Wirtschaftspolitik | Position | Wahl 17 Wachstums- und Investitionsprogramm Handlungsempfehlungen der Deutschen Industrie fĂźr die 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages
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Inhaltsverzeichnis Executive Summary..................................................................................................................................................4 I. Wachstumspolitik als Antwort auf Wohlfahrtsrisiken.....................................................................................5 II. Wirtschaftspolitische Kursbestimmung: Wachstum, Investitionen, Innovation und Beschäftigung..........6 III. Finanzpolitische Prioritäten.............................................................................................................................10 IV. Wirtschaftspolitische Reformen.......................................................................................................................11 Reformen zur Erhöhung des Wachstumspotenzials...........................................................................................11 Reformen für Beschäftigung fortführen..............................................................................................................12 Die Qualifikation der Arbeitskräfte erhöhen........................................................................................................13
Impressum..............................................................................................................................................................14
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Executive Summary Deutschlands zukünftiger wirtschaftlicher Wohlstand ist durch eine Reihe von weltpolitischen und außenwirtschaftlichen Risiken stärker als seit Langem gefährdet. Dies erfordert naturgemäß außenpolitische Antworten. Die Stärkung der Wachstumskräfte in Deutschland selbst ist angesichts der Risiken eine vordringliche Aufgabe. Deutschland sollte das wirtschaftliche Wachstumspotenzial durch ein umfassendes Reformprogramm für Investitionen, Innovation und Beschäftigung stärken. Deutschland sollte sich das Ziel setzen, das Potenzial um mindestens einen Viertelprozentpunkt des BIP bis zum Ende der Wahlperiode zu stärken; derzeit liegt es bei gut 1,5 Prozent. Zudem lässt sich das Wachstumsprofil mit einer gleicheren Verteilung von Einkommen und Beschäftigungschancen verknüpfen (inklusives Wachstum). Mit diesem Programm kann der Lebensstandard auch in diesen außenpolitisch unsicheren Zeiten nachhaltig gesteigert und dem Populismus durch eine leistungsfähige Wirtschaft für Unternehmen und Beschäftigte ein Riegel vorgeschoben werden. Zudem kann damit das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht verringert und die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion stabilisiert werden. Ein Investitions- und Innovationsprogramm muss um Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungswesen ergänzt werden, um die vollen Chancen für Wachstum und Beschäftigung nutzen zu können. Mit einer Stärkung des Wachstumspotenzials würde sich auch die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen erhöhen. Weichenstellungen im Umfang von mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr auf allen Ebenen der Gebietskörperschaften und in den Sozialversicherungen sind zugunsten dieser Prioritäten erforderlich. Dies sollte vorrangig aus dem Abbau von Haushaltsüberschüssen des Staates sowie ggf. aus Umschichtungen in den öffentlichen Haushalten erfolgen. Eine Nettokreditaufnahme des Bundes ist dafür nicht erforderlich. Zudem würde sich die Befolgung dieses Programms positiv auf die europäische Integration, die wirtschaftliche Erholung und die Stabilität in der EWWU auswirken. Auch seinen internationalen Verpflichtungen könnte Deutschland damit gut nachkommen.
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I. Wachstumspolitik als Antwort auf Wohlfahrtsrisiken Die deutsche Wirtschaftspolitik steht in diesen Monaten vor einer der größten politischen und wirtschaftspolitischen Herausforderungen seit Gründung der Bundesrepublik: der Verteidigung der offenen Weltwirtschaftsordnung und der offenen Gesellschaft. Anders als beim Wiederaufbau nach dem Krieg, der Bewältigung der Ölkrisen oder der deutschen Einheit können wir das anstehende Problem nicht nach Gutdünken aus eigener Kraft bewältigen. Das Problem ist dieses Mal der populistische und protektionistische Angriff auf die offene Gesellschaft, die soziale Marktwirtschaft und die liberale Weltwirtschaftsordnung. Und das Problem kommt aus allen Himmelsrichtungen und erfordert vor allem europäische und internationale Antworten. Deutschland – unser Wohlstand, unser Geschäftsmodell, unser industrieller Kern – steht im politischen Risiko, mehr als je zuvor in den letzten 60 Jahren. Deutschland ist einer McKinsey-Studie zufolge weltweit der absolute Vorreiter der Globalisierung bei Handel, Kapitalverkehr, Datenverkehr, Migration und supranationaler Integration. Deutschlands Wohlstand hängt damit entscheidend von einer offenen Gesellschaft, gelebter Demokratie in den wichtigsten Partnerregionen der Welt, einer stabilen und erfolgreichen Europäischen Union und einer liberalen Weltwirtschaftsordnung ab. Die deutsche Wirtschaft atmet durch Freihandel, offene Märkte, den europäischen Binnenmarkt, die Welthandelsordnung und digitale Innovation jeden einzelnen Geschäftstag. Und genau diese Voraussetzungen unseres Wohlstands werden von politischen Kräften im In- und Ausland in Frage gestellt. Deutschland erzielt jährlich die Hälfte seiner Wirtschaftsleistung im Austausch mit dem Ausland, und die Arbeitsplätze von einem Viertel der Erwerbstätigen in Deutschland hängen von der Auslandsnachfrage ab. Der Offenheitsgrad der deutschen Volkswirtschaft lag in der weiten Definition zuletzt bei 86 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ohne verlässliche internationale Rahmenbedingungen in der Zukunft wird das deutsche Wohlstandsmodell scheitern, die Wirtschaftsleistung zurückgehen und die Beschäftigung massiv gefährdet werden.
