Diskussion zur Übergewinnsteuer: Keine sachgerechte Lösung

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Diskussion zur Übergewinnsteuer: Keine sachgerechte Lösung Strukturelle Lösung für steigende Energiepreise erforderlich

Juli 2022 Hohe Energiepreise und zunehmende Inflation Die aktuellen Entwicklungen in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben zu einem starken Anstieg der Energiepreise und zunehmender Inflation geführt. Die Bundesregierung hat mit diversen Maßnahmen politisch reagiert. Hierzu zählen insbesondere die Energiepreispauschale und die Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe (sog. „Tankrabatt“), um einen Ausgleich für hohe Spritpreise zu schaffen. Es ist richtig, dass die Bundesregierung zunächst gesetzliche und untergesetzliche Maßnahmen ergriffen hat, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Aus der Wirtschaftswissenschaft, aber auch von internationalen Organisationen wie der OECD oder Europäischen Kommission, wird grundsätzlich empfohlen, die Entlastung von Bürgern und Unternehmen möglichst rasch, zielgenau, zeitlich befristet und bei den privaten Haushalten im Lichte des sozialpolitischen Schutzes besonders verwundbarer Personengruppen mit niedrigem Einkommen und hohem Anteil von Energiekosten am Gesamtverbrauch zu orientieren. Dem ist auch Deutschland weitgehend gefolgt. Die Senkung allgemeiner Steuersätze auf Energieprodukte ist Teil des Pakets, lässt sich schnell umsetzen, ist dafür aber nicht zielgenau, zumal die Weitergabe von Steuerermäßigung nicht sicher ist. Inzwischen wird auch über den politischen Umgang mit krisenbedingten Gewinnen diskutiert, u. a. durch kartellrechtliche Lösungen oder eine Übergewinnsteuer. Dahinter steht die Vorstellung, dass bestimmte Unternehmen in der derzeitigen Marktsituation unangemessen hohe Gewinne erzielen, die durch den Staat abgeschöpft werden sollten.

Übergewinnsteuer beseitigt die Ursachen für Preissteigerungen nicht Eine mögliche Übergewinnsteuer hat wirtschafts- und steuerpolitisch nachteilige Effekte und wird auch von führenden Ökonomen abgelehnt 1. Sie beseitigt preiserhöhende Effekte, wie Lieferprobleme (z. B. bei Vorprodukten, Düngemittel), Angebotsknappheit (z. B. bei Halbleitern) und Produktionsrestriktionen (z. B. bei Erdöl und Erdgas) nicht. Stattdessen können Steuererhöhungen sogar eine gegenteilige Wirkung haben und Preise treiben, indem sie das Güterangebot umlenken und damit Knappheiten

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Clemens Fuest, ifo Institut (ifo Standpunkt 237 vom 23. Juni 2022: Acht Gründe, warum eine Übergewinnsteuer keine gute Idee ist)

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verschärfen. Die jetzt diskutierte Einführung einer Übergewinnsteuer ist daher das falsche Mittel, um auf Preissteigerungen zu reagieren, und würde zudem vielfach ins Leere laufen. Denn die Mineralölkonzerne haben ihren Sitz nicht in Deutschland. Daher werden ihre Gewinne mehrheitlich ohnehin nicht in Deutschland besteuert. Außerdem zeigen Untersuchungen des ifo-Instituts, dass der „Tankrabatt“ im Wesentlichen durchaus an die Kundinnen und Kunden weitergegeben worden ist. Laut Berechnungen des Instituts wurde die Steuersenkung „beim Diesel zu 100 Prozent weitergegeben, also 17 Cent Steuersenkung je Liter. Beim Super Benzin waren es 29 bis 30 Cent von den 35 Cent Steuersenkung, also 85 Prozent“. 2

Übergewinnbesteuerung nicht zielführend umsetzbar Der Versuch, von staatlicher Seite festzulegen, welche Gewinnhöhe als „üblich“ akzeptiert wird, sendet nicht nur an die Mineralölwirtschaft, sondern auch an Unternehmen anderer Branchen ein falsches Signal. Es schadet dem Investitionsstandort, wenn Unternehmen hierzulande je nach Wirtschaftslage mit der Erfindung von Sondersteuern rechnen müssen, welche der Willkür Tür und Tor öffnen. Die Übergewinnsteuer zielt insbesondere auf die Mineralölwirtschaft, kann aber viele weitere Unternehmen treffen. Dabei wird übersehen, dass gerade diese Branche massiv in die Energiewende investiert, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern möglichst schnell zu beenden. Wird die Branche mit einer Übergewinnsteuer zusätzlich belastet, steht zu befürchten, dass Investitionsentscheidungen in Deutschland in Frage gestellt werden.

