Akademie für Alte Musik Berlin & Bejun Mehta

Page 1

Akademie für Alte Musik Berlin & Bejun Mehta Einführungstext von Kerstin Schüssler-Bach Program Note by Richard Bratby



AKADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLIN & BEJUN MEHTA Dienstag  12.

Oktober 2021 19.30 Uhr

Bejun Mehta Countertenor Georg Kallweit* Konzertmeister Yamen Saadi, Georgios Banos, Ayda Demirkan Violine I Yves Ytier*, Alpay Jan Inkilap, David Strongin, Hallel Tutter Violine II Monika Grimm*, Özüm Semis, Katrin Spiegel Viola Inka Döring*, Raffaella Cardaropoli Violoncello Walter Rumer*, Cem Güney Yıldırım Kontrabass Nur Meisler Fagott Ben Goldscheider Horn Raphael Alpermann* Cembalo, Orgel Thor-Harald Johnsen* Laute

*Mitglieder der Akademie für Alte Musik Berlin Studierende und Alumni der Barenboim-Said Akademie


Georg Friedrich Händel (1685–1759) Suite aus Terpsicore (Prolog zur Oper Il pastor fido) HWV 8c (1734) I. Prelude II. Chaconne III. Sarabande IV. Gigue

Vier Arien aus der Oper Giulio Cesare in Egitto HWV 17 (1723/24) „Va tacito e nascosto“ „Empio, dirò, tu sei“ „Dall’ondoso periglio… Aure, deh, per pietà“ „Quel torrente che cade dal monte“

Pietro Locatelli (1695–1764) Concerto grosso für Streicher und Basso continuo c-moll op. 1 Nr. 11 (vor 1721) I. Largo II. Allemanda. Allegro III. Sarabanda. Largo IV. Giga. Allegro


Giuseppe Valentini (1681–1753) Concerto grosso für Streicher und Basso continuo a-moll op. 7 Nr. 11 (ca. 1710) I. Largo II. Allegro III. Grave – Allegro – Grave IV. Presto V. Adagio VI. Allegro assai

Georg Friedrich Händel Suite aus der Oper Ariodante HWV 33 (1734) I. Ouverture – Alla breve – Sinfonia. La bellezza del loco – Gavotte – Musette I – Musette II – Allegro II. Sinfonia. Notte con lume di Luna – Entrée des songes agréables – Entrée des songes funestes – Entrée des songes agréables effrayés – Combat des songes funestes et agréables – Rondeau III. Allegro – Gavotte – Rondeau – Andante allegro

Keine Pause



Galante Feste in Rom und London Vokal- und Instrumentalwerke von Händel, Locatelli und Valentini

Ker stin Schüssler-Bach

„Seine Eminenz besoldet die besten Musiker und Künstler von Rom, unter anderen Arcangelo Corelli und den jungen ­Paolucci, der für den besten Sänger Europas gehalten wird. Jeden Mittwoch ist ein hervorragendes Konzert in seinem Palast, an dem wir teilnahmen. Eis und delicate Getränke wurden serviert“. So ­berichtete ein Reisender über die wöchentliche Kammermusik im Palast des römischen Kardinals Pietro Ottoboni. Der kunstsinnige Kleriker versammelte nicht nur eine Reihe von Gemälden und etliche Mätressen um sich, sondern hielt sich auch ein Privatorchester, das von eben jenem Corelli geleitet wurde. In diese luxuriöse Welt tauchte 1707 der junge Georg Friedrich Händel ein. Ottoboni und seine mäzenatischen Freunde nahmen den Deutschen, der als „ausgezeichneter Cembalospieler und Komponist“ bei seiner Ankunft in der ewigen Stadt Furore gemacht hatte, mit offenen Armen auf. Ein Jahr zuvor hatte Händel die Bretter der Gänsemarktoper in der nüchternen Handelsstadt Hamburg, wo er erste Lorbeeren geerntet hatte, gegen den Licht- und Farbrausch Italiens eingetauscht. Dort, in Florenz, Rom, Neapel und Venedig, wurde der noch nicht 25-Jährige zu jenem sinnlichen Melodiker, als der er die Opernwelt bald betören sollte. Das italienische Publikum lag dem „caro Sassone“, dem lieben Sachsen, schnell zu Füßen. Doch Händel reiste wieder ab, kaum dass er das Mutterland der

