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CAPRICCIO Richard Strauss’ Werk in einer neuen Deutung im Prinzregententheater

THEATER AUF DEM THEATER

Zur selben Zeit, als Richard Strauss die ersten Gedanken zu seinem letzten Bühnenwerk im Sommer 1934 sammelte und sich der Plan zu Capriccio im Folgejahr konkretisierte, zeichnete sich in Deutschland ein tiefgreifender politisch-gesellschaftlicher Umbruch ab. Nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (im August 1934) vereinigte Adolf Hitler im Handstreichverfahren die Ämter des Reichskanzlers und Reichspräsidenten auf sich und stellte durch die sogenannte Machtergreifung die Weichen auf Diktatur. Richard Strauss war zu dieser Zeit in NaziDeutschland noch Präsident der Reichsmusikkammer und gehörte im August 1934 zu den Unterzeichnern des „Aufrufs der Kulturschaffenden“ zur Bündelung der beiden höchsten politischen Ämter in Deutschland auf eine einzige Person – Adolf Hitler. Die Anzeichen von Kollaboration des Komponisten mit dem politischen Regime waren nicht zu übersehen. Gleichwohl ging Strauss in seinem angestammten Metier der Opernkomposition eigene Wege zu einer künstlerischen Meisterschaft ohnegleichen. Mitte 1935 glaubte er sich am Ziel seiner künstlerischen Vorstellungen.

Bei dem neuen Sujet in Capriccio konzentrierte Strauss die Leitmotive seiner Komposition auf psychische Aspekte der Figuren und brauchte deshalb nicht mehr die psychologischen Beweggründe einer Handlung auf der Bühne theatral auszustellen. „Nervencontrapunkt“ nannte Strauss seinen kompositorischen Kunstgriff (in einem Brief vom 8. Januar 1935 an Joseph Gregor), der die Fähigkeit des musikalischen Materials meint, komplexe psychische Konstellationen und Handlungsweisen der Figuren hörbar und verständlich zu machen, ohne sie eigens auf der Bühne durch Figurenaktionen auszustellen. Den Bühnenraum symbolisch zum Inneren agierender Figuren und ihrer Psyche zu erklären, die dramatische Handlung mithin vom Orchester „erzählen“ zu lassen, bedeutete für Strauss die Erfüllung eines zukunftsweisenden Theaterkonzepts.

Die Konzentration des Komponisten und seiner Mitstreiter, des Dirigenten Clemens Krauss und des Regisseurs Rudolf Hartmann, auf diese innovative musikdramatische Strategie spiegelte sich bei der Uraufführung (am 28. Oktober 1942) im Münchner Nationaltheater eindrucksvoll wider. Die inzwischen katastrophale Lage der deutschen Wehrmacht vor Stalingrad und die daraus resultierenden Schrecknisse im eigenen Land schienen einer völlig

Blick von der Hinterbühne: Durch die Flügeltüren öffnete sich der opulente Rokoko-Bühnenraum von Rochus Gliese.

Richard Strauss pocht in seiner Oper Capriccio auf die Autonomie der Kunst zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. In der Rückschau lässt sich das launige Stück durchaus ambivalent deuten. Der Regisseur

David Marton unterzieht es seinem scharfen Blick.

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anderen Welt anzugehören als die vom Opernpublikum begeistert aufgenommene Premiere. Freilich versuchten Strauss und Clemens Krauss, sich durch diese Produktion für die gegenwärtigen Zuschauer und die Nachwelt als unpolitische Künstler zu stilisieren und die Vorgaben der NS-Kulturpolitik, unterhaltende und vor allem unpolitische Kunst zu schaffen, auf höchstem künstlerischen Niveau zu realisieren. Mehr noch: Clemens Krauss witterte die einmalige Chance, mit Capriccio in der Münchner Inszenierung ein Gastspiel im unbesetzten Frankreich zu geben und damit die kulturelle Vorherrschaft deutschen Musiktheaters in Europa eindrucksvoll zu demonstrieren. Bis in den Herbst 1943 wurde diese Gelegenheit diskutiert, schließlich aber wegen Transportschwierigkeiten und mangelnder Flexibilität der Pariser Opernleitung notgedrungen ad acta gelegt.

Der Sensationserfolg der Uraufführung in München übertraf alle Erwartungen und überdauerte in nahezu unveränderter Ausstattung und Ansicht mehr als ein halbes Jahrhundert. Die Premieren-Ausstattung von Rochus Gliese setzte die entscheidenden Maßstäbe: einen weitläufigen, bühnenfüllenden Rokokoraum mit zentraler Anordnung von großen, um einige Stufen erhöhten Flügeltüren im Hintergrund. Auf der Freifläche vor dieser Architektur fanden die für die jeweiligen Akteure auf der Bühne verteilten Sitzgelegenheiten ebenso ihren beständigen Platz wie die obligatorische Harfe der Gräfin und ein Hammerflügel. Die sorgfältig gezirkelte Anordnung der Sitzgelegenheiten schien wie zufällig improvisiert und bot doch bei jeder Aufführung denselben Anblick. Dies galt nicht nur für Aufführungen der ersten rund 50 Jahre in München, sondern auch an zahlreichen deutschen und österreichischen Bühnen sowie in Paris, wo die Münchner Produktion nachgespielt wurde. Bis 1963 (dem Jahr der Wiedereröffnung des Nationaltheaters) adaptierte man in München das Setting

