Empfehlung zur Erreichung des 3,5%-Ziels

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Empfehlungen zur Erreichung des 3,5%-Ziels Deutschlands Zukunft durch höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung sichern

18. Mai 2022 Der neuen Bundesregierung stellen sich in der 20. Legislaturperiode eine Vielzahl an Herausforderungen. Die Corona-Pandemie hat tiefe Löcher in die Staatshaushalte gerissen. Die sich weiter verschärfende Klimakrise erfordert einen teilweise tiefgreifenden Wandel wichtiger deutscher Industriesektoren. Diesen Herausforderungen kann nur durch nachhaltige Wertschöpfung und Innovationen begegnet werden. Der Überfall Russlands auf die Ukraine wirkt auf einige begonnene Veränderungen sogar noch beschleunigend und erfordert in vielen Bereichen zusätzliche Innovationsanstrengungen. Bereits in der Vergangenheit wurden mit Blick auf die geplanten Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Innovation die Lücken zwischen politischen Zielsetzungen und Realpolitik deutlich. Der BDI fordert, einen höheren Anteil des Bundeshaushalts für die Förderung von Forschung und Innovationen einzusetzen. Bisher war das politische Bekenntnis, 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung in Deutschland zu investieren, der Prüfstein einer engagierten Forschungspolitik. Die neue Bundesregierung muss das 3,5%-Ziel konsequent weiterverfolgen. Dabei darf nicht nur die Frage nach der Höhe der FuE-Aufwendungen eine Rolle spielen, es kommt auch darauf an, wofür die Milliarden ausgegeben werden, unter welchen Rahmenbedingungen investiert wird und mit welchen Förderinstrumenten es gelingen kann, neues Wissen und wertschöpfende Innovationen hervorzubringen. Nur wenn es gelingt, aus dem Geld Erkenntnis und Wohlstand für die Zukunft zu schöpfen, sind die Mittel gut eingesetzt. Die Politik in Bund und Ländern ist aufgefordert, Wissenschaft und Hochschulen ebenso auskömmlich und zukunftsorientiert zu finanzieren, wie durch ein kluges Förderinstrumentarium, die Unternehmen am Standort Deutschland zu innovativen Höchstleistungen anzureizen.

Dr. Carsten Wehmeyer | Digitalisierung und Innovation | T: +49 30 2028-1580 | c.wehmeyer@bdi.eu | www.bdi.eu


Empfehlungen zur Erreichung des 3,5%-Ziels

Inhaltsverzeichnis 1.

Einführung ................................................................................................................................... 3

2.

Ausgangslage .............................................................................................................................. 3

3.

Analyse ausgewählter Forschungsförderinstrumente ............................................................ 6

4.

Impulse aus der deutschen Wirtschaft für die Realisierung des 3,5%-Ziels ........................ 9

5.

Ableitung von Empfehlungen für die FuI-Politik der Bundesregierung und für Fördermaßnahmen .................................................................................................................... 12

Impressum ......................................................................................................................................... 16

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Empfehlungen zur Erreichung des 3,5%-Ziels

1.

Einführung

Die deutsche Industrie ist die Basis für Wertschöpfung und Wohlstand in Deutschland. Durch ihre Innovationskraft ist sie weltweit erfolgreich. Parallel zur Globalisierung der Märkte und der Entwicklung der weltweiten Forschungskompetenzen fragt auch die deutsche Industrie mehr Forschungsleistungen im Ausland nach, sodass der Anteil der außerhalb Deutschlands durchgeführten Forschung an den FuE-Aufwendungen der Industrie seit Jahren zunimmt. Der globale Wettbewerb um innovative Verfahren und Produkte sowie deren Vermarktung über innovative Geschäftsmodelle und Plattformen wird intensiver, die Zeitspanne von der Forschung bis zur Markteinführung der Produkte immer kürzer. Es ist jetzt wichtig, über verschiedene Zeithorizonte Maßnahmen zu ergreifen, um die Innovationskraft der Wertschöpfungsnetze des industriellen Kerns der deutschen Wirtschaft zu erhalten und zu stärken. Für die zukünftige industrielle Wertschöpfung müssen aus Forschungsergebnissen auf effektiven und effizienten Wegen Innovationen entstehen. Neben verkürzten Produktzyklen steigen die Ansprüche an Systemlösungen und der notwendige Entwicklungsaufwand wird im Verhältnis zum Innovationsertrag immer größer. Innovationspolitik und Forschungsförderung müssen auf den Prüfstand gestellt werden, um das deutsche Innovationssystem an entscheidenden Stellen modernisieren zu können. 1 Die Innovationskraft der Unternehmen kann nur wachsen, wenn auch die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen stimmen. Das heißt, vorausschauende Forschungs- und Innovationspolitik muss die Aktivitäten der Unternehmen unterstützen. In Zeiten des schnellen technologischen Wandels ist eine aktive Rolle des Staates zur Gewährung von Themenoffenheit und Marktorientierung im Innovationssystem unbedingt notwendig, zu der es zudem gehört, Anreize für mehr Wagniskapital zu setzen und FuE-Investitionen mit hohem gesellschaftlichem Mehrwert zu unterstützen.

2.

Ausgangslage

Die deutsche Wirtschaft gab im letzten Jahr vor der COVID-19-Pandemie2 im Jahr 2019 rund 75,8 Mrd. Euro für interne Forschung und Entwicklung aus; dies entspricht zusammen mit den Ausgaben von Staat und Hochschulen in Höhe von 34,15 Mrd. Euro einem Anteil der FuE-Aufwendungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 3,18 Prozent. Bei einem veranschlagten mittleren Wachstum des BIP von 1,5 Prozent pro Jahr3 ist zur Erreichung des 3,5%-Ziels für die deutsche Wirtschaft ein jährlicher Zuwachs der FuE-Ausgaben von 3,2 Prozent bis 2025 notwendig. Dies entspräche in realen Budgets zusätzlichen Ausgaben der Wirtschaft von 12,4 Mrd. Euro auf 88 Mrd. Euro im Jahr.4