7


Musik erobert hatte, und schlug nach einem kurzen Intermezzo in Hannover schließlich seine Zelte in England auf. Die römischen und venezianischen Eindrücke aber verließen ihn nie. Aus Italien nahm Händel die Extrovertiertheit, Virtuosität und Klangschönheit der Instrumentalmusik, die Verfeinerung des Vokalstils und den szenischen Blick des Theaterdramatikers mit. All diese Errungenschaften nutzte er für seine steile Karriere als Opern­ komponist in London. Und auch einige Musikstücke aus seinen ­römischen Kantaten finden sich in späteren Bühnenwerken wieder. Mit Il pastor fido, seiner zweiten Oper für London, die im ­November 1712 im Queen’s Theatre uraufgeführt wurde, konnte Händel das englische Publikum nicht recht für sich gewinnen – das Schäferspiel nach der Dichtung von Battista Guarini mit bewusst unkomplizierter Musik fiel durch. Offenbar wollte das englische Publikum eben jene langen, koloraturgespickten Arien hören, die Händel gerade in seiner ersten Londoner Oper Rinaldo noch so ­effektvoll angebracht, in Il pastor fido aber vermieden hatte. Auch die schlichte Ausstattung stieß nicht auf Begeisterung: „Die Dekorationen repräsentieren bloß die Landschaft von Arkadien. Die ­Kostüme waren alt. Die Oper kurz“, hieß es lapidar in einer Kritik zur Uraufführung. 1734 kam es zu einer erweiterten und diesmal erfolgreicheren Neufassung für das King’s Theatre. Doch erst in ­einer weiteren Überarbeitung, bei der auch der Prolog Terpsicore hinzugefügt wurde, erhielt das Werk im November 1734 am Covent Garden Theatre seine endgültige Gestalt. Wie der Name verrät, ­huldigt dieser Prolog der Ballettkunst: Terpsichore, „die Tanzfreudige“, ist als eine der neun Musen die Patronin des Tanzes. Wie maßgeschneidert war diese Rolle daher für die gefeierte französische ­Tänzerin Marie Sallé, die in London mit ihrer Balletttruppe Auf­ sehen erregt hatte: „Sie hatte es gewagt, ohne Krinoline, Rock oder Mieder und mit offenem Haar aufzutreten“, berichtete eine Zeitung. Mit ihrem einfachen Musselinkleid glich sie einer griechischen Statue. Dies inspirierte Händel zum neuen Terpsicore-Prolog, „seinem einzigen Opernballett im französischen Stil“, wie Christopher Hogwood konstatierte. Er feiert allegorisch die Macht des Tanzes, indem Terpsichore von der Muse Erato und dem Gott Apollo ­herbeigerufen wird. Vorbild für diesen einzigen Prolog einer Händel-­ Oper sind die Bühnenwerke von Jean-Philippe Rameau, in denen sich Arien, Chöre und Ballett mischten. So finden sich in der ­Partitur von Terpsicore auch französische Modetänze wie Sarabande, Chaconne und Gigue.

