AUßENWIRTSCHAFTSPOLITIK | EXPORTKONTROLLE
Verschärfung der US-Exportkontrolle Strengere Regeln gegen die Volksrepublik China, die russische Föderation und die bolivarische Republik Venezuela
17. Dezember 2020 Zusammenfassung
23. Oktober 2017
Die Entwicklungen in der US-amerikanischen Exportkontrolle bereiten der deutschen Industrie Sorge. Am 29. Juni 2020 traten in den Vereinigten Staaten von Amerika zwei Regulierungen in Kraft, durch welche die Ausfuhrkontrollen doppelverwendungsfähiger Güter in die Volksrepublik China, die Russische Föderation und die Bolivarische Republik Venezuela weiter verschärf t werden. An diesem Tag endete ebenfalls die Kommentierungsphase für einen Regulierungsvorschlag des Bureau for Industry and Security (BIS), der nachgeordneten Behörde des amerikanischen Wirtschaftsministeriums für Exportkontrollfragen, zu Modification of License Exception Additional Permissive Reexports (APR). Zudem lief bis zum 26. Oktober 2020 eine Konsultation des BIS zur Kontrolle von Basistechnologien. Mit dem Wahlsieg von Joe Biden zum 46. Präsidenten der USA besteht die Chance auf eine Normalisierung der transatlantischen Beziehungen. Wegen des Verhaltens der Volksrepublik China in den letzten Jahren ist aber auch klar: in der Exportkontrolle ist eine Rückkehr zum Status Quo Ante unmöglich. Auf beiden Seiten des Atlantiks muss sich die Politik nun um gemeinsame Wege und Lösungen bemühen. Einschätzungen und Forderungen der deutschen Industrie ▪
Der treibende Faktor für die Verschärfung der US-Exportkontrolle ist Chinas zivil-militärische Integration („civil military fusion“) – also die aufgehobene Trennung zwischen einer zivilen Sphäre einerseits und einer militärischen Endverwendung andererseits . Wenn Wirtschaftsbeteiligte nicht mehr zwischen ziviler und militärischer Endverwendung bei ihren Kunden unterscheiden können, sind verschärfte Kontrollen dringend geboten.
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Die deutsche Industrie ist von den Maßnahmen der USA direkt betroffen, da eine exportorientierte deutsche Industrie 4.0 auch im Hochtechnologiesektor tief in globale Wertschöpfungsketten eingebunden ist.
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Die deutsche Industrie blickt mit Sorge auf das Entstehen exklusiver Wirtschaftshemisphären. Wirtschaftsbeteiligte werden Wertschöpfung und Lieferketten zunehmend entlang der
Dr. Stormy-Annika Mildner | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028-1562 | s.mildner@bdi.eu | www.bdi.eu Dr. Nikolas Keßels | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028-1518 | n.kessels@bdi.eu | www.bdi.eu Eckart von Unger | Außenwirtschaftspolitik | T: +32 2792-1020 | e.vonunger@bdi.eu | www.bdi.eu
Verschärfung der US-Exportkontrolle
Sollbruchstellen der internationalen Politik gestalten müssen. Separate Wirtschaftsräume werden damit wahrscheinlicher. ▪
Die Exportkontrolle sollte immer als Teil einer breiteren außen- und sicherheitspolitischen Strategie gedacht werden. Sie sollte jedoch nicht für protektionistische Zwecke missbraucht werden.
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Die USA sollten in der Verfolgung ihrer sicherheitspolitischen Ziele die Kooperation mit den transatlantischen Partnern verstärken. Chinas neuerliches Exportkontrollgesetz macht die Notwendigkeit internationaler Abstimmung nochmals sehr deutlich. Europa und die USA sollten hier gemeinsam Führungsstärke zeigen.