1

BDI 7-Punkte-Plan zur Innovation – Governance – Transfer – Geschwindigkeit, Juli 2021 Wir betrachten in der Analyse die bis zu den disruptiven Auswirkungen der COVID-19-Pandemie trendartige Entwicklung der FuE-Ausgaben von Staat und Wirtschaft, um daraus für die Zukunft auf Grundlage vorliegender Daten und Experteneinschätzungen plausible Rückschlüsse und Prognosen abgeben zu können. Wir sind uns bewusst, dass sich die Pfade zur Erreichung des 3,5%-Ziels in Deutschland durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, geopolitische Veränderungen sowie Auswirkungen des gegenwärtigen Krieges in der Ukraine jederzeit ändern können. 3 Grundsätzlich wird von einem moderat steigenden BIP-Wachstum ausgegangen; konjunkturelle Einbrüche lassen die Volkswirtschaft das 3,5%-Ziel bei konstanten FuE-Ausgaben natürlich schneller erreichen, werden hier aber nicht betrachtet. Ebenso lassen wir hier auch die aktuelle Sondersituation der Coronakrise mit ihren gesunkenen FuE-Investitionen sowie die möglichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Wirtschaftswachstum und Forschungsaktivitäten außer Betracht. 4 Quelle: Grundlage sind Berechnungen von Gero Stenke, SV Wissenschaftsstatistik, präsentiert am 18.11.2020 im Rahmen des BDI-Workshops „Innovationspolitik und das 3,5%-Ziel“; diese Zuwächse sind unter den Voraussetzungen einer 2018/19 noch weitgehend unbeeinträchtigt funktionierenden Wirtschaft zu betrachten; die Auswirkungen der Krise auf die Möglichkeiten, das 3,5%-Ziel zu erreichen, sind gegenwärtig noch nicht ausreichend untersucht. 2

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Abb. 1: Anteile der gesamten FuE-Aufwendungen am BIP in Prozent 2019

4,93

Israel

4,64

Korea

3,5 3,4 3,24 3,19 3,19 3,07 2,96 2,89 2,79

Taiwan Schweden Japan Östereich Deutschland USA Dänemark Belgien Finnland China Frankreich Niederlande Norwegen EU

2,23 2,19 2,16 2,15 2,1

Quelle: OECD, VCI

Für die Ausgaben des Staates bedarf es gleichermaßen eines durchschnittlichen Anstiegs von 3,2 Prozent pro Jahr, kumuliert annähernd 30 Prozent bis 2025. Dies entspricht einem Budgetaufwuchs von rund zehn Mrd. Euro – von 34,15 (2019) auf 44 Mrd. Euro. Dabei ist zu beachten, dass die Investitionen bei größerem Wachstum des BIP auf beiden Seiten proportional ansteigen müssten. Die internen FuE-Ausgaben der deutschen Wirtschaft sind seit 2014 im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr bis 2019 sogar um 5,2 Prozent gestiegen, sodass angesichts der anhaltenden Wettbewerbsdynamik davon ausgegangen werden kann, dass die deutsche Wirtschaft noch mehr in FuE wird investieren müssen. Die Möglichkeiten des Staates, über die FuE-Fördermaßnahmen weitere Erhöhungen zu hebeln, werden in der Analyse ausgewählter Förderinstrumente herausgearbeitet (s. Kapitel 3). Dabei ist zu beachten, dass sich die FuE-Ausgaben unterschiedlich stark auf die Industriebranchen verteilen, sie konzentrieren sich stark auf den Mobilitätssektor im Allgemeinen und die Autoindustrie im Besonderen. Eine schwierige Situation zeichnet sich im Bereich des FuE-Personals ab. Es ist davon auszugehen, dass die benötigten Personalkapazitäten von fast 476.000 Vollzeitkräften für das Jahr 2019 auf 570.000 Vollzeitäquivalente im Jahr 2025 ansteigen müssten, was einem zusätzlichen

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Fachkräftebedarf von etwa 94.000 Beschäftigten entspricht, wobei insbesondere im Bereich der Spitzentechnologien bereits Engpässe zu beobachten sind.5 Zudem haben sich die externen (die von außerhalb des Unternehmens bezogene FuE) und internen FuE-Aufwendungen (die für sich und andere innerhalb des Unternehmens durchgeführte FuE) seit der Jahrtausendwende stark unterschiedlich entwickelt. So nahm die Summe der externen FuE-Aufwendungen von 2001 (7,27 Mrd. Euro) bis 2019 um 212 Prozent auf 22,7 Mrd. Euro zu, während die Summe der internen FuE-Aufwendungen von 2001 bis 2017 lediglich um 90 Prozent stieg (vgl. Fußnote 4). Vom starken Wachstum der externen FuE-Aufwendungen konnten vor allem unverbundene Unternehmen und FuE-Dienstleister profitieren. Dagegen blieb das Volumen von externen Aufträgen an Hochschulen und staatliche Forschungseinrichtungen zwischen 2005 und 2017 in etwa konstant, sodass die Hochschulen und staatliche Forschungseinrichtungen als Quelle neuen Wissens für die Unternehmen relativ an Bedeutung verloren haben. Ebenso ist bei der Ableitung von Forschungsfördermaßnahmen zu berücksichtigen, dass sich die Ausgaben für interne Forschungsaufwendungen zu 52 Prozent auf Unternehmen mit mehr als 10.000 Mitarbeitenden und zu knapp 40 Prozent im Bereich von mittelgroßen Unternehmen von 500 - 10.000 Mitarbeitenden konzentrieren. 6 Damit liegen über 90 Prozent der Ausgaben für die internen Forschungsaufwendungen der deutschen Industrie außerhalb der staatlichen Forschungsförderung für KMU. Gerade weil der Großteil der deutschen Industrie aus KMU besteht, auf ihn jedoch weniger als zehn Prozent der internen Forschungsaufwendungen entfallen, wird davon ausgegangen, dass KMU mit Hilfe geeigneter Forschungsförderprogramme ihre Forschungsaktivitäten bzw. ihre FuE-Investitionen erheblich verstärken und ihr Innovationspotenzial besser ausschöpfen könnten. Diese Unternehmensgrößenklasse hat ein vergleichsweise hohes Potenzial für die Absorption zusätzlicher Forschungsfördermittel: Von den 31.000 kontinuierlich forschenden KMU und den etwa 24.000 gelegentlich forschenden KMU ist vor allem bei ersterer Gruppe eine Verdopplung der FuE-Ausgaben und damit insgesamt eine Steigerung zusätzlicher FuE-Aufwendungen um fast 7 18 Mrd. Euro möglich. Im Bereich der KMU-Förderung zeigt sich, dass die staatliche Förderung auf nationaler Ebene effektiv ist und noch viel Potenzial für die Absorption staatlicher FuE-Fördermittel vorhanden ist. Das Potenzial für zusätzliche FuE-Ausgaben durch Neugründungen ist mit rund einer Milliarde Euro hingegen eher bescheiden.8 Allerdings sind im Bereich der Zukunftstechnologien und nachhaltiger Innovationen wissensintensive (Aus-)Gründungen von zentraler Bedeutung für Resilienz, technologische Souveränität, industrielle Transformation und das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele.