Verfassungsrechtliche Hürden Schnelle politische Reaktionen auf steigende Energiepreise unterliegen auch einer verfassungsrechtlichen Kontrolle. Eine missbrauchsunabhängige Entflechtung im deutschen Kartellrecht würde gegen rechtliche, wettbewerbspolitische, verfassungsrechtliche und rechtsstaatliche Prämissen verstoßen. Auch mit einer Übergewinnsteuer gehen weitreichende verfassungsrechtliche Fragen einher. Die Belastungswirkungen einer Übergewinnsteuer müssen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG beachten. Differenzierungen bedürfen daher eines Sachgrundes, der hinsichtlich des Zieles und des Ausmaßes der Ungleichbehandlung angemessen ist. Es stellt sich somit die Frage, ob und wie ein sachlich begründeter und nachvollziehbarer Referenzgewinn ermittelt werden kann, um einen eventuellen Übergewinn zu bemessen. Insbesondere muss berücksichtigt werden, dass kein Übergewinn vorliegt, wenn ein Unternehmen hohe Gewinne durch besondere eigene Anstrengungen und Innovationen erwirtschaftet. Ein Beispiel ist die Impfstoffherstellung während der Corona-Pandemie. Unternehmen, die hierbei besonders erfolgreich sind, erzielen ihre Gewinne nicht als Windfall-Profits oder auf Kosten anderer Wirtschaftsteilnehmer, sondern vielmehr aufgrund ihrer Anpassungs- und Innovationsfähigkeit. Diese innovativen Unternehmen wären von einer Übergewinnsteuer ebenfalls betroffen.

Unternehmensgewinne werden bereits hoch besteuert Deutsche Unternehmen tragen im internationalen Vergleich bereits eine hohe Steuerlast auf ihre Unternehmensgewinne. Im OECD-Vergleich ist Deutschland ein absolutes Hochsteuerland. Dies gilt selbstverständlich auch für diejenigen Branchen, die bei der Diskussion um eine Übergewinnsteuer im Mittelpunkt stehen. Bei der Gewinnermittlung unterscheidet das Steuerrecht aus guten Gründen nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Gewinnen. Das Steuerrecht basiert auf den Grundsätzen von Gleichheit und Gesetzmäßigkeit, die willkürliche Belastungen der Steuerpflichtigen ausschließen.

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ifo Institut: „Ölkonzerne geben Tankrabatt zu 85 bis 100 Prozent weiter“, Pressemitteilung vom 14. Juni 2022

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Deutschland ist ein Hochsteuerland für Unternehmen: Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften (in Prozent, 2021) 35 30 25 20 15 10 5 0

* Mit durchschnittlichem Gewerbesteuer-Hebesatz von 442 % (2021, ab 20.000 Einwohner) Quelle: OECD. Stat, Statuary corporate income tax rate

Langfristige Steuerentlastungen statt temporärer Steuersenkungen Die auf drei Monate begrenzte Energiesteuersenkung auf Kraftstoffe (um 29,55 Cent/Liter für Benzin und um 14,04 Cent/Liter für Diesel) kann strukturelle und damit nachhaltige Steuerentlastungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ersetzen. Der „Tankrabatt“ ist der Versuch eines staatlichen Eingriffs, der keine dauerhafte Wirkung entfalten kann. Zum einen kann der Staat individuelle Nachfrageentscheidungen, die mit preistreibenden Effekten einhergehen (z. B. „Volltanken erst nach dem 1. Juni 2022“), nicht beeinflussen. Zum anderen schwächen staatliche Eingriffe – selbst, wenn sie in guter Absicht erfolgen – die Steuerungsfunktion des Preises und reduzieren so die Anreize für eine effiziente und sparsame Energieverwendung. Und schließlich ist immer bei umsatzsteuerlichen Maßnahmen offen, inwieweit die staatlichen Minderbelastungen vollumfänglich an den Konsumenten weitergegeben werden. Dies hängt bekanntlich von Marktkonstellationen und vielen praktischen Umständen ab. Erforderlich sind stattdessen nachhaltige Energiesteuersenkungen, zumal diese auch eine große Bedeutung für wettbewerbsfähige Produktionsbedingungen haben. Für eine energieeffiziente Produktion am Standort Deutschland müssen die Energiesteuern auf Heizstoffe dauerhaft gesenkt werden. Überfällig ist insbesondere eine Senkung der Stromsteuer auf den europäischen Mindeststeuersatz. Eine weitere strukturelle Maßnahme zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger ist die regelmäßige Anpassung des Einkommensteuertarifs, um die kalte Progression zu verhindern. Dabei gilt es, unterjährige Anpassungen, die erheblichen Aufwand erzeugen, zu vermeiden.

