5 Kernpunkte zu Halbleitern

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5 Kernpunkte zu Halbleitern Die Bedeutung von Halbleitern für die Zukunft der deutschen Industrie

Oktober 2021 Halbleiter sind eine essenzielle Grundlage in allen industriellen Bereichen. Sie finden sich in allen relevanten Marktsegmenten, wie z. B. als Speicher, Prozessoren, Sensoren und Aktoren in unseren Computern, in unseren Mobiltelefonen, Autos, Maschinen und Haushaltsgeräten. Zunehmend kommen spezialisierte Mikrochips in neu entstehenden Bereichen wie z. B. Edge Computing und dem Maschinellen Lernen zum Einsatz. Der technologische Fortschritt in diesen Bereichen ermöglicht branchenübergreifende Innovationen entlang ganzer Wertschöpfungsketten. Dabei ist die Halbleiterindustrie global vernetzt wie kaum eine andere Industrie. Kein einzelner Staat hat vollständige Autonomie auch nur in einem einzigen Halbleiter-Marktsegment. Es besteht vielmehr ein hohes Maß an gegenseitiger Vernetzung zwischen Staaten und Regionen. Das Moore‘sche Gesetz, wonach sich die Integrationsdichte – also die Transistoren pro Flächeneinheit – alle zwei Jahre verdoppelt, kann angesichts der hohen Kosten und komplexen Produktionseinzelschritten nur in globaler Arbeitsteilung aufrechterhalten werden. Allerdings ist das Beherrschen kleinerer Strukturgrößen (> 10nm) nicht länger das Maß aller Dinge und insbesondere nicht entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. So wie sich die spezifischen Anforderungen an die Mikroelektronik ständig weiter differenzieren, werden auch zunehmend differenziertere Chip-Lösungen (d. h. unabhängig von Nanometern) benötigt. Während Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) / Maschinelles Lernen, 5G / 6G und High Performance Computing (HPC) Chip-Lösungen im 5nm und sub-5nm Bereich benötigen, werden gerade in der industriellen Produktion in großem Umfang auch weiterhin spezialisierte Chips in wesentlich größere Technologieknoten benötigt. Mit zunehmenden geopolitischen Spannungen insbesondere zwischen den USA und China verschärft sich der technologiepolitische Wettkampf, bei dem die Halbleiterproduktion im Mittelpunkt steht. Die Coronapandemie hat diese kritische Situation weiter verschärft, indem die Lieferketten der global vernetzten Halbleiterproduktion insbesondere pandemiebedingt gestört und teilweise sogar unterbrochen wurden. Die Konsequenzen dieser Entwicklungen – vor allem Lieferengpässe bei bestimmten Chips – spüren wir seit einiger Zeit in Europa und speziell auch in der deutschen Industrie. Mit den unten aufgeführten Fünf Kernpunkten will der BDI die Bedeutung der Halbleiter für die Zukunft der deutschen Industrie hervorheben und Handlungsempfehlungen geben, die zu einer größeren technologischen Souveränität Deutschlands und Europas beitragen können.

Dr. Thomas Koenen | Abteilungsleiter | Digitalisierung und Innovation | T: +49 30 2028-1415 | t.koenen@bdi.eu | www.bdi.eu