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Vgl. Fußnote 4 sowie SV Wissenschaftsstatistik, Hrsg. (2021): Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft 2019. Essen. Quelle: vgl. Fußnote 4 7 Quelle: Berechnungen von Christian Rammer, ZEW, präsentiert am 18.11.2020 im Rahmen des BDI-Workshops „Innovationspolitik und das 3,5%-Ziel“ 8 Quelle: wie Fußnote 7 6

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3.

Analyse ausgewählter Forschungsförderinstrumente

Eine Analyse ausgewählter Forschungsförderinstrumente zeigt, dass die staatlichen Mittel, die direkt in die Wirtschaft fließen, mit 2,2 Mrd. Euro pro Jahr gegenüber einer staatlichen Finanzierung der Hochschulen von 14 Mrd. Euro und von Forschungseinrichtungen von elf Mrd. Euro vergleichsweise gering sind. Dies entspricht einem staatlichen Finanzierungsanteil von rund 3,4 Prozent, der OECDDurchschnitt beträgt rund 15 Prozent. Entgegen der politisch kommunizierten Aussage zu steigenden Förderbudgets beweist ein Blick auf den zeitlichen Verlauf der Anteile staatlicher Förderung direkt an die Wirtschaft das Gegenteil (s. Abb. 2):

Abb. 2: Anteil der vom Staat finanzierten FuE-Aufwendungen der deutschen Wirtschaft in Prozent

10,2%

6,9%

4,5%

1995

2000

2005

4,5%

2010

3,3%

3,3%

3,2%

3,1%

3,2%

2015

2016

2017

2018

2019

Quelle: VCI, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Ähnliche Entwicklungen sind beispielsweise bei der Förderung von für die deutsche Industrie entscheidenden Schlüsseltechnologien zu beobachten: Auch hier wird der sehr geringe Anteil staatlicher Fördermittel in Forschungsprojekten mit Industriebeteiligung zu technologischen Schwerpunkten der deutschen Industrie deutlich (Abb. 3):9

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Durch Materialinnovationen Deutschland stärken, Empfehlungen für die zukünftige Gestaltung von Förderprogrammen und Ausschreibungen der Forschungsförderung der Bundesregierung, DECHEMA/ GDCh/ VCI, Juni 2018: Die Gesamtausgaben des BMBF stiegen – hier dargestellt am Beispiel des Einzelplans 30 des BMBF – von 2009 bis 2016 (10,064 - 16,275 Mrd. €) kontinuierlich um über 60 Prozent. Der Anstieg der Ausgaben für die Projektförderung von 2009 - 2016 (2,341 - 3,043 Mrd. €)

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Entwicklung der Ausgaben des BMBF von 2009 - 2016 am Beispiel des EPL30 (Förderkatalog): Gesamtausgaben versus Projektförderung und Zuwendungen an die Wirtschaft in Mio. Euro

16000,00 14000,00 12000,00 10000,00 8000,00 6000,00 4000,00 2000,00 0,00 2009

2010

2011

2012

BMBF Gesamtausgaben

2013

2014

2015

2016

Summe Projektförderung

Summe Zuwendungen des BMBF für Wirtschaft

Abb. 3: Gesamtausgaben des BMBF von 2009 bis 2016 im Vergleich zur Projektförderung und den Zuwendungen an die Wirtschaft am Beispiel des Einzelplans 30 Quelle: www.foerderkatalog.de, Stand: 19. Juni 2017

Eine Analyse unterschiedlicher staatlicher Förderinstrumente zeigt, dass die Realisierung eines 3,5%Ziels eine erhebliche Ausweitung staatlicher Instrumente zur Forschungsförderung mit einer deutlichen Steigerung der Budgetmittel erforderlich machen würde, wenn die Bundesregierung die Umsetzung eines 3,5%-Ziels ernsthaft verfolgen will. Staatliche Forschungsförderprogramme müssen wieder zu höheren FuE-Aktivitäten der Unternehmen führen. Das Innovationspotenzial staatlicher Investitionen wird noch nicht hinreichend ausgeschöpft. Stärkere Hebeleffekte lassen sich zum Beispiel über folgende Programme erreichen: ▪

KMU- und Mittelstandsförderung – am Beispiel des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM): Das ZIM-Programm stellt insgesamt eine gute Möglichkeit zur Förderung des industriellen Mittelstandes dar und hat auch weiteres Potenzial. Generell bietet dieses Programm erhebliche Möglichkeiten zur Skalierbarkeit, d. h. mehr staatliche FuE-Fördermittel für den Mittelstand zur Verfügung zu stellen. Hierfür müssten strukturelle Anpassungen des Programms

fiel deutlich geringer aus. Die Zuwendungen des BMBF an die Wirtschaft zeigen hier von 2009 - 2016 (464 - 422 Mio. €) sogar eine leicht fallende Tendenz. Fazit: Sowohl die Ausgaben für die Projektförderung als auch die Zuwendungen an die Wirtschaft können nicht von dem starken Aufwuchs der BMBF-Gesamtausgaben profitieren. Nur 2,6 Prozent der Gesamtausgaben des BMBF wurden 2016 für die Förderung der Wirtschaft aufgewendet. Die Ausgabensteigerung wird hauptsächlich bestimmt durch Aufwüchse außerhalb der Projektförderung (Pakt für Forschung und Innovation, institutionelle Förderung, BAföG).

