Gyula Orendt & Axel Bauni

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Gyula Orendt & Axel Bauni EinfĂźhrungstext von Antje Reineke Program Note by Richard Wigmore


Gyula Orendt & Axel Bauni Sonntag

4. November 2018 16.00 Uhr

Gyula Orendt Bariton Axel Bauni Klavier


Robert Schumann (1810–1856) Liederkreis nach Gedichten von Heinrich Heine op. 24 (1840) I. Morgens steh’ ich auf und frage II. Es treibt mich hin III. Ich wandelte unter den Bäumen IV. Lieb Liebchen, leg’s Händchen V. Schöne Wiege meiner Leiden VI. Warte, warte, wilder Schiffmann VII. Berg’ und Burgen schaun herunter VIII. Anfangs wollt’ ich fast verzagen IX. Mit Myrthen und Rosen

Franz Schubert (1797–1828) An die Leier D 737 Am See D 746 Der Einsame D 800 Des Fischers Liebesglück D 933 Der Wanderer „Wie deutlich des Mondes Licht“ D 649 Totengräbers Heimweh D 842 Pause

Robert Schumann Liederkreis nach Gedichten von Joseph von Eichendorff op. 39 (1840) I. In der Fremde II. Intermezzo III. Waldesgespräch IV. Die Stille V. Mondnacht VI. Schöne Fremde VII. Auf einer Burg VIII. In der Fremde IX. Wehmut X. Zwielicht XI. Im Walde XII. Frühlingsnacht

Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen.

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„… dass sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann“ Lieder von Schubert und Schumann

Antje Reineke

„Es gab eine Zeit, wo ich nur ungern über Schubert sprechen, nur nächtens den Bäumen und Sternen von ihm vorerzählen mögen. Wer schwärmt nicht einmal!“, erinnerte sich Robert Schumann und prophezeite, der jung Ver­ storbene werde „immer der Liebling“ der Jugend bleiben: „Er zeigt, was sie will, ein überströmend Herz, kühne Ge­ danken, rasche Tat.“ Schubert erschien ihm nach Beethoven und Bach als Grundpfeiler einer zukünftigen „poetischen Zeit“. Schumann selbst hatte ihn schon früh für sich ent­ deckt, zu einer Zeit, als Schubert außerhalb Wiens noch ­wenig bekannt war. Der 18-Jährige habe eine „rasende Vor­ liebe“ zu Schubert gefasst und alles angeschafft, „was von ihm zu haben war“, berichtet sein Jugendfreund Emil Flechsig, der ihn nach Schuberts Tod „die ganze Nacht schluchzen hörte“. Interessanterweise galt Schumanns Be­ geisterung in erster Linie der Instrumentalmusik. Ihr ­widmete er in seiner Neuen Zeitschrift für Musik eingehende Betrachtungen – nicht aber den Liedern und Liederzyklen. Vielmehr urteilte er 1843, das Lied sei die „einzige Gattung, in der seit Beethoven ein wirklich bedeutender Fortschritt geschehen“. Schubert habe für diese „kunstvollere und ­tiefsinnigere Art des Liedes“ schon „vorgearbeitet“. Man reibt sich verwundert die Augen angesichts der heraus­ ragenden Bedeutung, die beide Komponisten für die Gattung haben. Der Fall ist umso verblüffender, als allgemein der ­Instrumentalkomponist Schubert eher im Schatten des ­„Liederfürsten“ stand. Als entscheidend für die Entwicklung des Liedes bezeichnet Schumann in demselben Artikel „eine neue deutsche Dichterschule“, namentlich Rückert, Eichendorff, Uhland und Heine, deren „Dichtergeist“ sich 5


