Wachstum oder Rezession? Die Weltwirtschaft am Scheideweg

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Februar 2019 GLOBALER WACHSTUMSAUSBLICK

Wachstum oder Rezession? Die Weltwirtschaft am Scheideweg

Das Risiko einer weltweiten Rezession ist deutlich angestiegen. Nun reicht eine gravierende Fehlentscheidung und Europas wirtschaftliche Entwicklung wäre besonders gefährdet. Steigende US-Leitzinsen sowie sehr flache Zinsstrukturkurven, eskalierende Handelskonflikte oder ein ungeordneter Brexit drohen eine weltweite Rezession auszulösen.

Die Bundesregierung darf keine weitere Zeit verlieren. Sie sollte Investitionsanreize für Klimaschutz und Forschung setzen und eine Steuerreform in Angriff nehmen. Deutschlands wirtschaftliche Dynamik litt bereits in den letzten Monaten an der globalen Abkühlung und an Sondereffekten in der Industrie.

Auch ohne zusätzliche weltwirtschaftliche Risiken wird sich die weltwirtschaftliche Expansion im laufenden Jahr auf gut 3 ¼ Prozent abschwächen. Der Welthandel wird mit 3 ½ Prozent zulegen, für die globale Industrieproduktion ist mit knapp drei Prozent Zuwachs zu rechnen, in den Industrieländern nur noch mit einem kleinen Plus.

Europa hat den konjunkturellen Höhepunkt überschritten und dürfte dieses Jahr nur mit 1 ½ Prozent zulegen, der Euroraum nur mit 1 ¼ Prozent. Positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Konsumausgaben stehen eine Abbremsung von Investitionen und Nettoexporten gegenüber.

Für die US-Wirtschaft erwarten wir ein Wachstum von 2 ¼ Prozent in diesem Jahr. Noch sind inländische Wachstumstreiber robust, sie verlieren aber an Schwung.

Chinas wirtschaftliche Dynamik schwächt sich weiter ab. Ein Wachstum von 6 ¼ Prozent kann nur erreicht werden, wenn die Handelskonflikte nicht weiter eskalieren.


Wachstum oder Rezession? | Die Weltwirtschaft am Scheideweg 15/02/2019

Inhaltsverzeichnis Wachstum oder Rezession: 2019 als Wegmarke? ........................................................................... 3 Gedrosseltes Tempo: weltwirtschaftliche Expansion verliert weiter an Schwung ...................... 6 Weltweite Industrieproduktion verliert Tempo ................................................................................. 8 Entwickelte Volkswirtschaften ............................................................................................................... 8 Industrieproduktion in den Schwellenländern ....................................................................................... 9 Welthandel ......................................................................................................................................... 10 Ausländische Direktinvestitionen ................................................................................................... 10 Makroökonomische Politik ............................................................................................................... 11 Finanzmärkte und Wechselkurse .................................................................................................... 13

US-Konjunktur sieht sowohl Aufwind als auch Gegenwind ......................................................... 16 Haushaltsstreit und Shutdown: Die Gefahr ist noch nicht gebannt ..................................................... 17 Der US-Arbeitsmarkt brummt nach wie vor ......................................................................................... 17

China: Wolken am Horizont, Sturm bleibt aus ............................................................................... 18 Konjunkturindikatoren zeichnen gemischtes Bild ................................................................................ 18 Stabilität, Reformen und neue Wachstumsimpulse ............................................................................ 19 Verschuldung weiterhin ein Problem ................................................................................................... 20 Strukturelle marktwirtschaftliche Reformen bleiben weiterhin aus ...................................................... 20 Europas Konjunktur hat den Höhepunkt überschritten ................................................................ 21 Konjunkturelle Eintrübung in fast allen großen Volkswirtschaften ...................................................... 21 Euroraum insgesamt spürt Abkühlung ebenfalls................................................................................. 22 Japan: moderates Expansionstempo wird gehalten werden ....................................................... 23 Regionaler Ausblick .......................................................................................................................... 24 Konsequenzen für Deutschland ...................................................................................................... 24 Quellenverzeichnis ............................................................................................................................ 26

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Wachstum oder Rezession: 2019 als Wegmarke? Vor einer detaillierten Erläuterung der weltwirtschaftlichen Entwicklung im laufenden Jahr muss die Grundfrage geklärt werden, ob es ein nennenswertes weltweites Rezessionsrisiko gibt. Und in der Tat kann man das Risiko nicht einfach beiseiteschieben. Vielmehr ergibt sich aus einer konjunkturellen Abschwächung in Verbindung mit politischen Großrisiken und einem offenkundigen Führungsproblem in der Weltwirtschaft ein giftiger Cocktail, der sehr rasch den Umschlag in Stimmung und Produktion weltweit herbeiführen könnte. Wendepunkte in der konjunkturellen Entwicklung sind prinzipiell schwer durch vorlaufende Indikatoren zu erfassen. Für Regierungen und Unternehmen heißt es jedoch, diesem im letzten Jahr deutlich angestiegenen Risiko Rechnung zu tragen. Das Rezessionsrisiko muss vor allem für das zweite Halbjahr 2019 und für das Jahr 2020 als nennenswert eingestuft werden und gilt in besonderer Weise für die Vereinigten Staaten und für Europa. Die Marktzweifel an der wirtschaftspolitischen Kompetenz vieler Regierungen von großen Volkswirtschaften müssen dabei als eigener Krisenfaktor berücksichtigt werden. Zuversicht sähe anders aus. Der Ausblick auf die wirtschaftliche Entwicklung im Jahr fällt 2019 keinesfalls einhellig aus. Regierungen, Notenbanken und Unternehmen können die vielen weltwirtschaftlichen Risiken nicht verlässlich einschätzen. Insbesondere an den internationalen Aktienmärkten hat dies zu einer kräftigen Korrektur im vierten Quartal des letzten Jahres geführt, der eine substantielle Erholung im Januar folgte. Hohe Volatilität ist für eine späte Phase im Zyklus nicht ungewöhnlich. Ganz generell sind Phasen der Leitzinserhöhung in den USA aufgrund der zentralen Rolle der FED für die globalen Aktien- und Anleihemärkte und für die realwirtschaftliche Entwicklung naturgemäß von hoher Unsicherheit geprägt. Zudem hat die mittlerweile sehr flache Zinsstrukturkurve in den Vereinigten Staaten Sorgen auf dem Anleihemarkt ausgelöst. Anders als Aktienmarktkorrekturen sind inverse Zinsstrukturkurven bzw. Annäherungen der Marktverhältnisse an diese ein sehr viel treffsicherer Rezessionsindikator. Zentrale Prognosen: Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber Vorjahr Weltwirtschaft

Eurogebiet

Welthandel

EU

USA

Deutschland

VR China

Japan

1

Quelle: BDI

Schwelende internationale Handels- und Sicherheitskonflikte, ein kraftloser Welthandel, steigende Leitzinsen, das Brexitrisiko, Unsicherheiten auf den Staatsanleihemärkten in Italien, Schwellenländerkrisen und Chinas Abkühlung hatten die Gewinneinschätzungen für Unternehmen weltweit unter Druck gesetzt. Eine ganze Reihe von harten Fakten und von Stimmungsindikatoren zeigten nach Höchstständen im Frühjahr bzw. Sommer 2018 auf einmal rasch nach unten. Die mediale Salve von Negativnachrichten ist zwar zum Jahresbeginn 2019 noch nicht vollständig beendet worden, hat sich jedoch zu einem gemischteren Bild und neueren Kursgewinnen auf den Aktienmärkten weiterentwickelt.

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Wirtschaftsklimaindikatoren*, OECD 102

101

100

99 2017 Geschäftsvertrauen (Industrie)

Konsumentenvertrauen

2018 Leading Indicator (Gesamtindikator)

*saisonbereinigt (Index=100) Quelle: Macrobond

Da der weltwirtschaftliche Aufschwung nun ins zehnte Jahr geht und Zyklen selten so lange angedauert haben, ist die Nervosität nachvollziehbar und greifbar. Zudem hat der ungewöhnliche und unangemessene makroökonomische Policymix der Trump-Administration und der FED dafür gesorgt, dass die Unsicherheit über den Kurs der US-Geld- und Finanzpolitik in einer Spätphase des Zyklus noch höher ausfällt, als dies ohnehin der Fall gewesen wäre. Die Finanzpolitik der US-Administration und des Kongresses birgt das Risiko, dass der starke expansive Impuls für die Jahre 2018/19 durch die Mehrausgaben des Bundes und die kreditfinanzierten Steuersatzsenkungen von einer leicht kontraktiven Politik ab 2020 abgelöst werden. Diese absehbare Abschwächung der US-Wachstumsdynamik trifft auf eine ohnehin abkühlende chinesische und europäische Konjunktur. Sollten zudem die Protektionsschrauben in der internationalen Handelspolitik durch neue Maßnahmen der USA gegenüber der Volksrepublik China und der der Europäischen Union und etwaige Gegenmaßnahmen weitergedreht werden und ein harter Brexit eintreten, wäre das Giftcocktail für eine Rezession sicherlich gemischt. Die Wachstumseinbußen solcher Maßnahmen wären auf kurze Frist von zwei bis drei Jahren ohnehin sehr sichtbar und bedeutsam. Viel mehr an zusätzlich schlechter Stimmung ist wohl dann nicht mehr nötig, um aus einer deutlichen Wachstumsabschwächung eine harte negative Reaktion der Finanzmärkte und der Unternehmen der Realwirtschaft werden zu lassen. Das weltweite Konsumentenvertrauen ist angesichts der Nachrichtenlagen 2018 ebenfalls nicht so sattelfest geblieben, wie man dies von Arbeitsmarkt- und Einkommensindikatoren her gesehen hätte erwarten können. Eine weitere Unsicherheit kommt hinzu. Aufgrund der anämischen Erholung in diesem Zyklus und der anhaltend hohen makroökonomischen, insbesondere geldpolitischen Flankierung, bräuchten die großen Volkswirtschaften eigentlich nochmals weitere fünf Jahre, um die Normalisierung in der Geld- und Finanzpolitik ausreichend vorantreiben zu können. Eine Rezession vor dieser Zielmarke käme besonders ungelegen, da die Feuerkraft zur Gefahrenabwehr insbesondere bei den Notenbanken weit hinter das Normalmaß der älteren Zyklen zurückfällt. In einem solchen Fall hätten die Notenbanken der Vereinigten Staaten und des Euroraums keine großen Handlungsspielräume, um mit für die USA üblichen Leitzinssenkungen von fünfhundert Basispunkten ein Zeichen zu setzen (Summers 2019).

