POSITION | DIGITALISIERUNG | RECHT
Digital Services Act Vorschlag für eine Verordnung über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG)
4. Juni 2021 Executive Summary Am 15. Dezember 2020 hat die Europäische Kommission ihren Entwurf zum Digital Services Act (DSA) vorgestellt. Der Verordnungsentwurf (VO-E) stellt eine zentrale Grundlage für die Weiterentwicklung des EU-Rechtsrahmens für digitale Dienste dar und soll die 20 Jahre alten Regeln aus der E-Commerce-Richtlinie an die heutigen Gegebenheiten anpassen. In den vergangenen beiden Jahrzehnten ist der Online-Handel mit Waren exponentiell gestiegen. Wo noch kurz nach der Jahrtausendwende in Deutschland der E-Commerce-Umsatz brutto bei circa drei Milliarden Euro lag, sind es 2020 bereits 83,3 Milliarden Euro. 1 Die wirtschaftliche Bedeutung von digitalen Dienstleistungen insgesamt sowie deren gesellschaftliche Bedeutung haben in diesem Zeitraum erheblich zugenommen. Diese Entwicklungen machen eine Anpassung des Gesetzes an die sich veränderte digitale Welt nötig. Der BDI begrüßt daher ausdrücklich das Ziel, die Regulierung digitaler Dienste an diese Veränderungen anzupassen. Dabei hält die EU-Kommission zu Recht an den Grundprinzipien der E-Commerce-Richtlinie – den Haftungsregeln, dem Verbot einer allgemeinen Überwachungspflicht und dem Herkunftslandprinzip – fest. Diese Prinzipien haben das Wachstum der digitalen Wirtschaft in Europa ermöglicht und wesentlich zum Erfolg des Internets beigetragen. Drei Kernforderungen 1. An Grundprinzipien der E-Commerce-Richtlinie festhalten. 2. Stärkere Präzisierung, welche Haftungsregeln für welchen Dienst gelten. 3. Komplexität verschiedener Plattformdienste wie Clouddienste und Industrieplattformen berücksichtigen.
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Statista, Online-Handel-Umsatz mit Waren in Deutschland 2020: Online-Handel - Umsatz mit Waren in Deutschland 2020 | Statista
Stefanie Stündel | Digitalisierung und Innovation | T: +32 2792-1015 | s.stuendel@bdi.eu | www.bdi.eu Kathrin Hintner | Recht und Wettbewerb | T: +32 2792-1008 | k.hintner@bdi.eu | www.bdi.eu
Digital Services Act
Inhaltsverzeichnis Executive Summary ............................................................................................................................ 1 Definitionen .......................................................................................................................................... 3 Vermittlungsdienste ............................................................................................................................... 3 Definition von illegalen Inhalten............................................................................................................. 3 Klare Unterscheidung für Cloud-Dienste ............................................................................................... 3 Haftungsregelungen ........................................................................................................................... 4 Sorgfaltspflichten ................................................................................................................................ 4 Außergerichtliche Streitbeilegung ......................................................................................................... 5 Notice and Action- Verfahren ................................................................................................................ 5 Vertrauenswürdige Hinweisgeber sog. „Trusted Flaggers“ ................................................................... 6 Know-Your-Business-Customer-Prinzip ................................................................................................ 7 Durchsetzung ...................................................................................................................................... 7 Geldbußen ............................................................................................................................................ 8 Impressum ........................................................................................................................................... 9
