Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte

Page 1

POSITION | DIGITALISIERUNG | #BTW21

Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte Digitale Aufstellung der Bundesexekutive in der 20. Legislaturperiode: Koordination, Tempo und Kompetenz verbessern

22. Juni 2021 Die digitale Transformation Deutschlands wurde in den letzten Jahren politisch nicht entschlossen genug vorangetrieben. Dies wird im eklatanten Digitalisierungsdefizit von Verwaltung und Bildung ebenso deutlich wie in der unzureichenden Förderung digitaler Schlüsseltechnologien.23. Auch verschiedene Oktober 2017neu geschaffene Institutionen haben die Digitalisierung der Verwaltung, der Bildung sowie weiterer Bereiche nicht ausreichend vorangetrieben. Hoffnungen auf eine systemimmanente Bereitschaft der Ressorts, sich bei zentralen Fragen der Digitalisierung Deutschlands im Schulterschluss voran zu bewegen, haben sich nicht erfüllt. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 wird daher die Gründung eines „Digitalministeriums“ diskutiert. Die reine Existenz eines neuen Ressorts wird den Digitalisierungsgrad Deutschlands jedoch nicht voranbringen. Vielmehr gilt: Digitalisierung benötigt eine zentrale politische Steuerung und damit verbunden ein neues Ressort, das im Bereich Verwaltungsmodernisierung, Digitalkompetenz-Aufbau und digitale Infrastruktur aus einer Hand koordinierend steuert. Ein dafür einzusetzendes neues Ressort darf aber weder die bestehenden digitalen Ressortverantwortlichkeiten in sich vereinen, noch darf es „Digitalministerium“ heißen. Denn verantwortlich für die Umsetzung einzelner Digitalisierungsvorhaben müssen zwingend weiterhin die einzelnen bestehenden Ministerien bleiben. Was es leisten muss, ist die bundesweite Koordinierung der digitalen Transformation gepaart mit einer Verantwortung für ausgewählte Digitalthemen. Basis dafür müssen konkrete Befugnisse einschließlich eines ausgewiesenen Vetorechts bei allen bedeutenden Digitalisierungsvorhaben der Bundesregierung, ein ausreichendes Budget, ein klarer Zielhorizont sowie eine digitalaffine Hausleitung und Belegschaft sein. Politische Handlungsempfehlungen Digitalisierung muss als Kernelement des nächsten Koalitionsvertrags verstanden werden und muss daher frühzeitig in den Koalitionsverhandlungen adressiert werden. Digitalisierung ist bereits heute gelebte Realität in Wirtschaft und Gesellschaft und muss mit Hochdruck Einzug in staatliches Handeln finden. Vor diesem Hintergrund fordert die deutsche Industrie: ▪

Ministerium für Verwaltungsdigitalisierung, digitale Infrastruktur und Digitalrecht gründen: Der BDI setzt sich für die Schaffung eines neuen eigenständigen Ressorts ein, das eine zentral koordinierende Rolle bei der Entwicklung und Implementierung der Digitalstrategie der Bundesregierung einnimmt und so die Digitalisierung ressortübergreifend mit Tempo voranbringt. Neben der zentral koordinierenden Funktion im Bereich Digitalisierung, muss das neue Ressort konkret auch für die Verwaltungsmodernisierung, die digitale Infrastruktur, das TK- und Medienrecht sowie für den Digitalkompetenz-Aufbau in der Bundesverwaltung verantwortlich gemacht werden.

Dr. Thomas Koenen und Steven Heckler Digitalisierung und Innovation | T.Koenen@bdi.eu | S.Heckler@bdi.eu | www.bdi.eu


Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte

Digitalisierung als ressortübergreifende Aufgabe etablieren: Die Gründung eines Ministeriums für Verwaltungsdigitalisierung, digitale Infrastruktur und Digitalrecht bedeutet nicht, dass die digitale Transformation künftig Aufgabe eines einzelnen Ministeriums ist. Digitalisierung muss immanenter Bestandteil aller Ressorts bleiben. Die Primärverantwortung für die Umsetzung der einzelnen fachlichen Digitalvorhaben sowie weiterer Zukunftsfragen muss bei den bestehenden Ressorts verbleiben. Ressortübergreifende Verzahnung bei Digitalvorhaben, gemeinsame Nutzung digitaler Instrumente und staatliche Abstimmung bis in die Kommunalebenen hinein müssen hingegen selbstverständlich werden.

