GLOBALER WACHSTUMSAUSBLICK
Asien und Europa treiben Weltwirtschaft voran
Juli 2017
Die Weltkonjunktur zieht seit Jahresbeginn unerwartet stark an. Wir rechnen mit einem Plus der realen Wirtschaftsleistung von 3,6 Prozent weltweit. China, Japan und der Euroraum geben zentrale Impulse.
Der Welthandel und die Industrieproduktion legen kräftig zu. In Asien, Nordamerika, Westeuropa und den Rohstoffländern wachsen die Exporte deutlich. Die Industrieproduktion steigt im Euroraum und in Japan.
Bislang trotzen die Märkte den protektionistischen Risiken. Der Brexit gefährdet den Außenhandel in Europa. Die US-Handelspolitik bleibt weiterhin unbestimmt, das Risiko weiterer Handelskonflikte bleibt hoch.
Ein fiskalpolitischer Impuls in den USA ist für dieses Jahr nicht mehr zu erwarten. Ein klarer Kurs der Finanzpolitik ist zwischen Budgetentwurf und Steuerplänen nicht erkennbar. Wir erwarten 2,1 Prozent Wachstum.
Ein schwächerer US-Dollar stützt die Konjunktur in China und in vielen Schwellenländern. Die Aufwertung des Euro ist verkraftbar und hält die Ölrechnung in Schach. Die Rohstoffpreise entwickeln sich seitwärts.
Regional gibt es weiterhin Licht und Schatten. Südamerika und Russland ziehen an. Der Nahe Osten und Nordafrika sowie Afrika südlich der Sahara vermelden dagegen konjunkturelle Abschwächungen.
Das Anziehen des Welthandels wirkt sich positiv auf die deutsche Konjunktur aus. Exporte und Investitionen sollten im Jahresverlauf unerwartet starken Auftrieb erfahren.
Asien und Europa treiben Weltwirtschaft voran. 27/07/2017
Inhaltsverzeichnis Weltmärkte im politischen Stress ...................................................................................................................... 3 Auftrieb im ersten Halbjahr ................................................................................................................................. 3 Welthandel zieht wieder an, Ölpreise bleiben auf moderatem Niveau ................................................................... 3 Preisauftrieb bleibt weiter schwach........................................................................................................................ 4 Produktivität weltweit zu schwach.......................................................................................................................... 5 Wechselkurse mit geringen Anpassungen ............................................................................................................. 5 Finanzpolitik weiterhin in der Summe neutral ........................................................................................................ 6 Kapitalmarktrenditen ziehen leicht an, von sehr niedrigem Niveau aus ................................................................. 7 Geldpolitik stützt weiterhin ..................................................................................................................................... 7 USA: Bessere Aussichten nach schwachem Start ins Jahr 2017 ................................................................... 8 US-Wirtschaft erholt sich langsam von niedrigem Ölpreis und starkem Dollar ...................................................... 8 Arbeitsmarkt sendet gemischte Signale und nähert sich der Vollbeschäftigung .................................................... 9 Fed setzt restriktiveren Kurs fort ............................................................................................................................ 9 Steuerreform: Gut für die Konjunktur, doch problematisch für Haushaltsdefizit und Schuldenstand ..................... 9 China: Wachstum hält an .................................................................................................................................. 10 Starkes erstes Halbjahr 2017 .............................................................................................................................. 10 Schleppende Umsetzung der Reformpläne ......................................................................................................... 11 Schulden steigen weiter, Schuldendynamik sinkt jedoch..................................................................................... 11 Richtungsweisender Parteitag im Herbst ............................................................................................................. 11 Japan: Konjunktur nimmt weiter Fahrt auf ...................................................................................................... 11 Europa: Überraschung im ersten Halbjahr ...................................................................................................... 12 Geld- und zinspolitische Wende lässt noch auf sich warten ................................................................................ 13 Politische Unsicherheit nimmt ab, Vertrauen in Aufschwung steigt ..................................................................... 13 Globales Finanzsystem stabilisiert sich, Risiken bleiben .............................................................................. 13 Banken bauen Eigenkapital auf und lösen strukturelle Probleme nur langsam ................................................... 14 Risikoaufschläge auf Staatsanleihen sinken wieder leicht ................................................................................... 15 Regionale Entwicklungen ................................................................................................................................. 16 Welthandel: Kräftiges Wachstum im laufenden Jahr wahrscheinlich .......................................................... 17 Ausländische Direktinvestitionen .................................................................................................................... 18 Weltweite Industrieproduktion zum Jahresbeginn deutlich gestiegen ......................................................... 18 Entwickelte Volkswirtschaften: breit angelegter Aufschwung .............................................................................. 18 Schwellenländer: Asien boomt, Lateinamerika in Langzeitrezession .................................................................. 19 Konsequenzen für die deutsche Konjunktur................................................................................................... 20 Quellenverzeichnis ............................................................................................................................................ 21 Impressum ......................................................................................................................................................... 22
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Asien und Europa treiben Weltwirtschaft voran. 27/07/2017
Weltmärkte im politischen Stress Vor einem halben Jahr rechneten wir noch mit einer deutlichen Belebung der US-Konjunktur durch die sehr aggressiven finanzpolitischen Pläne der gerade frisch gewählten US-Administration sowie des Kongresses. Regieren aus einer parteipolitischen Hand kommt in den Vereinigten Staaten schließlich nicht oft vor. Seither sind die Weltmärkte zunächst in eine Phase erwarteter wirtschaftsfreundlicher, aber möglicherweise handelsfeindlicher Kursänderungen in den USA gestürmt, um dann ab Frühjahr sich auf eine Fortsetzung des Status quo zumindest in diesem Jahr einzustellen. Das Auf und Ab der Erwartungen spielte sich vor allem an den Finanzmärkten ab, einschließlich dem Devisenmarkt. Seither ist die Welt überrascht worden, und zwar nicht von den Daten aus den USA, sondern von den Daten aus Peking, Tokio, Paris, Berlin und Frankfurt/Main. Trotz aller Sorgen vor protektionistischen Gefahren, die auch weiterhin fortbestehen, haben sich die konjunkturellen Perspektiven in vielen Regionen außerhalb der Vereinigten Staaten kräftig aufgehellt, während die Erwartungen für die USA sanken. Nur selten gab es in den letzten Jahrzehnten ein solch starkes Auseinanderlaufen zwischen positiven wirtschaftlichen Entwicklungen und steigenden politischen Risiken für die internationale Arbeitsteilung wie derzeit. Während durch die neue US-Administration, den Brexit und asiatische Sicherheitsthemen die politische Unsicherheit über die globale Wirtschaftsordnung im letzten Halbjahr deutlich zugenommen hat, befinden sich die Weltmärkte auf überraschend gutem wirtschaftlichem Kurs.
Auftrieb im ersten Halbjahr Wir rechnen in 2017 mit einem Anstieg der realen Produktion in der Weltwirtschaft gegenüber dem Vorjahr um 3,6 Prozent. Die Frühjahrsprognosen der internationalen Wirtschaftsorganisationen liegen bei 3½ Prozent, unterzeichnen aber wohl die konjunkturelle Erholung noch; einige der harten Daten für das zweite Quartal übertrafen die Erwartungen. Zwar spricht manches dafür, dass in einigen großen Volkswirtschaften das zweite Halbjahr nicht ganz zu schwungvoll wie das erste verlaufen sollte, aber gleichwohl kommen die meisten Konjunkturanalysten nicht mit ihren Hochrevisionen hinter den guten Datenlagen her. Auch nächstes Jahr könnte es derzeitiger Politik und Marktlage nach der jüngsten Schätzung des IWF bei diesem Tempo bleiben (3,6 Prozent). Zudem: mit rund 3,6 Prozent realem Produktionswachstum erreicht man zwar noch nicht den 20-Jahres-Durchschnitt aus der Zeit vor der Krise (1987-2007) in Höhe von vier Prozent, aber die Konjunktur nimmt weiter Fahrt auf. Wir rechnen für die Industrieländer mit einem Anstieg des realen BIP in diesem Jahr von zwei Prozent und für die Schwellen- und Entwicklungsländer von 4,6 Prozent. Die Industrieproduktion zieht weltweit ebenfalls an; auch die Einkaufsmanagerindizes haben sich im ersten Halbjahr gut entwickelt und signalisieren fast überall eine Expansion. Die konjunkturelle Belebung hat ihren regionalen Ausganspunkt vor allem in Asien und Europa. China wächst leicht über den Erwartungen. Brasilien und Russland können den Verfall der Produktion stoppen und wachsen wieder. Die Erwartungen an Indiens Wachstumspfad sind dagegen einhellig auf rund sieben Prozent und um gut einen halben Punkt abwärtsrevidiert worden. Welthandel zieht wieder an, Ölpreise bleiben auf moderatem Niveau Der größte Unterschied zum letzten Jahr wird wohl die Wiederbelebung des Welthandels darstellen, der dieses Jahr mit vier Prozent zulegen dürfte (IWF 2017b). Dies ist getragen von einer stärkeren Nachfrage nach Investitionsgütern in Asien und bei den Rohstoffexporteuren, vor allem den Ölländern, aber auch von einer besseren Investitionskonjunktur in Nordamerika und Westeuropa. Die Ölpreise blieben zwar mit ca. 55 US-Dollar für das Fass Brent im ersten Quartal 2017 auf moderatem Niveau, sind dann aber im zweiten Quartal 2017 aufgrund einiger Angebotseffekte auf rund 45 Euro Ende Juni gesunken. Mittelfristig dürften sich die Preise wieder leicht erholen und den Ölfutures zufolge in einer Spanne von 50 bis 60 US-Dollar liegen.