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Baltic Dry Index* 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200

*Index für Schifffracht Quelle: Macrobond

Vielmehr wären die derzeit noch mit einer moderaten Konsolidierung ihrer öffentlichen Haushalte befassten Regierungen gefordert, in internationaler Zusammenarbeit die weltweite Nachfrage durch fiskalische Impulse zugunsten von Investitionen und privatem Verbrauch zu stemmen, und zwar auch dann, wenn die Schuldenquoten noch nicht wieder ausreichend korrigiert sind. An die in einem solchen Szenario erforderliche extensive internationale Zusammenarbeit wie nach der großen Finanzkrise von 2008/09 mag derzeit zudem niemand ernsthaft glauben, weshalb die Finanzmärkte umso unsicherer auf die Risiken (und ihre möglicherweise unzureichende Abfederung) reagieren. Insofern sind scheinbar nicht miteinander verbundene wirtschaftspolitische Entscheidungen vor allem in London und Washington in den nächsten Wochen absolut ausschlaggebend dafür, ob die Weltwirtschaft innerhalb eines Jahrzehnts eine weitere angelsächsisch verursachte globale Rezession erleiden muss, oder ob dies der Welt erspart bleibt. Sollten die größten Risiken dagegen 2019 nicht eintreten, dürfte sich die weltwirtschaftliche Expansion mit geringerem Tempo als im Vorjahr fortsetzen. Welt: Industrieproduktion* Schwellenländer entwickelte Volkswirtschaften

5 4 3 2 1 0 -1 2016

2017

2018

*Produktionsindex: 2-Monatsdurchschnitt, kalender- und saisonbereinigt in Prozent zum Vorjahr Quellen: Macrobond, Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis, eigene Berechnungen

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Gedrosseltes Tempo: weltwirtschaftliche Expansion verliert weiter an Schwung Das Jahr 2018 lief konjunkturell nicht so wie zum Jahresanfang erwartet ab. Kaum hatte die Weltwirtschaft wieder Schwung gefasst, geriet der Motor im Frühjahr ins Stottern. So wird die Weltwirtschaft wohl nur mit 3,7 statt mit vier Prozent real gewachsen sein. Und in diesem Jahr dürfte es nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds mit 3,5 Prozent nochmals etwas ruhiger zugehen, sollten alle wesentlichen Risiken nicht eintreten (IWF 2019). Damit fiele die weltwirtschaftliche Expansion wieder hinter den langjährigen Vorkrisenschnitt von vier Prozent zurück. Voraussichtlich ist dies angesichts einer hohen Prognose für die USA, die durch das Schließen der Regierung eher nicht erreicht werden dürfte, und der technischen Annahme, dass es nicht zu einem harten Brexit kommen wird, noch zu optimistisch. Daher dürfte man am Jahresende froh sein, wenn überhaupt ein Wachstum in Höhe von 3 ¼ Prozent in der Weltwirtschaft erreicht wird.

Prognoseübersicht: Wachstum der realen Wirtschaftsleistung 2018/19/20 in Prozent 2018

2019

2020

IWF1

OECD2

EUKOM3

IWF1

OECD2

EUKOM3

IWF1

Welt

3,7

3,74

3,7

3,5

3,54

3,5

3,6

3,54

3,5

USA

2,9

2,9

2,9

2,5

2,7

2,6

1,8

2,1

1,9

China

6,6

6,6

6,6

6,2

6,3

6,2

6,2

6,0

5,9

Japan

0,9

0,9

1,1

1,1

1,0

1,0

0,5

0,7

0,5

EU

1,9*

OECD2

1,5*

EUKOM3

1,7*

Eurozone

1,8

1,9

1,9*

1,6

1,8

1,3*

1,7

1,6

1,6*

Deutschland

1,5

1,6

1,5*

1,3

1,6

1,1*

1,6

1,4

1,7*

Frankreich

1,5

1,6

1,5*

1,5

1,6

1,3*

1,6

1,5

1,5*

Italien

1,0

1,0

1,0*

0,6

0,9

0,2*

0,9

0,9

0,8*

Spanien

2,5

2,6

2,5*

2,2

2,2

2,1*

1,9

1,9

1,9*

V. Königreich

1,4

1,3

1,4*

1,5

1,4

1,3*

1,6

1,1

1,3*

Indien

7,35

7,5

7,4

7,55

7,3

7,5

7,75

7,4

7,5

Brasilien

1,3

1,2

1,1

2,5

2,1

1,9

2,2

2,4

2,3

Russland

1,7

1,6

1,7

1,6

1,5

1,6

1,7

1,8

1,8

1: IWF (2019). Stand Januar. 2: OECD (2018). Stand November. 3: Europäische Kommission (2018). Stand November; *Stand Februar. 4: Prognose auf Grundlage von 70 Prozent des Welt-BIP (in Kaufkraftparitäten von 2013) 5: Angaben zu Indien für das Fiskaljahr und in laufenden Preisen

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Die Abschwächung dürfte etwas stärker auf die Industrieländer als auf die Schwellenländer zurückzuführen sein und sich 2020 fortsetzen (in jedem Jahr etwa einen Viertelpunkt weniger in den Industrieländern; 2019 erwartet der IWF nur zwei Prozent Wachstum). Die Abkühlung in den USA trägt dazu erheblich bei, aber auch die erwartete geringere Dynamik in Deutschland, Italien und dem Vereinigten Königreich. Die Wachstumskräfte haben schon letztes Jahr im Euroraum stark nachgelassen und werden dieses Jahr noch schwächer. Das Vereinigte Königreich wächst Brexit-bedingt deutlich unter Potenzial. Die Türkei ist dagegen letztes Jahr in schweres Fahrwasser geraten und dürfte dieses Jahr eine Rezession durchlaufen. In den USA laufen dieses Jahr die Impulse aus der Finanzpolitik aus. In China ist seit einem Jahr eine industrielle Abkühlung unterwegs, die sich aus dem Wunsch der Leitung speist, die übermäßige Kreditvergabe unter Kontrolle zu bekommen und die Staatsunternehmen zu privilegieren. Ersteres bremst den Immobilienmarkt und die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe, letzteres die Wachstumsdynamik durch höhere Ineffizienz (Lardy 2019). Zudem hat sich bereits 2018 die Wachstumsdynamik im Welthandel wieder deutlich abgeschwächt. 2018 ist der Welthandel noch mit vier Prozent real gewachsen. Mehr als 3,5 Prozent sind in diesem Jahr wohl kaum zu erwarten. Damit fiele der Welthandel wieder unter den langfristigen Durchschnitt zurück. Die letzten Wochen und die vorlaufenden Indikatoren deuten sogar eine noch stärkere Abschwächung an. Die Abschwächung der Konjunkturindikatoren erstreckte sich nicht nur auf die Produktion und den Welthandel, sondern auch auf die Zukunftserwartungen der Unternehmen. Die Einkaufsmanagerindizes sanken weltweit, blieben jedoch immerhin noch weitgehend im Expansionsterritorium. Die Industrieproduktion verzeichnete ebenfalls im vierten Quartal eine Schwäche, vor allem bei Kapitalgütern. Der weltweit größte Markt für Industrieerzeugnisse, die Volksrepublik China, wies jedoch immerhin noch ein Wachstum der Industrieproduktion von 6,2 Prozent auf. Gleichwohl verloren die mehrjährigen robusten Einzelhandelsumsätze weltweit an Schwung. Die Erwartungen der Unternehmen und Verbraucher an die zukünftige Entwicklung haben deutlich nachgegeben. Zudem kamen angebotsseitige Engpassfaktoren wie knappe Arbeitskräfte in der Spätphase des Zyklus in Amerika, dem Löwenanteil der europäischen Länder und in ersten Anzeichen auch in Asien hinzu. Dies führte schon im letzten Quartal von 2018 zu deutlichen Gewinnrevisionen zunächst der Technologiewerte, später der breiten Aktienindizes. Überhaupt erwies sich das Jahr 2018 für Finanzanleger als sehr schwierig, da z. B. die Aktienmärkte in China und Deutschland zweistellig nachgaben, aber auch fast alle anderen Märkte im Minus lagen. Auf der Anleiheseite gab es außerhalb der USA noch keine Renditeerholung. Allerdings stiegen die Risikozuschläge für riskantere Segmente der Unternehmensfinanzierung, insbesondere in den USA. Auf den Anleihemärkten fielen in vielen Ländern die Renditen sogar im Lichte schwächerer Wachstumserwartungen, z. B. in Deutschland, aber auch in den USA und im Vereinigten Königreich. Höhere Risikozuschläge wurden hauptsächlich für italienische Staatsanleihen und davon betroffene Bankanleihen fällig, teilweise stieg „lo spread“ zu Bundesanleihen über 300 Basispunkte an, fiel dann aber nach der Einigung Roms mit der Europäischen Kommission auf einen italienischen Haushalt wieder unter diese Marke ab. Allein an den Ölmärkten hat sich eine gewisse Preisstabilisierung um die 55 US-Dollar für das Fass Rohöl herausgestellt, das den gemessenen Markterwartungen auch noch mehrere Jahre anhalten könnte. Auch die Preise für Metalle und landwirtschaftliche Erzeugnisse sind einstellig gefallen.

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Weltweite Industrieproduktion verliert Tempo Die weltweite Industrieproduktion hat im Jahresverlauf 2018 deutlich an Schwung verloren. Nach Daten des Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis (CPB) verminderte sich das Produktionswachstum im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 3,9 Prozent im ersten Quartal auf 2,8 Prozent im dritten Quartal 2018. Zum Jahresende dürfte die Quartalswachstumsrate weiter auf knapp zwei Prozent nachgegeben haben, so dass im Gesamtjahr nur noch ein Produktionsplus von drei Prozent erzielt werden dürfte. Zwar wurde das kräftige Wachstum von 3,5 Prozent aus dem Vorjahr deutlich verfehlt. Dennoch lag die Expansionsrate über der der letzten zehn Jahre. Während in den Schwellenländern die Produktion im ersten Quartal 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit plus 4,4 Prozent so stark expandierte wie zuletzt im Jahr 2012, schwächte sich das Produktionswachstum in den entwickelten Volkswirtschaften bereits zu Jahresbeginn 2018 ab. Im weiteren Jahresverlauf ging das Expansionstempo dann in beiden Ländergruppen kontinuierlich zurück. Dank des kräftigen Wachstums in der ersten Jahreshälfte dürfte die Industrieproduktion in den entwickelten Volkswirtschaften noch immer deutlich stärker expandieren als im langjährigen Durchschnitt. In den Schwellenländern ist mit einem Produktionsplus von 3,5 Prozent zu rechnen, was der durchschnittlichen Wachstumsrate der letzten drei Jahre entspricht. Der Verlauf des weltweiten Einkaufsmanagerindex (PMI) für die Industrie deutet bislang keine Trendwende an. Im Januar 2019 sank der PMI das neunte Mal in Folge und erreichte damit den niedrigsten Wert seit September 2016. Bei 51,4 Indexpunkten ist weiterhin mit einer Expansion zu rechnen. Entwickelte Volkswirtschaften US-Industrie sorgt für kräftiges Wachstum Entwickelte Volkswirtschaften: Industrieproduktion* restliche entw. Volkswirtschaften Euroraum Japan USA

5 4 3 2 1 0 -1 -2 2014

2015

2016

2017

2018

*Produktionsindex: 2-Monatsdurchschnitt, kalender- und saisonbereinigt in Prozent zum Vorjahr Quellen: Macrobond, Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis (CPB)

Die US-Industrie war im Jahr 2018 für etwas mehr als die Hälfte des Wachstums der Industrieproduktion in den entwickelten Volkswirtschaften verantwortlich, und das bei nur einem Produktionsanteil von etwa einem Drittel. Das Produktionsplus von 3,9 Prozent dürfte das kräftigste seit dem Jahr 2010 werden.

