Fülle des Ausdrucks und der Form Werke für Violine und Klavier von Brahms, Skalkottas und Enescu
Michael Horst
Als der 53-jährige Johannes Brahms 1886 zum ersten Mal an den lieblichen Thuner See, nicht allzu weit von Bern, kam, konnte er nicht ahnen, dass dieser Ort ihn zu einer ganzen Reihe neuer Kammermusikwerke und Lieder inspirieren sollte. Schon im ersten schweizerischen Sommer entstanden die F-Dur-Cellosonate op. 99, die A-Dur-Violin sonate op. 100 und das c-moll-Klaviertrio op. 101, dazu Lieder wie Immer leiser wird mein Schlummer oder Wie Melodien zieht es mir. Ein Werk dagegen blieb vorerst Torso und wurde erst im dritten Thuner Sommer 1888 vollendet: die Violinsonate Nr. 3 d-moll op. 108. Anzumerken ist ihr dieser zeitliche Spagat nicht; die gesamte Konzeption zeigt die Souveränität eines reifen Komponisten, der aus der Fülle seiner Ausdrucks möglichkeiten Ähnliches und Kontrastierendes zu einer Einheit zusammenfügte. Auffällig ist in dieser Sonate – insbesondere in den beiden Außensätzen – der brillant-konzertante Anspruch. Erklärt er sich womöglich aus der Widmung des Werks an den großen Klaviervirtuosen, Dirigenten und Brahms-Freund Hans von Bülow? Die große Geste herrscht hier vor, besonders prominent in dem weit ausschwingenden Geigenthema des ersten Satzes. Grundiert wird diese Melodie durch eine überaus unruhige Klavierbegleitung, wie überhaupt ein nervöses Vorwärtsdrängen und kontrapunktisch-gegenläufige Bewegungen die Sonate prägen – ein deutlicher Gegenpol 7