Mauro Peter & Helmut Deutsch EinfĂźhrungstext von Antje Reineke Program Note by Susan Youens
Mauro Peter & Helmut Deutsch Freitag
25. Mai 2018 19.30 Uhr
Mauro Peter Tenor Helmut Deutsch Klavier
Franz Schubert (1797–1828) Wer kauft Liebesgötter? D 261 Der Entfernten D 350 Sängers Morgenlied D 165 Die Sterne „Wie blitzen die Sterne“ D 939 Wehmut „Wenn ich durch Wald und Flur“ D 772 An den Mond „Füllest wieder Busch und Tal“ D 259 Das war ich D 174 Gesang „Was ist Silvia“ D 891 Stimme der Liebe D 412 Daß sie hier gewesen D 775 Über Wildemann D 884 Wandrers Nachtlied I „Der du von dem Himmel bist“ D 224 Du bist die Ruh D 776
Pause
Schwertlied D 170 Bundeslied D 258 Tischlied D 234 Die Liebesgötter D 446 Das Mädchen aus der Fremde D 117 Die Einsiedelei D 393 Skolie D 306 Der Rattenfänger D 255 Der Herbstabend D 405 Der Hirt D 490 Der liebliche Stern D 861 Lied eines Schiffers an die Dioskuren D 360 Fischerweise D 881 Auf der Bruck D 853 3
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In froher und in trüber Zeit Lieder von Franz Schubert
Antje Reineke
„Wer kauft Liebesgötter?“, so fragen Papagena und Papageno – nein, nicht in Mozarts Zauberflöte, sondern in Johann Wolfgang Goethes Librettoentwurf zu ihrer Fort setzung. Die beiden tragen „goldne Käfige mit beflügelten Kindern“, die aus „großen, schönen Eiern“ geschlüpft sind, und versuchen zu dem Herrscherpaar Pamina und Tamino vorzudringen. Eine Garantie scheinen die beredten Ver käufer d abei nicht gewähren zu wollen: „Doch über ihre Treue verlangt nicht Brief und Siegel; sie haben alle Flügel.“ Wer kauft Liebesgötter? führt leicht und spielerisch in einen Abend ein, in dem sich vieles um die Sehnsüchte, Hoffnungen, Träume und Schmerzen der Liebe dreht. Er wird düster und dramatisch mit Auf der Bruck enden, einem rastlosen Ritt durch „Nacht und Regen“ zurück zur Geliebten, zu „Lust und Leiden, die mein Herz bei ihr bald heilten, bald zerr issen“. Etwa die Hälfte aller von Schubert vertonten Gedichte haben die Liebe zum Inhalt. Den gleichen Anteil macht das Thema Wehmut aus, oft in Verbindung mit Abend- oder Nachtstimmung; in jeweils knapp einem Viertel geht es um Wandern, Reisen oder eine andere Form der Bewegung sowie um Wasser; 15 Prozent beschäftigen sich mit dem Tod, ein Zehntel schließlich sind Frühlingslieder. Alle diese Themen sind auch im Verlauf des heutigen Abends miteinander verwoben. Das Programm umfasst Texte von 14 Dichtern, die Mehr zahl von ihnen Zeitgenossen Schuberts. Johann M ayrhofer, Franz von Schlechta und Matthäus von Collin sowie der Übersetzer Eduard von Bauernfeld (Shakespeares „Was ist Silvia?“) entstammten dem unmittelbaren Umfeld des Kom ponisten. Mayrhofer zählte zwischen Ende 1814 und etwa 1820 zu den engsten Freunden Schuberts und ist mit insge samt 47 Liedvorlagen und zwei Libretti einer seiner wichtigs ten Dichter. Schlechta, eigentlich Jurist und Beamter, hatte Schubert in seiner Schulzeit im Wiener Stadtkonvikt kennen gelernt. Der deutlich ältere Collin, der als Dramatiker und Literaturtheoretiker zur Romantik zählt, war ein Cousin der mit dem Komponisten befreundeten Brüder Spaun. Über 5
Collin begegnete Schubert dem Orientalisten Joseph von Hammer, der wiederum Friedrich Rückert in die Sprachen und Kulturen des Nahen Ostens einführte. Es scheint insofern gut möglich, dass Schubert auf diesem Wege auf die Gedicht sammlung Östliche Rosen aufmerksam wurde, Rückerts literarische Auseinandersetzung mit Hafis’ Divan in der Über setzung Hammers. Bauernfeld, der später als Autor von Komödien bekannt wurde, stieß 1825 zum engeren Freundes kreis. In diesem Jahr waren im Rahmen einer Gesamtaus gabe Übersetzungen mehrerer Shakespeare-Dramen von ihm erschienen, darunter The Two Gentlemen of Verona. Silvia ist dort die gleich von drei M ännern umworbene Tochter des Herzogs von Mailand. Das Ständchen – in Schuberts Ver tonung schlicht als Gesang bezeichnet, aber besser bekannt unter dem Titel „An Silvia“ – bringt ihr allerdings der „falsche“ Verehrer. Persönlich begegnet ist Schubert schließ lich auch dem Hoftheaterdichter Theodor Körner, kurz be vor dieser im August 1813 als Freiwilliger in den Befreiungs kriegen gegen Frankreich fiel. Das patriotische Schwertlied, das den Freiheitskampf als Hochzeit von Reiter und Schwert verklärt, soll er wenige Stunden vor seinem Tod geschrieben haben. Wie von Körner vorgesehen, vertonte Schubert es für Solo, einstimmigen Chor und Klavier, wobei sich die Rolle des Chores auf ein dreifaches „Hurrah“ beschränkt.