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Für die japanische Industrie war es schwer, das hohe Wachstumstempo des Vorjahres zu halten. Nach einem Produktionsplus von 2,5 Prozent im ersten Quartal 2018 nahm das Expansionstempo deutlich ab. Mit Beginn der zweiten Jahreshälfte stagnierte die Produktion und zum Jahresende war sogar ein leichter Produktionsrückgang zu verzeichnen. Im Euroraum verlief der Abwärtstrend etwas steiler. Während im ersten Quartal 2018 noch ein Produktionsanstieg von über drei Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu verzeichnen war, nahmen die Wachstumsraten im weiteren Jahresverlauf deutlich ab. Im vierten Quartal dürfte der Ausstoß sogar zwei Prozent unter Vorjahresniveau gelegen haben. Für beide Regionen ist in der Summe ein Jahresergebnis von plus 1,1 Prozent zu erwarten. In den restlichen entwickelten Volkswirtschaften ist die Industrie mit einem Produktionsplus von über vier Prozent im ersten Quartal in das Jahr gestartet. Im weiteren Jahresverlauf nahm das Expansionstempo zwar deutlich ab. Mit plus 2,6 Prozent dürfte die Industrieproduktion im Jahr 2018 dennoch überdurchschnittlich gestiegen sein. Industrieproduktion in den Schwellenländern Tempoverluste in Asien; Lateinamerika im fünften Rezessionsjahr In den Schwellenländern sind es die asiatischen Staaten, und darunter vor allem China, die für das Wachstum der Industrieproduktion dieser Länder verantwortlich sind. Und diese Wachstumslokomotive hat 2018 an Schubkraft verloren. Nach einem Plus von sechs Prozent im ersten Quartal 2018 ging das Expansionstempo im weiteren Jahresverlauf auf 4,6 Prozent im vierten Quartal zurück. Im Vergleich zum Vorjahr dürfte die Industrieproduktion dieser Länder nur noch um 5,3 Prozent gestiegen sein. Das wäre das geringste Wachstum seit dem Jahr 2015. Erfreulich war die Entwicklung der Industrien in Afrika und dem Mittleren Osten. Diese konnten im vergangenen Jahr ihre Produktion das fünfte Jahr in Folge ausweiten, zuletzt um 1,2 Prozent. In den Ländern Zentral- und Osteuropas dürfte die Industrieproduktion mit 2,9 Prozent so kräftig zulegen wie im Jahr zuvor. Damit trugen diese beiden Regionen mit jeweils 0,2 Prozentpunkten zum Produktionswachstum der Schwellenländer bei. Sorgen bereitet dagegen die Entwicklung in Lateinamerika. Schwellenländer: Industrieproduktion*

Afrika/Mittlerer Osten Lateinamerika Zentral- und Osteuropa Asien

5 4 3 2 1 0 -1 2014

2015

2016

2017

2018

*Produktionsindex: 2-Monatsdurchschnitt, kalender- und saisonbereinigt in Prozent zum Vorjahr Quellen: Macrobond, Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis (CPB)

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Hier sank die Industrieproduktion bereits das fünfte Jahr in Folge und das Minus von 2,5 Prozent war das zweithöchste der letzten fünf Jahre. Für die Gruppe der Schwellenländer bedeutete dies einen Wachstumsverlust von 0,4 Prozentpunkten.

Welthandel Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds vom Januar hat der Welthandel im vergangenen Jahr um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt. Im Schlussquartal 2018 ist das Volumen des Welthandels laut vorläufiger Angaben des Netherlands Bureau for Economic Policy gegenüber dem Vorquartal nur noch mäßig um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Das nur schwache Wachstum zum Jahresende könnte bereits auf den zunehmenden weltweiten Protektionismus zurückzuführen sein. Das Wachstum des Schlussquartals war fast ausschließlich der Importnachfrage in den Schwellenländern zu verdanken. Profitiert von dieser Nachfrage haben exportseitig ebenfalls die Schwellenländer, deren Ausfuhren um 3,1 Prozent zugelegt haben, während die Industrieländer einen Rückgang der Exporte zu verzeichnen hatten (minus 0,4 Prozent). Der RWI/ISL-Containerumschlag-Index, mit dem die Entwicklung des Welthandels auf Grundlage der Auslastung der weltweit wichtigsten Containerhäfen prognostiziert wird, war im Dezember 2018 angestiegen (auf 135,3 IndexPunkte). Die nach wie vor robuste Containerauslastung könnte aber laut RWI/ISL auch darauf zurückzuführen sein, dass der Handel mit Automobilen nicht in diese Rechnung eingeht.

RWI Containerindex 150

140

140 130

130

120 110

120

100 90

110 2014

2015

2016

2017

2018

RWI/ISL Container Index RWI/ISL Container Index, Trend RWI/ISL Container Index, saisonbereinigt (rechte Achse) Quelle: Macrobond

Ausländische Direktinvestitionen Im Januar berichtete die UNCTAD für das Jahr 2018 einen deutlichen Rückgang der weltweiten Investitionsströme um 19 Prozent gegenüber Vorjahr (auf 1,2 Billionen US-Dollar im Jahr 2018). Dieser dritte jährliche Rückgang in Folge brachte die globalen FDI-Bewegungen zurück auf das Niveau vor der weltweiten Finanzkrise. Besonders betroffen von dem Einbruch waren 2018 die Industrieländer, in

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die ganze 40 Prozent weniger investiert wurde. Besonders kräftig fiel der Rückgang der Investitionsströme nach Europa aus, die um ganze 73 Prozent zurückgingen, während Nordamerika deutlich geringere Rückgänge um 13 Prozent zu verkraften hatte. Ausschlaggebend für diese Diskrepanz innerhalb der Industrieländer war die geänderte Steuergesetzgebung in den USA, die zur Rückverlagerung von Investitionen (Repatriierung) auch aus anderen Industrieländern führte. Die Investitionen in die Schwellenländer sind im Jahr 2018 entgegen dem weltweiten Trend um drei Prozent gestiegen und liegen nun bei 58 Prozent der globalen jährlichen FDI-Ströme. Nach dem kräftigen Einbruch 2017 um 90 Prozent gegenüber 2016 konnten sich die Investitionen nach Großbritannien im Jahr 2018 wieder etwas erholen und legten gegenüber dem schwachen Vorjahr um 20 Prozent zu. Für das laufende Jahr rechnet die UNCTAD mit einer Zunahme der globalen Investitionsströme, unter anderem aufgrund eines Abflauens der Repatriierung US-amerikanischer Auslandsinvestitionen.

Makroökonomische Politik Die internationalen Organisationen schätzen den Kurs der Finanzpolitik in wichtigen Volkswirtschaften im Jahr 2019 als noch leicht expansiv ein. In den USA gibt die Finanzpolitik noch immer einen Impuls von gut einem halben Punkt in diesem Jahr, in Deutschland sogar von einem ganzen Punkt des BIP. Auch in Italien und Frankreich sind die Haushalte vom strikten Konsolidierungskurs abgerückt. China und Korea dürften im Laufe des Jahres ebenfalls leichte expansive Impulse setzen. In Japan wird die Regierung die für November geplante Mehrwertsteuererhöhung durch Ausgabenprogramme finanzpolitisch etwa zur Hälfte abfedern. In Europa konnte die große Mehrzahl der Staaten Fortschritte in der Haushaltskonsolidierung in einem Umfeld starken Wachstum und niedriger Zinssätze erzielen, vor allem bei der Nettokreditaufnahme. Zudem sank die Staatsausgabenquote seit 2014 mit über 2,5 Prozentpunkten des BIP auf zuletzt 46,6 Prozent (zweites Quartal 2018) und damit deutlich schneller als die Staatseinnahmenquote mit 0,6 Prozentpunkten auf 46,1 Prozent. Zudem bleiben die Schuldenquoten in vielen Ländern weiterhin sehr hoch, wenn auch niedrige Zinssätze und längere durchschnittliche Laufzeiten mittelfristig für weitere Entlastung in der großen Mehrzahl der OECD-Länder sorgen dürften (OECD 2018). Immerhin konnte die durchschnittliche Verschuldung der Staaten im Euroraum von 92 Prozent 2014 auf zuletzt gut 86 Prozent zurückgeführt werden. Deutschland dürfte dagegen nach mehreren Jahren von substantiellen Haushaltsüberschüssen und einer kontinuierlich sinkenden Schuldenquote des Gesamtstaats allmählich die Überschüsse zurückführen. Die Finanzpolitik in den USA und Japan bleibt dagegen weit hinter den Konsolidierungsanfordernissen zurück. In der Volksrepublik China dürfte sich die fiskalische Position des Staates angesichts der zu erwartenden finanzpolitischen Impulse bei einem deutlich schwächeren mittelfristigen Wachstumsausblick eher unbemerkt verschlechtern. Ganz generell gilt, dass die Finanzpolitik in einem Rezessionsfall in vielen Volkswirtschaften sehr wohl über Handlungsspielraum im Sinne einer vorübergehenden Erhöhung der Nettokreditaufnahmen verfügt, dies aber in den USA, in Japan, in Italien und abgeschwächt in Frankreich und im Vereinigten Königreich mit mittelfristigen Konsolidierungsproblemen einhergehen würde. Die Länder mit derzeit expansiver finanzpolitischer Ausrichtung nutzen die Spielräume jedoch kaum für die Stärkung des Wachstumspotenzials bzw. für inklusives Wachstum durch Maßnahmen, die sich an Produktivität, Innovation und Arbeitsmarktpartizipation orientieren, sondern für zielgruppenorientierte Transfers ohne nachvollziehbare verteilungspolitische Begründung.

