KOMMENTAR | VERKEHRSPOLITIK | KLIMASCHUTZ
Klimapfade Verkehr 2030 Kommentierung der Analyse
25. Januar 2019
Inhaltsverzeichnis
23. Oktober 2017
Zusammenfassung .............................................................................................................................. 1 Einleitung ............................................................................................................................................. 1 1. Untersuchte Maßnahmen .............................................................................................................. 2 A. Verkehrsträgerwechsel im Personen- und Güterverkehr ........................................................... 3 B. Effizienzsteigerung durch Technologien .................................................................................... 4 C. Antriebswechsel und CO2-neutrale Kraftstoffe ........................................................................... 4 Szenario „Maximale Elektrifizierung“ ............................................................................................ 4 Szenario „Maximaler Hochlauf CO2-neutraler Kraftstoffe“ ............................................................ 5 2. Notwendigkeit politischer Umsteuerungen ................................................................................. 6 A. Digitalisierungsoffensive zur Effizienzerhöhung ......................................................................... 7 B. Anreizsysteme für einen Verkehrsträgerwechsel ....................................................................... 7 C. Investitionen in eine intelligente Infrastruktur ............................................................................. 8 D. CO2-Bepreisung als Lenkungsinstrument .................................................................................. 8 Über den BDI ...................................................................................................................................... 10 Impressum ......................................................................................................................................... 10
Jürgen Hasler Abteilungsleiter | Mobilität und Logistik | j.hasler@bdi.eu | www.bdi.eu
Klimapfade Verkehr 2030
Zusammenfassung Die Bundesregierung hat ihren Willen bekräftigt, bis zum Jahr 2030 die Treibhausgas-Emissionen (THG-Emissionen) im Verkehrssektor um 40 bis 42 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu senken. Im vierten Quartal 2018 wurde daher im Kontext der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität eine Expertenarbeitsgruppe eingesetzt, um geeignete Maßnahmen zu diskutieren, mit deren Hilfe dieses ehrgeizige Ziel erreicht werden könnte. Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) hat mit einigen seiner Mitglieder – der Deutschen Bahn AG, dem Mineralölwirtschaftsverband e.V. (MWV), dem Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA) sowie dem Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI) – gemeinsam mit Boston Consulting Group (BCG) und Prognos eine sektorspezifische Analyse zur Senkung der THG-Emissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 durchgeführt, die auf der im Januar 2018 vorgestellten Studie „Klimapfade für Deutschland“ basiert. In der Studie “Klimapfade für Deutschland“, die eine volkswirtschaftliche Optimierung über alle Sektoren hinweg für das Jahr 2050 zum Ziel hat, würde im Verkehrssektor eine 40-prozentige THG-Emissionssenkung zwischen 2034 und 2036 erreicht. Soll das THG-Sektorziel der Bundesregierung für den Verkehr hingegen trennscharf im Jahr 2030 erreicht werden, wären Anstrengungen weit über das ohnehin schon höchst ambitionierte 95-Prozent-Szenario der Studie “Klimapfade für Deutschland” hinaus erforderlich. Schon eine erfolgreiche Umsetzung dieses 95-Prozent-Szenarios wäre nur bei ähnlich hohen Ambitionen in den meisten anderen G20-Ländern vorstellbar. Die zur Verfügung stehenden Hebel müssten bis an die Grenzen der theoretischen Machbarkeit intensiviert werden. Es wäre mit erheblichen Mehrinvestitionen zwischen 243 (Szenario „Kraftstoffe“) und 256 Mrd. Euro (Szenario „Elektrifizierung“) bzw. volkswirtschaftlichen Mehrkosten zwischen 115 und 126 Mrd. Euro – bei Anrechnung der Energieträgereinsparungen – zum Jahr 2030 zu rechnen. Eine stärkere Nutzung von Biomasse für biogene Kraftstoffe würde zusätzliche Importe erfordern oder hätte zur Folge, dass zum Beispiel dem Industriesektor Biomasse für die kosteneffiziente Erfüllung seines Sektorziels fehlt. Neben den Stellhebeln Verkehrsträgerwechsel zu Schiene, Bus und Binnenschifffahrt sowie Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung und technische Verbesserungen, die zusammen rund ein Viertel der THG-Einsparungen ermöglichen, sind die beiden Stellhebel Elektrifizierung von Antrieben sowie Förderung CO2-neutraler Kraftstoffe von entscheidender Bedeutung. Zwei Ziel-Szenarien mit unterschiedlichen Schwerpunkten beim Elektrifizierungsgrad sowie beim Einsatz CO2-neutraler Kraftstoffe (Power-to-X (PtX) und Biomasse) wurden modelliert und würden – auch hinsichtlich der Kosten – erhebliche Belastungen für die Nachfrageseite von Mobilität zur Folge haben. Eine solche Szenarienwelt ist ohne ein abgestimmtes Instrumentenbündel nicht denkbar. Keines der aufgezeigten Szenarien wird sich von allein einstellen. Es bedarf zusätzlicher finanzieller Anreize und regulatorischer Rahmenbedingungen. Die Politik steht vor der Herausforderung, in erheblichem Maße steuernd einzugreifen. In der öffentlichen Diskussion werden daher häufig höhere Kosten für die motorisierte individuelle Mobilität gefordert. Um die Größe der Herausforderung dazustellen, enthält die vorliegende Analyse drei Varianten, die modellhaft Preisanreize in Form einer CO2-Abgabe auf Kraftstoffe abbilden: von einem hohen CO2-Preisimpuls ohne zusätzliche Subventionierung über eine Kombination aus CO2-Preisimpuls und Kaufanreizen bis zu einem geringen CO2-Preisimpuls in Verbindung mit deutlich höheren Kaufanreizen. Die CO2-Abgabe würde – in der Variante eines ausschließlich zusätzlichen CO2-Preisimpulses, d. h. ohne zusätzliche Maßnahmen wie Kaufanreize für Fahrzeuge mit niedrigen Emissionen – den Preis für Benzin um 0,58 Euro/Liter und für Diesel um 0,66 Euro/Liter bis zum Jahr 2030 erhöhen. Ein derartiger Preisanstieg wäre allerdings mit dem gesellschaftlich übergeordneten Ziel, nämlich bezahlbare individuelle Mobilität für alle Bevölkerungsschichten zu erhalten, kaum zu vereinbaren. In der Variante der Kombination aus CO2-Preisimpuls und -Kaufanreizen würde der Preis für Benzin um 0,35 Euro/Liter und für Diesel um 0,40 Euro/Liter bis 2030 steigen.