Carpe diem
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Friedrich von Schiller, Johann Gaudenz von Salis-Seewis und Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg begegnete Schubert zuerst als Schüler in dem Rhetoriklehrbuch Institutio ad eloquentiam. Stolberg gehörte dem Dichterbund Göttinger Hain an, der Klopstock verehrte und dem Sturm und Drang nahestand. Klopstock und der Hainbund waren wiederum wichtige Vorbilder des etwas jüngeren Schweizers Salis-Seewis. Eine Generation älter ist Johann Peter Uz, e iner der führen den Anakreontiker des deutschen Rokoko. Die Themen ihrer Gedichte, deren Vertonungen heute erklingen, umfassen Liebe, Natur, Freundschaft, Geselligkeit und Wein, wobei oft der Gedanke des „Carpe diem“ mitschwingt. In dieser Tradition steht auch die Skolie – ursprünglich ein beim Symposion der griechischen Antike vorgetragenes kurzes Lied – von Johann Ludwig Ferdinand von Deinhardstein. Der war zwar ebenfalls Wiener, scheint aber keine engere Beziehung zum Schubert-Kreis gehabt zu haben.
Mit Ernst Schulze beschäftigte sich Schubert 1825/26 intensiver. Seine Gedichte werden gewöhnlich autobio graphisch interpretiert und wegen ihres resignativen Tons mit der Winterreise verglichen. Das lyrische Ich von Über Wildemann wandert tatsächlich rastlos durch eine winter liche Landschaft. (Der Titel verweist ebenso wie Auf der Bruck auf die Gegend um Göttingen, wo Schulze lebte: Wildemann ist eine Kleinstadt im Harz, die Bruck ein Aus sichtspunkt auf dem Hainberg.) Der liebliche Stern erinnert durch das Motiv des Sternenhimmels, der sich im Wasser spiegelt und den Sprecher in den ersehnten Tod lockt, an Die schöne Müllerin. Schuberts Interesse für den Dichter Karl Gottfried von Leitner wurde durch Marie Pachler geweckt, bei deren Familie er im September 1827 in Leitners Heimat stadt Graz zu Gast war. Texte von Goethe und Schiller vertonte Schubert jeweils etwa 70 Mal, eine Zahl, die auch Ensembles, Chöre und sogar je ein Opernprojekt einschließt. Schuberts umfang reiche Auseinandersetzung mit Schiller ist allerdings keines wegs so naheliegend, wie die Bedeutung des Dichternamens annehmen ließe. Schiller galt von jeher als schwer zu ver tonen, nicht nur aus sprachlichen Gründen, sondern auch wegen seiner Neigung zur Gedankenlyrik. Tatsächlich blieb Schubert der einzige bedeutende Liedkomponist des 19. Jahrhunderts, der sich eingehend mit ihm befasste. Be gegnet war er ihm nicht nur in dem erwähnten Schulbuch, sondern auch in den Liedern seines frühen Vorbilds Rudolph Zumsteeg. Schon unter Schuberts allerersten Liedern von 1811/12 finden sich Schiller-Vertonungen, weitere entstanden im Rahmen des Kompositionsunterrichts bei Antonio Salieri. Goethe ist mit seiner „eminent musikalischen“ Lyrik für die Geschichte des deutschen Liedes im 19. Jahrhunderts indessen ebenso wichtig wie die bedeutendsten Kompo nisten. Insofern gilt Schuberts erstes G oethe-Lied Gretchen am Spinnrade vom 19. Oktober 1814 als Schlüsselwerk der Gattung. Der Dichter spielte selbst Klavier und Cello, befasste sich mit Musikgeschichte, M usiktheorie und Akustik, schrieb Libretti und sammelte Volkslieder. Seine Lieder stellte er sich in geselliger Runde am Klavier gesungen vor – im Mittelpunkt sollte dabei der Text stehen, die Melodie und Instrumentalbegleitung relativ einfach gehalten sein. Schubert hatte bekanntlich andere Ideen.