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Leitzinsen im internationalen Umfeld 3

2

1

0

-1

Europäische Zentralbank

Federal Reserve Bank

Bank of England

Bank of Japan

Quelle: Macrobond

In der Geldpolitik bleibt die Welt insgesamt auf einem moderat expansiven Kurs. Die US-Notenbank hatte zuletzt am 19. Dezember den Leitzins auf eine Spanne von 2 ¼ - 2 ½ Prozent erhöht und am 30. Januar die Märkte mit zwei neuen Botschaften überrascht: erstens, weitere Zinserhöhungen seien nur bei neuen Daten zielführend, da aufgrund einiger Gegenwinde für die US-Wirtschaft derzeit keine Erhöhung angezeigt sei. Zweitens, der bislang im Volumen von etwa 50 Milliarden US-Dollar pro Monat erfolgende Rückgang der Bilanzsumme der FED werde zukünftig flexibler gehandhabt. Zudem sei die Debatte in der FED über die genaue Zielvorstellung und den Zeitpfad des Abbaus noch nicht abgeschlossen. In jedem Fall seien die Anforderungen an die Liquiditätsversorgung für die US-Wirtschaft höher als vorher angenommen. Im offiziellen Statement ist von Geduld im Hinblick auf weitere Leitzinserhöhungen die Rede: „In light of global economic and financial developments and muted inflation pressures, the Committee will be patient as it determines what future adjustments to the target range for the federal funds rate may be appropriate to support these outcomes.” (FED 2019). Beide Aspekte haben die Märkte sehr überrascht, da Kursänderungen in der Kommunikation üblicherweise langsamer vorbereitet werden. Ob die Mehrheit der Entscheidungsträger derzeit überhaupt noch Zinserhöhungen im Jahresverlauf vorsieht, ist noch nicht bekannt. Noch im September hatten sich die geldpolitischen Entscheidungsträger für voraussichtlich noch zwei weitere Zinsschritte im Jahr 2019 ausgesprochen (Medianwert die Prognosen der Mitglieder des Offenmarktausschusses), sie hatten aber auch ihre Erwartungen an das Zinsniveau am Ende des Erhöhungszyklus reduziert. Wenn überhaupt dürfte die FED den Leitzins erst in der zweiten Jahreshälfte nochmal anheben. Der Kostendruck von Lohnerhöhungen in einem sehr engen Arbeitsmarkt wird jedenfalls spürbar bleiben und die Kerninflationsrate auf Trab halten. Die chinesische Notenbank, die People’s Bank of China, hatte in der jüngeren Vergangenheit das Wachstumstempo der Kreditvergabe von Banken gedrosselt, um Finanzstabilitätsrisiken zu begegnen. Dies hat die wirtschaftliche Aktivität in der Industrie und auf den Immobilienmärkten im Laufe des letzten Jahres deutlich abgeschwächt. Derzeit steuert die Geldpolitik wieder leicht expansiv gegen eine zu starke Eintrübung, insbesondere auf dem Immobilienmarkt, an. So hat die Notenbank im Januar die Mindestreservesätze für Geschäftsbanken deutlich gesenkt (auf 12,5 Prozent ab dem 23. Januar)

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und dürfte dies im Jahresverlauf fortsetzen. Zudem hat sie über Offenmarktgeschäfte weitere substantielle Liquiditätsmaßnahmen über eine gute halbe Billion RMB ergriffen. Der Leitzins dürfte dagegen konstant gehalten werden. Die Kapitalmarktrenditen liegen knapp über US-Niveau und dürften für eine relativ stabile Entwicklung des Renminbi-Dollar-Kurses ausreichen. Die mögliche Eskalation der Handelskonflikte mit den USA, vor allem aber die inländische Nachfrageschwäche, dürften auch höhere Staatsausgaben und weitere Steuersenkungen über die bereits zum Jahresanfang in Kraft getretenen Steuererleichterungen für Individuen hinaus nach sich ziehen. Die Europäische Zentralbank hat zum Jahresbeginn trotz deutlich schwächerer Wirtschaftsdaten in der Eurozone, eines bereits im Dezember revidierten Wachstumsausblicks und weiter steigenden Risiken für die Wirtschaftsentwicklung aus dem internationalen Umfeld an ihrem geldpolitischen Kurs festgehalten. Zudem hat sie signalisiert, dass bei einer weiteren konjunkturellen Abschwächung die Maßnahmen, die sich auf die Refinanzierung der Banken beziehen, einen Anpassungskanal darstellen könnten. Eine Änderung bei den Kaufprogrammen oder in der Zinspolitik wurde dagegen nicht angedeutet. In den Finanzmärkten wird angesichts der neuen Lage jedoch mehrheitlich nicht damit gerechnet, dass 2019 der Leitzins noch angehoben wird. EZB-Präsident Draghi wies in seiner Pressekonferenz im Januar auf die abnehmende Dynamik in der Preisentwicklung und in der Kreditvergabe hin, betonte jedoch, dass man sehr genau vorübergehende Störungen wie bei den Automobilzulassungen oder handelspolitische Schocks von soliden Expansionstrends der binnenwirtschaftlichen Wachstumskomponenten trennen müsse. Vieles spricht dafür, dass die EZB erst im März oder April eine neue belastbare Einschätzung der Lage vornehmen und entsprechend kommunizieren wird. Angesichts des eindeutig eingetrübten Ausblicks und der zu erwartenden Abschwächung der Inflationsraten im Jahresverlauf bleibt die Aufgabe der EZB anspruchsvoll. Die japanische Notenbank setzt ihren geldpolitischen Kurs derzeit fort. Neben einem negativen Einlagensatz, kauft die Bank Wertpapiere im Volumen von rund 80 Billionen Yen im Jahresverlauf und beabsichtigt weiterhin, durch Käufe von japanischen Staatsanleihen die Rendite für zehnjährige Papiere bei null Prozent zu halten. Das geldpolitische Ziel einer Inflationsrate von etwa zwei Prozent soll durch quantitative und qualitative Lockerung in Verbindung mit einer Steuerung der Zinsstrukturkurve erreicht werden.

Finanzmärkte und Wechselkurse An den Finanzmärkten haben die gestiegenen internationalen Risiken bislang nur in einzelnen Segmenten Wirkung entfaltet. Dies gilt vor allem für die Aktienmärkte und für einzelne Währungsmärkte. Besondere Aufmerksamkeit muss den internationalen Anleihemärkten gewidmet werden. In den USA tendierten die Anleihenrenditen für zehnjährige Staatsanleihen im Jahresverlauf 2018 zwar aufwärts, sanken im vierten Quartal aber wieder deutlich unter die Marke von drei Prozent ab (2,66 Prozent Ende Januar). Bei steigenden Leitzinsen führte dies dazu, dass die Zinsstrukturkurve immer flacher wurde. Der Spread, hier gemessen als Renditedifferenz zehn- zu einjährigen US Treasuries, fiel von einem ohnehin geringen Niveau von 1,66 Prozent im Jahr 2015 auf zuletzt 30 Basispunkte. Da inverse Zinsstrukturkurven ein Warnbote für Rezessionen darstellen, wird dies auch seitens der US-Geldpolitik sicherlich sehr genau beobachtet werden. Der gleiche Indikator fiel im Euroraum auf gut ein Prozent ab, schwankte aber ohnehin seit 2015 stets zwischen 1,26 und 1,06 Prozent. In Deutschland sanken die 10-Jahres-Rendite für Bundesanleihen ebenfalls erneut. Hatten diese noch zum Jahresanfang 2018 fast die Ein-Prozent-Markt erreicht, gaben sie im weiteren Verlauf erneut auf unter 0,5 Prozent

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nach und lagen zuletzt bei gut 0,1 Prozent. Allein die italienischen Renditen zogen im Jahresverlauf aufgrund der Unsicherheit über die Finanzpolitik der Regierung Conti deutlich an, gaben aber nach der Einigung Roms mit Brüssel zum Jahresende wieder nach. Im Vereinigten Königreich lagen die Renditen zuletzt knapp über einem Prozent und der Spread sank zuletzt auf nur noch gut fünfzig Basispunkte. Japan stellt einen Sonderfall dar, da die Notenbank Leitzins und Zehnjahresrendite bei null hält (Politik der Zinsstrukturkurvensteuerung). Die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen in den Schwellenländern stiegen 2018 in Asien und Lateinamerika um gut fünfzig Basispunkte an, in Europa um etwa 75 Basispunkte, vor allem aufgrund der Türkei (OECD 2018: 31).1 Von Argentinien und der Türkei einmal abgesehen spiegelt dies vor allem die Geldpolitik der FED wieder. Steigende Zinsen in den USA führen zum Abzug von Anlagen in Schwellenländern und zum Abwertungsdruck auf die Währungen dieser Länder. Anleiherenditen* 5 4 3 2 1 0 -1 Jan 2016 Deutschland

Jul 2016

Jan 2017

Frankreich

Italien

Jul 2017 Spanien

Jan 2018 V. Königreich

Jul 2018 USA

Jan 19 China

Japan

* Renditen zehnjähriger Staatsanleihen Quelle: Macrobond

Die wachsende Risikoaversion an den Finanzmärkten hat sich in Europa in deutlich steigenden Aufschlägen in den Unternehmensanleihen für Finanzwerte und Unternehmen der Realwirtschaft niedergeschlagen. Erstere legten um gut fünfzig, letztere um vierzig Basispunkte im Jahresverlauf zu. An den großen Aktienmärkten der Welt verlief das Jahr 2018 zunächst positiv, endete dann aber sehr ruppig. Shanghai verzeichnete die größten Verluste mit 19 Prozent im Verlauf von Anfang Januar 2018 bis Ende Januar 2019, Hongkongs Han Sen lag mit 17 Prozent knapp dahinter. Der Nikkei gab um 14 Prozent nach, der Dax um zwölf Prozent. Die US-Märkte erlitten geringere Wertverluste: der Dow Jones gab um gut acht Prozent nach, der S&P 500 um gut fünf und der NASDAQ um drei Prozent. Der EuroStoxx50 hielt sich dagegen.

1

Hier gemessen als Renditeabstand zwischen Dollar-denominierten Staatsanleihen der Schwellenländer zu USStaatsanleihen gleicher Laufzeit nach dem JP Morgan Emerging Markets Bond Index.