8


Marie Sallé, die von Zeitgenossen als „Muse graziöser und bescheidener Gestik“ beschrieben wurde, trat später noch in Händels Alcina und Ariodante auf. Letzteres Werk erhält daher auch außergewöhnlich viele Tänze, die sich zu einer Zusammenstellung als Suite eignen, wie sie im heutigen Konzert zu hören ist. Uraufgeführt 1735 am Royal Theatre in Londons Covent Garden, gehört Ariodante zu Händels letzten Opern, bevor er sich verstärkt dem Oratorium zuwandte. Neue Entwicklungen am Opernmarkt machten ihm zu schaffen: John Gays und Johann Christoph Pepuschs Beggar’s Opera persiflierte die Heldenoper Händel’schen Zuschnitts mit so rotzfrecher Unverschämtheit, dass das gleiche Publikum, das dem Muster eben noch enthusiastisch applaudiert hatte, es nun mit ebenso großer ­Begeisterung verspottete. Und auch in Italien begann sich der Geschmack zu wandeln: Die neapolitanische Buffo-Oper trat ihren Siegeszug an. In London saß Händel außerdem die Konkurrenz der Opera of the Nobility mit ihrem Kastraten-Star Farinelli im Nacken. So beschloss er, sich vom heroischen Stil zu verabschieden und in Ariodante einen leichteren Ton anzuschlagen. Den Stoff entnahm er Ariosts Zauber- und Kreuzritterepos Orlando furioso. Das neue Werk gefiel ebenso wie der Kastrat Giovanni Carestini. Dem pastoralen Charakter mit vielen in der Natur spielenden Szenen entsprach die Choreographie von Marie Sallé, die den in die Handlung integrierten Tänzen eine besondere Natürlichkeit, Emotionalität und Poesie verlieh. Für das stets nach Neuerungen gierende Publikum dürfte diese Abkehr von der erstarrten französischen Ballettkunst eine zusätzliche Attraktion bedeutet haben. Unter den etwa 40 „heroischen“ Opern aus der Londoner Zeit des Komponisten finden sich nur einige wenige, deren Titel bis vor der großen Händel-Renaissance, die in den 1920er Jahren ihren Ausgang nahm, nicht in der Vergessenheit geraten waren. Giulio Cesare in Egitto gehört dazu – nicht nur aufgrund des beliebten Stoffs um Julius Cäsar und seine Geliebte Cleopatra, sondern auch wegen der besonders farbenprächtigen, sinnlichen und theatralischen Musik. Für Händel bedeutete jede Oper ein finanzielles Risiko, musste er als Unternehmer und Direktor eines eigenen Theaters doch auch die monetäre Seite im Blick haben. Und der Spagat zwischen Kunst und kommerzieller Einträglichkeit war bei den enormen ­Gagen der Starsängerinnen und -sänger nicht einfach – diese aber mussten engagiert werden, wenn das Publikum strömen sollte. Für Giulio Cesare, uraufgeführt 1724 am King’s Theatre, verpflichtete Händel mit der Sopranistin Francesca Cuzzoni und dem Kastraten

9


Francesco Bernardi, genannt „Il Senesino“, zwei absolute Publikumslieblinge. Der Einsatz lohnte sich. Ein Londoner Gesandter schrieb an den Grafen Flemming nach Dresden: „Senesino und Cuzzoni glänzen darin über alle Kritik. Das Haus war bei der siebenten ­Vorstellung so voll wie in der ersten.“ Mit der Figur des römischen Feldherrn ist Händel einer seiner vielschichtigsten und psychologisch interessantesten Charaktere gelungen. Cesare ist nicht nur ein machiavellistischer Machtmensch, sondern auch ein aufrichtig Liebender, der über seine Gefühle manchmal alle politische Strategie fahren lässt. Er reflektiert in barocker Vanitas-Manier über die Sterblichkeit und die Eitelkeit aller Herrschaft, übt Großmut und Milde, inszeniert sich aber andererseits als knallharter Militär und kühler Stratege. Für Senesino schrieb Händel einige seiner herrlichsten Arien. Durch ein ausgedehntes Hornsolo führt uns „Va tacito e nascosto“ am Ende des ersten Akts in die Metaphernwelt des Herrschers als „listiger Jäger“. Cesare kommentiert hier die Intrigen von Cleopatras Bruder Tolomeo, die er durchschaut. Wie auf der Pirsch schleicht er sich mit gebundenen Sechzehnteln an – in die Falle des Ägypters wird er nicht tappen. „Empio, dirò, tu sei“ ist im Stück die zweite Arie Cesares und verlangt gleich eine endlose Kette von bravourösen Koloraturen. Sie stehen für den Affekt des Zorns: Der Feldherr ist empört, dass der Ägypter Achilla ihm das Haupt seines Feindes Pompeo bringt (den er bis vor kurzem noch selbst töten wollte). Denn das Herz eines Königs, so raisoniert Cesare, müsse auch Mitleid kennen. Mit einem sanften Accompagnato-Rezitativ und der Arie „Aure, deh, per pietà“ kehrt der zwischenzeitlich totgeglaubte Cesare im dritten Akt zurück: Er ist nicht, wie ein Gerücht es behauptete, auf der Flucht ertrunken, sondern wieder in Alexandria gelandet, wo er sich nun auf die Suche nach Cleopatra macht. Hier präsentiert sich der oberste Soldat als empfindsam Liebender, der mit den Seufzerfiguren der Violinen atmet. Cesare stellt sich nun an die Spitze eines Trupps Soldaten, um Cleopatra und Cornelia, die Witwe des Pompeo, aus dem Palast des Tolomeo zu befreien und stürmt los mit „Quel torrente che cade dal monte“: Wie der Wildbach alles niederreißt, so wird auch er alle Gegner aus dem Weg räumen. Tänzerisch beschwingt, mit eleganten Koloraturen im Dreiachteltakt, zieht er seinem Triumph entgegen. All das war ­perfekt auf Senesinos eher tiefe Mezzolage abgestimmt, die, wie ­Johann Joachim Quantz berichtet, „selten das zweygestrichene f“ überstieg. Quantz hatte Senesino in Dresden gehört, von wo aus ihn Händel nach London verpflichtete, und ergänzt: „Seine Art zu