Kartellrechtliche Schnellschüsse vermeiden Statt steuerpolitischer Reaktionen werden aktuell auch kartellrechtliche Lösungen diskutiert. Hierbei werden u.a. Änderungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorgeschlagen, mit der die Eingriffsbefugnisse des Kartellamts erweitert werden sollen. Es soll die Möglichkeit für eine missbrauchsunabhängige Entflechtung eingeführt werden, um Wettbewerb auf verfestigten Märkten zu schaffen. Zudem sollen die Hürden für eine kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung gesenkt werden, und das Bundeskartellamt soll in Zukunft unmittelbar aus einer Sektoruntersuchung missbrauchsunabhängige Maßnahmen ableiten können.

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Die Pläne des Bundeswirtschaftsministers zu einer missbrauchsunabhängigen Entflechtung und Gewinnabschöpfung – die Pläne beziehen sich nicht nur auf den Mineralölsektor – bedeuten einen Paradigmenwechsel und stellen einen erheblichen Eingriff in unternehmerische Rechtspositionen dar. Eine missbrauchsunabhängige Entflechtung im deutschen Kartellrecht würde gegen rechtliche, wettbewerbspolitische, verfassungsrechtliche und rechtsstaatliche Prämissen verstoßen. Das Instrument wäre zudem ungeeignet: Gerade Kraftstoffmärkte sind „transparent“, oligopolistisch aufgestellt und drehen sich um relativ homogene Güter, nämlich Benzin und Diesel. Auch die dann auch nur für den deutschen Markt, und nicht den Markt des Geschäftssitzes der Unternehmenszentrale, „entflochtenen“ Mineralölunternehmen können die Preise weiterhin im Internet abrufen. Insofern würde es beim preislichen Parallelverhalten bleiben, ohne dass sich die Unternehmen kartellrechtswidrig absprechen müssen. Eine missbrauchsunabhängige Entflechtung ist auch nicht erforderlich, weil die existierenden kartellrechtlichen Verbote und Eingriffsbefugnisse bereits denkbar weit sind. Die scharfe Verhaltenskontrolle des Kartell- und des Missbrauchsverbots wird ergänzt durch eine im internationalen Vergleich strenge Fusionskontrolle. Die Einrichtung einer Befugnis zur Unternehmensentflechtung ohne vorangegangenen Wettbewerbsverstoß würde letztlich gegen Grundrechte verstoßen und, wenn nicht schon verfassungswidrig, zumindest Entschädigungszahlungen in großem Umfang erforderlich machen. Gleiches gilt für eine Absenkung der Voraussetzungen für eine kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung. Eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts kann darüber hinaus nicht kurzfristig in der aktuellen Situation wirken, andererseits aber schon in ihrer Vorwirkung Kollateralschäden für die gesamte Wirtschaft anrichten.

Steuern und Abgaben sind für rund die Hälfte des Spritpreises verantwortlich: Preisbestandteile bei Kraftstoffen in Deutschland (in Prozent, Februar 2022) 100 90

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80

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70 60

28

37

50 37

20 10 0

CO2-Preis Energiesteuer

40 30

MwSt.

Erdölpreis Produktenpreis 33

14

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Diesel

Benzin

Transport/ Lagerung/ Deckungsbeitrag Verwaltung (u. a. Transport,

Lagerung und Verwaltung)

Quellen: Statista, Wirtschaftsverband Fuels und Energie e.V.

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Zusammenfassung 

Sinnvolle Reaktion auf Preissteigerungen geboten. Statt vorschneller Strafsteuern sollten sinnvolle weitere Entlastungen und kartellrechtliche Lösungen geprüft werden.

Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung der Übergewinnsteuer ist schwierig und streitanfällig. Gewinne, die durch besondere Anpassungs- und Innovationsfähigkeit erwirtschaftet werden, dürfen nicht zusätzlich belastet werden (z. B. Impfstoffherstellung).

Die Übergewinnsteuer verursacht neue Bürokratie und kann die Ursachen preistreibender Effekte nicht beseitigen.

Deutschland ist bereits ein Hochsteuerland für Unternehmen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Branchen, die bei der Diskussion um eine Übergewinnsteuer im Mittelpunkt stehen.

Die Übergewinnsteuer schadet dem Investitionsstandort Deutschland, weil Unternehmen aller Branchen mit der Erfindung weiterer Sondersteuern rechnen müssten. Im Steuerrecht sind stattdessen Verlässlichkeit und Willkürfreiheit erforderlich.

Für eine nachhaltige Entlastung bei Heiz- und Kraftstoffen sowie Strom sind strukturelle und langfristige Energiesteuersenkungen erforderlich. Eine dauerhafte Absenkung der Energiesteuern auf das EU-Mindestniveau ist in Deutschland überfällig.

Ausgewogene kartellrechtliche Lösungen diskutieren. Mögliche Reform des Wettbewerbsrechts unter Einbeziehung der Wirtschaft als sinnvolle und langfristige Lösung erarbeiten, nicht auf populistische Eingriffe setzen.

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