Digitalpolitische Zielmarken festlegen: Bereits im Koalitionsvertrag müssen ein Digitalisierungs-Zielbild und messbare Selbstverpflichtungen der einzelnen Ressorts für die Legislatur verankert werden. Zentrale Aufgabe des neuen Ministeriums muss die interministerielle Koordinierung sein. Alle Digitalisierungsvorhaben der einzelnen Ressorts von der Verwaltungsdigitalisierung bis zu Förderung von Schlüsseltechnologien wie KI und Blockchain müssen mit den dafür eingesetzten Steuergeldern zielgerichtet vorangetrieben werden. Zu diesem Zweck sollte zwischen dem neuen Digitalressort und den für Digitalisierung zuständigen Staatssekretären und Staatsministern der einzelnen Ressorts ein Koordinierungskreis etabliert werden. Nur durch eine neue Art der Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg und koordiniert durch das neue Ressort kann sichergestellt werden, dass alle digitalpolitischen Maßnahmen auf ein übergeordnetes Zielbild einzahlen.

Digitalvorbehalt einführen: Neben dem Finanzierungsvorbehalt des Bundesministeriums der Finanzen sollten alle größeren Digitalvorhaben der einzelnen Ressorts unter einem Digitalvorbehalt des neuen Ministeriums stehen. Dabei ist die Logik einfach: Wenn das Digitalvorhaben nicht mit den bundeseinheitlichen Planungen harmoniert, dann wird das entsprechende Budget via Vetorecht nicht freigegeben.

Kompetenzen mit Budget unterlegen: Das neue Ressort muss über ein ausreichendes eigenes Budget verfügen, um seine Aufgaben kraftvoll durchsetzen zu können. Eine Koordinierungsverantwortung ohne die dafür erforderlichen Mittel ist zum Scheitern verurteilt.

Digitalaffine Ressortleitung und Mitarbeiter einsetzen: Einen neuen politischen Weg zu gehen, bedarf der richtigen Haltung sowohl der Ressortleitung wie auch der Mitarbeiterschaft. Digitalkompetenzen, Verwaltungserfahrung und entschlossene Veränderungsbereitschaft sind die entscheidenden Eigenschaften, um schnell zu Umsetzungserfolgen zu kommen.

Bundes-CIO in neues Ressort integrieren: Die Funktion des Bundes-CIO sollte an zentraler Stelle im neuen Ressort angesiedelt werden.

Moderne Arbeitsstrukturen einführen: Die digitale Transformation wird man nicht mit althergebrachten Strukturen vorantreiben können. Insbesondere Unternehmen sind als Power-User der öffentlichen Verwaltung auf deutschlandweit einheitliche und gut durchdachte Lösungen angewiesen. Gleichzeitig sollte ein neues Ministerium einen hohen Grad interner Agilität im Verwaltungshandeln aufweisen. Es werden dann keine zufriedenstellenden Ergebnisse geschaffen, wenn lediglich ein neues Organigramm erstellt und Mitarbeitende in das neue Ministerium versetzt werden. Dies hätte sogar eine entschleunigende Wirkung, denn jede neue Organisation benötigt erst einmal Zeit, um sich und gute Abstimmungsprozesse zu finden. Nur wenn das neue Ressort auch mit modernen digital-kompatiblen Strukturen und Prozessen ausgestaltet wird, entsteht Aufbruchstimmung.

Digitalagentur als Implementierungsmechanismus des Ministeriums aufbauen: Um vollständig leistungsfähig zu sein, sollte ein neues zentral koordinierendes Bundesressort rasch durch eine leistungsstarke Durchführungsinstitution – eine „Digitalagentur“ – als eigene operative Instanz unterstützt werden.

