Engelsloge n°52

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Oper

THEATER AUF DEM THEATER

Zur selben Zeit, als Richard Strauss die ersten Gedanken zu seinem letzten Bühnenwerk im Sommer 1934 sammelte und sich der Plan zu Capriccio im Folgejahr konkretisierte, zeichnete sich in Deutschland ein tiefgreifender politisch-gesellschaftlicher Umbruch ab. Nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (im August 1934) vereinigte Adolf Hitler im Handstreichverfahren die Ämter des Reichskanzlers und Reichspräsidenten auf sich und stellte durch die sogenannte Machtergreifung die Weichen auf Diktatur. Richard Strauss war zu dieser Zeit in NaziDeutschland noch Präsident der Reichsmusikkammer und gehörte im August 1934 zu den Unterzeichnern des „Aufrufs der Kulturschaffenden“ zur Bündelung der beiden höchsten politischen Ämter in Deutschland auf eine einzige Person – Adolf Hitler. Die Anzeichen von Kollaboration des Komponisten mit dem politischen Regime waren nicht zu übersehen. Gleichwohl ging Strauss in seinem angestammten Metier der Opernkomposition eigene Wege zu einer künstlerischen Meisterschaft ohnegleichen. Mitte 1935 glaubte er sich am Ziel seiner künstlerischen Vorstellungen.

Richard Strauss pocht in seiner Oper Capriccio auf die Auto­nomie der Kunst zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. In der Rückschau lässt sich das launige Stück durchaus ambi­ valent deuten. Der Regisseur David Marton unterzieht es seinem scharfen Blick.

Die Konzentration des Komponisten und seiner Mitstreiter, des Dirigenten Clemens Krauss und des Regisseurs Rudolf Hartmann, auf diese innovative musikdramatische Strategie spiegelte sich bei der Uraufführung (am 28. Oktober 1942) im Münchner Nationaltheater eindrucksvoll ­wider. Die inzwischen katastrophale Lage der deutschen Wehrmacht vor Stalingrad und die daraus resultierenden Schrecknisse im eigenen Land schienen einer völlig

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FOTO: HANNS HOLDT

Bei dem neuen Sujet in Capriccio konzentrierte Strauss die Leitmotive seiner ­Komposition auf psychische Aspekte der Figuren und brauchte deshalb nicht mehr die psychologischen Beweggründe einer Handlung auf der Bühne theatral aus­ zustellen. „Nervencontrapunkt“ nannte Strauss seinen kompositorischen Kunstgriff (in einem Brief vom 8. Januar 1935 an Joseph Gregor), der die Fähigkeit des Blick von der Hinterbühne: musikalischen Materials meint, komplexe Durch die Flügeltüren psychische Konstellationen und Handöffnete sich der opulente lungsweisen der Figuren hörbar und verRokoko-Bühnenraum ständlich zu machen, ohne sie eigens auf von Rochus Gliese. der Bühne durch Figurenaktionen auszustellen. Den Bühnenraum symbolisch zum Inneren agierender Figuren und ihrer Psyche zu er­klären, die dramatische Handlung mithin vom Orchester „erzählen“ zu lassen, bedeutete für Strauss die Erfüllung eines zukunftsweisenden Theaterkonzepts.


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