Oktober 2018 WACHSTUMSAUSBLICK EUROPA
Von Euphorie zu Ernüchterung Europas Wirtschaft hat den Konjunkturhochpunkt überschritten
Der BDI erwartet für die EU-Wirtschaft dieses Jahr ein Wachstum von etwas über zwei Prozent. Nach 2,4 Prozent im vergangenen Jahr ist der Zenit der Konjunktur überschritten. Privater Konsum sowie Investitionen bleiben die Wachstumstreiber.
Handelskonflikte wirken sich nun auf die harten Zahlen aus. Der Außenbeitrag zum BIP-Wachstum ist seit mehreren Quartalen rückläufig. Er fällt im zweiten Quartal ins Negative und geht zurück auf minus 0,3 Prozent, einen halben Prozentpunkt niedriger als in den Vorquartalen.
Der Brexit wirft seinen Schatten voraus. Das Vereinigte Königreich ist im ersten Halbjahr nur um 1,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen – das zweitschlechteste Ergebnis in der EU28. Die Europäische Kommission erwartet das schwächste Wachstum im kommenden Jahr im Vereinigten Königreich und in Italien, und zwar jeweils 1,2 Prozent.
Europa geht im Konjunkturzyklus in der Phase der Abkühlung. Erstarkender Nationalismus und Protektionismus dämpfen über den Rückgang des Außenhandels ebenso das Wachstum. Die Binnennachfrage ist nach wie vor stark, gerät jedoch über Zweitrundeffekte unter Druck. Industriestarke, exportorientierte Länder wie Deutschland sind besonders betroffen.
Die Arbeitslosenrate in der EU liegt mit 6,8 Prozent erstmals unter dem Vorkrisenwert. Der Euroraum steht mit 8,1 Prozent noch etwas darüber. Der Fachkräftemangel spitzt sich zu. Die Inflationsrate nähert sich dem Zielwert von nahe, aber unter zwei Prozent. Die Geldpolitik beginnt sich langsam zu normalisieren.
Die Wahlen zum Europäischen Parlament werden zur Grundsatzentscheidung: Ein souveränes Europa oder schwache Nationalstaaten.
Von Euphorie zu Ernüchterung | Europas Wirtschaft hat den Konjunkturhochpunkt überschritten 09/10/2018
Inhaltverzeichnis Europapolitik bleibt spannender denn je für die deutsche Wirtschaft .......................................... 3 Wahlen zum Europäischen Parlament werden zur Grundsatzentscheidung ........................................ 3 Wirtschaftliche Expansion in Europa setzt sich moderat fort ........................................................ 3 Privater Konsum und Investitionen geben Gas, Exporte stehen auf der Bremse................................. 4 Bandbreite der Wachstumsraten verringert sich ................................................................................... 4 Die Weltwirtschaft entwickelt sich weiterhin im Plan ............................................................................. 5 Industriekonjunktur hat den Zenit überschritten ............................................................................. 6 Arbeitslosenrate sinkt kontinuierlich und nähert sich Vorkrisenniveau an ............................................ 7 Wechselkurse bleiben volatil ................................................................................................................. 8 Die Inflation nähert sich Zielwert von nahe, aber unter zwei Prozent ........................................... 9 Die Geldpolitik verringert langsam den Expansionsgrad .................................................................... 10 Die Kreditvergabe normalisiert sich zunehmend................................................................................. 11 Politische Ereignisse verunsichern europäische Märkte ..................................................................... 12 Schlussfolgerungen für Europas und Deutschlands Wirtschaft ................................................. 13 Quellenverzeichnis ............................................................................................................................ 14 Impressum ......................................................................................................................................... 15