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An den Devisenmärkten erlitten der argentinische Peso und die türkische Lira drastische Kursverluste. Der Peso-Wechselkurs gab zum Dollar von 18 auf 37 nach. Der Wechselkurs der türkischen Lira gab von 3,7 auf zuletzt 5,2 Lira zum Dollar bzw. von 4,5 auf sechs Lira zum Euro nach. Erst in den letzten Wochen kam es dabei zu einer leichten Korrektur bei beiden Währungen. Auch der russische Rubel wertete um mehr als zehn Prozent ab.

Handelsgewichtete Wechselkurse* des US-Dollars und des Euros 140 130 120 110 100 90 80 2017

2018

Euro, nominal effektiver Wechselkurs, breiter Index

US-Dollar, nominal effektiver Wechselkurs, breiter Index

Euro, real effektiver Wechselkurs, breiter Index

US-Dollar, real effektiver Wechselkurs, breiter Index

*Index: 2015=100 Quellen: Macrobond, BIS

Der US-Dollar wertete im Jahresverlauf handelsgewichtet um elf Prozent nominal und um zwölf Prozent real auf. Dies spiegelte die expansive Finanzpolitik in Verbindung mit steigenden Leitzinsen und Kapitalmarktrenditen wider. Es entwickelte sich eine sehr große transatlantische Renditedifferenz zwischen Kapitalmarktzinsen in den USA und in Europa sowie Japan von über zweihundert Basispunkten. Entwicklung der Wechselkurse zum US-Dollar 1,30

0,85

120

1,25

0,80

115

0,75

110

0,70

105

1,05

0,65

100

1,00

0,60

95

1,20

7,1 7,0 6,9 6,8 6,7 6,6 6,5 6,4 6,3 6,2

1,15 1,10

Euro (linke Achse) Pfund Sterling (rechte Achse)

Renminbi (rechte Achse) Yen (linke Achse)

Quelle: Macrobond

Der Außenwert des Euro wertete handelsgewichtet im Laufe des Jahres 2018 nominal um rund drei Prozent und real nur um zwei Prozent auf. In den bilateralen Wechselkursen gab der Euro dagegen

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gegenüber dem Dollar um fünf Prozent und gegenüber dem Yen um drei Prozent nach. Die Aufwertungen um über 30 Prozent gegenüber der türkischen Lira, um 15 Prozent gegenüber dem brasilianischen Real und um sieben bis acht Prozent gegenüber Rubel und indonesischer Rupie spiegelten die Schwächen dieser Währungen wider.

US-Konjunktur sieht sowohl Aufwind als auch Gegenwind Die US-Wirtschaft ist nach Schätzungen des IWF, der OECD und der Europäischen Kommission im vergangenen Jahr rund 2,9 Prozent gewachsen. Die US-Konjunktur befand sich 2018 in einem deutlicheren Aufschwung als 2017, als das BIP-Wachstum bei 2,2 Prozent lag. Die positive wirtschaftliche Entwicklung im letzten Jahr ist insbesondere den konjunkturellen Einflüssen der US-Steuerreform und dem zunächst gestiegenen Ölpreis geschuldet. Nach Zahlen des Bureau of Economic Analysis (BEA) wuchs die US-Wirtschaft im ersten Quartal 2018 auf das Jahr gerechnet um 2,2 Prozent und zog im zweiten Quartal mit einer annualisierten Rate von 4,2 Prozent deutlich an. Im dritten Quartal wuchs die Wirtschaft mit 3,4 Prozent ebenso stärker als erwartet. Private Konsumausgaben, Ausrüstungsinvestitionen und öffentliche Ausgaben trugen zum starken Wachstum im dritten Quartal bei. Exporte gewannen in der ersten Jahreshälfte deutlich an Dynamik – mit einem besonders starken Exportanstieg im zweiten Quartal (von 3,6 Prozent im ersten und 9,3 Prozent im zweiten Quartal jeweils gegenüber dem Vorquartal). Dafür schrumpften die Exporte im dritten Quartal jedoch um 4,9 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal 2018. Importe stiegen Anfang des Jahres im ersten Quartal ebenfalls mit drei Prozent gegenüber dem Vorquartal an, sanken jedoch mit 0,6 Prozent im zweiten Quartal und nahmen danach Fahrt im dritten Quartal auf mit 9,3 Prozent. Der deutliche Rückgang der US-Exporte bei einem gleichzeitigen Importanstieg im dritten Quartal fällt zusammen mit der Verhängung der Zusatzzölle im Handelsstreit zwischen den USA und China (BEA, 2018a; BEA, 2018b). Gegenwärtig sind US-Importe aus China mit einem Volumen von 250 Milliarden US-Dollar sowie USExporte nach China von ungefähr 110 Milliarden US-Dollar von den Zusatzzöllen betroffen (Stand Februar 2019). Bedingt durch den Shutdown der US-Regierung stehen gegenwärtig keine amtlichen BIP-Zahlen für das vierte Quartal 2018 zur Verfügung. Das Congressional Budget Office (CBO) sowie die Federal Reserve schätzen ein reales Wachstum von 3,1 Prozent des BIP für 2018. Die Fed und das CBO gehen für 2019 von einer Abkühlung der Wirtschaftsleistung aus und rechnen mit einem Wachstum in Höhe von 2,3 Prozent des BIP (CBO 2019a). OECD und IWF erwarten für 2019 ein US-Wirtschaftswachstum in der Spanne zwischen 2,5 und 2,7 Prozent des BIP. Dies dürfte angesichts der jüngsten Daten jedoch zu optimistisch sein. Die globale Abkühlung wird auch die US-Wirtschaft erfassen. Wir rechnen nur mit einem Wachstum von 2 ¼ Prozent. Die makroökonomischen Effekte der Steuerreform aus 2017 und 2018 werden auch im laufenden Jahr zu spüren sein, verpuffen jedoch zusehends. Bisher hat dieser fiskalische Stimulus einen sichtlichen Beitrag bei der Befeuerung der Importe durch einen starken inländischen Konsum geleistet. Kehrseite der Steuerreform sind ausbleibende Steuereinnahmen und ein beachtlich hohes Haushaltsdefizit, von der OECD geschätzt für 2018 auf 6,6 Prozent des BIP und für 2019 auf 6,9 Prozent des BIP.

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Haushaltsstreit und Shutdown: Die Gefahr ist noch nicht gebannt Der US-Bundeshaushalt besteht aus drei Arten von Ausgaben: Ungefähr 65 Prozent der Ausgaben fließen in das sogenannte „mandatory spending“, welches in bestehenden Gesetzen mehrjährig festgeschrieben ist. Sieben Prozent fließen in den Schuldendienst. Die restlichen rund 30 Prozent der Ausgaben werden in den jährlichen Haushaltgesetzen verabschiedet. Diese Ermessensausgaben, „discretionary spending“, werden in jedem Jahr in zwölf „appropriation bills“ abgestimmt, von denen die wichtigsten in einem Sammelhaushaltsgesetz („omnibus spending bill“) gebündelt werden. Um dieses „discretionary spending“ geht es beim aktuellen US-Haushaltsstreit. Sofern der Kongress und der Präsident keine Einigung erzielen, kommt es zu einer Schließung der Bundesbehörden. Obwohl das US-Fiskaljahr jeweils im Oktober beginnt, waren bis zum 1. Oktober 2018 für das Haushaltsjahr 2019 nur fünf der zwölf benötigten „appropriation bills“ vom Kongress genehmigt und deckten drei Viertel aller Ermessensausgaben ab. Behörden, deren Finanzierung nicht endgültig gesichert war, konnten ihre Tätigkeit bis zum 21. Dezember dank der „continuing resolutions“ fortsetzen. „Continuing resolutions“ werden vom Kongress genutzt, um die Aktivitäten der Bundesregierung für eine beschränkte Zeitspanne auf meist demselben Finanzierungsniveau wie dem des Vorjahres sicherzustellen. Das letzte Mal, dass der komplette Haushaltsprozess pünktlich abgeschlossen wurde, war im Fiskaljahr 1997 (Committee for a Responsible Budget 2019). Aufgrund des Auslaufens der „continuing resolution“ kam es vom 22. Dezember 2018 bis zum 25. Januar 2019 zum längsten Shutdown der US-Geschichte sowie bereits zum dritten Shutdown während der Amtszeit von Präsident Trump. Trump und der Kongress einigten sich am 25. Januar 2019 auf eine Bewilligung der Haushaltsmittel durch den „Further Additional Continuing Appropriations Act“ bis zum 15. Februar 2019. In dem Kompromiss sind nicht die von Trump geforderten Finanzmitteln in Höhe von 5,7 Milliarden US-Dollar für eine Grenzmauer zu Mexiko enthalten. Trump drohte daraufhin, im Falle einer weiteren Blockade seines Planes für die Grenzmauer den nationalen Notstand auszurufen und den Kongress somit zu umgehen. Im Umkehrschluss ist die Gefahr eines erneuten Haushaltsstreites und einem damit einhergehenden erneuten Government Shutdown für das Haushaltsjahr 2019 noch nicht gebannt. Schätzungen des Congressional Budget Offices bestätigen, dass der jüngste Shutdown negativ zur Entwicklung des US-amerikanischen BIP-Wachstums beigetragen hat. Die realwirtschaftlichen Kosten des Shutdowns liegen für 2018 bei drei Milliarden US-Dollar sowie für das erste Quartal 2019 bei weiteren acht Milliarden US-Dollar. Für das BIP-Wachstum bedeutet dies einen Ausfall von 0,1 Prozent des BIP für das vierte Quartal 2018 und einen Ausfall von 0,2 Prozent für das erste Quartal 2019. Drei dieser insgesamt elf Milliarden US-Dollar seien nach Beendigung des Shutdown nicht mehr wettzumachen (CBO 2019b). Der US-Arbeitsmarkt brummt nach wie vor Die gute Arbeitsmarktentwicklung des Jahres 2017 setzte sich auch 2018 fort. Die Arbeitslosigkeit sank auch 2018 weiter und stabilisierte sich bei einer Quote von etwa vier Prozent. Der US-Arbeitsmarkt hat somit annähernd Vollbeschäftigung erreicht Die Zahl der Langzeitarbeitslosen – also derjenigen, die seit mindestens 27 Wochen arbeitslos sind –, sank beispielsweise im November 2018 auf 1,26 Millionen, ein Tiefststand wie seit dem Vorkrisenjahr 2007 nicht mehr gesehen. Im Januar 2019 ging sogar diese Zahl noch etwas weiter zurück auf 1,25 Millionen Langzeitarbeitslose. Im Dezember

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2018 machten die Langzeitarbeitslose 20,5 Prozent aller Arbeitslosen aus. Die durchschnittliche Arbeitslosendauer lag bei 21,8 Wochen. Im Dezember 2017 hatte sie noch 23,6 Wochen betragen. Das starke Jobwachstum und der demographische Druck machen sich langsam durch einen Arbeitskräftemangel bemerkbar. Die Partizipationsrate (auch Erwerbsbeteiligungsquote genannt), also der Anteil derjenigen, die einen Arbeitsplatz haben oder aktiv auf Arbeitssuche sind, lag im Dezember 2018 bei 63,1 Prozent. Im Gegensatz zur Arbeitslosenquote, die seit Jahren rückläufig ist, ist die Partizipationsrate seit Jahren relativ stabil und liegt weiterhin deutlich unter ihrem Vorkrisenniveau von rund 66 Prozent (2007). Dies ist ein Hinweis darauf, dass es einen Teil der Bevölkerung gibt, der sich vom Arbeitsmarkt zurückgezogen hat und nicht vom aktuellen Aufschwung profitiert.