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Asien und Europa treiben Weltwirtschaft voran. 27/07/2017
Prognoseübersicht: Wachstum der realen Wirtschaftsleistung 2016/17/18 in Prozent
2016
2017
IWF1
OECD2
EUKOM3
Welt
3,2
3,04
3,0
USA
1,6
1,6
China
6,7
Japan
1,0
2018
OECD2
EUKOM3
IWF1
OECD2
EUKOM3
3,5
3,54
3,4
3,6
3,6
3,6
1,6
2,1
2,1
2,2
2,1
2,4
2,3
6,7
6,7
6,7
6,6
6,6
6,4
6,4
6,3
1,0
1,0
1,3
1,4
1,2
0,6
1,0
0,6
EU
IWF1
1,8
1,7
1,8
Eurozone
1,8
1,7
1,9
1,9
1,8
1,9
1,7
1,8
1,9
Deutschland
1,8
1,8
1,9
1,8
2,0
1,6
1,6
2,0
1,9
Frankreich
1,2
1,1
1,2
1,5
1,3
1,4
1,7
1,5
1,7
Italien
0,9
1,0
0,9
1,3
1,0
0,9
1,0
0,8
1,1
Spanien
3,2
3,2
3,2
3,1
2,8
2,8
2,4
2,4
2,4
Großbritannien
1,8
1,8
1,8
1,7
1,6
1,8
1,5
1,0
1,3
Indien
7,15
7,1
7,1
7,25
7,3
7,2
7,7
7,7
7,5
Brasilien
-3,6
-3,6
-3,6
0,3
0,7
0,5
1,3
1,6
1,8
Russland
-0,2
-0,2
-0,2
1,4
1,4
1,2
1,4
1,6
1,4
1: IWF (2017). Stand Juli. 2: OECD (2017). Stand Juni. 3: Europäische Kommission (2017). Stand Mai. 4: Prognose auf Grundlage von 70 Prozent des Welt-BIP (in Kaufkraftparitäten von 2013) 5: Angaben zu Indien für das Fiskaljahr und in laufenden Preisen
Preisauftrieb bleibt weiter schwach An der Preisfront tut sich weltweit insgesamt sehr wenig. In den Industrieländern wird der Schnitt 2017 bei knapp zwei Prozent liegen, der IWF rechnet mit 1,9 Prozent (IWF 2017f); dies gilt für die Inflationsrate insgesamt, aber auch für die Kernraten (OECD 2017). Während die Inflationsziele der Notenbanken in Japan und im Euroraum noch nicht erreicht sind, lag die Kernrate (ohne Energie und Nahrungsmittel) in den Vereinigten Staaten zuletzt bereits bei knapp über zwei Prozent. Das Vereinigte Königreich hat höhere Inflationsraten von über zwei Prozent aufzuweisen, vor allem im Zuge der temporären Abwertung des Pfund Sterling. Die OECD rechnet für dieses Jahr mit einem Wert von 2,8 Prozent. In den Entwicklungs- und Schwellenländern wird die Inflationsrate bei knapp fünf Prozent liegen. Die Kernrate lag im ersten Quartal mit rund 3,5 Prozent jedoch auf keinem bedenklichen Niveau. Die Inflationserwartungen (über zehn Jahre) sind bis zum Frühjahr für die Industrieländer auf gut 1,7 Prozent angestiegen, während für die Schwellenländer eine weitere Stabilisierung bei leicht über drei Prozent eingepreist ist.
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Asien und Europa treiben Weltwirtschaft voran. 27/07/2017
Der verhaltene Ausblick bei den Preisen hängt mit einer Vielzahl von Faktoren zusammen. Zwar haben sich die Produzentenpreise in Asien wieder durch die Erholung der chinesischen Investitionskonjunktur aus dem negativen Territorium in dynamische Gefilde in der Nähe von zehn Prozent Zunahme gegenüber Vorjahr entwickelt. Generell bleibt aber die Lohndynamik in den Industrieländern hinter den Erwartungen zurück. In einigen Ländern wirken eine hohe Arbeitslosigkeit und eine begrenzte Kreditausweitung in der Folge von öffentlichen und privaten Bilanzrezessionen noch bremsend, in anderen Ländern auch strukturelle Effekte auf dem Arbeitsmarkt und im Tarifsystem (etwa eine geringere Tarifbindung bzw. ein niedriger Organisationsgrad der Gewerkschaften). Daher verläuft auch die Reallohnentwicklung schleppender als es durch die sich aufhellenden Fundamentaldaten zu erwarten wäre. Dies gilt v.a. für den Euroraum, Japan und die USA. Insbesondere in den USA und Japan ist das erklärungsbedürftig, da die Arbeitsmärkte bereits Vollbeschäftigung aufweisen (und allmählich sogar einen Tick mehr in Japan). Produktivität weltweit zu schwach Die schwache Entwicklung der Reallöhne liegt hauptsächlich an einer weltweit noch immer zu schwachen Entwicklung der totalen Faktorproduktivität. Eine zu geringe Investitionstätigkeit, ein Auslaufen der positiven Effekte des Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien im letzten Jahrzehnt, die Alterung der Bevölkerungen in der OECD-Welt, aber auch in vielen Ländern Asiens (IWF 2017b), eine mehrjährige Abschwächung der Handelsintegration, geringe Fortschritte bei Bildung und bei der Ausgestaltung von wachstumsfreundlicheren Steuersystemen, eine abnehmenden Wettbewerbsintensität auf den Produktmärkten und ein abgeschwächter Diffusionsmechanismus für technischen Fortschritt zwischen Weltmarktführern und der großen Anzahl kleiner und mittlere Unternehmen wirken schon seit einigen Jahren dämpfend auf Produktivität und Reallohnentwicklung (siehe auch OECD 2017). In einigen Krisenländern haben die Fehlallokationen von Kapital und die lang anhaltenden Überschuldungen des Sektors der nicht-finanziellen Unternehmen in Verbindung mit Bilanzproblemen im Bankensektor die Investitionstätigkeit so weit gebremst, dass der technische Fortschritt massiv gelitten hat (IWF 2017). Zwar hat die Produktivität in den Industrieländern den Krisenkeller von 2008/09 verlassen und in den Jahren von 2011 bis 2016 im Schnitt wieder ein leichtes Plus von durchschnittlich 0,3 Prozent gegenüber Vorjahr erreicht (IWF 2017). Mit dem Anziehen der Investitionstätigkeit sollte eine weitere Erholung des Produktivitätswachstums auf 0,7 Prozent in den Projektionen im Jahresdurchschnitt von 2017 bis 2022 möglich sein (gewichtet nach Wirtschaftsleistung auf Basis von Kaufkraftparitäten), aber das ist noch immer deutlich weniger als im Schnitt der anderthalb Jahrzehnte vor der Krise (der Durchschnitt von 2000-2007 lag bei einem Prozent). In den Entwicklungs- und Schwellenländern sieht es bei allen Trends sehr ähnlich aus. Erreichten diese Länder vor der Krise noch Zuwächse von durchschnittlich 2,8 Prozent pro Jahr, so fielen sie zwischen 2011 und 2016 auf 1,3 Prozent ab. Bis 2022 könnte die Rate wieder auf 1,9 Prozent ansteigen. Wechselkurse mit geringen Anpassungen Die Entwicklung im Außenwert der wichtigsten Währungen verlief im letzten halben Jahr etwas uneinheitlich. Während nach der Wahl von Präsident Trump der Außenwert des US-Dollars zunächst einen gewissen Auftrieb erfuhr, schwächte sich nach den Verzögerungen im politischen Entscheidungsprozess zur geplanten US-Steuerreform der Außenwert im Frühjahr wieder ab. Nach einem deutlichen Anziehen des Dollarkurses im ersten Quartal kam die Korrektur im Frühjahr. So wertete der US-Dollar real und handelsgewichtet seit März um 3,5 Prozent ab, während der Euro im ersten Quartal noch leicht abwertete und dann ebenfalls real und handelsgewichtet seit März um 3,5 Prozent zulegte. Im zweiten Quartal zog auch der Yen zum US-Dollar wieder deutlich an. Das Pfund Sterling fasste im ersten Halbjahr wieder Fuß und wertete auf. Unter starken Aufwertungsdruck gerieten auch der koreanische Won und der Neue Taiwan-Dollar. Von den Währungen der Schwellenländer kam im ersten Quartal vor allem die türkische Lira mit mehr als zehn Prozent Abwertung heftig unter Druck, während der russische Rubel stark (über 15 Prozent) aufwertete. Der brasilianische Real legte zunächst getrieben vom besseren Konjunkturausblick leicht zu, sank dann aber im Juni angesichts der Korruptionsprobleme wieder ab. Die realen Zinssätze liegen in Russland und Brasilien bei fünf bzw. sieben Prozent und damit nach wie vor auf sehr hohem Niveau.