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Von Euphorie zu Ernüchterung | Europas Wirtschaft hat den Konjunkturhochpunkt überschritten 09/10/2018
Europapolitik bleibt spannender denn je für die deutsche Wirtschaft Mit der Wahl von Emmanuel Macron im Jahr 2017 schien der europäische Integrationsprozess an Dynamik zu gewinnen. In den Kreis der Staats- und Regierungschefs trat ein junger Präsident, der sich mit einem deutlichen Bekenntnis zur EU gegen die Populistin Marine Le Pen durchsetzen konnte. Zügig legte der französische Präsident eine präzise Vorstellung von Reformen vor, um die europäische Wirtschaftsarchitektur zu stabilisieren. Schließlich besteht selbst noch zehn Jahre nach der Finanzkrise Reformbedarf. Denn Europa hat 2017 den Konjunkturhöhepunkt überschritten. Wann die nächste Rezession eintreten wird, ist nur eine Frage der Zeit. Dennoch herrschen auf politischer Ebene Stillstand und Unsicherheit. Nachdem endlich eine deutsche Bundesregierung gebildet wurde, schockierte Italien die EU mit der Wahl zweier populistischer Parteien. Wie risikoreich das dortige Regierungsbündnis ist, zeigt sich an der aktuellen Haushaltsdebatte. Zudem wird ein harter Brexit immer wahrscheinlicher. Zwar legte die britische Regierung mit dem Chequers-Plan zum ersten Mal ein einheitliches Papier vor, doch scheint dieses für die EU-27 nicht gänzlich akzeptabel. Gleichzeitig gerät die exportorientierte europäische Wirtschaft zunehmend unter Druck durch die Handelspolitik der USA. Die europäische Wirtschaft mag diesen Risiken auf den ersten Blick trotzen, einige Indikatoren sprechen eine positive Sprache: das Wachstum setzt sich moderat fort, die Arbeitslosenrate geht auf das Vorkrisenniveau zu, die Inflationsrate nähert sich dem Zwei-Prozent-Ziel und ein schwächerer Euro könnte den Außenhandel beflügeln. Jedoch haben einige internationale Organisation ihre Wachstumsprognosen nach unten korrigiert. Die Aktienmärkte und Geschäftsklimaindizes reagieren auf politische Unsicherheiten und eine Wende in der Geldpolitik steht bevor. Wahlen zum Europäischen Parlament werden zur Grundsatzentscheidung Für die Industrie ist es unerlässlich, dass die EU sich stärker für die Herausforderungen wappnet (siehe dazu auch die Industrie-Position „Eine starke und souveräne EU“, BDI 2018). Nur mit einer stärkeren Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion können Krisen zukünftig abgefedert werden (Deutsch 2018b). Eine innere Konsolidierung der EU ist unerlässlich, um ein positives Geschäftsklima aufrechtzuerhalten. Gerade die exportorientierte, deutsche Industrie ist auf ein solides, berechenbares, globales Umfeld angewiesen. Die EU muss sich daher entschieden für die multilaterale und regelbasierte Weltordnung einsetzen. Die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 werden ein richtungsweisendes Ereignis für die Wirtschaft werden. Die Grundsatzentscheidung läuft darauf hinaus, ob es ein starkes gemeinsames Europa gibt oder schwache Nationalstaaten.
Wirtschaftliche Expansion in Europa setzt sich moderat fort Die wirtschaftliche Expansion in Europa setzt sich auch in der ersten Jahreshälfte 2018 fort, wenn auch langsamer als im vergangenen Jahr. Im zweiten Quartal 2018 stieg das BIP saisonbereinigt gegenüber dem Vorquartal sowohl in der EU als auch im Euroraum um 0,4 Prozent und damit genau so stark wie im ersten Quartal. Nach Wachstumsraten von 0,6 und 0,7 Prozent in allen Quartalen 2017 verfestigt sich somit das Bild einer gedämpften Fortsetzung der Wachstumsdynamik in Europa. Vor allem Frankreich, Italien und Griechenland enttäuschten jeweils mit niedrigen 0,2 Prozent BIP-Wachstum. Das Vereinigte Königreich wuchs mit 0,4 Prozent etwas stärker als zu Jahresbeginn, in Deutschland setze sich mit einem BIP-Anstieg von 0,5 Prozent eine solide Expansion über der Potentialrate fort. Kräftige Wachstumsraten weisen vor allem die mittel- und osteuropäischen Staaten auf.