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Verschärfung der US-Exportkontrolle
Hintergrund 1. Expansion of Export, Reexport, and Transfer (in-Country) Controls for Military End Use or Military End Users in the People’s Republic of China, Russia, or Venezuela 1 Diese Regulierung erweitert signifikant den Anwendungsrahmen der US-Exportkontrolle in Bezug auf den Endverbleib, erweitert den Anwendungsrahmen für die Evaluierungskategorie „regional stability“ (RS) und verschärft die Offenlegungspflichten für Exporte nach China, Russland und Venezuela. Grundsätzlich untersagt das BIS in der Neufassung von § 744.21 2 der Export Administration Regulations (EAR) die Ausfuhr, den Reexport und den nicht grenzüberschreitenden Transfer von Gütern für den Fall, dass Ausführende Kenntnis haben sollten, dass diese einem kontrollierten militärischen Endverwender oder Endverbleib zugeführt werden könnten. Eine solche Kenntnis („knowledge“) ist ungleich weiter definiert als die in der deutschen Exportkontrolle übliche positive Kenntnis, wie sie in der verwendungsbezogenen Ausfuhrkontrolle vorkommt. 3 Innerhalb der Rechtslogik der EAR umfasst dieser Begriff zum einen diese positive Kenntnis, dass Umstände existieren oder eine erhebliche Sicherheit solcher Umstände besteht, dass kontrollierte Güter weitergegeben werden könnten. Darüber hinaus liegt Kenntnis im Sinne der EAR ebenfalls vor, wenn lediglich eine Wahrnehmung vorliegt, derartige Umstände bestünden oder könnten in naher Zukunft eintreten. 4 Damit wird für die Ausfuhr der gelisteten Güter ein sehr weit auslegbarer Kenntnisbegriff angewandt, der in seiner praktischen Anwendung enorme Risiken für die Wirtschaftsbeteiligten schafft. Zusätzlich zu Gütern, die in der Commerce Control List (CCL) aufgeführt sind, wird in §744 EAR (Control Policy) für die genannten Staaten eine sogenannte „Ergänzung Nummer 2“ vorgenommen, die weitere neun Güterkategorien auflistet: Chemikalien, Mikroorganismen und Gifte, Güter der Werkstoffverarbeitung, Güter zum Elektronikdesign wie auch für die Entwicklung und Produktion von Elektronik, Computer (Hard- und Software), Güter der Telekommunikations- und Informationssicherheit, der Sensorik- und Lasertechnologie, der Luftfahrt sowie Luftfahrt- und Bordelektronik, Marinesysteme und letztlich Antriebstechnologie und Raumfahrtzeuge.
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BIS: 15 CFR Parts 732, 734, 738, 742, 744, 758, and 774, Federal Register 85 (82), 28. April 2020, Rules and Regulations, S. 23459-23470. 2 Dieser Paragraph trägt den folgenden Titel: “Restrictions on Certain ‘Military End Use’ or ‘Military End User’ in the People’s Republic of China, Russia, or Venezuela”. 3 Im deutschen Fall wird die positive Kenntnis im Zusammenhang mit der verwendungsbezogenen Ausfuhrkontrolle vom BAFA definiert, als Wissen oder behördliches in Kenntnis gesetzt werden, dass für den Export vorgesehene Güter für einen bestimmten Verwendungszweck bestimmt sind „[…] oder sein können. Als Verwendungszwecke sind u. a. aufgeführt eine Verwendung im Zusammenhang mit der Entwicklung, Herstellung, Handhabung, dem Betrieb, der Wartung, Lagerung, Ortung, Identifizierung oder Verbreitung von chemischen, biologischen oder Kernwaffen bzw. eine militärische Endverwendung, wenn das Käuferland oder Bestimmungsland ein Waffenembargoland ist oder die Errichtung bzw. der Betrieb einer Anlage für kerntechnische Zwecke in neun Bestimmungsländern.“ BAFA: Exportkontrolle und das BAFA, Grundlagen der Exportkontrolle, Antragstellung, Informationsquellen, Ansprechpartner, November 2019, S. 26, <https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/Aussenwirtschaft/afk_merkblatt_exportkontrolle_bafa.pdf?__b lob=publicationFile&v=9>. 4 Definitionen sind der dafür vorgesehenen Datenbank des Legal Information Institute der Cornell Law School entnommen. Zugang zu dieser alphabetisch geordneten Quelle „15 CFR § 772.1 - Definitions of Terms as Used in the Export Administration Regulations (EAR)” besteht unter: <https://www.law.cornell.edu/cfr/text/15/772.1>.