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Insgesamt werteten die Währungen der Entwicklungs- und Schwellenländer im ersten Halbjahr um vier Prozent gegenüber dem US-Dollar auf und um drei Prozent gegenüber dem Euro ab. Im zweiten Halbjahr dürfte sich dieser Trend wohl nicht mehr fortsetzen (Deutsche Bank 2017).
Entwicklung der Wechselkurse zum US-Dollar
1,20
0,85
125
7,0
120
6,9
115
6,8
110
6,7
105
6,6
100
6,5
95
6,4
0,80 1,15
0,75 1,10 0,70
1,05 0,65
1,00
0,60
Euro (linke Achse) Pfund Sterling (rechte Achse)
Renminbi (rechte Achse) Yen (linke Achse)
Quelle: Macrobond
Finanzpolitik weiterhin in der Summe neutral Der weltweite Mix der Wirtschaftspolitik ist auch im ersten Halbjahr des Jahres von einem Missverhältnis in den wirtschaftspolitischen Feldern geprägt. Während die Geldpolitik weltweit weiterhin stützt, ist die Finanzpolitik in der Summe neutral. Die Strukturpolitik hat mit wenigen Ausnahmen dagegen kaum positive Effekte auf Wachstum und Beschäftigung aufzuweisen. Japan und einzelne europäische Staaten sind die Ausnahme von der Regel. In der Finanzpolitik ist die konjunkturelle Ausrichtung in der Welt in der Summe weiterhin neutral, wenn auch in vielen Ländern für das Jahr 2017 eine leichte Expansion im finanzpolitischen Kurs angelegt ist, u.a. in Deutschland und Kanada. Einige andere Länder wie Frankreich und Italien werden dagegen auf die Bremse treten werden. Japan wird 2017 in etwa seitwärts fahren, plant aber 2018 die aufgeschobene Mehrwertsteuererhöhung durchzuführen. Der Kurs der USA ist noch nicht klar, dürfte jedoch in diesem Jahr auch ohne Steuerreform leicht
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Asien und Europa treiben Weltwirtschaft voran. 27/07/2017
expansiv ausfallen. Die Haushaltsdefizite werden sich bei fortgesetztem Kurs für die Industrieländer kaum von ihrem Niveau von drei Prozent der Wirtschaftsleistung aus verbessern. In den Schwellenländern dürfte sich dagegen eine leichte Konsolidierung in Richtung drei Prozent in den nächsten fünf Jahren abzeichnen. Da sich in der Geldpolitik je nach Region eine unterschiedlich schnelle Rückführung geldpolitischer Stimuli abzeichnet, wird die Finanzpolitik etwas stärker gefordert sein, die Erholung zu stützen und Wachstumsimpulse durch eine strukturell wachstumsfreundlichere Ausrichtung zu setzen. In der Finanzpolitik gibt es 2017 nur in wenigen Fällen Reformen zur stärkeren Ausrichtung an der Wachstumspolitik, etwa bei der Ausgestaltung von Steuersystemen oder der wachstumsorientierten Ausrichtung zugunsten von Bildung, Innovation, Investitionen und Infrastruktur in den öffentlichen Haushalten selbst (OECD 2017). Mehrere Regierungen planen jedoch Senkungen der Unternehmenssteuern dieses oder nächstes Jahr, u.a. die Vereinigten Staaten, Frankreich und das Vereinigte Königreich. Immerhin kommt die finanzpolitische Konsolidierung insbesondere in Europa voran, vor allem gemessen an den einfacheren Indikatoren wie Nettokreditaufnahme in Relation zur Wirtschaftsleistung oder der Schuldenstandquote (Europäische Kommission 2017). Die anziehende Konjunktur und der Abbau der Arbeitslosigkeit wirken ebenso positiv wie der Schuldendienst der öffentlichen Hand dank der niedrigen Zinssätze. China, Japan und die Vereinigten Staaten verfolgen dagegen keine erkennbare Wachstums- oder Konsolidierungsstrategie in der Finanzpolitik; China stimulierte die Wirtschaft über Infrastrukturausgaben, übte aber stärkere Disziplin in der direkten Kreditsteuerung über die Bankenregulierung aus. Kapitalmarktrenditen ziehen leicht an, von sehr niedrigem Niveau aus Im derzeitigen Umfeld wird dieses in der Regel wenig ambitionierte finanzpolitische Verhalten der großen Volkswirtschaften von den Märkten jedoch nicht sanktioniert. Angesichts der geringen strukturellen Wachstumsdynamik generell und einiger vorerst ausbleibender Impulse sanken sogar die Anleiherenditen in jüngster Zeit in einigen Ländern wieder leicht ab. Dies sollte jedoch nicht den Blick ablenken von dem allmählichen Anziehen der Kapitalmarktrenditen als überjährigem Trend. So stiegen die Kapitalmarktrenditen in den USA seit drei Jahren sukzessive an und liegen nun für zehnjährige Staatsanleihen wieder klar über zwei Prozent. Zudem gelang die Einleitung der Normalisierung in der Geldpolitik zwar mit Nervositäten am Markt („taper tantrum“ 2013) in den USA, bislang jedoch ohne echte Krisenphänomene und schockhafte Anpassungen. Dieser Prozess wird sich insbesondere in den USA fortsetzen. Die OECD erwartet beispielsweise, dass die Renditen bis zum Jahresende 2018 wieder auf knapp vier Prozent ansteigen werden (OECD 2017). In zahlreichen Ländern Europas und in Japan notieren dagegen die staatlichen Benchmark-Anleihen weiterhin in negativem Territorium, u.a. 75 Prozent der deutschen ausstehenden Staatsanleihen (OECD 2017: 39), womit Deutschland einen Höchstwert aufweist. Die durchschnittliche Rendite im Euroraum liegt nur bei gut 50 Basispunkten, bei rund einem Prozent im Vereinigten Königreich und bei nahe null Prozent (bzw. zuletzt fünf Basispunkten) in Japan. In Europa dürften die Renditen in den nächsten anderthalb Jahren auf gut zwei Prozent anziehen, während in Japan das Renditeniveau noch mehrere Jahre niedrig bleiben wird Geldpolitik stützt weiterhin Dies liegt natürlich zu einem Gutteil an der fortgesetzten geldpolitischen Expansion in Europa und in Japan, die über die quantitativen Maßnahmen zwar die Wirtschaft ankurbelt, aber dafür anomale Vermögenspreisentwicklungen tolerieren muss. In Japan und der Eurozone wird die Geldpolitik noch einige Zeit auf Expansionskurs bleiben. Die EZB hat jüngst ihre Einschätzung der Lage zwar mit einem symmetrischen Risiko versehen und aufgezeigt, dass die Geldpolitik noch längere Zeit expansiv sein wird. Eine Anpassung der Instrumente – Erwartungsmanagement („forward guidance“), Kaufprogramme, Leitzinsen – sollte nur schrittweise erfolgen. Angesichts des Konjunktur- und Inflationsausblicks in den USA wird die FED weiterhin die Zinsen anheben, nach heutiger Einschätzung der Mitglieder des FED-Gouverneursrat auf 2,25 Prozent (entsprechend der mittleren Projektion) bis zum Ende des nächsten Jahres, und den Ausstieg aus den QE-Maßnahmen vorantreiben.
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USA: Bessere Aussichten nach schwachem Start ins Jahr 2017 US-Wirtschaft erholt sich langsam von niedrigem Ölpreis und starkem Dollar 2016 wuchs die US-Wirtschaft insgesamt nur um 1,6 Prozent. Gründe waren vor allem schwache Investitionen und niedrige Energiepreise. 2017 dürfte das BIP-Wachstum dagegen zulegen, auch wenn es zu Jahresbeginn noch mäßig war. Laut der dritten Schätzung des U.S. Bureau of Economic Analysis (BEA) wuchs die US-Wirtschaft im ersten Quartal 2017 auf das Jahr gerechnet um 1,4 Prozent (in europäischer Konvention: 0,35 Prozent gegenüber Vorquartal). So trugen private Konsumausgaben und Investitionen in Anlagen und Bauten den Löwenanteil zum Wachstum bei, mit leichter Stützung durch den Außenbeitrag. Schwächere private Lagerinvestitionen und öffentliche Ausgaben auf Bundesstaaten- und lokaler Ebene dämpften hingegen das Wachstum. Die US-Wirtschaft erholt sich derzeit wieder vom aufgewerteten Dollar und dem niedrigen Ölpreis. In der Folge dürften der internationale Handel und Investitionen im Energiesektor weiter zunehmen. Die Investitionsquote, also der Anteil der privaten Investitionen am BIP, stieg zwischen dem vierten Quartal 2016 und dem ersten Quartal 2017 bereits von 16,4 auf 16,6 Prozent. Die Stimmung bei den privaten Haushalten und Unternehmen ist weiterhin gut, sodass zu erwarten ist, dass der private Verbrauch ein Zugpferd für das BIP-Wachstum bleibt und auch die rege Investitionstätigkeit der Unternehmen anhält.
