Wirtschaft braucht funktionierende Logistik
Maßnahmen der Politik und Industrie zur Begegnung des Fahrermangels
Struktureller Fahrermangel: Demografie- und Nachwuchsprobleme
Die Tätigkeit der Berufskraftfahrer ist für Wirtschaft und Gesellschaft von großer Bedeutung. Allerdings leidet der Straßengüterverkehr in Deutschland und Europa unter einem sich aufgrund multipler Krisen stetig verschärfenden Mangel an qualifizierten Lkw-Fahrern. Dadurch entstehen deutlich spürbare Engpässe im Logistiksektor, die die Versorgungssicherheit von Industrie, Handel und der Bevölkerung gefährden und damit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung negativ beeinträchtigen.
Gemäß dem Statistischen Bundesamt (2021) sind 35 Prozent der deutschen Lkw-Fahrer und Fahrerinnen mehr als 55 Jahre alt und die Zahl der Berufseinsteiger unter 25 Jahren liegt bei nur 3 Prozent Aufgrund der demografischen Entwicklung wächst die Lücke an Lkw-Fahrern in Deutschland aktuell jährlich um rund 15.000 Stellen, in Summe fehlen im Jahr 2022 hierzulande circa 70.000 Fahrkräfte. Innerhalb der EU gibt es derzeit über 270.000 offene Stellen, wobei die Altersstruktur der Lkw-Fahrer ein ähnliches Bild abgibt und das durchschnittliche Alter der erwerbstätigen Bevölkerung überschreitet.
Demografische Struktur der Lkw-Fahrer in Europa im Vergleich zur Erwerbsbevölkerung (2022)
Demographic Structure Truck Drivers Europe 2022
Source: GCM Logistic, 11.11.2022
Lkw-Fahrermangel: Wirtschaft braucht funktionierende Logistik
Neben dem wachsenden Demografieproblem stagniert der Frauenanteil unter Lkw-Fahrern bei mageren 2 Prozent Die Zahlen offenbaren: Ohne die Attraktivitätssteigerung des Berufsbilds und die Erleichterung von Zugangsvoraussetzungen aus insbesondere EU-Drittstaaten ist dieser strukturelle Mangel auf Dauer nicht zu beheben Um dieser Entwicklung kurz- und mittelfristig entgegenzuwirken, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen von Speditions- und Transportbranche, Politik, Wirtschaft und Handel sowie aller mit der Berufsbildung und Nachwuchsgewinnung befassten Akteure.
Empfehlungen an die Politik zur zeitnahen Linderung des Lkw-Fahrermangels
▪ Anwerbeabkommen mit Drittstaaten, erleichterte Anerkennung ausländischer Qualifikationen und vereinfachte Visavergabe: Die Akquirierung von Fahrern muss vor allem außerhalb der EU in Drittstaaten stattfinden und mithilfe gezielter Abkommen für einen unbürokratischen Anwerbungsprozess sorgen. Zur Modernisierung des Berufskraftfahrerqualifikationsrechts ist hierzu u.a. die Aufhebung des Wohnortprinzips notwendig, sodass die Grundqualifikation unabhängig vom Wohnsitz (innerhalb oder außerhalb der EU) in jedem EU-Mitgliedsland abgelegt werden kann und universelle Gültigkeit erlangt Dadurch würde auch die hohe Sprachbarriere umgangen werden können, die mit dem Wohnortprinzip einhergeht. Darüber hinaus sind Grundqualifikationen aus Drittstaaten, die den europäischen Standards entsprechen, schneller anzuerkennen. Um dies praktisch umzusetzen, ist eine möglichst exakte Definition der bei einer deutschen Fahrerlaubnisbehörde vorzulegenden Dokumente nötig Dafür sind vonseiten des BMDV gegenüber den Ländern klare Vorgaben zu kommunizieren, auf deren Basis die Länder wiederum ihre untergeordneten Verwaltungsbehörden anweisen. Der große Mangel an Fahrern erfordert zudem eine zügige und unbürokratische Eingliederung von Fahrern aus Drittstaaten in den deutschen Arbeitsmarkt. Dabei müssen auch die komplexen und langwierigen Verwaltungsverfahren zur Visavergabe, die bereits heute die Ausländerbehörden überlasten, für Berufe mit besonders großem Fachkräftemangel deutlich vereinfacht werden.
▪ Führerscheinumschreibung optimieren und Ausgabe beschleunigen: Inhaber von Führerscheinen aus Drittstaaten sollten ihre Fahrerlaubnis deutlich einfacher umschreiben lassen können. Ein Wiederholen der Fahrprüfung sollte vermieden werden. In mehreren EU-Mitgliedsländern werden Führerscheine aus bestimmten Drittstaaten bereits ohne zusätzliche theoretische oder praktische Prüfungen umgeschrieben Hieran sollte sich auch Deutschland orientieren. Möglich ist dies durch die EU-Führerscheinrichtlinie, welche den EU-Mitgliedsländern bei der prüfungsfreien Umschreibung eines Führerscheins aus einem anderen Staat einen Vermerk unter der Verwendung der Schlüsselzahl 70 (SZ 70) vorschreibt. Zur zügigeren Ausgabe von Führerscheinen sind die Fahrerlaubnisbehörden außerdem mit ausreichendem und qualifiziertem Personal auszustatten. Digitale Führerscheinanträge sollten hier bundesweit die Norm sein.