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Einschränkungen in der individuellen Mobilität ließen sich aber auch hier nicht ausschließen. Vor dem Hintergrund der enormen Wichtigkeit des Erhalts der Mobilität von Personen und Gütern steht die Politik vor der anspruchsvollen Aufgabe, die Umsetzung der komplexen Klimamaßnahmen mit der Wahrung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland, einem steigenden Lebensstandard der Bürger, einer fairen Lastenverteilung sowie einer Sicherstellung der Akzeptanz der Maßnahmen in Einklang zu bringen. Dazu bedarf es einer langfristigen aktiven Steuerung. Je besser diese in Deutschland gelingt, desto besser sind auch die Erfolgsaussichten für den notwendigen globalen Klimaschutz.
Einleitung Die Erreichung der ambitionierten Klimaziele von 80 bis 95 Prozent Reduktion der THG-Emission bis 2050 gegenüber dem Basisjahr 1990 wird Deutschland in den kommenden Jahrzehnten vor große Herausforderungen stellen: 80 Prozent Emissionsreduktion würden – zusätzlich zu bestehenden Anstrengungen – unter anderem eine weitere Beschleunigung der Energiewende im Stromsektor (Ausbau von Erneuerbaren Energien, Stromnetzen, Speichern und Flexibilität), eine deutliche Ausweitung der Sektorkopplung mit Verkehr und Wärme, eine höhere Ausschöpfung existierender Effizienzpotenziale sowie eine Umlenkung national nachhaltig verfügbarer Biomasse in effizientere Verwendungen in der Industrie erfordern. 95 Prozent Emissionsreduktion würden ungleich größere Anstrengungen erfordern. Energie, Verkehr, Gebäude und industrielle Wärmeerzeugung müssten praktisch THG-emissionsfrei gestellt werden. Die in der Klimapfade-Studie beschriebenen Pfade zeigen, das eine 95-prozentige THG-Reduktion realistischerweise in Deutschland nicht gelingen kann, solange nicht global ein gleichgerichtetes Ambitionsniveau und eine internationale Zusammenarbeit beim Klimaschutz umgesetzt werden. Grund dafür ist, dass die Erreichbarkeit des 95-Prozent-Reduktionsziels an der Grenze absehbarer technischer Machbarkeit, Finanzierbarkeit und heutiger gesellschaftlicher Akzeptanz liegt. Dafür wären bis 2050 unter anderem der Einsatz von Power-to-Gas-Technologie für Backup-Kraftwerke im Stromsystem, die Sanierung von 80 Prozent des Gebäudebestands auf heutigen Neubaustandard, die vollständige Verdrängung von Kohle, Öl und Erdgas in der Wärmeerzeugung, eine weitgehende Durchdringung des Verkehrssektors mit Batteriefahrzeugen, die stärkere Nutzung des Schienenverkehrs, CO2-neutrale Lösungen im Güterverkehr, umfangreiche Importe von erneuerbarem Treibstoff, der Einsatz von CCS zur Vermeidung von Prozessemissionen insbesondere in der weiterhin benötigten Grundstoffindustrie und Emissionssenkungen im landwirtschaftlichen Tierbestand erforderlich. Mit Mehrinvestitionen von 1,3 bis 2,3 Billionen Euro bis 2050 (80- bzw. 95-Prozent-Szenario) wäre dies ein beispielloses Umbauprogramm für viele Bereiche der deutschen Wirtschaft. Im Vergleich zur Stromwende wären die Komplexität sowie die direkte Betroffenheit der Bürger und der Veränderungsbedarf bei Unternehmen dabei unvergleichlich höher. In der sektorenübergreifend optimierten Studie “Klimapfade für Deutschland” erreicht der Verkehrssektor das Ziel einer weitgehenden Dekarbonisierung bis 2050 sowohl im 80-, als auch im 95-ProzentSzenario. Dagegen würde das aktuell für 2030 diskutierte nationale Sektorziel für den Verkehr erst in den Jahren 2034 (95-Prozent-Szenario) und 2036 (80-Prozent-Szenario) erreicht werden. Dies erklärt sich aus der unterschiedlichen Investitionshöhe der für die CO2-Reduktion im Verkehrssektor notwendigen Technologien. Der BDI hat mit einigen seiner Mitglieder für die Arbeit der AG 1 der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität gemeinsam mit Boston Consulting Group (BCG) und Prognos theoretische Szenarien berechnet, wie – aufbauend auf der ursprünglichen Studie “Klimapfade für Deutschland“ und isoliert für den Verkehrssektor – das politische Sektorziel für 2030 (Reduktion der THG-Emissionen im Verkehr von 40 bis 42 Prozent) erreicht werden könnte.