USA: Wachstumsbeiträge zum Bruttoinlandsprodukt in Prozentpunkten
4 3,5
3
2,6 2,1
2,0
2,0
2
1,4 1,4 0,8
0,9
1
0
-1
-2 I
II
III
IV
I
2015 Privater Konsum
II
III 2016
Investitionen
Außenbeitrag
Staatsverbrauch
IV
I 2017
BIP Wachstum
*annualisierte Quartalswerte Quelle: U.S. Bureau for Economic Analysis
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2017 wird die US-Wirtschaft insgesamt voraussichtlich um etwa 2,1 Prozent zulegen. Auf diesen Wert kommt auch der IWF, der seine Prognose im Juni etwas reduziert hatte. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die US-amerikanische Regierung eine expansivere Fiskalpolitik durchsetzt. Die wirtschaftspolitischen Vorhaben Trumps, zu denen umfassende Steuersenkungen und Investitionen in die Infrastruktur gehören, müssen jedoch erst noch vom Kongress umgesetzt werden. Mit der Verabschiedung einer Steuerreform ist frühestens in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen. Einschränkungen des internationalen Handels, eine Rücknahme der Finanzmarktregulierungen und eine zu schnelle Anhebung des Leitzinses in den USA könnten dagegen nicht nur das US-Wachstum, sondern auch das Wachstum der Weltwirtschaft gefährden. Arbeitsmarkt sendet gemischte Signale und nähert sich der Vollbeschäftigung Die Arbeitslosigkeit sank weiterhin kontinuierlich und lag im Mai 2017 bei 4,3 Prozent. Sie war somit noch niedriger als im Vorkrisenjahr 2007 und erreichte den tiefsten Stand seit 16 Jahren. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen – also derjenigen, die seit mindestens 27 Wochen arbeitslos sind – sank im bisherigen Jahresverlauf leicht auf 1,66 Millionen im Mai. Vor einem Jahr, im Mai 2016, waren es noch rund 1,89. Langzeitarbeitslose machten im Mai 2017 24 Prozent aller Arbeitslosen aus. Die durchschnittliche Arbeitslosendauer lag bei 24,7 Wochen. Ein Jahr zuvor hatte sie noch 25,7 Wochen betragen. Dass sich die US-Volkswirtschaft dem Zustand der Vollbeschäftigung nähert, hat auch eine Schattenseite. Eine Zunahme des Wachstums ist zunehmend nur noch über Steigerungen der Produktivität möglich. Außerdem trügen die guten Zahlen. Ökonomen hatten zuvor einen größeren Stellenzuwachs im Mai erwartet. Vor allem ist problematisch, dass ein großer Teil der US-amerikanischen Bevölkerung dem Arbeitsmarkt fern bleibt. Nur wer sich als aktiv arbeitssuchend meldet, wird von der Arbeitslosenquote erfasst. So ging die Erwerbsquote, also der Anteil derjenigen, die einen Arbeitsplatz haben oder aktiv auf Arbeitssuche sind, im April (62,9 Prozent) und Mai (62,7 Prozent) wieder zurück, nachdem sie im Februar und März 63 Prozent erreicht hatte. Insgesamt ist die Erwerbsquote niedrig und bleibt deutlich unter dem Vorkrisenniveau von rund 66 Prozent (2007) zurück. Zudem bleibt die Lohnentwicklung trotz der andauernden Expansion der US-Wirtschaft schwach. Fed setzt restriktiveren Kurs fort Über die letzten zwölf Monate (Juni 2016 bis Mai 2017) stiegen die Lebenshaltungskosten in den USA um lediglich 1,9 Prozent an. Nachdem die Inflation im zweiten Halbjahr 2016 angezogen hatte stagnierten die Inflationsraten zuletzt, im Mai war ein leichter Rückgang (minus 0,1 Prozent) zu verzeichnen. Im Februar lag die Inflation noch bei 2,7 Prozent. Ausschlaggebend für den jüngsten Rückgang waren fallende Energiepreise, die Lebensmittelpreise sind während dessen gestiegen. Im Dezember 2016 hatte die Fed signalisiert, den Leitzins 2017 dreimal erhöhen zu wollen, sofern der Arbeitsmarkt stabil bleibt und sich die Inflation dem Zwei-Prozent-Ziel annähert. Nachdem sie ihn im Dezember 2016 um 0,25 Prozentpunkte angehoben hatte, folgten im März und Juni 2017 weitere Anhebungen um jeweils 0,25 Prozentpunkte auf eine Spanne von nunmehr einem bis 1,25 Prozent. Trotz der gemischten Signale, die vom Arbeitsmarkt kommen, hat die Fed den Leitzins im Juni nochmals erhöht. Steuerreform: Gut für die Konjunktur, doch problematisch für Haushaltsdefizit und Schuldenstand Die von der Trump-Administration angekündigten Steuersenkungen würden das Wachstum der US-Wirtschaft zwar befeuern, allerdings konnte sich der US-Kongress noch nicht auf die notwendigen Gesetze verständigen. Mit einer Einigung ist frühestens gegen Ende des laufenden Jahres zu rechnen. Dann erst wird ein einheitlicher Gesetzentwurf beider Kammern vorliegen. Die konjunkturellen Auswirkungen dürften dann frühestens im Verlauf des kommenden Jahres wirksam werden. Die OECD erwartet erst für 2018 Erleichterungen, die dann den Privaten Konsum und die Investitionen anregen werden. Die Höhe der Auswirkungen wird dann auch von negativen Effekten der Steuersenkungen begleitet werden, die von der weiteren Belastung des ohnehin angespannten Haushalts ausgehen können. Weitere Impulse könnten von Investitionen in die US-Infrastruktur kommen, die allerdings den Bundeshaushalt zusätzlich belasten werden. Seit der Ankündigung solcher Investitionen im Wahlkampf von Donald Trump wurden bisher aber keine konkreten Pläne zur Durchführung bekannt.
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China: Wachstum hält an Unterstützt von geld- und finanzpolitischen Stimuli wird das Wirtschaftswachstum 2017 und 2018 voraussichtlich das Niveau halten können. Real dürfte die Wirtschaftsleistung 2017 um gut 6¾ Prozent steigen, mit leichtem Aufwärtspotenzial. Ob es 2018 tatsächlich zu einer milden Abschwächung des Wachstums kommen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Die zyklische Erholung in Asien stärkt die Nettoexporte, und ein Anziehen des Reformtempos nach dem Parteitag ist ebenfalls nicht auszuschließen. Ein Wert von leicht unter 6½ Prozent in den Jahren von 2018 – 2020 wäre jedenfalls mit den Vorgaben der Führung noch vereinbar. Starkes erstes Halbjahr 2017 In den ersten sechs Monaten erreichte China eine Wirtschaftsleistung von umgerechnet 4.916 Milliarden Euro. Das Wachstum und die meisten Indikatoren überraschten positiv. Die Konsumentenpreise stiegen moderat mit 1,4 Prozent, die Produzentenpreise zogen aufgrund steigender Rohstoffpreise sowie einem steigenden Lohnniveau mit 6,6 Prozent deutlich an. Investitionen im Staatssektor stiegen um zwölf Prozent. Der Privatsektor, der über 60 Prozent des Investitionsvolumens ausmacht, behauptet sich mit einem Wachstum von 7,2 Prozent. Infrastrukturinvestitionen wachsen im Zuge des Stimulus um 21,5 Prozent. Gefördert durch die Kampagne „Made in China 2025“ steigen die Investitionen im High-Tech Bereich um 20 Prozent an. Die Dynamik am Immobilienmarkt kühlt sich langsam ab, nachdem regulatorische Maßnahmen langsam greifen und die Zinsen für Darlehen weiterhin hoch bleiben. Die Bauinvestitionen wachsen um 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Außenhandel, betrachtet in nationaler Währung, ist weiterhin starker Wachstumstreiber und behauptete sich mit einem Exportplus von 15 Prozent, die Importe stiegen sogar um 25,7 Prozent im ersten Halbjahr.