10


singen war meisterhaft, und sein Vortrag vollständig. Das Adagio überhäufte er eben nicht zu viel mit willkührlichen Auszierungen. Dagegen brachte er die wesentlichen Manieren mit der größten Feinigkeit heraus. Das Allegro sang er mit vielem Feuer, und wußte er die laufenden Passagien, mit der Brust, in einer ziemlichen Geschwindigkeit, auf eine angenehme Art heraus zu stoßen.“ Unter den 18 Opern, die Händel für Senesino schrieb, war die Partie des römischen Feldherrn eine besondere Paraderolle.

Vom antiken Rom zurück in die prächtige Hauptstadt des Barock: Auch der 16-jährige Pietro Locatelli pilgerte aus seiner Heimatstadt Bergamo nach Rom, um bei den berühmten Meistern zu studieren. Das war 1711, ein Jahr, nachdem Händel die Stadt wieder verlassen hatte – sonst wären sich die beiden Komponistenkollegen sicher bei einer der musikalischen Soireen des Kardinals Ottoboni begegnet. Locatelli nahm bei Giuseppe Valentini Unterricht, wahrscheinlich auch bei Arcangelo Corelli. Als Geiger war er in der Hauskapelle des Fürsten Michelangelo I. Caetani engagiert, ebenso wie Valentini. Danach hielt er sich in Deutschland auf und reiste 1728 wahrscheinlich im Gefolge Augusts des Starken auch an den preußischen Hof nach Berlin. Dort musizierte er vor König Friedrich Wilhelm I. und wurde als selbstbewusster Virtuose mit prunkvoller Kleidung und glitzernden Ringen beschrieben. ­Locatelli starb in seiner langjährigen Wahlheimat Amsterdam, wo 1721 auch sein Opus 1, eine Sammlung von zwölf Concerti grossi, im Druck erschienen war. Auf der Violine ist Locatelli offenbar eine Sensation gewesen – ein Zeitgenosse verglich sein Spiel mit ­einem Erdbeben, und spätere Generationen nannten ihn den ­„Paganini des 18. Jahrhunderts“. Etwas von dieser elementaren Kraft durchströmt auch seine Concerti grossi. Diese Gattung, bei der eine kleine Gruppe von ­Soloinstrumenten einem Orchestertutti gegenübersteht, wurde von Corelli zur Perfektion entwickelt. Mit seinem Konzert op. 1 Nr. 11 knüpft Locatelli an dieses Muster an, bringt einen Schuss Vivaldi’sche Sinnlichkeit und eine Prise französischen Geschmacks dazu. Ein Largo hebt pathetisch den Vorhang: Zwischen den wie Pfähle eingeschlagenen Vierteln rankt die Solovioline mit eleganten Synkopen und Ornamenten empor. Der zweite Satz vertritt den Tanztypus