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Entwicklung des realen BIP in der EU in Prozent 3
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2,4
2,3
2,1 1,7
2,1 (P)
2,0
1,8
1 0,3 0 -0,4 -1 I
II III IV I
II III IV I
II III IV I
II III IV I
II III IV I
II III IV I
II III IV I
II III IV I
II III IV
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Veränderung ggü. Vorjahresquartal
Veränderung ggü. Vorquartal
Veränderung ggü. Vorjahr
Quelle: Macrobond
Privater Konsum und Investitionen geben Gas, Exporte stehen auf der Bremse Wachstumstreiber im zweiten Quartal war ganz klar die Binnennachfrage. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte stiegen um 0,3 Prozent in der EU und um 0,2 Prozent im Euroraum (nach 0,5 Prozent im Vorquartal). Der private Verbrauch verlor damit zwar etwas an Dynamik, aber das Konsumentenvertrauen bleibt dank einer guten Arbeitsmarktentwicklung und eines moderaten Lohnwachstums auf seinem Allzeithoch. Der staatliche Konsum wuchs mit 0,4 Prozent etwas kräftiger als zu Jahresbeginn. Erfreulich war die Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen, die kräftig um 1,2 Prozent sowohl in der EU als auch im Euroraum stiegen (nach 0,3 Prozent im ersten Quartal). Der Außenhandel, 2017 noch ein solider Wachstumstreiber, bremst aktuell das BIP-Wachstum, da die Exporte langsamer zulegen als die Importe. Dadurch drückte der Außenbeitrag das BIP-Wachstum im zweiten Quartal um minus 0,2 Prozentpunkte. Seit rund einem Jahr ist der Außenbeitrag nun am Absinken – die Auswirkungen der Handelskonflikte beginnen sich zu materialisieren. Bandbreite der Wachstumsraten verringert sich Das Vereinigte Königreich, Italien und Frankreich werden dieses Jahr unterdurchschnittlich wachsen. Die Kommission geht davon aus, dass das Vereinigte Königreich und Italien mit jeweils 1,2 Prozent im Jahr 2019 die niedrigsten Wachstumsraten in der EU verzeichnen werden. Für das Vereinigte Königreich ist die Prognose durch den Brexit bedingt, während in Italien Exportrückgänge und schwächerer privater Konsum ursächlich sind. Gleichzeitig drücken politische Unsicherheiten auf das Geschäftsklima. Generell zeigt sich, dass sich die Bandbreite der Wachstumsraten in der EU verschmälern wird. 2018 werden die Anstiege zwischen 1,2 und 5,8 Prozent liegen und 2019 dürfte das Intervall von ebenso 1,2 bis 5,2 Prozent reichen.
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Bandbreite der Wachstumsraten* in der EU 12 Höchste
8
Durchschnitt
4 0
Niedrigste -4 -8 -12 -16 2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
*Bandbreite der realen BIP-Wachstumsraten in den EU-Mitgliedsstaaten (höchste, niedrigste und durchschnittliche Wachstumsrate in der EU), Irland auf Grund statistischer Ausreißer nicht mitberücksichtigt Quellen: Macrobond, AMECO
Trotz der vielen politischen Unsicherheiten und Risiken bleiben die makroökonomischen Rahmenbedingungen für die EU den Euroraum insgesamt robust und somit dürfte sich die wirtschaftliche Expansion moderat fortsetzen. Dies zeigen auch die Prognosen der europäischen und internationalen Institutionen. Die Europäische Kommission (2018) geht in ihrer Sommerprognose von einem BIP-Wachstum von 2,1 Prozent für 2018 (minus 0,2 Prozentpunkte gegenüber der Maischätzung) und zwei Prozent in 2019 sowohl für die EU insgesamt als auch den Euroraum für aus. Die EZB (2018) prognostiziert im September ein Wachstum im Euroraum von zwei Prozent in 2018 und 1,8 Prozent in 2019. Die OECD (2018) rechnet in ihrer Septemberprognose mit Wachstumsraten von zwei Prozent für 2018 beziehungsweise 1,9 Prozent für 2019 im Euroraum. In seiner Juliprognose nennt der IWF (2018) 2,2 Prozent für 2018 beziehungsweise 1,9 Prozent für 2019. Damit dürfte im Jahr 2017, das mit Wachstumsraten von 2,4 Prozent in EU und Euroraum glänzte, der Konjunkturhöhepunkt in Europa erreicht worden sein. Laut der Sommerprognose der Europäischen Kommission (2018) werden von den großen Volkswirtschaften vor allem Polen, die Niederlande und Spanien außerordentlich wachsen mit Raten über dem EU-Durchschnitt, sowohl 2018 als auch 2019. Deutschland werde 2018 mit der EU-Durchschnittsrate und 2019 leicht