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Verschärfung der US-Exportkontrolle
Neben der Erweiterung der kontrollierten Güter, werden auch die Kontrollkriterien verschärft: a) Militärische Endverwender und militärischer Endverbleib § 744.21 (f) erweitert die Definition des militärischen Endverbleibs. Untersagt bleibt die Verbringung von Dual-Use Gütern, die in Militärgüter, wie sie in der United States Munitions List (USML) beschrieben sind, integriert werden könnten. Hinzu komme nun auch jedes Gut, „that supports or contributes to the operation, installation, maintenance, repair, overhaul, refurbishing, ‘development,’ or ‘production,’ of military items described on the USML, or items classified under ECCNs ending in ‘A018’ or under ‘600 series’ ECCNs.“5 Damit ist klar, dass die definitorische Erweiterung des Endverbleibs der US-Regierung ermöglichen soll, Vermischung von ziviler und militärischer technologischer Entwicklung in anderen Staaten im Interesse der nationalen Sicherheit zu beeinflussen. In der Volksrepublik China, Russland und Venezuela ist eine solche zivil-militärische Integration Kennzeichen eines antiliberalen und autoritären Führungsstils, der sich sicherheitspolitisch destabilisierend auf die jeweiligen Regionen auswirkt. Allerdings kommt es im Zuge der Neufassung zu Unklarheiten, deren Folgen derzeit nicht konkret benannt werden können. Realwirtschaftlich interagieren die Konzepte von Endverwender und Endverbleib, weshalb die folgende Aussage des BIS überrascht: „The EAR’s current definition of military end users includes the army, navy, air force, marines and coast guard, plus the national guard/police, government intelligence and reconnaissance organizations; this rule does not modify that definition.“6 Diese Aussage ist missverständlich. Unter § 744.21 heißt es in Sektion (g), dass zu den oben genannten klassischen Endverwendern auch all jene natürlichen oder juristischen Personen hinzukommen, deren Handeln oder Funktion darauf abzielen, eine militärische Endverwendung im Sinne von § 744.21 Sektion (f) zu unterstützen. Es wird daher in der Tat eine Erweiterung des Kreises kontrollierter Endverwender vorgenommen. Diese Änderung korrespondiert mit dem erklärten Ziel, die Umgehung der US-Exportkontrolle zu verhindern und die zivil-militärische Integration der Volksrepublik China auch ausfuhrkontrollrechtlich greifbar zu machen. Rechtspraktisch bedeutet diese Erweiterung kontrollierter Endverwender, dass Wirtschaftsbeteiligte bei Ausfuhren in die genannten Staaten mit einem erheblichen Mehraufwand rechnen müssen. b) Regionale Stabilität (RS) Das BIS erweitert den Kontrollanlass der regionalen Stabilität in Bezug auf die Ländergruppe China, Russland, Venezuela. So genannte RS-Kontrollen werden nun fällig für die .y-Güter der 500er- und 600er-ECCN-Serie, also Teile, Zubehör und Komponenten militärischer und Raumfahrtgüter. c) Offenlegungspflicht
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BIS: 15 CFR Parts 732, 734, 738, 742, 744, 758, and 774, Federal Register 85 (82), 28. April 2020, Rules and Regulations, S. 23464. 6 BIS: 15 CFR Parts 732, 734, 738, 742, 744, 758, and 774, Federal Register 85 (82), 28. April 2020, Rules and Regulations, S. 23460
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Die Offenlegungspflichten von Electronic Export Information (EEI) wurden mit Bezug auf den Länderkreis verschärft. EEI werden im Automated Export System (AES) hinterlegt, und eine Veröffentlichungspflicht bestand bislang nur ab einer Wertgrenze genehmigungsfreier Ausfuhren von über 2500 US-Dollar. Zudem müssen die angegebenen EEI immer auch die korrekte ECCN beinhalten, auch wenn der Kontrollgrund bei genehmigungspflichtigen Ausfuhren einzig „Terrorismus“ war. Bislang geltende Ausnahmen wurden im Hinblick auf Export nach China, Russland und Venezuela aufgehoben. Die Anforderung soll mehr Transparenz schaffen und ermöglicht eine Datengrundlage, um zukünftig genaueren Überblick auf die Waren- und Güterexporte zu erhalten.