▪ Prüfungen für die Berufskraftfahrerqualifikation (BKFQ) in Fremdsprachen ermöglichen: Stand heute können BKFQ-Prüfungen in Deutschland nur in Deutsch durchgeführt werden. Das stellt eine hohe Hürde für neu zugewanderte Personen dar. Auch die Sprachkenntnisse vieler Bewerber aus Drittstaaten reichen dafür oftmals nicht aus. Zahlreiche Transporte – im Transit wie im innerdeutschen Verkehr – werden bereits von Fahrpersonal ohne (gute) Deutschkenntnisse durchgeführt. Insofern wäre es folgerichtig, die Sprachanforderungen zu senken und neu zugewanderten Personen Prüfungen – zumindest für die „beschleunigte Grundqualifikation“ – auch in Englisch und den gängigsten Sprachen zu ermöglichen.
▪ Senkung der Kosten für die Berufskraftfahrerqualifikation und Lkw-Führerschein: Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern, sind Lkw-Führerscheinerwerb und
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Berufskraftfahrerqualifikation in Deutschland sehr teuer und mit bürokratischem Aufwand verbunden, wodurch potenzielle Fahrer abgeschreckt werden Die Bundesregierung muss prüfen, inwiefern hier Kosten gesenkt und Prozesse vereinfacht werden können, um das Berufsbild des Berufskraftfahrers attraktiver und erschwinglicher zu machen
▪ Praxisgerechte Weiterbildung für Berufskraftfahrer durch Nutzung digitaler Medien: Die Bundesregierung hatte angekündigt, für die Weiterbildung von Berufskraftfahrern auch digitale E-Learning-Formate zuzulassen. Bis heute fehlt dazu aber die entsprechende gesetzliche Grundlage. Diese muss schnell geschaffen werden, damit Weiterbildungen für Berufskraftfahrer einfacher und effizienter angeboten werden können.
▪ Ausdifferenzierung der Aufgaben und Qualifikationen: Bislang bedarf es im gewerblichen Schwerlastverkehr immer eines Führerscheins CE mit Grundqualifikation. Um mehr Interessenten zu gewinnen wäre es denkbar und mit geringem regulatorischen sowie technischen Aufwand möglich, rechtliche Anforderungen an die Qualifizierung entsprechend des konkreten Aufgabenprofils zu differenzieren und beispielsweise für leichtere Transportaufgaben eine neue CE-Führerscheinklasse zu schaffen. Dies würde Kosten für den Führerscheinerwerb senken und geringere Hürden für den Nebenerwerb als Lkw-Fahrer kreieren
▪ Ausweitung des Einsatzes von Lang-Lkw sowie Prüfung einer Anhebung maximal zulässiger Gesamtgewichte: Der Lang-Lkw hat bis zu 50 Prozent mehr Volumen gegenüber dem konventionellen Lkw und reduziert damit nicht nur die Klima-, Umwelt- und Infrastrukturbelastung im Güterverkehr, sondern auch die Anzahl notwendiger Fahrer. Gleiches gilt für die mit einer Anhebung des maximal zulässigen Gesamtgewichts verbundenen potenziell eingesparten Lkw-Fahrten. Erweiterungen des bestehenden Positivnetzes für den Lang-Lkw dürfen daher nicht länger innerhalb der Bundesregierung blockiert werden. Zusätzliche Strecken, die unter geltenden Voraussetzungen unbedenklich, müssen freigegeben werden Für reguläre Lkw-Fahrten mit einem maximal zulässigen Gesamtgewicht von 44 Tonnen außerhalb des kombinierten Verkehrs sind ähnliche Modelle und Mechanismen intensiv zu prüfen Des Weiteren sind die gesetzlichen Regelungen in Bezug auf das zulässige Gesamtgewicht im Vorund Nachlauf auf der Straße gleichzustellen, indem das maximal zulässige Gesamtgewicht für gebrochene Verkehre analog zu kombinierten Verkehren auf 44 Tonnen angehoben wird Die für kombinierte Verkehre geltende Regelung hinsichtlich eines maximal zulässigen Gesamtgewichts von 44 Tonnen sollte zudem auch auf entsprechende Verkehre mit dem Binnenschiff ausgeweitet werden, um den Transport von Massengütern über die Wasserwege attraktiver zu machen
