Michael Barenboim

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„Was ist in der Kunst das Höchste?“ Violinmusik von Tartini, Paganini, Berio und Sciarrino

Wo l f g a n g S t ä h r

Ein Traum von einer Sonate „Und soll wie aller Music also auch des General Basses Finis und End Uhrsache anders nicht als nur zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüths seyn. Wo dieses nicht in acht genommen wird da ists keine eigentliche Music sondern ein Teuflisches Geplerr und Geleyer.“ Diese drastischen Worte diktierte Johann Sebastian Bach seinen Schülern in die Feder: als Vorschrift und Ermahnung „zum vierstimmigen Spielen des General-Baß oder Accompagnement“. Soli Deo Gloria: Gott allein zu Ehren sollte die Musik erklingen – ­alles andere wäre übelstes Blend- und Teufelswerk. Wie ­hätte Bach wohl über die doppelbödige und sinnenverwirrende Violinsonate in g-moll seines Zeitgenossen Giuseppe Tartini geurteilt, die 1713 entstanden war, später noch vielfach verfeinert und vervollkommnet wurde und postum mit dem Beinamen „Le Trille du diable“ erschien? Der ­Italiener Tartini, ein begnadeter Geiger, „primo violino e capo di concerto“ an der Basilica di Sant’Antonio in Padua, Begründer einer „scuola delle nazioni“ für den europäischen Violinnachwuchs und streitlustiger Musiktheoretiker obendrein – Tartini selbst brachte die Legende in Umlauf, er habe seine g-moll-Sonate im Traum empfangen. Der Teufel habe sie ihm vorgespielt, mit bestechender Intelligenz und höchster Vortragskunst, so schön und eigentümlich, wie er nie zuvor und niemals wieder eine Musik vernommen oder gar komponiert habe. Nach dem Erwachen habe er umgehend versucht, das unvergleichliche Werk aus dem ­Gedächtnis zu rekonstruieren und für alle Zeiten aufs Papier zu bannen. 5


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