Kooperation mit der Wirtschaft forcieren: Ein neues Ministerium sollte den Wissenstransfer mit der Wirtschaft anstreben. Zu diesem Zweck wären regelmäßige Entsendungen in die Wirtschaft und aus der Wirtschaft auf allen Hierarchieebenen ebenso angezeigt wie ein strukturierter Austausch mit Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. 2


Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte

Vertiefender Hintergrund zur BDI-Position Die beinahe grenzenlose Verfügbarkeit von Informationen gepaart mit hochleistungsfähigen Kommunikationskanälen hat unsere Gesellschaft in eine Wissens- und Informationsgesellschaft verwandelt. Bei diesem fundamentalen Wandel, der in Teilen gerade erst begonnen hat, sind unterschiedliche Geschwindigkeiten bei Wirtschaft, Wissenschaft und Staat zu beobachten. Die Wirtschaft und auch die Wissenschaft sind den Wandel bereits in großen Teilen mitgegangen und haben sich mit veränderungsbereiten internen Kulturen sowie mit offenen Kooperationsprozessen auch über die eigenen Institutionsgrenzen hinaus so aufgestellt, dass technologischer Wandel schon heute als konstante, als stets begleitende Tatsache abgebildet werden kann. Ohne Zweifel gibt es auch in diesen Bereichen noch viel zu tun, aber das Verständnis und die Handlungsbereitschaft sind bereits da. Anders verhält es sich bei staatlichen Strukturen, die zum großen Teil noch auf Abläufen beruhen, die ihren Ursprung noch vor der ersten industriellen Revolution haben. Weder sind die erforderlichen technischen Ausstattungen noch das Mindset, noch offene Kooperationskulturen erkennbar. Dieser Status wirkt alles andere als anziehend, vor allem auf junge Experten, was das Problem mit der Zeit immer weiter verschärft und externe Abhängigkeiten erhöht. Die Folge: Ein zunehmendes Auseinanderklaffen insbesondere zwischen Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung. Diese zunehmende Disparität führt nicht nur zu Frustrationsmomenten bei den Beamten und Angestellten des Öffentlichen Dienstes, sondern auch zu ernstzunehmenden Konvergenzproblemen, denn Staat und Wirtschaft sind nicht losgelöst voneinander. Vielmehr sind sie aufs engste miteinander verbunden und von der gegenseitigen Leistungsfähigkeit abhängig. Es bestehen im Kern drei Problembereiche:

1

Koordinierung: Digitalisierung führt zu enormen Erleichterungen und Beschleunigungen, sie ist aber auch mit einer Zunahme an Komplexität verbunden. Wenn nun diese zunehmend komplexen Sachfragen von allen beteiligten Ressorts und unter Einbindung möglichst breiter weiterer Kreise in Endlosschleifen diskutiert werden, dann findet zwar Austausch statt, dieser führt aber nicht zu zeitnahen pragmatischen und breiten Umsetzungen. Die bestehenden Koordinierungseinheiten, wie beispielsweise der IT-Planungsrat oder der Digitalrat, sind nicht mit der Koordinierungskompetenz ausgestattet, die für ein effizientes Vorgehen benötigt wird.

Geschwindigkeit/Kooperation: In Zeiten von Exponentialität ist Geschwindigkeit entscheidend. Verwaltungsstrukturen und technologische Entwicklungen sind weitestgehend entkoppelt und mit zunehmender Geschwindigkeit wächst das Problem weiter an. Dem Geschwindigkeitsproblem kann nicht mit althergebrachtem analogen Prozessverständnis begegnet werden. Vielmehr müssen Kooperation, Offenheit und die Chancen der Skalierbarkeit von Lösungen genutzt werden. Was in offener Kooperation erarbeitet wurde und sich in einer Behörde oder Kommune bewährt, das muss durch eine steuernde Einheit an die übrigen Stellen skalierend weitergegeben werden.