2. Elimination of License Exception Civil End Users (CIV) 7 Die Genehmigungspflicht für die Ausfuhr, den Reexport und inländischen Transfer bestimmter Güter an Staaten, die mit einer D:1 Einstufung geführt werden, wurde verschärft. Staaten mit dieser Einstufung werden von den USA als potenzielle Gefährder der nationalen Sicherheit angesehen. 8 Bislang galt eine Ausnahmegenehmigung für Ausfuhren, die an einen zivilen Endverwender mit dem Zweck eines plausiblen zivilen Endverbleibs verbracht wurden. Die Verbringung von Gütern, wie sie beispielsweise in der Halbleiterherstellung und zur Vernetzung von Hochleistungscomputern verwendet werden, oder auch von optischer Ausrüstung, Lasern und Gütern mit ziviler Anwendung in der Luft- und Raumfahrt, ist nun genehmigungspflichtig. Das BIS will damit der Vermengung von Wirtschafts-, Industrie- und Sicherheitspolitik in ausländischen Staaten Rechnung tragen. Zivile wirtschaftspolitische Entwicklung und militärische Rüstung seien vielerorts zu stark miteinander verwoben, als dass eine solche pauschale Ausnahmegenehmigung für zivile Endverwender und den zivilen Endverbleib angemessen sei.
3. Modification of License Exception Additional Permissive Reexports (APR) 9 Das BIS sieht Defizite in der Durchsetzung US-amerikanischer Interessen bei der Genehmigungspraxis vieler A:1 Staaten und Hong Kongs von Reexporten in D:1 Staaten. A:1 Staaten werden als grundsätzlich vertrauenswürdig angesehen. Diese Gruppe setzt sich zusammen aus den Staaten des Wassenaar Arrangements ohne Russland, die Ukraine und Malta. Wie oben bereits erwähnt, gelten D:1 Staaten aus Gründen der nationalen Sicherheit als Zielländer mit besonderer Sensibilitätseinstufung. Bislang gilt eine Ausnahmeregelung („License exception APR (§740.16 Additional Permissive Reexports“), die besagt, dass beim Reexport bestimmter Güter mit Implikationen für die nationale Sicherheit der USA die Genehmigungen aus Staaten der A:1 Gruppe als äquivalent zu USAusfuhrgenehmigungen angesehen werden. Das bedeutet, eine weitere Genehmigung durch das BIS muss bislang nicht erfolgen. Wirtschaftsbeteiligte aus A:1 Staaten und Hong Kong müssen nur eine Ausfuhrgenehmigung ihrer zuständigen Ausfuhrkontrollbehörde vorweisen. Das BIS will nun diese
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BIS: 15 CFR Parts 740 and 774, Federal Register 85 (82), 28. April 2020, Rules and Regulations, S. 2347023473. 8 Sicherheitseinschätzungen zu Staaten werden veröffentlicht im Code of Federal Regulations (CFR) 15, Anhang 1 zu Abschnitt 740 der Export Administration Regulations (EAR). 9 BIS: 15 CFR Part 740, Federal Register 85 (82), 28. April 2020, Rules and Regulations, S. 23496-23498.