In der internationalen Politik zeichnet sich ein Zeitenwechsel ab, der sich auf deutsche industrielle Interessen vielfältig und negativ auswirken kann. Eine Politik des Mächtegleichgewichts greift um sich. Die offene Weltwirtschaftsordnung wird in Frage gestellt und die Globalisierung politisch in vielen Feldern rückgängig gemacht. Demokratische Freiheiten sowie soziale Teilhabe werden vielerorts eingeschränkt. Nationalistische Industriepolitik, protektionistische Handelspolitik, zunehmende Kapitalverkehrsbeschränkungen, Rückschritte in der demokratischen Rechtsstaatlichkeit im Ausland, Instabilitäten in der europäischen Integration, Beschränkungen der Migration, Rückfälle von Demokratien in autoritäre politische Systeme und Eingriffe in den internationalen Austausch von Daten, Ideen und Forschung bedrohen deutsche industrielle Interessen im In- und Ausland unmittelbar, materiell und möglicherweise längerfristig.
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II. Wirtschaftspolitische Kursbestimmung: Wachstum, Investitionen, Innovation und Beschäftigung Der gute Konjunkturausblick auf die nächste Wahlperiode überdeckt einige schwache strukturelle Trends. Deutschlands Wirtschaft befindet sich gegenwärtig in einer vordergründig guten Phase der wirtschaftlichen Entwicklung, die von den Strukturreformen der Vergangenheit und von einigen Sonderfaktoren beflügelt worden ist. Der Ausblick auf die konjunkturelle Entwicklung in der nächsten Wahlperiode dürfte durch ein Wachstum der realen Wirtschaftsleistung in etwa um das normale Tempo der Volkswirtschaft in Höhe von derzeit gut 1 ½ Prozent des BIP geprägt sein. Dieser gute Ausblick gilt auch für die Entwicklung des Arbeitsmarkts, der in den letzten Jahren mit einer unerwartet starken Schaffung von neuen Arbeitsplätzen aufgewartet hat. Sicherlich haben die geld- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, der niedrige Außenwert des Euro und andere Sonderfaktoren eine förderliche Rolle für die Belebung der Inlandsnachfrage und des Nettoexports gespielt. Die anhaltende Stärkung des privaten Verbrauchs und die teilweise durch die Flüchtlingspolitik bedingte Erhöhung des staatlichen Verbrauchs trugen ebenfalls dazu bei. Die zukünftige Erhöhung des Lebensstandards hängt jedoch von einer Stärkung des Standorts und von der Überwindung schwacher struktureller Trends ab. Doch die gute Lage kann nicht über problematische strukturelle Trends der jüngeren Vergangenheit und über wahrscheinlich schwache fundamentale Trends in den nächsten zehn Jahren hinwegtäuschen. Leider zeichnen sich im nächsten Jahrzehnt demografisch bedingte Eintrübungen des Wachstumsausblicks ab, auf die Deutschland bereits heute vorbeugend reagieren sollte. Daran ändert auch die zuletzt hohe Zuwanderung nach Deutschland nicht viel. Zwar schrumpft die Bevölkerung aller Voraussicht nach nicht mehr so stark wie ursprünglich prognostiziert, die negativen wirtschaftlichen und fiskalischen Folgen der Alterung werden jedoch fortbestehen. Darüber hinaus ist eine rasche und erfolgreiche Integration der Flüchtlinge in Bildungssystem, Arbeitsmarkt und Gesellschaft vordringlich. Deutschlands Wachstumspotenzial Reformen deutlich abzunehmen.