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Dabei wird sehr deutlich, dass die Beiträge der einzelnen Stellhebel in diesen Szenarien jeweils massiv über das ohnehin schon höchst ambitionierte 95-Prozent-Szenario hinausgehen müssten. Die vorliegenden Ergebnisse legen nahe, dass die Erreichung des politischen Sektorziels für 2030 mit technologisch, ökonomisch und gesellschaftlich akzeptablen Maßnahmen nur äußerst schwer an der Grenze der Machbarkeit umsetzbar sein wird. Die Politik steht vor der anspruchsvollen Aufgabe, die Umsetzung der komplexen Klimamaßnahmen mit der Wahrung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland, einem steigenden Lebensstandard der Bürger, einer fairen Lastenverteilung sowie einer Sicherstellung der Akzeptanz der Maßnahmen in Einklang zu bringen. Dazu bedarf es einer langfristigen aktiven Steuerung. Je besser diese in Deutschland gelingt, desto besser sind auch die Erfolgsaussichten für den notwendigen, globalen Klimaschutz. Politische Fehlsteuerungen würden die komplexe Transformation nicht nur unnötig verteuern und deren Akzeptanz und Umsetzbarkeit in Deutschland gefährden, sondern auch die Rolle Deutschlands als mögliches Vorbild im Klimaschutz in Frage stellen. Mit einem "Negativbeispiel Deutschland“ wäre die ursprüngliche Ambition ins Gegenteil verkehrt.
1. Untersuchte Maßnahmen A.
Verkehrsträgerwechsel im Personen- und Güterverkehr
Bis zum Jahr 2030 wird ein möglicher Anstieg der Verkehrsleistung im Personenverkehr gegenüber dem Jahr 2015 von 35 Prozent bei Bus und Schiene und im Güterverkehr von 60 Prozent bei Schiene und Binnenschifffahrt angenommen. Diese Szenarien sind sehr ehrgeizig und unterstellen einen ambitionierten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sowie die konsequente Umsetzung der gegenwärtig diskutierten Maßnahmen, beispielsweise aus dem Masterplan Schienengüterverkehr, dem Zukunftsbündnis Schiene und dem Programm Digitale Schiene Deutschland. Im Personenverkehr sollen bei einer umfassenden Stärkung des Schienen- und Busverkehrs rund 53 Mrd. Personenkilometer bis 2030 von der Straße auf gemeinsam genutzte Verkehrsträger verlagert werden. Gegenüber dem Referenzszenario der Studie „Klimapfade für Deutschland“, welches für das Jahr 2030 einen Verkehrsträgerwechsel im Umfang von rund 16 Mrd. Personenkilometer unterstellt, bedeutet der nunmehr unterstellte Verkehrsträgerwechsel eine Verdreifachung gegenüber dem Referenzpfad. Zur Zielerreichung gehören beispielsweise der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gemäß dem Bundesverkehrswegeplan und dem Deutschlandtakt, die mögliche Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von sieben statt 19 Prozent im gesamten Schienenpersonenverkehr sowie die Verdoppelung der Investitionsmittel im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auf eine Milliarde Euro jährlich. Im Güterverkehr erscheint ein Verlagerungspotenzial von rund 46 Mrd. Tonnenkilometer von der Straße auf die Schiene und das Binnenschiff möglich. Anlass für diese gegenüber dem Referenzszenario optimistischere Aussicht sind die bereits im Jahr 2017 erzielten überproportionalen Zuwächse am Modal Split für den Verkehrsträger Schiene. Der Schienengüterverkehr steht in einzelnen Gütersegmenten in einem intensiven wettbewerblichen Umfeld zum Straßengüterverkehr, der bislang durch relativ niedrige Kraftstoffpreise und bisher konstante Mautsätze gekennzeichnet ist. Angesichts der signifikanten Mauterhöhung zum 1. Januar 2019 um rund 40 Prozent für die Mehrzahl der Lkw bei einer gleichzeitigen Halbierung der Belastung aus Trassenpreisen für den Schienengüterverkehr stehen die marktwirtschaftlichen Anreize eindeutig zugunsten der Schiene. Hier gilt es insbesondere, bis 2030 die Kapazitäten signifikant auszubauen, um das angereizte Marktwachstum zu bewältigen. Dabei wird unterstellt, dass alle zentralen Maßnahmen des Masterplans Schienengüterverkehr umgesetzt
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und finanziert werden; hierzu gehören insbesondere Knotenertüchtigung, das Bundesprogramm Zukunft Schienengüterverkehr für Innovationen und Digitalisierung sowie Infrastrukturausbau für 740 Meter lange Güterzüge. Für die Binnenschifffahrt gelten weiterhin die sehr optimistischen Annahmen der Studie „Klimapfade für Deutschland“, insbesondere im Bereich der Wachstumsraten der Containerschifffahrt. Da konkrete Impulse zur Steigerung der Marktanteile der Binnenschifffahrt aus dem gerade in Arbeit befindlichen Masterplan Binnenschifffahrt noch nicht erkennbar sind, werden, ausgehend vom Basisjahr 2015 weiterhin rund 20 Mrd. Tonnenkilometer Güterverkehrswachstum bis zum Jahr 2030 angenommen. B.