darüber wachsen. Die Weltwirtschaft entwickelt sich weiterhin im Plan Die Weltwirtschaft zeigt sich trotz geopolitischer Instabilitäten und zunehmender Handelskonflikte insgesamt in gutem Zustand. Das zweite Quartal 2018 zeigte sich nach einem relativ schwachen ersten Quartal mit 0,9 Prozent Wachstum gegenüber Vorquartal wieder dynamischer mit etwas mehr als einem Prozent. Insbesondere die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum und in den USA zeigte sich robust und hier ist mit einer weiteren Expansion, wenn auch mit gedrosseltem Tempo, zu rechnen. Hauptstützpfeiler bleibt weiterhin der private Konsum, gestützt durch eine anhaltende Verbesserung des Arbeitsmarktes, moderate Preissteigerungen und Lohnentwicklungen. Die Risiken für die weitere konjunkturelle Entwicklung sind jedoch deutlich größer geworden. Insofern ist es nur folgerichtig, dass die internationalen Wirtschaftsinstitutionen, allen voran OECD und IWF,
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auf die Gefahren klar und deutlich hinweisen und diese bei ihren Einschätzungen berücksichtigen (Deutsch 2018a). Die gestiegene Unsicherheit infolge der US-Handelspolitik verunsichert die Unternehmen, belastet deren Investitionsverhalten und Außenhandelsaktivitäten. Die weltwirtschaftliche Expansion wird zunehmend von weniger Volkswirtschaften getragen. Der IWF (2018, Juliprognose) erwartet einen weiteren Anstieg des weltwirtschaftlichen Wachstums in Höhe von 3,9 Prozent in 2018/2019, die OECD (2018, Septemberprognose) prognostiziert 3,7 Prozent in 2018 bzw. 3,7 Prozent in 2019. Wir rechnen für das Gesamtjahr 2018 mit einem realen Wachstum in Höhe von gut vier Prozent. Die Industrieländer werden mit knapp 2 ½ Prozent kräftig wachsen, während die Entwicklungs- und Schwellenländer leicht auf knapp fünf Prozent zulegen dürften (Deutsch 2018a). Eine Abschwächung der Wachstumsdynamik um einen Viertelpunkt im nächsten Jahr ist angesichts vieler sich abschwächender Indikatoren jedoch wahrscheinlich.
Industriekonjunktur hat den Zenit überschritten Die Zahlen zur Industrieproduktion dämpfen aktuell die Konjunkturlaune. Im Juli sank die Industrieproduktion merklich um 0,7 Prozent gegenüber Juni in der EU bzw. um 0,8 Prozent im Euroraum. Der Rückgang ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Produktion von Verbrauchsgütern (minus 1,3 Prozent), Gebrauchsgütern (minus ein Prozent) und Vorleistungsgütern (minus 0,6 Prozent) zurückging. Die Produktion von Energie (plus 0,7 Prozent) und Investitionsgütern (plus 0,6 Prozent) dagegen nahm zu. Auch die Junidaten enttäuschten bereits mit Rückgängen der Produktion in allen Hauptgruppen und in vielen EU-Staaten. Der Einkaufsmanagerindex signalisiert zwar mit einem Stand von 54,5 Punkten im August weiterhin Wachstum, lag jedoch 0,2 Punkte unter dem Vormonatswert. Damit hat sich die Stimmung seit Jahreswechsel 2017/2018 deutlich abgekühlt. Die Vielzahl der politischen Risiken und Unsicherheiten dämpft die Geschäftsaussichten erheblich, sie erreichten im August ein 21-Monats-Tief. Industriekonjunktur* im Euroraum 120
50 40
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30 20
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10 0
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-10 -20
100
-30 95
-40 2011
2012
Industrieproduktion*
2013 Investitionen*
2014
2015
Einkaufsmanagerindex*
2016
2017
2018
ifo Wirtschaftsklima (rechte Achse)
*Index: Q1/2014 = 100 Quelle: Macrobond
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Arbeitslosenrate sinkt kontinuierlich und nähert sich Vorkrisenniveau an Trotz des systematischen und europaweiten Rückgangs der Arbeitslosigkeit kämpfen einige Volkswirtschaften mit hohen, verfestigten Arbeitslosenraten. Im zweiten Quartal 2018 sank die Arbeitslosenrate im Euroraum auf 8,3 Prozent, was dem niedrigsten Wert seit 2008 entspricht. Auch in der EU erreichte die Quote mit 6,8 Prozent ihren niedrigsten Stand seit April 2008. Arbeitslosenrate in Prozent 13
27
11
22
9 17 7 12
5 3
7 EU 28 Frankreich V. Königreich
Euroraum Italien Spanien (rechte Achse)
Deutschland Niederlande
Quelle: Macrobond
