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DIE TEUFEL VON LOUDUN Vladimir Jurowski über die Festspiel-Premiere

BESESSENER MENSCH

Die Teufel von Loudun pulsieren mitten in der Gesellschaft. Wie stark und schwach der Mensch ist, werde in dieser Oper deutlich, schreibt Vladimir Jurowski. Den Dirigenten hat das Werk von Krzysztof Penderecki aufgerüttelt.

Das Kennenlernen dieser Oper war eines der größten Erlebnisse meiner musikalischen Anfänge. Ich war damals, als ich Die Teufel von Loudun in Dresden erstmals dirigierte, Ende zwanzig, und solch ein Stück war mir bis dahin noch nicht untergekommen: eine Politsatire, ein schockierender Thriller und eine absurd-abstruse Liebesgeschichte mit Elementen eines erotischen Horrorfilms, alles in einem. Alle anderen mir bekannten, auch zeitgenössischen Stücke waren dagegen zahm. Diese Oper ist wahrlich ein osteuropäisches Pendant zu Bernd Alois Zimmermanns Soldaten, eine Fortsetzung von Wozzeck in der Moderne und definitiv eines der radikalsten Musiktheaterstücke des 20. Jahrhunderts, politisch und gesellschaftlich genauso relevant wie als Kunstwerk radikal. Es ist ein unglaublich wirkungsvolles Spektakel mit einer gehörigen Portion Erotik, voller sexueller Fantasien aus dem Dunstkreis von Frauenklöstern, und in den Szenen von Folter und Hinrichtung auch von einer grauenvollen Drastik, die gleichwohl eine unheimliche Faszination ausübt.

Ihren Ursprung hat die Oper im gleichnamigen Roman von Aldous Huxley. Dieses Multitalent ist in erster Linie als Schöpfer eines einzigen Buchs, Schöne neue Welt, ins Gedächtnis der Menschheit eingegangen, dieser erschreckenden Dystopie. In Die Teufel von Loudun hat sich Huxley mit weit entfernten geschichtlichen Ereignissen befasst und sie immer wieder auf das Hier und Jetzt bezogen. Das macht das Werk für mich so wertvoll. Das Buch – und damit auch die Oper – lehrt uns eine Menge über uns als Menschen, die nicht in einem abstrakten Vakuum existieren oder in einer abgehobenen Welt von Gefühlen, Begierden und Wünschen, sondern mitten in einer Gesellschaft. Schon Karl Marx hat mit dem Missverständnis aufgeräumt, man könne in einer Gesellschaft leben und zugleich komplett frei von ihr sein. Urbain Grandier, die männliche Hauptfigur, ist als Mensch nicht zu trennen von Grandier in seiner Eigenschaft als Priester und Bürger, Jeanne als Frau ist nicht zu trennen von Jeanne, der Priorin, auch alle anderen Gestalten gebunden an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht und den Zwängen, die ihnen diese Schicht auferlegt. Huxleys Buch ist kein normaler Roman. Es ist eine Studie über psychische Zustände und eine historische Darstellung mit durchlaufendem Kommentar aus der Sicht eines modernen Beobachters, eine Montage verschiedener Genres – und damit die ideale Vorlage für ein modernes Musiktheaterstück. Krzysztof Penderecki benutzt dabei nicht das Buch an sich als Vorlage, sondern die Dramatisierung von John Whiting in der Übersetzung von Erich Fried. Grandier erlebt man auf faszinierende Weise in einer ständigen Entwicklung. Es gibt wenige Figuren der Operngeschichte, die eine solche Wandlung durchleben; allenfalls vielleicht Rigoletto, Parsifal oder Wozzeck. Eine faustische Verwandlung: Am Anfang erscheint er als mit vielen Schwächen und unangenehmen Eigenschaften, voller Hochmut und ohne Verantwortung (die Verführung von Philippe macht jede Sympathie zunichte); dann aber bringt ihn seine unmissverständliche Positionierung in der politischen Frage in eine Weiterentwicklung zu einer fast jesushaften Figur, einem Märtyrer. Die Worte „Ecce homo“ kommen mir in den Sinn. Der Mensch ist schwach