11


der damals sehr beliebten Allemande, einem geradtaktigen Schreittanz, hier mit Läufen in rascher Bewegung durchsetzt. Die gravitätische Sarabande erscheint weniger pompös-feierlich als von einer milden Grazie überstrahlt. Eine rasche Gigue im Zwölfachteltakt und gleichmäßig dahinfließenden Achtelnoten macht den gutgelaunten Kehraus. Während der Name Locatellis einem breiteren Publikumskreis wenigstens durch sein „Weihnachtskonzert“ – die Nr. 8 aus dem erwähnten Opus 1 – bekannt ist, dürfte Giuseppe Valentini immer noch als Geheimtipp gelten. Er war als Geiger und Komponist nicht nur Locatellis Lehrer, sondern auch Corellis Rivale. So jedenfalls berichtete es der Kollege Francesco Geminiani dem englischen Musikschriftsteller Charles Burney: Corelli, dessen Stern im Sinken begriffen war, fühlte sich durch den wachsenden Erfolg von Valentinis Darbietungen und Kompositionen gedemütigt. Diese Veränderung des öffentlichen Geschmacks habe Corelli gar in Depressionen ­gestürzt. Mit seinem Schüler Locatelli verband Valentini offenbar ein gutes Verhältnis; man unternahm immerhin eine gemeinsame Konzert­reise. Wie bereits erwähnt, waren beide in der Kapelle von Michelangelo I. Caetani, Fürst von Caserta und Spross eines der ältesten Adels­ geschlechter Italiens, tätig. Dem Dienstherrn und seiner Gemahlin Anna Maria Strozzi Caetani sind Valentinis Concerti grossi op. 7, komponiert 1710, auch gewidmet. Kurz darauf wechselte er als Nachfolger Corellis nach San Luigi dei Francesci in Rom. Eine künstlerische Karriere war Valentini wohl nicht an der Wiege gesungen worden, lautete sein Spitzname doch „Straccioncino“ (kleiner Gassenjunge). Neben der Musik galt seine Liebe auch der Dichtung und Malerei: Der gebürtige Florentiner war ein poetischer Alleskönner. Das a-moll-Concerto op. 7 Nr. 11 für vier Violinen (dazu Viola und Basso continuo) gilt als sein Meisterwerk und steckt voller origineller Eigenarten. Schon der Beginn lässt aufhorchen: Jeweils zwei Violinen wechseln sich mit bedächtig voranschreitenden Achtelfiguren wie ein Echo ab. Erst allmählich verliert sich der etwas starre Charakter und die Musik blüht auf. Es folgt ein an ­Vivaldi erinnernder fugierter Satz. Zwischen die lebhaften und virtuosen Sätze sind Oasen der Ruhe und Eleganz eingestreut. ­Sequenzketten in rasend schnellen Sechzehnteln, die nacheinander durch alle Stimmen wandern, bestimmen den vierten Satz. Dann wieder stampfen rustikale Tänze auf. Aus dem Wechsel von gemeinsamem Vorwärtsdrängen und Loslassen gewinnt der letzte Satz


seine besondere Energie. Die raschen Affektwechsel und harmonischen Eigenarten machen Valentinis Musik zu einem spritzigen Hörvergnügen, das die Marmorsäulen Roms mit galanten ­Farben ausleuchtet.

Dr. Kerstin Schüssler-Bach arbeitete als Opern- und Konzertdramaturgin in Köln, Essen und Hamburg und hatte Lehraufträge an der Musikhochschule Hamburg und der Universität Köln inne. Seit 2015 ist sie für den Musikverlag Boosey & Hawkes in Berlin tätig. Sie verfasste ­Werkessays und Radiosendungen für den WDR, NDR, die Berliner Philharmoniker, die Staatskapelle Dresden und die Elbphilharmonie Hamburg sowie wissenschaftliche Beiträge zu Brahms, Mahler, Frank Martin und Brett Dean.

13



Baroque Treasures Vocal and Instrumental Music by Handel, Locatelli, and Valentini

Richard Bratby

By the time the dancer Marie Sallé performed in the 1734 r­ evival of Handel’s 1712 opera Il pastor fido, she was already a household name in two kingdoms. Born and trained in France, her grace, agility, and natural dramatic talent took her from the temporary ­stages of fairground theaters to the heights of the Paris Royal Opera Ballet, where she collaborated with Jean-Philippe Rameau. Meanwhile—like many of the more entrepreneurial artists of her age— she performed regularly on the London stage, making her debut at the Lincoln’s Inn Fields Theatre in 1716, where she would later create the ballets in Handel’s Rinaldo. Sallé’s performance style was original and compelling—some would say radical. She believed that dance was first and foremost drama: that it should depict credible human beings and move audiences to sincere emotion through its expressive power. And she succeeded. Some fans wrote lavish verses praising her performance, and a Parisian operagoer, in 1736, noted that, “she has all the pretty mannerisms which betray desire, a desire which we see actually ­forming and developing. Into her expression one can read a whole range of feelings. We see her hovering between fear and hope … in this she has far surpassed the talents of the ordinary dancer, and shown herself to possess a rare creative talent.”

