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TSCHAIKOWSKI-OUVERTÜREN Wie das Bühnenbild zur Urauff ührung von Alexei Ratmanskys Neuchoreographie entsteht

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SPIELPLAN

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In filigraner Handarbeit entsteht das Bühnenbild zum Ballett Tschaikowski-Ouvertüren: eine kunstvolle Stoffkulisse in Schwarz-Weiß.

Bühnenmaler Johannes Dieterich und Masumi Miura haben das Modell in großem Maßstab auf Gitterstoff übertragen.

Auf einer Fläche von rund 20 mal 10 Metern liegt der Schleier, den der Bühnenbildner Jean-Marc Puissant für das Ballett Tschaikowski-Ouvertüren entworfen hat. Die beiden Bühnenmaler Johannes Dieterich und Masumi Miura verpassen dem schwarz-weißen, abstrakten Bild, das in wochenlanger Arbeit auf den Gitterstoff aufgemalt wurde, den letzten Schliff . Mit schwarzer Farbe werden noch Feinheiten korrigiert, bevor ein Team von acht Mitarbeitenden den mit Nägeln befestigten Schleier ganz vorsichtig vom Boden lösen, zusammenrollen und ins Nationaltheater transportieren lassen wird. „Wir haben von Jean-Marc Puissant eine sehr exakte Vorlage als Tusche-Zeichnung erhalten, die wir in den gleichen Proportionen auf die Fläche übertragen“, erzählt Johannes Dieterich. „Der Schleier besteht aus einer hellen, fast weißen und aus einer schwarzen Hälfte. Damit es nicht wie eine harte Wand, sondern lebendig und organisch wirkt, haben wir uns mit dem Bühnenbildner abgestimmt, um genau den Farbton und die Bearbeitungsweise zu treffen, die er sich vorstellt. Mit einer Lackierpistole haben wir zuerst einen Grundton und anschließend verschiedene Schichten mit davon abweichenden Farbschattierungen aufgetragen. Nur mit diesem Arbeitsvorgang waren wir fast eineinhalb Wochen beschäftigt.“ Masumi Miura ergänzt, dass der Prozess deswegen sehr aufwändig sei, weil der Gitterstoff in mehreren Etappen bemalt werden müsse, da er sonst verklebe und nicht ohne Reißen vom Boden gelöst werden könne.

Der Schleier wird in der Ballettproduktion TschaikowskiOuvertüren (Arbeitstitel) zu Beginn der Auff ührung zu sehen sein. Im harten Gegensatz der schwarzen und weißen Fläche drückt sich für den Bühnenbildner Jean-Marc Puissant die Lebenskrise Hamlets aus, sein Balancieren am seelischen Abgrund, sein Abdriften in die Schizophrenie, die Risse in seiner Existenz. „Es kommt nicht mehr so oft vor, dass wir solche Schleier produzieren, da häufi ger dreidimensionale Objekte auf die Bühne kommen oder Flächen für Videoprojektionen gebraucht werden“, berichtet Masumi Miura. „Auch schaff en es die neuen digitalen Drucktechniken nicht, die malerische Qualität zu erzeugen, die die Lebendigkeit und das Künstlerische eines solchen Bildes letztlich ausmachen“, ergänzt Johannes Dieterich.

Insgesamt sind vier bis fünf Wochen nötig, bis ein Schleier dieser Größe fertig bemalt ist. Die beiden Bühnenmaler tragen die Farbe im Stehen mit langen Pinseln, die bis auf den Boden reichen, auf den Gitterstoff auf. Es wirkt, als

würden sie an einer riesigen Kalligraphie arbeiten, wie sie ganz konzentriert die Farbe auf der Fläche des ausgebreiteten Stoffes verteilen.

Dem Choreographen der Produktion, Alexei Ratmansky, geht es in seiner Tschaikowski-Ouvertüren-Kreation nicht um das Erzählen einer Handlung im engeren Sinne. Vielmehr verfolgt er einen träumerischen und erinnernden Ansatz. In der Musik Tschaikowskis kommt für Ratmansky eine künstlerische Haltung zum Ausdruck, die vom tiefen Empfinden der eigenen Existenz in einer von widerstrebenden Kräften geprägten Welt lebt. Im Hell-, Transparent-, Durchsichtig- und wieder Dunkel-Werden eines Schleiers, wie jener zur Hamlet-Ouvertüre, wird dieses konzeptionelle Motiv der Choreographie für das Publikum im Nationaltheater ganz deutlich wahrnehmbar sein.

Beinahe wirkt auch das Malen von Johannes Dieterich und Masumi Miura in den großen Werkstatthallen der Staatsoper, in Poing nahe München, wie ein Tanz. Die Bewegungen sind ganz genau gesetzt und es kommt darin nicht nur viel Feingefühl zum Ausdruck, sondern auch ein genuines Interesse am Gegenstand. So gehen in das schwarz-weiße Bild auf dem Schleier zur Hamlet-Ouvertüre neben den Ideen von Bühnenbildner und Choreograph auch die Handschriften und Erfahrungen der beiden Bühnenmaler ein. Auf die Frage, ob die Malereien zu dieser Produktion besonders herausfordernd gewesen seien, antworten sie: „Jede Aufgabe bringt ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich. Oft ist es am besten, einfach nach Gefühl zu arbeiten und sich auf die Eigenschaften der Farben und Stoffe einlassen, um dem intendierten Effekt auf die Schliche zu kommen. In diesem Spiel und in dieser Suche liegt das Kreative.“ Etwas Geheimnisvolles und Erwartungsvolles geht vom Schleier aus, der im Malersaal auf dem Boden liegt, als würde er darauf warten, endlich hochgezogen zu werden und im Bühnenhaus des Nationaltheaters zu hängen. Seine volle Aussagekraft wird er in der Aufführung im Zusammenspiel mit der Choreographie entfalten.

Serge Honegger

TSCHAIKOWSKI-OUVERTÜREN (Arbeitstitel) Alexei Ratmansky

Nationaltheater

Fr., 23.12.2022, 19:30 Uhr PREMIERE

(PREISE K) EXKLUSIVER VVK AB 16.11.2022 Mo., 26.12.2022, 15:00 und 19:30 Uhr

(PREISE I) EXKLUSIVER VVK AB 21.11.2022 Di., 27.12.2022, 19:30 Uhr (PREISE I) EXKLUSIVER VVK AB 21.11.2022 Sa., 08.04.2023, 19:30 Uhr (PREISE I) EXKLUSIVER VVK AB 01.03.2023 Fr., 05.05.2023, 19:30 Uhr (PREISE I) EXKLUSIVER VVK AB 29.03.2023 So., 07.05.2023, 15:00 und 19:30 Uhr

(PREISE H) EXKLUSIVER VVK AB 31.03.2023 Preise H: ab 58,80 € bis 101,36 €, Preise I: ab 65,52 € bis 114,80 €, Preise K: ab 85,68 € bis 150,64 €

Informationen und Karten im SZ-ServiceZentrum – solange der Vorrat reicht.

Shirazeh Houshiary, Alar, 2016-2017 © Shirazeh Houshiary / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Courtesy Lisson Gallery Engelsloge

Wide Open. Ins Offene Ins Offene

Zeitgenössische Fotografie & Skulptur aus Glas Verlängert bis 27.1.2023 www.atstiftung.de

Eine Ausstellung – zwei Orte

Alexander Tutsek-Stiftung Villa

Karl-Theodor-Straße 27 München

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