Gedanklich komplexe Lyrik

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„in der Musik widerspiegelte“. Mit Ausnahme von Eichen­ dorff hat Schubert sie alle vertont. Die Schubert-Lieder des heutigen Programms entstanden zwischen 1819, Der Wanderer auf einen Text Friedrich von Schlegels, und Ende 1827, Des Fischers Liebesglück nach einem Gedicht des Grazers Karl von Leitner. Auf Schlegel lohnt insofern ein kurzer Blick, als seine Ästhetik, speziell der ­Begriff der „progressiven Universalpoesie“, mit beiden Kom­ ponisten, Schubert und Schumann, in Verbindung gebracht wird. Gemeinsam mit seinem Bruder August Wilhelm zählt Friedrich von Schlegel zur Jenaer (Früh-)Romantik. Seit 1808 lebte er in Wien, wo er viel beachtete und ideen­ geschichtlich bedeutende Vorlesungen zu Geschichte und Literatur hielt. Zwischen seinem und Schuberts Freundesund Bekanntenkreis dürfte es Überschneidungen gegeben haben. Zu Schlegels Umfeld gehörte in jedem Fall Franz von Bruchmann (An die Leier, Am See), der ab 1819 zu den engeren Freunden Schuberts zählte. Ebenfalls dem SchlegelKreis zugerechnet wird Jakob Nikolaus Craigher de Jache­ lutta (Totengräbers Heimweh), den Schubert 1825 kennenlernte. Ein weiteres wichtiges Bindeglied war der im heutigen ­Programm nicht vertretene Wiener Dramatiker und Litera­ turtheoretiker Matthäus von Collin. Zu einer persönlichen Begegnung Schuberts mit Schlegel kam es spätestens 1825. Schlegels Gedichte scheinen im Freundeskreis des öfteren gelesen worden zu sein. Dass Schubert ihn immerhin 16-mal vertont hat, ist ungewöhnlich, denn seine gedanklich kom­ plexe Lyrik hat nur wenige Komponisten angezogen. Doch Schlegels Konzeption von der inneren Einheit der Künste, ihrer gegenseitigen Durchdringung und Kommentierung scheint sich in idealer Weise in Schuberts Liedern wider­ zuspiegeln. „Das Wesen der höhern Kunst und Form besteht in der Beziehung aufs Ganze“, schreibt Schlegel. „Darum sind alle Werke Ein Werk, alle Künste Eine Kunst, alle ­Gedichte Ein Gedicht. Denn alle wollen ja dasselbe, das überall Eine und zwar in seiner ungeteilten Einheit.“ Auch Schubert, so der Musikwissenschaftler Walther Dürr, habe „in der Regel nicht von Musik, sondern ganz allgemein von der Kunst“ gesprochen, „wenn es […] um grundsätzliche Fragen der Ästhetik ging“. An die Leier, Bruchmanns Nachdichtung eines anonymen Textes aus der Anakreon-Nachfolge, schildert einen künstle­ rischen Richtungsstreit zwischen einem Sänger und seiner Leier, letztlich also einen inneren Konflikt. Auf der einen