15


Engravings identified Sallé with the muse of dance, depicting her as “The French Terpsichore”, and during her final stint in London, in 1734–5, she was unquestionably what modern theatergoers would call a banner name. John Rich, the manager of the Covent Garden Theatre, paid a substantial sum to secure her for the 1734–5 season. He needed to—Sallé found Rich himself “impolite and ­unjust,” but he knew a box-office draw when he saw one, and he hoped that her pulling power would offset the rising costs and falling receipts of Handel’s operas. Il pastor fido opened on November 9, 1734 with a brand new prologue, Terpsicore, designed to showcase Sallé’s talents. Handel—ever alert to continental trends—modelled it on the opéra-ballets of Rameau, with which Sallé had made such an impact in Paris. The plot is pure allegory: Erato, the lyric muse, calls Apollo from Olympus, and he in turn calls upon Terpsichore to demonstrate the power of dance. Sallé duly obliges, in a sequence of dances ­demonstrating the full range of her powers—a noble Chaconne, a stately Sarabande, and a spirited Gigue in which the orchestra matches Sallé’s feet for agility and lightness. Throughout, Apollo and Erato comment on the action in words designed to remind the audience of the unsurpassable artistry of Rich’s latest signing: Your steps are darts, which, by means of the eyes, descend to the breast and wound the heart. But the heart finds the wound pleasing, for through it, it feels fully the sweetness of love.

No such prompting had been required a decade earlier, when Handel’s Giulio Cesare in Egitto (to a libretto by Nicola Francesco Haym) caught the fashion for Italian opera at its height. Handel had moved into an elegant new townhouse on Brook Street in the early summer of 1723 and Giulio Cesare, composed shortly afterwards, used lavish scenery and a sizeable cast to tell a story filled with color,

16


sensuality and adventure—one, moreover, which would already have been familiar to an educated English audience. Handel wrote for performers of truly international standing, including the Sienese castrato Francesco Bernardi (known as Senesino), and the flamboyant soprano Francesca Cuzzoni—described in the London press as “an extraordinary Italian lady.” Handel wrote the role of Julius Caesar for Senesino, an artist with whom he enjoyed a close if temperamental working relationship. Senesino “had a powerful, clear, equal and sweet contralto voice, with a perfect intonation” noted Joachim Quantz in 1719, adding that he “sang allegros with great fire, and his action was natural and noble”. In “Va tacito e nascosto,” Caesar suspects treachery from his rival Ptolemy: the music is stealthy and resolute, with a solo horn wordlessly echoing his intentions—the horn, of course, being the musical symbol of a skilled and noble hunter. This is Caesar the cunning but principled politician; we’ve already heard his passion (and Senesino’s “great fire”) in his furious de­ nunciation of Ptolemy’s tyranny early in Act I, “Empio, dirò, tu sei.” Act III’s “Dall’ondoso periglio … Aure, deh, per pietà” finds Caesar ­defeated and alone, but far from broken: Handel’s expressive ­accompanied introduction demonstrates the music historian Charles Burney’s observation that in Giulio Cesare the recitatives are frequently as characterful as the arias. “Quel torrente che cade dal monte” is the aftermath: ebullient defiance as Caesar vows to fight on—and win. Giulio Cesare opened at the King’s Theatre on February 20, 1724, immediately achieving a popularity which it retains to the present day. A French visitor to London saw it shortly afterwards and wrote to a friend that “the opera is in full swing also, since Hendell’s new one, called Jules César—in which Cenesino and Cozzuna [sic] shine beyond all criticism—has been put on. The house was just as full at the seventh performance as at the first.”

Music in 18th-century Europe was a cosmopolitan profession. We have already seen the traffic in performers and composers between France, England, and Italy, and trade links disseminated the music of the Italian Baroque north and west throughout Europe, with ­results as diverse as Bach’s adaptations of Vivaldi concertos and Charles