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Definitionen Vermittlungsdienste In Artikel 2 lit f VO-E wird der Begriff des „Vermittlungsdienstes“ definiert. Darunter sollen nach dem Willen des Gesetzgebers sowohl „reine Durchleitungen“, „Caching“- als auch „Hosting“-Leistungen fallen. In Artikel 2 lit h VO-E wird der Begriff der „Online-Plattform“ als Teil des Hosting-Dienstes zur öffentlichen Verbreitung definiert. Gemäß Wortlaut des Kommissionsvorschlags ist die Abgrenzung der einzelnen Dienste nicht in jedem Fall einfach nachzuvollziehen. Daher wäre eine Klarstellung wünschenswert, dass die im VO-E vorgeschlagenen Pflichten nicht für reine konzerninterne Vermittlungsdienste oder für Nebenfunktionen anderer Dienstleistungen gelten. Zwar geht aus Artikel 2 lit h VO-E hervor, dass Online-Plattformen das Merkmal der öffentlichen Verbreitung erfüllen müssen. Eine stärkere Präzisierung wäre aber auch für andere Vermittlungsdienste unter Artikel 2 lit f VO-E zu befürworten. Beispielsweise ist es unklar, ob und inwieweit Kundenportale nach dem Willen des Gesetzgebers unter den Anwendungsbereich des VO-E fallen sollen. Ferner besteht Unklarheit hinsichtlich des Zusammenspiels der beiden Begriffe für Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft“ und „Vermittlungsdiensten“. Im Sinne der Richtlinie (EU) 2015/1535 sind Dienste der Informationsgesellschaft gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und im individuellen Auftrag eines Nutzers erbrachte Dienstleistungen. Gleichzeitig sollen gemäß Erwägungsgrund 5 VO-E die vorgeschlagenen Regelungen auch für Vermittlungsdienste gelten, die nicht nur oder ausschließlich das Merkmal der Entgeltlichkeit aufweisen, also auch für „Hosting“-, „Caching“-Leistungen oder der „reinen Durchleitung“ im Sinne des Artikel 2 lit f VO-E. Trotz ihrer unterschiedlichen Definition werden beide Dienstleistungsbegriffe im VO-E jedoch in einer Art und Weise verwendet, die für Unklarheiten sorgen. Im zweiten Kapitel des VO-E, welches den Haftungsrahmen betrifft, wird in Artikel 3, 4 und 5 VO-E auf Dienste der Informationsgesellschaft abgestellt. Es ist nicht eindeutig, ob diese Haftungsregelungen nur für die Anbieter der im jeweiligen Artikel nach aufgeführten Vermittlungsdienste gelten sollen, sofern diese auch gleichzeitig Dienste der Informationsgesellschaft sind oder ob sie auch für die Anbieter der im jeweiligen Artikel aufgeführten Vermittlungsdienstleistungen gelten sollen, auch wenn diese nicht zugleich auch Dienste der Informationsgesellschaft sind. Um Rechtsklarheit zu gewährleisten, sollten die beiden Begrifflichkeiten unmissverständlicher verwendet werden. Definition von illegalen Inhalten Bei der Bestimmung von illegalen Inhalten wird in Artikel 2 lit g VO-E pauschal auf das Unionsrecht und das jeweilige nationale Recht verwiesen. Damit definiert die EU-Kommission nicht einheitlich für die gesamte EU was illegal ist. Dies ist eine praktikable Lösung. Nichtsdestotrotz könnte diese Lösung zu mehr Fragmentierung auf dem EU-Binnenmarkt führen, wenn eine Handlung in einem EU-Staat illegal ist, in einem anderen aber nicht. Ferner könnte sie auch dazu führen, dass einzelne Dienste verstärkter Geoblocking einsetzen. Eine stärkere Konkretisierung dessen, was als illegal zu verstehen ist, wäre im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen und jedenfalls speziell vor dem Hintergrund geboten, dass der DSA letztlich ja gerade im grenzüberschreitenden Kontext gelten soll. Klare Unterscheidung für Cloud-Dienste Cloud-Dienste sollten nicht solchen Sorgfaltspflichten für Online-Plattformen und Hosting-Diensten unterworfen werden, die sie nicht erfüllen können, wie beispielsweise die Notice-and-Action -verpflichtungen in Artikel 14 VO-E. Der Hauptzweck von Cloud-Diensten besteht zumeist nicht in der Speicherung von Informationen für jeden erdenklichen Nutzungszweck, schon gar nicht in der Verbreitung von Informationen an die Öffentlichkeit. Der Zweck der regelmäßig mittels Verschlüsselung und
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Zugangskontrolle gegen den Zugriff von Nichtberechtigten geschützten Cloud-Dienste besteht vielmehr darin, dass Nutzerinnen und Nutzer persönliche Inhalte speichern und in bestimmten, vom Auftraggeber des Dienstleisters definierten Gruppen bearbeiten können. Bei Business-to-Business-CloudDiensten haben die Kundinnen bzw. Kunden der Cloud-Service-Provider – und nicht die Cloud-Service-Provider selbst – Besitzbefugnis und die Kontrolle über die Inhalte, die sie in der Cloud speichern. Die Moderation von Inhalten in der Cloud durch den Dienstleister wird deshalb de facto und de jure regelmäßig unmöglich sein, da Cloud-Service-Provider aufgrund technischer, datenschutzrechtlicher oder vertraglicher Gründe einzelne Inhalte weder (ein-)sehen noch entfernen können. Der DSA sollte diese Komplexität berücksichtigen und Cloud-Dienste nicht per se den Sorgfaltspflichten unterwerfen, die für Hosting-Plattformen für nutzergenerierte Inhalte oder für die verschiedenen Formen von Social Media Diensten gelten.