Effizienzsteigerung durch Technologien
Effizienzsteigerungen bei Antrieben können den Realverbrauch bis 2030 unter Berücksichtigung der seit 2015 ergriffenen Maßnahmen um rund 17 bis 22 Prozent – je nach Fahrzeugtyp – senken. Effekte der Digitalisierung des Straßenverkehrs sind in Ansätzen erkennbar. Das Potenzial der Digitalisierung ist hoch und sollte politisch unterstützt werden, u. a. durch Aufbau der notwendigen Infrastrukturen. Sowohl beim Verbrennungsmotor als auch durch technische Verbesserungen am Gesamtfahrzeug (Aerodynamik, Fahrzeuggewicht, sparsamere bordeigene Verbraucher) sind weitergehende Kraftstoffeinsparungen möglich und führen zu erheblich niedrigeren CO2-Emissionen. Darüber hinaus wären durch eine konsequente „kraftstoffsparende Fahrweise“ die im Fahrzeug vorhandenen technischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Die zu erreichenden Effizienzsteigerungen liegen im Prognosezeitraum von 2015 bis 2030 zwischen 17 Prozent bei Bussen und 22 Prozent bei Pkw. Beim Lkw werden 19 Prozent prognostiziert, wobei insbesondere aerodynamische Anbauten sowie die konsequente Anwendung von Lang-Lkw mit 25,25 Meter Länge und Platooning eine erhebliche Rolle bei der Kraftstoffeinsparung spielen dürften. Die Kraftstoffeinsparungen bei zwei am Platooning beteiligten Lkw liegen durchschnittlich zwischen fünf und zehn Prozent. Beim Lang-Lkw sind sogar zehn bis 15 Prozent Kraftstoffeinsparung je transportierte Tonne bzw. Ladungseinheit zu erzielen. Die große Herausforderung bei einem stetig wachsenden Verkehrsaufkommen ist neben der Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger insbesondere eine sich der schwankenden Verkehrsintensität dynamisch anpassende Verkehrssteuerung. In einzelnen Modellversuchen wurden mittels Systemen zur intelligenten Verkehrssteuerung zwischen zehn und 25 Prozent CO2-Emissionen eingespart. Werte zwischen fünf und zehn Prozent CO2-Reduktion erzielen Navigationssysteme zur intelligenten Stauvermeidung sowie zur spritsparenden Routenwahl. Einen erheblichen Effekt brächten digitalisierte Systeme zur Steuerung der Lieferverkehre beispielsweise in der City-Logistik. Hier könnte sich die Anzahl der Lieferfahrzeuge um rund 20 Prozent reduzieren. Noch höhere Effizienzsteigerungen ergäben sich durch digitalisierte Parkplatzreservierung. Im Privat- und Wirtschaftsverkehr würde sich hiermit die Zeit zur Parkplatzsuche um 30 und 50 Prozent reduzieren. C.
Antriebswechsel und CO2-neutrale Kraftstoffe
Die größten Hebel zur Erreichung der Klimaschutzziele im Jahr 2030 würden der Antriebswechsel zu elektrischen und gasförmigen Antrieben sowie ein gezielter Markthochlauf erneuerbarer Kraftstoffe darstellen. In der Studie „Klimapfade für Deutschland“ werden für das Jahr 2030 über sechs Millionen elektrisch betriebene Fahrzeuge (Pkw und LNF) bereits als eine ambitionierte, aber zumindest theoretisch realisierbare Annahme getroffen. Entscheidend für den Hochlauf der Elektromobilität ist neben dem Vorhandensein einer funktionierenden Ladeinfrastruktur, dass ab 2025 die Kostendegression bei Batterien Reichweiten im Pkw-Bereich erlaubt, die den bisherigen Mobilitätsgewohnheiten entsprechen. Für die Anforderungen im Schwerlastverkehr kann dies nicht realistisch angenommen werden, sodass hier andere Maßnahmen wie z. B. die Elektrifizierung von Straßeninfrastruktur erforderlich sind.