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vorgenommen werden, wie beispielsweise über eine deutliche Ausweitung antragsberechtigter Unternehmen.10 Dies würde auch auf die Forderung der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) einzahlen, die Innovationsbeteiligung zu erhöhen. Für eine stärkere Beteiligung von KMU, insbesondere der weniger erfahreneren Unternehmen, ist auch eine schlanke Verwaltung von Fördermaßnahmen entscheidend. Die Verfahren unter ZIM entsprechen im Wesentlichen vielen Anforderungen der Industrieunternehmen (einfache Beantragung, schnelle Bearbeitung innerhalb von 3 bis 4 Monaten, offene Antragsfristen).11 ▪

Fachprogramme – am Beispiel des 7. Energieforschungsprogramms: Das 7. Energieforschungsprogramm bietet sehr gute Möglichkeiten für die Industrie, für Kooperationen mit anderen Unternehmen innerhalb der Branche und über die Branchengrenzen hinweg sowie für langfristige Kooperationen mit der Wissenschaft. Am Beispiel des 7. Energieforschungsprogramms lässt sich zeigen, dass die Praxisnähe des Programms wichtig ist. Hier werden thematische Schwerpunkte über Netzwerke in enger Abstimmung mit der Industrie entwickelt. Wie bereits ausgeführt, liegt das hauptsächliche Problem für die Umsetzung des 3,5%-Ziels und damit auch für den volkswirtschaftlichen Hebeleffekt, in dem relativ geringen Anteil der Fördermittel, die in Kooperationsprojekten direkt an die Unternehmen fließen (siehe dazu oben Kapitel 3 und Abb. 3 am Beispiel der staatlichen Förderung der Materialforschung und unten die Empfehlungen). Eine Skalierbarkeit der Förderprogramme ist zwar grundsätzlich gegeben, allerdings ist eine Ausweitung nur in kleinen Schritten zu vollziehen, da die Aufnahmekapazität der Forschungsakteure in Wissenschaft und Unternehmen schrittweise aufgebaut werden muss. Als unterstützende Maßnahme können und sollten Netzwerke und Plattformen dienen, wie dies bereits beispielsweise im 7. Energieforschungsprogramm von den fördernden Bundesressorts in Teilen angestoßen worden ist und die von der Industrie grundsätzlich positiv bewertet werden. 12 Hier werden wichtige Innovationsökosysteme geschaffen; eine Evaluierung der Netzwerkaktivitäten bleibt weiterhin erforderlich. Auch die Effektivität der administrativen Umsetzung ist weiterhin verbesserungsbedürftig.13 Hierzu müssen auch staatliche Agilität und Innovationskraft gefördert werden.14

Demonstrationsprojekte und Experimentierräume – am Beispiel der Reallabore der Energiewende: Oft ist bei neuen Produkten und Lösungen noch nicht klar, ob und wie deren Herstellung beziehungsweise Bereitstellung auch in großen Mengen, also im industriellen Maßstab, möglich ist. Daher sind Projekte wichtig, die häufig buchstäblich die Skalierung vom Labormaßstab zur industriellen Produktion fördern. Sie sind auch wichtig, um die regulativen Rahmenbedingungen in Richtung Markteinführung unter realen oder nahezu realen Bedingungen zu erkunden. Durch Experimentierräume lassen sich somit Investitionen in innovative Ideen und deren Umsetzung stimulieren. Die Fördermittel für die Reallabore der Energiewende sind zwar bereits in Projekten vergeben, doch ist damit zu rechnen, dass es in dieser Legislatur einen neuen Ideenwettbewerb geben wird. Dies ist unbedingt zu unterstützen. Potenziale bestehen darüber hinaus in der Ausweitung des Förderinstrumentes auf weitere hochkomplexe Technologiebereiche mit hoher Umsetzungsgeschwindigkeit. Auch der Hightech-Forum-

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Die deutlich über die bereits erfolgten kleineren Budget-Erhöhungen und der Ausweitung der Förderberechtigung für kooperierende Unternehmen mit bis zu 999 Mitarbeitenden hinausgeht. 11 s. z. B. Forschung und Innovationen im Mittelstand der Chemieindustrie stärken, VCI, Sept. 2019 12 beispielsweise die Forschungsnetzwerke zur Energieforschung des Bundeswirtschaftsministeriums 13 s. a. dazu: VCI-Empfehlungen zur Steigerung der Effizienz von Förderverfahren, November 2020 14 Siehe Ergebnisbericht Hightech-Forum 2019 - 2021, April 2021, Ausführungen unter Dachthema „Agile Forschungs- und Innovationsförderung“

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Ergebnisbericht empfiehlt die geförderten Anwendungsbereiche über die Energieforschung hinaus zu erweitern. ▪

Steuerliche Forschungsförderung – am Beispiel der Forschungszulage: Indirekt wirkende Instrumente zur technologieoffenen Förderung von Forschung und Entwicklung in den Unternehmen, realisiert in Deutschland über die Forschungszulage, eignen sich für eine großzügige Skalierung weiterer Investitionen der Wirtschaft am Standort Deutschland und für eine Unterstützung von externen Forschungsaufträgen.

Strategische Technologiefelder und Produktionsnahe Projekte – am Beispiel der Important Projects of Common European Interest (IPCEI): Diese Projekte sind geeignet, große Forschungs- und Entwicklungsvorhaben bis hin zur first industrial deployment (FID) auf ambitioniertem Technologieniveau der Industrie zu unterstützen, die auf Grund von Markt- oder Systemversagen nicht angegangen werden. IPCEI helfen dabei, Finanzierungslücken zu schließen und Innovationen in strategisch wichtigen Technologiesektoren zur ersten industriellen Anwendung zu führen, um somit die globale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Es bedarf jedoch einer kontinuierlichen Evaluierung und Weiterentwicklung der IPCEI und dahinterliegender Prozesse:

4.