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Neuartiges und Traditionelles
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Von den 27 Liedern des heutigen Abends entstanden zwei Drittel zwischen Herbst 1814 und 1816, als der jugend liche Komponist seinen für die gesamte Gattung wegweisenden Liedstil entwickelte. Die Frage, was das Neue an Schuberts Liedern ausmachte, ist nicht leicht zu beantworten. Die Musik wissenschaftlerin Marie-Agnes Dittrich formuliert, dass sich „in ihnen Neuartiges und Traditionelles in besonderer Weise“ mische. Schubert verwende „bestimmte Formtypen, melo dische Gesten, rhythmische Charaktere oder harmonische Wendungen, die seinen Zeitgenossen bekannt waren – jedoch setzt er sie oft in ungewohnter Weise ein“. Als wesentlicher Faktor gilt die Emanzipation des Klaviers: Im 18. Jahrhundert oft lediglich Stütze des Gesangs, ist es zum integralen Be standteil der Komposition geworden. Text, Melodie- und Klavierstimme sind „so ineinander verzahnt“, erklärt Walther Dürr, „dass die in der Liedästhetik der Zeit so häufig disku tierte Frage nach einer Dominanz des Musikalischen oder des Textes sich gar nicht mehr stellt“. Kehren wir noch ein mal zurück zu Auf der Bruck, in dem das Klavier den eiligen Ritt und die innere Unruhe des Protagonisten vermittelt. In der rechten Hand bilden repetierte Akkorde in hohem Tempo eine Ebene unablässiger Bewegung, gegen die sich die linke Hand mit rhythmisch geprägten Motiven – stellen weise auch als dunkles Echo der Singstimme – abhebt, die Komposition strukturiert und vorwärtstreibt. Auf diese Weise werde der „Gesang – Text und Melodie – in eine Szene [gestellt,] die von der Klavierstimme bestimmt ist und die das ganze Lied […] zu einer Einheit bindet“, so Dürr. Diese Rollenverteilung ist in den Liedern des herutigen Abends häufig anzutreffen, bleibt aber nicht die einzige. In Schwertlied und Tischlied etwa fungiert das Klavier im wesentlichen noch traditionell als Stütze des Gesangs. Auf dieser Grundlage leitete Schubert Aufbau und Cha rakter seiner Lieder individuell aus dem jeweiligen Text ab, interpretierte ihn dabei aber auch. Wie sehr Mayrhofers liebeskranker Hirt in einem negativen Gedankenkreislauf gefangen ist, verdeutlicht zum Beispiel der Kunstgriff, dass Schubert abschließend ein letztes Mal das Vor- und Zwischenspiel wiederholt, das melodisch dem Vers „Und mahnest grausam immer“ entspricht. Er endet damit offen, ganz so, als sollte eine weitere Strophe folgen. Daß sie hier gewesen beginnt mit einer Folge zarter, dissonanter Akkorde, die harmonisch unbestimmt bleibt, so wie die Düfte und Tränen des Textes geheimnisvoll scheinen. Erst mit der
rklärung „Daß du hier gewesen“ wird die Grundtonart E C-Dur erreicht. In der dritten Strophe wird die Rückkehr der Akkorde bis zu den Worten „Düfte tun es und Tränen kund“ hinausgezögert. In Wehmut geht wiederholt ein Dur- in seinen gleichnamigen Mollakkord über – eine typisch Schubertsche Wendung, deren Ausdrucksgehalt die „Ver düsterung“ ist. Sie verstärkt nicht allein die Wortverbindung „wohl und weh“, sondern taucht auch „in ihrer Schönheit Fülle schau’“ in ein wehmütiges Licht und erfasst zuletzt „entschwindet“ und „vergeht“.Vielsagend ist hier im übrigen schon das Spannungsverhältnis zwischen dem Mollcharakter des Beginns und Collins freundlichem „Wenn ich durch Wald und Fluren geh’“. In Bundeslied vereinigen sich Singstimme und beide Hände des Klaviers für die Bekräftigung „Uns hält der Gott zusammen“, während die Singstimme von Über Wildemann ebenso bezeichnend immer dann durch die dunkle Farbe des Basses verdoppelt wird, wenn vom Winter die Rede ist, der den Wanderer festhält. Goethes Wandrers Nachtlied beginnt gebetsartig, ist jedoch nicht christlich gedacht, sondern an den „süßen Frieden“ gerichtet. Dass es nicht allein um die Erschöpfung nach einem langen Fußmarsch geht, ist offensichtlich. Doch ob sie dem Überdruss am gesellschaftlichen Leben (in Goethes Falle am Hof von Weimar) geschuldet oder existentieller Natur ist, ob sich der Wanderer nach Erholung und Ruhe sehnt oder sogar nach dem Tod, bleibt offen. Schubert verwendet zu Beginn erstmals den daktylischen Rhythmus (lang–kurz–kurz) der Pavane, den er oft im Zusammenhang mit Wanderschaft einsetzt – gerade auch im übertragenen Sinne einer Wander schaft, die aus dieser Welt hinausführt. Zum Gebetscharakter dieses Beginns trägt auch die weitgehend auf Tonwieder holungen zurückgenommene Singstimme bei, die zunächst Takt für Takt einen Ton höher a nsetzt. Betont werden „doppelt elend“ und „Entzückung“. Der Ausbruch „ach, ich bin des Treibens müde!“ ist seufzerartig abwärts geführt, der Gedanke an „Schmerz und Lust“ des Lebens mit erregten nachschlagenden Akkorden unterlegt. Die abschließende Bitte, „etwas geschwinder“, wirkt mit ihrer wellenförmigen Melodie und fließenden Melismen wie das Gegenstück zum Beginn des Liedes. Deutlich schneller durchpulst der daktylische Rhythmus in leichten, leisen Akkordrepetitionen auch Die Sterne. Er steht dort im Kontext des ewigen Sternenhimmels, der die Menschen durchs Leben geleitet.
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„… alle Momente des Affekts wie in einem Brennpunkt“
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Auffallend ist die hohe Zahl von 15 reinen Strophen liedern im Programm des heutigen Konzerts. Mit Ausnahme von „An Silvia“ stammen sie alle aus den Jahren 1815/16. In dieser Zeit orientierte sich Schubert besonders an den Goethe nahestehenden Komponisten Johann Friedrich Reichardt und Carl Friedrich Zelter, deren Ästhetik vom Ideal des Volksliedes, von Schlichtheit und Natürlichkeit bestimmt war. Dem entsprach das Strophenlied, das, wie Reichardt erklärte, „der einfache und fassliche musikalische Ausdruck einer bestimmten Empfindung“ sein sollte. E. T. A. Hoffmann forderte 1814, der Liedkomponist müsse „alle Momente des Affekts wie in einem Brennpunkt auf fassen“. Diese Forderung nach einem einheitlichen Grund affekt richtete sich natürlich ebenso an die Dichter. Die Glocken, die am Beginn jeder Strophe von Der Herbstabend in Sing- und Klavierstimme hallen, sind auch in S alis-Seewis’ Gedicht ein wesentlicher Teil der gesamten von Vergänglich keit zeugenden Friedhofszene. Die zweiten Strophenhälften, in denen die Schlüsselwörter Kirchhof und Grab eingeführt werden, sind ihrerseits durch die traditionell mit Klage und Schmerz assoziierte absteigende Chromatik charakterisiert, während das Klavier mit Akkordrepetitionen ein unbe stimmtes Element der Unruhe einbringt. Beim Rattenfänger unterstreicht die strophische Gestaltung die Analogie zwischen Ratten, Kindern und