Seite steht die Verklärung des starken Mannes: Atreus’ Söhne, Agamemnon, König von Mykene, und Menelaos, König von Sparta und Ehemann der schönen Helena, führten die Griechen in den Krieg gegen Troja; Kadmos gründete die Stadt Theben und besiegte einen Drachen; und Alcide ist der Zeus-Sohn Herakles, der nicht nur zahllose Heldentaten vollbrachte, sondern auch im Wahn seine drei Kinder er­ mordete und den heiligen Dreifuß des Orakels von Delphi stahl. Die Leier aber rebelliert: „Make love not war“, beharrt sie und biegt die in einem dramatischen Rezitativ ansetzen­ den Heldengesänge zu Liebesliedern um. Formal entspricht das einer Opernszene. Doch führt das Rezitativ hier nicht auf die Arie hin, sondern es geht um den stilistischen ­Gegensatz von deklamatorisch frei gestalteten Gesängen und lyrisch gebundenen Formen. Im Kontext seiner Ent­ stehungszeit um 1822/23 wird das Lied zudem politisch als Ausdruck der enttäuschten Hoffnungen aus der Zeit der Befreiungskriege gelesen. Ein pantheistisches Naturbild, das die menschliche Seele mit dem bewegten Wasser vergleicht, begegnet uns in Am See – eingefangen in weiten Arpeggien von Klavier und Singstimme. Bruchmann untermauert die Analogie, indem er für die zweite Strophe die erste variiert. Schubert folgt ihm, weitet die zweite Strophe aber erheblich aus. Die ab­ steigende Melodielinie, die ursprünglich mit dem Fallen der Sterne, „flammend leuchtend stets hinein“, assoziiert war, setzt immer höher an, bis das Lied in sehnsuchtsvollen ­Seufzern in hoher Lage endet. Ein irreales Spiel von Licht auf dem Wasser charakterisiert auch Des Fischers Liebesglück, in dem sich abschließend der Blick ins Jenseits richtet. Die Vertonung ist im Stil einer Barkarole gehalten, für die neben einer schaukelnden Bewegung die Molltonart typisch ist. Die Strophen enden jedoch in Dur, was den „hellen gespie­ gelten Strahl“ und vor allem die Illusion, „schon drüben zu sein“, musikalisch aufnimmt. Karl Lappes Der Einsame zieht sich vor der „lauten Welt“ und den Sorgen des Alltags in sein sicheres Heim zurück: leicht, heiter und rondoartig, so dass die beiden HeimchenPassagen aufeinander bezogen sind, dazu mit viel Sinn fürs Detail, etwa wenn rhetorische Pausen und Harmoniewechsel den Prozess des Sinnens und Denkens widerspiegeln oder wenn zuletzt die Grillen in der Oberstimme zirpen. Das ­genaue Gegenstück stellt Schlegels nächtlicher Wanderer in seiner selbstgewählten Heimatlosigkeit dar, die ihm einen 7


Milder Blick auf die Welt

geschönten, milden Blick auf die Welt ermöglicht. Die durchweg positive Stimmung der ersten Konzerthälfte trübt einzig der umfangreiche Gesang der titelgebenden Figur in Totengräbers Heimweh. Sie beginnt eine aufwühlende Reise von der Schilderung rastlosen Tuns in einer unablässigen, schwerfälligen Bewegung bis zur ekstatischen Vision der eigenen Erlösung im Tode. Hier nun wechseln aufsteigende Linien mit Tonwiederholungen, die Schubert oft als melo­ dischen Stillstand im Zusammenhang mit dem Tod ver­ wendet. Dazu weitet sich der Tonraum des Klaviers symbo­ lisch aus. Besonders desolat wirkt der Mittelteil, in dem der ­Totengräber sehnsüchtig, Blick und Melodie abwärts gerichtet, allein am Rande des Grabes steht, während Singstimme und Klavier weitgehend im harmonisch farblosen Unisono geführt werden.

Die Gedichte Joseph von Eichendorffs, der ab 1810 als Jurastudent in Wien lebte und dort die Bekanntschaft Friedrich von Schlegels und seiner Frau Dorothea machte, handeln von Vereinzelung, Selbstentfremdung und existen­ tieller Bedrohung. Sie richten sich gegen die als philisterhaft und einengend empfundene moderne Gesellschaft. Der Zerrissenheit der Gegenwart wird die Poesie entgegengestellt: Der Dichter legt die inneren Zusammenhänge der Welt ­offen. Er erinnert an die ursprüngliche Einheit von Mensch und Natur in mythischer Vergangenheit, was auch eine utopische Dimension enthält. Robert Schumann teilte die Auffassung von der Kunst als Vermittlerin einer höheren, dem prosaischen Alltag entgegengesetzten Welt. Eine poetische Kunst war für ihn „Seelensprache“, Ausdruck des Un­ bewussten. Gerade die Musik schien ihm durch ihr „tieferes Eindringen in die Geheimnisse der Harmonie“ besonders geeignet, die „feineren Schattierungen der Empfindung aus­ zudrücken“, die sich begrifflich nicht adäquat fassen lassen. Dichtung und Musik waren auch für Eichendorff eng ver­ wandt. Die Hälfte der Gedichte aus Schumanns Liederkreis op. 39 entstammen seinen Romanen und Novellen, wo sie im Rahmen der Handlung gesungen werden. Als Textquelle des im Mai 1840 entstandenen Zyklus diente aber vermutlich die drei Jahre zuvor veröffentlichte Gedichtausgabe, aus der Schumanns Verlobte Clara Wieck handschriftlich eine Auswahl zur Vertonung geeigneter Texte zusammenstellte. 8