5 Kernpunkte zu Halbleitern

1. Für Deutschland spielen Halbleiter eine entscheidende Rolle Der globale Halbleitermarkt wuchs in den vergangenen Jahren mit durchschnittlich 4,2 Prozent vergleichsweise moderat, jedoch deutlich schneller als die Weltwirtschaft. Von 2014 bis 2020 nahm er von 336 auf 422 Milliarden US-Dollar zu. Das durchschnittliche Wachstum des Halbleitermarktes wird bald wieder auf über fünf Prozent jährlich zunehmen. Grund für den steigenden Bedarf an Halbleitern ist die zunehmende Elektrifizierung und Digitalisierung aller Lebensbereiche: Bildung, Gesundheit, Kommunikation, Energie, (Elektro-)Mobilität, Industrie 4.0, Smart City und Smart Living sind nur einige Beispiele. Gerade in diesen Bereichen hat die deutsche Wirtschaft ihre Stärken, die nur durch konsequente Entwicklung und Nutzung von Halbleitertechnologien gesichert werden können. Halbleiter sind als Enabler daneben von zentraler Bedeutung für die Dekarbonisierung. Die gezielte Förderung von Schlüsseltechnologien ist unverzichtbar, um den technologischen Status zu halten und auszubauen und damit die Zukunft der deutschen Industrie in den Kernbranchen zu sichern. Die Bundesregierung hat die strategische Bedeutung dieses Themas erkannt und mit dem Rahmenprogramm Mikroelektronik einen wichtigen ersten Schritt gemacht. Das BMWi setzt sich mit begrüßenswertem Nachdruck für ein zweites Important Project of Common European Interes (IPCEI) zur Mikroelektronik ein. Dabei ist Deutschland als Forschungsstandort mit seiner engen Vernetzung von technischen Hochschulen, Forschungsinstituten und Unternehmen in einer guten Ausgangslage, die nun aber auch wirtschaftspolitisch gezielt genutzt werden muss. Dies bedeutet zum einen, bestehende Produktionskapazitäten zu erweitern und Kompetenzen insbesondere beim Chip-Design aus- und aufzubauen. Vorhandene Design-Kompetenzen für Hardware, Embedded-Software und Automatisierungslösungen sollten beginnend bei Universitäten auf breiter Basis ausgebaut werden. Durch die Generierung von produktspezifischem IP für die europäische Halbleiter-Wertschöpfungskette u. a. basierend auf dem Open Source Ansatz RISC-V sollten die Kompetenzen bei Halbleiterlösungen für die wichtigen nationalen Sektoren Automobil, Maschinenbau, Elektronik, Energie, Sicherheit und Kommunikation weiter verbessert werden. Daneben müssen bestehende Stärken ausgebaut werden, die sich aufgrund der ausgeprägten europäischen Systemintegrationskompetenz ergeben. Denn den Begriff „Leading Edge“ nur auf HalbleiterStrukturgrößen von unter 5nm anzuwenden, wäre falsch. So sind z. B. die bedeutenden Leistungshalbleiter weit diesseits von 5nm und Sensorzellen im Bereich von bis zu 350nm in ihren Klassen „Leading Edge“. Gleichzeitig sind Chips auf Basis von Strukturgrößen < 5nm im Bereich AI / ML, 5G / 6G und HPC „Leading Edge“. Daher muss Design, die Schaffung geistigen Eigentums und die Produktion im Bereich eines richtig verstandenen Leading Edge-Konzeptes ausgebaut werden. Daneben bedarf es gezielter Förderung von IP-Entwicklung im Bereich 5G / 6G, Edge Computing / Edge AI, Elektromobilität, Cybersicherheit, KI sowie Raumfahrt und Verteidigung, um Schwächen zu adressieren und bestehende Potenziale zu nutzen. 2. Nur vereintes europäisches Handeln wird erfolgreich sein Die EU-Kommission hat jüngst mit ihrem „Digitalen Kompass 2030“ im Bereich Halbleiter eine ambitionierte Zielmarke gesetzt: Der weltweite Produktionsanteil an Halbleitern soll in Europa bis 2030 verdoppelt werden, um dann einen globalen Produktionsanteil von 20 Prozent zu erreichen. Mit einem angenommenen jährlichen Wachstum von fünf Prozent nimmt der Halbleiter-Weltmarkt von 2021 bis 2030 auf 155 Prozent zu. Damit Europa dann einen Marktanteil von 20 Prozent hat, muss die Produktion von 10 Prozent heute um den Faktor 3,1 ansteigen. Ein solches Ziel kann nur erreicht werden, wenn passgenaue Instrumente und Programme vereinte Kräfte von Staat und Wirtschaft freisetzen.