Haftungsregelungen Der BDI begrüßt, dass die EU-Kommission in ihrem Verordnungsvorschlag auf den allgemeinen Grundprinzipen der E-Commerce-Richtline – dies betrifft insbesondere die bestehenden Haftungsprivilegien sowie das Verbot allgemeiner Überwachungspflichten – aufbaut. Diese Grundsätze haben wesentlich zur erfolgreichen Entwicklung der Internetwirtschaft beigetragen. Mit Blick auf bestimmte Phänomene und Anbieter bleibt im weiteren Verlauf des Verfahrens allerdings noch Klärungsbedarf. Wir halten Artikel 5 Absatz 3 VO-E, der in Bezug auf das Verbraucherschutzrecht eine Ausnahme vom Haftungsprivileg vorsieht, grundsätzlich für angebracht. Dennoch besteht weiterer Klärungsbedarf, hier sollte zum einen rechtssicher beschrieben werden, was „unter Aufsicht oder Kontrolle“ in der Praxis bedeutet, und zum anderen klargestellt werden, dass für Plattform-Betreiber, die Kunden auf eine fremde Website weiterleiten, um dort den Vertrag abzuschließen, weiterhin das Haftungsprivileg gilt. Richtigerweise wird in Artikel 6 VO-E normiert, dass freiwillige Aktivitäten von Anbietern von Vermittlungsdiensten zur Beseitigung illegaler Inhalte nicht zu einem Verlust des Haftungsprivilegs führen sollen. Grundsätzlich sollten positive Anreize gesetzt und proaktive Maßnahmen der Plattformbetreiber gefördert werden. Gemäß Wortlaut des Artikel 6 VO-E bleibt der gebotene Schutzumfang allerdings unklar. Daher sollte klar definiert werden, was unter proaktiven freiwilligen Maßnahmen verstanden wird. Schließlich sollte auch präzisiert werden, dass solche freiwilligen Tätigkeiten und Maßnahmen mit automatisierten oder nichtautomatisierten Mitteln durchgeführt werden können.