Entwicklung des chinesischen Außenhandels*
1500
250
1300
200
1100
150
900
100
700
50
500
0 2014
2015
Exporte, in Milliarden RMB (linke Achse) Exporte, in Milliarden US-Dollar (rechte Achse)
2016
2017
Importe, in Milliarden RMB (linke Achse) Importe in Milliarden US-Dollar (rechte Achse)
*Güter und Dienstleistungen Quelle: Macrobond
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Schleppende Umsetzung der Reformpläne Seitdem sich die „Neue Normalität“ durch moderatere Wachstumsraten zeigt, setzt China wieder auf expansive Geldpolitik, schuldenfinanzierte Investitionen sowie Infrastrukturprojekte. Der derzeitige Infrastrukturstimulus läuft noch bis 2018. Die „Belt and Road“-Initiative soll dieses Modell mit der Zeit auch auf die umliegenden Länder übertragen und neue Exportmärkte öffnen. Dadurch könnten weitere Wachstumsimpulse entstehen. Mittelfristig gewährleisten jedoch nur tiefergehende Reformen die Stabilität und minimieren die Risiken des Strukturwandels zu einer höheren Binnenkonsumnachfrage und mehr Dienstleistungen. Eine aktive Politiksteuerung, die Marktkräften mehr Raum lässt und die Verschuldung im nichtfinanziellen Sektor abbaut, würde sich insgesamt positiv auswirken (IWF 2017g und Lam, Rodlauer, Schipke 2017). Unter dem Begriff „Angebotsseitige Strukturreformen“ konzentriert man sich derzeit auf den Abbau von Überkapazitäten, von überschüssigen Wohnungsbeständen und Unternehmensschulden. Die Produktion soll insgesamt effizienter und stärker auf komplexe Zulieferprodukte sowie High-End Produkte ausgeweitet werden. Die Reformen in den Staatsunternehmen machen aufgrund der möglichen sozialen Folgen nur langsam Fortschritte. Überkapazitäten werden bisher nicht fundamental abgebaut. Schulden steigen weiter, Schuldendynamik sinkt jedoch Die Neuverschuldung der letzten Jahre hat die Staats- und Unternehmensschulden ausgeweitet, derzeit liegen die Gesamtverschuldung bei ca. 260 Prozent des BIP und die Unternehmensverschuldung bei ca. 170 Prozent. Die Verbindlichkeiten der Unternehmen sind hauptsächlich in RMB nominiert. Im Extremfall würde dies einen Schuldenschnitt vereinfachen, da der Staat über große Eingriffsmöglichkeiten verfügt. Schneeballeffekte durch notleidende Kredite könnten jedoch zum Systemrisiko werden und ausländische Wirtschafts- und Finanzströme beeinträchtigen. Weiterhin positiv wirken sich die hohen Fremdwährungs- und Goldreserven aus. Richtungsweisender Parteitag im Herbst Der für Herbst geplante Parteitag der Kommunistischen Partei wird zeigen, welche grundlegenden personellen Veränderungen an der Regierungsspitze vollzogen werden und welche Richtung die Wirtschaftspolitik danach einschlagen wird. Die Frage wird sein, ob sich die Partei zu marktwirtschaftlichen Elementen bekennt, wie sie das 2013 bereits einmal angedeutet, bisher aber nicht umgesetzt hat, oder ob zentralplanerische Staatsinterventionen weiterhin in den Vordergrund gerückt werden, wie im letzten 5-Jahresplan. Bis Herbst wird deswegen nicht mit einschneidenden Reformen gerechnet, sondern auf Stabilität und ein kontinuierliches Wachstum gesetzt.
Japan: Konjunktur nimmt weiter Fahrt auf Auch Japan profitiert von der Erholung der Wirtschaft in ganz Asien. Für dieses Jahr haben die meisten Beobachter nun die Erwartungen für das Wachstum der Wirtschaft auf spürbar über ein Prozent angehoben. Zuletzt hat die OECD 1,4 Prozent prognostiziert, der IWF hält 1,3 Prozent für wahrscheinlich. Vor allem die Nettoexporte ziehen sehr kräftig an und dürften einen deutlichen Wachstumsbeitrag in Höhe von einem halben Prozentpunkt leisten; stützend wirken auch die fiskalpolitischen Stimuli der letzten Jahre. Der Aufschwung wird zwar vom Verarbeitenden Gewerbe getragen, aber auch die Dienstleistungsbranchen expandieren moderat. Die Gewinnlage der Unternehmen ist ebenfalls sehr gut, und die Beschäftigung dürfte die nächsten beiden Jahre weiter anziehen, auch wenn das Arbeitsangebot so knapp ist wie seit 40 Jahren nicht mehr (OEC 2017b). Zudem werden voraussichtlich die Investitionen in Bauten und Ausrüstungen kräftig ansteigen, während der private Verbrauch nur leicht zulegen wird. Die Bauinvestitionen werden zudem noch einige Zeit von den Infrastrukturinvestitionen für die olympischen Spiele im Jahr 2020 profitieren. Im Jahr 2018 dürfte sich dann wieder eine leichte Abschwächung auf rund ein Prozent Wachstum einstellen, wenn die Importe deutlicher anziehen, die Investitionsdynamik nachlässt und die Steuerpolitik restriktiv werden wird. Die Finanzpolitik wird zukünftig kaum noch stützen können, da das Primärdefizit mit gut 2½ Prozent 2017 bereits 1½ Prozent über dem Zielwert der Regierung liegt, die Bruttoverschuldung des Staates weiter ansteigt und das Haushaltsdefizit des Gesamtstaats mit fünf
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Prozent viel zu hoch ist. Es fehlt weiterhin an einer mittelfristigen finanzpolitischen Strategie, wie die Schuldenquote stabilisiert werden kann. Zudem sind weiterhin Strukturreformen zum Abbau des dualen Arbeitsmarkts, zur tieferen Integration auch kleiner und mittelständischer Firmen in den Welthandel und zur Öffnung der japanischen Gesellschaft gegenüber der Beschäftigung von Frauen und ausländischen Arbeitskräften erforderlich. All dies steht auf der Agenda der Abe-Regierung. Die Inflationsrate dürfte nach einem Zwischentief zum Jahresanfang wieder zulegen, allerdings nicht sehr stark, da weiterhin die Lohnentwicklung trotz Vollbeschäftigung schleppend verläuft. Gleichwohl wirken der schwächere Yen und die ansteigenden Energiepreise (im Vergleich zum Vorjahr) leicht inflationierend, so dass die Inflationsrate am Jahresende bei gut einem Prozent liegen dürfte. Die japanische Notenbank verfolgt weiterhin eine sehr aggressive Expansionsstrategie und hält an ihrer Linie fest, die Zinsstrukturkurve direkt zu beeinflussen, die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen bei nahe null Prozent zu halten und die Geldbasis so lange auszuweiten, bis das Inflationsziel von zwei Prozent erreicht ist.
Europa: Überraschung im ersten Halbjahr Der Aufschwung in Europa setzt sich stärker als erwartet fort. Die Wachstumsraten zum Vorquartal lagen mit jeweils 0,6 Prozent für EU und Euroraum im ersten Quartal 2017 deutlich über den USA mit 0,3 Prozent. Für das gesamte Jahr 2017 erwarten die Europäische Kommission und OECD einen BIP-Anstieg im Euroraum von 1,7 bis 1,8 Prozent. Die EZB (2017a) und der IWF (2017f) sind in ihren jüngsten Prognosen mit 1,9 Prozent sogar noch optimistischer. Jüngste Stimmungsindikatoren bekräftigen den Aufwärtstrend. Das ifo Wirtschaftsklima für den Euroraum liegt mit 26,4 Zählen auf dem höchsten Wert seit 2008. Seit 2015 zeichnet sich zudem ab, dass die Erwartungen für den Euroraum den globalen Schnitt übertreffen.