Bezogen auf einzelne Mitgliedstaaten meldeten die Tschechische Republik (2,5 Prozent), Deutschland und Polen (jeweils 3,4 Prozent) im August 2018 die niedrigsten Arbeitslosenquoten. Am höchsten ist die Arbeitslosigkeitsrate weiterhin in Griechenland (19,1 Prozent, letzte verfügbare Daten aus Juni 2018) und Spanien (15,2 Prozent im August). Wenn auch in diesen Ländern ein stetiger Rückgang beobachtet werden kann, bleibt die Arbeitsmarktsituation in diesen Ländern weiterhin schwierig. Ein großes Problem ist hier die strukturelle Arbeitslosigkeit, die auch in konjunkturell guten Zeiten schwer abgebaut werden kann. Gleichzeitig kämpfen so gut wie alle Länder mit einem Mangel an Fachkräften in bestimmten Sektoren. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten erfreulicherweise die besonders betroffenen Länder Zypern, Griechenland, Portugal und Kroatien die stärksten Rückgänge. Jedoch besteht in Griechenland das Risiko, dass durchgeführte Arbeitsmarktreformen wieder rückgängig gemacht werden und somit eine weitere positive Entwicklung fraglich ist. Für das Jahr 2018 insgesamt wird die Arbeitslosenrate im Euroraum laut Schätzungen der EZB (2018, Septemberprognose) 8,3 Prozent betragen. Die EZB erwartet einen bedeutenden Rückgang in den nächsten Jahren bis auf 7,4 Prozent im Jahr 2020. Die Arbeitslosigkeit nähert sich damit immer weiter dem Vorkrisenniveau an. Auch die Jugendarbeitslosigkeit (Personen unter 25 Jahren) ist deutlich zurückgegangen im Vergleich zum Vorjahr. Im August 2018 lag die Jugendarbeitslosigkeit im Euroraum bei 16,6 Prozent gegenüber 18,5 Prozent im August 2017. Am niedrigsten war sie in Deutschland, Malta und der Tschechischen Republik mit je unter sieben Prozent, wohingegen die höchsten Werte in Griechenland (39,1 Prozent im Juni 2018), Spanien (33,6 Prozent) und Italien (31,0 Prozent) liegen.
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Konsolidierung der öffentlichen Finanzen geht voran, Problemfälle bleiben bestehen In der EU insgesamt ging das öffentliche Defizit im Jahr 2017 von 1,6 Prozent auf ein Prozent zurück. Im Euroraum war ein Rückgang von 1,5 Prozent auf 0,9 Prozent zu beobachten. Zwölf EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und die Niederlande, registrierten Überschüsse. Slowenien meldete eine ausgeglichene Statistik. 13 Mitgliedstaaten meldeten Defizite, die jedoch unterhalb der drei Prozent Grenze blieben. Spanien und Portugal waren die einzigen, die den Wert überschritten. Öffentlicher Finanzierungssaldo in Prozent des BIP 2
2
0
0
-2
-2
-4
-4
-6
-6
-8
-8
-10
-10
-12
-12 2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
EU 28
Euroraum
Deutschland
Frankreich
Italien
Niederlande
V. Königreich
Spanien
Quelle: Macrobond
Die EZB (2018) schätzt in ihrer Septemberprognose, dass die Defizite bis 2020 weiter verringert werden. Für 2018 geht sie von einem Wert von 0,6 Prozent aus, für 2019 von 0,8 Prozent und für 2020 von minus 0,5 Prozent. Dem zugrunde liegen konjunkturelle Verbesserungen und geringere Zinszahlungen aufgrund niedrigerer Zinssätze, die ältere, höhere nach und nach ablösen werden. Offen bleibt, wie sich die Defizite in den folgenden Jahren in einzelnen Mitgliedstaaten entwickeln werden. Die Budgetpläne der italienischen Regierung gewinnen an Klarheit. Innenminister Salvini sowie Sozialminister Di Maio haben sich scheinbar zunächst gegen den parteilosen Finanzminister Tria durchgesetzt. So soll das Defizit 2019 2,4 Prozent des BIP betragen, während Tria für 1,6 Prozent eingetreten war. Das endgültige Budget wird Ende des Jahres vorliegen. Außerdem hat der französische Präsident Macron eine umfangreiche Steuerreform angekündigt. Frankreich hat zuletzt seinen Konsolidierungspfad wieder etwas aufgeweicht. Wechselkurse bleiben volatil Auf den Devisenmärkten legte der Euro ab März 2018 eine gemischte Performance hin und wertete vor allem gegenüber dem Dollar ab. Diese Abwertung begann bereits Mitte April auf Grund besserer Konjunkturprognosen und Zinsanstiegen in den USA. Die Unsicherheiten über eine Regierungsbildung in Italien im Mai spielten hier ebenfalls eine Rolle. Seit Jahresbeginn wertete der Euro mit einigen Schwankungen um knapp vier Prozent gegenüber dem Dollar ab.