▪ Ausbau der Infrastruktur und Digitalisierung: Die Defizite in der Straßen- und Digitalinfrastruktur sind ein wesentlicher Treiber für den Zeitdruck und Stress, dem Lkw-Fahrer ausgesetzt sind. Um Abhilfe zu schaffen, müssen Stauzeiten reduziert sowie sichere, umzäunte und gut ausgeleuchtete Parkplätze und Raststätten samt gesunder, rund um die Uhr verfügbarer Versorgungsmöglichkeiten geschaffen werden. Diese Verbesserungen der Infrastruktur können speziell die Attraktivität des Berufes für Frauen erhöhen, da sie das Sicherheitsgefühl an Rastanlagen stärken Um die Arbeitsbedingungen für Berufskraftfahrer auch im Hinblick auf die öffentliche Infrastruktur weiter zu verbessern und dadurch die Attraktivität des Berufes insgesamt zu steigern, müssen auch mehr saubere und kostengünstige sanitäre Anlagen sowie Sozialräume inklusive W-Lan an Rastplätzen vorhanden sein Die hierfür benötigten Mittel müssen im Bundeshaushalt und der mehrjährigen Finanzplanung langfristig verstetigt und entsprechende Flächen durch die zuständigen Behörden in ausreichendem Maß ausgewiesen werden Zudem sollte der Ausbau von Lkw-Stellplätzen entlang von Fernstraßen planungsrechtlich beschleunigt werden, da die aktuelle Mangelsituation die Fahrer erheblich belastet
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und zudem die Verkehrssicherheit gefährdet. Vielerorts bestehende Funklöcher behindern darüber hinaus die Einführung und den effektiven Einsatz digitaler Tools, die u.a. die Stellplatzsuche erleichtern könnten. Speziell bei Großraum- und Schwertransporten hemmt die mangelhafte Digitalisierung der Genehmigungsverfahren die schnelle Durchführbarkeit von Transporten, wodurch mehr Fahrer gebunden werden. Um Transportstrecken weiter zu verkürzen, bedarf es hier zudem der Ertüchtigung der Straßeninfrastruktur.
Gemeinsame Lösungsansätze für einen attraktiveren Lkw-Fahrerberuf
▪ Arbeitsbedingungen verbessern und stärker kontrollieren: Die im Rahmen des Mobilitätspakets 1 verabschiedeten Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen müssen innerhalb der Branche intensiver kontrolliert sowie die Lenk- und Ruhezeiten mit den gesetzlichen Regelungen des deutschen Arbeitsschutzes harmonisiert werden.
▪ Prozesse an der Laderampe verbessern: Lkw-Fahrer sind für jedes Industrieunternehmen von großer Bedeutung, die gemeinsame Zusammenarbeit an der Laderampe sollte dies widerspiegeln. Der einwandfreie, kollegiale Umgang zwischen Verladern, Waren-Empfängern, Transportunternehmen und Fahrern an den Be- und Entladestellen ist Grundvoraussetzung für ein angenehmes und sicheres Arbeitsumfeld. Dazu gehört sowohl der Zugang zu sanitären Anlagen und ggf. Sozialräumen für die Fahrer als auch möglichst verbindliche Regelungen mit Blick auf die Zuständigkeit für einzelne Arbeitsschritte und vereinbarte Zeitfenster. Ausreichende infrastrukturelle Kapazitäten (Hilfsmittel, Parkplätze) seitens der Unternehmen sind für den reibungslosen Ablauf an der Laderampe ebenfalls essenziell, da so kürzere Standzeiten und berechenbare Transporte für alle Beteiligten entstehen.
▪ Vorantreiben der Digitalisierung: Mithilfe einer umfassenden Digitalisierung sind die Prozesse im Transport- und Logistiksektor vernetzter, smarter und effizienter aufzustellen, sodass sowohl unternehmens- als auch behördenseitig bürokratische Hemmnisse abgebaut und notwendige Kontrollen rascher erfolgen können
▪ (EU-weite) Kampagne zur Nachwuchsgewinnung: Eine EU-weite Kampagne zur Nachwuchsgewinnung muss neue Zielgruppen erschließen und sich die steigende Attraktivität von anderen Berufsbildern im wachsenden Dienstleistungssektor als Maßstab nehmen. Insbesondere jungen Menschen ist zu zeigen, dass die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung zwar die Anforderungen an den Beruf verändern, ihn aber keineswegs überflüssig machen – sondern vielmehr große Chancen für ein in der öffentlichen Wahrnehmung positiv besetzteres sowie attraktiveres Arbeitsumfeld bieten.
▪ (Quer-)Einstieg ermöglichen: Zur Gewinnung und Betreuung von Nachwuchs, Quereinsteigern sowie Fahrern aus anderen EU-Mitgliedsländern sowie Drittstaaten sind attraktive sowie flexible Aus-, Weiterbildungs- und Integrationsangebote vonseiten der Politik und Unternehmen inklusive Sprachförderung unabdingbar, um den Einstieg in ein neues Arbeitsumfeld möglichst reibungslos zu gestalten.
▪ Kombinierte Verkehre stärken: Der kombinierte Verkehr ist mit dem Ausbau der Terminalinfrastruktur zu stärken, da er es ermöglicht, mehr Fahrer auf kürzeren Strecken einzusetzen und somit längere, deutlich unattraktivere Fahrten zu vermeiden. Die Förderung des Bundes für Anlagen des kombinierten Verkehrs sollte deshalb auskömmlich im Bundeshaushalt finanziert werden
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