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Bei der praktischen Umsetzung des Hochlaufs der Elektromobilität stellen sich weiterhin erhebliche Fragen hinsichtlich der Akzeptanz in der Bevölkerung. Auch dürfte ein Vorziehen des Markthochlaufs batterieelektrischer Antriebe nur gelingen, wenn entweder die für 2025 angenommene Kostendegression früher eintritt oder starke Kaufanreize gesetzt werden, die ggf. mit einer Erhöhung der Mobilitätskosten für Antriebstechniken mit Verbrennungsmotoren einhergehen. Hinzu kommen Unsicherheiten durch neue politische Abhängigkeiten bei Rohstoffen wie Lithium, Kobalt und seltenen Erden, ökologischen Risiken bei der Batterieherstellung und Recyclingthemen sowie der Notwendigkeit eines deutlich stärkeren Ausbaus des Verteilnetzes. Ergänzend muss parallel der Markthochlauf erneuerbarer Kraftstoffe betrieben werden, sowohl Biokraftstoffe als auch synthetische Kraftstoffe PtL oder PtG. Diese CO2-neutralen Kraftstoffe bieten auch deutliche Chancen im Anlagenbau, in der chemischen Industrie und in der Mineralölwirtschaft, einen technologieoffenen Ansatz und mehr Flexibilität in der Automobilindustrie sowie einen Aufbau einer notwendigen Wasserstoffwirtschaft. Auch wenn diese Kraftstoffe später in anderen Sektoren wie der Luft- oder Schifffahrt eingesetzt werden sollten, können sie frühzeitig zur Erfüllung der Klimaziele im Verkehrssektor für das Jahr 2030 beitragen. Der Einsatz synthetischen Kraftstoffe ist allerdings aufgrund des notwendigen Aufbaus ihrer Produktionsstandorte in der kurzen Frist bis 2030 faktisch begrenzt. Es sind daher weitere Anstrengungen vonnöten. Mit rund vier Millionen gasbetriebenen Fahrzeugen gegenüber rund zwei Millionen Gasfahrzeugen im Referenzszenario stellt der Antriebswechsel zu Gas einen weiteren wichtigen Hebel zur Erreichung der nationalen Klimaziele dar, der sich zudem besonders kosteneffizient erreichen lässt. Durch die Verlängerung der Reduktion der Energiesteuer bis 2026 und der Mautbefreiung für LNG-Lkw bis 2020 hat die Bundesregierung bereits wichtige Signale gesetzt, die bis 2030 fortgeführt werden sollten. Mit dem Einsatz von abfallstämmigem Biomethan, das relativ kostengünstig vorhanden ist, und synthetischem Gas kann diese Antriebslösung mehr als eine Brückenlösung darstellen. Der Einsatz der Erdgasmobilität führt zudem zu Umweltvorteilen bei Schadstoffemissionen (deutlich weniger Feinstaub) und Nutzervorteilen mit den heutzutage geringsten Fortbewegungskosten. In der vorliegenden, auf das Jahr 2030 ausgerichteten Analyse mit einer punktgenauen THG-Reduktion um 40 Prozent gegenüber 1990 wurden deshalb zwei theoretisch umsetzbare Szenarien entwickelt, die sich wie folgt unterscheiden: ein Szenario mit einem maximalen Hochlauf der Elektrifizierung (Szenario E) und ein Szenario mit einem maximalen Hochlauf CO2-neutraler Kraftstoffe (Szenario K): Szenario „Maximale Elektrifizierung“ Im Extrem-Szenario „Elektrifizierung“ (Szenario E) müsste die Zahl der elektrisch betriebenen Fahrzeuge in Deutschland bis zum Jahr 2030 auf zehn Millionen Einheiten ansteigen, um das ehrgeizige Klimaziel für das Jahr 2030 zu erreichen. Das würde jährliche Neuzulassungsraten von rund 40 bis 75 Prozent von 2025 bis zum Jahr 2030 in Deutschland bedeuten (je nach Starterfolg in den Jahren zuvor). Hinzu käme ein gegenüber der „Klimapfade-Studie für Deutschland“ um fünf Jahre vorgezogener Ausbau der Infrastruktur für den Oberleitungs-Lkw, um bis zum Jahr 2030 rund 2 500 Kilometer Autobahn zu elektrifizieren. Allein dies würde aber zur Erreichung des Sektorziels 2030 im Verkehr nicht ausreichen. Nur durch einen zusätzlichen ambitionierten Hochlauf synthetischer und biogener Kraftstoffe für den Straßenverkehr könnte überhaupt das Sektorziel im Jahr 2030 erreicht werden. Die Menge CO2-neutraler Kraftstoffe müsste sich von 2015 bis 2030 vervierfachen. In der Studie „Klimapfade für Deutschland“ sind synthetische Kraftstoffe insbesondere für den internationalen Luft- und Seeverkehr vorgesehen. Somit würden synthetische Kraftstoffe in der über das Jahr 2030 hinausgehenden Betrachtung auch diesen Bereichen zuzuführen sein. Im Unterschied dazu wäre die Bereitstellung synthetischer Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren im Straßenverkehr zur Erreichung des sektorspezifischen Klimaziels im Verkehr für das Jahr 2030 erforderlich. Die zusätzlichen Investitionen dieses Szenarios belaufen sich kumuliert auf 256 Mrd. Euro.