Kompetenzen: Ohne eigene Kompetenzen im Umgang mit der Digitalisierung ist der Staat nicht zukunftsfähig. Erste Ansätze zur Selbstertüchtigung finden sich beispielsweise in Form der DigitalService4Germany1 GmbH, die digitale Lösungen für und mit der Bundesverwaltung entwickelt. Es existiert allerdings keine übergreifende Kompetenzstrategie, die von einer zentralen Stelle vorangetrieben wird.

https://digitalservice4germany.com 3


Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte

Notwendigkeit einer zentralen Koordination Ein Großteil der heutigen digitalpolitischen Regulierung wird auf Ebene der Europäischen Union erstellt. Von Datenschutzvorgaben bis hin zur Cybersicherheit werden richtigerweise von der EU zentrale Vorgaben erarbeitet, die in die tägliche Arbeit des Bundes, der Länder und der Kommunen einfließen. Zugleich arbeiten die 16 Bundesländer parallel und in weiten Teilen unabgestimmt an der Umsetzung der Digitalisierung. Auf Bundesebene existiert bis heute keine Institution, die im Wechselspiel von EU-Regulierung, Bundesebene, Länderebene und Kommunalebene ordnend und effizient gestaltend steuert. Das Resultat sind enorme Reibungsverluste und Entschleunigung bis hin zum Stillstand. Die laufende Legislaturperiode hat schmerzhaft gezeigt, dass punktuell verstärkte Koordinierung durch das Kanzleramt allein nicht ausreicht. Die bestehende Koordinierung reicht deshalb nicht aus, weil es an personellen und finanziellen Ressourcen mangelt, der Koordinierung kein Vetorecht bei digitalpolitischen Entscheidungen zukommt und Zuständigkeiten nicht gebündelt sind. Die Konsequenz ist klar: Spätestens zur kommenden Legislaturperiode müssen Kompetenzen und Ressourcen neu geordnet, Handlungsfähigkeit wiederhergestellt und der Startschuss für eine agilere und offenere Verwaltung gegeben werden. Eine zentrale Koordination ist dringend notwendig.

Ausrichtung einer zentralen Koordination Eine zentrale Koordinierungseinheit kann und darf nicht für die Umsetzung der Digitalisierung in den verschiedenen Ressorts zuständig sein. Digitalisierungsvorhaben gehören in ihre jeweiligen Fachressorts und sollten von dort nicht künstlich abgetrennt werden. Alles andere würde dazu führen, dass die einzelnen Ressorts in einem digitalen Dämmerschlaf noch weiter erlahmen würden. Sie müssen vielmehr mit ihrer jeweiligen thematischen Expertise die Hoheit, aber auch die volle Verantwortung, für die sinnvolle Digitalisierung ihres jeweiligen Fachbereiches haben. Auch in Unternehmen käme niemand auf die Idee, Vertrieb, Marketing, Personal und Finanzen die Verantwortung für ihre jeweilige digitale Fortentwicklung zu nehmen. Insofern sind bereits die Begriffskonstruktionen eines „Digitalministeriums“ oder eines „Digitalisierungsministeriums“ ausgeschlossen, denn dies impliziert eine Bündelung aller Digitalisierungsbemühungen an einer Stelle, und gerade das sollte nicht passieren. Gleichwohl sehen wir die Notwendigkeit, dass die Digitalvorhaben der einzelnen Ressorts besser aufeinander abgestimmt werden und auf die Erreichung einer ganzheitlichen Digitalstrategie zielgerichtet einzahlen. Daher muss die Primäraufgabe des neuen Ressorts in der ressortübergreifenden Koordinierung der digitalen Transformation Deutschlands durch eine verbesserte Abstimmung zwischen den Einzelmaßnahmen der Ressorts liegen. Nur durch eine neue Art der Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg kann das Metathema Digitalisierung ganzheitlich und erfolgreich adressiert werden. Zugleich muss auch das neue Ressort eine eigenständige fachliche Zuständigkeit für einen eng umrissenen Themenkomplex erhalten. Struktur Eine zentrale Koordinierungsstelle kann grundsätzlich sinnvoll an zwei Stellen verankert werden. Zum einen im Bundeskanzleramt und zum anderen als eigenständiges und neues Ressort. Die Erfahrungen der laufenden Legislaturperiode haben gezeigt, dass das Bundeskanzleramt seiner Primäraufgabe entsprechend erfolgreich koordinierend tätig werden kann. Beweis ist unter anderem die Nationale Datenstrategie, die dort erstellt wurde. Allerdings entspricht es nicht dem Selbstverständnis des Bundeskanzleramtes als exekutiver technologischer „Treiber“ und proaktiver Umsetzungsakteur bis hinein in die Länderstrukturen tätig zu werden. Vielmehr versteht sich das Bundeskanzleramt als „Moderator“ in Fällen von Ressortunstimmigkeiten. Zudem müsste das Bundeskanzleramt personell und finanziell in bisher nicht dagewesener Weise aufgestockt werden.