droht
ohne
Das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft droht in den nächsten Jahrzehnten bei unveränderter
Politik deutlich zurückzufallen. In einer OECD-Studie zu mehr als 40 Industrieländern für die Zeit bis 2060 rangiert Deutschland in puncto Wachstumspotenzial mit durchschnittlich 1 ¼ Prozent (2011 - 2060) pro Jahr auf dem letzten Platz. Auch wenn langfristige Szenariobetrachtungen mit erheblicher Unsicherheit verbunden sind, müssen diese Ergebnisse als wichtige Orientierungsgröße wahrgenommen werden, zumal Deutschland derzeit noch wenige Jahre in einer demografisch guten Lage ist. Eine solche langfristige Abschwächung des Potenzials hätte eine Reihe von problematischen Folgen für die Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik, für die Entwicklungsspielräume von Arbeitsund Unternehmereinkommen und möglicherweise auch für die Spielräume in der Einkommensverteilung. Die gesamte Politik sollte sich vom klassischen Ziel der sozialen Marktwirtschaft, „Wohlstand für alle“ zu schaffen, leiten lassen und sich nicht lediglich passiv an eine alterungsbedingte Abschwächung der Wachstumsaussichten anpassen. Erfreulicherweise bestehen auch weiterhin gute Chancen, das Wachstum und den Lebensstandard strukturell zu verbessern. Die Finanzpolitik sollte integraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik sein und sich an der Stärkung des Potenzials ausrichten. Auch für die allgemeine Ausrichtung der Finanzpolitik spielen naturgemäß die strukturellen Trends des Wachstumspotenzials eine wichtige Rolle. Passt sich die Finanzpolitik bloß schwachen Rahmenbedingungen an, bleibt das Angebot an öffentlichen Leistungen ebenfalls hinter den Möglichkeiten zurück. Übersteigen im anderen Fall die öffentlichen Ausgaben und die dafür erforderlichen Einnahmen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, dann drohen die öffentlichen Haushalte aus der Balance zu geraten. Eine vorausschauende Finanzpolitik kann daher nicht nur notwendige Anpassungen an veränderte demografische Rahmenbedingungen vollziehen und sich auf alterungsbedingte, strukturell höhere Ausgabenquoten für die soziale Sicherung einrichten, sondern sollte zudem rechtzeitig wichtige Weichen stellen, um das Potenzial der Ökonomie trotz der Effekte der Alterung der Gesellschaft selbst zu erhöhen und damit auch die finanziellen Spielräume auszuweiten. Dies ist auch mit einer kontinuierlichen Rückführung der gesamtstaatlichen Schuldenquote möglich. Eine wachstumsfreundliche Ausrichtung der Finanzpolitik des Staates kann jedoch unter anderem in den Feldern Bildung, Investitionen in die Infrastruktur und im Steuersystem wichtige langfristige Weichen zur
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Stärkung des Potenzials setzen. Entstehende Haushaltsüberschüsse sollten vollumfänglich für Investitionen in Infrastruktur, Sachkapital, Bildung und Forschungsanreize verwendet werden. Gezielte Haushaltsstrukturmaßnahmen können zur Deckung von höheren inves tiven finanzpolitischen Maßnahmen ergänzend ergriffen werden. Umfangreiche Steuerentlastungen in der Breite sind dagegen nicht zielführend.
Faktorproduktivität oder technischer Fortschritt) die wichtigste Orientierung in der Wirtschaftspolitik werden. Das Potenzialwachstum wird zukünftig nur noch in engen Grenzen durch den zusätzlichen Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital erhöht werden können, da demografische Trends und die übliche Anpassung des Kapitalstocks daran Grenzen setzen. Erfreulicherweise bestehen in einer Reihe von Politikfeldern gute Chancen, dieses Ziel einer nachhaltigen Erhöhung des Produktivitätswachstums zu erreichen.
Das Wachstums- und Investitionsprogramm gefährdet nicht die öffentlichen Haushalte, sondern stärkt diese mittelfristig. Die im Folgenden vorgeschlagenen Maßnahmen des Wachstums- und Investitionsprogramms können finanzpolitisch so gestaltet werden, dass sie mit den geltenden verfassungs- und europarechtlichen Regelungen und einem ausgeglichenen Haushalt in Einklang gehalten werden können. Der Umfang der vorgeschlagenen Maßnahmen liegt je nach Ausgestaltung in der vollen Ausbaustufe zum Ende der Wahlperiode in der Größenordnung von gut einem halben Prozentpunkt des BIP. Die Umsetzung des Programms würde die Lage der öffentlichen Finanzen inklusive der Sozialversicherungen weiter stabilisieren. Wir verzichten auf eine explizite Anrechnung von Wachstums-, Beschäftigungs- und Aufkommenseffekten in das Finanztableau, halten positive Zweitrundeneffekte auf alle drei volkswirtschaftlichen Größen aber für sehr wahrscheinlich. Das Ausmaß hängt sicher von der endgültigen Ausgestaltung der Maßnahmen ab und kann daher nicht vorab festgelegt werden. Erfahrungen aus anderen Reformepisoden zeigen jedoch, dass gerade die Kombinationen aus Produkt- und Arbeitsmarktreformen mit Unterstützung einer wachstums- und innovationsorientierten Finanzpolitik die größten Erfolge versprechen. Dies hat jüngst auch der IWF im Lichte zahlreicher Studien der OECD, der Europäischen Kommission und der Wirtschaftswissenschaft anerkannt. In Deutschland wird auf den technischen Fortschritt der Löwenanteil der Stärkung des Wachstumspotenzials entfallen müssen. Die nachhaltige Steigerung des Lebensstandards und des Pro-Kopf-Einkommens sollte wesentliche Zielsetzung der Wirtschaftspolitik bleiben. Angesichts der absehbaren Alterung der Bevölkerung bereits im Laufe des nächsten Jahrzehnts sollte die Stärkung des Wachstumspotenzials durch eine konsequente Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität (totale