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Szenario „Maximaler Hochlauf CO2-neutraler Kraftstoffe“ Im Extrem-Szenario „Kraftstoffe“ (Szenario K) müsste die Zahl der elektrisch betriebenen Fahrzeuge (Pkw und LNF) in Deutschland bis zum Jahr 2030 auf rund sieben Millionen Einheiten ansteigen, um das ehrgeizige Klimaziel für das Jahr 2030 zu erreichen. Das würde jährliche Neuzulassungsraten von rund 30 bis 50 Prozent von 2025 bis zum Jahr 2030 in Deutschland bedeuten (je nach Starterfolg in den Jahren zuvor). Dabei würde auch im „Kraftstoff-Szenario“ der Markthochlauf von Elektrofahrzeugen schneller erfolgen müssen, als in den optimierten Technologiepfaden der Studie „Klimapfade für Deutschland“ empfohlen. Bereits dieser Grad der Elektrifizierung würde eine große Anstrengung bedeuten und könnte nur dann erfolgen, wenn auch gewisse Voraussetzungen wie eine ausreichende, flächendeckend verfügbare Ladeinfrastruktur bereitstünde. Hinzu käme auch im Szenario „Kraftstoffe“ ein gegenüber der „Klimapfade-Studie für Deutschland“ um fünf Jahre vorgezogener Ausbau der Infrastruktur für den Oberleitungs-Lkw, um bis zum Jahr 2030 rund 2 500 Kilometer Autobahn zu elektrifizieren. Auch ein ambitionierter Hochlauf synthetischer Kraftstoffe für den Straßenverkehr wäre im gleichen Maße wie im Szenario „Elektrifizierung“ umzusetzen. Um das Sektorziel im Jahr 2030 dennoch zu erreichen, wäre deshalb ein stärkerer Anstieg biogener Kraftstoffe vonnöten – um weitere 10 Prozentpunkte der deutschen Biomassenutzung im Vergleich zu 2015. Die Menge erforderlicher CO2-neutraler Kraftstoffe würde sich in diesem Szenario „Kraftstoffe“ gegenüber dem Szenario „Elektrifizierung“ um rund 25 Prozent erhöhen. Die zusätzlichen Investitionen dieses Szenarios belaufen sich kumuliert auf 243 Mrd. Euro.
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2. Notwendigkeit politischer Umsteuerungen Um ein derart ambitioniertes Maßnahmenpaket umzusetzen, würde es eines starken politischen Instrumentariums bedürfen, das gleichermaßen die Verflüssigung des Individualverkehrs durch Digitalisierung und die Rahmenbedingungen für den Verkehrsträgerwechsel mit den erforderlichen Investitionsrahmen bereitstellt und die entsprechenden Vorhaben politisch auch durchsetzt. Gleichzeitig sind Investitionen in umfassende Infrastrukturmaßnahmen zu tätigen und ein Markhochlauf von erneuerbaren Kraftstoffen zu ermöglichen. Bei ausreichenden Mobilitätsangeboten ließe sich eine Lenkungswirkung schließlich über eine Bepreisung, die sich z. B. an CO2-Emissionen orientiert, herstellen. A.
Digitalisierungsoffensive zur Effizienzerhöhung
Im Bereich der Verflüssigung des Straßenverkehrs in Innenstädten sind die Kommunen gefordert, verstärkt digitale und intelligente Verkehrssteuerungssysteme zu implementieren und zu nutzen. Dies muss die kommunale Verkehrsplanung verstärkt aufgreifen. Darüber hinaus können weitere Effizienzpotenziale durch die Vermeidung von Parksuchverkehren und einer digitalisierten City-Logistik gehoben werden. Schließlich bieten auch automatisiertes und vernetztes Fahren enorme Einsparpotenziale durch eine insgesamt optimierte Verflüssigung des Verkehrs. Im Straßen- und im Schienenverkehr ließen sich durch Digitalisierung enorme Effizienzpotenziale auf der vorhandenen Infrastruktur heben. Als weiteren Hebel zur CO2-Vermeidung würden sich darüber hinaus Car- und Ridesharing-Angebote erweisen, die bereits heute in Metropolregionen erfolgreich eingeführt sind. Politische Anreize zur Nutzung derartiger neuer Mobilitätsangebote sowie eine rasche Klärung und Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen könnten dazu beitragen, diesen zum Durchbruch zu verhelfen und die positiven Effekte zu verstärken. B.
Anreizsysteme für einen Verkehrsträgerwechsel
Um den Verkehrsträgerwechsel auf die Schiene zu unterstützen, bedarf es insbesondere eines deutlichen Ausbaus der Schienenwege, der Implementierung des Programms Digitale Schiene Deutschland und der Umsetzung des Masterplans Schienengüterverkehr. Für Wachstum auf der Schiene müssen die Kapazitäten in den Knoten und auf den hoch belasteten Korridoren weiter erhöht werden, auch zur Realisierung des Deutschlandtakts. Ferner muss die Infrastruktur für 740 Meter lange Güterzüge ertüchtigt werden. Für Kommunen sollten weitere Anreize geschaffen werden – ausgehend vom ÖPNV durch Vernetzung von Verkehrsträgern und intermodale Mobilitätsangebote –, um eine weitere Entzerrung des Verkehrs zu erreichen. Hier spielen transparente und leicht überschaubare Tarifsysteme, die idealerweise über eine digitale Anwendung benutzerfreundlich gestaltet sind, ebenso eine Rolle wie die Verzahnung mit dem Schienennah- und -fernverkehr. Darüber hinaus bedarf es stärkerer und nicht ausschließlich monetärer Impulse für die verladende Wirtschaft, verstärkt intermodale Verkehrsketten zu nutzen. Der Kombinierte Verkehr wird durch höhere zulässige Ladungsgewichte gestärkt. Dies könnte beispielsweise auch auf andere Gütergruppen ausgedehnt werden. Eine besondere Bedeutung hätte darüber hinaus z. B. die Ausweitung der Verfügbarkeit kranbarer Sattelauflieger, um grundsätzlich eine Ko-Modalität von Straße und Schiene zu ermöglichen.