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Nominale Wechselkurse, jeweilige Fremdwährung pro Euro* 180
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100 90
92 Türkische Lira (linke Achse) Pfund Sterling US-Dollar Yen Renminbi Nominaler, effektiver Wechselkurs gegenüber den zwölf wichtigsten Weltwährungen *Anstieg bedeutet eine Aufwertung des Euros gegenüber der jeweiligen Währung
Quelle: Macrobond, 1.1.2018 = 100
Gegenüber dem Yen fand eine vergleichbare Entwicklung statt. Ursprünglich schwache Konjunkturzahlen im Frühjahr und politische Unsicherheiten konnten durch bessere Prognosen nur kurzfristig zur Aufwertung des Euro beitragen. Gerade unerwartet gute Konjunkturdaten für Japan sorgten wieder für ein Abflauen. Im Vergleich zu Jahresbeginn hatte die Gemeinschaftswährung knapp drei Prozent dem Yen gegenüber verloren. Im Gegensatz dazu blieb der Euro gegenüber dem britischen Pfund mit einigen Schwankungen konstant. Gegenüber dem Renminbi wertete der Euro um zwei Prozent auf. Der Handelsstreit mit den USA wirkte auf die chinesische Währung ein. Der türkischen Lira gegenüber verbuchte der Euro enorme Gewinne, insgesamt aktuell über 50 Prozent. Auch wenn zahlreiche monetäre Maßnahmen durchgeführt wurden, zweifelten die Märkte an der Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank. Dazu kamen Sanktionen der USA und der Handelsstreit.
Die Inflation nähert sich Zielwert von nahe, aber unter zwei Prozent Die Inflationsrate im Euroraum belief sich im August 2018 auf zwei Prozent, größtenteils aufgrund gestiegener Energiepreise. Vorläufige Schätzungen von Eurostat sehen für den September 2,1 Prozent voraus. Für das gesamte Jahr 2018 rechnet die EZB (2018) in ihrer Septemberprognose im Vergleich zu 2017 mit einer Preissteigerung von 1,7 Prozent, die vor allem von steigenden Lebensmittelund Energiepreisen getrieben wird. Die Kerninflationsrate (ohne Energie und Lebensmittel) wird bei 1,1 Prozent liegen. Bis 2020 rechnet die EZB mit einer jeweiligen Jahresrate von 1,7 Prozent. Der Preisanstieg wird damit nahe, aber noch unter dem Zielwert von zwei Prozent liegen. Während Lebensmittel- und Energie nicht
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mehr Haupttreiber der Inflation sein werden, führen gestiegene Lohnstückkosten die Preise nach oben. Die sich verbessernde Situation an den Arbeitsmärkten wird zu höheren Gehältern führen. Die dadurch erhöhten Lohnstückkosten werden sich, zumindest zum Teil, auf die Preise auswirken (EZB 2018).