ifo-Wirtschaftsklima als Saldo in Prozent 40 30 20 10 0 -10 -20 -30 -40 -50 -60 -70 2006
2007
2008
2009
Euroraum
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
Welt
Quelle: Macrobond
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Größter Wachstumstreiber im Euroraum bleibt der Private Konsum, auch wenn mit leichten Rückgängen in der Dynamik durch die langsam anziehende Inflation in diesem Jahr zu rechnen ist. Die Investitionen dürften 2017 entlang der zyklischen Entwicklung entsprechend ansteigen und auch die Exporte haben in der ersten Jahreshälfte positiv überrascht. Der Aufschwung führt zu weiteren Rückgängen der Arbeitslosenrate, die sich 2017 im Schnitt bei 9,4 Prozent befinden dürfte. Nationale Unterschiede bleiben dabei beträchtlich. Während es in einigen Mitgliedsstaaten bereits zu Verknappungen in einigen Sektoren kommt, gibt es in Ländern der Peripherie noch Raten von über 20 Prozent in Griechenland und über 17 Prozent in Spanien (BusinessEurope 2017). Geld- und zinspolitische Wende lässt noch auf sich warten Der realwirtschaftliche Aufschwung wird maßgeblich durch die unkonventionelle Geldpolitik der EZB gestützt. Das Anleihekaufprogramm von über 60 Milliarden Euro monatlich dürfte noch bis mindestens Ende des Jahres laufen und wahrscheinlich in geringerem Ausmaß darüber hinaus. EZB-Präsident Mario Draghi hatte in den jüngsten öffentlichen Äußerungen von Juni 2017 erstmals Signale für eine allmähliche Rückführung der expansiven Maßnahmen anklingen lassen. Dennoch sollte man es mit der geldpolitischen Straffung nicht übereilen. Die Produktionslücke beginnt sich zu schließen, aber der Preisauftrieb bleibt verhalten. Die EZB schätzt, dass die Inflation von 0,2 Prozent in 2016 auf 1,5 Prozent in diesem Jahr ansteigt, danach jedoch wieder auf 1,3 Prozent sinken wird. Während die Geldpolitik bis dato erfolgreich auf das BIP gewirkt hat, haben sich die Übertragungskanäle von der Produktion auf die Inflation seit der Krise abgeschwächt. So dürften etwa im Arbeitsmarkt erheblich mehr Potentiale schlummern, als dies die Arbeitslosenzahlen ausweisen. Der Lohndruck ist trotz der sich verbessernder Arbeitsmarktbedingungen gering. Niedriges Produktivitätswachstum auf Grund ausbleibender Strukturreformen ist eine Erklärung dafür. Selbst bei einem anhaltenden Aufschwung sollte daher weiterhin eine Unterstützung der Gelpolitik erfolgen, um das Inflationsziele von nahe, aber unter zwei Prozent nicht zu gefährden. Die Leitzinsen dürften in Anbetracht dessen noch über Jahre hinweg niedrig bleiben. Politische Unsicherheit nimmt ab, Vertrauen in Aufschwung steigt Die politische Unsicherheit nach dem überraschenden Ausgang des Referendums im Vereinigten Königreich und vor den französischen Präsidentschaftswahlen ist mittlerweile zurückgegangen. Die Bundestagswahlen in Deutschland im Herbst stellen vorerst das letzte politische Großereignis der Jahre 2016 bis 2017 dar. Im Allgemeinen werden unabhängig von konkreten Mandatsverteilungen keine fundamentalen Veränderungen der politischen Ausrichtung Deutschlands erwartet, sodass die Unsicherheit begrenzt ist. Unklar ist jedoch nach wie vor Italien, das nach dem missglückten Verfassungsreferendum latent vor Neuwahlen steht. Die Situation in Griechenland ist ebenso kompliziert. Von einer erneuten Krise mit Ausstrahlungseffekten ist allerdings nicht mehr auszugehen. Die erstmals seit 2008 wieder stabileren wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in Europa müssen dringend für notwendige Reformen genutzt werden. Diese betreffen nicht nur nationale Bemühungen zur Steigerung von Produktivität und Reduktion von Risiken, sondern insbesondere Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion. Das Zeitfenster dafür zwischen den deutschen Wahlen 2017 und den Wahlen zum Europäischen Parlament in 2019 ist denkbar kurz.
Globales Finanzsystem stabilisiert sich, Risiken bleiben Die internationale Finanzstabilität hat sich in den letzten Monaten weiter verbessert. Der Wachstumsanstieg in den meisten Wirtschaftsräumen sowie die in vielen Volkswirtschaften nach wie vor expansive Geldpolitik haben zur weiteren Stabilisierung der globalen Aktien- und Anleihenmärkte sowie weiterer Anlageklassen beigetragen (IWF 2017b). Gestiegene Rohstoffpreise haben die finanzielle Situation der exportierenden Schwellenländer verbessert und die Entschuldung des privaten Sektors beschleunigt. Risiken für diese Länder, insbesondere jene mit Schulden in US-Dollar, bleiben Wechselkurseffekte. Die Unsicherheit über die Wirtschaftspolitik der
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neuen US-Administration ist nach wie vor groß. Insbesondere Fragen der Steuerpolitik und Regulierung sind noch unklar. In Europa leidet das Finanzsystem weiterhin unter strukturellen Problemen. Niedrige Profitabilität und notleidende Kredite hemmen den Heilungsprozess des Bankensystems und der Kapitalmärkte sind im Vergleich zu den USA schwach ausgeprägt. In China schlummern in den Bilanzen der staatlichen Unternehmen und Banken noch beträchtliche Risiken, die kaum in internationalen Statistiken sichtbar sind. Generell haben die global leicht gestiegenen Wachstumsaussichten in Kombination mit niedrigen Zinsen den Risikoappetit der Anleger gesteigert. Auf einigen Märkten, wie beispielsweise Wohnimmobilien, nähern sich die Preissteigerungen bereits den Frühwarnwerten (EZB 2017b). Banken bauen Eigenkapital auf und lösen strukturelle Probleme nur langsam Die Eigenkapitaldecken der Banken sind seit 2009 angestiegen und bieten nun größere Risikopuffer. Der weitere Aufbau von Eigenkapital wird jedoch durch die größtenteils niedrige Profitabilität und das nach wie vor hohe Ausmaß notleidender Kredite gebremst. Dies trifft insbesondere auf Europa zu, wo eine Konsolidierung des fragmentierten Bankensystems dringend nötig ist. Im Zuge des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) der Europäischen Bankenunion wurde im Juni die Banco Popular Español erfolgreich ohne Beteiligung des Steuerzahlers abgewickelt. Bei der Banca Monte dei Paschi di Siena und zwei weiteren italienischen Finanzinstituten zeigt sich jedoch, dass eine Abwicklung ohne öffentliche Mittel nicht immer möglich ist. Die Maßnahmen für die beiden venezianischen Banken erfolgten in Einklang mit dem Regelwerk der Bankenunion, das die Nutzung des italienischen Insolvenzrechts bei kleineren Instituten zulässt. Das Problem der Verknüpfung zwischen maroden Banken und öffentlichen Finanzen ist damit nicht endgültig gelöst und wirkt negativ auf Stabilitätserwartungen an das Finanzsystem. Zur Vollendung der Bankenunion soll das Regelwerk noch weiter gestärkt werden. Zudem sollen steuerliche Anreize für Privatanleger, Bankenanleihen zu erwerben, abgeschafft werden.
Risikogewichtete Eigenkapitalquote in Prozent
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16
14
12
10
8
6 2009
2010 Deutschland
2011 Frankreich
2012
2013
Italien
Großbritannien
2014
2015 USA
China
2016 Indien
Quelle: Macrobond
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Risikoaufschläge auf Staatsanleihen sinken wieder leicht Ende 2016 hatte sich ein Anstieg der Spreads zehnjähriger Staatsanleihen verschiedener Volkswirtschaften im Vergleich zu deutschen Anleihen derselben Laufzeit gezeigt. Diese Entwicklung hat sich mit Ausnahme der chinesischen Wertpapiere wieder umgedreht. Treiber dafür sind größtenteils die aufwärts revidierten globalen Konjunkturaussichten. Eine Gefahr für einige Länder stellen Zinswenden der jeweiligen Notenbanken dar, die mit Problemen für die Schuldentragfähigkeit verbunden wären. Das Zinsniveau in den USA strahlt auf Europa und Asien aus und könnte zu gravierenden Preiseffekten auf Märkten für Staatsanleihen, aber auch für private Titel führen. Eine konsequente Wachstums- und Investitionsorientierung ist dringend nötig, um den Vertrauensaufbau in öffentliche Haushalte zu stärken und um die Zinswende vorzubereiten.
Spreads* ausgewählter Staatsanleihen in Prozentpunkten
3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 -0,5 2016 Frankreich
Italien
Spanien
2017 Großbritannien
USA
China
Japan
*Differenz der Rendite von Staatsanleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit im Vergleich zu Deutschland
Quelle: Macrobond
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Regionale Entwicklungen Die weltwirtschaftliche Erholung zog im ersten Halbjahr auch in der Mehrzahl der Entwicklungs- und Schwellenländer an. Dies traf vor allem auf die asiatisch-pazifischen Länder zu. In Asien sind einige Kräfte der wirtschaftlichen Belebung am Werk (Deutsche Bank 2017): manche Länder haben von dem Aufschwung des Außenhandels in der Region deutlich profitiert, u.a. Indonesien, Hong Kong, Malaysia, die Philippinen, Südkorea, Thailand und Vietnam. Abwertungen der Währungen halfen in manchen Fällen nach. Einige Länder weisen nennenswerte öffentliche Investitionsprogramme auf, die die Nachfrage erhöht haben (Malaysia, Taiwan, Thailand, wohl bald auch Südkorea). In manchen Ländern zogen zudem die privaten Investitionen kräftig an (Indien, Indonesien). Indien wird mit etwa sieben Prozent (IWF 2017f: 7,2 Prozent) eine etwas geringere Dynamik aufweisen, da die Umstellung im Zahlungsverkehr Einbußen verursacht hat. Angesichts der insgesamt angemessenen Geld- und Fiskalpolitik sowie der strukturellen Verbesserungen, etwa in der Umsatzbesteuerung, ist jedoch bald wieder mit einem etwas besseren Bild zu rechnen. Weiter reichende Liberalisierungsschritte der noch immer stark staatswirtschaftlich operierenden indischen Volkswirtschaft hatte Modi zwar einst als Wahlkämpfer angekündigt, aber im Amt nicht umgesetzt (Economist 2017). Insgesamt hat sich der Wachstumsausblick in der Asien-Pazifik-Region jedoch aufgehellt. Die asiatisch-pazifischen Entwicklungsländer dürften mit gut 6½ Prozent wachsen, während die Länder mit hohem Einkommen mit gut zwei Prozent eher moderat wachsen werden (Australien sowie Neuseeland jeweils 3,1 Prozent, Hong Kong: 2,4 Prozent, Singapur: 2,2 Prozent, Südkorea: 2,7 Prozent, siehe IWF (2017b)).