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C.
Investitionen in eine intelligente Infrastruktur
In den vorgestellten Modellierungen für CO2-Reduktionen im Schwerlastverkehr spielen neben gasbetriebenen Lkw (Biomethan/LNG) sowohl Oberleitungs-Lkw als auch wasserstoffbetriebene Lkw eine gleichermaßen wichtige Rolle. Noch ist der Technologiewettlauf nicht entschieden. Zudem erlaubt die Hybridkonfiguration der Oberleitungs-Lkw eine Kombination mit unterschiedlichsten alternativen Kraftstoffen. Daher müssen diese Technologien nebeneinander und im Zusammenspiel bestehen. Um den Hochlauf beider klimafreundlicher Antriebsformen zu gewährleisten, ist frühzeitig in den Aufbau entsprechender Infrastruktur zu investieren. Für die Bereitstellung der dringend erforderlichen Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge sind neben dem erforderlichen Netzausbau auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Einrichtung entsprechender Ladepunkte zu schaffen. Statt der heute rund 13 000 verfügbaren Ladepunkte für rund 150 000 Elektrofahrzeuge würden rein rechnerisch bis 2030 über 500 000 Ladepunkte benötigt, um den über sieben Millionen Elektrofahrzeugen aus dem Szenario K eine vergleichbare Mobilität zu ermöglichen. Hier sind auch die Kommunen gefordert, im Rahmen ihrer Parkraum-BewirtschaftungsSysteme das Angebot öffentlicher Ladeinfrastruktur kostengünstig anzubieten. D.
CO2-Bepreisung als Lenkungsinstrument
Klar ist aber auch, dass die skizzierten Maßnahmen einer erheblichen politischen Flankierung bedürfen. Die größte politische Umsteuerungsmaßnahme müsste deshalb durch Preisimpulse erfolgen. Die Nachfrage nach Verkehr, insbesondere im Personenverkehr, zeichnet sich durch ein hohe Unelastizität aus; mittelfristig ist sie nur gering preiselastisch. Das heißt, nur ein sehr hoher Preisanreiz oder sehr lange Zeiträume können – unabhängig ob durch Verteuerung von fossilen Kraftstoffen/Antrieben oder durch Kaufanreize für neue Technologien – Veränderungen der Verkehrsnachfrage bewirken. Solche hohen Preisimpulse gehen aber immer auch mit erheblichen Nebenwirkungen auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene einher. Diese Wirkungen muss die Politik im Blick halten und ausgewogen abwägen, bevor einseitige Maßnahmen zur vermeintlich wünschenswerten Verteuerung des motorisierten Individualverkehrs ergriffen werden. Zur Veranschaulichung der Dimensionen, um die sich der motorisierte Individualverkehr verteuern müsste, hat der BDI exemplarisch eine CO 2-Bepreisung in drei Varianten untersuchen lassen, in welcher Größenordnung ein Preisimpuls liegen müsste, um zum Verkehrsträger- und Kraftstoffwechsel sowie zum Umstieg auf eine CO2-ärmere Mobilität in der gewünschten Dimension anzureizen. Als mögliches Instrumentarium wird hierbei die Auswirkung eines fiktiven CO 2-Preises simuliert, der im Modell zunächst zusätzlich auf den bestehenden Kraftstoffpreis aufgeschlagen würde. Im Zuge einer umfassenden Kraftfahrzeug- und Energiesteuerreform müsste allerdings in der Praxis ein erheblicher Teil der heutigen Energiesteuer auf Mineralölprodukte von einer Volumensteuer (Euro/Liter) in eine CO2-basierte Abgabe überführt werden, um systematisch richtig CO2-Vermeidungsoptionen anzureizen – sowie u. a. auch Biomasse oder synthetische CO2-neutrale Kraftstoffe. Modellhaft wurde zunächst die schrittweise Einführung eines zusätzlichen CO 2-Preises simuliert, der je nach Variante ab einem Wert von 30 bis 50 Euro/Tonne CO2 im Jahr 2020 ansteigt. Bis zum Jahr 2030 wäre je nach Ausgestaltung dieser CO2-Preis auf 100 Euro/Tonne CO2 bis zu 250 Euro/Tonne CO2 zu erhöhen. In einem Maximalszenario von 250 Euro/Tonne CO 2 im Jahr 2030 würde dies den Dieselkraftstoff um real 0,66 Euro/Liter und für Benzin um 0,58 Euro/Liter erhöhen. Bei der Wahl eines niedrigeren CO2-Preises von beispielsweise 100 Euro/Tonne CO2 (zusätzlicher Preisimpuls real im Jahr 2030 für Benzin in Höhe von 0,23 Euro/Liter und für Diesel in Höhe von 0,26 Euro/Liter) wären zusätzliche staatliche Kaufanreize zum Umstieg auf alternative Antriebe in der Bandbreite von bis zu 6 000 Euro im Jahr 2020 erforderlich. Dieser Wert könnte mit fortschreitender Technologie und Preisdegression bis 2030 deutlich abfallen. Hierdurch entstünde wiederum ein Anreiz, möglichst früh-
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Klimapfade Verkehr 2030