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Unternehmerische Innovation im Verarbeitenden Gewerbe und in den Dienstleistungen wird der Motor sein. Die Erhöhung der Produktivität der gesamten Wirtschaft sollte vorrangig von einem modernen Verbund von innovativen Industrien und sie unterstützenden Dienstleistungen, durch eine höhere private und öffentliche Investitionstätigkeit und geeignete Anreize dazu sowie durch eine breitenwirksame Erhöhung der Innovationstätigkeit der Unternehmen, insbesondere im Mittelstand, angestrebt werden. Die Abschwächung der Arbeitsproduktivität in Deutschland in den letzten Jahren war vorrangig durch die Investitionsschwäche bedingt. Wie Studien der OECD, des deutschen Sachverständigenrats und der Wissenschaft demonstriert haben, sind breitenwirksame Steigerungen der Arbeitsproduktivität und des technischen Fortschritts in den letzten Jahren nur sehr schwach ausgefallen. Zwar liegen für Deutschland noch keine nach Unternehmensgröße oder Branchen der Unternehmen detaillierten Ergebnisse vor, es spricht jedoch viel dafür, dass die deutsche Wirtschaft nicht aus dem Rahmen fällt. Die industrielle Entwicklung ist etwas besser als diejenige bei Dienstleistungen. Wir beobachten aber allgemein eine wachsende Kluft im Unternehmenssektor zwischen „führenden Firmen“, die im internationalen Wettbewerb stehen oder im nationalen Markt den Wettbewerb dominieren und gute Ergebnisse bei der Entwicklung der Produktivität aufweisen einerseits und einer größeren Zahl von Unternehmen, die offenkundig ihre Forschungs- und Innovationsaktivitäten deutlich eingeschränkt haben und ihre Produktivitätsstärke zunehmend einbüßen, andererseits. Die klassischen „trickle down“-Prozesse führender Technologien und organisatorischer Effizienz von Weltmarktführern zur breiten Masse der Unternehmen ist offenkundig seit gut einem Jahrzehnt gestört. Um die sich
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auftuende technologische Lücke zwischen Weltmarktführern und ihren Wertschöpfungspartnern wieder zu schließen, sind neue Anstrengungen zur Stärkung des technischen Fortschritts, neuer Produktionsverfahren und Geschäftsmodelle, zur Gründung neuer Unternehmen, zur besseren Allokation von Fachkräften (regional und sektoral) auf die produktivsten Unternehmen und zur Finanzierung innovativer Aktivitäten der Unternehmen geeignete Ansatzpunkte. Kleine und mittlere Unternehmen müssen dabei besonders beachtet werden. Durch gezielte Maßnahmen in der Arbeitsmarktund Bildungspolitik sollte die Erwerbsbeteiligung weiter gestärkt werden. Ergänzende Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem müssen hinzukommen, um die Reserven zu heben und insbesondere die Erwerbstätigkeit von Frauen, älteren Arbeitnehmern und Flüchtlingen weiter zu erhöhen. Zudem brauchen wir auch eine gezielte arbeitsmarktorientierte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte. Das Programm sollte sich an einer Erhöhung des Wachstumspotenzials durch Investitionen und Reformen um einen halben Prozentpunkt des BIP orientieren. Das Wachstums- und Investitionsprogramm soll nach einschlägigen Erfahrungen aus ähnlichen Reformepisoden anderer Länder über direkte und indirekte Wirkungskanäle das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft um etwa einen halben Prozentpunkt des BIP stärken können und damit verlässlich und deutlich über dem Niveau von einem Prozent halten. In der nächsten Wahlperiode könnte das Potenzial sogar an zwei Prozent herangeführt werden. Ab Mitte der zwanziger Jahre werden demografische Trends dann ohnehin dämpfend wirken. Durch das Programm würden die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte vermindert werden. Die Stärkung der Investitionstätigkeit und der Arbeitsanreize wird auch die Wiederherstellung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts befördern. Deutschland weist seit Jahren ein hohes außenwirtschaftliches Ungleichgewicht auf. Eine nachhaltige Stärkung der inländischen Nachfrage ist angezeigt. Dies kann wirtschaftspolitisch sowohl durch eine Stärkung der
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öffentlichen und privaten Investitionstätigkeit wie durch eine Stärkung des staatlichen und privaten Konsums herbeigeführt werden. Die Stärkung der privaten Inves titionstätigkeit über bessere Rahmenbedingungen und die Erhöhung der öffentlichen Investitionen sowie der Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung sind politisch zielführende Wege zur Umsetzung; eine gezielte Entlastung von Geringverdienern könnte zudem zu einer Stärkung des privaten Verbrauchs beitragen. Das Wachstums- und Investitionsprogramm sollte so gestaltet werden, dass starke Anreize zur Schaffung zusätzlicher Beschäftigung gesetzt werden. Das Wachstums- und Investitionsprogramm dürfte auch die Beschäftigung in der deutschen Industrie und in nahestehenden Dienstleistungen sichern. Zwar werden mit neuen Produktionsverfahren und Geschäftsmodellen in der Regel Effizienzvorteile realisiert und die Anforderungen an den Umfang und die Qualität der Arbeit verändert, es entstehen wahrscheinlich aber auch neue Produkte und Geschäftsfelder, in denen weitere Beschäftigung wächst. Die wissenschaftliche Debatte über die Arbeitsmarktfolgen neuer Technologien ist jedenfalls so offen, dass es keinen Grund für Pessimismus geben sollte. Die größten Effizienzreserven in den Automatisierungsprozessen rund um „Industrie 4.0“ entstehen typischerweise nicht in der Produktion selbst, sondern in der vorgelagerten Planung und der nachgelagerten Logistik. Gleichzeitig entstehen neue Dienstleistungen, die die alte Wertschöpfung ergänzen und durch die neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit dem Reformprogramm könnte auch die Einkommensverteilung verbessert werden. Konsequente Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungswesen sind zudem geeignet, die primäre Einkommensverteilung positiv zu beeinflussen. Damit könnte es Deutschland gelingen, den problematischen Trends, die auch in vielen anderen Volkswirtschaften zu beobachten sind, deutlich besser zu begegnen. Bereits im letzten Jahrzehnt ist es vor allem durch die starke Reduzierung der Arbeitslosigkeit zu einer deutlichen Verminderung der Einkommensungleichheit in Deutschland gekommen. Insbesondere Investitionen in Bildung und Wissenskapital können mittelfristig die Arbeitseinkommen erhöhen und die Chancen von Bevölkerungsschichten mit niedrigeren Bildungsniveaus verbessern.