China: Wolken am Horizont, Sturm bleibt aus Über das ganze Jahr betrachtet zeigte sich Chinas Wirtschaft 2018 mit einem Wachstum von 6,6 Prozent relativ stark. Doch im vierten Quartal lag der Zuwachs nur noch bei 6,4 Prozent gegenüber Vorjahr. Dies deutet auf eine weitere Verlangsamung der wirtschaftlichen Dynamik hin. Zum ersten Mal wurde damit in den letzten drei Monaten die politisch bedeutsame Rate von 6,5 Prozent unterschritten. Pekings Wirtschaftsplaner hatten bisher den Wachstumskorridor zwischen 6,5 und sieben Prozent festgelegt. Die Primärindustrie wuchs im gesamten Jahr 2018 um 3,5 Prozent, der industrielle Sektor um 5,8 Prozent und der Dienstleistungssektor um 7,6 Prozent. Neben dem Wachstum sorgt sich Peking vor allem um strukturelle Veränderungen am Arbeitsmarkt, die Verschuldung der Kommunen und Unternehmen, sowie die Liquidität an den Finanzmärkten. Monetäre und fiskalische Maßnahmen zur Stabilisierung wurden bereits ergriffen, fielen im Vergleich zu den Interventionen im Jahr 2015 jedoch noch relativ moderat aus. Für 2019 wird insgesamt mit einer weiteren Abkühlung der Wirtschaft gerechnet, wobei neben Problemen am Binnenmarkt auch noch mit einer Absenkung des globalen Wachstums zu rechnen ist. Zugleich dürften Regierung und Notenbank bereits im Frühjahr weitere Maßnahmen ergreifen, um das Wachstum der Wirtschaft auf Kurs zu halten. Wir rechnen für das Gesamtjahr mit einem Wachstum in Höhe von 6 ¼ Prozent gegenüber Vorjahr. Sollte es im ersten Halbjahr zu einer Einigung mit den Vereinigten Staaten über die ausstehenden Handelskonflikte kommen, so dürfte es sogar für einen leicht höheren Wert von 6 ½ Prozent reichen. Sollte es im Gegenteil zu einer weiteren Eskalation von Handelsschutzmaßnahmen kommen, droht ein Abgleiten des Wachstums unter die Sechs-Prozent-Marke, sofern die Regierung nicht mit deutlich höher dotierten Gegenmaßnahmen zur Stimulierung der inländischen Nachfrage gegenhalten wird. Konjunkturindikatoren zeichnen gemischtes Bild Derzeit gibt es mehrere Faktoren, die eine Bremswirkung auf die Wirtschaft ausüben. Dazu zählen vor allem die mit dem Handelskonflikt verbundenen Unsicherheiten und Verschiebungen bei ausländischen Investitionen und im Außenhandel, der im Vergleich zum US Dollar schwächelnde Chinesische Renminbi sowie die globale Abschwächung. Hinzu gesellen sich vor allem zyklische und strukturelle Komponenten am Binnenmarkt, die bereits seit längerem unter dem Begriff des „New Normal“ angekündigt wurden. Die Industrieproduktion – gemessen an Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 20 Millionen CNY – wuchs 2018 zwar langsamer, aber immer noch stabil um 6,2 Prozent, darunter vor allem der

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High-Tech Bereich, der unter der „Made in China 2025“-Initiative besonders gefördert wird, mit 11,7 Prozent. Die Dienstleistungen zeigten sich mit einem Wachstum von 7,7 Prozent immer noch sehr stark, vor allem in den Feldern Informationsübertragung, Software und Vermietung. Der Einzelhandel zeigte sich noch relativ robust und wuchs um neun Prozent. Vor allem die Zuwächse im Online-Handel waren mit 25,4 Prozent besonders stark. Dies steht auch im Einklang mit Chinas Ziel einer stärkeren Binnennachfrage. Einzelne Branchen mussten jedoch empfindliche Einbußen hinnehmen. Im zweiten Quartal 2018 kam es zu einem starken Einbruch im Automobilsektor, der mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Der Absatz an Personenfahrzeugen ging 2018 insgesamt um sechs Prozent zurück. Die Investitionen in Sachanlagen stiegen um 5,9 Prozent. Der Anteil der privaten Investitionen gewann mit einem Zuwachs von 8,7 Prozent dabei weiter an Dynamik. Investitionen im Bereich der Hochtechnologie-Fertigungsindustrie zogen mit 16,1 Prozent deutlich an. Investitionen am Immobilienmarkt verzeichneten zwar noch ein Wachstum von 9,5 Prozent, die Regierung steuert jedoch schon seit Längerem mit Beschränkungen einer Überhitzung entgegen. Der Außenhandel ist 2018 um 9,7 Prozent gestiegen und hat erstmal einen Wert von über 30 Billionen Renminbi erreicht. Die Exporte legten um 7,1 Prozent, die Importe um 12,9 Prozent zu. Der Handelsbilanzüberschuss konnte um 18,3 Prozent verringert werden. Beim Export hatten elektronische und mechanische Produkte mit 58,8 Prozent den größten Anteil. Während die EU, die USA sowie die ASEAN-Länder weiterhin die größten Handelspartner sind, konnte der Handel mit Ländern entlang von „Belt and Road“ um 13,3 Prozent ausgebaut werden. Auf das gesamte Jahr gerechnet sind die Verbraucherpreise (CPI) um 2,1 Prozent und die Produzentenpreise (PPI) um 3,5 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosenquote für den städtischen Bereich lag im Dezember bei 4,9 Prozent, und somit leicht niedriger als im Vorjahr. Das durchschnittliche Monatseinkommen von Wanderarbeitern wuchs im Vorgleich zum Vorjahr um 6,8 Prozent. Das durchschnittliche zur Verfügung stehende Einkommen ist nominal um 8,7 Prozent, real um 6,5 Prozent, und der ProKopf Konsum nominal um 8,4 Prozent, real um 6,2 Prozent, gestiegen. Der von Markit erhobene Caixin Einkaufsmanagerindex (PMI) für das Produzierende Gewerbe notierte mit 48,3 Punkten im Januar nochmals niedriger als im Vormonat und bleibt damit unterhalb der kritischen Marke von 50 Punkten, die die Schwelle zwischen Expansion und Kontraktion markiert. Der offizielle NBS Einkaufsmanagerindex lag im selben Monat mit 49,5 Punkten ebenfalls weiterhin im Kontraktionsbereich. Der Caixin Einkaufsmanagerindex für Dienstleistungen fiel im Januar leicht auf 53,6 Punkte, befindet sich jedoch immer noch deutlich im Wachstumsbereich. Vor allem die Untergruppen „Exportgeschäft“ und „Neue Bestellungen“ konnten zulegen. Die Widerstandsfähigkeit des Dienstleistungssektors, der mehr als die Hälfte des chinesischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht, gleicht derzeit noch die Verlangsamung des Produktionswachstums aus. Der offizielle NBS Einkaufsmanagerindex in diesem Bereich lag mit 54,7 Punkten sogar noch stärker im Expansionsbereich. Stabilität, Reformen und neue Wachstumsimpulse Die Diskussion um die mit der „Neuen Normalität“ aufgekommenen Sorgen einer harten Landung ist zwar weitestgehend verstummt, dafür sind durch den Handelskonflikt mit den USA und die abschwächende globale Konjunktur neue Unsicherheitsfaktoren hinzugekommen. Nachdem in den letzten Jahren vor allem auf Infrastrukturstimuli gesetzt wurde, sollen jetzt der Binnenkonsum, aber auch die „Belt