Bandbreite der Inflationsraten im Euroraum 5
5 Maximum
4
4
3
3 80%-Perzentil
2
2 Durchschnitt
1
1 20%-Perzentil
0
0 Minimum
-1
-2
-1
-2
-3
-3 2013
2014
2015
2016
2017
2018
Quelle: Macrobond
Die Geldpolitik verringert langsam den Expansionsgrad Der EZB-Rat hat am 13. September 2018 entschieden, die Leitzinssätze bis mindestens nach den Sommer 2019 – in jedem Fall so lange wie erforderlich – unverändert zu lassen: Der Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte bleibt bei null Prozent, die Spitzenrefinanzierungsfazilität bei 0,25 Prozent und die Einlagenfazilität bei minus 0,4 Prozent. Damit soll die Annäherung an das Zwei-ProzentZiel sichergestellt werden. Bis Ende September 2018 wurde das Anleihekaufprogramm im Volumen von 30 Milliarden Euro pro Monat fortgesetzt. Ab Oktober wird das Volumen auf 15 Milliarden Euro gesenkt werden und nach Dezember wird das Programm auslaufen, sofern die Inflationsaussichten das Ende des Nettoerwerbs bestätigen. Die Tilgungsbeiträge für fällige Anleihen sollen jedoch reinvestiert werden, um günstige Liquiditätsbedingungen und eine umfangreiche geldpolitische Akkommodierung beizubehalten. Der Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik wird damit verhalten fortgesetzt. Ein Ende der expansiven Geldpolitik kann ein potenzielles Risiko für öffentliche Haushalte darstellen. Eine hohe Verschuldung, langsames Wachstum und erhöhte Zinsen können eine riskante Mischung darstellen. Speziell für Italien könnte dies aufgrund der politischen Unsicherheiten, die sich auf die
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Anleiherenditen auswirken, der Fall sein. Hier gilt es vor allem, die Budgetpläne der Regierung im Blick zu behalten (siehe auch Gros 2018). Der jüngste Entwurf mit einem Defizit von 2,4 Prozent hat nicht zur Beruhigung der Finanzmärkte beigetragen und die Spreads auf italienische Staatsanleihen sind weiter gestiegen (siehe auch Deutsche Bank Research 2018).
Leitzins im internationalen Umfeld 7 6 5 4 3 2 1 0
Europäische Zentralbank
Federal Reserve Bank
Bank of England
Quelle: Macrobond
Die Federal Reserve Bank (FED) hatte bereits Ende 2016 mit der Zinswende begonnen und seither insgesamt fünf Schritte zu je 0,25 Prozentpunkte durchgeführt. Am 26. September hat sie die Zinssätze zum dritten Mal im Jahr 2018 angehoben (wiederum 0,25 Prozentpunkte) in Reaktion auf ein projiziertes Wirtschaftswachstum von über drei Prozent. Auf Basis dieser Annahme signalisierte die FED ebenfalls, dass sie die Zinssätze 2018 noch einmal und 2019 noch dreimal anheben wird. Dann würde sich der Leitzins Ende 2019 oberhalb von drei Prozent befinden. Die Rendite für zweijährige amerikanische Staatsanleihen hat mit knapp über drei Prozent den höchsten Stand seit mehr als zehn Jahren erreicht. Das führt zu Kapitalbewegungen, insbesondere weg von Schwellenländern. Die Bank of England erhöhte aufgrund der gestiegenen Inflation und der leichten konjunkturellen Festigung Anfang August den geldpolitischen Leitzins um 25 Basispunkte auf 0,75 Prozent. Die Kreditvergabe normalisiert sich zunehmend Laut der Kreditvergabe-Umfrage der EZB für das zweite Quartal 2018 sanken die Zugangshürden für Kredite an nichtfinanzielle Unternehmen weiter wie auch im vorherigen Quartal. Dabei verringerten sich die Standards für Kredite an große Unternehmen etwas stärker als für kleine und mittlere Unternehmen. Mit Blick auf die großen Volkswirtschaften der Eurozone war dies der Fall in Spanien, Italien und Deutschland, während sie in Frankreich und den Niederlanden unverändert blieben. Den Banken
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zufolge waren Wettbewerbsdruck und verringerte Risikowahrnehmungen mit Blick auf die konjunkturelle Lage ausschlaggebend für die Senkung. Auch für das dritte Quartal 2018 erwarten die Banken eine weitere Lockerung der Vergabekriterien. Für Deutschland hatte die Unternehmensbefragung von KfW und BDI mit über 2.200 Unternehmen aller Größenklassen ein erfreuliches Bild ergeben. Schwierigkeiten beim Kreditzugang nahmen im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 Prozent ab und liegen mit 12,5 Prozent auf dem niedrigsten Wert seit 2012 (KfW 2018).
Kredit- und Geldmengenwachstum im Euroraum im Vergleich zum Vorjahresmonat in Prozent 20
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10
5
0
-5
-10
Kreditvergabe
Geldmenge M3
Quelle: Macrobond
Politische Ereignisse verunsichern europäische Märkte Nach einer starken Erholung im Juli 2018 kam es Anfang August zu divergierenden Entwicklungen auf den Aktienmärkten. Die US-Aktienmärkte schnitten am besten ab. Diese Entwicklung wurde insbesondere von üppigen Unternehmensgewinnen und Wirtschaftsindikatoren getragen, die auf ein weiterhin starkes Wachstum schließen ließen, nachdem das BIP im zweiten Quartal um 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zulegen konnte. In Europa setzte dagegen eine Baisse ein. Der DAX 30 verlor seit einem zwischenzeitlichen Hoch Anfang 2018 rund sechs Prozent. Der Eurostoxx 50 erfuhr eine ähnliche Entwicklung. Für das laufende Jahr ist ein Rückgang von knapp fünf Prozent zu beobachten. Die Londoner FTSE 100 verlor gleichfalls rund fünf Prozent.