Sorgfaltspflichten Im dritten Abschnitt des VO-E werden zusätzliche Bestimmungen für Online-Plattformen festgelegt. Der BDI begrüßt, dass hiervon Kleinst- und Kleinunternehmen nach Artikel 16 VO-E ausgenommen sind, also solche Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern und einem maximalen Jahresumsatz von 10 Millionen Euro. Denn diese könnten die teilweisen sehr detaillierten Vorgaben, wie beispielsweise die Einrichtung eines internen Beschwerdemanagementsystems und dessen Vorgaben, nicht bewerkstelligen. Der DSA verfolgt einen horizontalen Regulierungsansatz, der alle Dienste der Informationsgesellschaft abdecken soll. Grundsätzlich begrüßt der BDI diesen Ansatz. Allerdings sollte bei der Ausgestaltung der Sorgfaltspflichten stärker auch auf die unterschiedlichen Formen von Plattformen eingegangen
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werden. Es gibt verschiedenste Arten von Hosting-Diensteanbietern und Plattformen, auf die die detaillierten Vorgaben nicht immer passen könnten. Hier wäre mehr Flexibilität für Plattformbetreiber in der Ausgestaltung der Vorgaben wünschenswert. Gerade auch mit Blick auf die zum Teil sehr hohen Geldbußen bei Nichteinhaltung der Vorgaben, wäre es daher sinnvoll, den Detaillierungsgrad innerhalb der Verpflichtungen zu reduzieren. Insbesondere sollten die Unterschiede von Plattformen und Inhalten bei der Durchsetzung der Sorgfaltspflichten berücksichtigt werden, bevor Geldbußen verhängt werden. Außergerichtliche Streitbeilegung Interne Beschwerdeverfahren und die außergerichtliche Streitbeilegung sind einem Gerichtsprozess generell vorzuziehen und im Interesse beider Seiten mit Blick auf Kosten und Zeit regelmäßig ein effektives Mittel. Jedoch muss der Mehraufwand für den betroffenen Dienst ausgewogen sein. Die Anforderungen der in Artikel 18 VO-E vorgeschlagenen außergerichtlichen Streitbeilegung sind sehr umfangreich und sollte im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüft, auf Entscheidungen in Bezug auf illegale Inhalte beschränkt und mit der Platform-to-Business-Verordnung, der Verbraucherschlichtung sowie der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste und das Urheberrecht in Einklang gebracht werden. In Artikel 18 Absatz 3 VO-E wird zwar gesagt, dass die Online-Plattform alle Kosten des Verfahrens übernehmen muss, wenn der Nutzer obsiegt. Gleichzeitig wird aber nicht in gleicher Form formuliert, wer die Kosten übernimmt, wenn der Nutzer unterliegt. Es sollte klar formuliert werden, welche Kosten der Nutzer konkret tragen muss, wenn er die Streitbeilegung nicht gewinnt. Um Missbrauch vorzubeugen, sollte der Nutzer einen im Einzelfall verhältnismäßigen Teil der Kosten des Verfahrens tragen müssen, wenn der Verfahrensgegenstand unbegründet war. Das in Artikel 18 VO-E vorgeschlagene System schafft zudem keinen fairen Ausgleich zwischen Online-Plattformen und Dienstleistungsempfängern. Erstere sind an die Entscheidung der Streitbeilegungsstelle endgültig gebunden, während letztere immer noch gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Entscheidung suchen können. Die Möglichkeit, nach der Streitbeilegung noch eine Entscheidung auf dem ordentlichen Gerichtsweg ersuchen zu können, sollte gleichermaßen auch für Online-Plattformen gegeben sein. Weiterhin sollte klargestellt werden, dass bei Entscheidungen, die aufgrund einer behördlichen oder gerichtlichen Anordnung getroffen wurden, die außergerichtliche Streitbeilegung unter Beteiligung der Online-Plattform nicht mehr verlangt werden kann. Schließlich sollte klargestellt werden, dass immer zunächst das interne Beschwerdemanagement der Plattform erfolglos versucht worden sein muss, bevor eine Entscheidung durch die außergerichtliche Streitbeilegung ersucht wird, um Kosten nicht unnötig in die Höhe zu treiben. Notice and Action- Verfahren In Artikel 14 VO-E werden EU-weite Standards für sogenannte „Notice and Action“ Mechanismen eingeführt. Diese Harmonisierung ist prinzipiell ein guter Schritt. Gemäß Artikel 14 Absatz 