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Die Teufel von Loudun oder: Wenn die (Musik-)Geschichte einen Tsunami entfesselt

Sündige Fantasien einer missgestalteten Nonne, unzüchtige Ausschweifungen eines freimütigen Priesters, Neid und Eifersucht bigotter Kleinbürger – und über allem der politische Masterplan eines ehrgeizigen Kirchenmanns: Aus dieser Gemengelage entstand in einer französischen Provinzstadt des frühen 17. Jahrhunderts ein wahrhafter Exorzismus-Exzess. Die vorgetäuschte Teufelsaustreibung von vermeintlich besessenen Klosterfrauen wurde zum Mittel des Zwecks, unliebsame Kräfte auf dem Schafott zum Schweigen zu bringen. Aus der fixen Idee der Ursulinerin Jeanne und dem offenherzigen Lebenswandel des Geistlichen Grandier wird ein brisanter Cocktail, aus dem der auf Allmacht zielende Kardinal Richelieu, geschickt König Ludwig XIII. manipulierend, eine diabolische Beziehung konstruiert. Nicht nur, um einen unbequemen Freigeist aus dem Weg zu räumen, sondern – verbrämt von vorgeschobenen religiösen Gründen – ein Klima der Angst zu schaffen, in dem niemand mehr wagen wird, sich gegen ihn zu stellen. Aldous Huxley hat diese Vorgänge zu einer Zeit, als Stalins Schauprozesse und McCarthys Kommunistenjagd noch höchst präsent waren, in einem historischen Roman bildkräftig dargestellt, John Whiting dieses Buch dramatisiert und Krzysztof Penderecki daraus eine Oper gestaltet, die ihresgleichen sucht: Die Teufel von Loudun. Der Komponist fährt ein fast maßloses Aufgebot an Stimmen und Instrumenten auf, eine Riesenfülle an Klängen und Geräuschen, die er ganz auf die szenischen Belange hin kombiniert. Was in der Welt durcheinandergeht, trennt er nicht säuberlich, sondern lässt es sich schmutzig miteinander vermischen. Immer wieder bricht die Musik ganze Brocken aus dem hergebrachten Opernfachwerk heraus. Wie Wellen schwappen die 30 knappen Szenen mit ihren jeweiligen klanglichen Ausprägungen über die Zuschauer, und nach kurzer Zeit schon schnappt man nach Luft. Dieses Werk gehört zu den eindringlichsten des 20. Jahrhunderts, ist bestürzend aktuell in unserer ach so aufgeklärten Zeit und kommt nun als Premiere zur Eröffnung der Opernfestspiele 2022 erstmals in einer eigenen Produktion auf die Bühne des Nationaltheaters.

und stark zugleich, ihm lugt der Teufel über die eine und der Engel über die andere Schulter. Entscheidend ist, was am Ende überwiegt. Im Gegensatz zu vielen klassischen Stücken nimmt man hier von Anfang an alles aus einer doppelten Perspektive wahr, der des Beobachters, der sich auf keine Seite stellt, und der der Jeanne, die alles quasi halluziniert.

Hinzu kommt die grellste, fast rock’n’roll-hafte Fantasie, mit der die Ereignisse musikalisch umgesetzt sind. Da steckt alles drin, von der Gregorianik über aufgezeichnete Glocken und Baritonsaxophone bis zum E-Bass und der verstärkten Singenden Säge. Alle Facetten der Stimmverwendung im modernen Theater werden herausgekitzelt: schlichter Kirchengesang, Operngesang, halb Gesprochenes, Bühnendeklamation – aber auch fast zirkusartige Experimente wie Jeanne, die im Zustand der Besessenheit plötzlich anfängt, mit der Stimme Leviathans zu sprechen, einer unnatürlich tiefen, mit Theatertricks zu realisierenden Männer stimme. Der Chor schaff t mit seinen vielstimmigen Clustern Klanglandschaften, akustische Räume wie Wolken, die über dem Geschehen hängen. Das Orchester ist groß, aber immer gezielt eingesetzt. Es glänzt nicht für sich und kommt ohne große symphonische Zwischenspiele aus. Anstelle der üblichen Gruppen mit 1. und 2. Violinen gibt es zwanzig eigene, individuelle Stimmen, wodurch der Instrumentalpart unglaublich farbenreich klingt – fast wie der Soundtrack zu einem Film.