Neuinszenierung

Capriccio inszeniert von David Marton

Viele der Musiktheaterarbeiten von David Marton sind nicht an Opernhäusern, sondern Theatern, wie der Berliner Volksbühne, dem Thalia Theater Hamburg oder den Münchner Kammerspielen, entstanden, wo er unter Intendant Matthias Lilienthal in der Spielzeit 2015/16 das „Opernhaus der Kammerspiele“ gründete. Ähnlich wie Christoph Marthaler, bei dem er als Pianist erste Theatererfahrungen machte, sucht David Marton die Vielfalt der theatralen Mittel, ohne die Musik aus dem Zentrum zu rücken. Ein Klavierstudium in Budapest und ein Dirigier- und Musiktheaterregiestudium an der Musikhochschule „Hanns Eisler“ gaben ihm dafür die Basis. Für die Opéra National de Lyon entstanden ab 2013 mehrere Operninszenierungen, deren erste Capriccio von Richard Strauss war. Das Unbehagen an der Rolle des Komponisten im Nationalsozialismus und am politischen Hintergrund dieses Werks, das 1942 zur Uraufführung kam, ist darin ebenso spürbar wie die feinfühlige Zuwendung hin zu allen Künstler:innen im Schatten der Macht.

Der Sensationserfolg der Uraufführung in München übertraf alle Erwartungen und überdauerte nahezu mehr als ein halbes Jahrhundert.

Oben: Die Anordnung der Sitzgelegenheiten auf der Bühne

schien jeden Abend zufällig und war doch mit Bedacht geplant.

Darunter: Richard Strauss wird bei der der Capriccio-

Uraufführung 1942 flankiert von seinen Mitstreiter:innen: Viorica Ursuleac und Rudolf Hartmann (links) sowie Clemens Krauss und Hildegard Ranczak (rechts)

auch im provisorischen Ausweichquartier des Prinzregententheaters; selbst noch 1970 bei Rudolf Hartmanns dritter Capriccio-Inszenierung im Cuvilliés-Theater wurden die Tür- und Fensterfassaden stilistisch und farblich behutsam modernisiert, ohne die Rokoko-Architektur gänzlich zu verändern. Lediglich Harfe und Hammerflügel fanden in dieser Inszenierung einen neuen Platz im Zentrum der Bühne, aber der historisch-stilistische Einklang von Rokoko-Theaterbau, Innenraum und Bühnendekoration steigerte das opulente und historisierende Sujet bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten.

Standards stellten sich in den mehr als fünf Jahrzehnten der Aufführungsgeschichte auch in den Besetzungen der Hauptrollen ein. Vor allem die Rolle der Gräfin wurde in den mehr als 50 Jahren der Aufführungsgeschichte von hochkarätigen Sopranistinnen besetzt, die stets mehrere Jahre hindurch ein erstklassiges musikalisch-sängerisches Ereignis garantierten: Viorica Ursuleac von der Uraufführung an, seit 1964 Lisa della Casa und in der Inszenierung von 1970 im Cuvilliés-Theater Claire Watson sowie 1988 an gleicher Stelle Pamela Coburn. Der akustische und optische Zauber der Uraufführung hielt sich bis in die 1990er Jahre. August Everding war es vorbehalten, die Inszenierungstradition und damit die Handlung von Capriccio in seiner Deutung von 1998 mit dem Ensemble des Gärtnerplatztheaters radikal zu modernisieren. Er kehrte die Lebensfreude junger Menschen hervor, entschied sich für eine Faschingsdekoration, in der munteres Treiben der Jugend herrschte, und schloss erst am Ende mit einer wehmütigen Gräfin (Brigitte Hahn), die dem Freudentaumel der Gesellschaft einsam und elegisch nachhing.

In der Neuinszenierung der diesjährigen Opernfestspiele ist dann auch in München ein veritables Theater als Kulisse für Capriccio erreicht. In der Opéra de Lyon, aus der die Inszenierung von David Marton übernommen wird, hat Bühnenbildner Christian Friedländer ein kleines Logentheater im Querschnitt auf die Bühne gebaut, um in Martons Inszenierung Atmosphäre und Sinnstiftung der Handlung im angestammten Sujet zu präsentieren – eben Theater auf dem Theater, in dem die Bühnenkunst sich selber vorführt und spiegelt.

Jürgen Schläder

CAPRICCIO Richard Strauss Prinzregententheater

So., 17.07.2022, 19:00 Uhr PREMIERE (PREISE PAA) Mi., 20.07.2022, 19:00 Uhr (PREISE PA) Sa., 23.07.2022, 18:00 Uhr (PREISE PA) Mo., 25.07.2022, 19:00 Uhr (PREISE PA) Mi., 27.07.2022, 19:00 Uhr (PREISE PA)

Preise PAA: ab 67,76 € bis 216,72 €, Preise PA: ab 55,44 € bis 183,12 €

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