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Verschärfung der US-Exportkontrolle
Ausnahmeregelung verschärfen und Empfängerstaaten der D:1 Gruppe grundsätzlich von diesem Privileg ausschließen. Wirtschaftsbeteiligte müssten dann bei der Ausfuhr von Gütern mit einem Anteil US-amerikanischer Komponenten oberhalb eines Wertanteils von 10 respektive 25 Prozent eine entsprechende Ausfuhrgenehmigung sowohl bei der nationalen Ausfuhrkontrollbehörde als auch beim BIS beantragen.
4. Kontrolle von Zukunfts- und Basistechnologien Im Dezember 2019 konnten sich die 42 Mitgliedsstaaten des Wassenaar-Arrangements zur Kontrolle konventioneller Waffen und doppelverwendungsfähiger Güter auf sechs neue Eintragungen auf der gemeinsamen Kontrollliste einigen, die in den Bereich der Zukunftstechnologien fallen. Das BIS hat diese Eintragungen mit Wirkung zum 5. Oktober 2020 in die Commerce Control List (CCL) aufgenommen. 10 Bei den kontrollierten Gütern handelt es sich um bestimmte Güter zur hybriden generativen Fertigung (additive manufacturing), Software zur lithografischen Belichtung im Herstellungsprozess integrierter Schaltkreise (computational lithography software), Technologie zur Vollendung von mit lichtempfindlichen Lack belegten Siliciumscheiben (Wafers), Vehikel mit der Fähigkeit für sub-orbitalen Flug, sowie bestimmte Informations- und Kommunikationstechnologien zum Abschöpfen und Analysieren von Ursprungsdaten. Seit Anfang August 2020 läuft zudem ein Konsultationsverfahren des BIS zur Regulierung von Basistechnologien im Rahmen einer Vorabmitteilung. Die Konsultationsfrist endet am 26. Oktober 2020. Ziel dieses Prozesses ist es, grundlegende Technologien, die derzeit noch unter die niedrigschwellige Kontrollstufe der Export Administration Regulations (EAR) „EAR99“ fallen, gesondert zu identifizieren und in ihrer Ausfuhr zu beschränken. Dies betrifft all jene Güter, die nicht durch das US-Wirtschaftsministerium mit einer Export Control Classification Number (ECCN) auf der Commerce Control List (CCL) geführt werden. Grundsätzlich handelt es sich bei diesen Positionen um Konsumgüter mit niedrigem Technologieniveau, wie zum Beispiel Kleidung, Schmuck oder Softwarepakete, für deren Ausfuhr in den meisten Fällen keine Genehmigung notwendig ist. Dennoch müssen Wirtschaftsbeteiligte bei EAR99-Gütern Sorgfaltspflichten beachten und prüfen, ob bei der Verbringung eines solchen Gutes Embargos oder Sanktionsrecht relevant sein könnten. In solchen Fällen kann eine Genehmigung notwendig sein. Gleiches gilt bei der Verbringung an untersagte Endverwender oder für eine verbotene Endverwendung. Bereits im Juli 2019 fanden Anhörungen zur Kontrolle von Basistechnologien im zuständigen Ausschuss des US-Senates statt. Vertreter*innen des Senates und geladene Fachgäste waren sich einig, dass eine Kontrolle von Basistechnologien zwangsläufig auch solche Güter umfasst, deren Handel global ist und deren Nachfrage durch Anbieter in vielen Staaten bedient wird. Eine Kontrolle von Massenware jedoch hätte weitreichende Folgen für globale Lieferketten. In seiner Vorabmitteilung und Konsultationsbitte hat das BIS bereits einige Güter genannt, die in den Anwendungsrahmen der Basistechnologiekontrollen fallen könnten. Genannt werden: Ausrüstung und Software zur Herstellung von Halbleitern, Sensoren und Unterwassersysteme. Diese Güter sind bislang nur aufgrund militärischer Anwendungsmöglichkeiten gemäß Ergänzung 2, Paragraph 744.21 EAR kontrolliert. Nach Angaben des BIS können solche Güter die inländische Entwicklung militärischer Rüstungsbestrebungen in der Volksrepublik China, der bolivarischen Republik Venezuela und der
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BIS: 15 CFR Parts 740, 772, and 774, Federal Register 85 (193), 5. Oktober 2020, Rules and Regulations, S. 62583-62596.