Traum und Realität verschwimmen

Die Reihenfolge der Lieder geht auf Schumann selbst ­zurück. „Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, dass sie ewig nur werden, nie voll­­ endet sein kann“, postulierte Schlegel. Jedes Werk wird ­Ausgangspunkt für weitere Reflexion. Dem entsprach seine Vorliebe für die Arbeit mit Fragmenten, mit überraschenden Analogiebildungen und gezielten kreativen Widersprüchen. Diese Konzeption wird als Erklärungsmuster für Schumanns Zyklen herangezogen – obgleich sich auch für ihn eine ­theoretische Beschäftigung mit Schlegel nicht nachweisen lässt. Der Eichendorff-Liederkreis führt in eine Welt der ­Sagen und Märchen, in der Traum und Realität verschwim­ men. Er fügt vielfältige Szenen, Stimmungen und Gefühle zu einem komplexen Seelenbild zusammen, in dem Ein­ samkeit,Verzweiflung und Verlustangst sprunghaft mit Liebes­ bekenntnissen und Momenten höchsten Glücks wechseln. Wesentlich für den Zusammenhang der Gruppe sind Spiege­ lungen, Anklänge und Kontraste. Sie verdanken sich dem Umstand, dass Eichendorff vielfach dieselben Bilder und sprachlichen Muster verwendet: den (rauschenden) Wald, die Nacht, Heimat und Fremde,Vögel, Schloss und Burg, Jagdhörner. „Der formelhaft wiederholten Wendung haftet etwas Magisches an, sie stellt die Verbindung zu archetypi­ schen Schichten her, wie wir sie aus Mythen und Träumen kennen“, so der Literaturwissenschaftler Hartwig Schultz. Charakteristisch ist die Vieldeutigkeit dieser Bilder. Wald und Nacht sind oft freundlich und schön, können aber auch ­unheimlich, wild und gefährlich wirken. Die zwei In der Fremde überschriebenen Lieder (Nr. 1 und 8) handeln von Heimatlosigkeit und Einsamkeit. Im ersten stellt das Rauschen des Waldes der Vergänglichkeit des Sprechers etwas Ewiges und Tröstliches gegenüber. Die wahre Heimat des Menschen war für Eichendorff im religiösen Sinne der Himmel und nur durch den Tod er­ reichbar. Insofern spannt sich von hier ein Bogen zu Mondnacht. Im zweiten In der Fremde wirft der Gesang der Natur (Bächlein und Wald) den Sprecher aus der Realität („Ich weiß nicht, wo ich bin“) in die Erinnerung an die verlorene Heimat. Anders als der Mensch verirren sich die Bächlein nicht. Das vom Titel her verwandte Schöne Fremde in der Zyklusmitte ist dagegen von Fernweh erfüllt: Myrtenbäume und alte (heidnische) Götter deuten auf Italien hin, mit dem sich ein erotisches Versprechen verbindet. Zumindest 9