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Im neuen EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe wird im Rahmen des Key Digital Technologies Partnerschaftsprogramms u. a. der Fokus auf „elektronische Bauteile und Systeme“ gelegt. Damit verbunden sind mindestens sechs Milliarden Euro an Investitionen durch EU, Industrie und teilnehmende Staaten. Bis 2030 werden jedoch Investitionen benötigt, die etwa um eine Größenordnung höher liegen. Eine zentrale Rolle werden dabei auch neue IPCEIs in der Mikroelektronik einnehmen. Die EU braucht darüber hinaus weitere Instrumente und Programme, um Kompetenzen und Kapazitäten bis 2030 in Bereichen aufzubauen, in denen Instrumente wie IPCEI nicht greifen. Dazu bedarf es beschleunigter Programme zur Finanzierung des Produktionsaufbaus in Schlüsselbereichen entstehender Technologien. Förderinstrumente und deren Verfahren müssen agiler und unbürokratischer werden. Dies beinhaltet auch die Verankerung von kürzeren Bewilligungszeiträumen und höheren Förderquoten. Letztere ließen sich durch gezieltere Vergabeprozesse verfolgen. Europa braucht bei alldem eine ganzheitliche und langfristig angelegte Halbleiterstrategie, die in mehreren optimal aufeinander aufbauenden Schritten umgesetzt werden muss. In diesem Kontext ist die Ankündigung der EU-Kommission vom 19. Juli 2021 zur Schaffung einer europäischen Allianz für Prozessoren und Halbleitertechnologien sehr zu begrüßen. 3. IPCEI Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien (IPCEI ME / CT) vorantreiben und an Europäischen Industriebedarfen ausrichten Das erste Important Project of Common European Interest zu Mikroelektronik war und ist eine Erfolgsgeschichte, wie u. a. die jüngste Eröffnung einer weiteren modernen Halbleiterfabrik in Sachsen bewiesen hat, zu der dieses paneuropäische Projekt beigetragen hat. Mit dem nun angestrebten Important Project of Common European Interest zu Mikroelektronik und Kommunikationstechnologie (IPCEI ME / CT) soll diese Erfolgsgeschichte weitergeschrieben und auf den Bereich Kommunikationstechnologien ausgeweitet werden. Die Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass das IPCEI ME / CT sowohl auf die zukünftigen Bedarfe der Anwenderindustrien in Deutschland und Europa einzahlt, als auch ambitionierte Innovationen aus Europa heraus im Zuge der „Twin Green and Digital Transition“ befördert. Der in der Mitteilung der EU-Kommission zur „Digitalen Dekade“ genannte Ansatz des Produktionsausbaus von Chips < 5nm ist ein langfristiges Projekt, welches signifikante Impulse für die Innovationsfähigkeit Europas geben kann. In diesem „Leading Edge“ Bereich sollte das IPCEI ME / CT unter anderem europäische Kompetenzen im Chip-Design und Halbleiter-Equipment stärken, so dass ein konkreter Weg zur 2nm-Fertigung in Europa im kommenden Jahrzehnt möglich wird. Dies ist unter anderem für den Bereich modernster Kommunikationstechnologien von großer Bedeutung. Hersteller aus diesem Bereich gehören zu den wichtigsten Abnehmern und benötigen leistungsfähige Prozessoren für die wettbewerbsentscheidende digitale Infrastruktur sowie für die Mobilfunknetze. Die strategische Entwicklung der Halbleiterindustrie in Europa bedarf aber ebenso im ersten Schritt einer mittelfristigen Orientierung, um vorhandene Stärken auszubauen und festgestellte Schwächen gezielt abzustellen. Angesichts des konkreten und weiterhin steigenden Bedarfs an industriellen Fertigungskapazitäten im 12-40nm Technologiekorridor sowie in den More-than-Moore-Technologien sollten diese Bereiche höchste Priorität beim Ausbau der Produktionskapazitäten erhalten. Das IPCEI ME / CT sollte für eine nachhaltige digitale Souveränität Europas ein Mikroelektronik-Ökosystem stärken, das den aktuellen Bedarf ebenso abdeckt, wie auch die „Leading Edge“-Bereiche einbezieht und die Grundvoraussetzungen für eine 2nm-Produktion in Europa in den nächsten Jahrzehnten schafft.