Mädchen, die im Gedicht durch zahl reiche sprachliche Parallelen betont wird. Goethe stellt keinen Bezug zu Hameln und dem tragischen Ausgang der Sage her und entsprechend konzentriert sich Schubert mit seiner verzierten Melodie auf den jovialen, selbstbewussten Sänger. In mehreren Liedern werden zwei besonders kurze Gedichtstrophen zu einer zusammengefasst, um die Einheit lichkeit der Wiederholungen mit musikalischer Entwick lung zu verbinden. Die Grundlage liefern die Gedichte selbst: So gehören schon bei Goethe die Strophen 1 und 2, 6 und 7 sowie 8 und 9 von An den Mond eng zusammen. Durch die enge Verbindung und Steigerung der zweiten Strophenhälfte – die Singstimme setzt höher an, der Klavier satz wird voller und bewegter, was insbesondere dem Bild vom Fluss entgegenkommt – erscheint dann auch die Auf forderung „Fließe, fließe lieber Fluss“ aus Goethes vierter Strophe als Konsequenz aus der vorausgegangenen Betrach tung: „Jeden Nachklang fühlt mein Herz froh- und trüber Zeit“. (Eine von Goethes insgesamt neun Strophen musste unter diesen Umständen natürlich entfallen. Welche ist un
Dichterische Leitsterne Schiller und Goethe
klar, da Schubert nur die ersten beiden notiert und das Lied nicht selbst veröffentlicht hat. Am h eutigen Abend erklingen drei der neun Strophen.) Später variierte Schubert seine Strophenformen oft, um sie dem jeweiligen Text anzupassen. Du bist die Ruh etwa be ginnt mit zwei fast identischen Doppelstrophen und ent wickelt die fünfte („Dies Augenzelt, von deinem Glanz allein erhellt“) zu einer ekstatischen Steigerung, die noch einmal um die Hälfte länger ist. Über Wildemann wird dagegen von Strophe zu Strophe abgewandelt. Dabei dient der Gegensatz von Moll und Dur dazu, den Kontrast zwischen der früh lingshaften Natur und dem Winter im Inneren des Wanderers zu betonen. Die letzte Strophe, in der ihn der Winter wieder fest im Griff hat, kehrt sehr eng zur ersten zurück. Stimme der Liebe, das schon bei Stolberg als scheinbar spontaner Ausruf aus zwei formal verschiedenen Abschnitten besteht, ist in ein expressives rezitativisches Arioso übertragen, in dem die Gliederung des Gedichts aufgelöst ist. Erhalten sind jedoch die weiträumigen Parallelen des Textes: das wiederholte „Meine Selinde!“ und das zweimalige Verspre chen „sie wird die Deine“. Wiederholung und Entwicklung verbinden sich schließlich im Lied eines Schiffers an die Dioskuren, das einen typisch dreiteiligen Verlauf nach dem Muster ABA’ nimmt: gebetsartig für die Anrufung der Dioskuren, energisch entschlossen angesichts des Sturms und bei der Rückkehr zum Anfangsteil, wo der Schiffer nun aktiv das Ruder schwingt, mit einer neuen, bewegten Bass stimme. Das Lied richtet sich an das Zwillingspaar Castor und Pollux (bzw. Kastor und Polydeukes) aus der griechischen Mythologie. Die nach ihnen benannten Sterne im Sternbild der Zwillinge, die markante Orientierungspunkte bieten und als Schützer der Seefahrer gelten, waren im Freundes kreis Schuberts offenbar Sinnbild freundschaftlicher Treue. Eine andere Interpretation vermutet in ihnen die dichteri schen Leitsterne Goethe und Schiller.
Antje Reineke promovierte an der Universität Hamburg mit einer Arbeit über Benjamin Brittens Liederzyklen. Neben der Musik Großbritanniens gilt ihr besonderes Interesse dem Lied des 19. bis 21. Jahrhunderts.