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Der Zusammenhang zwischen deutschen Reformen und europäischen Initiativen muss klar hergestellt werden. Insbesondere die Vertiefung des Binnenmarkts wirkt stützend auf die Investitionsbelebung und die Produktmarktreformen.
Die Investitionsorientierung in der Wirtschaftspolitik muss europarechtlich flankiert werden.
Die europäische Integrationspolitik bietet ansprechende Rahmenbedingungen für das Wachstums- und Investitionsprogramm. Der Europäische Fonds für Strategische Investitionen (EFSI) und der Digitale Binnenmarkt (Digital Single Market, DSM) sind komplementär zum Reformprogramm. Über den EFSI können zahlreiche Projekte des Pakets ko-finanziert werden. Zudem sollte ein flächendeckendes Giganetz in Europa aufgebaut werden. Dazu bedarf es klarer Milestones in einem definierten Stufenplan.
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Auf EU-Ebene müssen noch einige Adjustierungen für das Wachstums- und Investitionsprogramm erfolgen. Langfristig niedrige Investitionen in physisches und Wissenskapital deuten auf ein Marktversagen hin, das staatlichen Ausgleich erfordert. Es muss daher im Europäischen Rat und mit der Europäischen Kommission geklärt werden, dass Investitionsförderungen in diesen Feldern wünschenswert und erlaubt sind. Eine simultane Investitionsförderung für diese Zwecke mit ähnlichen Instrumenten in allen Mitgliedstaaten würde zu keinen Verzerrungen des Wettbewerbs in der EU führen.
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III. Finanzpolitische Prioritäten Zur Steigerung des Wachstumspotenzials ist eine Reihe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen zielführend, mit denen die Investitionen, die Beschäftigung und der technische Fortschritt erhöht werden können. In vielen Punkten sind zielgenaue Entlastungen von Steuern und Abgaben, in einzelnen Fällen auch höhere öffentliche Ausgaben der Gebietskörperschaften erforderlich. Die Maßnahmen können so gestaltet werden, dass sie mit einer Jahreswirkung von zehn Milliarden Euro in der Stufe der vollen Umsetzung dimensioniert sind. Steht mehr (oder weniger) finanzieller Spielraum zur Verfügung, kann die Umsetzung rascher (oder langsamer) erfolgen. Insofern sollte das Maßnahmenpaket auch ohne Einrechnung von positiven fiskalischen Folgen haushaltspolitisch in Einklang mit den Regelwerken zu bringen sein. 1. Steuerliche Forschungsförderung einführen Deutschland sollte zur Stärkung des technischen Fortschritts eine steuerliche Forschungsförderung für alle Unternehmen einführen. Die Mindereinnahmen von Bund und Ländern aus der Einkommensteuer sollten in der letzten Ausbaustufe auf etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr begrenzt werden. Ein stufenweiser Einstieg ist denkbar. Die Förderung sollte als zehnprozentige Steuergutschrift gestaltet werden und könnte anfänglich auf den Personalaufwand fokussiert werden. 2. Öffentliche Forschung stärken und 3,5-Prozent-Ziel setzen Deutschland sollte anstreben, die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Ende der Wahlperiode auf 3,5 Prozent des BIP zu erhöhen. Dazu sollte die öffentliche Hand die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung um bis zu fünf Milliarden Euro im letzten Jahr der nächsten Wahlperiode (Vergleich zu heute) erhöhen. Zielführend ist eine stärkere Förderung der Verbundforschung der Unternehmen. Die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung ist notwendige Voraussetzung für den Beitrag der Wirtschaft zur Zielerreichung.
