„Krieg bricht nicht aus – er wartet“ Ein Gespräch mit Blixa Bargeld
Im Jahr 2011 wurden Sie von der Region Flandern und der Stadt Diksmuide gebeten, ein Stück zu komponieren, mit dem 2014 an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 100 Jahre zuvor erinnert werden sollte.Was hat Sie an der Idee fasziniert? Gar nichts, ich wollte das zuerst gar nicht machen, der Rest der Band hat mich aber überstimmt. Ich hatte kein Verhältnis zum Ersten Weltkrieg, zu überhaupt keinem Krieg. Die Aussicht, dass ich mich mehrere Jahre intensiv mit Krieg auseinandersetzen sollte, erschien mir sehr unangenehm. Diese Arbeit nimmt mir ja keiner in der Band ab. So kam es dann auch. Nachdem wir angefangen hatten, wollte ich deswegen sofort wieder hinschmeißen. Stattdessen haben Sie einen Historiker und eine Literaturwissenschaftlerin gebeten, Material zu finden… Ich habe den beiden klar ausgebreitet, wonach gesucht werden soll, nach Aspekten, die noch nicht so bekannt und ausgetreten sind – ich wollte nicht einfach nur die Wiederholung von bekannten Dingen wie Grabenkrieg, Matsch und Modder. Schnell wurde mir bei der Arbeit mit den vielen Quellen und den Wissenschaftlern klar, dass es gar nicht mehr nur um den Ersten Weltkrieg, sondern um Krieg ganz allgemein gehen muss. Zu Ihren erstaunlichsten Funden gehörten Tonaufnahmen von Gefangenen aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager. Was hat es damit auf sich? Darauf stießen wir im Lautarchiv der Humboldt-Universität hier in Berlin: Deutsche Linguisten hatten Kriegsgefangene, die aus der ganzen Welt stammten, Texte vorlesen lassen, bestimmte Stellen aus der Bibel, meist das Gleichnis vom verlorenen Sohn, um die Aufnahmen zu analysieren. Diesen Bibel-Text gab es anscheinend in sehr vielen Übersetzungen. Die Stimmen wurden auf W achszylindern und Platten aufgenommen und liegen heute in digitalisierter Form vor, das ist ein richtiger Schatz. Einen Tag vor mir war übrigens die BBC im Lautarchiv, das konnte ich im Gästebuch sehen. Wir waren also in bester Gesellschaft. Auf der Bühne halten Sie sehr kleine Lautsprecher in der Hand, aus denen die Stimmen dringen. Man müsse diese Aufnahmen wie rohe Eier behandeln, haben Sie gesagt.Was meinen Sie damit? Die Aufnahmen stammen von Kriegsgefangenen, das war also eine Machtund Zwangssituation. Die konnten wir nicht einfach wie ein Sample benutzen, das wäre mir zu respektlos vorgekommen. Durch die Laut ssprecherwürfel in unseren Händen lassen wir die Stimmen frei in den Raum, das erscheint mir ein angemessener Umgang. Sie lassen die Stimmen zu einem Musikstück erklingen, in dem es ebenfalls um das Gleichnis vom verlorenen Sohn geht. 4 Interview