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and Road“-Initiative neue Wachstumsimpulse setzen. Allerdings hat Ende des Jahres die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) im Zuge der Zentralen Wirtschaftskonferenz (CEWC) abermals 16 größere Infrastrukturprojekte im Umfang von 163,2 Milliarden US-Dollar genehmigt. Die „Angebotsseitigen Strukturreformen“ (Supply-Side Structural Reform) werden fortgesetzt und zielen weiterhin auf den Abbau von Überkapazitäten in der Produktion, Wohnungsüberbeständen und Unternehmensschulden. Die Produktion soll effizienter und stärker auf komplexe Zulieferprodukte sowie hochtechnologische Felder ausgerichtet werden. Die selbst gesteckten Ziele in diesem Bereich wurden laut der chinesischen Statistikbehörde 2018 weitestgehend erreicht. Die Reformen in den Staatsunternehmen machen aufgrund der möglichen sozialen Folgen nur mäßige Fortschritte. Die Wirtschaftsplaner in Peking streben insgesamt sogar eine Stärkung des Staatssektors an. Bei den Staatsbetrieben geht der Trend hin zu zentral gelenkten Fusionen weiter. Damit soll die Wirtschaft weiter konsolidiert und „nationale Champions“ für den Wettbewerb auf internationalen Märkten fit gemacht werden. Es wird auch 2019 mit weiteren größeren Fusionen in den Bereichen Transport, Kohle, Telekommunikation, Energieversorgung oder Chemie zu rechnen sein. International wettbewerbsrechtlich relevant sind die Fusionen jedoch meist nicht, da die Geschäftstätigkeit der Unternehmen weitestgehend auf den Binnenmarkt ausgerichtet ist. Verschuldung weiterhin ein Problem Trotz regulatorischer Eingriffe und anhaltender Finanzdisziplin ist die Gesamtverschuldung weiterhin eines der großen Probleme. Derzeit liegt die Verschuldungsquote, je nach Schätzung, zwischen 250 und 300 Prozent des BIP. Da sich ein Großteil der Schulden auf Banken in der zweiten Reihe im Inlandsgeschäft konzentriert und der Staat in vielen Fällen gleichzeitig Kreditgeber und -nehmer ist, bestehen entsprechende Eingriffsmöglichkeiten. Im Privatsektor, der durch die straffere Kreditvergabe der großen Banken an Liquidität verloren hat, könnten notleidende Kredite und daraus entstehende Schneeballeffekte während eines Abschwungs zum Systemrisiko werden. So würden auch ausländische Wirtschafts- und Finanzströme in den Sog geraten. Dies hätte globale Ausstrahleffekte, nicht zuletzt auch für die eng mit China verflochtene deutsche Volkswirtschaft. Positiv wirken sich dagegen die hohen Fremdwährungsreserven aus, die sich weiterhin auf über drei Billionen US-Dollar belaufen. Strukturelle marktwirtschaftliche Reformen bleiben weiterhin aus Die Kommunistische Partei (KP) hat bei ihrem letzten Parteitag Ende 2017 betont, ihren Einfluss auf die Wirtschaft zu verstärken und den Staatssektor stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Die Hoffnung auf marktwirtschaftliche Reformen erhielt somit einen weiteren Dämpfer. Langsam zeigt sich aber Widerstand. Staatliche Eingriffe in den Markt und auf Unternehmensentscheidungen wirken sich nicht nur negativ auf das Investitionsklima aus, sondern führen auch immer mehr zu internationalen Verstimmungen mit den Handelspartnern. Auf die Versprechungen der Regierung für mehr Freihandel und weitere Öffnung sind zwar einzelne Schritte gefolgt. So wurden z.B. im Automobil- und Konsumgüterbereich die Zölle reduziert, der Banksektor weiter geöffnet und eine neue Negativliste für ausländische Investitionen veröffentlicht. Strukturelle Marktreformen sind derzeit allerdings noch nicht absehbar. Für ausländische Unternehmen stellen neben Zöllen und Investitionsbeschränkungen die nichttarifären Handelshemmnisse zunehmend ein Problem dar. Darunter vor allem das Cybersicherheitsgesetz, das den Spielraum auf dem Digitalmarkt für ausländische Akteure sehr stark einschränkt.

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Europas Konjunktur hat den Höhepunkt überschritten Europas Konjunktur hat im Laufe des Jahres 2018 die Erwartungen vom Jahresanfang massiv enttäuscht. Dazu trugen zwar Sonderfaktoren wie zum Beispiel die Einführung des WLTP-Prüfverfahrens für Automobile und die Streiks der „gelben Westen“ in Frankreich bei. Doch schwächte sich der Auftrieb bereits in der ersten Jahreshälfte deutlich ab, und ab dem Herbst zeigten immer mehr harte und weiche Indikatoren gleichlaufend nach Süden. Der Euroraum wuchs 2018 mit 1,8 Prozent. Das reale BIP nahm in den 19 Euroländern in den ersten beiden Quartalen mit je 0,4 Prozent zu, im dritten und vierten Quartal jedoch nur noch mit je 0,2 Prozent. Die EU wuchs 2018 mit 1,9 Prozent, im ersten Halbjahr mit 0,4 bzw. 0,5 Prozent, im zweiten Halbjahr dann noch mit je 0,3 Prozent, jeweils gegenüber Vorquartal. Die Europäische Kommission rechnet in ihrer jüngsten Prognose (Europäische Kommission 2019) für den Euroraum nur noch mit 1,3 Prozent Wachstum der realen Wirtschaftsleistung in diesem Jahr (1,6 Prozent 2020) und für die EU mit 1,5 Prozent (und 1,7 Prozent 2020). Konjunkturelle Eintrübung in fast allen großen Volkswirtschaften Deutschland wuchs nur mit 1,5 Prozent über das gesamte Jahr. Im dritten Quartal verzeichnete Deutschland sogar Negativwerte beim realen Wachstum und stagnierte im vierte Quartal. Hier spielten unter anderem Sondereffekte im Automobilbau die ausschlaggebende Rolle für die Verlangsamung. Die Umstellung auf WLTP kostete etwa 0,4 Prozentpunkte Wachstum. Im laufenden Jahr dürften die inländischen Wachstumskräfte noch bedeutsamer werden. Eine robuste Expansion der Konsumausgaben von privaten Haushalten und des Staates sind sehr wahrscheinlich. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften etwas an Schwung verlieren, während FuE-Ausgaben und Bauinvestitionen stark bleiben sollten. Der Außenbeitrag dürfte eher belastend wirken. Die französische Wirtschaft wuchs ebenfalls mit 1,5 Prozent gegenüber Vorjahr (nach 2,3 Prozent 2017). Das vierte Quartal schlug nur noch mit 0,3 Prozent zu Buche. Die Inlandsnachfrage stagnierte (0,1 Prozent), während der Außenbeitrag 0,2 Prozentpunkte beitrug. Über das Gesamtjahr betrachtet zeichnete sich zwar eine Verlangsamung ab. Immerhin wuchsen die Ausrüstungsinvestitionen trotz verzögerten Flotteninvestitionen der Unternehmen im letzten Halbjahr jedoch mit 2,9 Prozent, und der private Verbrauch mit 0,8 Prozent, während die Bautätigkeit stagnierte. Der Staatsverbrauch nahm um einen Prozent zu. Die Exporte legten mit 3,1 Prozent deutlich kräftiger zu als die Importe mit 1,1 Prozent; der Außenbeitrag trug somit sogar 0,6 Prozentpunkte zum Wachstum bei. Insbesondere nahm die Importdynamik gegenüber dem Vorjahr erheblich ab (2017: 4,7 Prozent), während das Exportwachstum nur wenig hinter das Wachstum von 4,1 Prozent im Vorjahr zurückfiel. Die Lagerhaltung kostete vier Zehntel Prozentpunkte Wachstum. Die französische Wirtschaft wies ein Wachstum der Bruttowertschöpfung von über zwei Prozent in den marktbasierten Dienstleistungen auf, während die Industrie nur mit 0,8 Prozent zulegte. Ein Wachstum von rund 1 ½ Prozent dürfte trotz der weltweiten Eintrübung der industriellen Perspektiven angesichts der dynamischen Luft- und Raumfahrtbranche, einer sich von WLTP erholenden Fahrzeugproduktion und dank des dynamischen französischen Dienstleistungsgeschäfts im Rahmen des Möglichen liegen. Die Europäische Kommission rechnet nur mit 1,3 Prozent. Die wirtschaftliche Entwicklung in Italien verlief besonders enttäuschend. Dazu trugen nicht nur die Abkühlung der weltweiten Dynamik und die Exporte von Zulieferteilen für die zeitweise stotternde deutsche Automobilproduktion bei, sondern auch die Finanzpolitik der neuen Regierung, deren Ausgabenpläne die Finanzierungskosten der Unternehmen verschlechterten. 2018 belief sich das Wachstum auf ein Prozent. Im zweiten Halbjahr geriet die Wirtschaft sogar in eine technische Rezession (Q1: 0,3 /

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Q2: 0,2 / Q3: minus 0,1 / Q4: minus 0,2 Prozent gegenüber Vorquartal). Die finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Regierung Conte (Mehrausgaben für Rente und Grundsicherung, geringere Infrastrukturinvestitionen, Rücknahme von Investitionsanreizen, restriktive Arbeitsmarktgesetze) werden kurzfristig zwar den privaten Verbrauch über neue Sozialleistungen stützen, aber trotz geringer Mehrausgaben für Investitionen die von der Gentiloni-Regierung eingeleitete Dynamik der Ausrüstungsinvestitionen stark abbremsen. Für das laufende Jahr dürfte die von der Kommission zum Jahresende 2018 akzeptierte Prognose von einem Prozent nicht zu halten sein und daher die Haushaltspolitik in Konflikt mit den Regelwerken geraten. Schon die Rückkehr zu mäßigem Wachstum von einem ½ Prozent wird anspruchsvoll werden, zumal die wirtschaftliche Stimmung im Land negativ ist. Der IWF hatte jüngst auf 0,6 Prozent revidiert, die Kommission auf 0,2 Prozent. Die Konsumausgaben dürften noch leicht steigen, die Investitionen eher seitwärts tendieren und die Nettoexporte leicht über null liegen. Spaniens Wirtschaft erwies sich 2018 dagegen als sehr robust und wuchs mit 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr (nach drei Prozent in 2017). Die Wirtschaft verzeichnete im letzten Quartal 0,7 Prozent Wachstum und setzte damit die stetige Expansion im Jahresverlauf fort (Q1: 0,7 / Q2 und Q3: 0,6 / Q4: 0,7 Prozent). Dies dürfte sich nach einhelliger Auffassung der internationalen Organisationen auch in diesem Jahr fortsetzen. Ein Wachstum von gut zwei Prozent ist sicherlich erreichbar (Europäische Kommission: 2,1 Prozent). Euroraum insgesamt spürt Abkühlung ebenfalls Die konjunkturelle Entwicklung im Euroraum wurde 2018 gestützt von einer starken Investitionskonjunktur, die über drei Prozent zulegte und einen guten halben Prozentpunkt zum Wachstum beitrug. Der private Verbrauch legte mit gut 1,5 Prozent gegenüber Vorjahr zu und trug fast einen Prozentpunkt zum Wachstum bei. Die Beschäftigung stieg um gut 1,5 Prozent an und liegt nun 2,6 Prozent über dem Vorkrisenhoch 2008, und die Arbeitslosenquote sank auf 8,1 Prozent. Seit dem Beginn der Erholung im Frühjahr 2013 sind über neuneinhalb Millionen Arbeitsplätze hinzugekommen. Der Außenbeitrag war ebenfalls positiv. Der Euroraum profitiert nicht nur von der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, sondern allmählich auch von einer kräftiger anziehenden Kreditnachfrage der Unternehmen in einem nach wie vor stützenden Finanzierungsumfeld. Die Kreditnachfrage hat sich stetig erholt und wies zuletzt mit einem Tempo von vier Prozent gegenüber Vorjahr eine positive Dynamik auf. Die konjunkturelle Entwicklung des Euroraums im laufenden Jahr ist durch eine Reihe von Abwärtsrisiken geprägt. Insbesondere die Abschwächung der Weltnachfrage, die geringe Dynamik im Außenhandel und ein ungeordneter Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU könnten den Wachstumsausblick deutlich eintrüben. Das wirtschaftliche Wachstum dürfte vor allem in Frankreich, den Niederlanden und Spanien sowie in fast allen nord- und osteuropäischen Staaten robust bleiben. Der Ausblick für Deutschland und Italien ist dagegen durch die sich rasch abschwächende Industriekonjunktur geprägt. Angesichts der schwachen Datenlage vor allem im Außenhandel und der starken Eintrübung der vorlaufenden Indikatoren ist damit zu rechnen, dass nur gut 1 ¼ Prozent erreicht werden können, sofern sich kein ungeordneter Brexit einstellen sollte. Dieser würde dem Euroraum im Minimum einen halben Prozent Wachstum kosten und könnte leicht eine Rezession auslösen. Abgesehen vom Brexit besteht eine größere Unsicherheit, inwieweit sich die deutlichen Rückgänge bei Auftragseingängen, Exportbestellungen und Frachtraten in den letzten Wochen fortsetzen. Der Außenbeitrag könnte nach zwei Jahren im positiven Territorium 2019 und 2020 zu einer Belastung für den Euroraum werden. Viel spricht dafür, dass Unternehmen aus dem Euroraum wieder Marktanteile verlieren dürften, da die