Die Kriterien von anrechnungsfähigen Kosten für FID Investitionen müssen genauer definiert werden. Zugleich gilt es, den Anwendungsbereich von anrechnungsfähigen Kosten auf bereits marktfähige Lösungen auszuweiten, um somit die Finanzierungslücke zur Marktskalierung besser zu überbrücken.

In Zeiten immer kürzerer Innnovationszyklen ist Geschwindigkeit ein wichtiger Faktor. Daher muss der Prozess von der Projektskizze bis zum Projektstart beschleunigt werden.

Zuschüsse müssen nach einem nachvollziehbaren Zeitplan ausgezahlt werden, um Investitionssicherheit für Finanzierungspartner zu gewährleisten.

Impulse aus der deutschen Wirtschaft für die Realisierung des 3,5%-Ziels

Neben der Erforschung neuer Technologien liegt ein weiterer wichtiger Hebel zur Erreichung des 3,5%Ziels in der vertiefenden Erforschung und (branchenübergreifenden) Nutzbarmachung vorhandener Technologien am Standort Deutschland. Die deutsche Industrie sieht in folgenden Feldern weitere technologische Potenziale und Felder für verstärkte Investitionen in Forschung und Entwicklung: ▪

Die Materialforschung ist ein Enabler für die zukünftige Technologieentwicklung in zentralen industriellen Kernbranchen der deutschen Industrie. Das Forschungsgebiet ist durch langfristige Entwicklungszyklen und eine große Notwendigkeit für vertikale und horizontale Vernetzung (z. B. in Bezug auf die Querschnittstechnologien Digitalisierung und Produktionstechnologien) gekennzeichnet. Es besteht darüber hinaus dringender Bedarf an adäquaten Forschungsinfrastrukturen – nicht zuletzt fehlen die notwendigen Fachkräfte und politische Rahmenbedingungen zum Beispiel hinsichtlich der zunehmend wichtiger werdenden Recyclingfragen. Ein Kernpunkt ist jedoch die adäquate Ausstattung der Forschungsprogramme und die Etablierung geeigneter Förderverfahren zum Beispiel im Bereich von Demonstrationsprojekten.

Im Bereich der Verfahrensentwicklungen und Produktionstechnologien wird die wichtige Rolle der öffentlichen Förderung gerade im Bereich der vielfach benannten Förderlücke im TRL

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5-8 deutlich. Es besteht die Notwendigkeit für eine langfristig ausgerichtete Forschungsförderung über den mittelfristigen Bereich hinaus und damit für entsprechend ausgerichtete Förderprogramme; hier ist eine starke Verzahnung von Fördermaßnahmen und Förderprogrammen vorzusehen. Es besteht auch eine Notwendigkeit für angepasste Förderbedingungen, die sowohl eine schnellere Umsetzung über die Branchengrenzen hinaus als auch die Bildung von Netzwerken ermöglichen. ▪

Alle drängenden Fragen unserer Zeit – Energie, Umwelt, Mobilität der Zukunft etc. – erfordern neue innovative Technologien und deren Produktion. Innovative Produktionstechnologien sind Bindeglied von der Forschung hin zur industriellen Anwendung und damit Grundlage zukunftsfähiger Arbeitsplätze in Deutschland, gerade im industriellen Mittelstand. Eine gestärkte, breitenwirksame Produktionsforschung ist dafür unerlässlich. Aufgrund der großen Vielfalt an Technologien und Unternehmen ist ein Fokus auf themenoffene, breit angelegte Forschungsförderinstrumente mit Bottom-up-Wirkung zu legen. Neben einer Stärkung der Produktionsforschung sollte der einzelprojektübergreifende Transfer über Innovationsplattformen fester, budgetierter Bestandteil bei Bekanntmachungen werden. Überdies gelingt der Brückenschlag zwischen Industrie und Wissenschaft bei der industriellen Gemeinschaftsforschung höchst effizient und nachhaltig. Geforscht wird an Deutschlands besten Hochschulen und exakt auf die Bedarfe der Industrie zugeschnitten. Die Hebelwirkung für Innovation und Wertschöpfung sowie einen exzellent qualifizierten Ingenieurnachwuchs ist immens.

Beispiel Pharmaforschung: Am Beispiel neuer Entwicklungen in der Biotechnologie, der Zellund Gentherapie sowie der Genom-Editierung lässt sich zeigen, dass in den sich wissenschaftlich sehr schnell entwickelnden Themen auf ein hochattraktives akademisches Umfeld gesetzt werden muss, was hohe Anforderungen an die universitäre wissenschaftliche Ausbildung und die hierzu verfügbaren Forschungsinfrastrukturen stellt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Standort Deutschland für die Durchführung klinischer Studien ausgebaut werden muss. Deutschland hat in den vergangenen Jahren seinen Spitzenplatz als Nr. 2 im weltweiten Ranking bei klinischen Studien aufgrund massiv gestiegener, intransparenter, redundanter und langwieriger bürokratischer Hürden bei Genehmigungsverfahren eingebüßt. Das muss sich grundlegend ändern. Darüber hinaus ist die Souveränität für die Herstellung wichtiger Medizinprodukte und Arzneimittel zu stärken: Die Stärkung der Resilienz gegen medizinische Krisen erfordert die Entwicklung neuer Technologien zur schnellen, flexiblen und kosteneffektiven Herstellung innovativer Impfstoffe, neuartiger Therapeutika und überlegener medizintechnischer Güter. Entsprechend sollten flexibel skalierbare, digitalisierte und stark automatisierte Produktionsprozesse mit hohem Durchsatz und niedrigen Kosten unter Nutzung von Industrie 4.0-Prinzipien sowie Einhaltung hoher Qualitätsstandards mit Hilfe von leistungsfähiger Robotik etabliert werden. Ziel sollte die Abdeckung der gesamten Wertschöpfungskette innerhalb Deutschlands durch die Entwicklung von flexiblen, modularen und automatisierten Produktionssystemen sein.