3 VO-E wird allerdings keine Unterscheidung zwischen Meldungseingang eines (angeblich) illegalen Inhalts und tatsächlicher Kenntnisnahme („actual knowledge“) im Sinne des Artikel 5 VO-E durch den Vermittlungsdienst gemacht. Vielmehr lässt die Formulierung darauf schließen, dass durch den Meldungseingang auch gleichzeitig von einer tatsächlichen Kenntnisnahme durch die Plattform ausgegangen wird. Im Sinne der Rechtsklarheit ist es daher wichtig, die Formulierung in Artikel 14 Absatz 3 VO-E zu schärfen, um so sicherzustellen, dass eine Meldung, die die Anforderungen nach Artikel 14 Absatz 2 VO-E erfüllt, nicht automatisch zur tatsächlichen Kenntnisnahme im Sinne
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des Artikel 5 VO-E und der damit verbunden Haftungsregelung führt. Generell sollten die Anforderungen an „Notice and Action“ so spezifisch wie möglich sein, damit Plattformen, die betroffenen Produkte zweifelsfrei identifizieren und entsprechend handeln können. Darüber hinaus sehen wir konkrete Löschfristen kritisch, da sie kleine und mittelgroße Plattformen schnell überfordern können und aufgrund des stark divergierenden Risikos nicht in jedem Fall angemessen sind. Wir fordern daher einen Ermessenspielraum für Plattformen und Behörden, bei der Frage, wie schnell ein illegaler Inhalt entfernt werden muss und würden empfehlen bei der Formulierung „zeitnah“ zu bleiben. Sollte der Gesetzgeber Löschfristen in Erwägung ziehen, sollten diese in sektorspezifischer Regulierung verankert werden (wie beispielsweise in der Richtlinie über terroristische Inhalte online bereits geplant) und nur auf Hinweise von Behörden hin anwendbar sein. Es ist entscheidend, hier einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der die Interessen aller Parteien in diesem Dreiparteien-Verhältnis berücksichtigt. Auf der einen Seite ist es wichtig, bei eindeutig illegalen Inhalten, die beispielsweise die Produktsicherheit betreffen, schnell und effektiv handeln zu dürfen, um das unsichere und vielleicht gar gesundheitsgefährdende Produkt schnellst möglich vom Markt zu nehmen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch unklare Fälle, bei denen zwar eine begründete Vermutung besteht, dass ein Inhalt oder Produkt illegal ist, dies aber nicht mit Sicherheit festzustellen ist und die Plattform erst noch Nachforschungen anstellen muss. In solchen unklaren Fällen sollte die Plattform befugt sein, den beanstandeten Inhalt auch bei begründetem Verdacht einstweilig bis zur Klärung seiner Legalität unzugänglich machen zu können. Der Wortlaut des Artikel 14 Absatz 3 VO-E sollte dementsprechend präzisiert werden, dass Plattformen in einem solch unklaren Fall dem Haftungsschutz (Artikel 5 VO-E) unterliegen, wenn die Illegalität bestimmter Inhalte nicht so leicht zu beurteilen ist. Zum Schutz der Verbraucher und im Interesse der Markeninhaber ist ein schnelles Handeln durch die Plattform hier wichtig. Was die Begründungspflichten für die Sperrentscheidungen der Plattformen gemäß Artikel 15 VO-E anbelangt, halten wir die dafür vorgesehenen Anforderungen unverhältnismäßig belastend. Während ein Großteil der Pflichten für Online-Marktplätze schon durch die Platform-to-Business Verordnung (P2B-Verordnung) geregelt ist, scheint der Artikel stark auf Social Media-Unternehmen zugeschnitten zu sein. Dadurch hätte er aber zur Folge, dass nicht nur bei jedem gesperrten Produkt der betreffende Anbieter umfassend informiert werden muss (was die P2B-Verodnung bereits vorsieht), sondern auch bei jeder gelöschten Nutzerbewertung der Nutzer informiert werden müsste. Dies stellt für Unternehmen jeglicher Größe eine extreme Belastung dar – insbesondere da alle diese Vorgänge (die täglich millionenfach vorkommen) auch noch an eine zentrale Datenbank der EU-Kommission gemeldet werden sollen – zusätzlich zum jährlichen Transparenzbericht (Artikel 13 VO-E), was die zwingende Frage nach dem konkreten Mehrwert stellt. Wir fordern deshalb, es für Online-Marktplätze beim Regulierungsniveau der