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Hymns to Love and Nature Songs by Franz Schubert
S u s a n Yo u e n s
The late 18th and early 19th centuries ushered in a new dawn for songs to German poetry: new depth, new seriousness, new commercial viability and popular success. As one traces the development of the lied from the French Revolution to World War I, three famous “miracle years” stand out, years in which great composers devoted much of their energies to new conceptions of songs: 1815 for Schubert, 1840 for Schumann, and 1888 for Hugo Wolf. In the first instance, Schubert sometimes composed as many as three songs a day, with special focus on the poetry of Goethe and Schiller. Tonight’s program is rife with a particular variety of Schubert lied from 1815–16: strophic songs with non-virtuosic accompaniments, precisely the songs too often ignored by musicians and listeners. When a member of the ignoscenti decried these “simple” songs to that great Schubert-worshipper Johannes Brahms, the later master replied that there were no songs by Schubert from which one could not learn something, including the small gems. Laced throughout this program are also songs from a decade or more later, masterpieces all. Because Schubert worshipped Mozart (“O Mozart! Immortal Mozart!”, he wrote, “what countless impressions of a brighter, better life hast thou impressed upon our souls!”), it seems only right to begin with Wer kauft Liebesgötter?, from Goethe’s unfinished libretto, began in 1795, for a con tinuation of Mozart’s Die Zauberflöte. “Von allen schönen Waren” was intended as a duet for Papagena and Papageno and traffics in all the light-as-a-feather sexual imagery of the original scenario: birds as sexualized creatures, flying as sex, and both large birds and small birds as flirtatious and available for sale. Papageno plays the panpipes, and so does Schubert, both in the piano and the cruelly high vocal part, which takes flight for the stratosphere right away. Der Entfernten is the first song on this program to words by Johann Gaudenz von Salis-Seewis, a poet-soldier in the Swiss Guards in Paris who sympathized with the ideas of the French Revolution. This poem “an die ferne Geliebte” 13
Mozartian lyricism and reverence
is typical of Salis-Seewis’s tender, elegiac moods; Schubert’s setting is all about the lyrical vocal line, blossoming on occasion into larger leaps that imbue the song with its gentle vitality. The eternally young Theodor Körner used his facile poetic gifts and fervent patriotism to rouse the German- speaking world in its final revolt against Napoleon and then died in battle on August 26, 1813. Sängers Morgenlied is a lyrical hymn to love and poetry unleashed when the dawn wins out over darkness. Schubert wrote two settings of this poem: in the first, he brings out the liveliness and joy in the words, while the one we hear, written a couple of days later, is the utmost in Mozartian lyricism and reverence. In 21-year-old Karl Gottfried von Leitner’s Die Sterne, we are told that the “big things in life”—faith, suffering, and love—transpire under the watchful stars that wish us well and work for our benefit (this is a young man’s poem). That there is no minor mode darkness anywhere, not even when graves and suffering are invoked, is among the most touching aspects of Schubert’s exquisite composition, in which melancholy is off-limits. The introduction to Wehmut, on a text by Matthäus von Collin, recalls Schubert’s grounding in the music of Handel and Gluck: twice in succession, we hear the traditional Renaissance and Baroque lamento bass D–C–B-flat–A in D minor, marching solemnly downward in equal half-notes. When the poet mourns the transience of all beauty, Schubert again harks back to the past, with a Baroque-style chromatic crawl upwards in the bass, the chords quivering in measured tremolandi: this is the softly resounding flux that brings us all to oblivion.
