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DIE SPUR DES MENSCHEN

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KAMPF UM DIE MACHT

KAMPF UM DIE MACHT

Wird die Technik irgendwann intelligenter sein als der Mensch? Werden Künstliche Intelligenzen von da an bestimmen, wo es langgeht? Was führt die sogenannte Singularität im Schilde? Die neue Oper von Miroslav Srnka und Tom Holloway stellt unheimliche Fragen.

Text Bernd Graff Bilder Mario Klingemann Uraufführung Singularity

Die Singularität hat eine schlechte Presse. Weltweit muss man nur „Singularity“ sagen, und dann ahnt jeder schon, was gemeint ist: Es ist der Moment, noch nennt man ihn „hypothetisch“, in dem sich eine Künstliche Intelligenz, eine KI, selber so schlau gemacht hat, dass sie klüger ist als alle Menschen, die jemals gelebt haben, gerade leben und irgendwann einmal leben werden. Ab diesem Moment sorgt diese dann wirklich intelligente Künstliche Intelligenz nur noch für sich selbst, für wen auch sonst, und wird dabei auch noch immer schlauer! Wie soll man das also finden? Nun ja, eben nicht so toll. Es ist ja auch kaum weniger als das drohende technologische Unheil. Man schaudert also, rümpft die Nase und sieht das Gemeinte auch schon auf sich zukommen wie die Titanic den Eisberg. Niemand weiß wirklich Genaues, aber dass sie manchen mindestens unheimlich ist, diese Singularität, das scheint doch schon mal sicher. Und doch scheint sie unausweichlich.

So wie „Corona“ weltweit zu einem in der Schmuddelecke lungernden Begriff geworden ist für jene Pandemie, die uns alle immer noch beschäftigt, so ist Singularität so etwas wie dessen aufgetakelte Nachbarin, eine im Dunkeln munkelnde Unbekannte. Beide sind abscheulich: Corona sowieso. Und die Singularität jetzt schon, obwohl sie noch gar nicht ins Licht getreten ist, nur im Verborgenen still vor sich hinwest. Aber irgendwie ist sie auch schon da. Weiß man, was sie da treibt, und weiß man, dass sie nicht doch schon längst eingetreten ist? Die Antwort auf die erste Frage ist ein klares Nein. Nein, man weiß überhaupt nicht, was die Singularität im Schilde führt, und man wird es wohl auch nie wissen. Das sagen jedenfalls die, die es wissen können. Dafür wissen diese aber die Antwort auf die zweite Frage: Wäre sie eingetreten, die Singularität, dann wüssten wir es alle längst. Das kann man gar nicht nichtbemerken. Der großen Gala der Singularität entkommt man nicht, die verpasst niemand, da muss man gezwungenermaßen dabei sein. Daher die schlechte Presse.

Die Vorstellung hat aber auch etwas Schauriges: Irgendwann wird der sich ständig beschleunigende technische Fortschritt dafür gesorgt haben, dass alle menschlichen Lebensverhältnisse, so wie wir sie kennen, nicht fortgesetzt werden können. Und zwar deswegen, weil dann eben die Singularität in die Geschichte der Menschheit eingetreten sein wird: Die Technik wird intelligenter geworden sein als der Mensch, ihr Schöpfer. Und von da an bestimmt sie, wo es langgeht. Von diesem Moment an wird diese Technik auch immer schneller noch intelligenter, sie wird sich laufend optimieren, sich umfassender vernetzen, als wir uns das jetzt ausmalen können. Und auch ihre Erscheinungsformen werden zunehmen. Alle jetzt noch unverdächtige Materie denkt dann mit. Jeder Manschettenknopf wird mindestens über das Wissen eines abgeschlossenen Hochschulstudiums verfügen – und das eher nicht in Disziplinen der Human- und Geisteswissenschaften. Anrufbeantworter werden sich miteinander anfreunden und über ihre Besitzer tuscheln, Kühlschränke ihre frivolen Geheimnisse austauschen. Souveräne Rechenwesen werden sich miteinander verständigen in Codes, die wir nicht mehr verstehen, in Geschwindigkeiten, die wir nicht nachvollziehen können. Sie werden uns die Welt entreißen.