Regionaler Konjunkturausblick* 2017 Südamerika
0,6
Zentralamerika
3,9
Karibik
3,6
Asien-Pazifik, Fortgeschrittenen Volkswirtschaften1
1,9
Asien-Pazifik, Entwicklungsländer2
6,5
GUS-Staaten3
1,7
Naher Osten, Nordafrika, Afghanistan, Pakistan
2,6
Israel
2,9
Sub-Sahara Afrika
2,7
1Japan,
Südkorea, Taiwan, Singapur, Hongkong, Australien, Neuseeland, Macau China und Indien 3 Russland, Ukraine, Georgien, Turkmenistan, kaukasische und zentralasiatische Staaten 2 inklusive
*Wachstum des realen BIP ggü. Vorjahr in Prozent Quelle: IWF (April und Juli 2017)
In Südamerika, Zentralamerika und der Karibik sind insbesondere Argentinien und Brasilien zum Wachstum zurückgekehrt. Die Region hatte 2016 mit einem Rückgang der Produktion um ein Prozent ihr drittschlechtestes Ergebnis in den letzten dreißig Jahren zu verbuchen (IWF 2017d). Das Ende der Rohstoffhausse, der Terms-oftrade-Schock und die erforderlichen Anpassungen belasteten vor allem die Rohstoffexporteure stark. Brasilien,
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Argentinien, Ecuador und Venezuela durchliefen eine tiefe Rezession, Zentralamerika und die Pazifikstaaten schnitten dagegen deutlich besser ab. Für die gesamte Region dürfte es jedoch wieder für ein Wachstum von rund einem Prozent des BIP in diesem Jahr und für gut zwei Prozent im nächsten Jahr reichen. Südamerika kommt kaum vom Fleck, während Zentralamerika und die Karibik mit Zuwachsraten von 3½ - vier Prozent ähnlich wie im Vorjahr wachsen dürften. Argentinien dürfte dieses Jahr mit mehr als zwei Prozent Zuwachs abschneiden und erfährt eine Verbesserung auf breiter Front: die öffentlichen Investitionen ziehen an, der private Verbrauch und die Löhne steigen, die Exporte wachsen nach einer starken Erntesaison rasch; die Konsolidierung der Haushalte kommt ebenso voran wie die Bekämpfung der Inflation. Brasilien schafft hoffentlich ein halbes Prozent Wachstum (IWF 2017: 0,3 Prozent; OECD 2017a: 0,7 Prozent). Der private Verbrauch und die Investitionen dürften weiter kontrahieren, und nur die Lagerbildung der Unternehmen stabilisiert die Inlandsnachfrage halbwegs. Immerhin dürfte der Außenhandel mit rund fünf Prozent wieder zulegen, gleichwohl bleibt der Außenbeitrag noch neutral (OECD 2017a). Fortschritte in der Haushaltskonsolidierung, der Reform der sozialen Sicherungssysteme und in der Bekämpfung der Inflation (nun bei rund sechs Prozent) erlauben eine geldpolitische Lockerung. Strukturelle Reformen in den Provinzhaushalten, auf Arbeits- und Produktmärkten und im unternehmerischen Umfeld bleiben jedoch vordringlich. Die Auswirkungen der jüngsten politischen Unsicherheiten über die Administration auf die wirtschaftliche Aktivität dämpfen zusätzlich. Die wirtschaftliche Entwicklung verläuft dagegen in Chile, Kolumbien und Peru etwas verhaltener als erwartet. Dies gilt auch für das nordamerikanische Mexiko, das untypisch schwach unter zwei Prozent bleiben wird (IWF: 1,9 Prozent), da die knapperen Finanzierungsbedingungen der Wirtschaft und die Unsicherheiten über den Handel mit den USA, die Arbeitskräftemobilität zwischen Mexiko und den USA und die zukünftigen Zahlungsrückflüsse der mexikanischen Migranten die Investitionen und den privaten Verbrauch trüben. Zudem musste die Notenbank gegen eine etwas zu hohe Inflationsrate von über fünf Prozent angehen (Ziel: drei Prozent), während der Peso seit Jahresbeginn aufgewertet hat. Kanada durchläuft dagegen eine zweijährige Phase der wirtschaftlichen Belebung. Die Wirtschaft dürfte mit gut 2½ Prozent wachsen, unterstützt durch eine moderat expansive Geld- und Fiskalpolitik. Einen regional schwächeren Ausblick müssen jedoch der Nahe Osten, Nordafrika, Afghanistan und Pakistan verkraften. Dieses Jahr wird es wohl nur für ein Wachstum der Wirtschaftsleistung von 2,6 Prozent reichen. Allein die Türkei weist ein deutlich steigendes Wachstum auf, vor allem in Folge expansiver geld- und fiskalpolitischer Maßnahmen und der staatlichen Infrastrukturinvestitionen. Auch die Staaten in Sub-Sahara Afrika liegen einen guten Viertelpunkt unter Vorjahr bei dem gleichen Tempo; Südafrikas Wirtschaft stagniert. Bessere Perspektiven ergeben sich dagegen in den ehemaligen GUS-Staaten, da vor allem Russland wirtschaftlich wieder anzieht. Mittlerweile rechnet man für Russland mit knapp anderthalb Prozent Wachstum (IWF: 1,4 ‚Prozent), in Folge anziehender Ölpreise, niedrigerer Finanzierungskosten der Wirtschaft, steigender Löhne und sinkender Arbeitslosigkeit. Zwar bleibt das Exportgeschäft sanktionsbedingt begrenzt, aber die Inlandsnachfrage zieht nach zwei sehr harten Jahren mit einem kumuliert zweistelligen Rückgang (minus 9,5 Prozent allein 2015), endlich wieder an. Auch Kasachstan dürfte mit 2,5 Prozent deutlich stärker wachsen als vor einem Jahr erwartet. Für die Region dürfte es für 1,7 Prozent Wachstum reichen.
Welthandel: Kräftiges Wachstum im laufenden Jahr wahrscheinlich Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds ist der Welthandel im Jahr 2016 um 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Im ersten Quartal dieses Jahres legte der Welthandel nach den vorläufigen Angaben des Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis um 1,8 Prozent gegenüber dem Schlussquartal 2016 zu. Ausschlaggebend für das Handelswachstum war unter anderem die vergleichsweise stark gestiegene Nachfrage in den Schwellenländern, deren Importe im Vorquartalsvergleich um 3,3 Prozent gestiegen waren. Die Importe der Industrieländer haben mit einem Plus von 0,8 Prozent vergleichsweise schwach zugelegt. Auf Seite der Exporteure kam die steigende Nachfrage nach Handelsgütern den Schwellenländern zugute, deren Ausfuhren im ersten Quartal um 2,8 Prozent wuchsen. Laut dem RWI/ISL-Containerumschlag-Index, mit dem die Entwicklung des Welthandels auf Grundlage der Auslastung der wichtigsten Containerhäfen prognostiziert wird
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dürfte der Welthandel weiter spürbar ausweiten. Der Index erreichte im Mai seinen bisherigen Höchststand. Im laufenden Jahr wird der weltweite Handel stärker steigen als im Vorjahr. Der Internationale Währungsfonds geht von einer Zunahme in Höhe von vier Prozent aus.
Ausländische Direktinvestitionen Nach einem starken Anstieg im Jahr 2015 haben die weltweit grenzüberschreitenden Direktinvestitionsströme im Jahr 2016 einen Rückschlag erlitten. Die Investitionsströme sind angesichts schwacher Wirtschaftsdynamik und zunehmender globaler Risiken laut der UNCTAD um zwei Prozent auf 1,8 Billionen US-Dollar zurückgegangen. Die Investitionsströme in die Schwellenländer gingen mit 14 Prozent besonders stark zurück. Die ausländischen Direktinvestitionen in die Industrieländer legten hingegen um fünf Prozent zu. Damit stieg der Anteil der weltweiten Investitionsströme in die Industrieländer wieder etwas an und liegt jetzt bei 59 Prozent. Der jahrelange Trend der Investitionsströme in Richtung der Schwellenländer hat damit zumindest einen Dämpfer erhalten. Im laufenden Jahr dürften die grenzüberschreitenden Direktinvestitionen wieder etwas an Fahrt aufnehmen. Welthandel und Wirtschaftswachstum dürften die Investitionstätigkeit anregen, bei steigenden Rohstoffpreisen insbesondere in den Schwellenländern. Die UNCTAD rechnet für 2017 mit einem Wachstum der weltweiten Direktinvestitionsströme um fünf Prozent.
