpr ogramm : Freiwilli g voll enga gier t Im Freiwilligenprogramm gehen jährlich etwa 70 meist junge Menschen ins Ausland, um sich für mindestens zwölf Monate in sozialen und ökologischen Projekten oder in der Versöhnungsarbeit zu engagieren. Dieser Freiwilligendienst kann auch an Stelle des Zivildienstes geleistet werden. Im Rahmen des Friedensdienstes der Älteren steht dieses Programm auch Menschen offen, die nach Familienzeit oder nach dem Berufsleben ihre Kenntnisse und Erfahrungen sinnvoll einbringen möchten.


Wie und wann bewerbe ich mich für einen Freiwilligendienst mit EIRENE?

Wo engagieren sich die Freiwilligen? Und welche Arbeiten erwarten sie vor Ort? Bei EIRENE unterscheiden wir zwischen Einsätzen im Norden (d.h. vorwiegend in Industrieländern), im Südosten Europas (in so genannten Ländern im Transformationsprozess) und im Süden, wo wir in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind.

In allen Ländern treffen unsere Freiwilligen auf ähnliche Einsat z f elder: › Kinder- und Jugendarbeit › Einsatz für Menschenrechte › Arbeit mit Menschen mit Behinderungen › Unterstützung von politischen Lobbyorganisationen › Arbeit mit Obdachlosen oder AIDS-Kranken › Mitarbeit in ökologischen oder ökosozialen Projekten › Unterstützung von MigrantInnen Meist können auch Freiwillige ohne besondere Qualifizierung mitarbeiten. D as S ü d p r o g ramm (18-monatiger Freiwilligendienst) Bolivien, Brasilien, Burkina Faso, Costa Rica, Mali, Marokko, Nicaragua, Niger, Tansania, Tschad, Uganda D as Os t p r o g ramm (18-monatiger Freiwilligendienst) Bosnien, Rumänien, Serbien D as N o rdp r o g ramm (13-monatiger Freiwilligendienst) Belgien, Frankreich, Irland, Kanada, Niederlande, Nordirland, USA

Uns ist es wichtig, dir ein realistisches Bild von unseren Freiwilligendiensten zu geben und möglichst alle Fragen zu beantworten, die du an uns hast. Dazu haben wir Informationsseminare überall in Deutschland eingerichtet. Ohne Teilnahme an diesem Infoseminar ist eine Bewerbung zum Freiwilligendienst bei uns deshalb nicht möglich. Du solltest etwa ein Jahr vom ersten Kontakt bis zum Beginn eines Freiwilligendienstes einplanen. Für Kurzentschlossene sind aber auch Ausnahmen möglich. Schritte bis zum Dienstbeginn: 1.  Teilnahme an einem I n f ormati onsseminar

Anmeldung online möglich 2.  Bewer bung Termine im Frühjahr, Herbst und Winter 3.  Bewer bungs ges pr äch 4.  Pr ojektreise nur in Europa 5.  Vor berei tungsseminar 12 Tage 6.  Ausreise

KONTA KT / / /

––––––––––––––––––––––––––––––––––– Ges ch äf tsstelle EI REN E – I n ternati onal Postfach 1322 | 56503 Neuwied Telefon 02631 8379-0 eirene-int@eirene.org | www.eirene.org

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51 Internationaler Christlicher Friedensdienst e.V.


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Im Le ben geh t es darum, das b es te aus dir z u mac hen

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Manchmal brauchst du Hilfe von anderen, damit du deinen Weg findest oder ihn nicht endgültig verlierst. Internationale Freiwilligendienste sind wichtig, weil sie dort helfen, wo Hilfe dringend benötigt wird. Muhabbet, R’nBesk-Sänger

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Es is t der b es te Beweis da fü r, in D euts chland an g ek o mmen zu sein

–––––––––––––––––––––––––––––––––– Und die beste Gelegenheit, die eigene Lebenswirklichkeit zu reflektieren, wenn Migranten Deutschland und seine Geschichte vertreten und gemeinsam mit Jugendlichen aus ganz Europa aufarbeiten. Es ist ein großer persönlicher Gewinn mitzumachen. Ich kann daher jungen Migranten nur empfehlen, sich in einem Freiwilligen­dienst zu engagieren. Dr. Lale Akgün, Mitglied des Deutschen Bundestages

Durch meinen Freiwilligendienst hat sich für mich eine Welt erö f f net, –––––––––––––––––––––––––––––––––– die ich sonst nie kennen gelernt hätte. Die Begegnungen mit den Menschen in meinem Projekt und im Land haben mich auf besondere Weise geprägt. Davon zehre ich noch heute. Wer als junger Mensch die ersten Schritte in ein selbstbestimmtes Leben als Freiwilliger gehen kann, der kann sich glücklich schätzen.

Anke Plättner, Phoenix-Moderatorin, war 1982 ASF-Freiwillige in den Niederlanden

I m p ressum Herausgeber: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. · Auguststr. 80 · 10117 Berlin · Telefon 030-28395-184 · Fax -135 · asf@asf-ev.de · www.asf-ev.de · Spendenkonto 31137-00 · Bank für Sozialwirtschaft · BLZ 100 205 00 und EIRENE  – Internatio­naler Christlicher Friedensdienst e.V. · Postfach 1322 · 56503 Neuwied · Telefon: 02631-8379-0 · Fax -90 · eirene-int@eirene.org · www.eirene.org · Spendenkonto 10 11 380 014 · KD-Bank Duisburg · BLZ 350 601 90 // Redaktion · Anne Mikus, Friedemann Scheffler, Johannes Zerger (verantwortlich) // Fotos und Abbildungen von den jeweiligen Freiwilligen, mit Ausnahme der Seiten 8-10, 12, 13, 40 (www.sxc.hu), 12 (Mosecker/Weßling) 12, 13, 40 (pixelio.de) · Die Rechte liegen bei den Autorinnen und Autoren // Konzept und Gestaltung · BAR M Kommunikationsdesign · Oranienstr. 185 · 10999 Berlin · www.BAR–M .de · Fabian Hickethier, Anne Mikus und Simone Wanner // Druck Westkreuz Druckerei Ahrens KG, Berlin · Auflage · 5000 Exemplare //Stand Okt. 2007 // mit freundlicher Unterstützung von

Foto: Severin Wohlleben

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