Sir András Schiff

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„...was für contrapunktische Künste anzubringen wären“ Bachs Wohltemperiertes Klavier

Michael Kube

Vielen Dank für die Wolken. Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel. Hans Magnus Enzensberger, Empfänger unbekannt – Retour à l’expéditeur

Für Robert Schumann war es das „Werk aller Werke“, Hans von Bülow sah in ihm gar das „Alte Testament“ des Klavierspiels (als Gegenstück zum „Neuen Testament“ der Beethovenschen ­Klaviersonaten). Kaum treffender und emphatischer lässt sich der Stellenwert beschreiben, der dem Wohltemperierten Klavier seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zukommt: kompositionstechnisch, ­ästhetisch wie auch pianistisch. Er spiegelt sich auch in einer ­zunehmenden Mythologisierung der Komposition, die Ludwig Rellstab 1790 – ganz im Zeichen der allmählichen Ausprägung eines (auch politisch motivierten) nationalen Bach-Bildes – hervorhob als „das Erste und Bleibendste was die deutsche Nation als Musikkunstwerk aufzuzeigen hat.“ In Anlehnung an diese Formulierung sah der Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel gar „in beyden Theilen dieses Werks einen Schatz von Kunst enthalten, der gewiß nur in Deutschland gefunden wird“. Und dennoch tritt der zweite Teil mit seinem erneuten Durchgang durch alle 24 Dur- und Molltonarten, wiederum mit dem Satzpaar von Präludium und Fuge, in der Praxis des Klavierspiels seltsam hinter den ersten zurück. Im

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