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Russischen Föderation befördern. Damit stellt die Ausfuhr solcher Güter aus Sicht der amerikanischen Regierung eine Bedrohung der nationalen Sicherheit dar. Darüber hinaus wird das BIS seine Kontrollen in all jenen Bereichen präzisieren, in denen bislang zwar eine ECCN vergeben – und damit eine CCL-Listung vorgenommen – wurde, die jedoch nur im Hinblick auf die Antiterrorbekämpfung ausfuhrbeschränkt sind. Gleiches soll für EAR99-Gegenstände gelten, bei denen bisher keine Ausfuhrgenehmigung notwendig ist, wenn der Export in ein Land gehen soll, das einem US-Waffenembargo unterliegt. Ausdrücklich ausgenommen von den Kontrollbemühungen des BIS bleibt gemäß § 734.8 EAR Technologie oder Software, die als Teil akademischer Grundlagenforschung nicht in den Anwendungsbereich der EAR fällt.
Einschätzung und Forderungen Aus dem Blickwinkel der amerikanischen Exportkontrolle sind die Neuregulierungen und der Vorschlag, Genehmigungen von Reexporten wieder stärker durch das BIS vornehmen zu lassen, in sich schlüssig und politisch nachvollziehbar. Die Volksrepublik China steht in einem systemischen Wettbewerb zu den liberaldemokratischen Marktwirtschaften des politischen Westens. Chinas technologischer Fortschritt, wirtschaftliche Entwicklung und militärische Rüstung sind in diesem Konflikt kaum noch voneinander zu trennen. Die zivil-militärische Integration in der Volksrepublik ist hier die klar treibende Kraft. Das in der Volksrepublik zum Dezember 2020 verabschiedete Exportkontrollrecht ist ein weiterer Grund zur Besorgnis, denn die kommunistische Partei verfügt nun über ein weiteres Instrument, um seine Wirtschaftskraft für seine geopolitischen Ziele zu missbrauchen. Das Argument der USA, dass gerade die Kontrolle von Zukunftstechnologien das geistige Eigentum der Wirtschaftsbeteiligten schützt, ist daher verständlich. Regulatorische Antworten in der US-Exportkontrolle waren zu erwarten. Doch mit der Reform der US-amerikanischen Exportkontrolle im 2018 Export Control Reform Act wurden widerstreitende normative Grundlagen in die Ausfuhrkontrolle der USA eingeschrieben: zum einen der Schutz der nationalen Sicherheit und zum anderen die Stärkung des US-amerikanischen Industriestandortes. Das Nebeneinander schafft jedoch Zielkonflikte, die am Ende das transatlantische Wirtschaftsverhältnis ebenso empfindlich stören können, wie die gemeinsamen Bemühungen in den internationalen Nicht-Verbreitungsregimen. Dieser Zielkonflikt sollte aufgehoben, Industriepolitik und Ausfuhrkontrollinteressen voneinander getrennt verfolgt werden. Sollten die USA nach wie vor sicherheits- und wirtschaftspolitische Ziele mit dem Mittel der Ausfuhrkontrolle verfolgen, werden sich für die deutsche Industrie weiterhin konkret zwei Probleme stellen: Zum einen beschädigen sowohl Chinas Verhalten als auch die US-Maßnahmen die Legitimität der internationalen Exportkontrollregime. Die Regime zur Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungswaffen stellen ein hohes Gut dar. Die unilaterale Verwendung der Exportkontrolle zu wirtschaftspolitischen Zwecken birgt die Gefahr, das Ziel der Nicht-Verbreitung zu entwerten. Zweitens stellt sich handelspolitisch zunehmend die