17


Avison’s orchestral transcriptions of Domenico Scarlatti. The traffic was far from one-way. On January 14, 1707, the diarist Francesco Valesio recorded the arrival in Rome of “a Saxon, a most excellent player on the harpsichord and composer.” The “Saxon” was Handel: 22 years old and travelling to Italy to perfect his art. The music-loving Cardinal Pietro Ottoboni swiftly welcomed him to the weekly Wednesday concerts at his Palazzo della Cancelleria. There, the Cardinal presented (according to a contemporary French source) “the best musicians and performers in Rome” as well as serving “ices and other delicate liquors.” Ottoboni would later welcome the young Bergamo-born violinist and composer Pietro Locatelli, who came to Rome in 1711 to complete his ­training on the violin. We do not know whether or not he studied with Arcangelo Corelli prior to the ailing master’s death in 1713, but from 1717 to 1723 he was employed directly by Ottoboni. He had, according to Burney, “more hand, caprice and fancy than any violinist of his time.” One contemporary writer claimed that Locatelli’s playing “would make a canary fall from its perch in a swoon of pleasure.” In 1729, Locatelli settled in Amsterdam, where he obtained a lucrative music-publishing concession and continued to perform and compose. By then, he had already published his 12 Concerti grossi Op.1 while still in Ottoboni’s employment. The C-minor Concerto, No. 11, follows Corelli in its four-movement form, its expressive play of light and shade, and its mixture of virtuoso display and bracing, dance-like directness. If Locatelli’s manner seemed at times almost too direct (Avison considered his music “defective in various harmony”), it is possible that he was echoing the manner of another, less celebrated Roman master, one who may or may not have been his teacher but is now almost wholly overlooked: Giuseppe Valentini.

Music-making in Baroque Rome took place in an atmosphere of self-conscious classicism. Leading musicians, artists, and thinkers were invited to join the so-called Accademia dell’Arcadia (Arcadian Academy), where they took the names of ancient Graeco-Roman shepherds (Corelli was known as “Arcomelo” and Alessandro Scarlatti was “Terpandro”) and met in a garden amphitheater belonging to


the Marchese Francesco Ruspoli—who would in time become one of Handel’s most enthusiastic patrons. In this context it is hard to know exactly what to make of the nickname that was conferred on the violinist and composer Giuseppe Valentini: “Straccioncino,” usually translated (tactfully) as “little Ragamuffin.” He succeeded Corelli to at least one major Roman musical post and seems to have been a serious rival. Charles Burney suggests that there may have been bad blood between them. Burney also suggests that Valentini’s 12 Concerti grossi Op. 7 of 1710 could have been the inspiration behind Corelli’s publication, in 1714, of his celebrated concertos Op. 6—the masterpiece that took its creator’s name across Europe and set the pattern of string writing for a generation. But as this spirited A-minor Concerto Op. 7 No. 11 shows, the aesthetic and temperamental differences between the two composers were as pronounced as their similarities. There is a free-form, rough-cut fantasy as well as a tangy harmonic bite to this sequence of movements that might have been a reflection of Valentini’s salt-of-the-earth personality. Certainly, it did nothing to prevent him from enjoying the patronage of music-lovers who responded to his very individual genius. The concertos are dedicated to Prince Michelangelo Caetani and his wife, Anna Maria, née Strozzi—who employed Valentini for 17 years from 1710 and (as gifted amateur musicians) may even have taken part in domestic performances of this Concerto.

Marie Sallé began her 1734–5 London season with Terpsicore and ended it—disappointingly—with the ballet in Handel’s Alcina: after which she returned permanently to Paris. Like many innovators in the field of dance (Isadora Duncan and Javier de Frutos are ­perhaps more recent examples), she sought to liberate the body from constraining costumes; the results, at least initially, were ­generally considered to be both aesthetically and artistically pleasing. A London theatergoer in 1734 described her dancing “without a pannier, without a skirt, with her hair all dishevelled, and no ornament on her head; dressed neither in a corset nor a petticoat, but in a simple muslin robe, arranged as a close fitting drapery, in the manner of a Greek statue.” Her mistake, in Alcina, was to appear as Cupid in male costume—dramatically truthful and physically

19


­liberating, but a step too far for contemporary audiences. Alcina opened on April 16, 1735; its predecessor, Ariodante, had premiered on January 8, and as Handel’s first completely new opera for Covent Garden, it had made full use of Sallé’s talents, as well as orchestral interludes to evoke landscape and mood. But a decade on from Giulio Cesare, the appeal of Italian opera was waning in London, and even support from the royal family was insufficient to attract audiences. “Handel has not met with his usual approval,” wrote Queen Caroline to her daughter. “They say his opera is so pathetic and lugubrious that everyone who has returned from it has this ­opinion and has been saddened by it.” Still, the ballet numbers that Handel composed for Sallé and placed throughout the score—a ­divertissement, performed by nymphs and shepherds at the end of Act I to celebrate the betrothal of the noble Ariodante and Princess Ginevra of Scotland; an extraordinary dream sequence at the end of Act II; and a further divertissement at the end of Act III after Ariodante and Ginevra are reunited—demonstrate the new sophistication that Sallé brought to the art of expressive dance, which ­Handel, clearly, was more than willing to endorse.

