Gesprochen, gesungen, getanzt Musik für Violine und Klavier, Klavier oder Violine
Wo l f g a n g S t ä h r
Aber dieser Tonfall! Leoš Janáček, der mährische Meister? Seine Kom positionen klingen durchaus nicht meisterlich, sogar provozierend unvollkommen. Janáčeks anarchische Kunst lässt sich nicht in Form bringen, jedenfalls nicht in westliche, klassische und gelehrte Formen. Sein Studium am Leipziger Konservatorium schloss er nicht ab, zwei Violinsonaten, die er damals begann, hat er nicht einmal aufbewahrt, und als er nach über 30 Jahren wieder eine Sonate für Violine und Klavier komponierte, strenggenommen seine „dritte“, kam er kaum an ein Ende, schob die Sätze hin und her oder tauschte sie aus, änderte, schrieb neu, schrieb um, über acht Jahre hinweg, bis 1922. 1914 hatte Janáček seine einzige (erhalten gebliebene) Violinsonate in Angriff genommen, „zu Beginn des Krieges, als wir die Russen schon in Mähren erwarteten“, die slawischen Waffenbrüder und erwünschten Befreier. Mit dem „Schimmer und Getöse scharfen Stahls“ im Sinn habe er die Sonate geschrieben und im Finale sogar den Vormarsch der russischen Truppen gefeiert – bekannte Janáček. Aber hört man tatsächlich den Krieg in dieser Musik? Oder den militanten Patriotismus des Komponisten, der die Gründung der Tschechoslowakischen Republik am 28. Oktober 1918 als Tag der „nationalen Wiedergeburt“ erlebte, der lang ersehnten und hart erkämpften Unabhängigkeit von habsburgischer Zentralherrschaft und deutscher Kulturhegemonie? Janáčeks tschechischer Nationalismus verriet mitunter eine bedenkliche Nähe zu Eiferertum und Hysterie, etwa in seiner verbitterten Weigerung, die Straßenbahn in Brünn zu benutzen, solange die Wagen noch mit deutschen Schildern beschriftet waren. Aber seine geradezu besessene Erforschung der tschechischen Alltagssprache, als Wortlaut und Satzmelodie, 5