Frage nach dem Entstehen exklusiver Wirtschaftshemisphären. Der Wunsch, sich vor Technologiepiraterie zu schützen, birgt die plausible Gefahr, die Innovationskraft von Unternehmen zu hemmen und damit deren Wettbewerbsfähigkeit zu schädigen. In diesem Szenario wird es immer wahrscheinlicher, dass zukünftig Wertschöpfungsketten nicht mehr dem Preissignal folgend gestaltet werden können. Wirtschaftsbeteiligte werden Wertschöpfung und Lieferketten zunehmend entlang der Sollbruchstellen der internationalen Politik gestalten müssen. Separate Wirtschaftsräume werden damit wahrscheinlicher. Unterschiedliche Produktlinien für unterschiedliche Absatzmärkte würden die Folge sein. Dies gilt zunächst für den
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Verschärfung der US-Exportkontrolle
Bereich der Hochtechnologie, bedeutet jedoch für eine Industrie 4.0, wie sie in Deutschland langsam Gestalt annimmt, eine außerordentlich bedenkliche Entwicklung. Für die deutsche Industrie ist es bedingt ermutigend, dass bei der Kontrolle von Basistechnologien der Fokus auf Güter gelegt wird, bei denen ausfuhrkontrollrechtlich bereits eine Sorgfaltspflicht besteht. Mehr noch gibt der eingeschlagene Weg der US-Regierung, die Kontrolle von Zukunftstechnologien über das zuständige multilaterale Kontrollregime (Wassenaar) zu betreiben, Anlass zu Hoffnung. Nach derzeitiger Sachlage stehen die Zeichen in der US-Exportkontrolle jedoch weiterhin auf Eskalation. Gerade im Hinblick auf die Reformpläne bei Additional Permissive Reexports sollte weiterhin stark darauf geachtet werden, globale Lieferketten nicht durch zusätzliche Kontrollzwänge stark zu belasten. Die US-Regierung sollte sich entscheiden, Ausfuhrkontrollen vor dem Hintergrund ihrer multilateralen Sicherheitsinteressen zu betreiben. Sollten die Vereinigten Staaten auf unilaterale Eskalation und die Verfolgung protektionistischer Interessen bestehen, könnte bereits kurzfristig ein „halbsanktionierter“ Raum entstehen. In diesem würden die USA nicht nur mit diplomatischen Mitteln und wirtschaftlichen Anreizen versuchen, ihre Einflusssphäre zu stärken, sondern verstärkt ihre Markmacht in einzelnen Sektoren als Druckmittel einsetzen, um politische Ziele und wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Die deutsche Industrie warnt vor der de-globalisierenden Wirkung dieser Maßnahmen. Die transatlantischen Partner sollten gemeinsame Interessen in der Sicherheitspolitik auch gemeinsam verfolgen. Zwar hat die verfasste deutsche Industrie in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass sie die protektionistischen Tendenzen der US-Exportkontrolle seit ECRA ablehnt. Die deutsche Industrie erkennt jedoch auch an, dass sich die Staaten des liberal-demokratischen Westens an die veränderte sicherheitspolitische Sachlage durch den Systemwettbewerb mit der Volksrepublik China anpassen müssen. Die transatlantischen Partner sollten sich bei Güterkontrollen auf eine enge Zusammenarbeit in der Zukunft einigen. Eine koordinierte Ausfuhrkontrollpraxis könnte zudem wichtige Impulse in der multilateralen Ausfuhrkontrolle setzen.
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Dokumentennummer: D 1299
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