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4. Halbleiter als zentralen Bestandteil der deutschen und europäischen Industriepolitik verstehen Das Thema Halbleiter / Mikroelektronik darf nicht als separates Themenfeld im Bereich F&E verstanden werden, sondern muss als ein Kernaspekt technologischer Souveränität integraler Bestandteil der nationalen und europäischen Industriestrategie sein. Kernkompetenzen im Bereich Halbleiter sind unerlässlich nicht nur für die industrielle Zukunft Europas, sondern auch für die Erreichung der ambitionierten Nachhaltigkeitsziele der EU. Nur durch die zielgerichtete Entwicklung von energieeffizienten Halbleitertechnologien vor allem in den Sektoren Industrie, Automobil und Energie, kann der Europäische Green Deal erfolgreich umgesetzt werden. Der Leistungselektronik kommt dabei als Schlüsseltechnologie ebenso eine zentrale Rolle zu wie effizienten Prozessoren. In diesem Kontext ist es wichtig, dass die gesamte Wertschöpfungskette einbezogen wird, einschließlich zentraler Input-Materialien wie z. B. Polysilizium und Silizium-Karbid-basierte Halbleiter. Neben den Zielen des EU-Green Deal ist auch die Sicherung europäischer Infrastrukturen vor Cyberangriffen mittels leistungsfähiger Hardware von Bedeutung. 5. Technologische Souveränität in der Halbleiterproduktion darf nicht protektionistisch verstanden werden Kein einzelner Staat und keine einzelne Region ist derzeit autonom bei der Halbleiterproduktion. 75 Prozent der globalen Halbleiterproduktionskapazität liegt in Südostasien. Trotz ihrer beeindruckenden Produktionskapazitäten beherrschen Staaten wie Taiwan, Südkorea und China den Halbleitermarkt nicht. Die USA sind beispielsweise dominierend im entscheidenden Bereich Chip-Design und verfügen durch lokale Ansiedlung globaler Chip-Hersteller über 14 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten, die konsequent ausgebaut werden. Europa und insbesondere Deutschland haben ihre Stärken im Bereich der Sensoren, Aktuatoren und der Leistungselektronik, die für die Energie und die Mobilitätswende entscheidend sein werden. Weitere Stärken Europas finden sich z. B. bei chemischen Grundstoffen, dem Maschinen- und Anlagenbau sowie einem signifikanten globalen Marktanteil im Bereich der Kommunikationstechnologien. Vor diesem Hintergrund würde der Aufbau einer geschlossenen Wertschöpfungskette in einer einzelnen Region nach einer Boston Consulting Group-Studie1 Investments von ca. eine Billion Euro erfordern und zu einer signifikanten Verteuerung von Mikroelektronik im Bereich von 35 bis zu 65 Prozent führen. Eine vollständig geschlossene Wertschöpfungskette in jeder Region ist nicht notwendig, um die eigene technologische Souveränität zu gewährleisten. Eine gegenseitige Abhängigkeit gepaart mit alternativen resilienten Ansätzen sind ausreichend. Funktionierende globale Wertschöpfungsnetzwerke sind eine Grundvoraussetzung für weiterhin hohe Innovationsgeschwindigkeit und bezahlbare Halbleiterprodukte. Deutschland und Europa müssen in der Lage sein, ihren industriellen und staatlichen Akteuren in Konflikt- und Krisensituationen ein hohes Maß an unabhängiger Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Dazu gehört neben einer breiten Forschungsbasis auch die Fähigkeit, kritische mikroelektronische Komponenten krisenfest beziehen zu können – sei es aus eigener Produktion oder durch Lieferketten, die nicht politisch oder anderweitig manipulierbar sind. Eine solche Resilienz muss in erster Linie durch enge Kooperationen entlang der Halbleiter-Wertschöpfungsnetzwerke und ausbalancierten Zugang aller Branchen zu Produktionskapazitäten erreicht werden.2

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Siehe: Study Identifies Benefits and Vulnerabilities of Global Semiconductor Supply Chain, Recommends Government Actions to Strengthen It - Semiconductor Industry Association 2 Siehe ZVEI 2020: https://www.zvei.org/presse-medien/publikationen/technologische-souveraenitaet-resilienz-der-industrieund-europaeische-kompetenzen

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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Redaktion Dr. Thomas Koenen Abteilungsleiter Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028-1415 t.koenen@bdi.eu Steven Heckler Stellvertretender Leiter Abteilung Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028-1523 s.heckler@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D 1452

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