Sechs Suiten – sechs Echos Neue Perspektiven auf Vertrautes
Anne do Paço
Johann Sebastian Bachs sechs Suiten für Violoncello solo BWV 1007–1012 zählen zu den großartigsten Werken, die für ein einzelnes Cello geschaffen wurden. Sie repräsentieren das Ausschöpfen aller damaligen spielpraktischen Möglichkeiten jenes Streichinstruments, dem im Zeitalter des Barock oft nicht mehr als die Aufgabe zukam, der Musik ein Fundament zu geben. Innerhalb der beliebten Form der Tanzsuite eröffnete Bach dem Cellospiel eine ganz neue Gestaltungsfreiheit. In ihren technischen, interpretatorischen und konditionellen Herausforderungen sowie ihrer extremen gedanklichen Konzentration bilden die sechs Suiten bis heute eine Art Essenz des Cellospiels und werfen den Interpreten, der sich im Konzert mit jeder Note vollkommen exponiert, zugleich ganz auf sich selbst zurück. Sie sind längst keine höfische Tanzmusik mehr, sondern nutzen die Tanzsätze losgelöst von ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang lediglich als formale Gerüste und rhythmische Impulsgeber und vereinen höchsten Kunstanspruch mit dem Einfachsten: der Suche nach der Entstehung eines Motivs, einer musikalischen Linie, eines Rhythmus. Zugleich scheint unter der linearen Oberfläche immer wieder eine latente Mehrstimmigkeit auf, in der sich die ganze Tiefe von Bachs Komponieren manifestiert. Im teils hochvirtuosen, dann wieder ganz innigen Spiel entfaltet sich sein so typisches systematisches Denken über Musik, die Erforschung eines musikalischen Ausdrucks, der jenseits von Gattungen und Stilen existiert und damit auch eine Rückkehr zu den Ursprüngen des Musizierens ist, zur Musik an sich – zur Kunst. All dies mag dazu geführt haben, dass die Suiten weder zu Bachs Lebzeiten noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein öffentlich erklangen oder sich gar einen festen Platz im Konzertrepertoire sichern konnten, obgleich im Gefolge der ersten, 1824 von dem Pariser Verlag Janet 9