4


Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte

Ein „Andocken“ an ein bestehendes Ministerium kommt nicht in Frage, denn dadurch würde das Kompetenzgerangel nicht überwunden. Bei inhaltlich kluger Aufstellung kann hingegen ein neu geschaffenes Ressort, das primär digital relevante Querschnittsaufgaben wahrnimmt, einen Ausweg aus dem digitalen Patt bieten. Der Titel eines solchen neuen Ressorts sollte sich nicht nach der bestmöglichen politischen Medialisierung richten, sondern nach seinen konkreten Aufgaben. Ausrichtung eines neuen Ressorts: Wofür sollte ein neu geschaffenes Ressort konkret verantwortlich sein? Die Antwort auf diese Frage muss sich stringent von den oben beschriebenen zentralen Problemfeldern ableiten: Es muss sich um transparente Koordinierung, Erhöhung von Geschwindigkeit/Kooperation und um den Aufbau von digitalen Kompetenzen kümmern. Koordinierung: In einem neu zu schaffendem Ressort sollte eine ganzheitliche Verantwortungszuordnung für Grundsatzthemen wie Architekturvorgaben, Standards, Prozesse und thematisches Schnittstellenmanagement verankert werden. Dazu zählen in jedem Fall auch Entscheidungskompetenz im Sinne operativer Zuständigkeit sowie wirksame Befugnisse. Konkret sind Digitalisierungsvorbehalte bzw. Vetorechte denkbar, die sich auf alle größeren Digitalvorhaben der einzelnen Ressorts beziehen. Dabei ist die Logik einfach: Wenn das Digitalvorhaben nicht mit den bundeseinheitlichen Planungen harmoniert, dann wird das entsprechende Budget nicht freigegeben. Die Verantwortung für zentrale behördliche Gateways sowie für Zugänge zu digitalen Verwaltungsdienstleistungen sollte durch das neue Ressort wahrgenommen werden. Gleiches gilt für die Rahmenbedingungen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz, Legal Tech und Blockchain in den unterschiedlichen behördlichen Kontexten. Im Sinne einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung sollten auch das Verwaltungs- und das Datenschutzrecht im neuen Ressort angesiedelt werden. Sinnvollerweise sollten dem neuen Ressort künftig auch das Informationstechnikzentrum Bund (ITZ Bund derzeit beim BMF), DigitalService4Germany (derzeit Bundeskanzleramt) und weitere Einheiten zugewiesen werden. Weiterhin wäre es denkbar, den großen Bereich Smart Cities koordinierend in die Verantwortung des neuen Ressorts zu geben. Dies würde insbesondere dann Sinn machen, wenn das neue Ressort auch explizit die Verantwortung für den dauerhaften Austausch mit Ländern und Kommunen in Sachen Digitalisierung erhielte. Ministerien des Bundes als oberste Bundesbehörden bedienen sich regelmäßig starker Durchführungsinstitutionen in Form von sogenannten Bundesoberbehörden. Eine solche wurde in Gestalt einer „Digitalagentur“ bereits in der Vergangenheit thematisiert, aber nie eingeführt. Ein neu geschaffenes Ressort ohne einen solchen starken Arm wäre aber nur begrenzt einsatzfähig. Daher müsste einem neuen zentral koordinierenden Bundesressort sehr schnell auch eine eigene operative Instanz zugeordnet werden. Dies kann in Form einer „Digitalagentur“ geschehen. Gute Erfahrungen wurden mit einer solchen Einteilung auf Länderebene bereits in Brandenburg gemacht und auch Bayern will dieser Idee mit guten Gründen folgen. Eine solche Agentur würde nicht nur agiler arbeiten und Aufgaben umsetzen können, sie wäre darüber hinaus auch ein Scharnier zwischen Bund, Ländern und Kommunen bei der breitflächig abgestimmten Digitalisierung Deutschlands. Man sollte in diesem Kontext nicht dem möglichen Gedanken folgen, eine Digitalagentur allein würde genügen. Diese müsste in jedem Fall einem einzelnen Ressort zugeordnet werden und erneut würden Abstimmungsprobleme zwischen den Bundesressorts effektive Lösungen verhindern. Nur wenn eine Digitalagentur einem neuen Ressort zugeordnet wird, dem als zentrale Aufgabe die Koordinierung der Digitalisierung der Verwaltung zukommt, können erneute Friktionen verhindert werden.