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Aktienindizies
Euroraum
Deutschland
V. Königreich
Okt 18
Sep 18
Aug 18'
Jul 18
Jun 18
95
Mai 18
95
Apr 18
100
Mrz 18
100
Feb 18
105
Jan 18
105
Dez 17
110
Nov 17
110
Okt 17
115
Sep 17
115
Aug 17
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Jul 17
120
Jun 17
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Mai 17
125
Apr 17
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Mrz 17
130
Feb 17
135
Jan 17
135
USA
Quelle: Macrobond, 1.1.2017 = 100
In der Eurozone reflektiert diese Entwicklung die Sorgen des Finanzsektors über eine Ansteckung durch die türkische Krise, die Handelsstreitigkeiten um die USA sowie Verunsicherungen durch die politische Situation in Italien. Auf der einen Seite waren die Entwicklungen durch ein gesundes makround makroökonomisches Klima geprägt, auf der anderen Seite führten politische Ereignisse zu Verunsicherungen und Ausschlägen an den Finanzmärkten. Derartige Unsicherheiten bleiben zunächst bestehen: der Handelsstreit zwischen China und den USA, der sich anbahnende (harte) Brexit, Haushaltsbeschlüsse in Italien im September und Kongresswahlen in den USA im November.
Schlussfolgerungen für Europas und Deutschlands Wirtschaft Europa ist im Konjunkturzyklus in der Phase der Abkühlung. Erstarkender Nationalismus und Protektionismus dämpfen über den Rückgang des Außenhandels ebenso das Wachstum. Die Binnennachfrage ist nach wie vor stark, kommt jedoch über Zweitrundeneffekte unter Druck. Industriestarke, exportorientierte Länder wie Deutschland sind besonders betroffen. Eine Schwächung des Welthandels ist das größte Risiko für die Industrie. Spätestens bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 wird es zu einer Richtungsentscheidung für oder gegen eine souveräne und starke EU kommen. Die europäische Wirtschaft ist gut beraten, sich für die vertiefte europäische Integration, den Multilateralismus und eine offene Welthandelsordnung einzusetzen. Dazu müssen sich Unternehmen auch verstärkt in der öffentliche Debatte für Offenheit und internationale Zusammenarbeit einsetzen.
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Von Euphorie zu Ernüchterung | Europas Wirtschaft hat den Konjunkturhochpunkt überschritten 09/10/2018
Quellenverzeichnis BDI (2018). Eine starke und souveräne EU. Für eine neue Rolle Europas in der Welt. Berlin/Brüssel. Deutsch, Klaus et al. (2018a). Globaler Wachstumsausblick August 2018. Risiko ist Trump(f). Handels- und Währungskonflikte gefährden die Expansion der Weltwirtschaft. BDI. Berlin. Deutsch, Klaus (2018b). Die Währungsunion festigen. Kernpunkte zur Stärkung der EWWU. BDI. Berlin. Deutsche Bank Research (2018). Italy: A deficit target to test tolerance. Focus Europe. 28. Frankfurt/M. Europäische Kommission (2018). Summer 2018 Interim Economic Forecast. Brüssel. Europäische Zentralbank (2018). Von Experten der EZB erstellte gesamtwirtschaftliche Projektionen für das Euro-Währungsgebiet. September. Frankfurt/M. Gros, Daniel (2018). Financial Stability Implications of Increasing Interest Rates. CEPS Policy Insights No. 2018/10. Brüssel. IWF (2018). World Economic Outlook Update, Juli. Washington D.C.. KfW (2018). Unternehmensbefragung: Stimmung auf dem Kreditmarkt ungebrochen gut. Frankfurt/M. OECD (2018). Interim Economic Outlook. 20. September 2018. Paris.
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Von Euphorie zu Ernüchterung | Europas Wirtschaft hat den Konjunkturhochpunkt überschritten 09/10/2018
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