Mythische Hochzeit von Himmel und Erde

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bei Eichendorff scheint es trügerisch: die Wipfel schauern, die Nacht ist wirr. In Schumanns Vertonung herrscht leb­ hafte Erregung vor, doch ist auch bei ihm in der Harmonik des verlöschenden Nachspiels ein Moment des Zweifels zu hören. In starkem Kontrast dazu folgt mit Auf einer Burg ein Bild der Erstarrung – musikalisch verstärkt durch das langsame Tempo, lange Notenwerte und eine altertümliche Klangwelt. Die Burgruine des alten Ritters, der wie ein vergessenes Relikt der „alten Zeit“ wirkt, erinnert an die halbversunkenen Mauern des vorhergehenden Liedes. Der scharfe Gegensatz zwischen den munter spielenden Musikanten und der weinenden Braut unterstreicht derweil die Zerrissenheit der Welt. Während in der ersten Hälfte des Zyklus auf In der Fremde das Liebeslied des Intermezzo folgt, steht mit Wehmut (Nr. 9) an der Parallelstelle der zweiten Hälfte ein Gesang, der ­tiefen Schmerz kaschiert. Die Nachtigall, die im zweiten In der Fremde frei im Wald lebte, ist in Wehmut gefangen, ­ihrer n ­ atürlichen Lebensweise beraubt. Das Bild der Ge­ liebten aus Intermezzo weicht dem der Loreley (Nr. 3) und ihrer Klage über den Trug der Männer. Das anschließende Die Stille (Nr. 4) wird im Kontext des Zyklus häufig als von einer Frau gesprochenes Liebesbekenntnis und damit als Gegenstück zu Intermezzo interpretiert. In Eichendorffs ­Roman Ahnung und Gegenwart wird es allerdings von einem Knaben gesungen, der sich wünscht, als Vöglein bis in den Himmel zu fliegen (eine Vorahnung des Flugs der Seele in Mondnacht ). Mit dem „Einen“ der Anfangsstrophe könnte insofern auch Gott gemeint sein. Die harmonische Natur­ schilderung von Mondnacht und das antike Motiv von der mythischen Hochzeit von Himmel und Erde vermitteln für einen flüchtigen Moment eine ­Ahnung von der verlorenen Einheit der Welt. Schumann eröffnet seine berühmte Ver­ tonung mit dem auskomponierten Kuss: Die Hände des Pianisten beginnen in weitem Abstand voneinander und ­nähern sich allmählich an. Beim Einsatz des Sängers liegen dieselben Töne dann eng beieinander. Das verstörende Zwielicht (Nr. 10) an etwa analoger Position im zweiten ­Zyklusteil führt in eine Welt, in der für den einzelnen nichts, aber auch gar nichts sicher ist. Bereits das einstimmig be­ ginnende, dann kontrapunktisch ergänzte Vorspiel (die „wandernden Stimmen“, oder nach Günther Spiess eine „Metapher für ein unlösbares Verstricksein“) schafft durch Tritoni, die scharf dissonanten „Teufelsintervalle“, Halb­


tonschritte und harmonische Unbestimmtheit eine zutiefst beklemmende Atmosphäre. Die Schlussstrophe beschwört Vorstellungen von Erneuerung und Auferstehung, nur um diese Hoffnung sofort wieder zu zerstören: „Manches bleibt in Nacht verloren.“ Die abschließende direkte Ansprache „Hüte dich“ schlägt effektvoll in ein trockenes Rezitativ um. Auf musikalischer Ebene wird die in der Bezeichnung Liederkreis implizierte zyklische Form angedeutet, indem die Tonarten der ersten drei Lieder (fis-moll, A-Dur und E-Dur) am Ende in umgekehrter Reihenfolge als e-moll, A-Dur und Fis-Dur wiederkehren. Schon das Anfangslied schließt zudem verhalten positiv in Fis-Dur. Die Musik ­verstärkt naturgemäß die Kontraste der Textfolge und schafft andererseits dezente Verbindungen: So beginnt das zweite In der Fremde melodisch wie Auf einer Burg – variiert auch in den an die rauschenden Bächlein gemahnenden Klavier­ figuren –, aber natürlich mit ganz anderer Wirkung. Die Starre hat sich gelöst, doch auch hier geht der Blick zurück in die Vergangenheit. Wehmut wird durch einen einzelnen Akkord eingeleitet, der harmonisch an In der Fremde anschließt. Dadurch wirkt das „Ich kann wohl manchmal s­ingen“ wie eine Reaktion auf dessen abschließende Enthüllung. Vor allem aber ist der Zyklus im Klavier von Varianten eines kurzen Motivs durchzogen, das Verbindungen herstellt, selbst aber keine konkrete Bedeutung annimmt – den ambi­ valenten Bildern Eichendorffs also nicht unähnlich. Erstmals zu hören ist es im Anfangslied bei den Worten „Wie bald, ach wie bald kommt die stille Zeit“, und zwar zunächst in der Singstimme, dann zweimal in der rechten Hand des Klaviers: eine einfache Aufwärts­bewegung und sofortige Rückkehr zum Ausgangston (die Quarte Fis–H–Fis in der Singstimme, die Quinte H–Fis–H im Klavier). Zu Beginn von Intermezzo, wo es mit der Sehnsucht nach der Geliebten assoziiert ist, erscheint es auf die aufsteigende Quinte H–Fis reduziert, wird dann mehrfach sequenziert und da­ bei erweitert.Verwandt erscheint auch die Folge fallender Quarten und Quinten über die symbolisch bedeutsamen Töne E–H–E im Bass von Mondnacht, erstmals bei „die Erde still geküßt“ (es sind die Anfangsbuchstaben von Him­ mel und Erde, spielt aber v­ ielleicht auch auf Schumanns ­bevorstehende Hochzeit im September 1840 an). In dieser Form, aber quasi erstarrt im langsamen Tempo erscheint das Motiv zudem in Auf e­ iner Burg. Eine weitere Ableitung und die Originalgestalt kennzeichnen das dazwischenlie­ 11