3. Investitionen in 4.0 fördern Für Investitionen in moderne Ausrüstungsgüter, Produktionsverfahren und wissensbasiertes Kapital (Software, Design, Patente, Organisationskapital) sollten vergünstigte Abschreibungsregeln bzw. Investitionszuschüsse vor allem für mittelständische Unternehmen gewährt werden. Die Verkürzung von Abschreibungsfristen auf höchstens drei Jahre für alle relevanten Investitionsgüter und darauf bezogenen Dienstleistungen wäre ein gangbarer Weg. Spezifische Zuschüsse für kleine Unternehmen, wie es sie in einzelnen Bundesländern bereits gibt, wären ebenfalls zielführend. Die europarechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere im Wettbewerbs- und Beihilferecht, für solche Maßnahmen sollten zügig geklärt werden. Die Bundesregierung sollte sich in der EU für eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Investitionsförderung einsetzen. 4. Energetische Gebäudesanierung fördern Eine steuerliche Förderung zur energetischen Sanierung im Gebäudebereich im Volumen von zwei Milliarden Euro pro Jahr ist geeignet, die Sanierungsquote im Bestand mindestens zu verdoppeln. Zugleich könnten mit einer solchen Maßnahme erhebliche Investitionen im Mittelstand und Handwerk ausgelöst und über einen längeren Zeitraum eine erhebliche Zahl von neuen Arbeitsplätzen geschaffen werden. Positive Ausstrahleffekte auf den gesamten Energieeffizienzmarkt wären damit verbunden. Zudem sollte das erfolgreiche CO2Programm der KfW über das Jahr 2018 hinaus bei mindestens zwei Milliarden Euro verstetigt werden. 5. Investitionen in Verkehrswege gemäß Plan erhöhen Die bedarfsgerechte Finanzierung der Verkehrswege des Bundes in der 19. Wahlperiode ist mit durchschnittlich etwa 15 Milliarden Euro laut Bundesverkehrswegeplan vorgesehen. Dies würde eine deutliche Erhöhung gegenüber den heutigen Ist-Ausgaben darstellen. Vordringlich sind eine Stärkung der Planungskapazitäten, eine Beschleunigung des Planungsrechts und die tatsächliche Nutzung von etwa 14 Milliarden Euro für Substanzerhalt, Neu- und Ausbau pro Jahr. Zudem sollte eine Kompensation für die in 2019 auslaufenden Landesprogramme des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes in Höhe von 1,34 Milliarden Euro gefunden werden, damit auch weiterhin Investitionen in die kommunalen Verkehrswege sichergestellt werden.
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IV. Wirtschaftspolitische Reformen Reformen zur Erhöhung des Wachstumspotenzials Die finanzpolitischen Prioritäten zugunsten von Wachstum und Investitionen müssen durch wirtschaftspolitische Reformen ergänzt werden, mit denen die Investitionen gefördert werden. 6. Investitionshindernisse in der Bautätigkeit beseitigen Dazu müssen die Barrieren für öffentlichen Hoch- und Tiefbau abgebaut, die Planungs- und Durchführungskompetenzen von Kommunen durch geeignete Beratungsgesellschaften, der Privatwirtschaft und ggf. der Bundesländer genutzt und gesetzliche Hindernisse für die Wohnungsbautätigkeit beseitigt werden. Ein öffentliches Bauprogramm für zusätzliche Bildungseinrichtungen, um die Migranten mit vorschulischen und schulischen Dienstleistungen versorgen zu können, ist ebenfalls notwendig. 7. Breitbandnetze für die Gigabit-Gesellschaft zügig vorantreiben Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu sichern, müssen bis 2025 Gigabit-Infrastrukturen im Fest- und Mobilfunknetz flächendeckend bedarfsgerecht verfügbar sein. In Regionen, in denen kein eigenwirtschaftlicher Ausbau möglich ist, sollten gigabitfähige Infrastrukturen technologie- und anbieterneutral gefördert werden. Der BDI unterstützt das aktuelle Bundesförderprogramm für den Breitbandausbau in Höhe von vier Milliarden Euro. Ziel muss sein, so viel wie möglich an privaten, eigenwirtschaftlichen und wettbewerbs offenen Investitionen in den Breitbandausbau auszulösen. Eine Anschlussfinanzierung des aktuellen Förderprogramms ist sicherzustellen. Neben der Förderung des Anschlusses von Gewerbegebieten an Glasfasernetze sollte künftig auch die Anbindung von Industrie unternehmen außerhalb solcher Gebiete unterstützt werden. Gleiches gilt für die Anbindung entlang der Verkehrswege. 8. Produktmarktreformen voranbringen und Regeln für digitale Wirtschaft anpassen Seit der Meister-Reform vor gut einem Jahrzehnt hat Deutschland keine größere Produktmarktreform mehr beschlossen. Die konsequente Vertiefung von Produktmarktreformen in hoch regulierten Dienstleistungsbranchen bietet zahlreiche Wachstumschancen, auf die die internationalen Organisationen seit Jahren
zu Recht verweisen. Dies betrifft u. a. die Regulierung von freien Berufen, Apothekern, den Schienenverkehr oder bestimmte Aspekte anderer Netzindustrien. Die Produktivitätsentwicklung verlief in den Dienstleistungsbranchen in Deutschland auch im internationalen Vergleich besonders schwach und bedarf dringend der politischen Impulse (die Wertschöpfung pro Kopf in wirtschaftsnahen Dienstleistungen liegt unter 70 Prozent des Niveaus des Verarbeitenden Gewerbes). Zudem sollte eine Expertenkommission die Produktmarktregulierungen auf ihre Passtauglichkeit für die Entwicklung der digitalen Wirtschaft hin überprüfen und Empfehlungen ausarbeiten. 9. Finanzierung von Industrie 4.0 und digitaler Wirtschaft vorantreiben Die Bundesregierung sollte ein Arbeitsprogramm „Finanzierung von Industrie 4.0“ auf den Weg bringen. Der erfolgreiche digitale Wandel verlangt maßgeschneiderte Finanzlösungen der Kreditwirtschaft, die durch eine umsichtige Bankenregulierung unterstützt und durch eine passgenaue Förderpolitik sowie verbesserte Rahmenbedingungen für privates Wagniskapital flankiert werden müssen. Öffentliche Förderprogramme müssen dazu weiterentwickelt werden, etwa durch Anpassungen hinsichtlich der förderfähigen Kosten, der Finanzierungslaufzeiten, der finanziellen Unterstützung von Unternehmenskooperationen und der Risikoteilung, z. B. durch Garantien bzw. Bürgschaften und Haftungsfreistellungen. Überzogene Banken- und Finanzmarktregulierungen müssen auf den Prüfstand. Diverse Regulierungsvorhaben schießen eindeutig über das Ziel hinaus, z. B. bei der Kapitalunterlegung von Krediten. Dies erschwert die Langfristfinanzierung und den Erfolg von Industrie 4.0. 