P2B-Verordnung zu belassen und Artikel 15 VO-E nur auf Social Media-Plattformen (u. ä.) anzuwenden. Vertrauenswürdige Hinweisgeber sog. „Trusted Flaggers“ Nach Artikel 19 VO-E sollen Hinweise auf illegale Inhalte, die von vertrauenswürdigen Hinweisgebern gegeben werden, eine bevorzugte und schnellere Behandlung erfahren als solche, die von gewöhnlichen Nutzern herrühren. Aufgrund dieser besonderen Stellung muss sichergestellt werden, dass es sich bei den sog. „trusted Flaggers“ tatsächlich um Hinweisgeber handelt, deren Hinweise für die betreffende Plattform besonders nützlich sind. Hierfür gibt es bereits von einigen Plattformen entsprechend erprobte und bewährte Praktiken und Erfahrungen. Die Entscheidung über die Vertrauenswürdigkeit einer Stelle allein dem Koordinator für digitale Dienste des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller niedergelassen ist, zu überlassen, ohne dabei auch die Plattform mit einzubeziehen, erscheint
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daher fraglich. Es kann ein System der „Trusted Flaggers“ geschaffen werden, welches praxistauglich und für das gleichzeitig sichergestellt ist, dass es Diskriminierung und Missbrauch einschränkt. So sollte auch die Verpflichtung, Meldungen von vertrauenswürdigen Hinweisgebern bevorzugt zu behandeln, nicht absolut sein – es könnte Situationen geben, in denen die Plattform anderen, dringenden Meldungen Vorrang geben muss. Die bestehenden freiwilligen Kooperationsmechanismen beispielsweise zwischen Plattformen und Rechteinhabern funktionieren in vielen Fällen gut und sollten durch das neue System gemäß VO-E nicht beeinträchtigt werden. Plattformen sollten weiterhin die Möglichkeit haben, einzelne Unternehmen im Rahmen ihrer Kooperationsmechanismen als Vertrauenspersonen zu benennen, um etwa Verletzungen des Geistigen Eigentums zu beseitigen. Know-Your-Business-Customer-Prinzip Gemäß Artikel 22 VO-E müssen Betreiber von Online-Plattformen (ausgenommen kleine und sehr kleine Unternehmen sowie B2B-Plattformen) von Anbietern, die Waren oder Dienstleistungen zum Verkauf anbieten möchten, bestimmte Informationen zur Identifikation abfragen. Bei Anbietern aus EUDrittstaaten müssen auch die Informationen der sog. „verantwortlichen Person“ nach der neuen EUMarktüberwachungsverordnung 2019/1020/EU abgefragt werden, was wir als weiteres Element zur Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen ausdrücklich begrüßen. Klärungsbedarf besteht aber hinsichtlich einzelner Punkte. Der Mehrwert der Selbstbescheinigung (Artikel 22 Absatz 1 lit. f VO-E) ist für den BDI nicht ersichtlich, denn unabhängig von jedweder Zertifizierung ist ein Anbieter ohnehin rechtlich verpflichtet nur Produkte anzubieten, die im Einklang mit dem EU-Recht stehen. Daher sollte diese Anforderung gestrichen werden. Mit Blick auf die Anforderung in Artikel 22 Absatz 2 VO-E, um die Zuverlässigkeit der von den Händlern bereitgestellten Informationen zu bewerten, sollte definiert werden, was unter „angemessenen Anstrengungen“ zu verstehen ist. Zudem sollte Kohärenz mit den Anforderungen in der Omnibus-Verbraucherrichtlinie sichergestellt werden. Bei Änderungen von Informationen, sollte es die Pflicht der Händler sein, diese zu aktualisieren. Online-Plattformen sollte es freigestellt bleiben, Produkte zu entfernen oder Verkäufer zu sperren, sobald sich herausstellt, dass die vom Händler gemachten Angaben falsch sind. Dadurch kann sichergestellt werden, dass zum einen die Einhaltung der Vorschriften durch die Verkäufer gewährleistet wird und zum anderen garantiert werden, dass keine ungenauen oder unvollständigen Informationen online bereitgestellt werden. Die Identität des Händlers muss sowohl für die Strafverfolgungsbehörden als auch für die betroffenen Rechteinhaber zwingend erkennbar sein. Nur so ist gewährleistet, dass der Rechteinhaber selbst schnell, zielgerichtet und effektiv Probleme adressieren und eine Lösung herbeiführen kann. Folglich sollte Artikel 22 Absatz 5 VO-E entsprechend erweitert werden.