Weltweite Industrieproduktion zum Jahresbeginn deutlich gestiegen Im Jahr 2016 ist die weltweite Industrieproduktion dank der guten Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Die Wachstumsrate aus dem Vorjahr von 1,7 Prozent wurde leicht übertroffen. Den stärksten Anstieg verzeichneten die Schwellenländer. Diese weiteten ihre Produktion im Jahr 2016 um 3,5 Prozent aus, nach einem Plus von drei Prozent im Jahr zuvor. In den entwickelten Volkswirtschaften stieg die Industrieproduktion nach dem Plus von 0,4 Prozent im Jahr 2015, im vergangenen Jahr nur noch um 0,2 Prozent. Nach den vom Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis (CPB) zuletzt veröffentlichten Daten ist die weltweite Industrieproduktion im ersten Quartal des laufenden Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 2,9 Prozent gestiegen. Der Zuwachs in den Schwellenländern war mit plus 4,1 Prozent deutlich stärker als in den entwickelten Volkswirtschaften. Hier betrug die Zuwachsrate 1,6 Prozent. Am aktuellen Rand zeichnet sich eine Fortsetzung des Wachstumskurses ab. Im April 2017 stieg die Weltindustrieproduktion im Vergleich zum Vorjahresmonat um 3,3 Prozent. Während sich in den entwickelten Volkswirtschaften das Wachstumstempo etwas erhöht hat (plus 2,8 Prozent nach plus 2,2 Prozent im März) hat die Dynamik in den Schwellenländern etwas nachgelassen(plus 3,8 Prozent nach plus 4,3 Prozent im März). Entwickelte Volkswirtschaften: breit angelegter Aufschwung In den entwickelten Volkswirtschaften, in denen knapp 53 Prozent der industriellen Wertschöpfung stattfindet, deutet sich ein breit angelegter Aufschwung an. Seit zwei Quartalen steigt die Industrieproduktion in allen größeren entwickelten Wirtschaftsräumen. Die Industrieproduktion in den USA (mit einen Anteil an der weltweiten Industrieproduktion von 17,2 Prozent) ist im ersten Quartal 2017 im Vergleich zum Vorjahr nach sechs Rückgängen in Folge erstmals wieder gestiegen. Die Industrieproduktion in den USA (mit einen Anteil an der weltweiten Industrieproduktion von 17,2 Prozent) ist im ersten Quartal 2017 im Vergleich zum Vorjahr nach sechs Rückgängen in Folge erstmals wieder gestiegen.
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In Japan, das mit etwas mehr als acht Prozent zur weltweiten Industrieproduktion beiträgt, waren Produktionsausweitungen von 2,6 Prozent im vierten Quartal 2016 und 3,7 Prozent im ersten Quartal 2017 zu beobachten.
Industrieproduktion* in entwickelten Volkswirtschaften
5 restliche entw. Volkswirtschaften Euroraum
4
Japan 3
USA
2
1
0
-1
-2
-3 2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
*Veränderung ggü. Vorjahr in Prozent Quelle: Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis
Im Euroraum ist die Industrie seit dem vierten Quartal 2013 ununterbrochen auf Wachstumskurs. Nach einem überdurchschnittlichen Produktionsanstieg von 2,6 Prozent im vierten Quartal 2016 war im ersten Quartal des laufenden Jahres ein Plus von 1,4 Prozent zu verzeichnen. Etwas mehr als 15 Prozent der weltweiten Industrieproduktion findet im Euroraum statt. Auch die restlichen entwickelten Volkswirtschaften (mit einen Anteil an der weltweiten Industrieproduktion von 11,9 Prozent) sind seit nunmehr 15 Quartalen in Folge auf Wachstumskurs. Nach dem Produktionsplus in Höhe von 1,7 Prozent im vierten Quartal 2016 stieg die Industrieproduktion im ersten Quartal 2017 mit 2,2 Prozent sogar überdurchschnittlich. Schwellenländer: Asien boomt, Lateinamerika in Langzeitrezession Die asiatischen Schwellenländer (incl. China) prägen mit einem Anteil von 26,7 Prozent an der weltweiten Industrieproduktion deren dynamische Entwicklung. Nach einem Plus von 5,4 Prozent im vierten Quartal 2016 stieg die Industrieproduktion im ersten Quartal 2017 mit sechs Prozent so stark wie seit zwei Jahren nicht mehr. In den Staaten Afrikas und des Mittleren Ostens (Anteil an der weltweiten Industrieproduktion: 9,1 Prozent) waren in den letzten beiden Quartalen Produktionssteigerungen von fünf Prozent bzw. 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. In den Ländern Zentral- und Osteuropas (Anteil Welt: 3,3 Prozent) steigt die Industrieproduktion seit etwas mehr als einem Jahr mit Wachstumsraten von rund einem Prozent kontinuierlich an. Sorgen bereitet dagegen die Entwicklung in Lateinamerika. In dieser Region geht die Industrieproduktion
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seit dem zweiten Quartal 2014 kontinuierlich zurück. Im ersten Quartal 2017 betrug der Rückgang gegenüber dem Vorjahr immerhin noch 2,1 Prozent. Bei einem Anteil an der Industrieproduktion der Schwellenländer von etwas mehr als 17 Prozent kostete dieses den Schwellenländern im ersten Quartal insgesamt knapp 0,4 Prozentpunkte Wachstum.
Industrieproduktion* in Schwellenländern
9 Afrika/Mittlerer Osten 8
Lateinamerika Zentral- und Osteuropa
7
Asien 6 5 4 3 2 1 0 -1 -2 2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
*Veränderung ggü Vorjahr in Prozent Quelle: Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis
Konsequenzen für die deutsche Konjunktur Die deutsche Konjunktur hat im ersten Quartal einen unerwartet starken Verlauf genommen. Auch seither sind viele Indikatoren deutlich positiver ausgefallen, als dies noch zu Jahresbeginn erwartet werden konnte. Die stärkere Konjunktur im Euroraum und in Asien und die anziehende Nachfrage für Investitionsgüter hat sich positiv auf Auftragslage und die Produktion in der deutschen Wirtschaft ausgewirkt. Auch das Geschäftsklima ist 2017 wieder stark angezogen. Dies spricht dafür, dass sich die Perspektiven für den Außenhandel, die Investitionstätigkeit und die Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe weiter aufhellen werden. Die Belebung des Welthandels und der Konjunktur in der Mehrzahl der großen Volkswirtschaften wird sich daher positiv auf den Außenbeitrag auswirken. Die inländische Nachfrage entwickelt sich bislang weitgehend entlang der Erwartungen, mit einer guten Baukonjunktur, anziehenden Investitionen in Ausrüstungen und einer fortschreitenden, wenn auch moderaten Stärkung des privaten Verbrauchs. Für positive Überraschungen könnte im Jahresverlauf der Außenbeitrag sorgen. Immer vorausgesetzt, einige der großen politischen Risiken für die Weltwirtschaft materialisieren sich nicht.
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Quellenverzeichnis BusinessEurope (2017). Economic Outlook Spring 2017. Brüssel. Deutsche Bank (2017). Emerging Markets Monthly. Juli. Economist (2017). India’s Economy. 24. Juni. Europäische Kommission (2017). Frühjahrsprognose. Brüssel. Europäische Zentralbank (2017a). Von Experten des Eurosystems erstellte gesamtwirtschaftliche Projektionen für das Euro-Währungsgebiet. Frankfurt. Juni. --- (2017b). Financial Stability Review. Frankfurt. IWF (2017a). World Economic Outlook. Washington, D.C.. April. ---(2017b). Regional Economic Outlook Asia-Pacific. Washington, D.C.. April. ---(2017c). Update to the WEO. Washington, D.C.. 24. Juli. ---(2017d). Western Hemisphere Report. Washington, D.C.. 19. Mai. ---(2017e). Global Financial Stability Report. Washington, D.C. ---(2017f). World Economic Outlook Update. Washington, D.C.. 24. Juli. ---(2017g). Press Conference on the Conclusion of Mission of 2017 Article IV Consultations. Washington, D.C. Lam, W. Raphael, Markus Rodlauer, Alfred Schipke (2017). Modernizing China: Investing in Soft Infrastructure. Washington, D.C.. IWF. OECD (2017a). Economic Outlook. Paris. Juni. ---(2017b). Japan. Economic Survey. Paris. April.
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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin T: +49 30 2028-0 Autoren Dr. Klaus Günter Deutsch T: +49 30 2028 1591 k.deutsch@bdi.eu Dr. Wolfgang Eichert T: +322 792 10 14 w.eichert@bdi.eu Thomas Hüne T: +49 30 2028 1592 t.huene@bdi.eu Julia Howald T: +49 30 2028 1483 j.howald@bdi.eu Hanna Müller BDI-Vertretung, Peking T: +86 1851 3608272 h.mueller@bdi.eu Dr. Christoph Sprich T: +49 30 2028 1525 c.sprich@bdi.eu Redaktion/Grafiken Dr. Joachim Lang T: +49 30 2028 1448 j.lang@bdi.eu Marta Gancarek T: +49 30 2028 1588 m.gancarek@bdi.eu
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