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Turbo zünden für mehr Normungspower Zukunftsfähige Normungspolitik für mehr Wettbewerbsfähigkeit, technologische Souveränität und strategische Autonomie in Europa.
01. Februar 2022 Europäisches Normungssystem zügig wiederbeleben Der BDI begrüßt, dass die deutsche und europäische Politik zunehmend die strategische Bedeutung technischer Normung und Standardisierung für Wirtschaft und Gesellschaft erkennt. Für Unternehmen wird die technische Normensetzung insbesondere mit Blick auf die zunehmende Vernetzung im Rahmen der Digitalisierung immer wichtiger. Der internationale Wettlauf um Normen und Standards ist schon im vollen Gange. Für die deutsche Industrie sind fünf Punkte wesentlich für eine zukunftsfähige Normungspolitik: 1. Europa muss Standard-Setzer von Normen bleiben – und darf nicht zum Standard-Nehmer von Normen werden. Technologiestandards sollten Deutschland und die EU künftig gezielt als Instrument ihrer Industriepolitik nutzen. Denn Normung leistet einen unersetzlichen Beitrag für die Verbreitung technologischen Wissens und für fortlaufendes Wirtschaftswachstum am Standort. Der volkswirtschaftliche Nutzen des in Normen und technischen Regeln kodifizierten Wissens beläuft sich allein in Deutschland auf 17 Milliarden Euro pro Jahr. Der volkswirtschaftliche Nutzen wird in den kommenden Jahren wegen Produktivitätssteigerungen im Rahmen der vierten industriellen Revolution deutlich steigen. 2. Ein starkes europäisches Normungssystem ist für die strategische Souveränität Europas zentral. Angesichts der globalen Verflechtung europäischer Wertschöpfungsketten muss die EU in ihrer Normungsstrategie eine internationale Perspektive einnehmen. Nur mit der Integration des europäischen Normungssystems in das internationale lassen sich europäische Initiativen wie Global Gateway effektiv und erfolgreich umsetzen. Die Industrie fordert, Normen und Standards künftig zum festen Bestandteil europäischer Handelsstrategien zu machen. Das ist Voraussetzung, um die Vorreiterrolle bei der Standardisierung auszubauen. 3. Den Rechtsrahmen für das Inverkehrbringen von Produkten auf dem europäischen Binnenmarkt bildet das New Legislative Framework (NLF). Bei der Festlegung und Erarbeitung von technischen Regeln stimmen sich Wirtschaft, Normungsorganisationen und EU-Institutionen eng ab. Die Überambition der EU-Kommission, künftig selbst technische Spezifikationen zu erarbeiten, ist nicht gerechtfertigt. Dafür sind eine umfassende fachliche Expertise und langjährige Erfahrung in der Industrie erforderlich. Ein Alleingang der Kommission bei der Festlegung der Regeln untergräbt den Abstimmungsprozess mit der Wirtschaft und schafft
Simon Weimer | Umwelt, Technik und Nachhaltigkeit | T: +49 30 2028-1589 | s.weimer@bdi.eu | www.bdi.eu
Turbo zünden für mehr Normungspower
zusätzliche Bürokratie. Statt das NLF zu schwächen, sollte die EU das Normungssystem rasch fit für die Anforderungen der Zukunft machen: Das NLF des 21. Jahrhunderts muss neue Rechtsbereiche, wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit, konsequent anwenden. 4. Mit großer Sorge verfolgt die deutsche Industrie die gezielte internationale Verbreitung von staatlich getriebenen, nationalen Technologiestandards aus China im Rahmen der chinesischen Seidenstraßeninitiative. Die deutsche Industrie sieht die Gefahr einer Zersplitterung technischer Marktzugangsbedingungen. Es droht ein Rückgang der Nachfrage nach deutschen und europäischen Technologien und der Verlust unserer Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere bei der Normung und Standardisierung von Zukunftstechnologien läuft Europa Gefahr, von China abgehängt zu werden. Die künstliche Intelligenz sollte fester Bestandteil einer jeden Normungsstrategie sein. Die deutsche Normungs-Roadmap zur künstlichen Intelligenz sollte als Blaupause für die Identifizierung innovativer Normungsprojekte auch auf europäischer Ebene dienen. 5. Geopolitisch strebt China eine führende Position in der internationalen Normung an. Europa muss sich deshalb auf einen verstärkten globalen Wettbewerb mit Chinas staatlich dominiertem Normungssystem einstellen. Allein die chinesisch besetzten Sekretariate bei der International Organisation for Standardisation (ISO) haben sich in den vergangenen elf Jahren verdoppelt. Die europäische Normungsstrategie muss klare Leitlinien zum Umgang mit China beinhalten. Notwendig sind konkrete Maßnahmen, wie die EU beispielsweise der Verbreitung chinesischer Standards im Rahmen der chinesischen Seidenstraßeninitiative entgegentreten will. Der BDI erwartet, dass Peking die international vereinbarten Normen konsequent anwendet und entgegenstehende nationale Normen zurücknimmt. Der Ankündigung, 85 Prozent der internationalen Normen bis 2025 in das chinesische Normenwerk zu übernehmen, müssen rasch Taten folgen. Sinnvoll ist aus Sicht der Industrie, bei der Entwicklung von internationalen Normen verstärkt in die europäisch-chinesische Kooperation zu investieren. Beide Seiten würden von gemeinsamen technologischen Leitlinien profitieren.
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