10. Rahmenbedingungen für Wagniskapital weiter verbessern Deutschland muss zudem als Investitionsstandort für privates Wagniskapital attraktiver werden. Dazu müssen bestehende steuerliche, rechtliche und regulatorische Hürden weiter abgebaut werden. Dies kann durch folgende Schritte erfolgen: die Einführung einer Innovationsklausel zum Erhalt von Verlusten in Höhe der F&E-Aufwendungen; eine gesetzlich verankerte Steuertransparenz von Venture Capital-Fonds; die weitere Optimierung des INVEST-Zuschussprogramms für Wagniskapital; die Schaffung eines attraktiveren europäischen Rechtsrahmens für Crowdfunding-Aktivitäten;
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die Einführung der Europäischen Privatgesellschaft (SPE); die Beseitigung kostspieliger bürokratischer Lasten für Start-ups; die Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen für Börsengänge von Startups, etwa durch ein Börsensegment für wachstumsorientierte Unternehmen, sowie den Abbau zu enger regulatorischer Vorgaben für VC-Investitionen von institutionellen Anlegern.
Rentenversicherung wieder abgeschafft und die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 konsequent umgesetzt werden. Langfristig darf angesichts einer steigenden Lebenserwartung auch die weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters kein Tabu sein, um die ohnehin anwachsende Belastung der jüngeren Generation zu begrenzen. Zudem sollten die Übergänge in die Rente noch flexibler gestaltet werden.
Reformen für Beschäftigung fortführen
13. Die Steuer- und Abgabenbelastung für Geringverdiener absenken
Deutschlands Erwerbspersonenpotenzial wird in den nächsten Jahrzehnen voraussichtlich sinken. Das genaue Ausmaß hängt von vielen Faktoren, unter anderem der Migration, ab. Gleichwohl sind trotz vieler Fortschritte im letzten Jahrzehnt bei der Integration von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in den Arbeitsmarkt noch einige Gruppen unterdurchschnittlich am Erwerbsleben beteiligt. Dies trifft u. a. auf Frauen, ältere Arbeitnehmer und Migranten zu. Ein Bündel von Maßnahmen ist erforderlich, um die Erwerbsbeteiligungsquoten dieser dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Gruppen weiter zu erhöhen, den Arbeitseinsatz generell zu erhöhen und dadurch einen Impuls für das Wachstums potenzial auszulösen. Zugleich würde dies zum Ziel beitragen, ein möglichst inklusives Wachstum und eine gleichere Einkommensverteilung zu befördern. 11. Die Barrieren für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter absenken Zur weiteren Erhöhung der Erwerbsbeteiligungsquoten von Frauen sollte ein bedarfsgerechtes und flächendeckendes sowie qualitativ hochwertiges Angebot an Kinderbetreuung, frühkindlicher Bildung und Ganztagsschulen konsequent auf- und ausgebaut und budgetiert werden. Dies erleichtert neben einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Eltern auch die Aufnahme einer vollzeitnahen Tätigkeit. Zudem sollten Fehlanreize für die Aufnahme der Erwerbstätigkeit vor allem im Sozialversicherungssystem wie die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung abgebaut werden. 12. Die Erwerbschancen von älteren Arbeitnehmern verbessern Zur weiteren Erhöhung der Erwerbsbeteiligungsquoten von älteren Arbeitnehmern sollte einerseits auf verstärkte Fortbildung gesetzt werden, andererseits sollten Frühverrentungsanreize in der gesetzlichen
Die Steuer- und Abgabenbelastung des Faktors Arbeit liegt in Deutschland auch im internationalen Vergleich auf sehr hohem Niveau. Dies wirkt sich unter anderem langfristig vor allem als Beschäftigungsbremse für Niedrigqualifizierte oder Geringverdiener allgemein aus. Die hohe Belastung dieser Gruppen liegt vor allem an den hohen lohnbezogenen Sozialbeiträgen. So liegt die Abgabenbelastung der Löhne bei Durchschnittsverdienern (Singles) bei 39,5 Prozent und bei Personen mit Löhnen, die nur die Hälfte des Durchschnittsverdienstes ausmachen, noch immer bei 31 Prozent. Daher sollten die Beschäftigungs- und Einkommenschancen der Geringverdiener durch eine spürbare Absenkung des Steuer- und vor allem des Abgabenkeils verbessert werden. Sinnvoll wäre es auch, im SGB II die Hinzuverdienstregeln so zu ändern, dass die Aufnahme einer vollzeitnahen Tätigkeit attraktiver wird. Zudem ist eine behutsame, mehrjährige Überprüfung und Korrektur der zahlreichen, derzeit über Beiträge finanzierten allgemeinen sozialpolitischen Staatsaufgaben erforderlich, die gerade in der letzten Wahlperiode erneut gegen alle ordnungs- und sozialpolitischen Grundsätze ausgeweitet worden sind. Versicherungsfremde Leistungen müssen zunehmend adäquat über allgemeine Haushaltsmittel finanziert werden. Finanzielle Spielräume zur tragfähigen Absenkung der Beitragslasten sollten vorrangig genutzt werden. All dies würde dazu beitragen, die Abgabenbelastung des Faktors Arbeit deutlich zu senken und die Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben nicht mehr einseitig den Beitragszahlern aufbürden. Es würde zudem gerade für die Beschäftigten im Niedriglohnsektor die Einkommens- und Beschäftigungschancen verbessern. 14. Eintrittsbarrieren in den Arbeitsmarkt günstig gestalten Gerade für Menschen mit geringer Qualifikation oder auch Berufseinsteiger haben sich flexible
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Beschäftigungsformen wie die Zeitarbeit oder befristete Beschäftigungsverhältnisse als Sprungbrett in reguläre Beschäftigung erwiesen. Es gilt daher, die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt nicht durch überzogene Regulierungen weiter einzuschränken und damit die Erfolge der Arbeitsmarktreformen der Vergangenheit wieder zunichte zu machen.