Penderecki – als Osteuropäer unter der kommunistischen Diktatur in den 1960er Jahren – war es sicherlich wichtiger, Verbindungen zur Moderne aufzuzeigen als eine historische Analyse des 17. Jahrhunderts zu liefern. Eine zeitlose Parabel, die aber aus bestimmten Gründen in ein historisches Gewand gekleidet wurde. Dennoch liegen die Parallelen off en zutage: zu den europäischen Diktaturen der 1930er und 1940er Jahre, zu den Hexenjagden der westlichen Welt der McCarthy-Ära in den USA, zu den Auswüchsen heutiger moralischer Empörungswellen. Beispielhaft wird der kirchliche Missbrauch von Transzendenz für politische Zwecke vorgeführt. Penderecki ging es um die Ausnutzung der Religion und der religiösen Ekstase. Ich denke dabei auch an den Friedenspakt zwischen Stalin und der orthodoxen Kirche: Als Stalin klar wurde, dass er den Krieg allein mit den kommunistischen Slogans nicht gewinnen würde, dass der Pa trio tismus der Menschen mit der sowjetischen Ideologie allein nicht aufrechtzuerhalten war, hat er sich zu den Ursprüngen des russischen Staates gewandt und an die Orthodoxie und den Nationalstolz appelliert. Das hat sofort gewirkt. Wie wir in diesen Tagen schmerzlich sehen, lebt die Idee des Nationalstolzes auch heute noch. Die nationale Idee scheint ein wichtiger Faktor zu sein, wenn es um die Verteidigung eines Landes geht, aber weniger, wenn man ein anderes angreift. Das dem heiligen Chrysostomos zugeschriebene Zitat „Dem Teufel ist nicht zu glauben, wenn er auch die Wahrheit spricht“, das Penderecki der Partitur vorangestellt hat, unterstreicht diese bittere Ironie. Die Oper ist so komponiert, dass man zuletzt nicht weiß, auf wessen Seite

der Komponist steht. Er steht allen Protagonisten kritisch und wie unbeteiligt gegenüber. Erst am Schluss wird klar, dass ihm sowohl Jeanne in ihrem Elend als auch Grandier in seiner scheiternden Hybris persönlich am Herzen liegen. Ich wollte Die Teufel von Loudun nach der Dresdner Erfahrung schon lange noch einmal machen, und in einem meiner ersten Gespräche mit Serge Dorny habe ich es als eines meiner Lieblingswerke unter den zeitgenössischen Opern erwähnt. Zu meiner großen Freude können wir schon in unserer ersten Saison dieses epochale Stück dem Münchner Publikum vorstellen.

Die Teufel von Loudun: eine Politsatire, ein schockierender Thriller und eine absurd-abstruse Liebesgeschichte mit Elementen eines erotischen Horrorfi lms, alles in einem.

Taucht ein in die Musik: Seit Herbst 2021 ist Vladimir Jurowski Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper.

DIE TEUFEL VON LOUDUN Krzysztof Penderecki Nationaltheater

Mo., 27.06.2022, 19:00 Uhr PREMIERE

(PREISE S) Do., 30.06.2022, 19:00 Uhr (PREISE M) So., 03.07.2022, 19:00 Uhr (PREISE M) Do., 07.07.2022, 19:00 Uhr (PREISE M)

Preise S: ab 162,96 € bis 274,96 € Preise M: ab 133,84 € bis 218,96 €

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