Searching for Nikos Skalkottas

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Nikos Skalkottas ***

Das Frühjahr 1933 war eine Zeit tief­ greifenden Umbruchs: für die Weimarer Republik, die politisch am Abgrund stand, für Europa, das in den folgenden Jahren in seine größte Katastrophe ­gestürzt werden sollte – und auch für den 29-jährigen griechischen Komponisten Nikos Skalkottas, der, in eine aussichtslose wirtschaftliche Lage geraten, seine Wahlheimat Berlin verlassen musste. Er kehrte nach Athen, in die Stadt seiner Kindheit, zurück; sein gesamter Besitz und alle Manuskripte verlieben in Deutschland. Bis zu diesem Zeitpunkt klingt Skalkottas’ Geschichte wie der Beginn einer überaus vielversprechenden Musikerlaufbahn. Mit 17 Jahren war er nach Berlin gekommen. Dank eines Stipendiums konnte der hochbegabte Geiger und preisgekrönte Absolvent des Athener Konservatoriums ab 1921 an der hiesigen Hochschule für Musik sein Studium fortsetzen. Skalkottas erlebt die rapide wachsende Metropole während einer ihrer schillerndsten Blütezeiten. Berlin avanciert zu einem der führenden Musik­ zentren Europas, hier versammeln sich die renommiertesten Musiker der Zeit. Skalkottas nimmt Unterricht bei Kurt Weill, dann bei Philipp Jarnach; schnell ist Komponieren das neue Berufsziel. 1927 wird er Teil des Zirkels von Schülern, die Arnold Schönberg in seiner 14 14

Kompositionsklasse an der Akademie der Künste unterrichtet. Die Begegnung mit Schönberg ist entscheidend für Skalkottas’ weitere Entwicklung: er wird von seinem Lehrer hoch geschätzt, dirigiert Konzerte mit eigenen Kompositionen und denen seiner Mitstudenten, leitet Proben von ­ Schönbergs Werken und bezeichnet sich selbst in einem Brief als die „rechte Hand“ des Meisters. Skalkottas’ Oktett für Holzbläser und Streichquartett, sein Concerto für Bläser und sein erstes Streichquartett kommen an der Akademie zur Aufführung. Außerhalb des Studiums verdient er seinen Le­bens­ ­unterhalt als Musiker in den Berliner Cafés und Stummfilmkinos. Eine Zeitlang lebt er mit einer Mit­studentin, der Geigerin Matla Temko zusammen; 1927 wird ihre gemeinsame Tochter geboren. Doch nach seinem Studienabschluss 1930 läuft sein Stipendium aus, und er verliert die finanzielle Unterstützung durch einen Freund. Die um sich greifende Rezession trägt ihren Teil dazu bei, dass Skalkottas immer größere Schwierigkeiten hat, Arbeit zu finden. Schönberg, Jurymitglied des Mendelssohn-Kompositions-Stipen­ diums, schlägt einen gemeinsamen ersten Preis für Norbert von Hannenheim und Skalkottas vor, doch die Auszeichnung geht an Hannenheim. 1933 hat

Skalkottas keine Wahl mehr – er verlässt Berlin, nicht ahnend, dass auch Schönberg aufgrund der politischen Situation bereits außer Landes ist. All das bleibt nicht ohne Folgen für seinen Gesundheitszustand. Bereits 1931 hat er offenbar einen psychischen Zusammenbruch erlitten, und die Krise setzt sich auch nach der Rückkehr nach Athen fort. Dort verdingt sich Skalkottas bis zu seinem Lebensende als Orchestermusiker. Seine Persönlichkeit, vormals energiegeladen, wenn auch von Stimmungsschwankungen beherrscht, verändert sich, und er zieht sich zunehmend zurück. In den folgenden knapp 15 Jahren entsteht der Großteil seines Œuvres, darunter etliche Orchesterwerke. Doch Aufführungen bleiben aus, von wenigen tonalen Kompositionen abgesehen. Skalkottas’ künstlerisch konservatives Umfeld ist dafür ebenso verantwortlich wie sein introvertierter Charakter. Die Situation in Griechenland – innerhalb weniger Jahre folgen Diktatur, Welt-

krieg, Besetzung und Bürgerkrieg aufeinander – tut ein übriges, es seiner anspruchsvollen Musik schwer zu ­ machen. Doch trotz aller Schwierigkeiten komponiert Skalkottas, voller Ehr­ geiz und Selbstvertrauen. 1946 heiratet er die Pianistin Maria Pangali. Kurz vor der Geburt ihres zweiten Sohnes 1949 stirbt er unerwartet an den Folgen eines Leistenbruchs. Seine Musik wird in weiten Teilen erst nach seinem Tod entdeckt. Mehr als 120 Werke umfasst Skalkottas’ Schaffen: Orchester-, Kammer- und Vokalmusik, Musik für die Bühne und fürs Ballet. Fast alle zeitgenössischen Stilrichtungen fließen in seine Kompositionen ein, teils gleichzeitig, teils nacheinander: Zwölftontechnik, freie Atonalität, erweiterte und neoklassische Tonalität ebenso wie Elemente griechischer Volksmusik. In einigen Werken finden sich Anklänge an die Berliner Cabaretund Jazz-Szene.Von Anfang an entwickelte er eine eigenständige Zwölftonmethode, die auf Gruppen von Reihen basiert, im Gegensatz zu Schönbergs Prinzip einer einzigen Reihe. Als Meister der Formen und Stile war ­ Skalkottas ein Pioneer, in dessen Musik sich Avantgarde und Tradition, Atonalität und Tonalität, serielle und freie Strukturen, klassische und Volksmusik, europäische und nationale Aspekte begegnen. Sein Werk, so hat es der Dirigent Nikos Christodoulou formuliert, wirkt heute beinahe prophetisch. Christoph Schaller

Wir danken Nikos Christodoulou und der Skalkottas-Akademie, Athen.

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