Galt diese Vision bis vor einigen Jahrzehnten noch als pure Science-Fiction, als schaurig-schöner Fiktivstoff, der zu heimeligem Gruseln einlädt, so deuten die realen Erfolge, die seit wenigen Jahren im Forschungsbereich der KI in immer schnellerer Folge gemacht wurden, darauf hin, dass an der Sache tatsächlich etwas dran ist. Rechnen die Computer, die man in normalen Kaufhäusern erwerben kann, ja jedes Telefon nicht mittlerweile um ein Vielfaches schneller als in den 1950er Jahren die avanciertesten Rechenzentren der bedeutendsten Forschungsinstitute? Die Algorithmen, die den Menschen zum Mond gebracht haben, sind heute in Wegwerfspielzeug für die Jüngsten verbaut. Und hat man nicht selbst schon mit den wie aus dem Nichts aufgetauchten Alexa-Siris gesprochen und sich über ihre famose Auskunftsfreudigkeit gewundert? Höflich sind sie ja, aber auch ein wenig herablassend. Sie behandeln uns wie Bedürftige, die mit ein paar lächerlichen Informationen versorgt werden müssen, die wir uns schon lange nicht mehr selbstständig zusammensuchen können.

Wenn die Entwicklung also in der Geschwindigkeit so weitergeht, dann steht die Singularität doch bald bevor, vielleicht sogar unmittelbar. Und darum ist es vermutlich angebracht, jetzt einmal zu fragen: Was wird dann eigentlich aus uns?

Das ist die Ausgangsfrage für eine Space Opera der jungen Stimmen, deren Uraufführung im Sommer an der Bayerischen Staatsoper stattfindet. Verfasst haben sie der Komponist Miroslav Srnka und der Librettist Tom Holloway. Die beiden sind ein eingespieltes Team: 2011 schufen sieMake No Noise, eine Kammeroper, für die Münchner Opernfestspiele, und 2016 South Pole, eine Oper, die ebenfalls an der Bayerischen Staatsoper zur Aufführung kam. Für ihren neuesten Streich haben die beiden eng zusammenarbeitenden Künstler nun die Farce in der kommenden Techniktragödie entdeckt.

Das Komische folge der aktuellen Pandemie nur, mache deren Ungewissheitenelend gewissermaßen um ein paar Facetten reicher, sagt der Australier Tom Holloway in einem munteren Gespräch, das in Echtzeit von irgendwelchen Computern um den halben Globus übertragen wird. Sagen wir so: Entstanden ist die Idee zu Singularity lange vor der Pandemie. Ihr Eintreten hat alle Mutmaßungen einer fröhlichen Dystopie nur bestätigt. Es gibt ja nicht allzu viele Science- Fiction-Opern-Komödien in der Geschichte des Musiktheaters. Warum beginnt man also dieses Genre ausgerechnet mit der dräuenden Singularität? Ganz einfach, sagt Tom Holloway, in der Oper gehe es um große Gefühle, die irgendwie kommuniziert werden wollen, in den kommenden Technologien geht es darum, wie kommuniziert wird, vor allem aber darum, wer kommuniziert. Wie also wäre es, sich die Singularität als diesen Moment vorzustellen, in dem das alles aufeinanderprallt,

in dem unsere (alte) menschliche Kommunikation sich mit den neuen Codes der Technik in einer einzigen Wolke des vernetzten Gequatsches verwebt? In dem jeder mit allem und alles mit jedem spricht. Gleichzeitig. Ohne Worte. Durch reine Gedanken- und Bit-Übertragung. Was also, wenn wir im extremen Fall der Singularität selbst zu kybernetischen Organismen würden und damit wieder zu Akteuren, die in dem sofort hochschießenden babylonischen Technoturm kräftig mitschwurbeln? „Wir werden dann ja so wunderbar schnell miteinander kommunizieren!“, sagt Holloway, „was aber heißt, dass wir gar nicht mehr in die Tiefe gehen werden bei unseren Gesprächen. Dann schwirren die Bedeutungen nur so über uns hinweg. Die Leute werden also sehr schnell verletzt sein durch das, was sie aus dem reißenden Informationsstrom fischen können und nur glauben, verstanden zu haben. Und sehr verletzend werden sie sein in dem, was sie selbst von sich geben“, prophezeit der Künstler. Denn nicht nur Technik erfährt eine unglaubliche Beschleunigung – die Missverständnisse auch. Die Megahertzen im Dreivierteltakt muss man sich also unbedingt als empört vorstellen. Aber sie werden, nun ja, sensibler sein, die Menschheit 2.0 ist schließlich entstanden. Frage an alle Streber: Welche Opern würde diese Schwarmintelligenz dann wohl mögen? Und, Zusatzfrage: Wird ein elektronisches Publikum die auf einer Bühne verhandelten Gefühle noch verstehen können? Dystopisch ausgemalt hat man die Singularität ja nun hinreichend.