gende Schöne Fremde. Das darin zum Ausdruck gebrachte Versprechen von „künftigem großen Glück“ erfüllt sich, ­begleitet von einer letzten M ­ otivvariante, erst mit dem Jubel der Frühlingsnacht. Nach Redaktionsschluss wurde das Programm des heutigen Konzerts um den Liederkreis op. 24 von Robert Schumann erweitert, der deshalb in diesem Einführungstext leider keine Erwähnung mehr finden konnte.

Antje Reineke promovierte an der Universität Hamburg mit einer Arbeit über ­Benjamin Brittens Liederzyklen. Neben der Musik Großbritanniens gilt ihr besonderes Interesse dem Lied des 19. bis 21. Jahrhunderts.

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“…to Sing Myself to Deathxx Like a Nightingale” Lieder by Schubert and Schumann

Richard Wigmore

If Bach was the composer of faith and Haydn, Mozart, and Beethoven of aristocratic patronage, Schubert was, ­supremely, the composer of friendship. As a freelance artist in Biedermeier Vienna, when the power and influence of the aristocracy were in irreversible decline, he relied heavily on his friends for both practical and moral support. Many of them dabbled in poetry; and Schubert has sometimes been accused of setting their verses indiscriminately. Yet if their poems live today only because of what Schubert made of them, we should scotch once and for all the old cliché that the composer set verses indiscriminately. He knew exactly what he needed—a clearly evoked mood or atmosphere, even a single concrete image—to kindle his imagination. The first two songs on tonight’s program An die Leier and Am See, from 1822 or 1823, are cases in point. Both poems were written by Schubert’s well-to-do, debonair friend Franz von Bruchmann, who in disillusioned middle age abandoned his liberal cultural ideals and became a Redemptorist priest. In An die Leier, Bruchmann adapts playfully ironic verses by the ancient Greek poet Anacreon. Schubert’s song vividly juxtaposes two sections of mock-heroic recitative—the ­second even sterner and more “warlike” than the first—with the most melting bel canto lyricism, its gentle longing ­poignantly intensified in the piano postlude. The sounds and rhythms of water virtually guaranteed a memorable Schubert song. His setting of Bruchmann’s Am See is just that, a deliciously indolent barcarolle whose ubiquitous piano arpeggios evoke the gentle breaking of waves and the lazily plying oars. The image of the waves 13