5


Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte

Geschwindigkeit und Kooperation: Mit einem neuen, klar ausgerichteten Ressort würde zum ersten Mal ein zentraler kompetenter Treiber Geschwindigkeit in die digitale Modernisierungsagenda bringen. Der derzeit beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) angesiedelte Bundes-CIO wäre als Koordinator über Ressortgrenzen hinweg eine starke Ergänzung des neuen Ressorts. Eine sinnvolle Anregung erscheint darüber hinaus, in allen Ressorts eine kleine ausgesuchte Gruppe von Multiplikatoren zu benennen, die sich regelmäßig unter dem Dach des neuen Ressorts austauschen und in ihren jeweiligen Häusern für die gemeinsam abgestimmten Vorgehensweisen werben und Verständnis fördern. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Multiplikatoren auf Länder-, Kommunal- und Kreisebene. Letztlich gilt es auch, über die verwaltungstechnische Linienstruktur hinaus horizontale Verbindungen für Synergien möglich zu machen. Digitalisierung ist der Schlüssel dafür. Digitale Kompetenzen: Das neu geschaffene Ressort sollte im Kern auch zur Aufgabe haben, die Bundesangestellten und Beamten durch attraktive Weiterbildungsangebote für Digitalisierungsthemen zu befähigen. Auch die Methodenkompetenz mit Blick auf agile Arbeitsformate sollte Teil einer künftigen bundesweiten Personalentwicklung sein. Digitale Bildung sollte als Kernaufgabe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) dort verbleiben, die Frage des Hostings zentraler digitaler Angebote beispielsweise für Schulen sollte hingegen als Querschnittsaufgabe dem neuen Ressort zugeordnet werden. Weitere Themen: Der BDI befürwortet die Verlagerung der Verantwortung für den Ausbau der Digitalen Infrastruktur vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in das neue Ressort, da es sich hierbei um ein für die Digitalisierung zentrales Thema handelt. Dies gilt insbesondere, weil mit dem Ausbau von 5G noch längst kein Ende erreicht sein wird. 6G steht in absehbarer Zeit in den Startlöchern und dabei sollte die politische Begleitung des Ausbaus mit deutlich mehr Dynamik und Verständnis für die Realitäten des Marktumfeldes vonstattengehen als bisher. Beim Thema Cybersicherheit, gibt es Argumente für und gegen eine Zuordnung zum neuen Ressort: So könnten die Schutzziele im Bereich Cybersicherheit zwar möglicherweise durch ein neues Ressort fokussierter adressiert werden, jedoch ist das Thema Cybersicherheit eng mit den sonstigen Wirtschaftsschutzthemen und auch mit der Terrorismusabwehr, die wiederum im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat aufgehangen sind, verbunden. Es bedarf einer sehr engen Verzahnung dieser Themen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland ganzheitlich zu schützen, daher könnte eine Abspaltung aus dem Innenressort kontraproduktiv sein. Der BDI befürwortet daher beim Thema Cybersicherheit einen Verbleib der primären Zuständigkeit im BMI. Auch sollte es Aufgabe aller Bundesministerien und insbesondere der Europäischen Union sein, die Digitale Souveränität zu wahren und zu stärken. Dies kann nicht in die Zuständigkeit eines einzelnen neuen Ministeriums fallen. Bereits im Koalitionsvertrag sollten ein klares Zielbild bis zum Ende der Legislatur sowie messbare Selbstverpflichtungen der einzelnen Ressorts verankert werden. Die beschriebenen Aufgaben und Zuständigkeiten könnten in einem Ministerium für Verwaltungsdigitalisierung, digitale Infrastruktur und Digitalrecht mit neuer Dynamik vorangetrieben werden. Das klingt begrifflich deutlich weniger attraktiv als „Digitalministerium“, bezeugt aber eindeutig, dass die Verantwortung für die Digitalisierung ihrer jeweiligen Themen bei den bestehenden Ressorts verbleibt. Je nach konkreter Arbeitsweise ist auch eine Anpassung der Geschäftsordnung der Bundesregierung angezeigt. Darüber hinaus wäre in der kommenden Legislaturperiode auf legislativer Ebene ein Bundestagsausschuss zu digitalen Fragestellungen sinnvoll, der – anders als bisher der Bundestagsausschuss „Digitale Agenda“ – eine breite Federführung mit sich bringt. In der Kombination aus fokussierter Exekutive und Legislative kann sich die dringend notwendige Dynamik entwickeln.