An den Mond had its origins in a tragedy: in January 1778, the daughter of an aristocratic Weimar family drowned herself in the Ilm River, yards from Goethe’s house, out of unrequited love. She had a copy of his novel The Sorrows of Young Werther, which ends with a suicide, in her pocket.Ten years later, Goethe rewrote his memorial to her as an elegy for his past friendship with Charlotte von Stein. What this exquisite ode hymns is dualism: the distinction between a private, feeling, interior self and an indifferent external world. Schubert starts without introduction and in chordal chorale 14
Passiondrenched musical landscape
texture—but when the beauty of Nature sets the poet’s soul free (“lösest endlich auch einmal meine Seele ganz”), the formerly restricted vocal line begins to aspire upwards, to Schubert’s characteristic high register, and the harmony goes on the move as well. Körner’s Das war ich is, from one viewpoint, an exercise in lover’s narcissism: “And that was me!”, the delighted protagonist announces over and over as he tells his beloved about his dream of her. Schubert comically exaggerates the self-satisfaction in the poem’s refrain with a dramatic break, repetition (“Und das, und das war ich”), and sforzato-piano dynamics. Shakespeare is among Schubert’s 100 or so poets, if only for three songs composed in July 1826, when Schubert and his friend Franz von Schober were on holiday. The text for Gesang (literally “song,” better known as “An Sylvia”) comes from Act IV of The Two Gentlemen of Verona, translated into German by another of Schubert’s friends, the writer Eduard von Bauernfeld. For this serenade, heard before the comedy’s complications have reached their dénouement, Schubert created one of his most endearing songs. Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg, the poet of Schubert’s immortal Auf dem Wasser zu singen, was a member of the famed Dichterbund in Göttingen and traveled with Goethe in Switzerland. Schubert would set Stolberg’s Stimme der Liebe, with its rapturous encomium to “My Selinde!”, twice; D 412 is the earlier version. The piece begins with throbbing figuration perhaps emblematic of a throbbing heart and then dives suddenly to the deep flat side of the tonal system: the “Engelstimme” issues from another realm and ascends to fortissimo peaks of ecstasy. From the 1822 anthology Östliche Rosen by the Orien talist Friedrich Rückert, a gifted poet who would become one of Schumann’s favorite poets as well, Schubert plucked the texts for several of his loveliest songs. In Dass sie hier gewesen, he contrasts shifting, chromatic harmonies that tell of the disorientation called into being by desire with firmly grounded phrases that bespeak the one surety in this passion- drenched musical landscape: “that you have been here.” Schubert’s harmonic limbo at the beginning is an astonishing foreshadowing of Wagnerian radicalism. Schubert recognized the sheer force of the delusional psychology on display in quite a few of Ernst Schulze’s poems from his quasi-autobiographical Poetisches Tagebuch of 15
1819. It is truly a “wild man” who sings the frenetic Über Wildemann (Wildemann is a village in the Harz Mountains), with its Byronic protagonist striding from peak to peak in a frenzy, to music that foreshadows Winterreise. The singer’s part is filled with ascending scale-wise motion, as if the musical material itself was a peak the poetic persona could literally scale in his futile attempts to outrun his anguish. Goethe’s poetic sensibilities were so extreme, so finely- tuned, that he longed at times for surcease. In Wandrers Nachtlied I, he begs “sweet peace” to take up residence in his heart. The first bars already yearn upwards, but the cry “Ah! I am weary of striving!” plunges downward. For the plea to Peace, the singer vaults softly into the higher register and the bass lines goes quietly on the move, spelling out the tonic chord over a widely arching span. In setting Rückert’s Du bist die Ruh, Schubert creates a tranced atmosphere for a vision of love both sensual and idealized. The piano introduction, with its slow pulsations, opens up gradually, like a flower blossoming; for the song’s ending, Schubert bids the voice rise ecstatically upwards while the harmonies darken reverentially.
Fourteen of Schubert’s 15 Körner songs were written in the composer’s annus mirabilis of 1815. Körner was an Austrian patriot, and Schubert’s Schwertlied honors all the hearty conventions of its military genre, including a direction to the chorus to clink their swords at the “Hurrah!” refrain. But this is also the Schubert who loved harmonic experi ment, so the sudden divagation to an emphasized seventh chord near the end reminds us of his customarily more complex harmonic world. In July and August 1815, Schubert was still immersed in Goethe’s poetry, from one-page masterpieces like Erster Verlust to Geselligkeitslieder, poems that celebrate earthly life in convivial company. Bundeslied is an epithalamium for a marriage in 1775, while the Tischlied is a parody of the medieval drinking song “Mihi est propositum in taberna mori.” The goliard poets of Carmina burana hymn the delights of wine, but Goethe writes a personal credo with a tribute to Duke Karl Friedrich of Baden (whose departure for France inspired this poem), to love and friendship. Every stanza ends with a celebratory flourish in the piano. 16