Elektro- und Digitalindustrie als Treiber der digitalen Transformation: Mit der Digitalisierung findet ein grundlegender Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft statt. Die Elektround Digitalindustrie erweist sich dabei als wesentlicher Enabler der digitalen Transformation, ob im Energie-, Gesundheit-, Mobilität-, Gebäude- oder Consumerbereich. Zudem sind Produkte und Technologien der Elektro- und Digitalindustrie die Basis der Industrie 4.0. Durch die Verbindung von Informations- und Kommunikationstechnologie mit der Automatisierungstechnik zum (industriellen) Internet der Dinge (IoT und IIoT), ist Industrie 4.0 letztendlich die Verwirklichung

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der smarten Fabrik im digitalen Wertschöpfungsnetzwerk. Das enorme Wertschöpfungspotenzial der digitalen Transformation haben die Branchenunternehmen erkannt, denn smarte Produkte sowie digitale Dienstleistungen und Systemlösungen machen einen immer größeren Anteil am Gesamtumsatz aus – entsprechend intensiv investieren die Unternehmen in die Digitalisierung eigener Prozesse sowie in digitale Innovationen. Damit die Elektroindustrie auch weiterhin globaler Taktgeber der digitalen Transformation sein kann und Investitionssicherheiten in die digitale Transformation gewährleistet sind, müssen jedoch Hemmnisse wie der Fachkräftemangel abgebaut und der Ausbau einer leistungsstarken, industrietauglichen sowie flächendeckenden Breitbandinfrastruktur forciert gefördert werden. Zusätzlich muss die Politik für klare rechtliche Rahmenbedingungen im Umgang mit industriellen Daten sowie für eine Harmonisierung im nationalen Datenschutzrecht sorgen, indem bestehende rechtliche Unsicherheiten bei Anonymisierung und Pseudonymisierung personenbezogener Daten gelöst werden. So werden weitere Investitionsanreize in digitale Geschäftsmodelle eröffnet. Daten als „Rohstoff“ der Digitalwirtschaft und Grundlage der digitalen Transformation kommen eine besondere Bedeutung zu. Das enorme wirtschaftliche Wertschöpfungspotenzial von Daten kann nur durch einen erleichterten Datenaustausch und Anreize zur Datenteilung entfesselt werden. Neben einem vertraglich vereinbarten Austausch von Daten können Datenräume ein sinnvolles Instrument sein, um die unternehmens- und sektorübergreifende Datennutzung zu erhöhen. Der Aufbau eines offenen, digitalen Datenökosystems kann bestehende Anbieter von digitaler Infrastruktur und Anwender datengetriebener Geschäftsmodelle zusammenbringen und den interoperablen Datenaustausch über Sektorengrenzen hinweg erleichtern. Die europäische Initiative Gaia-X kann hier über die Definition gemeinsamer Regeln und Standards wichtige Grundlagen schaffen und für eine hohe Skalierung sorgen, die weitere Investitionen nach sich zieht. ▪

Beispiel aus der Halbleiterindustrie: Die Politik sollte die Bildung und Stärkung von deutschen Industriekonsortien entlang der Wertschöpfungskette – von den Herstellern in der Halbleiterindustrie bis hin zur Anwenderindustrie (Industrie 4.0/Automation, Automobilhersteller, Telekommunikationsindustrie) – aktiv unterstützen. Dabei sollten auf Basis der intensiven Zusammenarbeit innerhalb dieser Konsortien stärkere Commitments der Anwenderindustrie gegenüber der Zulieferindustrie angestrebt werden. Indem die Bedarfe – insbesondere für Leading Edge-Komponenten und Systeme – langfristig gemeinsam sondiert werden, können Investitionen rechtzeitig getätigt und die hinreichende Finanzierung eines leistungsfähigen Halbleiter-Ökosystems sichergestellt werden. Die Stärkung der Halbleiterindustrie im engeren sowie der gesamten Elektroindustrie im weiteren Sinne (Clusterbildung) zahlt somit auch unmittelbar in die technologische Souveränität Deutschlands ein. Auf europäischer Ebene befindet sich die Industrial Alliance for Processors and Semiconductor Technologies in der Vorbereitung. Diese Plattform könnte als Forum für Anwender und Hersteller dienen. Die Halbleiterindustrie ist mit mehr als zehn Prozent Forschungsintensität eine der forschungsintensivsten Industrien in Deutschland. Durch innovationsfördernde Regulierungen und verbesserte Standortbedingungen (wie z. B. niedrigere Energiekosten) wird das gesamte Halbleiterökosystem in Deutschland gestärkt. Ein langfristig gesichertes Wachstum dieser Branche am Standort Deutschland zahlt folglich auf einen sich erhöhenden Beitrag der Halbleiterindustrie zum privatwirtschaftlichen Gesamtanteil am 3,5%-Ziel ein.

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Empfehlungen zur Erreichung des 3,5%-Ziels

Die Industrielle Biotechnologie ist die technologische Grundlage der Bioökonomie. Bioökonomie verbindet dabei Technologie, Ökologie und effizientes Wirtschaften, indem sie Biomasse zu biobasierten Produkten verarbeitet. Dies können Pflanzen, Mikroorganismen und Enzyme sein – oder auch Reststoffe wie zum Beispiel Stroh oder Alt- und Schwachholz aus der Forstwirtschaft. Sie dienen als Basis für Medikamente, Nahrungsmittel, Energie und Industrieprodukte. Das Wertschöpfungsnetz der industriellen Bioökonomie ist von strategischer Bedeutung für eine nachhaltige Wachstumsstrategie und kann damit für das Gelingen des europäischen Green Deals mit seinen ambitionierten Zielen für Umwelt-, Natur- und Klimaschutz beitragen. Doch noch viel zu oft steht die Bioökonomie in Konkurrenz zu über Jahrzehnte gewachsenen Wertschöpfungsketten der auf fossilen Rohstoffen basierenden Wirtschaft, deren Produkte aktuell noch wettbewerbsfähiger sind. Dabei leisten neue biotechnologische Verfahren einen Beitrag zur Transformation der Industrie hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Zum Gelingen der Transformation müssen sämtliche Innovationshemmnisse innerhalb der Wertschöpfungsnetze vermieden und abgebaut werden sowie Forschung technologieoffen gefördert werden. Es bedarf schneller Genehmigungen für biotechnische Forschung und Entwicklung, damit deren Ergebnisse schnell in den Markt gelangen und ihren Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen entfalten können.