17. Stärkere Anreize für Bildungsanstrengungen der Erwerbsbevölkerung setzen
15. Integration von Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft vorantreiben und anspruchsvolles Integrationsziel verfolgen Zur Stärkung der Erwerbsbeteiligung von Flüchtlingen sind die mit dem Integrationsgesetz auf den Weg gebrachten Erleichterungen umzusetzen. Eine weitere Flexibilisierung und Erleichterung der Zugangsregelungen zum Arbeitsmarkt, z. B. eine flächendeckende Aussetzung der Vorrangprüfung sowie eine vollständige Abschaffung des Beschäftigungsverbots in der Zeitarbeit, sollten geprüft werden. Der Zugang zu Bildung, Integrations- und Sprachkursen muss sichergestellt werden. Notwendig ist vor diesem Hintergrund ein ausreichendes und flächendeckendes Angebot an Integrations- und Sprachkursen. Zielführend ist es, Ziele für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu setzen und die öffentlichen Maßnahmen an dieser Zielerreichung auszurichten und mit entsprechenden Mitteln zu versehen. Schätzungen zu den Integrationsherausforderungen liegen seitens der Wirtschaftswissenschaft bereits vor. Die Qualifikation der Arbeitskräfte erhöhen 16. Die Ausbildung von Fachkräften stärken Wir brauchen einen Fachkräftenachwuchs, der in der Lage ist, die neuen Anforderungen des digitalen Arbeitslebens zu erfüllen. Dazu muss stärker in den Erhalt einer flächendeckenden Berufsschul-Versorgung (auch in ländlichen Regionen) und den entsprechenden Ausbau der Berufsschulen investiert werden. Die staatliche Förderung von Ausstattungsinvestitionen in Berufsschulen muss mit der Förderung von neuen pädagogischen Konzepten verknüpft werden. Das Ausbildungsund Lehrpersonal an Berufsschulen, insbesondere im Bereich technologischer Entwicklungen, muss fortlaufend weitergebildet werden. Zudem muss der Kontakt und Austausch zwischen Berufsschulen und Betrieben intensiviert und die technologie-offene Kompetenzentwicklung in Ausbildungsordnungen beibehalten werden.
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Angesichts der durch den Strukturwandel absehbaren Erhöhung der Anforderungen an die Qualifikation von Beschäftigten halten wir es für sinnvoll, eine Bildungsprämie für Arbeitnehmer einzuführen bzw. bestehende Ansätze auszubauen. Wir schlagen ein „Bildungsgeld“ vor, welches wahlweise für Maßnahmen zur Weiterbildung und des lebenslangen Lernens als Zuschuss oder steuerlicher Freibetrag gewährt wird. Entscheidend ist, aus der Vielzahl kleiner Förderbeträge des Bundes und der Länder eine schlagkräftige Förderung insbesondere für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen zur Unterstützung der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens zu schaffen, um einen Durchbruch in der Weiterbildung zu erzielen. Diese verharrt bislang auf niedrigem Niveau. Die Budgetierung ist anfänglich nicht entscheidend, da die Förderung überhaupt erst bekannt und angenommen werden muss.
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Impressum Herausgeber Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) Breite Straße 29 10178 Berlin T: +49 30 2028-0 www.bdi.eu Redaktion Dr. Klaus Günter Deutsch, Abteilungsleiter Abteilung Research, Industrie und Wirtschaftspolitik Konzeption & Umsetzung Sarah Pöhlmann, Referentin Abteilung Marketing, Online und Veranstaltungen Layout Tilman Schmolke www.europrint-medien.de Druck Das Druckteam Berlin www.druckteam-berlin.de Verlag Industrie-Förderung GmbH, Berlin Stand März 2017 BDI-Publikations-Nr. 0052
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