zeitig auf Elektromobilität und CO2-neutrale Energieträger umzusteigen, da die Subventionen sich beispielsweise schrittweise reduzierten. Die Kosten für die Kaufanreize beliefen sich hierbei auf bis zu 30 Milliarden Euro. Angesichts des teilweise sehr hohen Preisimpulses ist aber zu befürchten, dass einkommensschwächere Gruppen zunehmend von der motorisierten Individualmobilität ausgeschlossen werden bzw. einen größeren Anteil ihres verfügbaren Haushaltseinkommens hierfür verwenden müssten. Ein solcher Preisimpuls würde zwangsläufig auch Effekte der Verkehrsvermeidung nach sich ziehen und sich in der Simulation eines maximalen CO2-Preises von 250 Euro/Tonne mit 45 Mrd. Personenkilometern und 22 Mrd. Tonnenkilometern Verkehrsverzicht bemerkbar machen. Dies wären im Personenverkehr minus 3,8 Prozent und im Güterverkehr minus 2,6 Prozent der jeweils gesamten Verkehrsleistung des Jahres 2030. Niedrigere Einkommensgruppen und die Bevölkerung im ländlichen Raum wären von einer derartigen Bepreisung stärker als andere Gruppen betroffen. Einzelne Güterarten wie beispielsweise Agrarprodukte könnten aufgrund des Anstiegs der Logistikkosten schwerer zu vermarkten sein. Darüber hinaus müsste bei dem System einer CO2-Bepreisung gewährleistet sein, dass es eine ähnliche Abgabe auch in den europäischen Nachbarstaaten gibt, um Tanktourismus und Wettbewerbsverzerrungen im Transportmarkt auszuschließen.
Schlussfolgerungen Die Bundesregierung hat sich durch ihr ehrgeiziges THG-Reduktionsziel im Verkehrssektor für das Jahr 2030 selbst sehr stark unter Zugzwang gesetzt. Die BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“ zeigt auf, dass das vorgegebene THG-Reduktionsziel mit bereits sehr ambitionierten Szenarien um das Jahr 2035 erreicht werden kann. Enorme Kraftanstrengungen sind für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft unausweichlich, sollen diese ehrgeizigen Sektorziele bereits bis zum Jahr 2030 erreicht werden. Hierfür wäre der Klimapfad eines kosteneffizienten und durch Markthochlauf neuester Technologien geprägten Szenarios zu verlassen und durch umfassende kostenintensive Maßnahmen zu ersetzen. Rund 250 Mrd. Euro Mehrinvestitionen würde das sektorspezifische Klimaziel im Verkehrsbereich bis zum Jahr 2030 kosten. Die Umsetzung dieses äußerst ehrgeizigen politischen Klimaziels im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 hat ihren Preis und fordert enorme finanzielle Anstrengungen. Auf der anderen Seite steht dem möglicherweise eine höhere Lebensqualität gegenüber, die aber individuell sehr unterschiedlich beurteilt wird. Für den einen ist das unbeschwerte Radfahren in der Innenstadt ein hoher Gewinn an Lebensqualität, für den anderen ist es die Reise nach Italien oder an die Ostsee. Politik sollte nicht entscheiden, welche Art der Mobilität sich Bürgerinnen und Bürger in Zukunft noch leisten können, sondern Rahmenbedingungen schaffen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen nach Mobilität in Beruf und Freizeit gerecht zu werden. Die Analyse „Klimapfade Verkehr 2030“ von BCG und Prognos zeigt auf, was an welchen Stellhebeln getan werden müsste, um das Sektorziel im Verkehr bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Es wäre ein Fehler, nicht auf alle Technologien zu setzen. Dazu gehörten auch Verbrennungsmotoren und nicht alleine Elektroantriebe. Dieser Analyse zufolge könnte der Einsatz synthetischer und biogener Kraftstoffe bis zu einem Drittel der erforderlichen CO2-Reduktionen bis 2030 bringen, deutlich mehr als beispielsweise durch den Verkehrsträgerwechsel möglich wäre. Der BDI steht für eine technologieoffene und moderne, nach Möglichkeit auch eine CO2-neutrale Mobilität. Das schließt das Recht eines jeden ein, die Art der Fortbewegung und den Umfang frei zu wählen. Aus diesem Grund lehnt der BDI eine Einschränkung bei der Mobilität gleichermaßen ab wie eine Bevormundung bei der Wahl des Verkehrsträgers. Die Entscheidung über Anreizsysteme oder höhere Kosten der Mobilität muss allein die Politik im Vertrauen auf das ihr erteilte Wählervotum fällen.
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Klimapfade Verkehr 2030
Über den BDI Der BDI transportiert die Interessen der deutschen Industrie an die politisch Verantwortlichen. Damit unterstützt er die Unternehmen im globalen Wettbewerb. Er verfügt über ein weit verzweigtes Netzwerk in Deutschland und Europa, auf allen wichtigen Märkten und in internationalen Organisationen. Der BDI sorgt für die politische Flankierung internationaler Markterschließung. Und er bietet Informationen und wirtschaftspolitische Beratung für alle industrierelevanten Themen. Der BDI ist die Spitzenorganisation der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister. Er spricht für 36 Branchenverbände und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund 8 Mio. Beschäftigten. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. 15 Landesvertretungen vertreten die Interessen der Wirtschaft auf regionaler Ebene.
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