Kunst von Maschinenhand: Mario Klingemann lässt seine Werke mittels KI entstehen und verwendet dafür Algorithmen, Codes und Unmengen von Daten, die er aus digitalen Kulturarchiven gewinnt.

Immer ganz großes Kino. Zur Mikroebene aber, zur unteren Ebene des banalen Alltags unter den Bedingungen von Singularität, hat man sich bislang noch nicht vorgewagt. Dazu musste man auf Miroslav Srnka und Tom Holloway warten. Denn in trügerischen Normalitäten werden auch weiterhin die wahren Dramen stattfinden – hier werden die Updates, unsere dann, natürlich schiefgehen, hier stürzen die besten Hirne reihenweise ab, in denen Bugs und Viren nisten, die Malware des Denkens. Es besteht Reboot-Bedarf in der Wet-Ware (so nennen Nerds das menschliche Denkorgan). Und überhaupt: Was wird aus den Haustieren? Reichen uns, wie in Srnkas und Holloways neuem Werk, dann elektronische Papageienkanarien, die man mit einem handelsüblichen Kabel über die Buchse am Bürzel auflädt? Die „Trost-Drohne“ wird sie im Stück genannt, sie ist aus Blech, aber sie funktioniert. Wie alles. Belegt aber nicht gerade sie, dass Menschen immer eher emotionale als rationale Wesen bleiben werden?

Doch es besteht ja eben auch Hoffnung, sagt Holloway: Weil noch jede Künstliche Intelligenz einmal in den ersten Programmierungen von Menschen ihren Ausgang genommen hat, ist das Menschliche darin untilgbar. Darum bleibt die Spur des Menschen ein Erbe, so etwas wie die DNA in allen weiteren künftigen Programmen. Die Handschrift unserer Spezies, das unauslöschlich Menschliche, das man auch in den Überstrukturen der Singularität wiederfinden wird. Wir sind die Geschichte jeder Über-Intelligenz, heißt das. So schlimm wird es also eventuell doch nicht werden. Vielleicht ist die Zukunft in der Singularität ja gar nicht unmenschlich. Jedenfalls nicht ausschließlich.

Und darum verlangte es geradezu nach dem zukunftsweisenden Kreativduo Srnka / Holloway. Denn die beiden entdeckten den unauslöschlich humanen Witz, das menschlich Urkomische im Kern ihrer Protagonisten. In deren Singularity sind wir konfrontiert mit beiden Sorten Mensch, die plötzlich parallel existieren: den Wesen der Cloud, die bestens eingefügt sind und die Maschinenwelt am Laufen halten, und denen, die noch auf ihre finale Installation warten. Vielleicht muss man sich Letztere ja dann wirklich wie Neandertaler vorstellen, wie übriggebliebene Aliens in lauter Künstlicher Intelligenz. Doch sie werden noch über etwas verfügen, sie besitzen einen wertvollen Schatz, der sie auszeichnet, einzigartig macht und herausragen lässt in der kalten Kalkülwelt der Maschinen: Sie werden noch immer Zuneigung, Zärtlichkeit und Liebe füreinander empfinden. Das schafft keine KI (zumindest noch nicht). Ein wenig wunderlich, ein wenig verschroben werden diese Überlebensmenschen natürlich sein, ein wenig also so wie: wir.

Bernd Graff ist Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, deren Onlineredaktion er vor 26 Jahren gegründet hat. Er bewundert die Errungenschaften in der Erforschung Künstlicher Intelligenz, auch wenn er bisher noch keinerlei Intelligenz in aller KI entdeckt hat.

SINGULARITY – Miroslav Srnka schreibt gemeinsam mit dem Dramatiker und Librettisten Tom Holloway eine musikalische Komödie über den technischen Fortschritt und seine Folgen für das menschliche Zusammenleben. Implantierbare Mikrochips und Nanotechnologie eröffnen neue Möglichkeiten der Kommunikation, aber sie machen die Menschheit anfällig für Störungen im vernetzten System. Genau das passiert den Figuren in Singularity. Was geschieht, wenn ein Update außer Kontrolle gerät? Und was, wenn die künstliche der menschlichen Intelligenz überlegen sein wird? Singularity begibt sich auf die Spuren einer gar nicht so unwahrscheinlichen Science-Fiction zwischen Erde und Weltall und bringt auch die komischen Seiten dieses Themas auf die Bühne.

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