Richard Bratby lives in Lichfield, UK, and writes about music and opera for The Spectator, ­Gramophone, BBC Music Magazine, and The Arts Desk. He is the author of Forward: 100 Years of the City of Birmingham Symphony Orchestra.

20


21


Georg Friedrich Händel

Vier Arien aus Giulio Cesare in Egitto

Libretto von Nicola Francesco Haym (1678–1729)

Va tacito e nascosto Va tacito e nascosto, quand’avido è di preda, l’astuto cacciator. E chi è mal far disposto, non brama che si veda l’inganno del suo cor.

Empio, dirò, tu sei Empio, dirò, tu sei, togliti agli occhi miei, sei tutto crudeltà. Non è di re quel cor, che donasi al rigor, che in sen non ha pietà.

22


Still und verborgen bewegt sich der kluge Jäger, wenn er das Wild verfolgt.

When stalking his prey, the clever hunter moves quietly and secretly.

Und wer Böses plant, wünscht nicht, dass man den Betrug in seinem Herzen erkenne.

And he who is intent on doing evil is anxious for the treachery of his heart to remain hidden.

Du bist gottlos, werde ich sagen, geh mir aus den Augen, du bestehst nur aus Grausamkeit.

You are pitiless, I will say, get out of my sight, you are cruel through and through.

Das ist nicht das Herz eines Königs, das sich der Strenge hingibt und kein Mitleid kennt.

The heart is not a king’s that gives itself to rigor and does not feel mercy.

23


Dall’ondoso periglio… Aure, deh, per pietà Dall’ondoso periglio salvo mi porta al lido il mio propizio fato. Qui la celeste parca non tronca ancor lo stame alla mia vita! Ma dove andrò? e chi mi porge aita? Ove son le mie schiere? Ove son le legioni, che a tante mie vittorie il varco apriro? Solo in queste erme arene al monarca del mondo errar conviene? Aure, deh, per pietà spirate al petto mio, per dar conforto, oh dio, al mio dolor. Dite, dite, dov’è, che fa l’idolo del mio sen, l’amato e dolce ben di questo cor? Ma d’ogni intorno i’ veggio sparse d’arme e d’estinti l’infortunate arene, segno d’infausto annunzio alfin sarà.

Quel torrente che cade dal monte Quel torrente che cade dal monte tutto atterra ch’incontro gli sta. Tale anch’io, a chi oppone la fronte: dal mio brando atterrato sarà.

24


Aus der gefährlichen See hat mich mein gütiges Schicksal sicher ans Ufer gerettet. Hier durchschneidet die göttliche Parze meinen Lebensfaden noch nicht! Doch wohin soll ich gehen? Wer wird mir helfen? Wo sind meine Truppen? Wo sind die Legionen, die mir so viele Siege bereitet haben? Allein an diesem einsamen Ufer soll der Herrscher der Welt umherirren?

From the perilous waves my auspicious fortune has brought me safely to shore. The heavenly Parcae have not yet cut short the thread of my life! But where shall I go? Who will help me? Where are my troops? Where are the legions who led me to so many victories? Is the conqueror of the world to wander alone on this deserted shore?

Ihr Lüfte, ach, habt Erbarmen, weht über meine Brust, um meinen Schmerz, o Gott, zu lindern.

You breezes, have pity, blow upon my breast to bring comfort, o God, for my sorrow.

Sagt, wo ist sie, was tut die Göttin meiner Seele, der geliebte, süße Schatz dieses Herzens?

Tell me, where is the idol of my mind, the sweet beloved of my heart?

Doch überall sehe ich den unglückseligen Strand bedeckt mit Waffen und mit Toten, das muss ein schlimmes Omen sein.

But all around I see the unfortunate shore strewn with weapons and the dead, which must be an ominous sign of foreboding.

Der wilde Fluss, der vom Berg herabstürzt, reißt alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt.

The torrent rushing down the mountainside sweeps away everything in its path.

So werde auch ich es tun mit dem, der sich mir widersetzt: Mein Schwert wird ihn fällen.

So anyone opposing me will be struck down by my sword.

25



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.