6


Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte

Einbindung der Wirtschaft Zukunftsfähigkeit entsteht durch Offenheit, Kollaboration und Methodenkompetenz. Die Wirtschaft steht für einen deutlich engeren Austausch mit dem Staat in Sachen Digitalisierung bereit, um unseren Standort voranzubringen. Angefangen von Grundsatzfragen von strategischer Bedeutung wie die der digitalen Souveränität bis hin zu konkreten, in der Verwaltung einsetzbaren Standards gilt: Abgekapselt von der Wirtschaft wird die Verwaltung nicht reüssieren. Während in der Verwaltung teilweise noch über den Austausch des Faxgerätes zugunsten webbasierter Dienste nachgedacht wird, findet in der Wirtschaftswelt bereits eine Umorientierung hin zu deutlich mehr mobilen Apps statt. Nicht alles ist in der Verwaltung sinnvoll umsetzbar, aber ein konstanter Wissenstransfer zwischen beiden Seiten wäre in jedem Fall produktiv. Nur in einem engen Wechselspiel beider Seiten ist digitaler Erfolg realisierbar und exakt dafür wäre eine zentrale politische Koordinationsstelle hilfreich. Dabei sollten wechselseitige Entsendungen von Mitarbeitern aller Hierarchiestufen in die Wirtschaft und aus der Wirtschaft zum besseren gegenseitigen Verständnis und zum flüssigeren Austausch ebenso verfolgt werden, wie der regelmäßige Austausch mit Marktanbietern. Ein enger Austausch mit den Wirtschaftsverbänden, um die Bedarfe der Breite der deutschen Wirtschaft aufzunehmen, ist ebenso angezeigt.

Ausblick Der Handlungsdruck ist groß, und so sollten die Weichen für eine zentrale Koordinierung politisch bereits jetzt und damit deutlich vor der Wahlentscheidung auf Bundesebene so gestellt werden, dass eine Umsetzung rasch erfolgen kann. Ansonsten verliert Deutschland bis zum Abschluss der Koalitionsverhandlung je nach deren Länge von heute an ein weiteres dreiviertel Jahr. Das in diesem Dokument behandelte Thema steht im engen Wechselspiel mit dem großen Themenkomplex E-Government. Der BDI versteht die Themen als Einheit und hat aktuell einen 8-Punkte-Plan „Eine starke digitale Verwaltung für eine noch stärkere Wirtschaft“ veröffentlicht.2 Letztlich stehen Digitalisierungskoordination auf Bundesebene und E-Government/digitale Verwaltung auch im engen Zusammenhang mit Fragen der Föderalismusreform. Digitale Prozesse und agile Kooperationsmodelle stellen eine vielversprechende Möglichkeit dar, um Silodenken im Föderalsystem zu überwinden, ohne den langen Weg einer umfassenden Föderalismusreform abzuwarten.

BDI-Acht-Punkte-Plan „Eine starke digitale Verwaltung für eine noch stärkere Wirtschaft“ Auszug: „Oberste Maxime für alle Digitalisierungsbestrebungen der öffentlichen Hand muss die konsequente Ausrichtung an den Anforderungen der Nutzer/Innen – also der Bürger/Innen und der Unternehmen aller Größen und Branchen – sein.“ 2

7


Beitrag zur Digitalministeriums-Debatte

Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Autoren Dr. Thomas Koenen Leiter der Abteilung Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028 1415 t.koenen@bdi.eu

Steven Heckler Stellvertretender Leiter der Abteilung Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028 1523 s.heckler@bdi.eu

BDI-Dokumentennummer: D 1376

8


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.