The late 18th-century poet Johann Peter Uz was one of the neo-Anakreontiker, who sang of nymphs and shep herdesses, wine, roses, and springtime after the manner of the 6th-century B.C.E. Greek poet Anacreon. In Die Liebesgötter, Uz spins a lightly racy fable of Cypris, the goddess of love, and her bevvy of cupids—the singer begs to be spared Love’s arrows so that his youthful days may be happy— which Schubert sets as a gavotte-song. Schubert, who loved Schiller’s spring poems, first found music for Das Mädchen aus der Fremde in October 1814, three days before he composed the immortal Gretchen am Spinnrade. Spring is anthropomorphized as a beautiful maiden from foreign lands who comes with the first larks to gladden all hearts, but especially those of lovers. We hear folkloric, lilting 6/8 rhythmic patterns, rustic open fifths in the bass, and hints of birdsong in the treble. The singer in Salis-Seewis’s Die Einsiedelei spends most of its stanzas celebrating the fashionable theme of hermit soli tude deep in the forest—but in the last line, we discover the existence of a sweetheart who will share his solitude. In this initial setting, a Schubertian brook is babbling away in the accompaniment. Among the genial songs of companionship sprinkled throughout this program, we next encounter Skolie, to a poem by Johann Ludwig von Deinhardstein, the vice-director of Vienna’s court theaters. A “skolion” in Greek is a drinking song in which the cup passes from drinker to drinker, and this hearty specimen, with the hum and buzz of the comrades audible in the piano, is a delight. Goethe’s Der Rattenfänger is a parody of a folk poem in Des Knaben Wunderhorn (1806), written for a children’s ballet in Weimar. It is the “Kinderfänger / Mädchenfänger / gut gelaunte Sänger” himself who sings in this ballad, stripped of much of the danger evident in the folkloric source. Hugo Wolf in his Goethe Songs would bring back the demonic element and then some in his powerful music, but Schubert stays with the comic triumphalism of the boastful protagonist.
Another tiny gem by Salis-Seewis is Der Herbstabend, in which an elegiac singer hymns Nature in a churchyard and bids a friend not grieve for his impending death (the autumn evening carries symbolic freight). The mirror-image 17
Nature’s indifference to the tormented heart
chromatic lines in the voice and the bass at the start of the last half prefigure the even more intensive use of this d evice in one of the last songs of Winterreise, Der Wegweiser. Johann Baptist Mayrhofer’s sad, spurned shepherd in Der Hirt sings a lament in the D minor key of Mozart’s Requiem and Schubert’s Gute Nacht at the start of Winterreise, except that the piano ritornello ends each time in the pastoral key of F. The non-legato repeated pitches that accompany the singer’s first two measures foreshadow the “journeying figure” throughout all of Gute Nacht. Am 28sten April 1814 in Schulze’s Poetisches Tagebuch— Schubert’s Der liebliche Stern—is a death-wish set to gentle, lulling motion throughout: Nature is indifferent to the tormented heart. Lied eines Schiffers an die Dioskuren is among the Schubert- Mayrhofer masterpieces. Here, the sailor and the Dioscuri, the twin stars Castor and Pollux who guide him, are perhaps symbolic of Mayrhofer himself, with Goethe and Schiller his lode-stars. Among the many beauties of this exquisite song is its recourse to “hidden melody,” where the vocal part moves into an inner voice or into the bass. Like several of Schubert’s youthful friends, Franz Xaver von Schlechta, of Bohemian baronial ancestry, sought literary glory and missed the mark, becoming a finance minister instead. But he provided the words for one of Schubert’s perennial favorites, Fischerweise, whose motor rhythms and circular energies tell of joy in one’s work. Matching Schlechta’s glee at the escape from feminine wiles—women seen as fishers of men, men as the “fish that got away”—Schubert imbues the repeated words “schlauer Wicht” (“cunning minx”) with merry, if slightly misogynistic, relish. Schubert’s setting of Schulze’s poem entitled Auf der Bruck. Den 26. Juli 1814 is sometimes known as Auf der Brücke, the title it was given for its first publication. It’s unclear if the change was made by the publisher or by Schubert. The Bruck is a look-out point near Göttingen, while “Brücke” signifies a bridge—perhaps the composer’s alteration to tell us that the narrator rides over a bridge between the present and future, stormy night and morning, despair and hope, without ever reaching the other side. Susan Youens, newly retired from the University of Notre Dame in Indiana, is the author of eight books on German song, including Heinrich Heine and the Lied, as well as more than 60 articles and book chapters.
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