Der Umbau des Luftverkehrs zur Klimaneutralität ist Teil eines großen Transformationsprozesses, in dem die deutsche Luftfahrtindustrie als Schlüsselindustrie in den kommenden Jahren eine herausragende Rolle spielen kann. Die Luftfahrtindustrie fokussiert ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf die Vorbereitung einer neuen Generation von zivilen Verkehrsflugzeugen. Diese Flugzeuge in Verbindung mit erneuerbaren und damit nachhaltigen Energieträgern ermöglichen klimaneutrales Fliegen. Die Indienststellung eines klimaneutralen „grünen“ Flugzeugs ist für 2035 geplant. Voraussetzung dafür ist die Erarbeitung neuer und revolutionärer Technologien. Neben der Projektförderung ist in Deutschland die Etablierung eines Demonstrator-Programms erforderlich, Denn bei der Entwicklung eines klimaneutral operierenden Next Generation Single Aisle (NGSA) handelt es sich nicht um eine Weiterentwicklung der bestehenden Konzepte, sondern um einen technologischen Sprung. Die Verwendung von Wasserstoff als Kraftstoff im Luftfahrzeug ist in vielfältiger Weise herausfordernd. Um das Zusammenspiel diverser revolutionärer Technologien in einem Luftfahrzeug zu verstehen und zur Marktreife zu führen, sind Demonstratoren unabdingbar. Gemeinsam mit der Politik müssen kreative Lösungen entwickelt werden, um Deutschland auf Augenhöhe mit den USA, Frankreich und China zu bringen, die bereits intensiv Fördermittel investieren, um Technologieführerschaft zu zementieren beziehungsweise zu erreichen.

5.

Ableitung von Empfehlungen für die FuI-Politik der Bundesregierung und für Fördermaßnahmen

Zur Erreichung des 3,5%-Ziels fordert die deutsche Industrie: ▪

Die Agilität der FuI-Politik muss gesteigert werden. Schnelle Reaktionen auf und flexible Förderbedingungen für aktuelle und zukünftige Schlüsseltechnologien sind erforderlich – nicht nur um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, sondern auch um dadurch eine möglichst flexible, schnelle und barrierefreie Beteiligung und Teilhabe am Innovationsgeschehen zu

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Empfehlungen zur Erreichung des 3,5%-Ziels

ermöglichen.15 Für mehr Agilität sind regelmäßige Innovationsmessungen, begleitende Evaluierungen und lernende FuI-Programme sowie agile Umsetzungsprojekte zu etablieren. Verantwortungshierarchien müssen über interministerielle Systemgrenzen hinweg effizient ineinandergreifen. ▪

Um die Umsetzung von Forschung in Innovationen zu beschleunigen, sollten Innovation Boards eingerichtet werden, die fokussiert high societal needs über die in der Hightech-Strategie formulierten Missionen nach vorn bringen. Die Aufgabe dieser neuen Funktion sollte im Vorantreiben der einzelnen Missionen, Koordinierung der Ressorts sowie Sicherstellung der engen Einbindung von Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie gesellschaftlicher Innovation und der Überwindung von Hürden im Entwicklungs-, Zulassungs- und Markteinführungsprozess liegen. Die Forschungsförderung sollte bei transparenter Mittelvergabe gezielt in Richtung der Missionen erfolgen, sich dabei aber an Technologieoffenheit und marktwirtschaftlichen Prinzipien orientieren. Um die flexible Einbindung der erforderlichen Expertise aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sicherzustellen, sollte zu jeder Mission ein Innovation Board aufgestellt werden. Diese Innovation Boards müssen inhaltlich verantwortlich für die Initiierung, Umsetzung und den Erfolg ihrer Mission sowie für deren kontinuierliches Monitoring sein.16

Adäquate Ausstattung der Forschungsprogramme und die Etablierung geeigneter Förderverfahren sowie themenoffene, breit angelegte Forschungsförderinstrumente mit Bottom-upWirkung: Der derzeit vergleichsweise geringe Anteil staatlicher Fördermittel in Forschungsprojekten mit Industriebeteiligung zu technologischen Schwerpunkten der deutschen Industrie ist unbedingt zu erhöhen. Technologieoffene Förderansätze sind wesentlich, um neue Erkenntnisse aus der Forschung in die Anwendung zu bringen (Innovation) und dabei eine Vielzahl von Lösungen und Beteiligten am Innovationsgeschehen zuzulassen. 17 Es besteht die Notwendigkeit für eine langfristig ausgerichtete Forschungsförderung und damit für entsprechend ausgerichtete Programme; eine starke Verzahnung von Fördermaßnahmen und Förderprogrammen ist vorzusehen.

Das Instrument der steuerlichen Forschungsförderung über die Forschungszulage setzt ein wichtiges Signal, insbesondere auch für die Stärkung der Innovationsanstrengungen von KMU und dem Mittelstand. Um ihre Wirkung als Investitionsanreiz in der Industrie und ihren Beitrag zum 3,5%-Ziel zu verstärken, sollten Bemessungsgrenze und Fördersatz angehoben werden. Letzte Zugangsbarrieren sind zügig zu beseitigen, auch indem das Instrument noch stärker beworben wird.