A sense of time suspended

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playing in the soul (“In der Seele Wogenspiele”) prompts more ardent music, before the song closes with a rapturous melisma on “Sterne” and a lingering, dying fall. Der Einsame sets verses by an amateur versifier of an ­earlier generation, the Pomeranian schoolmaster-cum-farmer Karl Lappe. With its charming evocation of the chirruping cricket on the hearth, this irresistible song from around 1825 accords perfectly with the traditional image of the affable Biedermeier composer. Yet for all its relaxed Gemütlichkeit, Der Einsame is full of Schubertian subtleties: in its deftly ­varied strophic plan, its harmonic scheme, with flatward modulations enhancing the atmosphere of drowsy content­ ment, and in the way the “cricket” motif is tossed between piano and voice. The barcarolle Des Fischers Liebesglück sets charming, if unoriginal, verses by the Styrian academic and poet Karl von Leitner, whom Schubert may have met during his stay in Graz in September 1827. With its gentle, hypnotic ­motion and magical shift from minor to major at the end of each verse, the song exudes a sense of unreality, of time ­suspended. Does the boatman’s beloved exist, we wonder, or is it all a crepuscular fantasy? During 1819 and 1820 Schubert was frequently drawn to the early poetry of Friedrich von Schlegel, who by middle age had morphed from Romantic pantheist to conservative (some would say bigoted) éminence grise in Viennese literary circles. The protagonist of Schlegel’s Der Wanderer (not to be confused with the more famous song of the same name to a poem by Schmidt of Lübeck) is cheerfully reconciled to his fate as outsider, like the Vagabond in Vaughan Williams’s Songs of Travel. Schubert’s song is a gently hypnotic nocturne, at once serene and restless, with an accompaniment that, as so often in his songs, suggests a string trio or quartet. In an ­inspired variation on the basic strophic plan, the vocal melody remains virtually identical for the second verse while the ­piano textures and harmonies are subtly altered in response to the new text. The morbidly disenchanted gravedigger of Totengräbers Heimweh (1825) may seem like a faintly absurd Shakespearean parody. But from the unpromising verses by the Italian poly­ math and litterateur Jacob Nicolaus Craigher de Jachelutta­ —an acquaintance rather than friend of the composer— Schubert creates a song of tragic grandeur and symphonic power. It grows from the grim “digging” music of the open­


ing, with its pounding, quasi-Baroque bass line, via an ­ominous unison passage that quotes from the contemporary A-minor Piano Sonata D 845 (at “Von allen verlassen”), to the hypnotic, transfigured dance of the final pages as the old gravedigger’s death-wish is granted.

In his 20s, Robert Schumann was far too busy draw­ ing strange and fanciful new sounds from the piano to give much attention to other musical genres. As late as 1839 he wrote to the composer Hermann Hirschbach: “All my life I have regarded vocal music as inferior to instrumental ­music, and have never regarded it as great art.”Yet by the end of 1840, the year he turned 30, he had composed some 140 songs, including all his best-loved masterpieces, throw­ ing himself into the new genre with characteristic feverish excitement. “What bliss to write for the voice! Too long I have had to do without it,” he wrote in March to Clara Wieck, to whom he had become secretly engaged in 1837; then, a few weeks later, “I have again composed so much that it sometimes seems quite uncanny… I should like to sing myself to death like a nightingale.” One reason for Schumann’s artistic volte-face was his growing frustration with the piano’s limitations. Another was the example of his friend Felix Mendelssohn, then at work on settings of poems by Goethe and Heine. But the chief catalyst for this great outpouring of song in 1840 was Clara. On a practical level, as a husband-to-be Schumann was only too aware that he needed more reliable sources of income. Songs were readily saleable in the flourishing, and lucrative, amateur domestic market—far more so than his piano works, which, unsurprisingly, had acquired a ­reputation for abstruseness and technical difficulty. (Even Clara had reproached him for writing too obscurely.) After selling his first batch of songs to a publisher in May 1840, Schumann informed his fiancée that he had been “earning money nicely, too, which makes me very happy.” Beyond this, in his lieder this most confiding and confessional of composers could express overtly what was implicit in his piano music: his passion and longing for Clara, his pain and frustration at their enforced separation, his vision of sexual and spiritual fulfilment in marriage, and his recurrent fear of losing her. 15