Durchsetzung Die Koordinatoren für digitale Dienste und die Kommission sollten mit angemessenen Befugnissen ausgestattet werden, um diese Verordnung effektiv durchsetzen zu können. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Befugnisse der EU-Kommission und der Koordinierungsstelle für digitale Dienste klar abgrenzbar und damit die Zuständigkeiten eindeutig sind. Gerade bei der Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie spielt die grenzüberschreitende Kooperation eine wichtige Rolle. Diese Kooperation sollte gefördert werden. Viele Marktüberwachungsbehörden und andere behördliche Stellen in den Mitgliedstaaten, die mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit von Online- und Offline-Märkten befasst
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sind, sind aber sowohl finanziell als auch mit Blick auf die technische und personelle Ausstattung nicht gut genug aufgestellt, um eine effektive Anwendung und Durchsetzung der geltenden Bestimmungen gewährleisten zu können. Die möglichen Auswirkungen der Ermittlungsbefugnisse der Koordinatoren nach Artikel 41 VO-E auf gewerbebetreibende Nutzer der Plattform sind unklar. Denn die Untersuchungsbefugnis der Koordinatoren für digitale Dienste erstreckt sich nach Artikel 41 Absatz 1 VO-E auch auf Dritte, die zum Zwecke ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handeln und Kenntnis von Informationen über eine mutmaßliche Zuwiderhandlung gegen diese Verordnung haben dürften. Es ist unklar, was genau von diesen gewerblichen Nutzern verlangt werden kann. Da viele Dritte in diesem Zusammenhang KMU sein werden, sollten alle Ermittlungs- und vor allem Durchsetzungsmaßnahmen wegen falscher oder nicht fristgerechter Antworten verhältnismäßig sein und die Umstände im Einzelfall berücksichtigen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf drohende Bußgelder.
Geldbußen Gemäß VO-E sollen die Mitgliedstaaten selbst den Prozess und die Struktur der Bußgeldverhängung festlegen (Artikel 42 VO-E). Vorgegeben wird allein eine Obergrenze bei sechs Prozent des Jahresumsatzes. Der BDI hält diese Geldbußen für unverhältnismäßig und plädiert dafür, sie an das Niveau aus der Omnibus-Richtlinie im Verbraucherrecht anzupassen und damit auf vier Prozent des Jahresumsatzes zu senken. Zudem dürfen die prozentualen Geldbußen sich nur auf den mit der Plattformtätigkeit generierten Umsatz eines Unternehmens beziehen. Für die Bereitstellung „unrichtiger, unvollständiger oder irreführender Informationen“ oder für das Versäumnis, beispielsweise eine Inspektion vor Ort durchzuführen, sollen Bußen bis zu einem Prozent des Jahreseinkommens fällig werden. Diese Geldbußen können nicht nur für Plattformen, sondern auch für „andere Personen“, also Dritte erlassen werden, die im Rahmen einer Verletzung der Vorschriften Informationen bereitstellen müssen (Artikel 52 Absatz 2 VO-E). Aufgrund der großen Belastung, die eine umsatzbasierte Geldbuße für KMU darstellen kann, fordern wir diese Maximalstrafe nur nach mehrmaliger Möglichkeit der Nachbesserung und unter strengster Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzuwenden.
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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 EU-Transparenzregisternummer: 1771817758-48 Redaktion Kathrin Hintner Senior Manager Recht, Wettbewerb und Verbraucherschutz Telefon: +3227921008 k.hintner@bdi.eu Stefanie Stündel Senior Manager Digitalisierung und Innovation Telefon: +3227921015 s.stuendel@bdi.eu
BDI Dokumentennummer: D 1378
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