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Phase der verbesserten preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Jahre 2015-2017 nun wieder einer normalen Anpassung bei steigenden Löhnen weicht (Deutsche Bank Research 2019). Die Inflation dürfte nach einem Anstieg auf zwei Prozent im November 2018 angesichts abnehmenden Ölpreise und reduzierter Dynamik wohl eher etwas unter der Inflationsprognose der EZB für 2019 in Höhe von 1,6 Prozent fallen. So hat die Kommission jüngst die Prognose für den Euroraum in diesem Jahr auf 1,4 Prozent gesenkt (von zuvor 1,8 Prozent). Die Kernrate, die die Preisentwicklung ohne Energie und Nahrungsmittel angibt, dürfte ebenfalls unterhalb von 1,4 Prozent verharren. Auch andere Inflationsmaße zeigten zuletzt keinen Aufwärtstrend an. Gleichwohl zogen die Löhne im Euroraum im dritten Quartal um 2,5 Prozent an (in Q2 um 2,2 Prozent). Dies wird von Dienstleistungen, dem öffentlichen Sektor und der Baubranche ebenso getragen wie von der Industrie und dürfte selbst bei einer Abschwächung der industriellen Entwicklung mittelfristig eine Steigerung der Kernrate nahelegen.

Euroraum: Entwicklung des realen BIP in Prozent 3 2,4 2,3

2,1

2,0

1,8

1,8

2

1,9 (Prognose)

1 0,3 0 -0,4 -1 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2010

2011

2012

2013

Veränderung ggü. Vorjahresquartal

2014

2015

2016

2017

Veränderung ggü. Vorquartal

2018

Veränderung ggü. Vorjahr

Quelle: Macrobond

Japan: moderates Expansionstempo wird gehalten werden Japan ist 2018 von einigen Naturkatastrophen betroffen gewesen. Die Wirtschaft des Landes hat sich gleichwohl mit einem Prozent realem Wachstum gut und damit über Potenzial gehalten. Für dieses Jahr ist mit einem ähnlichen Ergebnis zu rechnen. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte und die Investitionen dürften jeweils etwas stärker wachsen, während die öffentlichen Investitionen und der Außenbeitrag wohl dämpfend wirken werden. Mit moderatem Wachstum ist auch bei den Exporten und der Industrieproduktion zu rechnen. Die Regierung wird im September die Mehrwertsteuer von acht auf zehn Prozent erhöhen. Zugleich werden aber steuerliche Entlastungen und Mehrausgaben des Staates ergriffen werden, um die kontraktive Wirkung auf die Konsumausgaben um gut die Hälfte abzumildern. Zudem wird die Regierung ab April die Überstunden stärker regulieren und den Druck auf den Arbeitsmarkt weiter erhöhen. Zuletzt lag die Arbeitslosenquote bei nur 2,4 Prozent – den gut 69 Millionen Beschäftigten standen nur noch 1,5 Millionen Arbeitslose gegenüber, während noch eine Million offene Stellen angeboten wurden. Im letzten Jahr hatten erstmal seit langer Zeit auch die Löhne mit rund drei Prozent zugelegt. Zudem scheint die Lohnentwicklung ohnehin etwas dynamischer in den letzten Jahren verlaufen zu sein als bislang angenommen, da die Statistikbehörden offenbar aufgrund

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von Erhebungsdefiziten Fehleinschätzungen unterlagen. Die Inflationsentwicklung wird durch die Mehrwertsteuererhöhung eher bei einem Prozent über das Gesamtjahr liegen.

Regionaler Ausblick Die Wachstumskräfte in den Schwellen- und Entwicklungsländern werden für dieses Jahr als in etwa stabil gegenüber dem Vorjahr eingeschätzt. So rechnet der IWF mit 4,5 Prozent realem Wirtschaftswachstum gegenüber dem Vorjahr, nach 4,6 Prozent 2018 (IWF 2019). Angesichts günstigerer Ölpreisentwicklung dürfte Indien sogar etwas beim Wachstum zulegen, während die asiatischen Nachbarn etwas Dampf aus dem Kessel lassen werden, gleichwohl aber mit mehr als sechs Prozent Wachstum weiterhin sehr kräftig zulegen werden. Russland wird mit gut anderthalb Prozent zulegen können, die anderen GUS-Staaten mit über 3 ½ Prozent. Die Türkei wird dagegen eine Rezession durchlaufen, Argentinien wohl ebenfalls. Die stärkste Verbesserung der wirtschaftlichen Lage dürfte sich in Brasilien einstellen. Das Land dürfte nach einer Rezession nebst sehr mäßiger Erholung dieses Jahr mit 2 ½ Prozent zulegen. Lateinamerika dürfte sich somit auf zwei Prozent verbessern. Mexikos Wachstum wird sich dagegen auf gut zwei Prozent abschwächen. Mit einem Tempo von etwa 2 ½ Prozent dürften auch die Volkswirtschaften des Nahen und Mittleren Ostens sowie Afghanistan und Pakistan wachsen. Niedrige Ölpreise und eine Reihe außen- und sicherheitspolitischer Problemen dämpfen die Dynamik ab. Das Afrika südlich der Sahara wiederum dürfte mit guten einem halben Prozentpunkt an Tempo zulegen und mit rund 3 ½ Prozent real zulegen, wobei die Ölförderländer eher schwächer und die anderen stärker zulegen. Regionaler Konjunkturausblick* 2019 Südamerika

1,9

Zentralamerika

3,8

Karibik

3,7

Asien-Pazifik, Fortgeschrittenen Volkswirtschaften1

1,8

Asien-Pazifik, Entwicklungsländer2

6,3*

GUS-Staaten3

2,2*

Naher Osten, Nordafrika, Afghanistan, Pakistan

2,4*

Israel

3,5

Sub-Sahara Afrika

3,5*

1Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur, Hongkong, Australien, Neuseeland, Macau 2 inklusive China und Indien 3 Russland, Ukraine, Georgien, Turkmenistan, kaukasische und zentralasiatische Staaten * Wachstum des realen BIP ggü. Vorjahr in Prozent Quelle: IWF (Oktober 2018; *Januar 2019)

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Konsequenzen für Deutschland Die jüngsten Daten für Produktion, Auftragseingänge und Außenhandel bestätigten das Bild eines sich abschwächenden wirtschaftlichen Dynamik. Die Industrieproduktion stieg 208 nur um 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Die Auftragseingänge stagnierten gegenüber dem Vorjahr, aber die Monate von Sommer 2016 bis Februar 2018 waren auch äußerst stark gewesen. Bedenklich ist eher der Abwärtstrend am aktuellen Rand. Die Güterexporte lagen dagegen mit einem Zuwachs von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr trotz der Sondereffekte aus der Automobilbranche zwar etwas unter dem globalen Handelswachstum, zeigten sich jedoch in robuster Verfassung. Die Importe legten mit 5,7 Prozent sehr dynamisch zu. Einige Umfrageindikatoren sind jüngst vor allem für das Verarbeitende Gewerbe besonders schwach ausgefallen, sie hatten vor einem Jahr aber auch sehr hoch gelegen. Ob die wirtschaftliche Lage und die Geschäftsaussichten tatsächlich sich so rasch und so stark verschlechtert haben, kann man anhand der wenigen harten Daten noch nicht verlässlich einschätzen. Angesichts der vielfältigen Risiken im Jahresverlauf und des eingetrübten Konjunkturausblicks hat die Bundesregierung mit dem Jahreswirtschaftsbericht ihre Prognose auf ein Prozent Wachstum heruntergenommen und insbesondere bei den Ausrüstungsinvestitionen und den realen Exporten ihre Einschätzung nach unten revidiert. Die Richtung der Anpassung ist sicherlich nachvollziehbar, die vorherige Prognose hatte sich auf 1,8 Prozent für 2019 belaufen (Bundesregierung 2019). Richtig ist, dass seit dem letzten Herbst viele Konjunkturindikatoren schwächer ausgefallen sind und sich daher auch die Abwärtsrisiken für unsere Prognose für die reale Wirtschaftsleistung in diesem Jahr in Höhe von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht haben. Eine Überprüfung der Prognose werden wir bei Vorlage der vollständigen Jahresergebnisse Anfang März vornehmen.

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Quellenverzeichnis BEA (2018a). GDP Increases in the Third Quarter. 21. Dezember. --- (2018b). Gross Domestic Product. 5. Februar. Bundesregierung (2019). Jahreswirtschaftsbericht 2019. Januar. Berlin. CBO (2019a). The Budget and Economic Outlook: 2019 to 2029. 28. Januar. --- (2019b). The Effects of the Partial Shutdown Ending in January 2019. 28. Januar. Committee for a Responsible Federal Budget (2019). Q&A: Everything You Should Know About Government Shutdowns. 7. Januar. Deutsche Bank Research (2019). Focus Europe. Euro area: the threat from trade. London. 25. Januar. Europäische Kommission (2019). European Economic Forecast. Winter. Brüssel. Europäische Zentralbank (2018). Economic Bulletin. Dezember. Frankfurt/M. Internationaler Währungsfonds (2019). World Economic Outlook. Update. Washington, D.C. Januar. --- (2019): World Economic Outlook, Februar. Lardy, Nicholas (2019). Xi’s turn away from the market puts Chinese growth at risk. Financial Times. 16. Januar. Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis (2019). World Trade Monitor. Februar. OECD (2018). Economic Outlook. November. Paris. Summers, Lawrence (2019). We must prepare now for the likelihood of a recession. Financial Times. 8. Januar. UNCTAD (2019): Investment Trends Monitor. Issue 31. Januar.

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