Vignettes of dusk and shadows

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May 1840 was a “wunderschöner Monat” indeed for Schumann. Increasingly confident that he and Clara would soon marry, in defiance of her implacable father, that month he created two of his greatest and best-loved sets of songs: Dichterliebe, quickly followed by the Liederkreis (literally “song circle”), to verses by the quintessential poet of German Romanticism, Joseph von Eichendorff. In a euphoric letter to his fiancée, Schumann called the 12 songs of the Liederkreis “my most romantic music ever, with much of you in it, beloved Clara.” Drawing on poems scattered through Eichendorff ’s stories and his novel Dichter und ihre Gesellen (“Poets and Their Companions”), these vignettes of dusk and shadows are linked by typically Eichendorffian themes— loss and loneliness, nocturnal mystery and menace, memory and antiquity, wistful reverie and rapturous soaring—and by thematic cross-references, most explicitly with the use of the same motif in Auf einer Burg and the second In der Fremde (Nos. 7 and 8). With the Eichendorff Liederkreis Schumann virtually ­invented a new type of song: the Romantic night-piece, ­serene, ecstatic, or ominous. The opening In der Fremde is typical in its expression of estrangement and nostalgia amid a dark woodland landscape. Schumann’s tune has a haunt­ ing ­pathos, discreetly heightened by its gently rippling ­arpeggio accompaniment. In Waldesgespräch (No. 3) and Zwielicht (No. 10) night and the forest are metaphors for the mind’s labyrinthine ­unconscious. In the former, the Lorelei—a Rhineland Circe invented by the poet Clemens Brentano—is transferred from her rock above the river to a woodland setting, imme­ diately evoked by the hunting horns of the piano introduc­ tion. Initially a plaintive victim, the siren gives the gallant huntsman a chance to escape before revealing herself in her true lurid colors. Hunting horns continue to sound in the postlude, to eerily ironic effect. In Zwielicht, most disturbing of all the Eichendorff songs, the keyboard part coils around the voice like a tortuous Bach three-part invention. The song’s oppressive, disorienting chromaticism, blurring tonal outlines, is the perfect musical analogue of the poem’s ­enveloping dusk. The dreamlike evocation of a wedding party in two of the songs, Auf einer Burg (No. 7) and Im Walde (No. 11), ­reminds us of a recurrent Schumann nightmare in which Clara was married off to a suitor of her father’s choice.


Visions of spiritual elation

­ efore the change of focus to the weeping bride, the Rhenish B castle scene Auf einer Burg conjures a mysterious antiquity with its gloomy, incantatory vocal line and archaic-sounding modal harmonies. After the ominous Zwielicht, the jaunty hunting-style opening of Im Walde comes as a physical relief. But in the second verse the impetus slackens and the tonality shifts strangely as images of wedding, birdsong, and hunt fade, leaving only the sighing forest and the poet’s undefined fears. Amid these phantasmagoric scenes of foreboding are some of Schumann’s most exquisite love songs. The halfmusing, half-ecstatic Intermezzo (No. 2) grows from the ­falling five-note “Clara” motif that recurs again and again in Schumann’s music. Die Stille (No. 4) is a more secretive— and feminine—confession that suddenly takes flight at “Ich wünscht’, ich wär ein Vöglein.” Schöne Fremde (No. 6) and Frühlingsnacht (No. 12), with its luminous wisps of countermelody and triumphant final “Sie ist dein!”, are shimmering visions of physical and spiritual elation whose autobiographical significance is self-evident. At the heart of the Eichendorff Liederkreis, Mondnacht is a nocturne of transfigured sensuality. Here Schumann magically delays the resolution on to the tonic chord until “die Erde” in bar ten—the moment of mystical-erotic union between sky (masculine in German) and the femi­ nine earth, Robert and Clara. Schumann’s Liederkreis Op. 24 was added to the program of tonight’s recital after this essay had been completed and unfortunately could not be included here.

Richard Wigmore is a writer, broadcaster, and lecturer specializing in Romantic and Classical chamber music and lieder. He writes for Gramophone, BBC Music Magazine, and other journals, and has taught at Birkbeck College, the Royal Academy of Music, and the Guildhall. His publications include Schubert: The Complete Song Texts and The Faber Pocket Guide to Haydn.

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