Ausbau von Reallaboren und Experimentierräumen: Deren Finanzierung und Bewerbung sollten gestärkt werden. Die Nutzung von Experimentierklauseln ist dabei ein wichtiges Tool. Eine Ausweitung des Förderinstrumentes auf weitere hochkomplexe Technologiebereiche mit hoher Umsetzungsgeschwindigkeit ist zu empfehlen. Auch auf europäischer Ebene muss sich die Bundesregierung für eine praxistaugliche Implementierung sogenannter regulatory

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s. EFI-Gutachten, 2021, Kapitel „Neue Missionsorientierung und Agilität in der F&I-Politik, EFI 2021 Vgl. BDI 7-Punkte-Plan Innovation – Governance – Transfer – Geschwindigkeit, Juli 2021 17 s. EFI-Gutachten 2021, „Technologieoffen vorgehen, um eine Vielzahl von Lösungen zuzulassen.“ S. 16; „Ein breites Innovationsverständnis verankern – Für nahezu alle großen Herausforderungen, insbesondere für die Missionen der Hightech-Strategie, werden Lösungen benötigt, die sich aus technologischen, sozialen und ökologischen Innovationen zusammensetzen. Dabei spielen technologieoffene Förderansätze eine große Rolle.“ (S. 14) 16

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Empfehlungen zur Erreichung des 3,5%-Ziels

sandboxes einsetzen, damit digitale Geschäftsmodelle in der gesamten EU skalierbar werden. ▪

Gemeinsame Initiativen von Forschungseinrichtungen mit Industrieverbänden, regionalen Standortförderern und Multiplikatoren müssen mehr unterstützt werden, nicht zuletzt, um den steigenden Anforderungen an Kooperationen und unternehmensexternem InnovationsKnow-how gerecht werden zu können. Auch hier könnte eine Integration von Experimentierräumen und Reallaboren die gewünschten Kooperationen von Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft weiter fördern.

Mehr Fördermittel für den Mittelstand der Industrie: Aufgrund des starken Hebels zusätzlicher Forschungsfördermittel im Bereich der forschenden KMU müssen budgetäre und strukturelle Anpassungen des ZIM-Programms vorgenommen werden. Dazu muss das bereits in den Vorjahren nicht ausreichende und auch 2021 überzeichnete Budget von 620 Mio. Euro idealerweise verdoppelt werden, um alle förderfähigen Anträge annehmen und eine schrittweise Ausweitung antragsberechtigter Unternehmen auf bis zu 3.000 Mitarbeitende umsetzen zu können. Auch die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) ist durch eine Budgetverdoppelung auf 400 Mio. Euro zu stärken.

Rolle von Normen und Standards 18: Normung und Standardisierung kann auf unterschiedliche Weise Innovation fördern oder beschleunigen, aber durchaus (falls thematisch verfehlt oder verfrüht initiiert) auch innovationshemmend sein. Normung und Standardisierung kann der Innovation nachgeordnet sein und dabei unterstützen, neue Technologien in den Markt zu bringen. Innovation kann aber auch auf der Ebene der Implementierung von Normen und Standards erfolgen. Ferner kann Normung und Standardisierung Innovation im Bereich der Technologieoder Prozessintegration ermöglichen, ebenso wie innovative Technologien und Dienste auf der Basis offen verfügbarer Spezifikationen angeboten werden können. Maßgeblich für den Erfolg ist dabei eine frühzeitige Einbeziehung der relevanten Kreise aus der Wirtschaft, an die entsprechende Normen und Standards adressiert sind. Unter Berücksichtigung dieser grundlegenden Aspekte sollte Normung und Standardisierung in jeder Strategie zur Förderung von Zukunftstechnologien (u. a. Künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Wasserstoff-Technologien) ein fester Bestandteil sein und in Förderprogrammen für nachhaltige Technologien und Verfahren berücksichtigt werden. Deutsche Experten und Expertinnen sollten dabei unterstützt werden, nationale und europäische Interessen in der internationalen Normung zu vertreten, z. B. indem normungsbedingte Kosten in Unternehmen als förderfähige Forschungs- und Entwicklungskosten qualifiziert werden. Die Forschungspolitik sollte Normung und Standardisierung in Technologieförderprogramme integrieren (z. B. verpflichtende Normenrecherche). Die Mitarbeit von KMU in der Standardisierung muss stärker gefördert werden. Eine Novellierung des normungspolitischen Konzepts der Bundesregierung von 2009 sollte angestoßen werden, um neue politische und technische Herausforderungen zu adressieren.

Zukunftskompetenzen und Qualifizierung müssen gestärkt werden: Die Aus- und Weiterbildung muss systematisch weiterentwickelt werden. Die Anforderungen der Industrie an die universitäre wissenschaftliche Ausbildung und die hierzu gehörenden Forschungsinfrastruk-

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s. BDI 2019, „Sechs Thesen zur Normung“, (Sechs Thesen zur Normung (bdi.eu)) sowie „Wer sie gestaltet, beherrscht den Markt: Normen und Standards“, Fraunhofer-Gesellschaft, April 2021

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Empfehlungen zur Erreichung des 3,5%-Ziels

turen müssen formuliert und umgesetzt werden. Dazu zählt neben der Aus- und Weiterbildung der notwendigen Fachkräfte eine Vorausschau auf benötigte Kompetenzen und Qualifikationen. ▪

Im Rahmen des European Green Deals und der Konjunkturpakete sind europäische Innovations- und Infrastrukturprojekte, die zusätzliche inländische Forschungsinvestitionen auslösen, von der Regierung einzufordern und gemeinsam mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft voranzubringen, um Leitmärkte für Zukunftstechnologien und nachhaltige Innovationen in Europa zu entwickeln.

Die Initiative für Transferfreiheit des Hightech-Forums zur Förderung von Ausgründungen und Start-ups aus der Wissenschaft ist politisch zu unterstützen, insbesondere durch klare Ziele und Anreize, die Anerkennung der Gründungsförderung als gemeinnützige Mission der Wissenschaftseinrichtungen sowie harmonisierte und förderliche Rahmenbedingungen.

Innovationsorientierte öffentliche Beschaffung: Es gilt eine auf Effizienz und Innovation ausgerichtete Modernisierung des staatlichen Beschaffungswesens über eine koordinierte und großvolumige innovative Beschaffung aufzubauen. Idealerweise kann dies über einer Zielvorgabe in Form eines prozentualen Anteils der innovativen Beschaffung am Gesamt-Auftragsvolumen realisiert werden und so wesentliche Beiträge zu FuE auch in diesem Bereich leisten.

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Empfehlungen zur Erreichung des 3,5%-Ziels

Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Lobbyregisternummer: R000534

Redaktion Dr. Carsten Wehmeyer Referent Digitalisierung und Innovation T: +49 30 2028-1580 c.wehmeyer@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D 1551

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